Der offenbarungsgeschichtliche Ausgangspunkt: Unterschied zwischen den Versionen

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(I. Einleitung und Einteilung des Buches)
(Der Inhalt der Weissagung)
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Noch wichtiger aber ist, dass der Wechsel der beiden Sprachen zugleich den Unterschiede der beiden Teile so scharf markiert. Man teilt das Buch gewöhnlich dem Inhalt nach anderes ein als wir, nämlich in zwei Hälften von je sechs Kapiteln, wobei sich als Einteilungsgrund geltend machen lässt, das so der erste Teil lauter Geschichte, der zweite lauter Gesichte enthält. Denn auch der Traum Nebukadnezars im 2. Kapitel hat doch eine ganz geschichtliche Einkleidung und findet an dem zweiten Traum desselben Königs im 4. Kapitel seine Analogie. Zieht man dann das 7. Kapitel, welches das erste unter Daniels eigenen Gesichten enthält, zum zweiten Teil, s o  sch e i n t wenigstens damit schon  eine gewisse Berechtigung gegeben, auch diese Offenbarung, wie die übrigen Gesichte des Propheten, auf Antiochus Epiphanes zu beziehen, und das muss natürlichen auch auf das 2. Kapitel zurückwirken, so dass man die Weltmonarchien überhaupt nur bis auf Antiochus reichen lässt. Dem allem nun ist der Verfasser selbst dadurch entgegengetreten, dass er das 7. Kapitel noch chaldäisch geschrieben und somit deutlich dem ersten Teil zugewiesen hat. Er zeigt hiermit auf eine sehr augenfällige Weise, dass und wie er sein Buch in zwei verschiedene und von Verschiedenem handelnde Teile wissen will.<br/><br/>
 
Noch wichtiger aber ist, dass der Wechsel der beiden Sprachen zugleich den Unterschiede der beiden Teile so scharf markiert. Man teilt das Buch gewöhnlich dem Inhalt nach anderes ein als wir, nämlich in zwei Hälften von je sechs Kapiteln, wobei sich als Einteilungsgrund geltend machen lässt, das so der erste Teil lauter Geschichte, der zweite lauter Gesichte enthält. Denn auch der Traum Nebukadnezars im 2. Kapitel hat doch eine ganz geschichtliche Einkleidung und findet an dem zweiten Traum desselben Königs im 4. Kapitel seine Analogie. Zieht man dann das 7. Kapitel, welches das erste unter Daniels eigenen Gesichten enthält, zum zweiten Teil, s o  sch e i n t wenigstens damit schon  eine gewisse Berechtigung gegeben, auch diese Offenbarung, wie die übrigen Gesichte des Propheten, auf Antiochus Epiphanes zu beziehen, und das muss natürlichen auch auf das 2. Kapitel zurückwirken, so dass man die Weltmonarchien überhaupt nur bis auf Antiochus reichen lässt. Dem allem nun ist der Verfasser selbst dadurch entgegengetreten, dass er das 7. Kapitel noch chaldäisch geschrieben und somit deutlich dem ersten Teil zugewiesen hat. Er zeigt hiermit auf eine sehr augenfällige Weise, dass und wie er sein Buch in zwei verschiedene und von Verschiedenem handelnde Teile wissen will.<br/><br/>
  
===<big>'''II. Der erste Teil'''</big>===
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===<big>'''Die Weltreiche und das Gottesreich'''</big>===
 
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Das Hauptthema des ersten Teils sind also die vier Weltmonarchien, die einander ablösen, um am Ende dem Gottesreich Platz zu machen. Dieses Thema stellt sich in zwei Gesichten dar, deren eines den ersten Teil eröffnet (Dan 2.), das andere denselben schließt (Dan 7.)
 
Das Hauptthema des ersten Teils sind also die vier Weltmonarchien, die einander ablösen, um am Ende dem Gottesreich Platz zu machen. Dieses Thema stellt sich in zwei Gesichten dar, deren eines den ersten Teil eröffnet (Dan 2.), das andere denselben schließt (Dan 7.)
  
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Es ist charakteristisch und bedeutungsvoll, dass nicht der Prophet Daniel, sondern der Weltherrscher Nebukadnezar es ist, der zuerst in einemTraum, welchen ihm dann aber Daniel auslegt, die ganze künftige Entwicklung der Weltreiche überschaut. Die Weltmacht muss in dem ersten ihrer Träger, der dem Gottesstaat ein Ende gemacht hat, selbst erfahren, was ihr endliches Los sei, dass sie einst umgekehrt für immer dem Gottesreich unterliegen werde. Zwar kann es auffallend erscheinen, dass der Weltherrscher selbst zum Offenbarungsorgan wird. Allein obwohl, vom Standpunkt der Ewigkeit aus betrachtet, die Weltmacht ein Nichts ist, obwohl sie daher am Ende der Tage spurlos verschwindet, so ist doch andererseits für die diesseits des Endes liegende Geschichte, für die welthistorische Ausführung des göttlichen Ratschlusses ein weltbeherrschender König eine so bedeutende Person, dass ihn Gott mit denselben Namen nennt, wie den Anfänger und Vollender des theokratischen Königtums, David und den Messias: mein Knecht, mein Hirte, mein Gesalbter, der all mein Werk vollbringt, den ich bei seiner Rechten halte (Jer 25:9; Hes 28:12-15; Jes 44:28; Jes 45:1). 
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Daraus wird begreiflich, warum gerade einem König, welcher überdies schon als solcher den Abglanz göttlicher Majestät an sich trägt (Ps 82:1.6; Röm 13:1 ff.) eine Offenbarung von oben zuteil wird. Für einen außerhalb des Reiches Gottes stehenden Herrscher nun ist der Traum, der ja auch schon bei Abimelech, Pharao u. a. vorkommt (1Mo 20 und 1Mo 41), die allein angemessene und mögliche Form der Offenbarung, wobei wir uns an den hohen Respekt erinnern müssen, den das Heidentum überhaupt vor Träumen hatte. Dabei ist indessen wohl zu beachten, dass der heidnische Fürst den Traum nur empfängt, aber weder aus sich selbst noch auch mit Hilfe seiner Weisen versteht. Vielmehr wird er durch denselben nur beunruhigt und gequält und kann nicht eher zur Ruhe und Klarheit darüber gelangen, als bis ihm ein erleuchteter Israelite den Schlüssel zum Verständnis darreicht. Auf Seite des Heidentums ist lediglich die Passivität, während die Aktivität in göttlichen Dingen bei Israel bleibt, so dass dem "Gott des Himmels" und seiner besonderen Offenbarungsökonomie auch hier die Ehre am Ende allein zukommt. Vielleicht sollte durch den mächtigen Eindruck, welchen diese Enthüllung mit allen sie begleitenden Umständen auf Nebukadnezar machen musste, auch dem gefangenen Gottesvolk ein milderes Los bereitet werden. Dem Daniel aber muss der Traum des Königs und seine Auslegung zur Eröffnung des Blicks in die Zukunft der Weltmächte dienen, er muss ihm diesen ganzen Kreis von Anschauungen aufschließen und ihn dadurch zum Empfang weiterer, speziellerer Offenbarung vorbereiten: für ihn hat das Ereignis zugleich eine propädeutische Bedeutung.
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Näher lässt nun Gott dem Nebukadnezar die Weltmacht in ihrer Gesamtheit unter einem kolossalen Menschenbild erscheinen, woe der Kopf von Gold das babylonische, Brust und Arme von Silber das medopersische, Bauch und Lenden von Kupfer das griechisch-mazedonische, die Schenkel von Eisen samt den Füßen und Zehen von Eisen und Ton das römische Reich samt seinen germanisch-slavischen Ausläufern darstellen*).  Es liegt im Zweck der ganzen Weissagung, dass nur diejenigen Reiche genannt sind, welche mit dem Reich Gottes irgendwie in Beziehung stehen, sie aber auch alle. '''"Das Königreich Gottes ist der Zweck der göttlichen Welterschaffung und das Ziel der göttlichen Regierung'''. Das Königreich Gottes ist die unsichtbare Wurzel, welche die Weltreiche hält und trägt, und die unsichtbare Kraft, welche Weltreiche schlägt und zermalmt. Die nähere oder fernere Verbindung mit dem Königreich Gottes bestimmt die Dauer, die Wichtigkeit, das Bemerkenswerte der Weltreiche. Das Schicksal und die Geschichte aller der Reiche der Erde, die mit dem Königreich Gottes in keine bedeutende oder in gar keine Verbindung kommen, vorher zu wissen, wäre von keinem Wert. Denn ihre Geschichte mag sein, welche sie will, so ist sie immer unbedeutend, weil sie auf die Verzögerung oder Herbeiführung der letzten endlichen Entwicklung der Dinge, der Verdrängung der Weltreiche durch das Königreich Gottes, gar nicht oder nur sehr entfernt einwirken." ''(M e n k e n, das Monarchenienbild, Bremen und Aurich 1809, S. 82).'' Das ganze Bild, welches Nebukadnezar schaut, wird hierauf von einem Stein zerschlagen, der, ohne Menschenhand von einem Bergabhang sich losreißend und hierauf zu einem die ganze Erde erfüllenden Berge sich ausdehnend, das Reich Gottes abbildet. <br/>
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:''*) Schon L  u t h e r denkt bei dem Ton an die Versetzung des römischen Reichs unter die Deutschen und bei den Zehen an "Spanien, Frankreich, England und anderer Stücke", in die das Reich auseinandergeht, wie der Fuß in die Zehen. Während C a l v i n unter dem zermalmenden Stein irrig die erste Erscheinung Christi versteht, bemerkt Luther, das vierte Reich müsse bleiben bis am jüngsten Tag. Ebenso versteht R o o s unter dem Ton die Nationen der Völkerwanderung und reiht daran richtig den Schluss, dass das vierte Reich noch jetzt stehen müsse. Dergleichen P r e i s w e r k, Morgenland 1838, S. 33 ff. H o f m a n n, Weiss. u. Erf. I S. 278 ff. Gaussen, Daniel le prophete, 2 edition 1850, I, S. 150. Die nähere Begründung folgt unten.''
 
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Die Beschreibung

Version vom 17. Mai 2020, 11:19 Uhr

Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel davor: Einleitung


In Bearbeitung

Erstes Kapitel:

Charakteristik des Buches Daniels

I. Die Bedeutung der babylonischen Gefangenschaft

Der offenbarungsgeschichtliche Ausgangspunkt

Wollen wir zum Verständnis unseres Buches gelangen, so haben wir von dem Standpunkt auszugehen, auf welchen es uns selbst gleich in seinen beiden ersten Versen stellt. Es ist der Gegensatz Israels und der heidnischen Weltmacht, in den wir uns hier hineinversetzt sehen, und zwar in demjenigen Stadium seines Verlaufs, welches mit dem babylonischen Exil eintritt. Das letztere bildet die historische Grundlage der danielischen Weissagungen, wie der Prophet selbst in dem Einleitungskapitel sehr geflissentlich hervorhebt, indem er es mit der Erwähnung des Beginns der Gefangenschaft eröffnet und mit der Erwähnung des Endes derselben schließt. (Dan 1:1-21, vergl. Dan 1:1.2). Ein kurzer Rückblick auf die frühere Entwicklung der Theokratie wird dienlich sein; um die offenbarungsgeschichtliche Bedeutung dieser Epoche anschaulich zu machen.

Gott hatte durch Abrahams Berufung aus dem großen Völkergewoge, wie eine Insel aus dem Meer (Dan 7:2), ein Geschlecht abgesondert und zu seinem Eigentum erwählt, um dasselbe zum priesterlichen Vermittler seiner Offenbarungen an die Menschheit zu machen und so die Verbindung zwischen Himmel und Erde aufs Neue anzuknüpfen, auf welcher die ganze Zukunft der Menschheit beruht (1Mo 12:1-3; 2Mo 19:4-6). In Ägypten war die Familie Abrahams zum Volk erwachsen, durch Mose hatte das Volk das Gesetz von Gott empfangen, unter David und Salomo den Höhepunkt seiner alttestamentlichen Entwicklung in einem wohlgeordneten Staatsleben erreicht. Das eigentliche Wesen der Theokratie im Gegensatz zu heidnischer Religion und heidnischer Macht kam durch diese beiden Könige so völlig zur äußeren Darstellung, dass Israel nicht nur von den Heiden unabhängig war, sondern auch die umliegenden Völker sich unterworfen hatte. Die davidisch-salomonische Epoche, wo völlig und wesentlich erscheinen soll, was im A. T. nur äußerlich abgeschattet war.

Schon mit Salomo aber beginnt der Verfall. Derselbe fing damit an, dass sich das israelitische Gottesreich in zwei Reiche spaltete und danach die innere Kraft und den Halt nach außen verlor. Das nördliche Reich der zehn Stämme, welche von dem Heiligtum Jehovas zu Jerusalem und von der Dynastie der Verheißung abgefallen war, suchte zuerst seine Stärke in der Hingabe an heidnisches Wesen; es schloss sich Juda gegenüber an Phönizien und Syrien an und hing sich buhlerisch an Götzendienst und weltliche Macht. Aber wenn Gottes Volk seinem Herrn untreu wird, und mit der Weltmacht sich einlässt, so erweckt Gott eben diese Weltmacht zur Strafe über sein Volk. Wer auf das Fleisch sät, der wird von dem Fleisch Verderben ernten (Gal 6:8). Da musste das Reich Ephraim erfahren, indem ihm im Jahr 722 v. Chr. durch die Assyrer ein Ende gemacht wurde. Dieselbe Entwicklung finden wir auch im Reich Juda, nur dass sie sich hier langsamer vollzog, weil verhältnismäßig noch länger die Treue gegen Jehovah herrschte, indem das davidische Haus von Zeit zu Zeit wieder gottesfürchtige Könige hervorbrachte. Allein auch Juda ließ sich verführen und hurte Ephraim nach. Ungefähr vom Jahr 740 an, wo Ahas sich um Hilfe gegen Ephraim und Syrien trotz Jesajas Warnung nach Assyrien wandte (Jes 7.).

Denn so herrlich hatte die Propheten von der Erlösung geredet, dass die Juden hofften, es werde ein Zustand vollkommenen Glücks und Heils für sie eintreten, sobald sie aus der babylonischen Gefangenschaft errettet seien. Da sie aber von so vielen Drangsalen heimgesucht wurden, und nicht bloß auf kurze Zeit, sondern über vierhundert Jahre lang, während sie doch nur siebzig Jahre im Exil gewesen waren, so konnte es den Anschein gewinnen, als sei die Erlösung ein Spott geworden. So ist es unzweifelhaft, dass Satan viele Seelen zum Abfall reizte, als hätte Gott seinen Spott mit ihnen getrieben, da er sie aus Chaldäa geführt und ins Vaterland zurück gebracht hatte. Aus diesen Gründen zeigte Gott seinem Knecht im Gesicht, welch zahlreiche und schwere Drangsale das auserwählte Volk erwarteten. Der Knecht Gottes, welcher zum Empfang dieser neuen Offenbarungen ausersehen war ist D a n i e l.

Den Wendepunkt, welchen die ganze göttliche Reichsgeschichte mit dem Exil nimmt, hat in seiner prinzipiellen Bedeutung für das Verständnis der danielischen Weissagungen, so viel ich sehe, am tiefsten und schärfsten unter allen bisherigen Auslegern M a g n u s Friedrich R o o s erkannt, der große Schriftforscher voll stiller Tiefe, wie ihn Delitzsch nennt. Er gab 1771 als Pfarrer zu Lustnau bei Tübingen eine treffliche Schrift heraus unter dem Titel: Auslegung der Weissagungen Daniels, die in die Zeit des N. T. hineinreichen, nebst ihrem Vergleich mit der Offenbarung Johannis nach der Bengelischen Erklärung derselben. Hier teilt er gleich im ersten Paragraphen der Einleitung, "das Reich Gottes in der Verbindung mit den häuslichen und politischen Anstalten" betrachtend, die Weltzeiten in vier Hauptperioden ein: 1.) von Adam bis zum Auszug aus Ägypten, 2.) bis zum Anfang der babylonischen Gefangenschaft, 3.) bis auf den Anfang der glückseligen tausend, oder, wie Roos irrtümlich mit Bengel annimmt, zweitausend Jahre (Offb 20:1-6), 4.) diese zweitausend Jahre selber bis ans Ende der Welt. Wir sehen, wie der dritte Zeitraum mit Anschluss des vierten genau der von der danielischen Weissagung umfasste ist. Die nähere Begründung und Ausführung, welche Roos dieser beim ersten Anblick seltsam scheinenden Periodenteilung gibt, ist so reich an lichtvollen Blicken in die Hl. Schrift, dass wir es uns nicht versagen können, diesen ganzen Abschnitt als Beilage unten anzufügen. Über Stellung und Bedeutung der mit dem Exil beginnenden Periode des ReichesGottes vgl. außerdem Mich. B a u m g a r t e n, die Nachtgesichte Sacharjas, I. S. 24 ff.

II. Die Stellung Daniels

Seine Stellung am babylonischen Hof

Der neue Aufschluss, welcher dem Volke Gottes für die mit der babylonischen Gefangenschaft beginnende Zeit not tat, musste so beschaffen sein, dass dasselbe zunächst inne wurde, was es um die Weltmächte sei, denen es nun gehorchen sollte, was ihr Wesen und ihr Ende sei, und sodann, wie sich hierzu das in Israel begonnene göttliche Heilswerk verhalten werde. Es war also jetzt der Prophetie ein neuer Gegenstand gegeben, welcher der Natur der Sache nach erst mit dem Exil hervortreten konnte, hier aber auch mit innerer Notwendigkeit gleichsam der Weissagung sich aufdrängte.

Sollte nun aber nach Gottes Absicht eine Offenbarung über die Weltmächte und ihre Entwicklung gegeben werden, so musste der Prophet einen anderen Standort einnehmen als die bisherigen Propheten. Denn das göttliche Wort hat immer einen geschichtlichen Anknüpfungspunkt, welcher den, dem es zuteil wird, zur Aufnahme desselben tauglich macht. Die Offenbarung fällt nicht als ein geschriebenes Buch vom Himmel, das man nur mit den Händen nehmen und lesen dürfte; sondern damit sie dem Bedürfnis und Gesichtskreis der Menschen angemessen wird, muss ein Mensch lebendig im Geiste empfangen und aufschreiben. Damit er aber dies könne, muss er selbst geschichtlich so gestellt sein, dass im das Wort von oben nicht ein völlig fremdes ist, sondern dass seine ganze Situation gleichsam zur menschlichen Frage wird, auf welche die Offenbarung die göttliche Antwort bringt. Handelte es sich nun jetzt nicht mehr, wie bei den früheren Propheten, um Israel in seinem Verhältnis zu den Weltmächten, sondern um die Weltmacht in ihrem Verhältnis zu Israel: so konnte der Gottesmann, der hierüber weissagen sollte, nicht unter seinem Volke, er musste am Sitze der heidnischen Weltmacht leben. Denn von da aus allein gewann er für diese in ihrer ganzen Art und Entwicklung den rechten Blick, ,an welchen die Offenbarung von oben sich anzuknüpfen vermochte. So finden wir denn die prophetische Warte Daniels neben dem Throne zu Babel aufgeschlagen: er steht in und über der ersten Weltmonarchie und überschaut von hier aus mit göttlich geöffnetem Seherauge die wechselnden Gestalten und Geschicke der kommenden Reiche in ihren Beziehungen zum Volke Gottes bis in die fernsten Zeiten hinaus.

Von seiner frühen Jugend bis ins höchste Alter, mehr als siebzig Jahre lang lebte der Prophet am babylonischen und medopersischen Hofe (Dan 1:1.6.21; Dan 10:1). Doch nicht bloß das; sondern er war selbst auch Staatsmann und bekleidete die einflussreichsten Ämter (Dan 2:48 f. Dan 5:29; Dan 6:29; Dan 8:27). Dadurch bekam er eine Anschauung und ein Verständnis von dem Gang der politischen Dinge in den Weltreichen, welche ihn vorzüglich befähigten, der Empfänger dieser, dass ich so sage, politischen Offenbarungen zu werden. Mitten in der Politik fehlte aber der geistliche Gesichtspunkt nicht. Die Erfahrungen, welche Belsazars Sturz, von dem raschen Aufblühen, Zerfallen, Verschwinden der babylonischen Monarchie, von seiner eigenen und seiner Freunde wunderbarer Errettung (Dan 3-6), alle diese Ereignisse gaben ihm tiefe Eindrücke über die Nichtigkeit der Weltmacht und die unüberwindliche Herrlichkeit des Gottesreiches.

Auch den Unterricht in der Weisheit der chaldäischen Magier dürfen wir hier in Betracht ziehen. Denn dass die geheimen Kenntnisse und Künste der Heiden nicht Nichts waren, das zeigt uns die Hl. Schrift z. B. an den ägyptischen Zauberern, die Mose gegenübertraten. Sind es ja doch solche chaldäische Magier gewesen, welche, von dem Stern geleitet, den neugeborenen König der Juden aufsuchten, was deutlich zeigt, dass sie nicht von aller Wahrheit entfernt waren (vgl. L u t t e r b e c k, die neutestamentl. Lehrbegriffe I, S. 357 ff.) und wobei freilich gefragt werden darf, ob nicht von ihrem Obervorsteher Daniel her, der so merkwürdige Aufschlüsse über diesen König der Juden, selbst bis auf die Z e i t seiner Erscheinung hinaus, empfangen hatte (Dan 9:24 ff.), noch eine Tradition unter ihnen sich fortgepflanzt haben mag? Für den Propheten selbst aber hatte der Umstand, dass er in seiner Jugend drei Jahre in dieser chaldäischen Weisheit unterrichtet wurde, jedenfalls die Bedeutung, die hohe prophetische Anlage, welche er von Natur besaß, auszubilden und seinen Geist auf diesen geheimnisvollen Gebieten heimisch zu machen (Dan 1:4.5.17). Es muss für ihn eine ähnliche Schule gewesen sein, wie für Mose die Erziehung am ägyptischen Hof oder wie jetzt für den Theologen das Studium der Philosophie. Materiell freilich hat er von den Chaldäern nichts gelernt, sondern sie bald alle zehnfach an Weisheit übertroffen (Dan 1:19.20; 1Kor 2:6 ff.).

Und es ist aller Nachdruck darauf zu legen, mit welcher Treue und Gewissenhaftigkeit sich dieser rechte Israelit ohne Falsch von Jugend auf rein gehalten hat von allem heidnischen Wesen,mit welcher Lauterkeit er seinem Gott unter den schwierigsten Verhältnissen und versuchungsvollsten Umgebungen gedient hat, auch wo es ihm ans Leben ging (Dan 1:8ff; Dan 6:1ff.). Man darf sich nicht von den Leckerbissen und dem Wein der Welt nähren, wenn man göttliche empfangen oder auslegen will. Daniel steht in dieser Beziehung mit seinen drei Freunden da, wie eine Oase in der Wüste, aber auch wie ein Licht in der Nacht. Dieses Licht hat zu dem im Exil befindlichen Gottesvolk trostvoll hinüber geleuchtet, so dass der Prophet, zu welchem Israel als zu seiner inneren und äußeren Stütze in dieser Zeit der Trübsal emporschaute, seinen Landsleuten bald ebenso heilig wurde wie Noah und Hiob, welche gleichfalls mit ihrer Gottseligkeit allein dastanden untere einem verkehrten Geschlecht und unter göttlichen Gerichten (Hes 14:14 ff. vgl. Hes 28:3) Aber nicht nur das, sondern jenes Licht hat auch die heidnische Finsternis bestraft. Daniel sagte dem Nebukadnezar mit allem Freimut und Ernst die Wahrheit und dieser mächtige Herrscher hat sich vor dem allmächtigen, wahrhaftigen Gott gebeugt und ihm die Ehre gegeben (Dan 4.) Wie sehr aber der Prophet selbst trotz der hohen Ehre und Auszeichnung, die er an dem heidnischen Hof genoss, mit dem innersten Herzen an seinem Volk hin, wie innig und völlig er bis in sein Alter in dessen Leiden und Hoffnungen lebte, wie ihm die ganze Welt nichts war gegen das Reich Gottes; davon gibt Dan 9 mit seinem Gebet eine ergreifende Probe.

Ein solcher Mann nun war, sie keiner, geeignet, ein reines Organ für die jetzt notwenigen Offenbarungen Gottes zu werden. Seine staatsmäßige Stellung bildete gleichsam den Leib, die Magierschule, die er durchgemacht, die Seele, sein glaubensstarker, dazu noch an den Schriften der früheren Propheten (Dan 9:2) gebildeter Sinn aber den Geist seiner Prophetie welche nun nur durch den Offenbarungsgeist von oben angefacht zu werden brauchte. So bereitet die göttliche Vorsehung der göttlichen Offenbarung ihre Gefäße zu.

Man hat Daniel mit J o s e p h verglichen, und mit allem Recht. Der eine steht am Anfang, der andere am Ende der israelitischen Offenbarungsgeschichte, beide an heidnischen Höfen als Repräsentanten des wahren Gottes und seines Volkes, beide durch Reinheit des Wandels vor dem Herrn musterhaft, beide mit der Gabe ausgestattet, den Wahrheitsahnungen des Heidentums, die sich hier in gottgewirkten Träumen aussprechen, zum Licht zu helfen, beide überhaupt mit wunderbarer Weisheit und Erleuchtung begabt und darum auch von der Weltmacht mit Ehren bedeckt. So stellen sie Israels Beruf dar, mitten in der Völkerwelt ein heiliges Volk und ein Königreich von Priestern zu sein; der universelle Zweck der alttestamentlichen Theokratie tritt in ihnen klar zutage. Darum sind sie Vorbilder auf Christum, dem rechten Israel, und auf die noch künftige Bestimmung des Volks, ein Licht den Heiden zu sein, wenn Röm 11:12.15 sich erfüllt. H e g e l hat bekanntlich in seiner Philosophie der Geschichte schön und geistreich darauf hingewiesen, wie die beiden Jünglinge Achil und Alexander bedeutungsvoll, einer am Beginn, der andere am Schluss der griechischen Geschichte stehen, und wie in diesem zwei Gestalten sich das ganze Wesen und Leben des hellenischen Volkes abspiegelte. Ein Ähnliches ist es auf dem Boden der heiligen Geschichte Israels mit Joseph und Daniel. Dieser insbesondere, in jeder Hinsicht noch reicher gesegnet als jener, ein Alexander gegenüber von Achilles, ist die leuchtende Gestalt und der größte Charakter aus den letzten Jahrhunderten des alten Bundes, die vorzügliche Ausprägung eines rechten Israeliten. Ein solcher Mann wurde zum alttestamentlichen Apokalyptiker berufen. Und wenn wir nun weiter wissen, dass der neutestamentliche der Jünger war, welchen Jesus lieb hatte: so muss uns schon der Umstand mit Ehrfurcht vor den beiden Apokalypsen erfüllen, dass Gott zwei der besten Männer aus dem alten und aus dem neuen Bund zu ihrem Empfängern und Verfassern auserkoren hat.

Die Stellung des Buches im hebräischen Kanon

Wir haben gesehen, es ist um die Weissagung Daniels etwas anderes und muss seiner Aufgabe und Stellung nach etwas anderes sein, als um die der übrigen Propheten. "Im Daniel öffnet sich eine ganze neue Welt, Wer mit den übrigen Propheten des A. T. eine noch so vertraute Bekanntschaft erreicht und sich in ihren Geist, ihre Sprache, ihre Vorstellungs- und Dichtungsarten noch so tief hineinstudiert hat, wird hier im ganzen alles fremd und Früchte finden, die nicht Palästina, sondern ein ganz anderer Boden getrieben haben muss (E i c h h o r n, Einl. ins A. T., IV, S. 472). Daraus begreifen wir nun auch, warum die Sammler des alttestamentlichen Kanons unseren Propheten nicht mit den übrigen zusammenstellten. Seine besondere Stellung an dem heidnischen Hof spiegelt sich in seiner besonderen Stellung im Kanon wieder.

Daniel unterscheidet sich von den anderen Propheten in vieler Beziehung so wesentlich wie die johanneische Apokalypse von den apostolischen Sendschreiben. Die prophetischen Bücher des A. T. wie die Briefe des N. T. sind unmittelbar aus den jeweiligen Bedürfnissen der Gemeinde Gottes hervorgewachsen und daher zunächst ganz für ihre Gegenwart bestimmt. Propheten und Apostel stehen in lebendigster Beziehung zu Israel und der Kirche: davon sind ihre Schriften der Aus- und Abdruck. Anders ist es bei Daniel und dem Apokalyptiker des N. B. Diese finden wir nicht in unmittelbarer Berührung mit der Gemeinde; sie stehen isoliert da, der eine an einem heidnischen Hof, der andere auf seiner öden Felseninsel (Offb 1:9); sie sind allein mit ihrem Gott. Sie schauen und schreiben nicht bloß, nicht einmal hauptsächlich für die gegenwärtige Gemeinde, sondern weit mehr für die kommenden Geschlechter. Das drückt sich auch in ihren Schriften aus. Dieselben haben, wie wir unten noch genauer sehen werden, eine andere Bestimmung, einen anderen Charakter, als die übrigen prophetischen oder apostolischen Bücher. Dieser Unterschied, den schon die Rabbinen andeuten, und den W i t s i u s näher bestimmt hat, indem er Daniel die prophetische Gabe, aber nicht das prophetische Amt beilegte, fand denn naturgemäß auch seinen Ausdruck in der Stellung der beiden Apokalypsen im Kanon. Im N. T. stehen die johanneischen Schriften nicht, wie die paulinischen, beisammen; im A. T. ist Daniel von den Propheten getrennt. Unter den Heiden lebend, war er kein eigentlicher NaBhI (Prophet), und wenigstens später unterschied die jüdische Theologie die RUaCh NeBhuAH von der RUaCH HaPhRäSch, welche man den KeTUBhiM zuschrieb, d. h. den Geist der Prophetie von dem der göttlichen Eingebung im weiteren Sinne, wie sie dem Psalmen zukommt. (H e n g s t e n b e r g, Beitr. i. S. 28. O e h l e r, Prolegomena zur Theol. des A. T. S. 93).

Wenn nun aber Daniel näher zwischen die Geschichtsbücher der nachexilischen Zeit zwischen Ester einerseits, Esra und Nehemia andererseits hineingestellt wurde, so sehen wir hierin, auch abgesehen von einem speziellen Grund, der sich uns unten gerade für diese Stellung vermutungsweise ergeben wird, eine Andeutung, dass ihn die Sammler als den prophetischen Geschichtsschreiber der mit dem Exil beginnenden Periode des Gottesreichs betrachteten. Es ist das ganz dieselbe Ansicht, die n och in neuerer Zeit B e n g e l über ihn ausgesprochen hat, wenn er ihn den Politiker, Chronologen und Historiker unter den Propheten nennt; eine Ansicht, die sich uns von selbst aus der Betrachtung der geschichtlichen Konstellation, unter welcher Daniel auftrat, als die richtige und notwendige ergeben hat. Wenn irgendwo, so ist bei ihm das Wort des großen B a c o von Verulam anwendbar: Die Weissagung ist eine Art von Geschichtsschreibung, sofern die göttliche Geschichtsschreibung das Vorrecht vor dem menschlichen hat, dass die Erzählung der Tatsache ebenso vorangehen als auch folgen kann.

Wir haben nun weiter aufzuzeigen, wie genau das Buch nach Inhalt und Form dieser historischen Situation und der in ihr liegenden Aufgabe entspricht. Überblicken wir daher zunächst den Inhalt derselben.


2. Kapitel:

=Der Inhalt der Weissagung

I. Einleitung und Einteilung des Buches

Der Prophet schickt im 1. Kapitel eine historisch-biographische Einleitung voran, welche seine Wegführung nach Babel, sein Leben am dortigen Hofe, seinen dreijährigen Unterricht in der chaldäischen Weisheit und Literatur erzählt.m Das Letztere sogleich mit bestimmter Hindeutung darauf, dass der wahrhaftige Gott, welchem er treulich diente, ihm, zumal in Bezug auf Träume und Gesichte, eine Erleuchtung schenkte, welche alle Wissenschaft der heidnischen Magier weit überragte (Dan 1:17.20). Daniel erscheint hier ganz als der Repräsentant seines Volkes*). In seinem Los als Weggeführter und Gefangener spiegelt sich die politische Unterdrückung, das Exil Daniels wieder; aber seine hohe und einzige Erleuchtung stellt dar, wie das Bundesvolk in göttlichen Dingen, in Bezug auf Religion und Offenbarung, den heidnischen Gewalthabern unendlich überlegen ist und bleibt. Daher berichtet der Prophet mit Absicht mehrere solche Ereignisse, wo er den im gesamten Altertum so berühmten chaldäischen Weisen, welche ihm hier Repräsentanten der heidnischen Religion und Weisheit überhaupt sind, gegenübersteht, und sie völlig vor ihm zuschanden werden. So im 2. 4. und 5. Kapitel.

*) Hierdurch erledigt sich der Einwurf gegen die Echtheit unseres Buches, den man vom sogenannten Selbstlob Daniels (z. B. Dan 1:17-20; Dan 9:23) hergenommen hat. Hinsichtlich der Person des Propheten hat auf denselben H e n g s t e n b e r g (Beitr. 221 f.) in beherzigenswerter Weise geantwortet.)

Und dass er nun eben durch seine göttliche Weisheit bald zu den höchsten Ehren und Würden auch in weltlicher, politischer Beziehung gelangt, ist ein Vorbild davon, dass dereinst doch noch das Reich, Gewalt und Macht dem heiligen Volk des Höchsten gegeben werden wird. (Dan 7:27). So bildet Daniels eigenes Geschick nicht nur die historische Voraussetzung, sondern auch die typische Grundlage seiner Weissagung. Und hierin liegt die Ursache, warum auch in den folgenden Kapiteln, namentlich Dan 3-6, zwischen die Weissagungen noch mehreres Biographische von ihm und seinen Freunden hineingestellt wird. "Die Propheten mussten immer etwas von denjenigen, was sie auf entfernte Zeit weissagten, an sich selbst und zu ihrer Zeit erfahren, gleichwie David von dem Leiden Christi vieles an sich empfunden hat. Siehe auch Hos 1-3; Joe 1; Jon 1 usw. Da wurden dann die Propheten zugleich Vorbilder. Ihre Weissagungen wurden recht pathetisch und nicht nur so kaltsinning hingesprochen oder hingeschrieben, und die Anfechtung lehrte aufs Wort merken, das ihnen von zukünftigen Dingen gesagt wurde." (R o o s, S. 44 f.)

Die 11 übrigen Kapitel bilden nun zusammen die beiden Teile des Buches, deren erster (Dan 2-7) die Gesamtentfaltung der Weltmächte in universalhistorischem Überblick darstellt und zeigt, wie das Gottesreich am Ende über sie triumphiert, während der zweite Teil (Dan 8-12) die Entwicklung der Weltmächte in ihrem Verhältnis zu Israel in der näheren Zukunft vor der in Dan 9 geweissagten Erscheinung Christi im Fleisch uns vor Augen führt. Diese Einteilung des Buches ist für das Verständnis desselben von großer Wichtigkeit. Es könnte, wenn wir von dem gegenwärtigen Standpunkt der teilweisen Erfüllung aus reden wollen, ein näherer Aufschluss nur für die Zeit vor Christus erforderlich gewesen zu sein scheinen, weil mit diesem die göttliche Offenbarung in neuer Fülle hervortrat. Allein einmal gehört es zu Wesen der Prophetien überhaupt, dass sie auf die Endzeit der völligen Erfüllung hinausschaut; denn es kann in dem Organismus der Heilsgeschichte das Einzelne nur aus dem Ganzen, der Verlauf nur aus dem Ende begriffen werden. Sodann erwartete ja Israel von der messianischen Zeit gemäß dem Wort des Propheten nicht bloß das, was bei der ersten Erscheinung Christi verwirklicht worden ist, sondern die sichtbare Aufrichtung des Reichs, der auch wir noch zu harren haben.

Es war also zunächst und zuerst ein Aufschluss über diese und über die bis dahin noch verfließende Weltgeschichte nötig. Die ganze Periode, in welche Israel mit dem Beginn des Exils eingetreten war, und welche noch heute nicht abgelaufen ist, die Periode der Herrschaft der Weltmächte von dem Sturz bis zur Wiederaufrichtung des Gottesstaates bedurfte der prophetischen Beleuchtung. In dieser Periode der Weltverhältnisse hat die erste Erscheinung des Messias keine wesentliche Änderung hervorgebracht, weil da sein Reich noch kein Weltreich war, wie es einst werden soll (Joh 18:36; Mt 4:8; und dagegen Offb 11:15). So musste denn den Enthüllungen über die nähere Zukunft ein Gesamtüberblick über Wesen, Entwicklung und Ende der Weltmächte vorausgehen. Jeder von beiden Teilen hat also seine charakteristische Aufgabe, und wir begreifen schon hier, warum die Weissagung im zweiten Teil noch viel spezieller werden musste als im ersten.

Daniel selbst unterscheidet diese beiden Teile sehr deutlich, indem er den ersten chaldäisch, den zweiten gleich derEinleitung (Dan 1) hebräisch geschrieben hat. Er bediente sich im ersten Teil der Sprache der Weltmacht, unter der er lebte, im zweiten der des Gottesvolkes, um anzudeuten, dass es sich dort vorzugsweise um das Schicksal der Weltmächte, hier um das von ihnen dem Volke Gottes bereitete Schicksal handle. So erklärt sich nicht nur der Wechsel der Sprachen auf eine höchst einfache und natürliche Weise, sondern derselbe wird auch zu einem starken Grund für unsere Einteilung und damit für unsere Gesamtauffassung des Buches.

Die Gegner der Echtheit vermögen zunächst nicht zu erklären, warum Daniel überhaupt sich zweier Dialekte bedient, und warum gerade bei diesen bestimmten Kapiteln. Vom Exil an bürgerte sich das Chaldäisch-aramäische mehr und mehr bei den Juden ein und war im makkabäischen Zeitalter der herrschende Dialekt unter ihnen. (Vgl. H e n g s t e n b e r g , Beitr. 299 f.f) Ein Interpolator hätte nun aber sicher sein ganzes Buch in der heiligen Sprache der alten Propheten, der hebräischen geschrieben. Wollte er jedoch, um seinen Zeitgenossen etwa verständlicher zu sein, je aramäisch schreiben, so würde er dies weit eher bei dem zweiten Teil des Buches getan haben, der ja viel unmittelbarer und deutlicher auf seine Zeit ging und zur Einwirkung auf die damalige Generation bestimmt war, als der erste.

Noch wichtiger aber ist, dass der Wechsel der beiden Sprachen zugleich den Unterschiede der beiden Teile so scharf markiert. Man teilt das Buch gewöhnlich dem Inhalt nach anderes ein als wir, nämlich in zwei Hälften von je sechs Kapiteln, wobei sich als Einteilungsgrund geltend machen lässt, das so der erste Teil lauter Geschichte, der zweite lauter Gesichte enthält. Denn auch der Traum Nebukadnezars im 2. Kapitel hat doch eine ganz geschichtliche Einkleidung und findet an dem zweiten Traum desselben Königs im 4. Kapitel seine Analogie. Zieht man dann das 7. Kapitel, welches das erste unter Daniels eigenen Gesichten enthält, zum zweiten Teil, s o sch e i n t wenigstens damit schon eine gewisse Berechtigung gegeben, auch diese Offenbarung, wie die übrigen Gesichte des Propheten, auf Antiochus Epiphanes zu beziehen, und das muss natürlichen auch auf das 2. Kapitel zurückwirken, so dass man die Weltmonarchien überhaupt nur bis auf Antiochus reichen lässt. Dem allem nun ist der Verfasser selbst dadurch entgegengetreten, dass er das 7. Kapitel noch chaldäisch geschrieben und somit deutlich dem ersten Teil zugewiesen hat. Er zeigt hiermit auf eine sehr augenfällige Weise, dass und wie er sein Buch in zwei verschiedene und von Verschiedenem handelnde Teile wissen will.

II. Der erste Teil

Die Weltreiche und das Gottesreich

Die vier Monarchien und das Messiasreich

Das Hauptthema des ersten Teils sind also die vier Weltmonarchien, die einander ablösen, um am Ende dem Gottesreich Platz zu machen. Dieses Thema stellt sich in zwei Gesichten dar, deren eines den ersten Teil eröffnet (Dan 2.), das andere denselben schließt (Dan 7.)

Es ist charakteristisch und bedeutungsvoll, dass nicht der Prophet Daniel, sondern der Weltherrscher Nebukadnezar es ist, der zuerst in einemTraum, welchen ihm dann aber Daniel auslegt, die ganze künftige Entwicklung der Weltreiche überschaut. Die Weltmacht muss in dem ersten ihrer Träger, der dem Gottesstaat ein Ende gemacht hat, selbst erfahren, was ihr endliches Los sei, dass sie einst umgekehrt für immer dem Gottesreich unterliegen werde. Zwar kann es auffallend erscheinen, dass der Weltherrscher selbst zum Offenbarungsorgan wird. Allein obwohl, vom Standpunkt der Ewigkeit aus betrachtet, die Weltmacht ein Nichts ist, obwohl sie daher am Ende der Tage spurlos verschwindet, so ist doch andererseits für die diesseits des Endes liegende Geschichte, für die welthistorische Ausführung des göttlichen Ratschlusses ein weltbeherrschender König eine so bedeutende Person, dass ihn Gott mit denselben Namen nennt, wie den Anfänger und Vollender des theokratischen Königtums, David und den Messias: mein Knecht, mein Hirte, mein Gesalbter, der all mein Werk vollbringt, den ich bei seiner Rechten halte (Jer 25:9; Hes 28:12-15; Jes 44:28; Jes 45:1).

Daraus wird begreiflich, warum gerade einem König, welcher überdies schon als solcher den Abglanz göttlicher Majestät an sich trägt (Ps 82:1.6; Röm 13:1 ff.) eine Offenbarung von oben zuteil wird. Für einen außerhalb des Reiches Gottes stehenden Herrscher nun ist der Traum, der ja auch schon bei Abimelech, Pharao u. a. vorkommt (1Mo 20 und 1Mo 41), die allein angemessene und mögliche Form der Offenbarung, wobei wir uns an den hohen Respekt erinnern müssen, den das Heidentum überhaupt vor Träumen hatte. Dabei ist indessen wohl zu beachten, dass der heidnische Fürst den Traum nur empfängt, aber weder aus sich selbst noch auch mit Hilfe seiner Weisen versteht. Vielmehr wird er durch denselben nur beunruhigt und gequält und kann nicht eher zur Ruhe und Klarheit darüber gelangen, als bis ihm ein erleuchteter Israelite den Schlüssel zum Verständnis darreicht. Auf Seite des Heidentums ist lediglich die Passivität, während die Aktivität in göttlichen Dingen bei Israel bleibt, so dass dem "Gott des Himmels" und seiner besonderen Offenbarungsökonomie auch hier die Ehre am Ende allein zukommt. Vielleicht sollte durch den mächtigen Eindruck, welchen diese Enthüllung mit allen sie begleitenden Umständen auf Nebukadnezar machen musste, auch dem gefangenen Gottesvolk ein milderes Los bereitet werden. Dem Daniel aber muss der Traum des Königs und seine Auslegung zur Eröffnung des Blicks in die Zukunft der Weltmächte dienen, er muss ihm diesen ganzen Kreis von Anschauungen aufschließen und ihn dadurch zum Empfang weiterer, speziellerer Offenbarung vorbereiten: für ihn hat das Ereignis zugleich eine propädeutische Bedeutung.

Näher lässt nun Gott dem Nebukadnezar die Weltmacht in ihrer Gesamtheit unter einem kolossalen Menschenbild erscheinen, woe der Kopf von Gold das babylonische, Brust und Arme von Silber das medopersische, Bauch und Lenden von Kupfer das griechisch-mazedonische, die Schenkel von Eisen samt den Füßen und Zehen von Eisen und Ton das römische Reich samt seinen germanisch-slavischen Ausläufern darstellen*). Es liegt im Zweck der ganzen Weissagung, dass nur diejenigen Reiche genannt sind, welche mit dem Reich Gottes irgendwie in Beziehung stehen, sie aber auch alle. "Das Königreich Gottes ist der Zweck der göttlichen Welterschaffung und das Ziel der göttlichen Regierung. Das Königreich Gottes ist die unsichtbare Wurzel, welche die Weltreiche hält und trägt, und die unsichtbare Kraft, welche Weltreiche schlägt und zermalmt. Die nähere oder fernere Verbindung mit dem Königreich Gottes bestimmt die Dauer, die Wichtigkeit, das Bemerkenswerte der Weltreiche. Das Schicksal und die Geschichte aller der Reiche der Erde, die mit dem Königreich Gottes in keine bedeutende oder in gar keine Verbindung kommen, vorher zu wissen, wäre von keinem Wert. Denn ihre Geschichte mag sein, welche sie will, so ist sie immer unbedeutend, weil sie auf die Verzögerung oder Herbeiführung der letzten endlichen Entwicklung der Dinge, der Verdrängung der Weltreiche durch das Königreich Gottes, gar nicht oder nur sehr entfernt einwirken." (M e n k e n, das Monarchenienbild, Bremen und Aurich 1809, S. 82). Das ganze Bild, welches Nebukadnezar schaut, wird hierauf von einem Stein zerschlagen, der, ohne Menschenhand von einem Bergabhang sich losreißend und hierauf zu einem die ganze Erde erfüllenden Berge sich ausdehnend, das Reich Gottes abbildet.

*) Schon L u t h e r denkt bei dem Ton an die Versetzung des römischen Reichs unter die Deutschen und bei den Zehen an "Spanien, Frankreich, England und anderer Stücke", in die das Reich auseinandergeht, wie der Fuß in die Zehen. Während C a l v i n unter dem zermalmenden Stein irrig die erste Erscheinung Christi versteht, bemerkt Luther, das vierte Reich müsse bleiben bis am jüngsten Tag. Ebenso versteht R o o s unter dem Ton die Nationen der Völkerwanderung und reiht daran richtig den Schluss, dass das vierte Reich noch jetzt stehen müsse. Dergleichen P r e i s w e r k, Morgenland 1838, S. 33 ff. H o f m a n n, Weiss. u. Erf. I S. 278 ff. Gaussen, Daniel le prophete, 2 edition 1850, I, S. 150. Die nähere Begründung folgt unten.



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