Der Prophet Daniel: Vorwort: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Reformation hat wohl Schriftwahrheiten auf den Leuchter gestellt, welche, konsequent durchgeführt, auch den Schlüssel zur Prophetie enthalten; allein eben an dieser Durchführung hat es noch fehlen lassen. Bei einer Theologie nun aber, welche mit ihren eigentümlichen Lebenswurzeln dem Wesen dieser Welt angehört (1Jo 4:5), ist es nicht anders zu erwarten, als dass ihr die Tiefe und Höhe und Weite der göttlichen Reichsgedanken vollends abhanden kam. Für eine solche Theologie ist zunächst die Annahme der Unechtheit Daniels eine Notwendigkeit, aber - das sollte man weder leugnen noch verkennen - keine historische, sondern eine dogmatische.  Und diese kritische Voraussetzung fordert dann ebenso notwendig die verflachende Exegese, deren Willkürlichkeit und Unhaltbarkeit wir in Bezug auf das 2., 7. und 9. Kapitel nachzuweisen versucht haben. So ist die moderne Behandlung Daniels ein vorzügliches Beispiel jener unevangelischen Stellung zur Heiligen Schrift, die als der eigentliche Wurm der protestantischen Theologie bezeichnet werden kann. Nach derselben steht in erster Linie die aus Zeitvorstellungen gebildete dogmatische Grundanschauung; von dieser aus wird für's andere an den Büchern der Hl. Schrift Kritik geübt, und erst daran schließt sich dann endlich die Exegese, welche nun im Wort Gottes nichts finden darf, als was Schuldogmatik und Kritik an ihr übrig gelassen haben.
 
Die Reformation hat wohl Schriftwahrheiten auf den Leuchter gestellt, welche, konsequent durchgeführt, auch den Schlüssel zur Prophetie enthalten; allein eben an dieser Durchführung hat es noch fehlen lassen. Bei einer Theologie nun aber, welche mit ihren eigentümlichen Lebenswurzeln dem Wesen dieser Welt angehört (1Jo 4:5), ist es nicht anders zu erwarten, als dass ihr die Tiefe und Höhe und Weite der göttlichen Reichsgedanken vollends abhanden kam. Für eine solche Theologie ist zunächst die Annahme der Unechtheit Daniels eine Notwendigkeit, aber - das sollte man weder leugnen noch verkennen - keine historische, sondern eine dogmatische.  Und diese kritische Voraussetzung fordert dann ebenso notwendig die verflachende Exegese, deren Willkürlichkeit und Unhaltbarkeit wir in Bezug auf das 2., 7. und 9. Kapitel nachzuweisen versucht haben. So ist die moderne Behandlung Daniels ein vorzügliches Beispiel jener unevangelischen Stellung zur Heiligen Schrift, die als der eigentliche Wurm der protestantischen Theologie bezeichnet werden kann. Nach derselben steht in erster Linie die aus Zeitvorstellungen gebildete dogmatische Grundanschauung; von dieser aus wird für's andere an den Büchern der Hl. Schrift Kritik geübt, und erst daran schließt sich dann endlich die Exegese, welche nun im Wort Gottes nichts finden darf, als was Schuldogmatik und Kritik an ihr übrig gelassen haben.
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Der naturgemäße und evangelische Weg ist der umgekehrte. "Der Inhalt der biblischen Bücher, sagt S c h e l l i n g in seiner Vorrede zu Steffens nachgelassenen Christen, muss nach seiner wahren Bedeutung verstanden sein, ehe man über ihren Ursprung mit Sicherheit urteilen kann." Darum ist es Zeit, dass wir uns wieder vor Allem einfach exegetisch zur Schrift verhalten nach Grundsätzen wie Mt 13:23; Joh 8:31.32; 1Thes 2:13. Lang genug ist die Exegese von der Kritik gemeistert oder oft gar verschlungen worden; und doch tut diese auch im besten Falle nur den Dienst einer Martha, die um den Herrn her und mit Beziehung auf ihn sich zu schaffen macht, während diejenigen, welche zuerst mit exegetischer Treue den Inhalt der heiligen Bücher zu erforschen und sich anzueignen suchen, das gute Teil der Maria gewählt haben, die sich zu den Füßen des Meisters setzt, um von ihm zu lernen. Die Apostel und Propheten können es, schon vermöge des allgemeinen Eindrucks moralischer Reinheit und Wahrhaftigkeit, den die Bibel auf uns macht und seit Jahrtausenden auf die besten unseres Geschlechts gemacht hat, erwarten, dass wir ihre Bücher so aus ihrer Hand annehmen, wie sie uns dieselben darbieten, dass wir also ihren Selbstzeugnissen über die Abfassung glauben und nicht sie, sonder die Kritik, die von gestern her ist, mit Misstrauen betrachten.<br/><br/>
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===<big>'''Das Wesen der Prophetie'''</big>===
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Tausendmal eher - leider! muss man das noch ausdrücklich sagen - hat ein Kritiker sich geirrt, als ein heiliger Schriftsteller gelogen. Und man mag von der ''fraus pia'' so schön reden wie man will, eine Lüge bleibt es, wenn ich mich mit Bewusstsein und Absicht für einen anderen ausgebe als der ich bin, eine zehnfache Lüge, wenn ich göttliche Offenbarungen vorgebe, die nicht wirklich stattgefunden haben. Nach dem Alten Testament selbst macht dies gerade das Wesen der falschen Propheten aus, von welchen es schon in dem Grundgesetz der Prophetie heißt: der Prophet, der sich vermisst zu reden in meinem Namen, was ich ihm nicht geboten zu reden, derselbe Prophet soll sterben (5Mo 18:20), und von welchen Jeremia so nachdrücklich warnen muss: der Herr sprach zu mir: Lügen weissage die Propheten in meinem Namen, ich habe sie nicht gesandt und nicht entboten und nicht zu ihnen geredet; Lügengesichte und Wahrsagerei und Nichtigkeit und Trug ihres Herzens weissagen sie euch (Jer 14:14 f.; Jer 27:15; Jer 29:9). Sollte dieser Unterschied von Gottesoffenbarung und eigener Erfindung, von Wahrheit und Lüge etwa später, unter allerdings anderen Verhältnissen und Stimmungen, nicht mehr gegolten haben? Wir wissen wohl, dass man zwischen dem Erheucheln prophetischer Inspiration und der Unterschiebung eines prophetischen Buches noch einen gewissen Unterschied machen kann; aber wir fragen: musste nicht ein rechter Israelite ohne Falsch - und ein solcher ist doch der Verfasser des Buches Daniel auch nach der gegnerischen Ansicht gewesen, dafür zeugt das Buch zu gewaltig - musste er nicht in seinem Innersten davor zurückschaudern, überhaupt göttliche Offenbarungen zu ersinnen? Ist ein solches Beginnen nicht auch durch obige Stellen gerichtet? Analogien außerhalb des Offenbarungsgebiets beweisen nicht,, dann dort ist er Ursinn für die Wahrheit immer irgendwie schon getrübt und abgeschwächt.
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Wir dürfen uns daher nicht durch wissenschaftliche Termini, welche gelehrt und vielleicht tiefsinnig klingen oder die Sache leicht und äußerlich nehmen, das sittliche Urteil abstumpfen, die religiösen Bedenken beschwichtigen lassen. Es handelt sich, wenigstens wo die Verfasser sich selbst nennen, nicht um die kühle, wissenschaftliche Frage von Authentie oder Unechtheit, sondern um die im Gewissen brennende von Wahrheit und Lüge.  Unsere Gesamtstellung zu einem Buch der Hl. Schrift und damit zu dieser selbst wird durch die sogenannte Unechtheit eine ganz andere. Wäre der rechte Grundton für die göttlichen Dinge in unserem Geschlecht lebendig, diese Fragen müssten weit mehr an den Mann gehen und mit viel heiligerem Ernst behandelt werden. Man trifft aber in den meisten exegetischen und in fast allen kritischen Schriften der neueren Zeit, auch in den noch heutzutage meist gebrauchten, eine weit gehende Erstorbenheit des Sinnes für das eigentliche Wesen des göttlichen Wortes, eine Blindheit gegen alles Pneumatische und Himmlische in demselben, durch welche die Möglichkeit der kritischen Operationen und die Gleichgültigkeit, womit man sie vor- oder annimmt, erst begreiflich wird. Dieser Geistesmangel kommt daher, dass es an der richtigen Grundstellung zu Gott und göttlichen Dingen fehlt, an der Furcht und Beugung vor seiner heiligen Majestät, an der scharfen Unterscheidung zwischen Licht und Finsternis (Jes 66:2).
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Grenzsteine zu versetzen, hat von jeher als ein schweres Verbrechen gegolten; aber in unserer Zeit hat man es gelernt, die heiligste aller Grenzlinien, die zwischen Wahrheit und Lüge, zu verwischen und ein Mittelding zwischen beiden zu erfinden. Unsere Väter haben wohl gewusst, was sie taten, wenn sie das Zeugnis des heiligen Geistes als obersten Kanon der biblischen Kritik hinstellten. Wer sich diesem einfachen, persönlichen Gewissensverhältnis zur Hl. Schrift entzieht, der ist kein biblischer, sondern ein unbiblischer Kritiker. Darum wollen wir in keinem Stück unser Wissen vom Gewissen ablösen, noch es uns ausreden lassen, in theologischen Fragen jeder Art vor allem an den moralischen Grundgesichtspunkten ernstlich festzuhalten. Am meisten ist dies aber bei den heiligen Schriftstellen geboten, denen wir selbst alles zu danken haben, was von Moralität an uns ist, und bei denen wir überall finden, dass sie es mit der Wahrheit sehr ernst und sehr genau nehmen (1Tim 2:7; Joh 19:35; 2Petr 1:16).

Version vom 6. Mai 2020, 19:27 Uhr

Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

In Bearbeitung


Der Prophet Daniel: Vorwort

In den nachfolgenden Blättern wage ich es, dem christlichen und theologischen Publikum einen zum Verständnis der biblischen Weissagung in die Hände zu legen. Ihrem wesentlichen Inhalt nach schon im Jahr 1852 vollendet, ist die kleine Schrift seither wieder und wieder durchgearbeitet worden.

Das Alte Testament ist weit ausdrücklicher durch unmittelbare göttliche Autorität bezeugt als das Neue, indem es von Jesus und den Aposteln allenthalben als Wort des lebendigen Gottes mit Ehrerbietung genannt und gebraucht wird. Aber unter uns hat dasselbe ein eigentümliches Geschick, welches recht deutlich zeigt, wie verschieden seine ganze Denk- und Darstellungsart, seine gesamte Gottes- und Weltanschauung von der unter uns gangbaren ist; so verschieden, wie etwa ein hehrer mächtiger Urwald von dem Treiben unserer großen Städte. Es ist am frühesten von der rationalistischen Kritik in Anspruch genommen worden, und sie scheint sich auf diesem Boden auch am längsten halten zu wollen. Während sie auf dem dogmatischen und neutestamentlichen Gebiet so ziemlich als überwunden betrachtet werden darf, gibt es immer noch keine unbeträchtliche Zahl namhafter Theologen, welche in ihrer Auffassung des Alten Bundes mehr oder weniger prinzipiell von jenen Einflüssen beherrscht sind. Fast bei keiner alttestamentarischen Schrift ist dies in so hohem Grade der Fall, wie bei dem Buch Daniels, an welches sich auch in diesem Betracht die alttestamentliche und neutestamentliche Schrift des Neuen Bundes, die Offenbarung Johannis, sehr eng anschließt. Die Unechtheit Daniels ist in der modernen Theologie so sehr zum Axiom geworden, dass man sie gar nicht eigentlich mehr beweisen zu müssen glaubt, und dass der neueste Ausleger desselben kurz und rund erklärt, "kein vernünftiger Mensch" könne daran zweifeln. Es liegt in der Natur der Sache, dass unsere Untersuchung in allen Punkten von Daniel ausgehen musste, und zwar mit spezieller Bezugnahme auf die kritische Frage, nicht nur weil diese bei dem jetzigen Stand der dinge immer noch im Vordergrund steht, sondern weil es von ihrer Beantwortung abhängt, welche Bedeutung man der alttestamentlichen und konsequenterweise dann auch der neutestamentlichen Apokalypse zuerkennt.

In letzter Instanz gilt freilich vielmehr das Umgekehrte: von unserer Grundanschauung über Prophetie und Eschatologie hängt unsere kritische Grundanschauung zu diesen Büchern ab. Die ganze Art, wie jetzt Daniel und die Apokalypse behandelt werden, hat ihren eigentlichen Grund darin, dass es an dem Schlüssel zum tieferen Verständnis der Weissagung fehlt, und dass man nun, was über den eigenen Horizont in göttlicher Hoheit hinausragt, der Fülle seines übermenschlichen Gehaltes entleert, um es in dem engen Kreise der hergebrachten oder einmal angenommen Begriffe und Voraussetzungen unterbringen zu können. Sobald die Dogmatik in eschatologischen Dingen heller sehen wird, wird auch die Kritik über die Apokalypsen der beiden Testamente ganz anders urteilen. Dieselben werden von der Theologie ebenso hoch gehoben und in ihrer einzigartigen Bedeutung für die Gemeinde Gottes gewürdigt werden, als man sie jetzt noch verkennt und ausleert. Man darf hier allerdings die Schuld nicht bloß beim Rationalismus suchen. Der biblische Reichsblick hat sich schon früh in der Kirche anfangen zu trüben und verlor sich in demselben Maß, in welchem sie in die Welt sich hineinlebte.

Die Reformation hat wohl Schriftwahrheiten auf den Leuchter gestellt, welche, konsequent durchgeführt, auch den Schlüssel zur Prophetie enthalten; allein eben an dieser Durchführung hat es noch fehlen lassen. Bei einer Theologie nun aber, welche mit ihren eigentümlichen Lebenswurzeln dem Wesen dieser Welt angehört (1Jo 4:5), ist es nicht anders zu erwarten, als dass ihr die Tiefe und Höhe und Weite der göttlichen Reichsgedanken vollends abhanden kam. Für eine solche Theologie ist zunächst die Annahme der Unechtheit Daniels eine Notwendigkeit, aber - das sollte man weder leugnen noch verkennen - keine historische, sondern eine dogmatische. Und diese kritische Voraussetzung fordert dann ebenso notwendig die verflachende Exegese, deren Willkürlichkeit und Unhaltbarkeit wir in Bezug auf das 2., 7. und 9. Kapitel nachzuweisen versucht haben. So ist die moderne Behandlung Daniels ein vorzügliches Beispiel jener unevangelischen Stellung zur Heiligen Schrift, die als der eigentliche Wurm der protestantischen Theologie bezeichnet werden kann. Nach derselben steht in erster Linie die aus Zeitvorstellungen gebildete dogmatische Grundanschauung; von dieser aus wird für's andere an den Büchern der Hl. Schrift Kritik geübt, und erst daran schließt sich dann endlich die Exegese, welche nun im Wort Gottes nichts finden darf, als was Schuldogmatik und Kritik an ihr übrig gelassen haben.

Der naturgemäße und evangelische Weg ist der umgekehrte. "Der Inhalt der biblischen Bücher, sagt S c h e l l i n g in seiner Vorrede zu Steffens nachgelassenen Christen, muss nach seiner wahren Bedeutung verstanden sein, ehe man über ihren Ursprung mit Sicherheit urteilen kann." Darum ist es Zeit, dass wir uns wieder vor Allem einfach exegetisch zur Schrift verhalten nach Grundsätzen wie Mt 13:23; Joh 8:31.32; 1Thes 2:13. Lang genug ist die Exegese von der Kritik gemeistert oder oft gar verschlungen worden; und doch tut diese auch im besten Falle nur den Dienst einer Martha, die um den Herrn her und mit Beziehung auf ihn sich zu schaffen macht, während diejenigen, welche zuerst mit exegetischer Treue den Inhalt der heiligen Bücher zu erforschen und sich anzueignen suchen, das gute Teil der Maria gewählt haben, die sich zu den Füßen des Meisters setzt, um von ihm zu lernen. Die Apostel und Propheten können es, schon vermöge des allgemeinen Eindrucks moralischer Reinheit und Wahrhaftigkeit, den die Bibel auf uns macht und seit Jahrtausenden auf die besten unseres Geschlechts gemacht hat, erwarten, dass wir ihre Bücher so aus ihrer Hand annehmen, wie sie uns dieselben darbieten, dass wir also ihren Selbstzeugnissen über die Abfassung glauben und nicht sie, sonder die Kritik, die von gestern her ist, mit Misstrauen betrachten.

Das Wesen der Prophetie

Tausendmal eher - leider! muss man das noch ausdrücklich sagen - hat ein Kritiker sich geirrt, als ein heiliger Schriftsteller gelogen. Und man mag von der fraus pia so schön reden wie man will, eine Lüge bleibt es, wenn ich mich mit Bewusstsein und Absicht für einen anderen ausgebe als der ich bin, eine zehnfache Lüge, wenn ich göttliche Offenbarungen vorgebe, die nicht wirklich stattgefunden haben. Nach dem Alten Testament selbst macht dies gerade das Wesen der falschen Propheten aus, von welchen es schon in dem Grundgesetz der Prophetie heißt: der Prophet, der sich vermisst zu reden in meinem Namen, was ich ihm nicht geboten zu reden, derselbe Prophet soll sterben (5Mo 18:20), und von welchen Jeremia so nachdrücklich warnen muss: der Herr sprach zu mir: Lügen weissage die Propheten in meinem Namen, ich habe sie nicht gesandt und nicht entboten und nicht zu ihnen geredet; Lügengesichte und Wahrsagerei und Nichtigkeit und Trug ihres Herzens weissagen sie euch (Jer 14:14 f.; Jer 27:15; Jer 29:9). Sollte dieser Unterschied von Gottesoffenbarung und eigener Erfindung, von Wahrheit und Lüge etwa später, unter allerdings anderen Verhältnissen und Stimmungen, nicht mehr gegolten haben? Wir wissen wohl, dass man zwischen dem Erheucheln prophetischer Inspiration und der Unterschiebung eines prophetischen Buches noch einen gewissen Unterschied machen kann; aber wir fragen: musste nicht ein rechter Israelite ohne Falsch - und ein solcher ist doch der Verfasser des Buches Daniel auch nach der gegnerischen Ansicht gewesen, dafür zeugt das Buch zu gewaltig - musste er nicht in seinem Innersten davor zurückschaudern, überhaupt göttliche Offenbarungen zu ersinnen? Ist ein solches Beginnen nicht auch durch obige Stellen gerichtet? Analogien außerhalb des Offenbarungsgebiets beweisen nicht,, dann dort ist er Ursinn für die Wahrheit immer irgendwie schon getrübt und abgeschwächt.

Wir dürfen uns daher nicht durch wissenschaftliche Termini, welche gelehrt und vielleicht tiefsinnig klingen oder die Sache leicht und äußerlich nehmen, das sittliche Urteil abstumpfen, die religiösen Bedenken beschwichtigen lassen. Es handelt sich, wenigstens wo die Verfasser sich selbst nennen, nicht um die kühle, wissenschaftliche Frage von Authentie oder Unechtheit, sondern um die im Gewissen brennende von Wahrheit und Lüge. Unsere Gesamtstellung zu einem Buch der Hl. Schrift und damit zu dieser selbst wird durch die sogenannte Unechtheit eine ganz andere. Wäre der rechte Grundton für die göttlichen Dinge in unserem Geschlecht lebendig, diese Fragen müssten weit mehr an den Mann gehen und mit viel heiligerem Ernst behandelt werden. Man trifft aber in den meisten exegetischen und in fast allen kritischen Schriften der neueren Zeit, auch in den noch heutzutage meist gebrauchten, eine weit gehende Erstorbenheit des Sinnes für das eigentliche Wesen des göttlichen Wortes, eine Blindheit gegen alles Pneumatische und Himmlische in demselben, durch welche die Möglichkeit der kritischen Operationen und die Gleichgültigkeit, womit man sie vor- oder annimmt, erst begreiflich wird. Dieser Geistesmangel kommt daher, dass es an der richtigen Grundstellung zu Gott und göttlichen Dingen fehlt, an der Furcht und Beugung vor seiner heiligen Majestät, an der scharfen Unterscheidung zwischen Licht und Finsternis (Jes 66:2).

Grenzsteine zu versetzen, hat von jeher als ein schweres Verbrechen gegolten; aber in unserer Zeit hat man es gelernt, die heiligste aller Grenzlinien, die zwischen Wahrheit und Lüge, zu verwischen und ein Mittelding zwischen beiden zu erfinden. Unsere Väter haben wohl gewusst, was sie taten, wenn sie das Zeugnis des heiligen Geistes als obersten Kanon der biblischen Kritik hinstellten. Wer sich diesem einfachen, persönlichen Gewissensverhältnis zur Hl. Schrift entzieht, der ist kein biblischer, sondern ein unbiblischer Kritiker. Darum wollen wir in keinem Stück unser Wissen vom Gewissen ablösen, noch es uns ausreden lassen, in theologischen Fragen jeder Art vor allem an den moralischen Grundgesichtspunkten ernstlich festzuhalten. Am meisten ist dies aber bei den heiligen Schriftstellen geboten, denen wir selbst alles zu danken haben, was von Moralität an uns ist, und bei denen wir überall finden, dass sie es mit der Wahrheit sehr ernst und sehr genau nehmen (1Tim 2:7; Joh 19:35; 2Petr 1:16).