Das Vorbildliche an der Haltung Daniels

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Version vom 9. Dezember 2020, 03:25 Uhr von MI (Diskussion | Beiträge) (II. Das Vorbildliche an der Haltung Daniels)

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Abschrift des Buches: Zeitenwende
Eine Bibelhilfe aus dem Danielbuch

Verfasser: Georg Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach)
Verlag: Wilhelm Fehrholz Baden-Baden (1947)

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Inhaltsverzeichnis
Einführung
I. Die Wende zur Zeit Daniels

In Bearbeitung

II. Das Vorbildliche an der Haltung Daniels

Daniels Haltung ist nicht nur aus den Geschichten ersichtlich, in denen von ihm die Rede ist (Dan 1-6) Ebenso aufschlussreich ist, was er bei der Aufzeichnung seiner Gesichte (Dan 7-12) von sich berichtet hat. Sieht man nur auf die Geschichten, dann könnte man das Charaktervoller, Unerschrockene und Tapfere als den Grundzug seines Wesens vermuten, all das allerdings auf dem Grund des Glaubens und der Gottesfurcht. Die Kapitel Dan 7-12 lassen aber an ihm noch einige andere Züge erkennen, die für seine Haltung nicht weniger wesentlich und wichtig sind, Züge, aus denen das Männliche seines Charakters erst in das recht Licht tritt. Den wichtigsten Aufschluss hierüber gibt Dan 9. Der hervorstechendste Zug seines Charakters ist das, dass er ein in der Buße hinabgebeugter Mann war.*

Anmerkung 12:

Die Art der Buße Daniels

*Muss erst noch die Bitte ausgesprochen werden, der Leser möge sich am Wort „Buße“ nicht stoßen? Gewiss sind „Buße“ und „Büßen“ sprachverwandt. Auch könnte das Wort zu dem Missverständnis Anlass geben, als könne man eine leidige Sache, durch die man schuldig geworden ist, mit starken Gefühlen, mit Übungen und Gegenleistungen abgelten. Aber es wird bekannt sein, dass das alles den Sinn der b i b l i s c h e n Buße nicht trifft. Was Buße ist, ist an Daniels Bußgebet (Dan 9) ersichtlich. Es ist ein Herzutreten zum heiligen Gott, nicht eine Flucht vor ihm. Ein Schuldbekenntnis vor ihm, nicht ein Ableugnen, Abschieben und Verkleinern der Schuld ; ein Bekenntnis der e i g e n e n Sünde, sowohl der tatsächlichen Versündigungen als der ganzen unrichtigen Wesenshaltung und gleichzeitig ein sich mit Unterstellen unter die G e s a m t schuld des ganzen Umkreises, innerhalb dessen man lebt, ja unter die Schuld des ganzen Volkes; ein sich mit Unterstellen nicht nur im Blick auf die a u g e n b l i c k l i c h e n Zeitverhältnisse, sondern mit dem Bekenntnis der gemeinsamen Verschuldung von G e n e r a t i o n e n, ja von Jahrhunderten her. Solche Buße ist das volle Jasagen zum Gericht Gottes, mit der Bereitschaft, dieses Gericht zu tragen, auch wenn es durch M e n s c h e n ausgeübt wird, selbst wenn diese ebenfalls nicht unschuldig sind. Buße ist ein Anrufen der Barmherzigkeit Gottes, nicht ein Schrei nach Recht. Buße ist eine flehentliche Bitte um eine neue Gnadenerweisung nach der Verhängung des göttlichen Gerichts, nicht nur und nicht in erster Linie im Blick auf die eigene Person und das eigene Interesse, sondern im Blick auf das Ganze. Buße ist ein sich Anklammern an das Wort Gottes, besonders an dessen Verheißung. Buße ist ein demütiges Forschen im Wort der Verheißung, nicht ein anspruchsvolles sich darauf Versteifen. Buße ist ein inwendiges und unter Umständen auch auswendiges Fasten, nicht das Verlangen nach innerer und äußerer Lebensbefriedigung. Buße ist ein Warten können auf Gottes Zeit und Stunde, nicht ein vorwurfsvolles Fragen, wann und wie Gott eingreifen werde.’'

Buße Deutschlands

Ob uns innerhalb der deutschen Christenheit dies Art der Buße Daniels in der Jetztzeit nicht etwas zu sagen hat? Es möge Vers für Vers nachgelesen werden, was Daniel damals in tiefer Beugung or dem Gott der Väter gebetet hat, nur dass sein Gebet in unsere deutschen Verhältnisse übersetzt werde. Es möge nachgebetet werden im Blick auf die deutsche Gegenwart, im Blick auf die zum Teil furchtbaren Vorkommnisse des letzten Jahrzehnts, im Blick auf all den schmerzlichen Gang der deutschen Geschichte seit einem Menschenalter, im Blick auf die letzten Jahrhunderte mit der zunehmenden Hintansetzung des besten christlichen Vätererbes hinter die materiellen Güter und Errungenschaften einer auf die Technik und Weltstellung und Kultur stolz gewordenen Zeit - dann isst es verstanden. Wer kann mit vollem gutem Gewissen sagen, dass er nicht mit beteiligt sei an der deutschen Schuld vor Gott, dass er an seinem Teil und in seinem näheren und weiteren Umkreis nichts mit beigetragen habe zum Abwärtsgleiten und zu den Zusammenbrüchen von langer Zeit her. Wer kann sich im Reden und Schweigen, im Begehren und Wollen, imDenken und Handeln, im Tun und Lassen freisprechen von einem Anteil an der gemeinsamen Schuld? Gewiss, es sind Dinge geschehen, an denen die e i n z e l n e n nicht u n m i t t e l b a r selber beteiligt und schuldig geworden sind Es ist eine Haltung und Willensrichtung und Art des Handels und der Härte aufgekommen, an denen wir selber innerlich und äußerlich gelitten haben. Aber dass solche Haltung und Handlungsweise innerhalb unseres Volkes möglich war und wirklich wurde, und dass Menschen unseres Volkes sich dazu hergaben, ausführende Organe dieser Willensrichtung zu sein - d a s geht uns a l l e an. Es sei denn, dass sich eins nach Art jenes Pharisäers auf die Seite stellen wollte mit dem befriedigten Blick hinüber um Zöllner und mit dem Gedanken: da bin ich doch ein anderer wer der!
Christen können und sollen, auch wenn es ihnen nicht leicht fällt, eine b e s o n d e r e Art der Buße lernen: wir könnten sie die s t e l l v e r t r e t e n d e nennen. G a n z stimmt dieses Wort freilich nur bei dem E i n e n, der schon bei seiner Taufe sich nicht über und neben die schuldig Gewordenen gestellt, sondern sich unter sie eingereiht, ja unter sie hinuntergestellt hat, und der dann später zum Lamm Gottes geworden ist, das nicht nur die Sünde seines eigenen Volkes, sondern der Welt Sünde getragen, gebüßt und a us dem Weg geräumt hat. Das war, weil er im vollen Sinn rein und unschuldig war, in W i r k l i c h k e i t eine stellvertretende Buße. Aber bis zu einem gewissen Grad müssen die, denen Buße geschenkt wird, auch zur Buße im Blick auf a n d e r e und f ü r sie bereit werden; nicht in dem Sinn, als ob sie deren Schuld tragen und büßen könnten, aber so, dass sie sich bußfertig mit darunter stellen und flehentlich für die anderen und für das Ganze vor dem h eiligen Gott einstehen, seine Barmherzigkeit für alle anrufend. Am Kreuz ist der Eine für alle gestorben. Unter seinem Kreuz ist der rechte Platz für alle schuldig Gewordenen. Unter dem Kreuz vergeht aller Ruhm des eigenen Gerechtseins. Unter dem Kreuz wird das Empfinden wach für die Zusammengehörigkeit, für die Solidarität alles dessen, was Mensch heißt. E i n Stück der deutschen Schuld aus den letzten Jahren muss der Christenheit in Deutschland besonders schwer auf Herz und Gewissen fallen,: dass nämlich unser deutsches Volk - es werden hier absichtlich keine einzelnen Namen genannt - am Volk Israel in solcher Weise schuldig geworden ist und in diesem Ausmaß.
Die Christenheit darf nie vergessen, dass - um mit einem Wort des Herrn zu reden - das Heil Gottes von den Juden herkommt. Der Heiland war dem Fleische nach ein Glied dieses Volkes. Die uns das Evangelium vermittelt und auf diese Weise zum eigenen Glauben geholfen haben, seine Boten: die waren alle Glieder dieses Volkes; und unter ihnen wieder in besonderem Maß der Apostel Paulus, der Bote Jesu an die Völkerwelt. Diesem Volk verdanken wir nicht nur das Alte Testament, sondern auch das Neue, und damit die ganze Bibel. Gewiss ist dieses Volk an der Kreuzigung des Heilandes schuldig geworden und hat seiner Zeit in seinem Hauptteil das Evangelium abgelehnt und bekämpft. Ob unser deutsches Volk, wenn Jesus zu ihm gehört hätte, ihn ertragen hätte? Übrigens ist die Verheißung Gottes an das erstberufene Volk nicht dahin gefallen. Es ist nur im Heilsplan Gottes eine Zeitlang zurückgestellt worden, bis eine Gemeinde Christi aus der übrigen Völkerwelt gesammelt ist. Dass dieses Volk noch eine Zeit der Wiedergeburt erleben werde, wo ihm die Augen für den Gekreuzigten als s e i n e n König aufgehen werden, das ist in der Schrift des Alten und Neuen Testaments klar bezeugt. Gerade der Einblick in dies b i b l i s c h e n Verhältnisse und Bezeugungen macht es für die Christenheit Deutschlands besonders schmerzlich und demütigend, dass gerade Deutschland sich in dieser Art und in diesem Ausmaß a, Volk der Wahl Gottes vergriffen hat, das vor Gott zwar auf die Seite gestellt, ,aber nicht verstoßen ist, und das er am Ende des jetzigen Zeitlaufs hineinleiten wird in die große Nationalbuße, damit er es von neuem in seinen Heilsberuf an der Völkerwelt einsetzen kann. Hätte unser deutsche Volk in der Gesamtheit das ihm anvertraute Evangelium mehr geschätzt, dann wären alle diese Dinge nicht möglich gewesen

Dieser Grad und diese Art der Bußfertigkeit Daniels ist umso merkwürdiger, als ihm in Hes 14:14 ausdrücklich bezeugt wird, er gehöre zu den wenigen Männern, denen das Gerechtsein vor Gott in besonderem Maße eigen sei. Dieses Urteil über Daniel wird bestätigt durch die Geschichten des Danielbuches*.

Anmerkung 13:

Besondere Züge an Daniels Buße

*Gerade an dieser Stelle bedürfen die Ausführungen in der vorigen Anmerkung noch einiger Ergänzungen. Es taucht die Frage au f: ist eine Buße in der dort beschriebenen Art Daniels überhaupt m ö g l i c h ? Besteht nicht die Gefahr, dass sie gemacht und damit unecht wird, wenn sie von einem Menschen oder gar von von vielen erwartet wird? Die Wichtigkeit und der Ernst des Gegenstandes legt es nahe, zu diesen Fragen gerade aus der Geschichte Daniels heraus n och einigen Aufschluss zu suchen.
Daniels Buße war eine Buße zu G o t t. Sie ist b e t e n d gesprochen. Nicht vor Nebukadnezar oder Belsazar oder dem medischen Darius, in dessen Regierungszeit Daniels Bußgebet fällt. Die Buße v o r Gott und z u Gott ist wichtiger als das Sündenbekenntnis vor M e n s c h e n. Mit dem letzteren ist die Bibel sparsamer als die Christenheit, die es zuzeiten als Bedingung für die Vergebung Gottes angesehen hat. „Da bekannte ich D i r meine Sünde“ (Ps 32:5).
Daniels Bußgebet fiel in seine a l t e n Tage, als das mühevolle und kampfreiche Leben des Mannes der ewigen Heimat entgegen reifte. Sein Leben hatte er unter Gott und in seinem Dienst verbracht. So kam es nun i n seinem Alter zur Reife. Ein wesentliches Stück solcher Reife ist auch die V e r t i e f u n g der Buße. Vom jungen Daniel, etwa in der Zeit, da er mit seinen drei Freunden um das Reinbleiben ihrer Jungen rang, ist es noch nicht gesprochen, auch nicht verlangt worden.
Daniels Bußgebet fiel in eine Zeit, wo es sich darum handelte, dass und wie Gott nach der Zeit des Gerichts einen neuen Anfang mit seinem Volk mache. Für das N ä h e r kommen des Reiches Gottes und für Entscheidungsstunden bei diesem seinem Kommen ist zu allen Zeiten Buße die Voraussetzung gewesen. Darum war der Herold des Gottesreichs, Johannes der Täufer, ein Bußprediger. Seine B u ß predigt war der Anfang des Evangeliums (Mk 1:1) So war es auch als es sich um den Übergang des Evangeliums von der Judenschaft in die Völkerwelt handelte, deren Bote in erster Linie Paulus gewesen ist. Dessen Annahme und Indienststellung erfolgte heraus aus der Buße in jenen stillen drei Tagen in Damaskus. Dass die letzteren mit Fasten verbunden waren, ist zwar kein Zeichen dafür, dass nur eine f a s t e n d e Buße echt sei; bemerkenswert ist dieses Fasten aber doch, weil es zeigt, dass diese Buße nicht oberflächlich war, sondern bis in die letzten Tiefen hinunterreichte.’'
Selig, wer Buße tun k a n n, namentlich auch solche stellvertretender Art. Buße kann einem anderen zwar n a h e gelegt we r den; es ist auch gut, wenn ein Mensch, der merkt, dass es bei ihm ohne Umkehr nicht abgehen kann, sie eifrig s u c h t. Aber eine aufgezwungene und ebenso eine s e l b s t gemachte Buße ist eine schmerzhafte Sache und außerdem nicht ganz echt, Heilige und wirksame Buße ist ein G e s c h e n k.
Es ist merkwürdig, in welchem Maß Daniel in der G e s c h i c h t e des Gottesvolkes wurzelte und lebte. Dieser Umstand trug ebenfalls dazu bei, dass er Buße tun konnte. Weder sein e i g e n e s Erleben und Handeln noch die Z e i t, in der er sein Leben zubrachte, hat ihn ausgefüllt. Er empfand sich und sein Leben als ein Glied in einer großen K e t t e, die zurück reichte bis zu den Vätern, zu den Großtaten Gottes bei der Berufung des Volks, bis zur Bundesschließung mit deren großen Verpflichtung und mit dem an die Übertretung des Bundes geknüpften Fluchwort und zurück zu der jahrhundertealten Zeit der Könige und Propheten. In diesem großen Zusammenhang sah er die schmerzvolle Zeit der Gefangenschaft, in die sein eigenes Leben gefallen war. Der ganze Gang seines Volkes unter dem Segen Gottes und mit dem Übermaß von Schuld stand vor ihm: „Wir“ haben gesündigt! (Dan 9:5)
O dieses „W i r!“ Wer ist zu solchem „Wir“ fähig? Wer kann sich in solcher Weise mit seinem Umkreis, mit seinem Geschlecht, mit seiner Kirche, mit seinem Volk, mit der Welt zusammenfassen? Sind wir Heutigen dazu fähig? Was ist ein Haupthindernis eine Buße nach Art Daniels? Dass wir weithin geschichtslos geworden sind! Wr sind bedrängt und beherrscht durch die a u g e n b l i c k l i c h e n Nöte und das Bangen vor dem, was k o m m e n mag. Es fällt uns schwer, unser e i g e n e s Leben im Zusammenhang mit der ganzen s e i t h e r i g e n Geschichte unseres Volkes durch die Jahrhunderte zu sehen. Gedacht ist durchaus nicht in erster Linie an die politische und kulturelle Geschichte, sondern an die G o t t e s geschichte, die durch unser Volk nun seit mehr als einem Jahrtausende sich durchzieht, seit dasselbe mit dem Christentum und dem Evangelium in Berührung gekommen ist. Durch d i e s e Geschichte unseres Volkes zieht sich ein langer Faden von göttlichem Drandenken, Suchen, Geben und Helfen, von Warten, Enttäuschtsein, Unwillen auf Gottes Seite Und in diese Geschichte sind wir dadurch hineingeflochten, dass uns Gott in unserem Volk und in der Gegenwart unseres Volkes unseren Standort gegeben hat. Wir sind es nicht selbst gewesen, die sich für ihr Leben d i e s e Stelle im Geschichtslauf ausgesucht haben.’'
Wie mage es sein, wenn wir einst unser Leben als ein abgeschlossenes G a n z e s im Licht Gottes sehen d ü r f e n und sehen m ü s s e n ? Und zwar im Zusammenhang mit dem ganzen U m k r e i s, mit dem er uns im Lauf unseres Lebens in leidende oder tätige Berührung gebracht hat? Was wird es da geben an Freude u n d Weh, Dank u n d Beschämung, Anbetung u n d Reue! Dass d a n n die Buße nichts Nebensächliches sein wird, das ist gewiss. Wollen wir bis dahin w a r t e n ? „In Gottes Licht zum S e l b s t gericht; durch Christi Blut zu frohem Mut!“
Von solchem Standpunkt aus gesehen ist die Buße keine Z u m u t u n g mehr, sie wacht von s e l b e r auf. Nicht nur die eigene und einsame, sondern auch die stellvertretende und gemeinsame. Denn kein einziges Menschenleben verläuft ja ohne die ununterbrochene vielseitige Berührung mit der ganzen Welt; vielmehr in fortwährender Verflechtung mit den macherlei Lebenskreisen, in die wir durch Gottes Regierung hineingestellt sind. Zu den letzteren gehört nicht n u r unsere n ä c h s t e Umgebung, sondern auch unser ganzes V o l k, ja letzten Endes das, was die Bibel „W e l t“ nennt. Dass uns Gott Raum und Befähigung zur Buße schenkt, das ist der Ruf seines E r b a r m e n s, dem wir nicht widerwillig nachkommen wollen.

Daniels Ja-Sagen zu seiner Zeit