Das Reich Gottes auf Erden

Aus Bibelwissen
Version vom 14. April 2020, 17:03 Uhr von MI (Diskussion | Beiträge) (Das Zurücktreten der Auferstehungshoffnung)

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Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor: 3. Das antichristliche Reich der Endzeit

in Bearbeitung

4. Teil

Das Reich Gottes auf Erden

Würde es sich nur um die Darstellung des Menschheitsgangs im gegenwärtigen Zeitlauf handeln, dann wäre mit den bisherigen Ausführungen das Ende der Aufgabe erreicht. Aber der Gedankengang drängt weiter. Babels Ausgang ist Jerusalems Aufstieg. Mit Babels Ende kommt Jerusalems Zeit in höherem Sinn, als es damals der Fall war, da Israel sich im Stande der Vorbereitung befand. Jetzt erst beginnt Israels eigentlicher Beruf innerhalb der Völkerwelt, nachdem die lange Zeit des Widerstrebens zu Ende gegangen ist. Nun erst wird das Heilige Land zum Mittelpunkt der Völkerwelt, zu dem es von Anfang an bestimmt war. Nun kann Jerusalem die Hauptstadt der Erde werden. In Offb 11:8 ist Jerusalem noch mit Sodom und Ägypten verglichen. Im 1000-jährigen Reich Offb 20:9 heißt es die geliebte Stadt. Der Wechsel der Benennung ist groß, und entspricht dem Wechsel zwischen der Zeit der Menschheit vor dem 1000-jährigen Reich und in demselben. Es sollen nun noch einige Worte über dieses Reich gesagt werden. Nur soll zuvor die übliche christliche Zukunftshoffnung mit der in der Schrift Alten und Neuen Testaments dargebotenen verglichen werden.

Das Zurückbleiben der Christenheit

Die Verlegung der Hoffnung von der Erde in den Himmel

Die Zukunftshoffnung der Christenheit, wie sie seit langem üblich ist, und wie sie unbefangen als die biblische angesehen wird, wird der in der Schrift dargebotenen Hoffnung nicht gerecht, sondern bleibt hinter ihr zurück. Sie entleert die Erde ihres Werts und flüchtet sich in den Himmel. oder, blasser ausgedrückt, in das Jenseits. Mit dem Sterben entschwindet ihr die Erde. Die irdische Welt gilt nur als der Schauplatz der kurzen menschlichen Lebensgeschichte. Kein einziges ungutes Wort soll damit gesagt sein über die Glaubens- und Willensstärke, mit welcher die Väter nach dem Himmel griffen, um dessetwillen sie oft genug Leib und Leben, Gut und ehre, Weib und Kind fahren ließen und das Irdische gering achteten trotz all seines lockenden Reizes. Auch für die Christen der heutigen Zeit gilt die Pflicht, zu suchen, was droben ist, da Christus ist, und sich mit dem Begehren nicht zu verfangen im Irdischen. Auch sie müssen wissen, dass, solange der Herr Jesus Christus noch nicht von dort erschienen ist zur Aufrichtung des Reichs, die irdische Welt ihnen keine Heimat werden darf, weil ihr Heimwesen, nämlich das Reich Gottes, noch im Himmel ist; erst wenn er von dort erscheint, kommt das Reich Gottes zur Erde. Das Zurückbleiben der Christenheit hinter der Zukunftshoffnung der Schrift rührt also nicht her vom entschlossenen blick nach der himmlischen Welt, sondern davon, dass sie über den Blick nach dem Himmel nicht mehr wahrnahm, was Gott mit der Erde vorhat, dass er sie nicht bloß zum Schauplatz seines Reiches machen, sondern dass Er selber die Erde mit seiner Gegenwart und Herrlichkeit erfüllen will.

Auch für Jesum Christum ist der Himmel nur ein zeitweiliger, kein dauernder Aufenthaltsort. Der Himmel muss ihn nur auf eine Weise aufnehmen, nämlich so lange, bis er wiederkommt, um die von Gott durch Prophetenmund gegebenen Verheißungen auf der Erde zu verwirklichen (Apg 3:21). Sein himmlischer Aufenthalt ist nur eine Unterbrechung seiner irdischen Christusaufgabe, die Erde voll der Herrlichkeit Gottes zu machen. Seine irdische Lebenszeit bis zum Kreuz war nur der Anfang dieser Arbeit, freilich der grundlegende. Das Volk hatte nicht unrecht, als es zu Jesus anlässlich seines Hinweises auf seine dem demnächste Erhöhung von der Erde sagte, es habe aus der Schrift entnommen, dass der Christus zu dauerndem Dasein bei seinem Besitz bestimmt sei (Joh 12:34). Die erste Christenheit hat bei aller Freude ihres Glaubensbesitzes das Fortsein ihres Herrn als eine Entbehrung empfunden und erflehte deshalb sein Kommen mit der ganzen Glut ihres Herzens. Es ist auch ein Zeichen für das zunehmende Erkalten der Christenheit, dass ihr die Abwesenheit ihres Herrn nicht als Mangel, sondern als eine Selbstverständlichkeit erschien, mit der sie sich bald schmerzlich, bald in irdischer Selbstgenügsamkeit oder gar Selbstherrlichkeit abfand.

So ragt die neutestamentliche Botschaft vom Wiederkommen des Christus vielfach nur wie ein Überbleibsel, wie eine Reliquie in die Christenheit der Gegenwart herein, mit der sie nicht viel anzufangen weiß. So erscheint sein Wiederkommen nur als kurzes Zwischenspiel, um die irdische Geschichte rasch abzubrechen und das Reich Gottes sofort in seine ewige Gestalt überzuleiten, die aber nicht auf der neuen Erde gesucht wird, sondern über der Erde in der himmlischen Welt. Darüber verliert das Wort vom Kommen des Christus und vom Kommen des Reichs, das die ganze alte Christenheit in Spannung hielt, seinen eigentlichen, das Gemüt und den Willen bewegenden Sinn. Die Zukunftshoffnung verengt sich auf die Erwartung des Eingangs in den Himmel, auf Himmelssehnsucht.

Die Folgen aus der Verflüchtigung der Hoffnung

Kein kleiner Teil der Ablehnung, die in unserer die irdischen Werte überhoch schätzenden Zeit dem Christentum zuteil wird, rührt her von der Verflüchtigung der neutestamentlichen Zukunftshoffnung. Wie wird die christliche Hoffnung so blass und blutleer, statt dass sie dem Glauben und Wirken Flügel geben würde, wenn ihre Erfüllung nicht bloß für die verhältnismäßig kurze Zwischenzeit bis zum Anbruch des Reichs Gottes, sondern für immer für die ganze Ewigkeit in den Himmel verlegt wird! Das Wort vom Himmelreich verliert so seinen ursprünglichen Sinn und erhält einen ihm fremden Sinn: denn die Benennung des Reiches Gottes als Himmelreich deutet nur auf ihren Ursprung und sein das jetzige sündige Irdische überragende Art hin, nicht auf den Ort, wo es seine Verwirklichung und Vollendung erhalten wird. "Das Himmelreich kommt!" das bedeutet: es kommt vom Himmel auf die Erde! Nicht: es bleibt im Himmel.

Wird das Wort vom Reich in dieser Weise missverstanden, dann ergeben sich schwerwiegende Folgen: Die leichtere ist noch diejenige, dass die Weissagung der Schrift nicht mehr verstanden wird. Dieses Schicksal trifft nicht bloß die Weissagung vom Reich Gottes auf der alten Erde nach dem Gericht über die antichristlich gewordene Menschheit (Offb 20), sondern auch die letzten Kapitel der Offenbarung (Offb 21 und 22); aber auch das Wort der Apostel und Jesu selber, und noch mehr fast das ganze prophetische Wort des Alten Testaments. Das letztere bleibt entweder liegen oder kann nur mit starken Umdeutungen angeeignet werden, zu denen kein Recht oder wenigstens kein genügendes Reicht vorliegt. Eine andere Folge der Verengung und Verflüchtigung der christlichen Zukunftshoffnung ist noch ernster: was in der Schrift vom kommenden Reich Gottes auf Erden gesagt wird, wird vorweggenommen für die Kirchenzeit, für die Zeit der Kirchengeschichte. Das Reich Gottes darf ja nicht einmal mit der Gemeinde Jesu verwechselt werden. Ein schlichtes biblisches Wort, das solcher Verwechslung wehr, ist der Trost, mit dem Paulus Apg 14:22 den unter dem Druck stehenden neugewonnenen Gemeinden zum Ausharren behilflich war: "es ist ein Gottesgesetz, dass der Eingang in das Reich Gottes durch viele Leiden hindurchgeht". Jene Gemeinden gehörten zur Gemeinde Jesu; aber Paulus sagte ihnen: das Reich Gottes habt ihr erst vor euch. Zum Eingang seid ihr berufen; aber darinnen seid ihr noch nicht. Eure Trübsale scheinen euch ein Gegenanzeichen zu sein, als ob ihr draußen bleiben müsstet. Es ist gerade umgekehrt; sie sind ein Anzeichen, dass ihr des Reichs teilhaftig werdet; denn in eurem Ergehen wirkt sich das Gottesgesetz aus, das den Eingang in das Reich Gottes regelt, und ihn denen zuteilt, die im Glauben durch Trübsale hindurch gegangen sind. Es ist ja den Überwindern verheißen.

Ernster als eine Verwechslung von Gemeinde Jesu und Reich Gottes ist der andere Fehler, dass der Unterschied zwischen Reich Gottes und den Kirchen nicht mehr gesehen wird, und dass infolge dessen die beiden in allzu nahe Beziehung zueinander gesetzt oder gar miteinander verwechselt werden. Vom Ernst einer solchen Verwechslung isst an anderer Stelle schon gesprochen worden. An DIESER Stelle ist der Nachdruck darauf zu legen, dass sich hier das Zurücktreten der großen altchristlichen Zukunftshoffnung vom Reich Gottes auf dieser Erde aufrichten will, sondern das Reich Gottes nur im Himmel suchte, deshalb kam sie auf den Gedanken, die Verwirklichung dessen, was über das Reich Gottes auf Erden gesagt ist, gehöre in den gegenwärtigen Zeitlauf und sei IHRE Aufgabe. Dabei hat die Christenheit sich weit von dem Zustand entfernt, der aus Offb 2 und 3 für die ganze Zeit bis zum Wiederkommen Jesu als der normale anzunehmen ist. Die Kirche ist das Reich Gottes noch nicht und hat gar nicht die Aufgabe es zu werden. Das Reich Gottes WIRD überhaupt nicht, sondern es "KOMMT". Es gestaltet sich nicht heraus aus dem gegenwärtigen Zeitlauf, weder von selbst noch durch menschliches Mühen und Machen; sondern Jesus als der Wirker der Werke Gottes bringt es und richtet es auf. Darum hat sich die Kirche mit der Meinung, das Reich Gottes zu sein oder es darzustellen, anbahnen, herbeiführen zu müssen und zu können, eine unsagbare und untragbare Bürde aufgeladen, die ihr nicht von oben aufgelegt ist. Und wo sie die selbstgewählte Aufgabe nicht als Last empfindet, sondern sich in ihr als einer Ehre sonnt, da hat sie in Gottes Recht eingegriffen und Jesu Herrenrecht für sich beansprucht, und wird sich grausig enttäuscht sehen und vom Thron gestürzt werden, wenn Gott sein Herrscherrecht an sich nehmen und Christus sein Herrenrecht ausüben wird.

Das Zurücktreten der Auferstehungshoffnung

Noch zwei Folgen der Verkümmerung der christlichen Zukunftshoffnung seien genannt: die Kirche wird ungewiss über das Los ihrer Toten und der Toten überhaupt und weiß nicht mehr viel anzufangen mit dem Wort von der Auferstehung der Toten, das doch der Grund- und Eckstein ist im Gebäude der christlichen Zukunftshoffnung (f. die überragende Wertung der Auferstehung Jesu und der Totenauferstehung überhaupt 1Kor 15). Die letztgenannte Hoffnung passt nicht mehr recht zusammen mit derjenigen Form der christlichen Hoffnung, die im Lauf der Zeit in der Kirche die Oberhand gewonnen hat, dass nämlich das Reich Gottes im Himmel vollendet werde. Wozu ist dann noch der verklärte Leib nötig, wenn die irdische Welt mit dem leiblichen Tod sich völlig und für immer schließt? Dann könnte die Hoffnung sich damit zufrieden geben, dass ja der Geist - im gewohnten Sprachgebrauch: die Seele - selig werde. O wie genügsam ist die Christenhoffnung geworden, aber auch wie matt und trostlos und von ungläubiger Seite den Spott herausfordernd, wenn sie mit dem Seligwerden der Seele befriedigt ist! Ist das der ganze Ertrag der Menschwerdung Christi, der ganze Ertrag seines Sterbens und seiner Auferstehung? Und zu welchem Zweck kommt er dann wieder auf die Erde? Nur um das Machtwort zu sprechen, das die irdische Geschichte abbricht? Dass dann die Angst vor seinem Kommen entsteht und das Bedürfnis, sein Kommen in möglichst weiter Ferne zu sehen, das ist begreiflich. Denn dann ist ja sein Kommen NUR Gericht über die Erde, NUR Auflösung des Irdischen, keine Gnade mehr für die Erde und keine neue Schöpfung! Und dagegen schreit nicht nur die Welt auf, sondern auch das christliche Lebensgefühl, selbst wenn die Berechtigung des göttlichen Gerichtsernsts in vollem Maße anerkannt wird, dagegen schreit die ganze Bibel auf! Die Bibel ist viel menschlicher und natürlicher, als unsere Hoffnung zu sein wagt.

Das Wort von der Totenauferstehung ist eine wunderbare Bejahung des Leibes und der Erde, und zwar eine Bejahung durch Gott! Er hat beide schon durch die Schöpfung bejaht; sonst hätte er die Erde nicht geschaffen und dem Menschen nicht eine leibliche Verfassung, eine leibliche Organisation gegeben. Die leibliche Verfassung ist nicht ein bloßes Anhängsel an den Geist, als wäre der Leib etwas, was vom Geist getrennt werden könnte, ohne dass das Wesen des Menschen durch eine solche Trennung getroffen würde; oder als wäre der Leib ein Kerker des Geistes, um aus ihm sobald wie möglich befreit zu werden ein Anliegen des Menschen sein müsste. Gewiss ist unsere leibliche Verfassung durch den langen sündigen Missbrauch derselben zum Hemmschuh des gottgegebenen Geistes geworden, was seinen tiefernsten Ausdruck in dem biblischen Satz erhalten hat, dass der Mensch fleischlich geworden ist. Aber an der sündhaften Herabwürdigung des ganzen leiblich-seelischen Wesens, infolge deren der Leib dann wieder aus einem dienenden Werkzeug des Geistes zu dessen Tyrannen geworden ist, ist ja der Mensch und die Menschheit selber schuld, nicht der Schöpfer, der den Leib gegeben hat. Was wir brauchen, ist eine Erlösung DES Leibes von der ihm durch die Sünde angelegten Fesselung und Entweihung, damit er ein würdiges und brauchbares Werkzeug des Geistes werde im Dienste Gottes; nicht eine Erlösung VOM Leib.

Die Erlösung im erstgenannten Sinn ist gemeint, wenn der Gemeinde Jesu in Röm 8:23 ein sehnliches Warten auf des Leibes Erlösung zugeschrieben wird. Die Schrift enthält nun die große Verheißung, dass Gott den Leib noch einmal bejahen wird, wie er ihn bereits als Schöpfer bejaht hat, nämlich mit einer Neuschaffung des Leibes, die bei der Totenauferweckung geschieht. Da will er die leiblich-seelisch-geistige Verfassung des Menschen wieder herstellen auf neuer Grundlage. Die Zeit zwischen Tod und Auferstehung ist auch für den, der ganz die Gnade genießen darf ohne Angst, nur Zwischenzeit. Zwar keine gequälte Zwischenzeit, weil sie im Frieden verbracht wird, aber eine wartende Zwischenzeit, die der Vollendung harrt. Das Sterben bringt die Vollendung nicht, selbst wenn es in Christo geschieht; die Vollendung kommt erst mit der Auferstehung. Und das Wort von der Auferstehung fordert das Wort von der Erlösung der Erde von dem auf ihr lastenden Fluch und ihrer Neuschaffung durch das Feuer des Gerichts hindurch.

Denn mit dem Leib ist ja die ERDE bejaht! Unsere ganze leibliche Verfassung verknüpft uns ja auf das engste mit der Erde. Nicht bloß insofern, als die Erde der Schauplatz des menschlichen Lebens und Wirkens ist, sondern auch insofern, als unser Leib seinen Ursprung von der Erde hat und für seinen bestand fortwährend auf die Erde angewiesen ist. Die Erde verschafft ihm die Lebensmittel, die Wirkungsmöglichkeit und die Wirkungsweise. Auch für die Erde besteht noch die große Hoffnung: nicht Vernichtung, sondern Neuschaffung! Nicht bloß um Gottes willen, weil er sein Werk nicht verderben will, sondern auch um Jesu willen, der durch sein Menschwerden die Erde geweiht hat, und um des heiligen Geistes willen, der nicht bloß einstens über der leben- und lichtlosen Erde schwebte, als Gott sie zum Schauplatz der menschlichen Geschichte bereitmachte, der vielmehr seit der Vollendung von Christi erstem irdischen Werk auf der Erde gewirkt und in den Erlösten mit geseufzt hat um die völlige Erlösung, und der darauf wartet, die Erde nach der Erlösung vom Bann der Herrlichkeit Gottes voll zu machen.

Die Ungewissheit über das Los der Toten

Noch nicht besprochen ist eine andere schon genannte Folge der Verkümmerung der christlichen Zukunftshoffnung: nämlich die Ungewissheit über das Los der Toten. Die Entscheidung über ihr Los fällt im letzten Gericht, wenn das Reich Gottes in seine Endgestalt eintritt. Die große tiefernste Frage ist dann: drinnen oder draußen? Aufgenommen in das Reich Gottes, oder von ihm ausgeschlossen? Es ist gut, dem Ernst dieser Entscheidung jetzt schon still zu halten. Das Urteil, das den Ausschluss verfügt, obwohl durch die Auferstehung die Teilnahme am Reich Gottes in seiner verklärten Gestalt nahe zu liegen scheint, muss für die Ausgeschlossenen furchtbar sein, auch wenn sie die Gerechtigkeit des Urteils anerkennen müssen. Die daran sich anschließenden Fragen, ob der Ausschluss endgültig sei, oder ob nach Zerbrechen des sündigen Willens und nach langer Pein noch eine späte Aufnahme in das Reich Gottes möglich sei; ob der Ausschluss, wenn er unwiderrufliche wäre, endlos wäre oder mit Vernichtung ende, sollen zum Schluss noch erwogen werden. Sie können DA ohne Schaden erörtert werden, wo die Bereitschaft zur völligen Beugung unter den Ernst des göttlichen Gerichts vorhanden ist.

Wenn das Reich Gottes nur als himmlisches Reich aufgefasst, und wenn dem Wiederkommen Jesu nur die Bedeutung zugemessen wird, das es die irdisch Geschichte abschließe und dann in das Jenseits hinüber leite, dann ist es schwer, die entscheidende Bedeutung des letzten Gerichts zu verstehen. Denn von der eben genannten Auffassung des Reiches Gottes ist der Gedanke untrennbar verbunden, dass die Entscheidung über die Zugehörigkeit zum Reich oder über den Ausschluss von demselben in der Hauptsache mit dem Ausgang des irdischen Lebens, also mit dem Tod, zusammenfalle. Dann wäre aber das jüngste Gericht nicht viel mehr als eine Wiederholung oder Bestätigung des bereits beim Sterben in Kraft getretenen Urteils. Nun soll der Ernst des Sterbens in keiner Weise bestritten werden. Der Tod ist selber ein Gericht, die Ausführung des längst bestehenden Urteils Gottes über die Sünde. Im Sterben ergeht das Gericht über alle, auch über die Erlösten, selbst wenn sie im Frieden Gottes sterben dürfen. Das Sterben ist kein natürlicher Vorgang, sondern der Vollzug des Gerichts über alles menschliche Wesen. Ist die Sünde vergeben, so hat zwar der Tod den Stachel verloren; aber zu etwas Natürlichem oder gar zu einem Freund ist er damit nicht geworden. Das Grausige des Sterbens schwindet nicht, es ist nur durch den Frieden Gottes und durch die Gewissheit der endlichen Überwindung des Todes in der Auferstehung erträglich und friedlich gemacht, während ohne Vergebung das ganze Todesweh bleibt. -

Ebenso wenig wie der Ernst des Sterbens soll bestritten werden, dass bei den Gerechtfertigten schon beim Übergang in die andere Welt, wie er beim Sterben vor sich geht, das Los aufs Liebliche fällt, nicht erst am jüngsten Tag. So hat Stephanus ohne Angst seinen Geist in Jesu Hände übergeben dürfen, und mit feierlicher Ruhe hat Paulus am Ende seines irdischen Laufs von seinem Abscheiden sprechen können (2Tim 4:6-8). Ein Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi steht auch der Gemeinde Jesu bevor (2Kor 5:10); aber das angstvolle Harren auf die Entscheidung ist ihr erspart, weil sie die Rechtfertigung bereits erhalten hat.

Aber darf denn kurzweg gesagt werden, dass die Entscheidung über das Los der Toten schon beim Sterben falle? Wird man damit der Wirklichkeit gerecht? Wird damit nicht der Weg ins Reich Gottes gleichzeitig zu eng und zu weit gemacht? Zu weit: denn die Liebe drängt, für die Toten das gute Los zu hoffen bis an die Grenze der Hoffnungsmöglichkeit; zu eng: denn das Urteil, das Ziel sei verhehlt worden, kann gefällt werden, wo Gott es noch nicht fällt, und wo er in der ernsten Zwischenzeit zwischen Tod und Gericht noch Raum lässt zur Einkehr und Umkehr. Alle die genannten Schwierigkeiten lösen sich in befriedigender Weise, wenn wir es wagen mit der Schrift darauf zu warten, dass der Herr Jesus und Gott selber der Erde noch in ungeahnter Weise näher treten werden, sodass man vom Kommen Gottes reden darf. Dem Ernst der Entscheidung für oder gegen Gott, für oder gegen Jesum wird dabei nicht abgebrochen. Im Gegenteil: der Erst wird noch größer, weil mit der Entscheidung gegen ihn und sogar mit einer nur lauen Entscheidung für ihn so vieles auf das Spiel gesetzt wird. Preisgegeben wird damit die Möglichkeit der Teilnahme am Reich Gottes auf der alten Erde in verklärter Gestalt durch die Teilhaberschaft an der ersten Auferstehung.

Eingetauscht wird ein schmerzliches, demütigendes Warten in der Totenwelt auf die Entscheidung im letzten Gericht Gefährdet ist deshalb auch die selige Teilnahme am Reich Gottes auf der neugeschaffenen Erde. Auf der andern Seite bleibt noch Raum für das Wirken Gottes an den Abgeschiedenen in der Totenwelt, zumal wenn keine schuldhafte Ablehnung der Gnade und noch keine vollendete Entscheidung des Willens gegen Gott vorliegt; auch bleibt die Möglichkeit der Ausmerzung unseliger Gebundenheiten Glaubender in der anderen Welt, selbst wenn sie ernste Zucht erfordern. Vgl. darüber da Buch des Evangelisten Samuel Keller: "Das Los der Toten", Neuausgabe einer früheren Auflage mit dem Titel: "Die Auferstehung des Fleisches". Das Buch ist mit brennendem Herzen geschrieben angesichts der vielen Sterbensnot, die nicht nur durch das Abbrechen des Lebens verursacht ist, sondern auch durch die viele Untreue und Unreife, die mit ins Grab genommen wird, angesichts deren einen unmittelbarer Eingang ins Reich Gottes zu glauben gegen die Wahrhaftigkeit geht, und den Ausschluss aus demselben anzunehmen die Liebe verletzt. Das Buch ist gleichzeitig zur Gewissenschärfung und zur Herzenserleichterung geeignet und stellt sich mit großer Entschlossenheit auf den Boden der Schrift. Auch die letzten großen Frage: Endlosigkeit der Höllenstrafen, Allbeseligung oder Vernichtung der Gottlosen? sind darin erörtert.

Das Wesentliche des Reiches Gottes auf Erden