Das Reich Gottes auf Erden

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Version vom 13. April 2020, 23:56 Uhr von MI (Diskussion | Beiträge) (Das Reich Gottes auf Erden)

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Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor: 3. Das antichristliche Reich der Endzeit

in Bearbeitung

4. Teil

Das Reich Gottes auf Erden

Würde es sich nur um die Darstellung des Menschheitsgangs im gegenwärtigen Zeitlauf handeln, dann wäre mit den bisherigen Ausführungen das Ende der Aufgabe erreicht. Aber der Gedankengang drängt weiter. Babels Ausgang ist Jerusalems Aufstieg. Mit Babels Ende kommt Jerusalems Zeit in höherem Sinn, als es damals der Fall war, da Israel sich im Stande der Vorbereitung befand. Jetzt erst beginnt Israels eigentlicher Beruf innerhalb der Völkerwelt, nachdem die lange Zeit des Widerstrebens zu Ende gegangen ist. Nun erst wird das Heilige Land zum Mittelpunkt der Völkerwelt, zu dem es von Anfang an bestimmt war. Nun kann Jerusalem die Hauptstadt der Erde werden. In Offb 11:8 ist Jerusalem noch mit Sodom und Ägypten verglichen. Im 1000-jährigen Reich Offb 20:9 heißt es die geliebte Stadt. Der Wechsel der Benennung ist groß, und entspricht dem Wechsel zwischen der Zeit der Menschheit vor dem 1000-jährigen Reich und in demselben. Es sollen nun noch einige Worte über dieses Reich gesagt werden. Nur soll zuvor die übliche christliche Zukunftshoffnung mit der in der Schrift Alten und Neuen Testaments dargebotenen verglichen werden.

Das Zurückbleiben der Christenheit

Die Verlegung der Hoffnung von der Erde in den Himmel

Die Zukunftshoffnung der Christenheit, wie sie seit langem üblich ist, und wie sie unbefangen als die biblische angesehen wird, wird der in der Schrift dargebotenen Hoffnung nicht gerecht, sondern bleibt hinter ihr zurück. Sie entleert die Erde ihres Werts und flüchtet sich in den Himmel. oder, blasser ausgedrückt, in das Jenseits. Mit dem Sterben entschwindet ihr die Erde. Die irdische Welt gilt nur als der Schauplatz der kurzen menschlichen Lebensgeschichte. Kein einziges ungutes Wort soll damit gesagt sein über die Glaubens- und Willensstärke, mit welcher die Väter nach dem Himmel griffen, um dessetwillen sie oft genug Leib und Leben, Gut und ehre, Weib und Kind fahren ließen und das Irdische gering achteten trotz all seines lockenden Reizes. Auch für die Christen der heutigen Zeit gilt die Pflicht, zu suchen, was droben ist, da Christus ist, und sich mit dem Begehren nicht zu verfangen im Irdischen. Auch sie müssen wissen, dass, solange der Herr Jesus Christus noch nicht von dort erschienen ist zur Aufrichtung des Reichs, die irdische Welt ihnen keine Heimat werden darf, weil ihr Heimwesen, nämlich das Reich Gottes, noch im Himmel ist; erst wenn er von dort erscheint, kommt das Reich Gottes zur Erde. Das Zurückbleiben der Christenheit hinter der Zukunftshoffnung der Schrift rührt also nicht her vom entschlossenen blick nach der himmlischen Welt, sondern davon, dass sie über den Blick nach dem Himmel nicht mehr wahrnahm, was Gott mit der Erde vorhat, dass er sie nicht bloß zum Schauplatz seines Reiches machen, sondern dass Er selber die Erde mit seiner Gegenwart und Herrlichkeit erfüllen will.

Auch für Jesum Christum ist der Himmel nur ein zeitweiliger, kein dauernder Aufenthaltsort. Der Himmel muss ihn nur auf eine Weise aufnehmen, nämlich so lange, bis er wiederkommt, um die von Gott durch Prophetenmund gegebenen Verheißungen auf der Erde zu verwirklichen (Apg 3:21). Sein himmlischer Aufenthalt ist nur eine Unterbrechung seiner irdischen Christusaufgabe, die Erde voll der Herrlichkeit Gottes zu machen. Seine irdische Lebenszeit bis zum Kreuz war nur der Anfang dieser Arbeit, freilich der grundlegende. Das Volk hatte nicht unrecht, als es zu Jesus anlässlich seines Hinweises auf seine dem demnächste Erhöhung von der Erde sagte, es habe aus der Schrift entnommen, dass der Christus zu dauerndem Dasein bei seinem Besitz bestimmt sei (Joh 12:34). Die erste Christenheit hat bei aller Freude ihres Glaubensbesitzes das Fortsein ihres Herrn als eine Entbehrung empfunden und erflehte deshalb sein Kommen mit der ganzen Glut ihres Herzens. Es ist auch ein Zeichen für das zunehmende Erkalten der Christenheit, dass ihr die Abwesenheit ihres Herrn nicht als Mangel, sondern als eine Selbstverständlichkeit erschien, mit der sie sich bald schmerzlich, bald in irdischer Selbstgenügsamkeit oder gar Selbstherrlichkeit abfand.

So ragt die neutestamentliche Botschaft vom Wiederkommen des Christus vielfach nur wie ein Überbleibsel, wie eine Reliquie in die Christenheit der Gegenwart herein, mit der sie nicht viel anzufangen weiß. So erscheint sein Wiederkommen nur als kurzes Zwischenspiel, um die irdische Geschichte rasch abzubrechen und das Reich Gottes sofort in seine ewige Gestalt überzuleiten, die aber nicht auf der neuen Erde gesucht wird, sondern über der Erde in der himmlischen Welt. Darüber verliert das Wort vom Kommen des Christus und vom Kommen des Reichs, das die ganze alte Christenheit in Spannung hielt, seinen eigentlichen, das Gemüt und den Willen bewegenden Sinn. Die Zukunftshoffnung verengt sich auf die Erwartung des Eingangs in den Himmel, auf Himmelssehnsucht.

Die Folgen aus der Verflüchtigung der Hoffnung

Kein kleiner Teil der Ablehnung, die in unserer die irdischen Werte überhoch schätzenden Zeit dem Christentum zuteil wird, rührt her von der Verflüchtigung der neutestamentlichen Zukunftshoffnung. Wie wird die christliche Hoffnung so blass und blutleer, statt dass sie dem Glauben und Wirken Flügel geben würde, wenn ihre Erfüllung nicht bloß für die verhältnismäßig kurze Zwischenzeit bis zum Anbruch des Reichs Gottes, sondern für immer für die ganze Ewigkeit in den Himmel verlegt wird! Das Wort vom Himmelreich verliert so seinen ursprünglichen Sinn und erhält einen ihm fremden Sinn: denn die Benennung des Reiches Gottes als Himmelreich deutet nur auf ihren Ursprung und sein das jetzige sündige Irdische überragende Art hin, nicht auf den Ort, wo es seine Verwirklichung und Vollendung erhalten wird. "Das Himmelreich kommt!" das bedeutet: es kommt vom Himmel auf die Erde! Nicht: es bleibt im Himmel.

Wird das Wort vom Reich in dieser Weise missverstanden, dann ergeben sich schwerwiegende Folgen: Die leichtere ist noch diejenige, dass die Weissagung der Schrift nicht mehr verstanden wird. Dieses Schicksal trifft nicht bloß die Weissagung vom Reich Gottes auf der alten Erde nach dem Gericht über die antichristlich gewordene Menschheit (Offb 20), sondern auch die letzten Kapitel der Offenbarung (Offb 21 und 22); aber auch das Wort der Apostel und Jesu selber, und noch mehr fast das ganze prophetische Wort des Alten Testaments. Das letztere bleibt entweder liegen oder kann nur mit starken Umdeutungen angeeignet werden, zu denen kein Recht oder wenigstens kein genügendes Reicht vorliegt. Eine andere Folge der Verengung und Verflüchtigung der christlichen Zukunftshoffnung ist noch ernster: was in der Schrift vom kommenden Reich Gottes auf Erden gesagt wird, wird vorweggenommen für die Kirchenzeit, für die Zeit der Kirchengeschichte. Das Reich Gottes darf ja nicht einmal mit der Gemeinde Jesu verwechselt werden. Ein schlichtes biblisches Wort, das solcher Verwechslung wehr, ist der Trost, mit dem Paulus Apg 14:22 den unter dem Druck stehenden neugewonnenen Gemeinden zum Ausharren behilflich war: "es ist ein Gottesgesetz, dass der Eingang in das Reich Gottes durch viele Leiden hindurchgeht". Jene Gemeinden gehörten zur Gemeinde Jesu; aber Paulus sagte ihnen: das Reich Gottes habt ihr erst vor euch. Zum Eingang seid ihr berufen; aber darinnen seid ihr noch nicht. Eure Trübsale scheinen euch ein Gegenanzeichen zu sein, als ob ihr draußen bleiben müsstet. Es ist gerade umgekehrt; sie sind ein Anzeichen, dass ihr des Reichs teilhaftig werdet; denn in eurem Ergehen wirkt sich das Gottesgesetz aus, das den Eingang in das Reich Gottes regelt, und ihn denen zuteilt, die im Glauben durch Trübsale hindurch gegangen sind. Es ist ja den Überwindern verheißen.

Ernster als eine Verwechslung von Gemeinde Jesu und Reich Gottes ist der andere Fehler, dass der Unterschied zwischen Reich Gottes und den Kirchen nicht mehr gesehen wird, und dass infolge dessen die beiden in allzu nahe Beziehung zueinander gesetzt oder gar miteinander verwechselt werden. Vom Ernst einer solchen Verwechslung isst an anderer Stelle schon gesprochen worden. An DIESER Stelle ist der Nachdruck darauf zu legen, dass sich hier das Zurücktreten der großen altchristlichen Zukunftshoffnung vom Reich Gottes auf dieser Erde aufrichten will, sondern das Reich Gottes nur im Himmel suchte, deshalb kam sie auf den Gedanken, die Verwirklichung dessen, was über das Reich Gottes auf Erden gesagt ist, gehöre in den gegenwärtigen Zeitlauf und sei IHRE Aufgabe. Dabei hat die Christenheit sich weit von dem Zustand entfernt, der aus Offb 2 und 3 für die ganze Zeit bis zum Wiederkommen Jesu als der normale anzunehmen ist. Die Kirche ist das Reich Gottes noch nicht und hat gar nicht die Aufgabe es zu werden. Das Reich Gottes WIRD überhaupt nicht, sondern es "KOMMT". Es gestaltet sich nicht heraus aus dem gegenwärtigen Zeitlauf, weder von selbst noch durch menschliches Mühen und Machen; sondern Jesus als der Wirker der Werke Gottes bringt es und richtet es auf. Darum hat sich die Kirche mit der Meinung, das Reich Gottes zu sein oder es darzustellen, anbahnen, herbeiführen zu müssen und zu können, eine unsagbare und untragbare Bürde aufgeladen, die ihr nicht von oben aufgelegt ist. Und wo sie die selbstgewählte Aufgabe nicht als Last empfindet, sondern sich in ihr als einer Ehre sonnt, da hat sie in Gottes Recht eingegriffen und Jesu Herrenrecht für sich beansprucht, und wird sich grausig enttäuscht sehen und vom Thron gestürzt werden, wenn Gott sein Herrscherrecht an sich nehmen und Christus sein Herrenrecht ausüben wird.

Das Zurücktreten der Auferstehungshoffnung