Vom letzten Buch der Bibel

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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort"
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.
1917/18

Siehe weitere Abschriften

Vom letzten Buch der Bibel

v. E. F. Ströter

Im Lauf des letzten Jahrzehntes, seit die Hefte erschienen sind, bin ich von lieben Lesern und Freunden des Wortes der Weissagung wiederholt ersucht worden, doch auch einmal eine Auslegung oder Erklärung des letzten Buches der Bibel zu schreiben. Manchen von diesen Bittstellern habe ich den scherzhaft klingenden und doch so ernst gemeinten Bescheid gegeben, vor 25 oder 30 Jahren wäre ich dazu eher geneigt und bereit gewesen als heute. Doch glaube ich es den Lesern des „Prophetischen Worts“ schuldig zu sein, es nicht bei einer solch kurzen, ablehnenden Antwort bewenden zu lassen, vielmehr diese manchen etwas befremdende Stellungnahme, zu dem mir sehr köstlichen Buch der Weissagung, in etwas zu begründen.

Vorab möchte ich es sehr deutlich aussprechen, dass ich mit dem, was ich hier niederschreibe, keineswegs einen Vorwurf oder Tadel an teuren Brüdern beabsichtige, die sich veranlasst gesehen haben, Auslegungen der Apokalypse zu versuchen und herauszugeben. Was ich hier gebe, ist lediglich der Niederschlag von durchaus persönlichen, unabhängigen Urteilen und Auffassungen, wie sie mir nach häufiger und eingehender Beschäftigung mit dem Schlussbuch des neutestamentlichen Kanons geworden sind. Doch will ich nicht verschweigen, dass es vielleicht kein unersetzlicher Verlust für die gläubige Gemeinde gewesen wäre, wenn manche sogenannte Auslegung der Offenbarung nie das Licht der Welt erblickt hätte. Die Seligpreisung an der Spitze und abermals am Ende des wunderbaren Buches (Offb 1:3; Offb 22:7) gilt eben weder den mehr oder minder geistvollen Andeutungen noch deren Lesern, sondern denen, die das Buch lesen (auch ohne es zu „verstehen“) und die behalten, was darin geschrieben steht.

Einleitung

1. Da wir von den D e u t u n g e n reden, - wie g r o ß ist i h r e Z a h l ? Wie groß auch die Verlegenheit, in die man gebracht wird, wenn man jemand eine „gute Auslegung der Offenbarung“ empfehlen soll! Es gibt kein anderes Buch der Schrift, das einer solchen Menge der verschiedenartigsten Deutungsversuche gerufen hätte und noch riefe. Es hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine beträchtliche Reihe von „Schulen“ und „Richtungen“ gebildet, deren Vertreter an Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und gutem Willen nichts vorzuwerfen oder voreinander voraushaben, Männer deren Namen überall einen guten Klang haben. Aber wie ist es mit der Übereinstimmung? Soweit mir bekannt, sind die Abweichungen und Verschiedenheiten in der Auslegung unter den verschieden bibelgläubigen Deutern bei keinem andern prophetischen Buch der Schrift, nicht einmal bei Daniel so stark, so unvereinbar, so zahlreich - so aussichtslos, was Übereinstimmung betrifft.

Sollte das von ungefähr sein? Lassen sich aus dieser peinlich auffallenden Tatsache nicht gewisse berechtigte Folgerungen ziehen? Es wird nicht zu leugnen sein, dass aus dem Schoß der gläubigen, wartenden Gemeinde aller dieser Jahrhunderte ungezählte, ernstliche, eindringliche Bitten um besondere Erleuchtung durch den Geist der Weisheit und Offenbarung aufgestiegen sind. Ebenso wenig kann von erleuchteten Kindern Gottes in Abrede gestellt werden, dass auf fast allen anderen Gebieten geistlicher Erkenntnis, besonders im Lauf der letzten Jahrzehnte, ein sehr bedeutender Fortschritt zu verzeichnen ist, in der Richtung auf einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes hin. Was im einzelnen die so wichtigen Unterschiede zwischen Israel und Gemeinde, zwischen Reich Gottes und Kirche, zwischen Rechtfertigung und Heiligung, zwischen dem Heimgehen der Gläubigen und der Wiederkunft Christi, und so manche andere Fragen des göttlichen Reichshaushalts betrifft, so haben da ganz nennenswerte Annäherung und gegenseitige Verständigungen Platz gegriffen, von denen man vor 40-50 Jahren kaum Ansätze spürte.

Mir will es scheinen, als ob dieser offenkundige Mangel an Einheitlichkeit in der Deutung des Buchs der Offenbarung, ein ziemlich schwer wiegender Beleg dafür sei, dass uns eine solche einheitliche und in allen wesentlichen Grundzügen zusammentreffende Erklärung der johanneischen Weissagung für dieses Zeitalter nicht beschieden, d. h. von unserm verklärten Herrn und Haupt im Himmel nicht zugedacht sei. Eine solche Annahme steht in keinem unlöslichen Widerspruch zu der diesem einzigartigen Buch beigefügten, ihm allein eigentümlichen Seligpreisung für die, welches es lesen und hören und bewahren, was darin geschrieben steht; denn dieselbe ist, wie schon oben gesagt, keineswegs abhängig gemacht von dem Vermögen, den Inhalt der Schrift richtig zu deuten und auszulegen.

Auch läge in dieser Vorstellung keine Reflexion auf die große Verheißung von dem Heiligen Geist der Wahrheit, der uns in die ganze Wahrheit leiten soll, der alle Dinge erforscht, auch die Tiefen Gottes, weil dieser Wirksamkeit des Geistes nirgends Schranken, Ziele oder Zeitmaße gesetzt sind, innerhalb welcher unsre Einführung in das restlose Ganze der geoffenbarten Wahrheit vollzogen, oder gar vollendet werden müsste. Erst wenn das Vollkommene gekommen sein wird, d. h. erst nach vollendeter Umgestaltung der ganzen gläubigen Gemeinde in das Ebenbild des verklärten Herrn, wird jedes stückweise Erkennen aufhören mit allein Weissagen, und mit Sprachen und selbst mit dem Glauben, als Gegenstück und Vorschule des Schauens.

Der Titel des Buches

2. Dieser ersten Erwägung schließen sich noch weitere, nicht minder bedeutsame an. Werfen wir z. B. einen prüfenden Blick auf den eigenen T i t e l des Buchs. Es lautet klar und bestimmt: O f f e n b a r u n g Jesu C h r i s t i, welche G o t t ihm g e g e b e n hat. Das ist unzweifelhaft eine durchaus zutreffende, den ganzen Inhalt der damit versehenen Schrift richtig kennzeichnende Angabe. Und wie wird das Buch fast allgemein in der ganzen Christenheit betitelt? Als Offenbarung St. Johannis! In vielen Fällen fügt man mit besonderer Betonung noch hinzu: des Theologen! Das sieht nicht gerade danach aus, als ob man die vom Geiste Gottes selbst geprägte, einzig zuverlässige Inhaltsangabe, auch in ihrer Bedeutung und Tragweite ergriffen, und sich innerlich zu eigen gemacht hätte. Es bekundet vielmehr ein etwas unsicheres, nicht sehr versprechendes Danebentasten.

Hier tritt uns nur die so einfache und naheliegende Frage entgegen: Welche Offenbarung Jesu, des Christus, kann hier nur gemeint sein als Inhalt dieses Buches der Weissagung? Jedenfalls nicht die, welche zwischen seiner Geburt in Bethlehem und seinem Abschied von dieser Erde bei seiner Himmelfahrt lag. Der schlichte Wortlaut des ersten Verses im ersten Kapitel macht eine solche Auffassung unmöglich. Ich wüsste auch von niemand, der je eine solche Deutung des Buches, die dasselbe ja von vornherein seines prophetischen Charakters völlig entkleiden würde, versucht hätte.

Somit bleibt nur noch die, vom Standpunkt des Empfängers und Verfassers aus, ganz in der Zukunft liegenden Apokalypse, d. h. Enthüllung Jesu Christi vom Himmel übrig als eigentlicher Inhalt des uns vorliegenden Buches.

Das ruft nach einer zweiten, ebenso natürlichen und unabweislichen Frage: Kann unter dieser zukünftigen Apokalypse Jesu Christi in Gemäßigkeit mit Charakter und Bedeutung der gegenwärtigen Heilszeit, und in Übereinstimmung mit der gesamten Briefliteratur und Apostellehre des Neuen Testaments, möglicherweise die Sendung des Heiligen Geistes, sei es zu Pfingsten nach Jerusalem, sei es später (zu einer unberechenbaren Zeit) in das Haus des römischen Hauptmanns Kornelius zu Cäsarea - verstanden werden? Mir erscheint eine Bejahung dieser Frage ausgeschlossen. Die gegenwärtige Heilszeit trägt im ganzen Neuen Testament ein durchaus einheitliches Gepräge: sie wird von sämtlichen Aposteln, von den Zwölfen wie von Paulus, stets übereinstimmend als die Zeit der Berufung, Sammlung und Zubereitung einer glaubenden (nicht schauenden) Gemeinde aus allen Völkern bezeichnet, die auf ihren unsichtbaren, verklärten Herrn vom Himmel wartet, den sie nicht gesehen, aber doch lieb hat, und bei dessen Zukunft aus dem Himmel sie soll in verklärter Leiblichkeit in sein Bild umgestaltet, und ihm von der Erde hinweg in den Lufthimmel auf Wolken entgegen gerückt werden. Sie, und sie allein, ist der Tempel des in ihr wohnenden Heiligen Geistes, des einzigen Stellvertreters Christi auf Erden; sie ist die Behausung Gottes im Geist. Ihre geschichtliche Entwicklung und Ausgestaltung zur abschließenden Vollendung fällt sachlich und zeitlich zusammen eben mit der hier in Frage stehenden, zukünftigen Macht- und Herrlichkeitsoffenbarung Jesu Christi vom Himmel her. Wie das Paulus bezeugt: Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit (Kol 3:4). Und Petrus schreibt: Wenn aber der Oberhirte erscheint, werdet ihr den unverwelklichen Ehrenkranz davontragen (1Petr 5:4). Und Johannes: Wir wissen, wenn Er erscheinen wird, dass wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist (1Jo 3:2).

Dem ungläubigen Volke Israel kündete der scheidende Messias kurz vor seinem Hingang zum Vater sein Gericht an in den Worten: Euer Haus soll wüste gelassen werden; und mich werdet ihr hinfort nicht sehen, bis dass ihr sagen werdet: Gelobt sei der da kommt in dem Namen des Herrn (Mt 23:39). Denn also hatte der Prophet Hosea geweissagt: Ich will wiederum an meinen Ort gehen, bis dass sie ihre Schuld erkennen und mein Angesicht suchen werden; in ihrer Not werden sie mich frühe suchen: Kommt, wir wollen uns zu Jehova bekehren! Er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns verwundet, er wird uns auch verbinden. Nach zwei Tagen wird er uns lebendig machen, am dritten Tage wird er uns aufrichten, dass wir vor ihm leben. Und lasset uns erkennen, nachjagen der Erkenntnis des Herrn! Sein Aufgang ist sicher wie die Morgenröte, und er wird zu uns kommen wie ein Regenguss, wie ein Spätregen, der das Land benetzt (Hos 5:15 - Hos 6:6). Es bedarf doch für einen erleuchteten Christen keines besonderen Nachweises, dass bis auf den heutigen Tag die reichsten und kräftigsten Erweisungen des Heiligen Geistes an Israel als Volk, diese bestimmt verheißene Umkehr noch nicht bewirkt haben. Die ganze Welt weiß, es ist noch nicht erfüllt, was Paulus Röm 11:25-27 bezeugt: (Dass Israel zum Teil Verstockung widerfahren ist) bis dass die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird, und also ganz Israel gerettet werde, wie geschrieben steht: „Der Erlöser wird aus Zion kommen und von Jakob die Ungerechtigkeiten abwenden“, und: „Das ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.“ Und nach der andern Seite gehört es zum Wesen der geistgetauften Gemeinde, seiner „Fülle“, dass sie keineswegs die Merkmale königlicher Herrschaft, richterlicher Gewalt und leiblicher Unsterblichkeit an sich trage, sondern seine Knechtschaft, seine Armut und Niedrigkeit, die Malzeichen Seines Todes an ihrem Leibe, und Seinen Tod verkündige, bis dass Er kommt.

Offenbarung Jesu Christi

Lesen wir aber nur wenige Verse weiter im Eingang des Buches der Offenbarung, so fällt auch der letzte Zweifel dahin, was für eine Apokalypse Jesu Christi in diesem letzten Buch in Rede stehe. Nach der Seligpreisung in Offb 1:3, und nach dem Gruß und Eingangswort des Johannes an die 7 Gemeinden in Asien, die in einer Doxologie münden (Offb 1:4-6), erfolgt in Offb 1:7 die bündige Erklärung: "Siehe, Er kommt mit den Wolken, und es wird Ihn jedes Auge sehen, auch die Ihn durchstochen haben, und es werden sich Seinetwegen an die Brust schlagen alle Stämme des Landes! Ja, Amen".

Unsere Wiedergabe: „alle S t ä m m e des L a n d e s“, anstatt der gewöhnlichen „alle G e s c h l e c h t e r der E r d e“ - ist, wie uns jeder Kenner des Griechischen bezeugen wird, sprachlich unanfechtbar und dem genauen Wortlaut durchaus entsprechend. Sachlich wird sie sich jedem denkenden Schriftforscher als die einzig richtige und statthafte empfehlen, da nirgendwo aus der Schrift der Beweis dafür erbracht werden kann, dass alle Geschlechter der Erde bei dieser besonders markierten Apokalypse Jesu Christi auch nur zugegen sein, geschweige denn reuig an ihre Brust schlagen werden. Wohl aber ist das in der bestimmtesten Weise von dem dann wieder in seinem Lande wohnenden, aber bis dahin noch ungläubigen Volke Israel nach ihren Stämmen geweissagt. Der Sicherheit und Deutlichkeit wegen setzen wir die ausführliche Schilderung dieses ergreifenden und folgenschweren Begegnens des Messias mit seinem Volk Israel aus dem Propheten Sacharja hierher: "Aber über das Volk Davids und über die Einwohner von Jerusalem will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets, uns sie werden mich sehen, den sie durchstochen haben, und sie werden um ihn klagen wie man klagt um ein einziges Kind, und sie werden sich um ihn betrüben, wie man sich betrübt um ein erstgeborenes Kind. An dem selbigen Tage wird große Wehklage sein zu Jerusalem, wie die Klage zu Hadad-Rimmon war in der Ebene Megiddo. Das Land wird klagen, jedes Geschlecht besonders; das Geschlecht des Hauses David besonders und ihre Weiber besonders; das Geschlecht des Hauses Nathans besonders und ihre Weibe besonders; desgleichen alle übrigen Geschlechter, ein jedes Geschlecht besonders und ihre Weiber besonders (Sach 12:10-14).

Auf den ersten prüfenden Blick ist zu erkennen, dass die Worte Offb 1:7 unzweifelhaft eine kurze Zusammenfassung jener, viel eingehenderen Darstellung bei Sacharja sein wollen. Damit ist nun aber die in Frage stehende „Offenbarung Jesu Christi“ in einer Weise aus der Schrift selbst nach Begleitumständen und Behauptung festgelegt, die an Klarheit kaum zu wünschen übrig lässt.

Es wird keinem sorgfältigen Schriftforscher entgangen sein, dass die zukünftige Offenbarung Jesu Christi auf Erden sich nicht in einem einzigen großartigen, dramatischen Schauspiel, bei dem alle Menschen und Engel zugegen sein werden, und womit die ganze bisherige Welt- und Reichsgeschichte zu einem endgültigen Abschluss kommen soll - gemeinhin das „jüngste Gericht“ genannt - erschöpfen wird. Bestand doch schon die erstmalige „Offenbarung“ des Sohnes Gottes auf Erden in einer langen Reihe mehr oder minder zusammenhängender, aber immerhin sehr bestimmt voneinander zu unterscheidender Einzelerscheinungen des Herrn.

So erschien er in geschichtlicher Folge und Ordnung erst seiner jungfräulichen Mutter und ihrem vertrauten Gatten; den von Engeln herbeigerufenen Hirten; den vom Stern geleiteten Weisen aus dem Morgenland; den auf den Trost Israels Wartenden (Simeon und Hanna) im Tempelhof; als Flüchtling in Ägypten; als Knäblein auf den Gassen und in der Schule zu Nazareth; als 12-jähriger Knabe den Schriftgelehrten im Tempel; als gereifter Mann dem Täufer am Jordan usw. usw. Das ganze Lebensbild des fleischgewordenen Wortes Gottes setzt sich zu einem einzigartigen Gesamtbilde aus lauter Einzeloffenbarung an verschiedene Kreise, Gruppen, Mengen und Einzelpersonen zusammen. Es hieße aller biblischen Analogie Gewalt antun, wenn man die noch zukünftige Bedeutung, Tragweite, Reichhaltigkeit, Vielgliederung und Mannigfaltigkeit ganz unvergleichlich über jene erste Offenbarungen emporragende Apokalypse Jesu Christi anders anschauen und behandeln, d. h. sie in den engen Rahmen der aus der römischen Scholastik herüber genommenen kümmerlichen Vorstellung eines „allgemeinen Weltgerichts“ hineinzwängen wollte. Da hat sich die bibelgläubige Theologie eines unverzeihlichen Versäumnisses schuldig gemacht. Daher ihre Unbeholfenheit und Hilflosigkeit auf dem Gebiete der „letzten Dinge“ und ihre offenkundige Verlegenheit gegenüber allerlei adventistischen und millennarischen Auswüchsen.

Doch zurück zu der uns besonders beschäftigenden Frage, die sich aus dem Bisherigen für uns dahin zuspitzt: Lässt sich aus Sach 12 und Offb 1:7 (verglichen z. B. mit 1Thes 4:13-17) mit ausreichender Klarheit und Sicherheit feststellen, für welche Kreise der Erdenbewohner die „Apokalypse Jesu Christi“ - die Gott ihm gegeben hat, seinen Knechten in Zeichen darzustellen, und von welcher Johannes schreibt - bestimmt sei und für welche nicht. Ich glaube, dass es darauf eine bestimmte, unanfechtbare Antwort gibt. Denn Paulus erklärt Röm 11:25, dass Israels nationales Verstockungsgericht nicht über die vollendete Sammlung der Vollzahl (Gemeinde) aus den Nationen hinaus dauern werde. Die Bedeutung der von Paulus 1Thes 4:13ff. in das atmosphärische Luftgebiet der Erde, zur Auferweckung der Toten in Christo und zur Verwandlung der lebend überbleibenden Glieder seines Leibes, erschöpft sich voll und ganz in der eben dadurch gesetzten Vereinigung des wartenden Herrn mit der Ihm entgegenharrenden Fülle Seines Leibes. Sie ist die unerlässliche Vorbedingung für jede später erfolgende Offenbarung des in Herrlichkeit vollendeten „Christus“, der nach 1Kor 12:12 aus Haupt und Gliedern besteht.

Die hier in Frage stehende Apokalypse Jesu Christi, wie Sacharja und Johannes sie geschaut und geweissagt, kann chronologisch keinesfalls als der Parusie des Herrn zur Vollendung und Hinwegnahme Seines Leibes, der Gemeine aus den Nationen, vorausgehende gedacht werden. Ein zeitliches Zusammenfallen ist aus sachlichen, inneren Gründen ebenso bestimmt abzulehnen. Denn es ist einleuchtend, dass wir es 1Thes 4:13ff. ganz allein mit der gläubigen Gemeinde aus den Nationen und unserer Versammlung zu Ihm zu tun haben; während Sach 12 und Offb 1:7 es offenkundig nur mit den Stämmen und Geschlechtern des Hauses Israel zu tun haben. Damit steht mir lückenlos fest, dass die Apokalypse Jesu Christi, die in Offb 1:1 und Offb 1:7 als das eigentliche, das ganze Buch seinem Charakter und Inhalt nach bestimmende Thema, gar nicht auf das Zeitalter, die Sammlung, Zubereitung und Vollendung des Leibes Christi durch den Stellvertreter Christi, den Heiligen Geist, zu beziehen sei, sondern deren abschließende Versammlung und Vereinigung mit ihrem erhöhten Herrn und Haupt zur stillschweigenden Voraussetzung hat. Dagegen beschäftigt sich das ganze Buch sehr eingehend mit der Zubereitung einer anderen, auch wunderbar herrlichen und bedeutungsvollen Körperschaft, der B r a u t des L a m m e s“, deren Signatur durch alle (besonders die alttestamentlichen) Weissagung hindurch ganz und gar israelitisch bestimmt ist.

Es soll später noch näher auf diesen Punkt eingegangen werden. Hier sei nur noch vorweggenommen, dass jeder prüfende Leser des Buches sich überzeugen kann, wie dasselbe ausklingt in die triumphierende Ankündigung: K o m m , ich will dir das W e i b zeigen, die B r a u t des L a m m e s (Offb 19:7; Offb 21:2.9ff. Offb 22:17).

Platz der Offenbarung im Kanon

3. Werfen wir einen prüfenden Blick auf den P l a t z der O f f e n b a r u n g im Kanon der n e u t e s t a m e n t l i c h e n Schriften, mit besonderer Rücksichtnahme auf die paulinischen Briefe, in welchen sich das Geheimnis von dem Leibe Christi der Gemeinde aus den Völkern, in durchaus erschöpfender Weise darstellt.

Die Zusammenstellung und Reihenfolge der Bücher und Briefe des Neuen Testaments sind keineswegs Sache des Zufalls oder der Willkür. Wir haben es, wie bei der ganzen Schriftoffenbarung mit einem wachstümlich entstandenen Organismus zu tun, dessen Zusammenhänge von dem ihn durchdringenden Lebensgeiste bedingt und bestimmt sind.

So liegt es durchaus in der Natur der Dinge, dass die vier sogenannten Evangelien am Eingang stehen, und dass ihnen die Apostelgeschichte folgt. Das muss geistlich und sachlich also sein. Mitten im Buch der Apostelgeschichte tritt nun eine merkwürdige Wandlung ein, die wieder bestimmend ist für die Gliederung der noch folgenden Schriften. Während, gleichwie in den Evangelien, so auch in der ersten Hälfte der Apostelgeschichte berichtet wird, wie die Offenbarung des Wortes Gottes in Christo sich innerhalb des auserwählten Gottesvolkes Israel vollzogen und entwickelt habe, tritt von da ab ein bedeutender Umschwung ein, der das ganze Buch zu einem Buch des Übergangs macht in eine ganze neue, nirgendwo geweissagte Ordnung und Folge der Dinge. Noch Apg 15 wird der jerusalemischen Muttergemeinde in Israel das klare Zeugnis ausgestellt, dass sie an geistlicher Einsicht, in die bisher durch keine bestimmte Prophetie angekündigten unerhörten Erweisung Gottes an den Nationen (d. h. an Nicht-Israel) durchaus auf der Höhe göttlicher Erkenntnis und Gnade stand. Mit großer Einstimmigkeit nimmt sie klar Stellung zu der gewaltigen Grundfrage nach der Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes für die gläubig gewordenen Nichtjuden. Sie begibt sich voll bewusst ihrer bis dahin unbestrittenen Führung und alleinigen Autorität in Sachen der Lebensordnung auf Offenbarungsboden. Sie anerkennt die volle Gleichberechtigung des nicht durch die Zwölfe, und nicht von Jerusalem aus ernannten und ausgesandten Apostels der Heiden und seines eigengearteten Evangeliums an die Völkerwelt, dass den Mosaismus vollständig umgeht und ausschaltet, und dass für gläubige Israeliten im „Leibe Christi“ keinerlei Vorzugsstellung kennt.

Es wäre durchaus eine grundlose, schnöde Verleumdung jener Muttergemeinde und ihrer apostolischen Lehrer und Führer, wollte man sie verantwortlich dafür machen, dass sie von da an samt den Zwölfen aus dem Aktionsfelde der Apostelgeschichte plötzlich, wie in einer Versenkung verschwindet. Nur beschränkter, heidenchristlicher Dünkel kann es fertigbringen, die Gemeine Jesu Christi aus Israel des geistlichen Versagens oder Fehlschlagens zu bezichtigen. Gleichwohl, sie verschwindet vom Schauplatz, und an ihre Stelle tritt der Siegeslauf des Evangeliums unter den Nationen, und statt des Zwölfgestirns der Apostel des Lammes leuchtet der eine, wunderbar strahlende Stern, des vom erhöhten Herrn aus dem Himmel her zur Sammlung einer übernationalen, himmlischen Gemeinde berufenen Paulus. Und die Apostelgeschichte, die mit der Schilderung der idealen Mutter- und Mustergemeinde zu Jerusalem eröffnete, schließt ab mit dem Gebundenen und Sklaven Jesu Christi in Rom, wo er sein Evangelium unverboten predigen darf, wenn auch selbst in der Kette.

Dann setzt, wieder in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz organischen Wachsens und Werdens, die paulinische Brief- und Gemeindeliteratur ein, die in sich ein vollendetes, wohl gefügtes und organisches Ganzes bildet, das in seiner Ausgiebigkeit und Vollständigkeit nirgendwo einer wesentlichen Ergänzung oder Abrundung aus der übrigen apostolischen Literatur bedarf. In seinen Briefen ist restlos alles enthalten, was zum vollen Wuchse des „Christus“ Haupt und Glieder als Eines gedacht, wesentlich ist. Mit den Briefen an die Thessalonicher (die chronologisch zu den frühesten des Apostels gehören, aber inhaltlich an deren Ende gehören, wo wir sie finden), vollendet sich die paulinische Unterweisung über das Geheimnis vom Leibe Christi mit der klassischen Weissagung über die Vollendung und Hinwegnahme der Gemeinde als solcher von der Erde, die dem im 2. Brief noch angetönten Hinweise auf den eigentlichen „Tag des Herrn“ voransteht. Hiermit kommt aber die apostolische Briefliteratur Neuen Testaments keineswegs zum Abschluss. Vielmehr tritt jetzt das vollständige Widerspiel dessen in Erscheinung, was wir in der Apostelgeschichte beobachten: dort verschwanden die Zwölfe als Apostel der Beschneidung ganz unvermittelt vom Schauplatz, und das dem einzigen Paulus vertraute Geheimnis vom „Leibe Christi“ füllt das Gesichtsfeld aus. (Dass dieses Zurücktreten der Zwölf weder willkürlich noch tadelnswert war, bezeugt Gal 2). Und nun erscheinen eben diese Apostel der Beschneidung wieder mit einer reichen Sammlung von Briefen an die zerstreuten Fremdlinge, an die zwölf Geschlechter, an die Hebräer, also dass wir deutlich gemahnt werden, an die von Paulus Röm 11:23.24 ausgesprochene Aussicht und Erwartung, dass - nach Vollendung des Leibes Christi, die Vollzahl aus den Heiden - die natürlichen Zweige wieder in ihren eigenen Ölbaum, das wahre „Israel Gottes“ eingepfropft werden sollen. Den Abschluss des ganzen neutestamentlichen Kanons bildet dann unsre Apokalypse, das unverkennbar am intensivsten israelisch gefärbte und gezeichnete Buch von allen.

Dass uns diese organische und harmonische Ordnung des so reichen Offenbarungsgehaltes des zweiten Teils der Bibel etwas besonders Wichtiges zu sagen hat, für die richtige Einschätzung gerade des letzten Buches, steht mir schon lange über allem Zweifel. Es scheint mir darin die Absicht des Heiligen Geistes zum Ausdruck zu kommen, unsere Aufmerksamkeit insbesondere auf die Erfüllung der Liebes- und Heilsgedanken Gottes mit dem Volke seiner unbereubaren Wahl hinzurichten. Leider ist in Wirklichkeit bei dem größten Teil, der aus den Heiden gläubig Gewordenen, dieses Ziel nicht erreicht worden. Selbst in den Kreisen, wo das Wort der Weissagung wieder Geltung und Wertschätzung gefunden hat, scheint man sich kaum klare Rechenschaft darüber zu geben, dass die nationale Bekehrung Israels sich doch nicht ganz vermittelt einstellen wird. Man scheint zu übersehen, dass das Auftreten des Heiligen Geistes in Jerusalem für eine Reihe von Jahren ausschließlich der Sammlung und Grundlegung einer rein nationaljüdischen Gemeinde gewidmet war. Diese unverwischbar deutlichen Ansätze, welche ohne jedes aus der Schrift nachzuweisende Verschulden oder Versäumen der Zwölfe, dennoch nicht in der geistlichen Wiedergeburt Israels, sondern vielmehr in dessen schaurigster Verblendung und Verstockung mündeten, - fordern aber gebieterisch eine dem göttlichen Plan und Anfang entsprechende Erfüllung und Vollendung, und zwar wieder auf echt jüdisch-nationalem Boden. Denn was für Segen und geistlichen Gewinn die durch Judenmission gewonnenen und bekehrten Israeliten der Gemeinde aus den Völkern eingebracht haben, für Israel als Volk bedeutet ihre Zahl nicht nur nicht Gewinn, sondern herben Verlust. In der Tat würde der ausgedehnteste Erfolg der Judenmission folgerichtig die Zerstörung des israelitischen Volkes durch Aufgehen und Verschmelzung mit der Völkerchristenheit bewirken. Das wird kaum anders zu deuten sein, als dass der nationalen Erneuerung zuerst das Wiederstehen rein national-jüdischer Gemeinden von gesetzestreuen Jüngern und Nachfolgern Jesu und der zwölf Apostel des Lammes vorausgehen muss und wird. Dem trägt meines Erachtens die Anordnung des Lehrstoffs im Neuen Testament vollständig Rechnung. Solche gläubige Israelitengemeinden werden einmal mit Büchern wie der Hebräer-, der Jakobus-, die Petribriefe und die Offenbarung in befriedigenderer Weise fertig werden, als es uns Christen aus den Heiden je möglich war.

Steht nun das Buch der Offenbarung, wie wir unter Punkt 2 erkannten, ganz im Zeichen der zukünftigen messianischen Gerichts- und Reichsoffenbarung des Menschensohnes, wie sein Titel besagt, dann kann sein Platz am Ende des neutestamentlichen Kanons, d. h. auf der Schwelle einer neuen Heils- und Weltzeit, speziell für Israel, nicht weniger bedeuten, als dass in ihm, in hervorragender Weise die Vorbedingungen und Voraussetzungen gegeben sind, die der Wiederaufnahme der göttlichen Heilsbeziehungen zu Israel im nationalen Umfange als Grundlage und Anbahnung zu dienen haben werden. Und das kann in keinem Fall in weniger bestehen, als in dem Wiedererstehen- ausgeprägt jüdischer, gesetzestreuer Gemeinden von Jüngern, die das „Zeugnis Jesu“ haben. Das führt uns zum nächsten Punkt dieser Betrachtungen.

Die sieben Gemeinden

4. Es ist eine besondere Eigenart des Buches der Offenbarung, dass dasselbe ausdrücklich an die s i e b e n kleinasiatischen G e m e i n d e n gerichtet ist, die mit Namen genannt werden. Etwas ähnliches bietet die ganze übrige Schrift nicht. An diese Eigentümlichkeit heften sich auch verschiedene Deutungen des Buches. Bei vielen Auslegern gilt, dass sowohl die sieben Sendschreiben, wie auch alles darauf folgende (bis Offb 19 oder Offb 20) als in der Hauptsache zeit- und kirchengeschichtlich der Vergangenheit angehöre. Es fehlt sogar nicht an Vertretern, dass auch das erst in Offb 20 näher bezeichnete tausendjährige Reich entweder ganz oder doch zum Teil bereits in der Vergangenheit liege, wenn wir nicht noch mitten drin ständen.

Weit größer ist wohl die Zahl derer, die gleich hinter Offb 3 einen markierten Strich machen, und nur die sieben Sendschreiben von der Entwicklung der gegenwärtigen Gemeinde aus den Nationen handeln lassen, dagegen von Offb 4 ab alles in die Zukunft verlegen. Es liegt gar nicht in meiner Absicht, die Gründe für oder wider diese auseinandergehenden Deutungen hier mehr als zu streifen. Nur der Tatsache, dieser erheblichen Differenzen sei hier gedacht. Sie bilden einen nicht unerheblichen Teil der Unstimmigkeiten, von denen im ersten Abschnitt dieses Aufsatzes die Rede war.

Adressaten der Sendschreiben

Nun aber tritt uns in der paulinischen Briefliteratur, die wie wir sahen, eine große Selbstständigkeit und Abgeschlossenheit mit Recht beanspruchen kann, das interessante Gegenspiel vor Augen, dass seine Gemeindebriefe ebenfalls sieben Gemeinden zu Adressaten haben. Es sind dieser Briefe allerdings neun, aber zwei der Gemeinden (Korinth und Thessalonich) haben je zwei Briefe empfangen.

Diese sieben (überwiegend heidenchristlich zusammengesetzten) Gemeinden sind nicht dieselben, an welche der Seher vom Patmos seine Sendschreiben richten musste, mit Ausnahme der Gemeinde zu Ephesus; und in den besten Handschriften der paulinischen Epistel, die den Namen trägt, fehlt diese Ortsbezeichnung, und ist der Brief wohl als ein Rundschreiben anzusehen.

Auch inhaltlich bestehen zwischen den beiden Gruppen so durchgreifende Unterschiede, dass wohl noch niemand auf den Gedanken gekommen sein wird, dass wir es hier mit denselben Gemeinden zu tun haben könnten. Ist es aber ausgeschlossen, dass Paulus und Johannes an die gleichen 7 Gemeinden geschrieben haben sollten, dann entsteht die sehr natürliche Frage, warum denn doch der Jünger von Patmos durch denselben Heiligen Geist, durch welchen Paulus in seinen Gemeindebriefen, auf eine durchaus vollendete Weise alle Tiefen und Höhen göttlicher Offenbarung über das Wesen, das Ziel und die Vollendung des ihm besonders vertrauten Geheimnisses von einem Leibe Christen aus allen Völkern erschöpfend behandelt hat, an eine zweite, grundverschiedene Gruppe von ebenfalls 7 Gemeinden seine Sendschreiben gerichtet haben sollte. Jeder Gedanke an Korrektur oder Ergänzung von Versäumtem oder Mangelndem ist für mein Erkennen und Empfinden vollständig ausgeschlossen. Auch kann das Beispiel von den vier verschiedenen Lebensbildern Jesu in den Evangelien nicht als Parallele zur Verwendung kommen, da der Fall ganz anders liegt.

Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass in keinem der 7 Sendschreiben der Offenbarung Grundfragen angetönt werden, wie sie uns aus den paulinischen Briefen so geläufig und vertraut sind, wie z.B. die Stellung der Gläubigen aus den Nationen zum Gesetz, die Darlegungen über die Einheit von Haupt und Gliedern am Leibe Christi u. a. m. Nicht ein einziges Mal wird auch nur das Wort „Gnade“ gebraucht. Überall klingt es durch von den „Werken“, die der in richterlicher Gestalt, mit Füßen von glühendem Erz, jene Gemeinden durchschreitende Herr, wägt und prüft. So ist ja auch diese Erscheinungsweise des erhöhten Herrn dem ganzen Charakter des Bildes, des Werdens und Wachstums der Gemeinde, die Paulus Seine „Fülle" nennt, in keiner Weise verwandt oder innerlich entsprechend. Wie kann ein in königlich-richterlichen Majestät auftretender Herr inmitten einer Gemeinde gedacht werden, die selbst bestimmt und berufen ist, erst das eigentliche „Maß seines vollen Wuchses“ zu bilden? Die gegenwärtige Gemeinde aus den Völkern ist der vom Heiligen Geist bewohnte, ernährte, in Zucht genommene, sich wachstümlich seinem unsichtbaren Herrn und Haupt entgegen bildende Leib d e s Christus, dem k e i n e Apokalypse in Herrlichkeit verheißen ist, die eben dieser Leib nicht mit Ihm teile. Der Heilige Geist hat dem Paulus, dem Träger und Offenbarer dieses Geheimnisses von dem Christus in uns, der Hoffnung der Herrlichkeit, - nichts gesagt von einem persönlich, sieben Sterne in seiner rechten Hand haltenden, „Menschensohne“, die Bezeichnung, deren sich Paulus nie bedient, der uns als Söhnen nur den „Sohn Gottes“ predigt und vom Himmel erwarten lehrt. Er lässt den persönlichen Christus nie zu uns sagen: „Ich werde bald kommen“, und zwar zu Gerichtshandlungen einschneidender Art, wie das Johannes nach Ephesus, nach Pergamus, nach Sardes, nach Philadelphia und Laodizäa melden muss. Dabei ist es meines Erachtens ausgeschlossen, die von dem gegenwärtig gedachten, jeden Augenblick als scharf eingreifend zu erwartenden Herrn, angedrohten Gerichtsakte auf die Stille, innere Zucht der heilbringenden Gnade durch den Geist Christi zu beziehen. Denkart, Sprachweise, Urteile und Androhungen, wie sie uns in den 7 Sendschreiben der Apokalypse immer wieder begegnen, sind dem ganzen Gepräge, der Vorstellungsweise, der sprachlichen und sachlichen Darstellung bei Paulus einfach fremd.

Gemeinden aus Israel

Nun hat sich je die gläubige Völkerchristenheit seit Jahrhunderten durch irrige Belehrung in Wort und Lied so sehr daran gewöhnt, nicht nur im allgemeinen überall in der Heiligen Schrift sich selbst zu suchen, sondern es ist ihr zu einem ungeschriebenen Lehrsatz geworden, dass sie das „wahre Israel“ sei. So hat sie es für selbstverständlich ansehen lernen, sich selbst in ganz israelitischem Gewand zu erblicken. Dabei hat sie unvermeidlich das Unterscheidungsvermögen fast vollständig eingebüßt, für die nicht geringen Verschiedenheiten zwischen ihr und ihrer älteren israelitischen Schwester, bzw. Mutter. Und der Gedanke, dieselbe könne oder werde am Ende der Tage noch einmal wieder in ursprünglicher Form und Gewand auf den Schauplatz der Geschichte kommen, ist ihr gar nicht vertraut oder geläufig. Ich weiß noch sehr wohl, was für gewaltige Schwierigkeiten es mir verursachte, dieser Vorstellung wirklich Raum zu geben, trotzdem ich mich seit etlichen Jahrzehnten die Frage von Israels nationaler Zukunft auf geistlichem Gebiet sehr beschäftigt habe, und ich durch meine praktische Arbeit im Evangelium an Israel dahin gebracht worden war, die Missionsmethode bestimmt abzulehnen und dem Wiedererstehen echt national und gesetzestreu stehender Gemeinden aus Israel das Wort zu reden. Aber als es dazu kam, mit der herkömmlichen Auffassung der 7 Sendschreiben des Johannes zu brechen, d. h. in ihnen die Gemeinde aus den Völkern, den Leib Christi nicht mehr zu erblicken, da entdeckte ich erst, was solch eine fortgesetzte, schulgemäße und herkömmliche Gebundenheit zu bedeuten hat. Die Tyrannei des Hergebrachten ist ungemessen.

Und doch liegt nichts klarer vor uns, als dass die Schrift nach Röm 11 bestimmt damit rechnet, dass eines Tages Israel und die Völkerchristenheit die Rollen tauschen werden. Jenes wird gewiss wieder eingepfropft werden in seinen eigenen Ölbaum; es wird nicht beharren im Unglauben, sondern den zu seiner Errettung hernieder kommenden Menschensohn in seinem Lande unter schwerster antichristlicher Drangsal mit Hosianna begrüßen, und die ihm von alters her zugedachte Stellung als Erstgeborener Jehovas unter den Völkern der Erde einnehmen. Die Völkerchristenheit dagegen, deren Abfall und Bankrott am Glauben nur zu offenkundig ist, die gedacht hat, das Evangelium ungestraft als Kulturfaktor und Kritikobjekt protegieren und ausnützen zu können, die in der Heidenmission vornehmlich Wegbereitung für die Erschließung von neuen Absatzgebieten für ihre Fabrikate erblicht hat, - die in keiner einzigen ihrer zahlreichen, geschichtlichen Verzweigungen und Ausgestaltungen „geblieben ist an der Güte Gottes“, wird mit ebenso unfehlbarer Sicherheit abgehauen und als unfruchtbar für Gott auf die Seite geworfen werden, wie das von 18 Jahrhunderten mit Israel geschah. Denn der Mund des Herrn Zebaoth hat es geredet. Es ist nur eine Frage der Zeit, und der gegenwärtige Weltkrieg möchte leicht die Ouvertüre dazu abgeben.

Die national-messianische Reichspredigt

Soll aber das Wort der Verheißung an Israel sich erfüllen, dann ist es schier selbstverständlich, dass die in Israel begonnene national-messianische Reichspredigt, welche durch des Volkes furchtbares Gericht eine vollständige Unterbrechung erfuhr, die bis heute noch andauert, auf dem gleichen Boden wieder mit Macht aufgenommen, und dann sieghaft bis zur vollen Aufrichtung des verheißenen Königreichs durchgeführt werde. Das hat schon der Herr in den Tagen seines Fleisches in Aussicht gestellt, da er den Zwölfen verhieß: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht fertig werden, bis der Sohn des Menschen kommen wird (Mt 10:23).

Auch ist ja jedem sorgfältigen Bibelleser klar, dass die Anbietung des Heils durch die Zwölfe in Jerusalem tatsächlich eine Aufforderung zu nationaler (nicht nur individueller) Buße und Beugung war, auf welche hin die verheißenen Zeiten der Erquickung und Wiederherstellung alles dessen in Aussicht gestellt wurden, davon Gott durch die Propheten von altersher gesprochen (Apg 3:19-21).

Alles das sind Linien, deren natürliche Verlängerung über die gegenwärtige Gemeindezeit hinaus (richtiger unter ihr hindurch) das Hervortreten gerade solcher national-israeliten Gemeindezeit erwarten lässt, wie sie der letzte Überlebende der zwölf Apostel des Lammes im Auftrag, des in richterlicher Macht und Majestät zukünftigen Menschensohnes, anzureden hat.

Damit darf ich wohl diese skizzenhaften Ausführungen zum Abschluss bringen. Dieselben wollen ja kein Versuch einer Auslegung sein, sondern nur eine Begründung meiner bisherigen Zurückhaltung in Sachen, einer mir wiederholt nahe gelegten „Erläuterung“ des Buches der Offenbarung. Wenn dieselben zu weiterem Prüfen und Forschen auf den angedeuteten Linien angeregt, und vielleicht auch in anderen Gemütern etwas mehr Zurückhaltung, in der o f t s e h r gewagten und willkürlichen Deutung der Apokalypse hervorgerufen haben, dann sind sie nicht umsonst geschrieben. Im übrigen bleibt es dabei: Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung, geschrieben in jenem wunderbaren, großartigen Buch, das aber seine eigentliche Erschließung meines Erachtens erst finden wird in den Tagen des Menschensohnes, da Ihm sein „Weib, die Braut des Lammes“ wird zubereitet werden, nachdem Sein Leib Ihm, wie es auch beim ersten Adam der Fall war, bereits aus dem Tode und der Sterblichkeit zu unvergänglichem Besitz und zu ausgedehntester Verwendung ist vollkommen angegliedert worden.

Diese Auffassung der Stelle und Bedeutung des letzten Buches unserer Bibel im großen Gesamtorganismus göttlicher Offenbarung ist mir ein befreiender Ausweg aus dem Labyrinth widersprechender Deutungen geworden.

Lies auch:
Gedanken zur Offenbarung Jesu Christi (B. Haake, Kolberg)