Rückkehr und Segen

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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort“ (Jahrgang 1923-25)
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.

Siehe weitere Abschriften

Das erste Buch Mose

von: Prof. E. F. Ströter
Inhaltsangabe: 1Mo 1-50

17. Rückkehr und Segen

Sechsundvierzigstes Kapitel

Jakob zieht nach Ägypten

So entschieden Gott dem Israel gewehrt hat nach Ägypten zu ziehen, so entschieden spricht Er dem Jakob zu, es zu tun (1Mo 46:1-4). Es war eine große Freundlichkeit Gottes, dass Er wohl die Rückführung seines Samens in das Land der Verheißung in Aussicht stellt, aber nicht sagt, wie schwer die Geburtswehen sein würden, unter denen sein Volk geboren werden sollte. Aber Er gibt ihm die bestimmte Zusage: „Ich will dich daselbst zu einem großen Volke machen“ (1Mo 46:3).

Auf diese Zusage bezieht sich das merkwürdige Wort in Mt 2:15 (Hos 11:1): „Aus Ägypten habe Ich Meinen Sohn gerufen.“ Das Wort ist doppelsinnig. Wir sind berechtigt unter Sohn das Volk (Israel) als Volk zu verstehen. Das unterliegt keinem Zweifel. So spricht die Schrift (2Mo 4:22): „Israel ist Mein erstgeborner Sohn.“

Das gilt nicht von einem einzelnen Israeliten, aber vom Volksganzen, so wie es dasteht in der großen Völkerfamilie, da der Allerhöchste die Grenzen der Völker setzte nach der Zahl der Kinder Israel (5Mo 32:8), d. h. Seine Führungen, geographisch und geschichtlich, mit Israel geschehen unverkennbar nach Maßgabe der Geschicke der Völker und Sein Verhalten gegen sie wurde bestimmt durch Sein Walten mit Seinem Volke Israel, wie es einem einsichtsvollen Blicke ohne Weiteres einleuchtet, wenn man die geographische Lage des verheißenen Landes, das für Heeres- und Handelszwecke der bisherigen Kulturwelt im Mittelpunkte (Hes 38:12; Jes 19:24) liegt, und wenn man die Leichtigkeit des Verkehrs nach allen Richtungen hin ins Auge fasst.

Die Völker haben dafür ein ganz richtiges Verständnis. Sie bauen Israel auf, haben Jerusalem im Auge, ohne dass sie es in ihr Programm schreiben. Der Suezkanal, Kapstadt-Kairobahn, die Bagdadbahn zielen alle diesem einen Mittelpunkte zu. Die Orientpolitik wird nicht in Konstantinopel noch in Rom, sondern in Jerusalem ihre Lösung finden, das in einem Erdenwinkel liegt, von dem aus alle großen, weltbewegenden Geistesströmungen ausgegangen sind. Gott wusste, weswegen Er für Sein Volk eine solche Lage erwählt hat.

Darum können wir mit voller Berechtigung den Schluss ziehen, dass mit der Wiederherstellung des Volkes Israel im Lande seiner Väter die große Welt- und Völkergeschichte unmöglich zum Abschluss kommen, sondern dass damit erst ein neuer Anfang und Aufschwung erfolgen wird. Denn in all den 3500 Jahren seines Bestehens bis auf den heutigen Tag ist Gott mit diesem Volk und seiner Mission nicht zu Ende gekommen, sondern es sind bisher nur Gerichtswege gewesen, furchtbare, scharfe Züchtigungen und Heimsuchungen, die Gott eingeschlagen hat, um es mürbe zu machen zur Wiederherstellung als Volk im Lande der Väter.

Mehr denn 3500 Jahre braucht Gott, das Volk für das Land und das Land für das Volk zu bereiten, um einst Seine Absichten zur Ausführung zu bringen. Dann wird sich eine neue Pforte öffnen für die Entwicklung des ganzen Menschengeschlechts auf Erden, und von diesem neuen geographischen und kulturellen Zentrum aus wird eine Belebung des Völkerwesens stattfinden, von der wir noch keine Ahnung haben. Denn wo immer heute ein Volk kurz aufgeblüht ist, da sehen wir, dass es eben so schnell wieder verderbt ist.

In zukünftiger Zeit aber ist ein Verderben ausgeschlossen. Wenn die Völker der Erde nicht mehr durch den Fürsten der Finsternis verblendet sind, werden sie Spielraum haben, sich frei auszuleben. -- Ehe es dahin kommt wird es freilich einen gewaltigen Streit im Himmel und auf Erden geben. Aber alles in der Schrift weist darauf hin, dass das Gericht kein Abschluss, sondern nur eine schreckliche Abrechnung für die bisherige Völkergeschichte sein wird, der ein Anfang einer neuen Völkergeschichte folgen soll, der jenseits der Gerichtsvollstreckung liegt.

„Daselbst will Ich dich zu einem großen Volke machen“ (1Mo 46:3), hatte der starke Gott zu Jakob gesagt. Gott in Seiner Erziehungsweisheit hat es gefügt, dass gerade in Ägyptenland Israel zu einem Volke heraus geboren werden sollte.

Eine merkwürdige Verlängerung dieser Linie aber ist es, wenn bei der Flucht Jesu nach Ägypten das Prophetenwort angeführt wird: „Aus Ägypten habe Ich Meinen Sohn gerufen“ (Hos 11:1). Es ist nur überraschend und befremdlich, dass uns über den Aufenthalt Jesu in Ägypten nichts gesagt ist. Es wird uns ein solcher einfach bekundet. Darnach wird dem Joseph im Traum befohlen, wieder in das Land Israel zurückzukehren, weil niemand mehr da sei, der nach dem Leben des Kindleins trachte. Was der Aufenthalt Jesu für Ägypten bedeutet, davon schweigt die Geschichte.

Angesichts dieses prophetischen Wortes aber darf man wohl den Schluss ziehen, dass, wie einst Israel selbst, so müsse auch der berufene König Israels vorübergehend einen Aufenthalt in Ägypten haben.

Es soll das wohl ein deutlicher Wink sein, dass Gott Seine Gedanken mit Ägypten in Beziehung zur zukünftigen Volksgeschichte Israels nicht aufgegeben hat. Irgendwie wird Ägypten noch einmal eine merkwürdige Bedeutung haben für die Geschichte Israels. Das ist auch tatsächlich ausgesprochen in jener Stelle Jes 19:19-25. Die dort erwähnte Säule oder der Malstein ist wohl eine Anspielung auf die große Pyramide von Giseh, die genau im Mittelpunkt steht eines geographischen Kreisabschnittes, der begrenzt wird von der Küste, dessen Mittelpunkt zugleich aber auch an der Grenze liegt.

So gewinnt die Doppelbestimmung, die ein Selbstwiderspruch zu sein scheint, ihre vollständig befriedigende Lösung. Diese Pyramide nun soll dem Herrn Zebaoth ein Zeichen und Zeugnis sein in Ägyptenland.

Musste Jesus als Knabe nach Ägypten kommen, so konnte Er damit ebenso wenig dessen Retter sein, wie Er es für Sein Volk geworden ist. Bei Seinem zweiten Kommen aber werden die Ägypter den Herrn erkennen. Also wird (1Mo 46:22) Jehova wieder das Gericht zum Heile wenden.

Wir begegnen also hier demselben Leitgedanken, den wir schon oft gefunden haben. Die Ägypter werden sich zum Herrn bekehren und Ihn anflehen, und mit den Assyrern, also beide Urfeinde Israels, den Zwecken Jehovas dienen. Als drittes, nicht als erstes gesellt sich zu ihnen auch Israel, und sie zu dritt sollen ein Segen sein inmitten der Erde.

Der Herr wird dann sagen: „Gesegnet bist du Ägypten, Mein Volk, und du Assur, Meiner Hände Werk, und du Israel, Mein Erbteil.“ Ein wunderbares Wort.

Aus allem ersehen wir, welch merkwürdige Bedeutung Ägypten haben wird bei Abwicklung der zukünftigen Weltgeschichte. Doch heute schon zeigt sich, dass ein Empfinden davon unwillkürlich instinktmäßig durch die Völkerwelt geht.

Siebenundvierzigstes Kapitel

Das hier berichtete Erlebnis, nämlich dass Jakob mit siebzig Seelen nach Ägypten kam, dass er eine Begegnung mit Pharao hatte und ihm von diesem das Land Goschen angewiesen wurde (1Mo 47:1-6), ist einer der wichtigsten Wendepunkte in der Geschichte des Hauses Jakobs geworden.

Niemand von ihnen ahnte, von welcher Tragweite dieser Umzug aus dem Lande der Verheißung in das Land Ägypten sein würde. Dass dieser Umzug durchaus im Rat und Plane Gottes war, untersteht uns gar keinem Zweifel.

Der Herr selbst hatte ja erst kürzlich wiederum Seinem Knecht Israel die Zusicherung gemacht: Fürchte dich nicht, gehe nach Ägypten. Ich bin mit dir, Der starke Gott (1Mo 46:3).

Jakob segnet den Pharao

Nun begegnet Jakob dem Fürsten über Ägyptenland. Nachdem Joseph seinen Vater zu Pharao hineingebracht hatte, wird uns das einfache Wort, aber wiederholt gesagt: Jakob segnete den Pharao (1Mo 47:7-10). Es mochte ja wohl den großen stolzen König über ein mächtiges Weltreich eigenartig berühren, dass dieser Herdenfürst, dieser Ausländer, dieser Fremdling, der vom Norden kam, ihm entgegentritt als ein Segnender.

Wir wissen aus der Schrift, was das bedeutet. Ohne Zweifel ist es so, dass der Höhere den Geringeren segnet. Dafür hatte wohl Pharao Verständnis genug. Von Seiten des Vaters Jakob war es für Pharao eine prophetisch-sinnbildliche Handlung, die, wie wir aus der bisherigen Geschichte schon genügsam erkennen, mit ihrem Finger weit hinausweist in die Zukunft. Im Vordergrund liegt schon eine großartige Erfüllung. Wir begegnen ihr nachher noch in den folgenden Kapiteln.

Pharao wurde in ganz überwältigender Weise gesegnet durch die kluge, geschickte Verwaltung des Sohnes Jakobs, der es dahin brachte, dass ganz Ägyptenland, Äcker, Felder, Vieh, Menschenkinder, vollständig in den Besitz des Königs kam (1Mo 47:13-26). Das war nun freilich ein Verfahren, das von Seiten ungläubiger Menschen sehr scharf verurteilt wird und an dem natürlich denkende Menschen großen Anstoß nehmen, wie an so vielen andern Dingen im Worte Gottes.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir es hier wiederum mit großen, deutlichen Modellen, Musterformen unseres großen Gottes zu tun haben. Und wenn nun schon hier im Vordergrunde gleich eine so umfassende, gewaltige Erfüllung dieser prophetischen Segnungen, die Gott aussprechen ließ über das Haupt Pharaos, vorliegt, mit wie viel größerer Berechtigung dürfen wir dann ferne, zukünftige, großartigere Erfüllungen der Segnungen Jakobs über Ägypten und dessen König, in dem uns ja die Weltmächte entgegentreten, erwarten.

Dass Israel in den tiefen Schlagschatten schwerer Gerichtswege hineintritt, bedeutet also für Pharao und Ägypten einen unbeschreiblichen Segen. Denn es ist ja unbestreitbar, dass furchtbare Heimsuchungen im Gefolge des Umzugs des Hauses Jakobs nach Ägypten über Israel kamen.

Da haben wir wieder in einer verhüllten Deutlichkeit – sie sind erkennbar und doch nicht außen an den Vorhang geschrieben; doch wer Augen hat zu sehen, der sieht sie, -- Züge, die so klar heraustreten im NT, von dem verborgenen Rat Gottes, dass Israels Hineingehen ins Gericht für die Welt eine Fülle von Segnungen bedeutet.

Die Annahme aber Israels bedeutet unendlich mehr Segen als die Gerichte über Israel. Denn wenn nach Röm 11:12.14 Israels Fall der Welt Reichtum geworden ist, dann müssen der Welt ungeahnte Segnungen zufließen durch den Eingang der Vollzahl aus den Nationen zur gottgewollten Stellung bei dem Herrn und die darauf folgende Errettung Israels, und wenn ihre Verwerfung Versöhnung für die Welt bedeutet, dann wird ihre Wiederannahme nichts anderes für die Welt bedeuten als eine Auferstehung!

In dem vorliegenden Abschnitt (1Mo 47:13-26) kommt also die erste geschichtliche Erfüllung dieses Segens Jakobs über das Haupt des großen Weltreichs.

Durch ungemein kluge Verwaltung bringt Joseph den gesamten Besitzstand des ägyptischen Volkes – Felder, Äcker, Vieh, Persönlichkeiten – auf ganz natürliche Weise in die völligste Abhängigkeit von dem Monarchen. Das bedeutet ja die Erhaltung ihres Lebens, die Rettung und Bewahrung in der ganz entsetzlichen Hungersnot.

Dieser Zug braucht uns aber nicht zu stören. Im Gegenteil: er veranschaulicht nur wieder ganz deutlich, dass auch die letzten, großen, allumfassenden Rettergedanken Gottes nie getrennt werden können von den schwersten, schärfsten Gerichtsheimsuchungen Gottes. Das ist der Farbton, den alle diese Bilder zeigen. Nur durch Gericht geht es zum Leben, zur Rettung, Bewahrung, Gnade.

Darüber steht dann mit unverkennbarer Deutlichkeit, dass dieser große Joseph es ist, der durch die wunderbare Benutzung der gegebenen schwierigen Verhältnisse, der furchtbaren Notlage es zu Stande bringt, dass alles in die Hände dessen kommt, zu dessen Rechten Er erhöht ist.

Die Folgerungen daraus können wir leicht selbst ziehen, ohne Zwang und Mühe. Gottes großer Joseph, den Er erhöht hat zu Seiner Rechten, wird es fertig bringen, das ganze Volk, die ganze Bewohnerschaft der Erde zum vollständigen Bankrott zu bringen, und sie davon zu überführen, dass Er allein es ist, der Rettung bedeutet für ihr Leben und für alles, was sie haben: und dass diese einzig darin liegt, dass sie mit Leib und Leben und allem Eigenen ein ungeteiltes Eigentum Gottes werden. Das ist hier so einfach gezeigt, wie es uns viele Worte nicht deutlicher machen könnten.

Jakob weist sein Begräbnis an

Jakob gab vor seinem Ende noch seinem Sohne die Weisung, ihn nicht in Ägyptenland zu begraben, und nahm ihm darüber einen Schwur ab (1Mo 47:29-31). In Hebr 11:22 wird uns nicht von Jakob sondern von Joseph berichtet, dass er durch den Glauben Befehl getan habe von seinen Gebeinen.

Aus unserer Geschichte ersehen wir, dass Joseph diese Gedanken, diese tiefe innere Stellungnahme zu der Frage von seinem Vater Israel übernommen hat; doch erst bei ihm wird es als ein Beweis und Beispiel von der Bedeutung und der Macht des Glaubens hervorgehoben.

Hier aber ist es der Erzvater selbst, der sich schwören lässt, dass Joseph ihn nicht in Ägypten begraben werde, dass seine Gebeine nur in Kanaan bestattet werden. Das war wohl eine der kräftigsten Zeugnisse, das Jakob ablegen konnte, auch zur Warnung für seinen Joseph, der hier dasteht als Sohn des Vaters, nicht als Herr, sondern als Untergebener, der einen Auftrag erhält; und es war wohl die wirksamste Weise, es dem Joseph, in dessen Hände das Geschick des Hauses Jakobs gelegt war, klar zu machen, dass es unter keinen Umständen in dem Geschlecht Jakobs dahin kommen dürfe, Ägypten zu seinem Heimatland zu machen. Niemals dürfe es sich dort niederlassen. Ausdrucksvoller als durch den Eid darauf konnte das gar nicht wiedergegeben werden. Dieses Verhalten ist ein Beleg dafür, wie treu und gewissenhaft er der Gefahr, die ja so nahe lag, entgegentrat, sich in die neue Lage zu schicken; zu denken, es sei unverkennbare Führung Gottes, nicht Kanaan, sondern Ägyptenland dauernd zum Wohnsitz zu nehmen.

Joseph hätte ja das Zeug gehabt, eine Dynastie zu gründen. Die Versuchung, sich durchzudrücken, einen höheren Stand einzunehmen, lag für ihn so nahe. Ein andrer aus ihnen hatte später wieder die ausgiebigste Gelegenheit, dynastische Gelüste aufkommen zu lassen: Mose, der an den Hof gebracht und als Erbe des Thrones erzogen wird. Aber auch für ihn wie für Joseph ist maßgebend der Gehorsam des Glaubens, der gegenüber allen Gelüsten, sich dauernd niederzulassen in dem reichen Lande, alle Versuchungen, Ägyptenland als Wohnstätte des Volkes zu erlesen, im Glauben ablehnen muss.

Joseph also schwört; und er hat diesen Schwur nicht nur gehalten, sondern ihn weitergegeben für sich selbst auf seine Kinder und Brüder.

Achtundvierzigstes Kapitel

Jakob segnet das Haus Josefs

Als Joseph angesagt wird, sein Vater sei krank, bringt er seine beiden Söhne zu ihm. In 1Mo 48:1 werden sie genannt in der Ordnung, wie sie geboren worden sind: Manasse und Ephraim.

Aber gleich darnach (1Mo 48:5) sehen wir einen neuen Beleg für den Gedanken, von dem wir schon öfter gesprochen haben, von dem ersten und zweiten. Wieder ist erster nicht der, der eigentlich von Natur der Erstgeborene war, auf den der Segen des Erstgeborenen übergeht von Jakob, wiewohl Joseph das ganz bestimmt wollte und suchte, sondern erst der zweite. In der natürlichen Ordnung von 1Mo 48:1 tritt eine Änderung ein; die Gnadenordnung fordert das Umgekehrte. So setzt Jakob schon am Anfang seiner Abschiedsrede an Joseph den Ephraim vor (1Mo 48:5).

Nach 1Mo 48:6 spricht Jakob von nachgeborenen Söhnen Josephs, obwohl wir in der Geschichte keine Spur davon finden. Es muss wohl solche gegeben haben, sie erscheinen aber nirgends, auch in 1Mo 50:23 nicht.

Joseph führte seine beiden Söhne zu Jakobs Rechten und Linken. Er hatte die Absicht, dass der in seiner linken Hand geführte erstgeborene Manasse von der rechten Hand, und der in seiner rechten Hand geführte Ephraim von der linken Hand Jakobs gesegnet würde (1Mo 48:13), genau so bestimmt, wie Isaak wollte, dass Esau den Segen des Erstgeborenen erben sollte.

Jakob aber streckte seine linke Hand auf das Haupt des rechtsstehenden Manasses, und seine rechte Hand auf das Haupt des linksstehenden Ephraims, seine Arme also verschränkend (1Mo 48:14). Da haben denkende Juden schon früh entdeckt, dass diese wunderbare Segnung unter dem Zeichen des Kreuzes geschah, weil Jakob seine Arme kreuzte. Das Kreuz bedeutet die Umkehr der natürlichen Ordnung, die Durchquerung aller eignen noch so berechtigten Gedanken.

Joseph hatte das beste Naturrecht für sich, zu erwarten, dass sein Erstgeborener die Verheißung des Erstgeborenen erbe (1Mo 48:17.18). Bei Gott aber werden alle natürlichen Bestrebungen einfach gekreuzt (1Mo 48:19.20); es tritt eine ganz neue Ordnung der Dinge ein durch das Kreuz.

Neunundvierzigstes Kapitel

In diesem Kapitel spricht der scheidende Patriarch von zukünftigen Tagen. Seinen Worten ist deutlich der prophetische Stempel aufgedrückt. Es sind da nicht nur merkwürdige Dinge gesagt, sondern es wird auch eine bedeutsame Unterscheidung gemacht zwischen den zehn Brüdern und den beiden Erstgeborenen Juda und Joseph.

Beachtenswert ist ferner, dass in diesem Segen nur das Gesamthaus Josephs genannt wird. Ephraim und Manasse haben schon in besonderer Weise ihre Einverleibung in die zwölf Stämme erfahren und den ihnen eigentlichen Segen, den Stammessegen empfangen (1Mo 48:14-21). Darum ist es ganz entsprechend, dass in unserm Kapitel nur Joseph erscheint, als der Vater dieser beiden Söhne.

Ruben verliert das Erstgeburtsrecht

Im Falle Ruben (1Mo 49:3.4) haben wir ein ergreifendes Beispiel dafür, dass Fluch ein Übergehen bedeuten kann. Man kann sein Erstgeburtsrecht verscherzen, bleibt aber dennoch Sohn. Das Vorrecht geht auf einen anderen über. Das hat man nicht recht begriffen.

Wie wenig es der Fall ist, zeigt sich gegenüber dem Wort Jehovas, Er habe Jakob geliebt und Esau gehasst (Mal 1:3.4); Röm 9:13). Nie ist Esau verdammt und verflucht worden, und er ist auch nie in unserem Sinne verloren gegangen. Aber er verlor den Segen der Erstgeburt und konnte ihn nicht wieder bekommen, obwohl er ihn mit Tränen suchte (1Mo 27:38; Hebr 12:17). Das ist eine einfache, aber sehr wichtige Wahrheit, die uns hier wieder so deutlich entgegentritt.

In den Worten über Simon und Levi (1Mo 49:5-7) ist das Wort beachtenswert: „Verflucht sei ihr Grimm“, -- nicht sie. Wir haben hier ein Beispiel dafür, dass ein bloßes Gericht über eine Zornestat einen Segen in sich schließen mag. Denn Jakob spricht in tiefer Entrüstung, mit Unwillen. Das sieht nicht aus wie Segen, wohl aber wie schwere, scharfe Verurteilung. Aber was nun in Form von Gericht, Bestrafung, Heimsuchung ausgesprochen ist, das ist in wunderbaren Segen verwandelt worden, besonders im Hause Levi.

Judas Segen

Je fünf Verse beschäftigen sich mit Juda (1Mo 49:8-12) und Joseph (1Mo 49:22-26). Beiden wird ein bedeutend größerer Raum gegeben im Rahmen der Segnungen des Vaters als allen übrigen Brüdern.

1Mo 49:8 besagt, Judas Führerschaft werde anerkannt werden.

1Mo 49:9-11 ist eine der köstlichsten messianischen Weissagungen von dem Löwen aus Judas Stamm.

Zu 1Mo 49:14 ist anzumerken, dass der Esel damals ein höheres Ansehen genoss als heutzutage. Wir haben eine verächtliche Meinung von ihm, da er sich weder durch seine Gestalt noch durch seine klangvolle Stimme auszeichnet; aber er ist im Morgenlande ein überaus nützliches Tier.

Worte über Dan

Die Worte über Dan (1Mo 49:16.17) verraten ein gewisses Maß von Hinterlist.

In 1Mo 49:18 findet sich eine merkwürdige, köstliche Unterbrechung inmitten der Segnungen: „Herr, ich warte auf Dein Heil.“ Es ist als ob das Schwere, das durch Dan in das Haus Israel kam, -- Dan war der Stamm, durch den zuerst der Götzendienst in Israel eingeführt wurde – in besonderer Weise tief das Gemüt des Propheten niedergedrückt und ihm diesen hoffnungsfrohen Seufzer entrungen hätte: „Herr, ich warte auf Dein Heil“, angesichts des Unheils, das eines meiner Kinder in mein Volk bringen wird.

Eine ganz eigenartige Verheißung wird über Benjamin ausgesprochen (1Mo 49:27).

Zuletzt gibt Jakob noch bestimmte Weisung, wo er begraben sein will (1Mo 49:29-32). Es ist auffallend, mit welcher Eifersucht und Schärfe auch heute noch das Grab Abrahams von Ismael bewacht wird. Man kann in alle heiligen Stätte der Mohammedaner kommen in Kanaan und Arabien, aber Abrahams Grab wird so eifersüchtig bewacht, dass es geradezu lebensgefährlich wäre, da hinein zu gehen.

Fünfzigstes Kapitel

Totenklage und Begräbnis Jakobs

Nach der üblichen Einbalsamierung und der öffentlichen Totenfeier der Ägypter über dem Hinscheiden des Vaters Josephs (1Mo 50:2.3), erfolgte die Überführung des Leichnams nach Kanaan und die feierliche Totenklage (1Mo 50:4-13).

Diese siebentägige Feier und Klage (1Mo 50:10) ist wohl die geschichtliche Veranlassung zu der auch heute noch in Israel bestehenden Sitte, dass man nach dem Tode eines Verwandten sieben Tage nicht auf dem Stuhl, sondern auf der Erde sitzend, die Totenklage hält und die Totengebete spricht (Kaddisch).

Wir wissen, was es für fromme Israeliten bedeutet und wie furchtbar ganze Familien beeinflusst, ja tief geschädigt und erschüttert werden, wenn aus Israel irgend ein Glied einer Familie durch Übertritt das Judentum aufgibt. Dann müssen die Angehörigen dieser Familie nicht nur wie gewöhnlich bei einem Todesfall sieben Tage auf dem Boden im Sack und in der Asche sitzen und kaddisch sagen, sondern vierzehn Tage. Es gilt so schwer wie ein doppelter Todesfall. Alle Glieder der Familie gelten alsdann als verflucht. Das ist die Bedeutung, wenn man einen Juden veranlasst, den Zusammenhang mit dem Volksganzen zu lösen.

Dass man den Ort „der Ägypter Klage“ nannte (1Mo 50:11), ist ein Beleg dafür, wie wenig Einblick diese Kananiter hatten, die Vorgänge, die sich vor ihren Augen vollzogen, recht zu verstehen. Wenn die Kinder Israel mit Recht bezichtigt werden, dass ihre Augen gehalten sind, Jesum recht zu verstehen, dann gilt das ganz gewiss nicht im geringeren Grade von den Völkern, die von den Dingen Gottes auf das allerdeutlichste berührt werden, ohne dass sie ein rechtes Verständnis dafür gewinnen.

Diese Kananiter hätten ohne Mühe sich Bescheid verschaffen und dabei erfahren können, dass es sich um den Besitz des Landes handelte. Es traten hier ja nicht auf Ägypter, sondern die Söhne, die unmittelbaren Nachkommen der Väter, die vor kurzem aus eben diesem Lande nach Ägypten ausgewandert waren und die mit ihrer Handlung ein deutliches Zeugnis angesichts der Kananiter ablegten, dass diese „Ägypter“ Anspruch machten auf das Land, in dessen Todesschoß sie diesen Menschen bestatten wollten.

Das Land dafür gehörte ja den Hethitern, aber Abraham hatte es zu einem Erbbegräbnis gebraucht und erworben. Wie Abraham und Isaak, so wird auch Jakob dort beerdigt.

Bei all der Erkenntnis, die die Kananiter von solchen Vorgängen hatten, enthüllt sich uns hier doch, dass sie die sinnbildliche Bedeutung der Handlung nicht erfassten. Sonst hätten sie nicht gegen die Ägypter protestiert, sondern das Zeugnis der Söhne Jakobs abgelehnt, das sich vor ihren Augen vollzog

Und dann kommt eine Wiederholung jenes bedeutungsvollen Vorgangs, da Joseph sich seinen Brüdern zu erkennen gab (1Mo 50:17-21). Es ist besonders schön in der Schrift, dass sie solche inhaltsreiche Lehre, Worte und Beispiele mit großer Vorliebe wiederholt. Freilich nicht eine genaue Wiederholung ist es, die äußeren Verhältnisse waren seitdem ganz anders geworden.

Aber es lag nur an den Brüdern Josephs, dass sie nach des Vaters Tode in große Bedrängnis getrieben. In der langen Zwischenzeit hatten sie ihn gesehen, kennen gelernt, nur Gutes und Liebes von ihm erfahren und dennoch wacht ihr Gewissen auf.

Man muss die Brüder in Verdacht haben, dass sie sich die Geschichte selbst zurecht gemacht haben. Von einer Botschaft Jakobs an Joseph zu Gunsten der Brüder sagt die Schrift gar nichts. Das ist eine sehr erklärliche aber menschliche Machenschaft, um einen gelinden Ausdruck zu gebrauchen, die sich diese lieben Söhne Jakobs erlauben, um ihren Bruder Joseph zu besänftigen, der nach ihrer Vorstellung ja nun keine Rücksicht mehr zu nehmen brauche auf seinen Vater, sondern Gelegenheit nehmen könne, sein Mütchen zu kühlen, um ihnen die furchtbare Schande, die sie ihm verursacht, heimzuzahlen.

Die freundliche Antwort Josephs aber braucht unser großer Gott als Anlass, die ganze Tiefe des Erbarmens, das Er in Seinen Knecht Joseph durch den Geist der Gnade hineingelegt hat, als Weissagung hervorquellen zu lassen zum andern Mal (1Mo 50:18-21). Das ist eine der köstlichsten Bestätigungen des tiefen, unerschütterlichen Liebesrates Gottes, wie Er in den Schriften des AT so ergreifend zum Ausdruck kommt (Jes 49:15; Jer 31:20).

Es begegnen uns freilich in den Psalmen und Propheten Anklagen, die diesen Verheißungen nicht zu entsprechen scheinen. In den Psalmen wird der Herr zuweilen erinnert an Seine Verheißungen und die Taten, die Er getan, und dann heißt es weiter: „Du aber hältst Dich hart gegen uns“, und man klagt, dass man es nicht verstehen könne, wie Gott Israel den Feinden übergebe. Dann aber sind die Beter wiederum so fröhlich und voll der Dankbarkeit über der großen, reichen, tiefen Gedanken der Erbarmung und Liebe Gottes.

Die Miniaturbibel übersetzt 1Mo 50:19: „Bin ich denn an Gottes Statt?“ und Luther: „Ich bin unter Gott“. Sicher kann man die Worte in die Form einer Frage fassen, aber die Lutherische Fassung entspricht wohl besser dem Zusammenhang. Die Miniaturbibel setzt wohl den Sinn voraus: Nicht mir, sondern Gott habt ihr zu bekennen. Er lehne es darnach ab, dass sie bei ihm Vergebung suchen; die sollen sie da suchen, wo sie zu finden ist, bei Gott.

Gegen diese Übersetzung wäre an sich nichts einzuwenden. Tatsächlich aber entnehmen wir der Geschichte nur die Vorstellung, dass Joseph uns ein Vorbild ist auf den großen Joseph, in dem die Macht der Vergebung, Liebe, Gnade zum Durchbruch kommt über alle natürliche Rache und Vergeltung. Und das deckt sich besser mit der anderen Übersetzung: „Ich stehe unter Gott“, stimmt auch mit dem Inhalt der übrigen Worte überein: Fürchtet euch nicht; Gott ist es ja, der mich und euch hierher geführt hat. Er weist sie bestimmt darauf hin, dass seine Führung eine Ordnung, Bestimmung Gottes Selber ist. Damit aber wird ihre Sünde weder entschuldigt noch geleugnet.

In 1Mo 50:20 ist derselbe köstliche Gedanke, den er in 1Mo 45:5.7.8 in andrer Form aussprach. Wenn er aber sagt: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen“, fasst er sie bei ihrer bösen Gesinnung an, und das wird einmal ja auch geschehen, wenn „sie werden klagen, wie man klagt über ein einziges Kind, und wie man sich betrübt um einen erstgeborenen Sohn“ (Sach 12:10), wenn es zu einer Begegnung Israels mit ihrem Jesus kommt.

In den Worten: „Aber Gott gedachte es gut zu machen“, tritt uns jener einfache, jedoch gewaltige Grundsatz entgegen, den der Herr in die Form eines Gebots, eines Befehls, einer Mahnung an die Seinen fasst: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Röm 12:21). Das tut Joseph hier; und darin spiegelt sich deutlich wieder diese tiefste Gesinnung seines und unsers Gottes, und von da aus betrachtet ist es ein völlig unmöglicher Gedanke, anzunehmen, unser großer Gott könne von uns, Seinen sündigen Kindern nicht erwarten, dass wir Böses mit Gutem überwinden.

Wenn Gott aber von Seinen geistgeborenen Kindern solches erwartet, dann solle Er nicht im Stande sein, das gleiche fertig zu bringen? Das hieße ja alles auf den Kopf stellen, was Gott in Seinem Worte geredet hat!

Joseph wohnte in Ägypten mit Kindern und Kindeskindern (1Mo 50:22.23), in dem klaren Verständnis, dass es nicht seine Sache sei, mit Ausnützung seiner Machtstellung für seine Brüder und deren Kinder Kanaan durch das Schwert zu erobern und dessen Bewohner zu vertilgen. Die Möglichkeit dazu lag für ihn da, wie beim Herrn, der zu Seinen Jüngern sagte: „Könnte ich nicht Meinen Vater bitten, und Er gäbe mir mehr denn zwölf Legionen Engel“ (Mt 26:53)?

Das hätte er gekonnt, aber er tat es nicht. Es wäre dem Joseph gewiss nicht schwer gewesen, Pharao zu bewegen, diesen Eroberungszug zu unternehmen, der gegründet gewesen wäre auf die bestimmten Verheißungen Gottes. Damit aber hätte Joseph Gott nur vorgegriffen und einen Missgriff getan. So bleibt er denn in Ägypten und beugt sich unter die bestimmte Zusage auch des Gerichts: „Dein Volk soll Knecht sein in Ägyptenland vierhundert Jahre“ (1Mo 15:3), im Gehorsam gegen Gott.

Über die Bedeutung der Verordnung Josephs, seine Gebeine im Land der Verheißung zu bestatten, ist weiter oben gesprochen worden.

Und nun kommt der ganz eigenartige Schluss dieses bedeutungsvollen ersten Buches der Schrift. Es schließt mit Ägyptenland (1Mo 50:26). Das ist ein merkwürdiger Ausklang dieses Abc-Buches unseres Gottes.

Gerade die Gestalt, die in so reicher satter Fülle von Herrlichkeitsfarben vor uns steht, gerade die schönste, edelste Erscheinung auf dem Boden des ganzen ersten Buches der Bücher, die Gestalt Josephs, wird am Ausgang dieses Buches in einen Sarg in Ägypten gelegt. Warum klingt das Buch so aus? Was will uns das sagen?

Wir können nicht anders als darin wieder eine Bestätigung zu finden der ganzen Auffassung, die wir gewonnen haben von diesen Vorgängen, nämlich dass sie sich nie in sich erschöpfen, sondern weit hinausreichen über sich selbst in die ferne, ferne Zukunft. Das unterstreichen uns hier diese Worte wie mit einem großen Strich.

Wir wissen, es muss zur Überführung in das Land der Verheißung kommen. Die Linien, die scheinbar abgebrochen sind, sind nicht zu Ende. Sie werden in einem ganz anderen Lande, auf einem anderen Boden ihre Fortsetzung finden.

Das Zeugnis von diesem Knecht kommt nicht damit zum Abschluss, dass man ihn in Ägyptenland ins Grab gelegt hat, sondern es harrt seiner eine herrliche, großartige Auferstehung. Es ist nur ein ausgestreutes Samenkorn von Herrlichkeit für die Auferweckung und Ausgestaltung in zukünftigen Zeiten.

Das ist in kurzem Umriss der Inhalt dieses kurzen Wortes, in dem der Finger Gottes hinausweist über die geschichtliche Bedeutung dieser Begebenheiten in weite, weite Zeitalter, die heute noch nicht angebrochen sind, die sich aber anbahnen.

Es mögen die herrlichsten Gedanken unseres Gottes lange schlummern, wie in einem Sarge in Ägyptenland, aber der Tag der Auferweckung und Durchführung kommt, und alles weitere dient nur diesem einen Zweck, dass das Samenkorn viele Frucht bringt.