Kain und Abel

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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort“ (Jahrgang 1923-25)
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.

Siehe weitere Abschriften

Das erste Buch Mose

von: Prof. E. F. Ströter
Inhaltsangabe: 1Mo 1-50

3. Kain und Abel

Viertes Kapitel

Wenn wir dieses Kapitel auf die Reihenfolge hin ansehen, wird uns klar, dass wir hier keine zeitliche Anordnung der Ereignisse vor uns haben.

Es ist nicht zu denken, dass die Zeugung und Geburt Seths (1Mo 4:25) und dessen Sohnes Enos (1Mo 4:26) erst nach der Geburt all der Kinder Kains, von denen wir 1Mo 4:17-24 lesen, stattgefunden habe und erst eingetreten sei, nachdem alles geschehen, was vorher berichtet war.

Aus den Worten Kains nach dem Morde Abels geht hervor, dass es damals eine nicht unbedeutende Nachkommenschaft Adams gegeben haben muss, denn die Bibel weiß nichts von einer Menschheit, die nicht Adams Söhne wären.

Bei der Langlebigkeit jener Zeit kann man sich leicht vorstellen, dass schon vor dem Morde eine bedeutende Anzahl von Nachkommen Adams auf Erden gelebt haben muss; sonst wären die Worte Kains ganz unverständlich. Niemand konnte ihn totschlagen, der nicht da war.

Also eine größere Nachkommenschaft war da. Diese Einsicht genügt, zu erkennen, dass wir durch die berichtete Aufeinanderfolge uns nicht gebunden halten dürfen.

Wir finden hier ein Verhältnis ähnlich dem des ersten Kapitels zum Zweiten: im zweiten Schöpfungsbericht finden wir, was schon im ersten Kapitel festgelegt war, aber es wird da weiter ausgeführt. Etwas ähnliches begegnet uns hier. Nicht um geschichtliche Darstellung der aufeinanderfolgenden Ereignisse handelt es sich, sondern um grundlegende Unterweisung über die Linie der Wahrheit, die für die Menschheit von so weittragender Bedeutung war.

Deshalb wird zuerst alles erzählt, was mit der Nachkommenschaft Kains geschehen ist; und alles, was sich bezieht auf Seth und dessen Nachkommenschaft, kann nach dem Sinne des Geistes ganz ruhig warten, bis die großen Grundgesetze festgelegt sind: wie hat der Herr die ersten Menschen unterwiesen in Bezug auf die Versöhnung und wie haben sie sich dazu gestellt?

In dieser Beziehung steht die Opfergeschichte mit dem vorhergehenden Kapitel in unlöslichem Zusammenhang. Darum wird diese Geschichte der ersten Opfer und deren Folge allem andern vorauf gemeldet. Welche Störung des Zusammenhangs würden wir haben, wenn wir 1Mo 4:25 und 26 eingeschoben denken zwischen 1Mo 3 und 1Mo 4. Wir hätten da eine ungeschickte, ungehörige Unterbrechung. Die bloße Zeitfolge darf nicht mitsprechen, wo es sich um den sachlichen Zusammenhang handelt. – Dies zur Beruhigung derer, die durch die Frage: woher hat Kain sein Weib genommen, beunruhigt werden könnten.

Zur Bestätigung des Gesagten wollen wir ein handgreifliches Beispiel aus dem NT anführen. Die Briefe des Apostel Paulus sind in einer ganz anderen Ordnung gefolgt, als sie in der Bibel aneinander gefügt sind. Der Römerbrief war nicht der erste, den er geschrieben, sondern einer der letzten an die Gemeinden; und die Briefe an die Thessalonicher, die in der Bibel unter seinen Gemeindebriefen am Ende stehen, sind die ersten gewesen, die er geschrieben hat.

Es hat dem Geist gefallen, sich in der biblischen Ordnung nicht an die Zeitfolge zu halten. Sachlich erkennen wir es als berechtigt an, dass kein anderer Brief als der an die Römer den Vorrang haben musste, an die Spitze der Briefe gestellt zu werden.

Das Evangelium fängt in den Evangelien an und wird in der Apostelgeschichte weitergeführt, die in Rom endet. Was ist nun sachlich richtiger, als dass sich an diesen Schluss der Brief an die Römer anschließt, abgesehen davon, dass er die Grundlage ist für alle Nachfolgenden; er bildet die großen, mächtigen Quader, auf denen alles andere ruht.

Die Thessalonicherbriefe sind vollwichtige Zeugen dessen, was Paulus in junggegründeten Nationengemeinden gesagt hat. Sie aber, die seine ersten Briefe waren, stehen in unsrer Bibel am Ende der Gemeindebriefe, weil sie über den Ausgang des gegenwärtigen Zeitalters, den Abschluss der Gemeine, und über den Anbruch des Neuen berichten, wovon im Römerbrief sehr wenig zu finden ist.

Der sachlichen Anordnung hat also der Heilige Geist den Vorrang gegeben über die zeitliche Folge, die nicht so wichtig und wertvoll ist als jene.

So beginnt hier sachlich unmittelbar nach der Austreibung aus Eden die Opfergeschichte. Nicht als ob es überhaupt das erste Opfer wäre nach der Austreibung – vor einer solchen Auffassung wollen wir uns hüten -, sondern dargestellt soll werden die ganze Folge der Art und Weise, wie Gottes Unterweisung aufgenommen worden ist. Denn dass sie sich vererbt hat, unterliegt wohl keinem Zweifel. Die Menschen haben sicher eine geraume Zeit auf dieser Linie gewandelt. Adam geht diesen Weg, und dass Kain ihn gegangen sein wird, können wir uns denken.

Wie es aber heute noch vorkommt, dass Menschen, die in Einfältigkeit des Lebens wandelten, überlang dahin kommen, sich zu sagen: ich mache die Geschichte nicht mehr mit; ich weiß es jetzt besser; so mag Kain seiner Meinung nach zu der fortgeschrittenen Anschauung gekommen sein, Gott in einer würdigeren Weise als mit einem Blutopfer zu dienen.

Der einfache Weg des Glaubens erscheint ihm nach und nach nicht mehr als etwas Natürliches. Das ist eine viel annehmbarere und einleuchtendere Erklärung als die Annahme eines sofortigen Abfalls. Gewöhnlich ist der Abfall das Ende einer Denkentwicklung im Innern des Menschen, nicht ein sofortiges Ergebnis, ein plötzlicher Entschluss.

Kain, der Erstgeborene

Kain: der Erworbene, Besitz, Sprössling. In dieser Namensgebung haben wir eine Spur von dem ursprünglichen Vermögen der Menschen, das Wesen der Dinge zu erkennen und in einem Worte auszudrücken, obwohl zugleich hier mit unterläuft eine Trübung dieses Erkennens durch die Sünde. Eva erkennt in Kain ganz bestimmt einen Sprössling, einen Besitz, und darin eine göttliche Wahrheit, die sich auf der Linie bewegt, dass aus dem Weibe ein Same geboren werden solle, durch den die Verheißung ihre Erfüllung oder deren Anbahnung finden werde. Nur kommt auch das Missverständnis, die mangelhafte Erkenntnis des Weibes zum Ausdruck, schon in Kain diese Erfüllung zu haben. Das war ein, wenn auch sehr verzeihlicher, Irrtum; denn wie konnte sie einen Einblick haben in die sich in die Jahrtausende hinein ausdehnenden Wege Gottes Seine bestimmten Verheißungen zu erfüllen?

Es ist von Wichtigkeit, dass gleich hier am Eingang die gläubige Gewissheit bezeugt ist, dass Gott bestimmte Zusagen gegeben hat, für die es auch eine Erfüllung gibt. Nur war es für Eva ein ergreifender, überaus schmerzlicher Irrtum, wenn sie ihn gehabt hat, zu wähnen, in dem ersten Menschensohne sei schon die Verheißung der Gnade und Barmherzigkeit Gottes verwirklicht.

Nicht der erste Menschensohn brachte das Heil, wie denn Gott nie durch den ersten, sondern durch einen zweiten sein Ziel erreicht. Dann hat aber die Menschheit viertausend Jahre warten müssen auf den zweiten Menschensohn.

Kain war erst Vorläufer der Weissagung Gottes, aber er versagt. So wie Eva sich als Quelle alles zukünftigen Lebens betrachten und die Lebensmutter genannt werden konnte, so konnte sie sich auch Kain, den ersten vom Weibe geborenen Menschen, als den zugesagten Retter vorstellen, der eine Wiederherstellung bringen würde.

Das geschah aber nicht mit dem ersten, sondern mit dem zweiten. Gleich auf der Schwelle der großen Menschheits- und Heilsoffenbarung ist darin ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis der gesamten Offenbarung gegeben, dass nicht in dem Ersten, sondern in dem Zweiten das Vorhaben Gottes zur Durchführung gelangt.

Kain war ein erster, der aber vollständig versagt; Abel ist ein zweiter und damit das erste Vorbild des der zukünftig war – der um des Glaubens willen unschuldig Gemordete, der zweite in der Linie der Menschheitsgeschichte. Wir haben hier die erste Probe davon, was uns in Apg 7 als wertvollster Schlüssel für das Verständnis der Heilswege Gottes dargeboten wird, dessen wir uns auch entschlossen bedienen wollen.

„Einen Mann habe ich gewonnen mit Jehova“, eigentlich: „einen Mann, Jehova“. Wenn diese Lesart richtig ist, dann träte Evas Irrtum ganz deutlich heraus. Nicht Jehova, sondern einen Mörder hatte sie gewonnen.

Dem zweiten Sohne gab Eva nach seiner Geburt den Namen Abel (1Mo 4:2), d.h. Hauch, Nichtigkeit, Hinfälligkeit, nicht erst nach seinem Tode. Es wäre eine unsinnige Vorstellung trotz erster Bibelausleger, die mit diesen ursprünglichen Berichten ganz willkürlich umzugehen gewohnt sind, anzunehmen, Abel habe erst, nachdem er in der Blüte seiner Jahre hingemordet worden, nachträglich diesen Namen empfangen.

Kraft des den ersten Menschen innewohnenden Vermögens, die Dinge Gottes zu erkennen, konnte die Mutter eine drohende Gefahr sehen für den soeben Geborenen, und wie in ihm die Hinfälligkeit des Menschengeschlechts in erschütternder Weise zum Ausdruck kommen werde.

Ein längerer Zeitabschnitt wird zwischen der Wahl der Berufe und dem in 1Mo 4:3 und 4 berichteten Opfer der beiden Brüder liegen. „Abel brachte von ... ihren Fettstücken.“ Merkwürdig: unlängst las ich in dem sonst köstlichen Werke eines Theologen der alten gläubigen Schule aus dem siebenten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts, es sei nicht anzunehmen, dass man in solch grauer Vorzeit blutige Opfer gebracht habe. So etwas bringt die theologische Gelehrsamkeit fertig!

Die ersten Opfer

Woher hätte Abel Fettstücke her, wenn er nicht ein Tier geschlachtet hat? Was liegt näher, als dass ein Schäfer ein blutiges Opfer gebracht hat? Wenn erleuchtete Kinder Gottes von der Gelehrsamkeit gebunden sind, die einfachsten Dinge nicht zu erkennen, dann wird man ergrimmt. Ich habe entsetzlich darunter gelitten. Es ist doch eine Grundwahrheit, um die es sich hier handelt, um die eine große Frage: Wie kann der aus Sünden geborene Mensch vor Gott bestehen?

Jene Menschen sind doch viel wahrere und richtigere Vertreter der Menschheit gewesen denn wir. Adam und Eva kannten einen Zustand völliger Sündlosigkeit, und als solche haben sie den Urfall getan. Bei uns gibt es das nicht. Zwar spricht man von unschuldigen Kindern, die noch nichts Böses getan haben. Die Schrift aber erklärt: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (Spr 8:21); „Torheit steckt dem Knaben im Herzen“ (Spr 22:15); der Mensch werde in Sünden geboren (Ps 51:7; Hi 14:4). Das kommt auch sehr früh zum Vorschein.

Adam und Eva kannten das nicht, dass sie mit dem Hang zur Sünde vergiftet in die Welt gekommen wären; bei den Brüdern war es aber so, und so sind die Vertreter der in Sünde gebornen Menschheit. Darum ist nun bei Kain und Habel die Frage klar und deutlich aufgeworfen und beantwortet: Wie stellt sich der in Sünden geborene Mensch zu Gott und auf welchem Wege kann er vor Gott bestehen? Diese Frage muss, sachlich genommen, erst beantwortet werden, ehe die weitere Geschichte folgen kann.

Es handelt sich hier um die Lösung eines Rätsels, das die Menschheit aufs Tiefste bewegt hat bis heute. Darin findet sich die klare Rechtfertigung dafür, dass die zeitliche Reihenfolge der sachlichen Anordnung weichen musste.

Ein klares Zeugnis der Schrift über das Opfer Abels finden wir Hebr 11:4. Zunächst muss festgestellt werden, was Glaube ist. Man sagt: eine Gemütsverfassung. Gewiss ist das Gemüt beim Glauben auch beteiligt; aber wenn weiter nichts gesagt werden könnte, so läuft es darauf hinaus, dass auch unser Glaube, mit dem wir vor Gott bestehen, nichts weiter ist als eine solche Gemütsverfassung, und wohin kommen wir alsdann? Ewige göttliche Wahrheiten werden damit aufgelöst zu einer gewissen inneren Beschaffenheit, Zuständlichkeit, herabgedrückt zu einem persönlichen Gemütszustande. Davon hängt es ab, ob wir Gott angenehm sind oder nicht.

Was bedeutet glauben? Eine einzige Schlussfolgerung bleibt uns übrig, wenn wir erwägen, um was es sich in jedem einzelnen Falle in Hebr 11 gehandelt hat. Nie handelt es sich um persönliche innere oder äußere Beschaffenheit. In jedem Fall hat Gott geredet; sonst hätte es keinen Glauben gegeben.

Glauben heißt, das Wort Gottes annehmen und danach handeln.

Noah bekommt einen bestimmten Auftrag. Hat er zuvor vierzehn Tage Gebetsversammlung gehalten, damit Gott mit ihm reden könne? Bau eine Arche! Lautet der Auftrag, gleichviel ob die Menschen dich für verrückt halten oder nicht. Die Arche ist die einzige Rettung aus dem Verderben. Er war verdorben, wie andere auch; nicht ein Haar besser als sie. Das hat er nach der Flut bewiesen. Und dennoch war ein großer Unterschied vorhanden; aber nicht weil er besser gewesen wäre als andere, sondern einfach, weil er dem Worte Gottes folgte.

Man sagt, Abel habe ein gutes, frommes Herz gehabt. Wer von uns möchte das von sich behaupten? Auch er war kein Haar besser als Kain. Die Schrift weiß davon nichts. Wenn es unter den Menschen einen gäbe, der ein gutes Herz mitgebracht hätte, der brauchte kein Opfer. Es würfe aber das ganze Evangelium über den Haufen, wenn der Mensch von Hause aus gut wäre (Ps 53:4). Eine solche Behauptung wäre kaum glaublich, wenn sie nicht wirklich geschehe.

Abel hat dem Wort von dem geschlachteten Lamme geglaubt; darin liegt das ganze Geheimnis seiner Annahme bei Gott. Dieses Lamm war ein Hinweis auf das größere Opfer, das folgen sollte.

Diese Anschauung wird auch von Johannes erhärtet. Welche „Werke“ hat 1Jo 3:12 im Auge? Doch nicht die Berufsarbeit! Ist ein Ackersmann ein Verbrecher, ein erbärmlicher Wicht? Und der Hirtenberuf der gottgefällige? Welch Unsinn käme dabei heraus, wollte man die „Werke“ auf den verschiedenen Beruf deuten. Andere Werke werden uns in der Bibel nicht berichtet, als die Opfertaten. Diese Werke stempelt der Geist Gottes ab: Kains Werke waren böse, sein Gottesdienst war Sünde; Abels Werke waren gerecht, weil sie geboren waren aus dem Bewusstsein: ich bin ein fluchwürdiger Mensch und kann vor Gott nur stehen im Blute des unschuldigen Lammes.

Dafür, dass Kain nicht mit einem Sprunge zu dem blutlosen Opfer gekommen ist, finden wir eine Bestätigung in dem Worte Jud 1:11 von dem Wege Kains. Einen Weg geht man nicht, man habe sich ihn denn ausgedacht. Kain hat diesen Weg, Gott auf seine Seite zu bringen, ausgedacht; es war sein Weg. Auf seinem Wege unternimmt er es, Früchte zu bringen von dem Acker, der verflucht war, ein Erzeugnis des verfluchten Ackers ohne Sühnung. Er verneint somit in aller Bestimmtheit, dass der Mensch nur mit einem blutigen Opfer, mit einer Sühne vor Gott hintreten dürfe.

Abel dagegen bewies, dass die große Gottesoffenbarung von dem einzigen Wege, auf dem der Mensch Gott nahen dürfe, in ihm lebendig war.

„Der Herr sah an“ – „sah nicht an“ (1Mo 4:4 u.5). Wir dürfen denken, dass Jehova persönlich zugegen war, als diese Opfer geschahen. Wir dürfen uns wohl vorstellen, dass bei einer persönlichen Offenbarung, bei der der Herr sich zeigte, das Opfer vorgenommen wurde (Ri 13:16-20). Unsere Maler haben die Verwerfung und Annahme des Opfers durch die Richtung des Rauches anzudeuten versucht. Jedenfalls ist die Annahme richtig, dass ein sehr naher Verkehr Jehovas mit den Menschen stattgefunden hat.

Gott spricht mit Kain

Wir haben sehr viel Schriftgrund, die Worte 1Mo 4:14: „Ich muss mich vor Deinem Angesichte verbergen“, so auszulegen, dass wir darin eine Gegenwärtigkeit des Herrn ausgedrückt finden. Aus Apg 3:20 ersehen wir ja, dass „Angesicht Jehovas“ Seine persönliche Gegenwart bedeutet. Es spricht also vieles für die Annahme, dass die Menschen auf der Schwelle des für sie verschlossenen Paradieses ihre Opfer dargebracht haben.

So wurden auch die mosaischen Opfer ganz nahe den Cherubim dargebracht, nur durch einen Vorhang von ihnen getrennt, auf dem die Cherube bildlich dargestellt waren. –

Wir haben uns wohl vorzustellen, dass das Paradies bis zur Flut weiter auf Erden bestand – nur hinein durften die Menschen nicht kommen --, und dass die Opfer angesichts der Thronträger der Herrlichkeit Jehovas dargebracht wurden. Damit hätten wir eine sehr einleuchtende Erklärung dafür, dass in den ältesten Volkssagen aller Kulturvölker von herrlichen Tagen der Vergangenheit, von einem herrlichen Garten und von einem Baume mit herrlichen Früchten daran, wie auch von einer Schlange am Baum die Rede ist.

Denn die vorflutlichen Menschen hatten so die Möglichkeit, stete Auffrischung der Überlieferung von den ersten Vätern zu erhalten, war ja doch in einem Zeitraum von mehr als sechzehnhundert Jahren von Adam bis Noah die Menschheit nur in drei Geschlechtern fortzupflanzen. Und selbstverständlich ist es, dass die neuen Menschen auf die neue Erde diese tief in ihr Gemüt eingeprägte Überlieferung über die Flut hinübergebracht und weiterverbreitet haben, wenngleich sie nach und nach verzerrt wurde, weil das Urbild nicht mehr vorhanden war, an dem man hätte sein Denken berichtigen können.

Also Jehova war persönlich zugegen. Und nun wird von dem Eindruck berichtet, den das Opfer machte, wie auch die weitere Wirkung: „Kain ergrimmte sehr“ (1Mo 4:5); er geriet in tiefsten Unmut, Unwillen. Von Abel wird nichts weiter gemeldet; nur wird in Hebr 11:4 für seine Gabe ein gutes Zeugnis ausgestellt. Dagegen wird von dem ungläubigen, trotzigen Kain, der seinen eigenen Weg gegangen ist, gemeldet, wie Jehova, trotz seines frechen Übergriffs über die gegebenen Unterweisungen hinaus, sich dennoch mit ihm einlässt. Das ist ganz wunderbar. Anstelle dessen hätten wir erwartet, dass hier eingehende Worte gegeben würden von einem Umgang, den er mit Abel gepflogen. Was für eine tröstliche Bedeutung hat es doch, dass Jehova sich mit Kain einlässt und ihm trotz seines Unglaubens und Unwillens eine Offenbarung zuteil werden lässt.

„Warum ergrimmst du? Ist’s nicht also, wenn du recht handelst, so darfst du dein Haupt erheben“ (1Mo 4:6), lautet Jehovas Anrede. Es handelt sich also nicht um persönliche Gemütsbeschaffenheit, sondern ihm wird vorgehalten: wenn du den Weg des Glaubens, d. h. des Gehorsams, also den rechten Weg gegangen wärest, wenn du recht getan hättest, dann dürftest du dein Haupt erheben.

Da sehen wir, was Rechttun bedeutet. Gerade derartig Gesinnten fällt das Rechttun nicht ein; davor hüten sie sich. Aber mit Krafteinsatz bahnen sie sich ihren eigenen Weg. Sie haben ja nichts Böses getan! Wie einfach lauten die Worte: Wenn du recht handelst, darfst du Mir ins Angesicht schauen. Wir sehen in dieser persönlichen Verhandlung, wie freundlich der Herr mit Kain verfährt.

„Wenn du aber nicht recht tust, dann lauert die Sünde vor der Tür“ (1Mo 4:7). Ein ganz kostbares Wort, in dem uns der Herr am Anfang offenbart, worin die Sünde bestanden und worin die Deckung gegen ihre Übermacht liegt: Wenn du nicht recht handelst im biblischen Sinn, wenn du nicht den Weg des Gehorsam gehst, dann wirst du ihre Beute. – Auch bei uns, den Gläubigen des NT wird aufs genaueste unser Sieg davon abhängen. Deckung gegen die Macht der Sünde finden wir nur, wenn wir recht gehen, dem Wort gehorsam sind. Darin liegt unsere Bewahrung.

„Du sollst über sie herrschen“ (1Mo 4:7)! Dieses Wort, das Jehova an einen geborenen Sünder und einen offenbaren Empörer richtet, zeigt nicht mehr den Weg der Bewahrung und Befreiung, sondern den Weg triumphierenden Sieges über alle Gemeinschaft mit der Sünde. Nicht von der Änderung der Beschaffenheit ist die Rede; jetzt schon wird die Bewahrung, die Sieghaftigkeit von dem Herrn auf die Linie des Glaubensgehorsams gestellt.

Wir wiederholen es: hier ist keine Frage von der persönlichen Beschaffenheit, von dem Innenzustande Kains; er bleibt von Haus aus der böse Geselle, der er gewesen, Gott aber zeigt ihm, der sich einen Weg ausgedacht hat, auf dem er seinem vernünftigen Denken gemäß Gott nahen könne, einen Weg, auf dem er die Herrschaft über die Sünde und den Sieg über sie davontragen würde, trotzdem er ein Sünder bleibt. D a ist die Sünde, du aber sollst herrschen über sie. – Wie einfach und klar laufen da die Linien, wenn wir nur diesen Dingen nachgehen und das Abc lernen wollen! Dann werden wir nicht eine Beute für alle möglichen Strömungen und Richtungen werden.

„Da redete Kain mit Abel“ (1Mo 4:8). Dem Zusammenhang nach war wohl unzweifelhaft die Rede von allen diesen Dingen; sie müssen die Brüder tief bewegt haben. In dem gewöhnlichen Text scheint hier eine Lücke zu sein; die siebenzig ergänzen: „Lasst uns auf das Feld gehen“. Dort erschlug er seinen Bruder. Das ist unverkennbar die reife Frucht des Kainsweges, den er eingeschlagen nach eigener Wahl, unter völliger Ablehnung und Verneinung des göttlichen Heilsweges, der ihm gezeigt worden war.

Der erste Brudermord

Der Kainismus endet unvermeidlich in Brudermord: „Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Totschläger“ (1Jo 3:15). Nicht die nur sind Totschläger, die Dolch, Beil und Schießwaffe gebrauchen, hauen, schlagen, Gift beibringen: wer seinen Bruder hasset, der ist es.

Aber auf keinem andern Boden ist ein Brudermord so häufig begangen worden, wie auf dem Boden religiöser Streitereien. Es sind kaum mehr Kriege geführt worden um andere Fragen, als um die der Religion, und nie im Ganzen der Menschheitsgeschichte blutigere als um die religiöse Frage.

Und an der Wurzel dieses Kainsgeistes steckt die Kernfrage: wie kann ein Mensch vor Gott bestehen? Entsetzlich war der Dreißigjährige Krieg, der unser Vaterland zerrüttete und das Volk von dreißig Millionen auf zweieinhalb bis drei Millionen herabbrachte; aber es drehte sich nur um diese Frage.

Die ganze furchtbare, fortdauernde Feindschaft Roms gegen das Evangelium ist auf nichts anderes zurückzuführen, als dass Rom den Weg Kains geht; hätte es Macht wie vor sechshundert Jahren, dann würde es noch heute seine Scheiterhaufen errichten. Den Willen dazu hat es nie aufgegeben.

Kain kann nie etwas anderes werden als ein Mörder; eine andere Entwicklung ist nicht möglich, als Mord und Hass. Wo man in aller Einfältigkeit den Weg Abels wandelt, wird man gehasst, verfolgt von allen Kainiten. Sie gehen zur Kirche, lesen die Bibel, tun alles Mögliche in und für die Kirche, aber Kain hasst das Blut von Golgatha, hasst es im tiefsten Grund.

Wer mit Leib und Seele dafür einsteht, dass in keinem andern Weg das Heil zu finden ist, dass es keine Kirche, Verordnungen, Satzungen und Lehren, keinen Kultus und keine Kultur, kurz rein nichts auf Erden gibt, das retten kann, als allein das Blut auf Golgatha, der wird auf diesem Wege bekämpft bis heute. – Nie gibt es eine andere Lösung der Frage, ob der Mensch durch eigene Werke, durch eigene sittliche Leistung oder durch den Glaubensgehorsam vor Gott bestehen könne, als das Kreuz!

Was Kain brachte, war anscheinend mehr wert, als was Abel brachte. Kain brachte von den Früchten, die er mit Mühe und Schweiß dem verfluchten Erdboden abgerungen hatte; seine Gabe war eine bedeutende sittliche Leistung, gegenüber der Gabe Abels. Der opferte ein Leben, das ihm ohne Leistung von Gott frei geschenkt worden war; er hat es nicht erzeugt, es ist ihm geboren worden. Das ihm frei geschenkte Lamm opferte Abel, während Kain sich seinen Gottesdienst etwas kosten ließ.

Wer mit seinen Leistungen Gott etwas bringen will, ist auf dem Wege Kains; das ist das Kennzeichen des Kainismus. Alle Leistungen Kains werden ihn nie dahin gelangen lassen, Abel zu lieben. Alle Anbetung läuft auf diesen beiden Linien: entweder auf der der eigenen Leistung oder auf der der Errettung aus Gnade auf Grund des Blutes des unschuldigen, unbefleckten Lammes.

Der Fluch Kains

Wir gelangen nunmehr zu dem Fluch über den ersten religiösen Mörder. Eine wunderbare Sprache ist es, die Jehova führt: „Die Stimme deines Bruders schreiet zu Mir von der Erde. Und nun verflucht seiest du von der Erde, die ihr Maul aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen.“ (1Mo 4:9-11.) Man hilft sich bei einer solchen Redewendung mit dem Hinweis darauf, dass die hebräische Sprache eine Bildersprache sei. Das ist sie auch. Vergessen wir aber nicht, dass sie die ist, deren sich der Heilige Geist mit Vorliebe bedient hat, uns die großartigsten Offenbarungen zur Anschauung zu bringen.

Wenn man sich ablehnend verhält gegen die Bildersprache des Ostens, und sich bewusst auf den Boden des Abendlandes stellt, wo man nüchtern denke, und wenn man damit das Misstrauen aussprechen will, die hebräische Sprache sei nicht so ganz zuverlässig, und nicht die beste Art sich auszudrücken, so liegt darin ein gut Teil Einbildung.

Man vergisst aber auch, dass Jehova sich der morgenländischen Redeweise bedient hat, uns die Wahrheit zu erkennen zu geben. Wir haben kein Recht, unser Denken, unsre Redeweise als allein mustergültig hinzustellen und die morgenländische als minderwertig abzuurteilen. Im letzten Grunde sind alle Sprachen Bildersprachen. Irgend eine Vorstellung muss als geistiges Bild in uns aufgestiegen sein und dann sucht man, es in die richtige Fassung zu bringen.

So ist eine Rede eine ganze Reihe von Bildern, die unser Geist gemacht hat, und die alsdann in Worte zusammengefasst wurden. Diese Art zu reden, muss die erste gewesen sein. Denken wir an die Ägypter, deren Schrift fast nur aus Bildern besteht. Die Hieroglyphen gewähren uns einen Einblick in die Werkstätte des menschlichen Geistes zu einer Zeit, als dieser noch frischer war und unmittelbar in den Dingen lebte, die Gott geschaffen hat und sie besser verstehen und deuten konnte als wir.

Damals fand eines der ältesten Kulturvölker es als etwas durchaus Verständliches, dass die Sprache Bilder der Schöpfung und Geschöpfe sei. Eine schönere Weise, eine Sprache zu machen, ist gar nicht denkbar. Wir stehen davor und nennen es Hieroglyphen, und verraten damit das Unvermögen unseres Geistes. Unsere Gelehrten haben furchtbare Arbeit gehabt, sie zu entziffern. Es wäre nicht halb so schwer geworden, wenn wir noch in ähnlicher Weise in sichtbaren Bildern und Gestaltungen schreiben und sprechen würden, wie es da zum Ausdruck kommt.

Darüber also wollen wir uns nicht aufhalten und uns nicht hindern lassen, diesem Worte Gottes Bedeutung beizumessen. Die Stimme des Bruders Bluts muss eine Stimme gewesen sein, die mit menschlichem Ohr nicht zu hören war. Gott aber vernahm es, dass da ein Geschöpf Seiner Hand, in das Er Sein Leben in wunderbarer Weise hineingelegt hatte, sein Blut vergießen lassen musste. Denn des Menschen Leben ist in seinem Blute, und dieses Blut führt für Gott eine sehr vernehmliche Sprache.

Dass wir es nicht verstehen, will nicht viel bedeuten, da selbst jene Menschen vieles verstanden, was uns heute unverständlich ist. Unser Erkenntnisvermögen ist zu sehr abgestumpft, als dass wir diese Sprache vernehmen würden; aber in allen noch nicht ganz verdorbenen Menschen ist vorhanden ein tiefer Schauder vor Menschenblut. Wenn wir auch nicht von einem Schreien reden können, so führt es doch eine uns sehr tief erschütternde Sprache, ohne uns darüber Rechenschaft geben können. Ein Drama wie Macbeth zeigt, dass auch bei uns spät gebornen Menschen das Menschenblut eine so furchtbare Sprache führt. Aus Zuchthaus-Kriminalberichten wissen wir, dass selbst sehr rohe Menschen, die einen Mord auf dem Gewissen hatten, nachdem sie es Jahrzehnte lang aushalten konnten, ohne es zu bekennen, endlich zum Geständnis der Schuld getrieben wurden, weil es unerträglich für sie wurde; es sei ihnen, als ob das Blut beständig in ihr Ohr geschrieen hätte, so dass sie keine Ruhe finden könnten, als bis sie das Verbrechen gesühnt hätten mit ihrem Blut.

Abels Blut schrie

Es ist aber auch noch ein ganz wunderbarer Zusammenhang zu beachten, der für uns eine große Bedeutung hat, wenn wir auf das für die Sünde der ganzen Welt vergossene Blut des unschuldigen Lammes blicken. Auch von Ihm führt die Schrift die gleiche Sprache; nur sagt sie, es rede besser denn Abels Blut (Hebr 12:24). Hörte Gott die Stimme des Blutes Abels, das um Rache schrie, wie viel größer und gewaltiger muss die Bedeutung der Stimme sein, mit welcher das vergossene Blut Seines eigenen Sohnes redet. Halten wir fest, dass dieses Blut besser redet als Abels; dass es von Gott besser verstanden wird, und dass Gott sich von dem Blute Seines Sohnes noch ganz anderes sagen lässt als von dem Blute Abels.

„Verflucht vom Lande fort“ (1Mo 4:12), soll Kain sein. Da sehen wir, wie eng Jehova die Erde in Verbindung mit dem unschuldig vergossenen Blute bringt, das sie in sich getrunken. Wir wollen nicht gedankenlos an solchen Zügen, an solchen Aussagen Gottes vorübergehen.

Diese Worte wollen uns etwas sagen. Denken wir, wie viel Menschenblut diese verfluchte Erde aufgenommen hat von Abels Zeit an bis auf den heutigen Tag, was für eine furchtbare Blutschuld das ist, wie sie gen Himmel schreit und wie sie einst wie ein Trunkener taumeln wird von dem vergossenen Blute (Jes 24:20). Von dem Sohne Gottes wird erzählt, ein Kriegsknecht habe verhindert, dass Seine Blutstropfen zur Erde fielen. Wir glauben nicht, dass es sich so verhält. Dieses Blut ist auf die Erde gekommen; die Erde hat dieses Blut getrunken; und wenn es besser redet denn Abels, dann ist Gottes Antwort gegeben. So gewiss die Erde mit beteiligt und mit unterstellt ist dem Fluche über den Menschen, der sich so gräulich vergangen, so gewiss ist sie mit getauft mit der Blutstaufe aus der Seite des Gekreuzigten. Und diese Stimme wird erhört werden. Gott wird Seine Antwort geben mit einer völligen Erlösung der ganzen blutgetränkten Schöpfung.

In Vers 1Mo 4:12 wird eine Verschärfung des dem Adam ausgesprochenen Fluches verhängt. Die Erde soll nicht nur dem Mörder ein ganz unbefriedigendes Ergebnis liefern, sondern „unstet“ soll er sein: ein erstes Vorbild für Israel, das keine Ruhe findet, bis dass es sich in Buße und Reue zu Jehova wendet.

Die Erwiderung Kains (1Mo 4:13) ist echt menschlich: „Meine Sünde ist größer, denn dass sie mir vergeben werden möge.“ Vorhin hieß es so trotzig: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Jetzt ertönen Worte, die so überaus verzagt lauten. Das Menschenherz ist ein trotzig und verzagt Ding (Jer 17:9). Die Worte Kains sind auch eine Verneinung der göttlichen Gnade, die ihm so freundlich begegnete.

Wie schon am Anfang dieses Kapitels hervorgehoben wurde, finden wir in 1Mo 4:14 einen deutlichen Hinweis auf das Vorhandensein zahlreicher Menschen auf Erden, sonst hätten die Worte: „Es wird geschehen, dass mich totschlägt, wer mich findet“, keinen Sinn. Im fünften Kapitel werden wir noch deutlichere Spuren davon finden.

Zum Schutz Kains trifft Jehova für die damaligen Verhältnisse eine Anordnung (1Mo 4:15), die im Gegensatz steht zu Seiner Anordnung für ähnliche Verhältnisse nach der Flut (1Mo 9:6). Hier verbietet Gott die Blutrache, obwohl keine Obrigkeit bestand. Später aber finden wir die Blutrache auch noch, wo eine Obrigkeit war. In Israel bestand sie ebenfalls und wurde als zu Recht bestehend anerkannt; dann für Totschläger wurden Freistädte eingerichtet, wohin sie vor dem Bluträcher fliehen konnten.

Hier wird von Jehova deutlich verboten, den Mord Abels an Kain zu rächen, wohingegen nach der Flut dem Noah und seinen Nachkommen Anleitung gegeben wird für eine Obrigkeit, die Mord und Totschlag bestrafen soll. Da kann man sagen: Das ist ein Widerspruch! In Wirklichkeit aber ist das ein lehrreiches Beispiel, wie Gott in den verschiedenen Zeitaltern verschiedene Anordnungen gibt und zu Recht bestehen lässt.

Hier wird die Rache untersagt, weil es im Plane Gottes lag, Kain unstet sein zu lassen. Nach der Flut gibt Gott Seine guten Gründe für den anders lautenden Befehl: „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu Seinem Bilde gemacht.

Verbannung Kains

Jehova machte ein Zeichen an Kain, oder richtiger dem Kain; Er gab ihm eine Zusicherung der Verschonung, ohne dass man an ein „Kainszeichen“ denken müsste, etwa an ein Brandmal an der Stirn. Der Grundtext erlaubt zwar eine derartige Auslegung; aber eigentlich bietet er nur die Worte: „Er setzte für Kain ein Zeichen“, ohne Andeutung, dass es an seiner Person angebracht wäre. Der Zweck des Zeichens aber, gleichviel, was wir uns darunter vorzustellen haben und ob es an ihm angebracht oder ihm nur gegeben war, war die Zusicherung, dass ihn niemand erschlagen würde.

Die Mitteilung: „Also ging Kain von dem Angesichte Jehovas“ (1Mo 4:16), setzte eine sichtbare, örtliche Stätte der Gegenwart Gottes voraus in jenen Tagen nach der Vertreibung aus Eden. Kain wohnte in „Nod“, d. h. Fluch, Verbannung, Unruhe, östlich von Eden, wo das Paradies war. Es blieb auf Erden, aber der Zugang war für die Menschen verschlossen. Vor dem Eintreten der Flut ist es nicht hinweggenommen worden. Es blieb also auf Erden, bis es von der Flut hinweggewaschen wurde.

Was Paulus schaute, war ein Gesicht, wie Johannes solche schaute. Er wurde entzückt (entrückt; hingerissen) in das Paradies (2Kor 12:4), er selbst aber war nicht wirklich da, denn dieses Paradies wird erst auf der neuen Erde errichtet werden.

So war auch die Stadt des Johannes nicht da, nicht vollendet, an der wird immer noch gebaut; Johannes aber sah sie vom Himmel kommen. Es kann sich nicht um einen wirklichen Körper gehandelt haben, wohl aber um eine so lebendige Vorstellung, als wäre es das Ding selbst, so wie Sacharja und Daniel die Dinge so wahr, so wirklich schauten, als stünden sie selbst vor ihnen.

Wir sind also durchaus nicht genötigt, anzunehmen, das Paradies habe schon wirklich bestanden, das Paulus schaute. Er schaute es so wie Johannes, der an den Tag des Herrn versetzt worden war (Offb 1:10). Vorgänge, die noch nicht Geschichte geworden waren, schaute er, als wären sie schon wirkliche Geschichte. Paulus sah das Paradies, als wäre es da, ohne es tatsächlich zu sein. Aber es kommt wieder auf diese Erde.

Die Nachkommen Kains

„Kain erkannte sein Weib“ (1Mo 4:17). Woher hat Kain sein Weib bekommen? Man gebärdet sich vielerorts so, als ob das Heil der ganzen Welt von dieser Frage abhänge. Wir haben schon oben gesagt, dass im biblischen Bericht nicht eine zeitliche, sondern die sachliche Aufeinanderfolge beobachtet ist.

Wenn z. B. 1Mo 5:3 gesagt ist, Adam habe einen Sohn gezeugt, seinem Bilde gleich, Seth, so sind die anderen Kinder, die er vorher gezeugt hat, nicht erwähnt. Adam kann doch nicht als Säugling zur Welt gekommen sein, der sich entwickeln musste. Davon, dass Adam vor dem Fall Söhne gezeugt habe, sagt die Schrift nichts; höchstwahrscheinlich geschah das erst nach dem Fall.

Hier ist von nichts anderem denn von gefallenen Menschen die Rede, schon weil es für das Leben der Unsterblichkeit gar kein Maß gäbe; das entzöge sich dem eigenen Ermessen.

Wenn aber bis Seth hundertunddreißig Jahre verflossen sind, dann ist Raum genug vorhanden, dass Kain nicht nur sein Weib haben kann, sondern dass er auch die Rache der Verwandten zu fürchten hatte.

Seinem ersten Sohne gab er den Namen Henoch, der Eingeweihte. Darin liegt eine tiefe Bedeutung. Wir haben hier die merkwürdige Erscheinung, dass die heilige Schrift die Nachkommenschaft des Kain eher nennt, als die des Seth. Das sind zwei verschiedene Linien. Die Kainiten bilden eine Geschichte für sich. Da kam es zu Gestaltungen, Ereignissen, Kundgebungen, wie sie mit dem Wesen des gefallenen Menschen tief innerlich zusammenhängen. Wir sehen nämlich, wie sie hier gleich Städte bauen. DerKainismus ist darauf aus, sich auf der Erde festzusetzen.

Er baut hier eine Stadt, was wir aufzufassen haben als offenbare Auflehnung und Empörung gegen das Urteil Gottes: „Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden“ (1Mo 4:12). Dieses Urteil sieht aus wie ein strenges Gericht. Auf der andern Seite war es aber ein ungemein gnädiges Gericht; denn Gott wusste es, dass diese Lebensweise der lieben Väter viel heilsamer gewesen wäre als das Wohnen in einer Stadt.

Es zeigt sich ein Widerspruch von Seiten der Menschen, dessen Spitze wir in Babylon sehen werden: der unselige Hang der Menschen, sich in großen Städten zusammenzuballen, der schließlich zu einer fürchterlichen Eiterbeule an dem Leibe der Menschheit wird.

Hätten die Menschen eine Lebensweise beibehalten, wie sie von Abel und Kain in 1Mo 4:2 berichtet wird, hätten sie als Viehzüchter und an die Scholle gebunden gelebt, dann hätten sie alles für das Leben Erforderliche gezogen, aber sie hätten es nicht so weit gebracht als bei dem Stadtleben. Mit dessen Errungenschaften aber haben sie sich nicht gesund und glücklich, im Gegenteil nur ungesund und unglücklich gemacht. So dass man heute die Hände ringen muss und seufzen: was wird werden mit unseren Massen in den großen Städten? Wie kann man dem Streben der Landleute nach den Städten steuern, die wie Motten um das Licht tanzen? Da steht man machtlos da, wie der Zauberlehrling in dem Gedicht. Man weiß nicht aus noch ein.

Als Gott später eine Ordnung gab für Bildung eines Gemein- und Staatswesens, da stellte Er den Grundsatz auf, jeder Israelit solle unter seinem Weinstock und Feigenbaum sicher und fröhlich wohnen. Die Städte werden nur nebenbei geduldet. Die großen Massen sollen das Land bebauen. Daher auch die starke Inanspruchnahme der Fleischerzeugung beim israelitischen Kultus. Bei allen widrigen Wechselfällen des Lebens sollte der Landbesitz nie verloren gehen; nach fünfzig Jahren sollte er immer wieder in die Hände der Familie zurückkehren.

Ja, wenn man so etwas einführen könnte, wenn man den Grundbesitz so aufteilen könnte, dass jedem Familienvater eine Scholle gegeben würde, auf der er sich ansässig machen würde, dann wäre die Arbeiterfrage gelöst; dann gäbe es keine „Enterbten“, Besitzlosen, kein Proletariat, das zur Miete wohnt und kein Vaterland kennt, weil es nichts zu eigen hat.

Gerade das ist ein ganz vorzüglicher Boden für die grundstürzenden Gedanken unserer Zeit. Und ein gebildetes Proletariat ist das Schlimmste, was man sich denken kann.

So gescheit, so gebildet die Menschen auch sein mögen – ein Herauskommen aus diesem Elend dünkt unmöglich. In allen Ländern sträuben sich die Grundbesitzer bis aufs Äußerste, ihr Land zur Aufteilung herzugeben. Die Amerikaner hatten Land genug; sie konnten Land umsonst anbieten. Wohin ist es gekommen? Land war da zur Genüge; aber auch der unheimliche Drang in die Städte. Wenn man in New York den Arbeitslosen die schönsten Farmen anbieten würde, wo alles vorzüglich gedeiht, Vieh und Getreide dazu, dann würden sie darauf pfeifen: lieber hungrig liegen am vergoldeten Elend als hinausgehen zu gesundem Schaffen. Daran krankt die ganze Menschheit.

Das Städtegründen ist eine satanische Verzerrung und ein Vorgreifen dem großen göttlichen Gedanken. Denn Ziel Gottes ist der wunderbar große Bau einer Stadt für Gott. Henoch war in dieses Geheimnis von Satan eingeweiht, dessen Bestreben dahingeht, Gott vorzugreifen und die Menschen zum Städtebau zu treiben. Hier hat der Gott dieser Welt etwas fertig gebracht. Jedoch sind die Städte Brutstätten der Laster geworden. Und der Militarismus hat diesem Vorgang ungeheuren Vorschub geleistet. Sind die jungen Männer einige Jahre in der Stadt gewesen, dann sind sie untauglich geworden für das Landleben.

Auf diese Bahn ist die Menschheit seit Kain gekommen, und trotz aller Warnung und Mahnung durch die Geschichte haben sie nichts gelernt. Trotz unserer Klugheit haben wir für diese Hinweisungen gar kein Verständnis. Wir arbeiten ruhig in dieser Weise weiter. Es ist natürlich keine Sünde, in einer großen Stadt zu wohnen. Wenn wir von Nestern und Brutstätten der Laster in den Großstädten reden, so reden wir nur von Richtungen, die hineingekommen sind. Aber einer der gefährlichsten Wahngedanken ist und bleibt doch der Städtebau.

In das Geschlechtsregister Kains hat der Heilige Geist lehrreiche Bemerkungen eingestreut, zur Kennzeichnung der ganzen Strömung. Schon die Namen der Nachkommenschaft verraten uns ihren Lauf. Henoch bedeutet Eingeweihter. Das lässt vielleicht schließen auf etwas, was wir bis auf den heutigen Tag überall in der Menschheit finden.

Mit einer jeden Religion, so auch mit dem Evangelium Gottes, sind gewisse Geheimnisse verbunden, die dem Außenstehenden verschlossen sind, nur der Eingeweihte kennt sie.

Wir verstehen, was Paulus schreibt „Der seelische Mensch – auch der religiöse – vernimmt nichts vom Geiste Gottes; denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, denn es muss durch den Geist, im Geiste unterschieden werden. Der Geistliche aber versteht alles und wird von niemand beurteilt“ (1Kor 2:14.15). - „Was wir reden, das ist dennoch weise bei den Vollkommenen, Gereiften, Eingeweihten“ (1Kor 2:4.6). - „Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist“ ([1Kor 2:12]). - „Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis Seines Willens“ (Eph 1:9).

Bei allen tiefer angelegten heidnischen Religionen treffen wir auf eine solche Unterscheidung. In Israel hat sie einen greifbaren Ausdruck gefunden in seinem Kultus, der sonst vor den Augen des Volkes im Vorhof unter dem Himmel stattfand und mit Augen und Ohren zu beobachten war. Der eigentliche Priesterdienst aber geschah nicht vor jedermanns Auge, sondern hinter dem Vorhang, wozu kein anderer Mensch Zutritt hatte. Sodann gab es noch eine höhere, dritte Stufe, für die nur der Hohepriester Berechtigung hatte; ein Dienst, der sich vollzog in dem dunkelsten Teile des Hauses, im Allerheiligsten. – Wir sehen also, wie von Jehova selbst verschiedene Stufen vorgesehen waren. Es gab Wahrheiten für die Allgemeinheit und für engere und engste Kreise.

Genau so ist es im Verfahren Jesu mit Seinen Jüngern. Seine Predigt ist gewöhnlich frei, öffentlich. Bei andern Gelegenheiten aber nimmt Er Seine Jünger bei Seite, und Er erklärt ihnen da Sein Wort besonders. Da hatte Er etwas zu sagen nicht vor dem Volk, sondern nur vor dem Ohr Seiner Jünger. Aber auch auf dem Boden der Jüngerschaft bildet der Herr noch engere Kreise. Bei besonderen Anlässen wählt Er nur drei. So bei der Auferweckung von Jairis Töchterlein, bei Seiner Verklärung, im Garten Gethsemane, wo Er mit dem Tode rang. Außerdem war Johannes Sein vertrautester, Sein Lieblingsjünger. Wir beobachten also, dass überall Linien gezogen sind, die nicht menschlicher Willkür entsprangen.

Auf der kainitischen Linie indes konnte es sich nicht handeln um Geheimnisse Gottes, sondern um Nachäffung des Feindes, um satanische Geheimnisse. Wir wissen, dass in den alten heidnischen Religionen Geheimnisse, Mysterien waren. Auch jetzt noch gibt es in der ganzen Kulturwelt, auch in der Christenheit, Vereinigungen, die sich auf Geheimnisse gründen.

Denken wir an den Freimaurerorden und verwandte Erscheinungen. Die Freimaurer behaupten, ihr Orden reiche bis auf Salomo zurück; der habe den ersten Meisterstuhl errichtet und die Satzungen seien größtenteils aus den Bauordnungen des salomonischen Tempels hervorgegangen. Ihre Anschauungen bewegen sich überall auf dem Boden der seelischen Religionen der Menschen, die ganz auf kainitischer Grundlage errichtet ist. Denn sie bedeutet hier nichts anderes als ein sehr gefälliger Kainismus: das Gute in der Menschheit soll durch Entwicklung zur höchsten sittlichen Vollendung gebracht werden.

Das sind im Grunde genommen die Gedanken auch des neuzeitlichen Christentums. In den besten Freimaurerlogen wird Christus so hoch gestellt wie auf den Kanzeln, ja sie unterscheiden sich nicht zum Nachteil von den zeitgemäßen Theologen. Aber von dem Blute Jesu Christi, von dem Opfertode des Herrn, vom menschlichen Grundverderben, von dem der Mensch nur durch den, der von keiner Sünde wusste, sich selber aber zur Sünde gemacht, erlöst werden kann, ist man sowohl hier wie dort weit entfernt. Beide haben im gleichen Kessel gekocht.

Der Hang zum Geheimnisvollen, Rätselhaften, namentlich auf dem religiösen Gebiet, ist tief eingewurzelt in der Menschheit, und sobald man Derartiges bringt, fesselt man sie. Das ist eine Verkehrung der göttlichen Linie und ist überdies bezeichnend für das Verfahren des Fürsten der Finsternis. Er hat es nicht darauf angelegt, willkürliche Lügen zu verbreiten, wohl aber Gottes Wahrheiten zu verzerren, damit der Blick für sie getrübt, genommen wird. Darauf scheint der Name Henoch, Eingeweihter, hinzudeuten.

Irad (1Mo 4:18): heißt Städter. Der Name zeigt, wie Satans Absicht des Städtebaus gediehen war. Das Entfernen von der Absicht Gottes ist ihm gelungen. Dass Gott eine Stadt bauen will, ist klar. Er hat schon eine Stadt gehabt, aber wenig Freude an ihr erlebt. Jener Vorsatz aber wird seine Ausführung finden beim andern und dann wird Er Seine Freude daran haben.

Mahujael: der Gebildete Gottes. Bildung ist der Zauber von heute. Es ist dieselbe furchtbare Lüge, mit der der Fürst dieser Welt die gesamte Kulturmenschheit in Fesseln schlagen will, dass auf dem Boden der Bildung das eigentliche Heil zu finden und auf diesem Wege das Ziel der Gottebenbildlichkeit zu erreichen ist.

Methuschael: der Mann Gottes. Wir haben hier eine Steigerung des gleichen Gedankens – eine Nachäffung des Ziels, das Gott sich gesteckt hat.

Lamech: der Jugendstarke. Der Name bringt Trotz und offenkundige Empörung zum Ausdruck. Er bedeutet durchaus nichts Harmloses und Gesundes, sondern etwas Titanenhaftes, Herkulisches – bewusste Feindschaft, offenen ausgesprochenen Trotz gegen Gott, wie Ps 2 es schildert.

Nach 1Mo 4:19 lebte Lamech in Doppelehe (Bigamie). In den Namen seiner beiden Weiber kommen Augenlust (Ada: die Zierliche) und Fleischeslust (Zilla) und in seinem eigenen Namen hoffärtiges Pochen auf seine Kraft zum Ausdruck, eine weltliche Dreieinigkeit (1Jo 2:16).

Jabal (1Mo 4:20): Nomade, Umherschweifender, kein Kulturtreibender. Sein Same deutet hin auf Ungebundenheit.

Jubal (1Mo 4:21): Der Jubelnde, ist Erfinder der Musik auf Saiten- und Blasinstrumenten. Der Gesang sowohl der Menschen als der Engel erscheint in der Bibel als etwas Gottgewolltes. Ganz anders liegt die Sache in Bezug auf Musik. Sie verläuft nicht so normal. Jeder wird bezeugen können, wer mit Musik umgeht, dass, wenn auf irgend einem Gebiet ein sehr großer gefährlicher Reiz und Zauber liegt, dann ist es weniger auf dem des Gesangs als auf dem der Instrumentalmusik. Gesang auch von schlechten Menschen hat lange nicht den bestrickenden, bezaubernden, berauschenden Einfluss als die Musik. Befragen wir unsere eigene Erfahrung!

Beachtenswert ist, dass die Schrift die Erfindung der Musik in die Linie Kains verlegt. Gesang ist nicht eine Erfindung, sondern eine natürliche Gottesgabe. Musikinstrumente dagegen sind eine Erfindung, eine Kunst. Diese Kunst an sich gehört unzweifelhaft zu dem sich Untertan-Machen der Kreatur. Aber wozu? Die Musik hat, richtig aufgefasst, eine sehr hohe Bedeutung. Sie kommt vielfach im Dienst Jehovas vor; da ist sie dem Herrn geweiht. Es wird Ihm nicht nur gesungen, sondern auch gespielt.

Dem gegenüber jedoch wird hier festgestellt, dass die erste Erfindung auf diesem Gebiet nicht zu diesem heiligen Zwecke geschah, so wenig wie unsere neueren Erfindungen wie Fernseher und Flugzeug dem Bestreben zu verdanken sind, Gott zu verherrlichen. Wer sich mit solchen Dingen abgibt, ist im Allgemeinen von einer solchen Vorstellung weit entfernt. Fast ohne Ausnahme laufen sie im Gegenteil auf Selbstverherrlichung hinaus.

Dass sie in den Dienst Gottes gestellt werden, ist eine kostbare Freiheit nach dem Schriftwort: „Alles ist euer“ (1Kor 3:21.22). Die Bahn dient dem Missionar wie dem Schnapshändler. Man verdenke es niemand, wenn er eine Flugreise macht, wenngleich man in der Flugtechnik selbst eine gewisse Vermessenheit des Menschengeistes erblicken mag. Gott hat nicht nur den Seinen die Erlaubnis, oder gar wohl wie im Tempeldienst die Anweisung gegeben, Ihn mit Zimbeln, Pauken und Harfen zu verherrlichen, sondern ihm auch sonst volle Freiheit gelassen, auch die Erfindungen zu gebrauchen, deren Ursprung ungöttlich ist.

Die anscheinend gottgewollte Unterordnung der Kreatur in Erzeugung der Instrumente, die Ohr, Gemüt, Empfindung aufs angenehmste berühren, und die im folgenden Verse erwähnten Künste, bedeuten im tiefsten Grunde eine Verkehrung der göttlichen Gedanken, und damit ist alle Zivilisation und Kultur gekennzeichnet.

Es ist höchst bedeutsam, dass nach der Schrift die Menschen die Macht haben, das Dasein auf dieser um der Menschen willen verfluchten Erde angenehm und schön zu gestalten, als ob es für die Menschen kein anderes Ziel gäbe, denn die Rückkehr in das Paradies Gottes, in Verhältnisse hinein, für welche Gott sie veranlagt hat.

Was bedeutet diese ungöttliche, widergöttliche Kultur denn anders als einen offenen Widerspruch gegen den Gedanken Gottes, dass die Menschen Befriedigung, Glück, Wohlbehagen nicht auf dieser Erde suchen sollen, sondern im wartenden, hoffenden Glauben auf die Zukünftige. Das Kulturbestreben ist ein entschiedener Einspruch dagegen, wie er uns in Wort und Sang entgegentönt: „Den Himmel überlassen wir den Pfaffen und den Spatzen“; oder: „Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht; pflücket die Rose, eh’ sie verblüht.“

Die Diesseitsreligion will Verschönerung und Verherrlichung dieser verfluchten Erde. Daraufhin sind alle diese Strebungen abgestempelt; aus dieser Quelle sind sie hervorgegangen. Es ist von tiefer Bedeutung, dass diese Züge sich nicht finden in der Linie Seths, sondern in der Linie der Kainiten.

Dazu kommt noch ein anderer, ein geradezu unheimlicher Umstand hinzu. Kain ist erster Brudermörder und der ist Erbauer der ersten Stadt geworden. Es ist eine geradezu erschütternde Tatsache, die sich in den Jahrtausenden der Vergangenheit gezeigt hat und die sich in unsern Tagen der sich steigernden Fortschritte, Unternehmungen und Errungenschaften, mit denen man das Leben immer großartiger, angenehmer und begehrlicher zu machen sucht, in unsern Tagen des Strebens nach immer ergiebigerer Ausbeute der vorhandenen Kräfte, das Leben so zu gestalten, dass man es recht genießen könne, in immer stärkerem Maße herausstellt, nämlich dass wir alle Errungenschaften unserer hohen Zivilisation nur auf Kosten des Lebens unsrer Brüder haben.

Noch nie ist ein Hüttenwerk in Betrieb gesetzt, eine Glasbläserei eingerichtet, eine große Fabrikanlage ausgeführt worden, bei deren Gründung oder Fortführung nicht Menschen ihr Leben lassen mussten. Wir stoßen überall auf Blut. Dass wir Glas haben, verdanken wir dem Umstande, dass Menschen ihr Leben ausgeblasen haben. Die großartigen Kulturfortschritte bezahlt man mit dem Blute anderer. Das ist unvermeidlich; ist wie ein Fluch, der daran haftet.

Damit soll nicht gesagt sein, dass man sich der Sünde Kains teilhaftig mache, wenn man z. B. Glas herstellen oder gebrauchen solle; denn wir haben die Freiheit, diese Welt zu gebrauchen, nur missbrauchen sollen wir sie nicht (1Kor 7:31). Aber es gebührt uns als Menschen Gottes, die Augen und die Sinne haben für die Linien und Gedanken Gottes, dass wir es nie aus den Augen verlieren, dass die Schrift recht hat.

Was hier nur in ein paar Strichen gezeichnet ist, ist immer und überall wirksam gewesen und geblieben: der tiefe innere Zusammenhang zwischen dem Kainismus und dem, worauf Menschen so stolz sind, aber an dem Blut klebt.

Die einzigen Betriebe, die kein Menschenblut erfordern, sind Ackerbau und Viehzucht. Auf dem Boden ist es keineswegs unvermeidlich, wohl aber auf dem Boden der Kultur. Man ist freilich ernstlich darauf aus, die Zahl der Opfer zu verringern, durch Betriebsvorkehrungen allerlei Art die Last zu erleichtern. Sicher ist das eine erfreuliche Sache. Vollkommen aber wird man in den Gewerbebetrieben die Brandmale des Kainismus nie beseitigen könne. Das bleibt eine Sache der Erwartung auf jene Zeit, da die Gottesschöpfung eingetreten sein wird, für die wir die Gewährleistung aus Jesu Munde haben: „Siehe, Ich mache alles neu“ (Offb 21:5).

Fünftes Kapitel

Zunächst ein erklärendes Wort über die Veranlagung der Geschlechtstafel. Von sämtlichen Nachkommen Adams in der Linie Seths mit nur zwei Ausnahmen wird die gleiche Formel gebraucht: sie lebten so und so viele Jahre, zeugten so und so viele Söhne, die Lebenszeit erreichte ein so und so hohes Alter und alsdann starben sie. Dieser feststehende Rahmen trägt etwas Erschütterndes, und wiederum auch etwas unbeschreiblich Köstliches an sich.

Von den Söhnen Kains werden Leistungen gemeldet, die in der Wertschätzung der Welt sehr hoch angeschlagen werden. Von den Nachkommen Seths wird nichts derartiges gemeldet. Sie stellen unzweifelhaft das frömmere, gottesfürchtigere Geschlecht dar. Zwar ist es auch in den Untergang hineingezogen worden, aber in ihm hat sich die Überlieferung des Glaubens und der Gotteserkenntnis frisch und wach erhalten bis zur Flut.

Methusala, der achte von Adam, lebte 182 Jahre mit Adam; dieser sah also acht von den in der Tafel genannten zehn Geschlechtern.

Von der langen Lebensdauer jener Urväter können wir uns keine Vorstellung machen, wohl aber ist uns klar, was sie bedeutet für die Frische der Überlieferung. Es war keine Gefahr, dass die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der ursprünglichen Erfahrungen, die Adam gemacht hat, verwischt werden konnte, sondern die Überlieferungen blieben frisch durch stetige Berichtigung und Erneuerung der Erzählung von Seiten der Vorfahren.

Und weiter: Lamech, der neunte nach Adam, lebte 590 Jahre mit Noah und 90 Jahre mit Sem. Sem selbst aber lebte gleichzeitig mit Nahor, Thara, Abraham, ja über Isaak hinaus, so dass die frühere Überlieferung auch den Geschlechtern nach der Flut vererbt werden konnte.

Adam (1Mo 5:3): der Rote, Mensch aus der Erde, von Erde und irdisch. Ein Wortspiel mit Namen.

Seth: Ersatz. Wir wiederholen: es ist keine Rede, dass vor Seth nicht auch andere Söhne geboren wären. Es wird nur immer e i n Nachkomme hervorgehoben; die vorhergehenden und nachfolgenden sind nicht genannt. Zugleich können wir sehen, wie die Lebensjahre bezeichnet werden.

Die Verbindungen der Geschlechter waren also so enge, innige, dass wir sehr gut verstehen können, wie in dieser Linie die Uroffenbarungen Gottes in frischer Lebendigkeit erhalten blieben. Während aber von den Kainiten die großartigen Kulturleistungen wie Städtebau, Schönheitspflege, Musik, Kunst und Bildung, lauter Spuren hochgradiger Menschheitskultur, aufgezählt werden, schweigt sich die heilige Schrift über die Leistungen der Sethiten vollständig aus. Da ist nichts zu berichten.

Henoch und Noah

Die einzigen Ausnahmen sind Henoch und Noah. Von Henoch wird berichtet, - nicht, dass er diese Welt ausgeputzt und sich in ihr behaglich eingerichtet, sondern – dass er sie vor der Zeit verlassen habe; und das geschah nicht aufgrund großartiger Leistungen, durch welche er sich das Leben begehrenswert gemacht hat, sondern infolge seines Wandels mit Gott (1Mo 5:22-24). Das ist alles. Ein anderes Zeugnis gibt es auf dieser Linie nicht.

Und was Lamech prophetisch von Noah sagt: „Der wird uns trösten ob unsrer Hände Arbeit und Mühe, die herrührt von dem Erdboden, den der Herr verflucht hat“ (1Mo 5:29), wird nur verwirklicht, weil Noah ein frommer Mann war und ein göttlich Leben führte.

Bei allem Verfall hat Gott verstanden, die Überlieferung frisch zu erhalten. Dem Siebenten von Adam war es noch möglich, ein so nahes Gemeinschaftsleben mit Gott zu führen, dass er den Tod nicht sehen muss, und damit wird er zu einem Vorbild von großer prophetischer Bedeutung, von der Voraufnahme vor dem Gericht. Lamech hat aber vor dem Gericht die Hoffnung auf einen Tröster und Erlöser, der über die Flut hinweghelfen werde.

Es gab also noch einen klaren Hoffnungsblick, als das Verderben schon auf eine solche Höhe gestiegen war, dass nur eine Vernichtung der Menschheit übrig blieb. Da wird der Sohn geboren, der die Arche bauen und Zeuge des Gerichts über die Menschheit werden sollte.

Während sich auf der Linie Kains die kurzen aber gewaltigen Spuren menschlicher Leistungen zeigen, haben sich auf der Linie Seths bewahrt die Spuren der Offenbarungen, der Taten Gottes. Diese beiden Linien laufen durch bis zur Flut. Auch in der Kulturwelt, die sich selbst genügt und den Mund voll nimmt, findet Gott Menschen, denen Er die Augen auftun und in dem reißend sich steigernden Verderben einen klaren Blick über das Gericht hinaus geben kann.

Von Noah wird in 1Mo 5:32 gesagt: „Als er fünfhundert Jahre alt war, zeugte er Sem, Ham und Japhet.“ Nun ist doch gar nicht anzunehmen, dass er in den fünfhundert Jahren vorher keine Kinder gezeugt haben wird, oder bei Jared 162, und bei Methusala 187 Jahre nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist, dass auch vorher in diesen Familien Söhne und Töchter geboren worden sind. Die Annahme ist wohl berechtigt, dass in dieser Stammtafel nicht eine Liste der ältesten Söhne gegeben ist, sondern, dass nur die durch besondere Frömmigkeit und treuen Glaubensgehorsam ausgezeichneten Menschen genannt sind, deren Namen wert waren, in diesem Buch des Lebens eingetragen zu werden. Darin hätten wir den Schlüssel, warum die anderen nicht auch verzeichnet sind.

Schon hier zeigt sich etwas, was uns in der ganzen Art Gottes begegnet: die Auswahl. Handelte es sich um natürliche Listen, gewöhnliche Stammbäume, Naturlinien, dann hätte die hier gekennzeichnete Art keine Berechtigung. So aber bewegt sich die Schrift auf der Linie der Erwählung – einer Linie, die Gott immer wieder neu aufgenommen hat und die Er durchführen wird in Seinem Verfahren mit der Menschheit. Wir gehen sicher nicht fehl, wenn wir annehmen, dass in den genannten Persönlichkeiten, die nicht nur dem Fleische, sondern auch dem Geiste einander so nahe standen, in diesen Auserwählten Gottes der Gedanke Gottes sich bewegte von Geschlecht zu Geschlecht. Die Auserwählten sind Gipfelpunkte, auf denen Gottes Geist und Wohlgefallen ruhen kann. Aber die vor Sem gezeugten sind auch in der Flut untergegangen.

Sechstes Kapitel

Unser Kapitel erzählt uns die Veranlassung für das allgemeine Verderben und die Androhung und Vorbereitung des erschütternden umfassenden Gerichts.

Die Bosheit und Gottlosigkeit der Menschen wuchsen ins Ungeheuerliche, als die Kinder, die Söhne Gottes eine fleischliche Vermischung mit den Töchtern der Menschen herbeiführten.

Viele Ausleger nehmen an, die Söhne Gottes seien die Söhne Seths. Die Anwendung, welche sie von dieser Auslegung machen (2Kor 6:14ff), ist gewiss beherzigenswert. Indes können wir ihnen nicht beistimmen, weil im ganzen AT der Ausdruck Gottes Söhne nicht von Menschen gebraucht wird. Das wäre sonst die einzige Ausnahme, und sie stünde weit ab von dem alttestamentlichen Gebrauch dieses Wortes, das ständig Engel bedeutet, wie uns das Ps 82:6 und Hi 38:7 zeigen.

Nach meiner Auffassung werden Satan und seine Engel in Ps 82 ausdrücklich Söhne des Höchsten genannt. Auch in unserer Stelle sind unter Söhnen Gottes nicht Menschenkinder, sondern gefallene Engel, Satans Engel, abgefallene Geister, Dämonen zu verstehen, die einen von Gott nicht erlaubten gottwidrigen Umgang pflegten mit den Töchtern der Menschen; und aus diesem Umgang gingen Riesengeschlechter hervor, wie die Völkersagen sie schildern.

Diese sagenhaften Gestalten sind keineswegs für Dichtungen der menschlichen Phantasie zu halten. Sie sind wirkliche Wesen, die gelebt haben, und die, wie von den Titanen gesagt wird, einen furchtbaren Krieg gegen Gott geführt haben, bei dem Gott aber gesiegt hat.

Die Göttersöhne

Diese Halbgötter sind also hervorgegangen aus der fleischlichen Vermischung göttlicher Wesen mit Töchtern der Menschen.

Dazu noch ein anderes. Es laufen durch die Schrift nebeneinander zwei Linien. Die eine ist der Zug, nach dem ein Eingehen Gottes, der Geist ist, in die menschliche Natur stattfindet. Das ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Gott geoffenbart im Fleisch. Von diesem Geheimnis redet Jehova gleich nach dem Sündenfall. Denn der Same des Weibes, nicht des Mannes, wird von Gott ins Auge gefasst.

Wir, die wir gläubig sind, wissen, in welch wunderbar tiefer, geheimnisvoller Weise der Sohn Gottes in die menschliche Erscheinung getreten ist, geboren von einem Weibe, gezeugt aber nicht von dem Manne, sondern durch den Geist. Es liegt im Wesen des Heiligen Geistes, dass der Zug, der uns in der Verbindung der bösen Geister mit den Töchtern der Menschen entgegentritt, nämlich die Verbindung des Geistes mit der Natur des Weibes, zur bestimmten Zeit in die Erscheinung treten sollte. Die Geburt unseres Heilands ist dafür der Tatbeweis.

Es ist uns ja ein tiefes Geheimnis, wie Gott und Mensch, Geist und Fleisch eins werden können; wie das, was für uns unbedingte, unvereinbare Gegensätze sind, zur Einheit gebracht werden kann; wie der Heilige Geist im Schoße eines jüdischen Mädchens Seine Schöpferkraft zu betätigen vermag. Dass aber aus der Verbindung des Geistes in der höchsten Potenz, des persönlichen Heiligen Geistes mit der Leiblichkeit eines menschlichen Wesens die höchste Offenbarung Gottes hervorgegangen ist, das liegt klar vor unseren Augen.

Gleichlaufend mit dieser Linie, auf welcher Gott die höchste Offenbarung Seines Wesens erreicht in dem Menschen Jesu, indem Er die Möglichkeit gefunden hat, den Menschen Sein göttliches Wesen zu enthüllen, liegt eine andere Linie, die des Gegenchristus.

Durch die ganze Offenbarungsgeschichte nehmen wir das Bestreben des Fürsten der Finsternis wahr, seine Offenbarung und Vollendung zu finden in seiner Verbindung mit einer menschlichen Leiblichkeit. Den ersten Ansatz dazu finden wir unsers Erachtens in diesem Kapitel. Da hat das Bestreben Satans und seiner mitgefallenen Engel, sich in der Menschlichkeit zu verleiblichen, eingesetzt.

Auch nach der Flut hat dieses Andringen dämonischer Mächte auf die Menschenfamilie nicht nachgelassen. In Kanaan ist der Dämonismus in furchtbarer Weise eingerissen. Wir finden da das Riesengeschlecht der Enakiter, und Riesengestalten bei den Philistern, in denen wir ähnliche Ausgeburten haben, wie hier.

Dieser selbe tiefe Hang, sich in den Besitz einer Leiblichkeit zu setzen, begegnet uns in den vielen Fällen der Besessenheit im NT, und seither bis zu uns. Das läuft unserer Erkenntnis nach auf eine Spitze aus, von der das Buch der Offenbarung spricht. Da ist von einem Menschen die Rede, dem der Satan seine ganze Macht und Gewalt übergibt. Lassen wir es dahingestellt sein, in welcher Weise dieses menschliche Wesen erzeugt werden wird, aber es erleidet gar keinen Zweifel, dass in diesem satanischen Gebilde eines Gegenchristus, in diesem unheimlichen, schaurigen Leibe eine Fleischwerdung Satans zu erblicken ist.

In diesem Menschen haben wir es mit einem satanischen Meisterstück zu tun, da Satan und Mensch in höchster Weise eins geworden sind. Für diesen Menschen der Sünde (2Thes 2:3), das Kind des Verderbens, ist Judas ein Vorspiel (Joh 17:12; Joh 13:27). Ob das Ziel der Verkörperung Satans in menschlicher Gestalt erreicht wird, indem er sich in den Besitz eines schon vorhandenen lebenden Menschen setzt, um ihm vollkommen einzuwohnen, oder ob er eine ganz ähnliche Zeugung hervorbringen wird wie der Heilige Geist im Schoß der Jungfrau, um dadurch in den Besitz eines Leibes zu gelangen, das wage ich nicht zu entscheiden. Eine Unmöglichkeit für Letzteres sehe ich nicht, denn es muss diesem Geistwesen eine solche Fähigkeit einwohnen, sonst verstehe ich dieses Kapitel nicht. Zwei Möglichkeiten liegen also für Satan vor, sein Ziel zu erreichen. Damit aber erlangt er auch die andere Möglichkeit, sterben zu können wie ein Mensch. Das ist alsdann nicht von der Hand zu weisen.

Wer im letzten Jahrzehnt ein offenes Auge gehabt hat, betreffs der unheimlichen Tätigkeit des Spiritismus, dem wird nicht entgangen sein, wie das Bestreben der bösen Geister, nicht nur einen menschlichen Leib in Besitz zu nehmen, sondern durch verbotenen geschlechtlichen Umgang mit Frauen, ähnlich wie hier, eine Verleiblichung zu erreichen, mit einer erschütternden Deutlichkeit zutage tritt.

Ein Gottesmann, der mit Besessenen allerlei Erfahrungen gemacht hat, auch mit solchen aus der Pfingstbewegung, weiß davon, wie weibliche Personen, die sich dem Heiligen Geiste haben übergeben wollen, von bösen Geistern in fleischlicher Weise vergewaltigt worden sind.

Auch in Amerika sind solche Dinge vorgekommen. Ein amerikanischer Bericht brachte folgendes: Zwischen einem Medium und einem Geist soll eine Hochzeit stattfinden. Ein Prediger ist zur Trauung bereit. Viele Trauzeugen sind zugegen. Zunächst ist nur die Frau da. Der Dämon erscheint plötzlich, nachdem der Trauakt vollzogen ist, und dann küsst der vermählte Bräutigam seine Braut vor den Zeugen. –

Weil also der Satanismus vor der Flut in höchster Blüte stand und nur noch wenige Menschen von dem eingerissenen Unheil und Verderben unberührt geblieben waren, da beschloss Jehova in Seinem Herzen, diese Menschheit zu vertilgen und mit Noah einen Neuanfang zu machen. Noch aber gewährte Er dem unheilvollen und frevelhaften Geschlecht eine Frist zur Besinnung und Umkehr von hundertundzwanzig Jahren (1Mo 6:3).

„Mein Geist soll nicht im Menschen immerdar walten“, oder richten, regieren, in Ordnung halten. Ein Zeitwort ist gebraucht, das: sich herablassen bedeutet. Der Sinn ist der: Mein Geist wird sich nicht länger herablassen, bei diesen Menschen zu weilen. Gott hat also die vorflutlichen Menschen nicht verlassen. Nun aber spricht Er ihnen Sein Todesurteil. Die ihnen gelassene Frist haben sie aber nicht benutzt; so muss das Gericht eintreten.

1Mo 6:6 spricht von der Reue Gottes. Demgegenüber lesen wir 4Mo 23:19: „Gott ist nicht ein Mensch, dass Er lüge, noch ein Menschenkind, dass Ihn etwas gereue.“ Warum stehen beide Worte nebeneinander? Wenn es eine Reue für Gott gibt, dann ist es keine menschliche Reue. Er kann nicht bereuen in dem Sinne, dass Er überhaupt etwas getan habe, als sei es verkehrt. Das wäre gegen das Zeugnis von 1Mo 1:31. Reue ist nicht die allergeschickteste Übersetzung des Grundwortes. In dem liegt nicht der Gedanke, dass Gott Ursache gehabt habe, sich der Schöpfung zu schämen, oder zu beklagen, als sei sie Ihm nicht gelungen.

Es kommt in ihm zum Ausdruck, dass der heilige Liebeswille gezwungen ist, die stärksten Mittel anzuwenden gegen den verderblichen Zustand, in den Seine Schöpfung geraten ist. Sein Wille ist nicht anders zu erreichen, als indem Er den Tod beschließt. In dem Wort Reue liegt die bestimmte Erklärung, dass Gott unmöglich den Zustand dulden dürfe. Er kann nicht fernerhin dem Verderben freien Lauf gestatten; Er kann niemals einverstanden sein, dem Teufel in Seiner Schöpfung das letzte Wort zu lassen.

Nie und nimmer kann und wird Gott dem Bösen erlauben, sich an irgend einem Punkte, in irgendeinem Winkel des Weltalls so einzunisten, dass es bis zur Ewigkeit hin nie zu beseitigen wäre. Zugleich ist das aber die Zusicherung, dass Gott mit dem Verderben endgültig fertig werden wird. Unser Vers ist Bürgschaft dafür.

Wir verstehen nun, warum mit solch umfassender Gründlichkeit das Gericht Gottes geschildert wird. Ebenso aber auch, wie der Sohn Gottes Gebrauch macht von den Tagen Noahs (Mt 24:37ff). Ist es nicht erschütternd, zu denken, dass an diesem Wort nichts abzuziehen ist?

Man ist sich in der Christenheit zu wenig klar darüber, dass mit der Wiederkunft des Menschensohnes ein Gericht über die Menschheit ergehen wird, gegen das das Gericht in den Tagen Noahs nur ein kleines Vorspiel gewesen ist.

Dass Zerstörung, Untergang, Vernichtung in den künftigen Gerichtstagen hereinbrechen wird, erleidet keinen Zweifel. Aber sowohl das Wassergericht zur Zeit Noahs, wie das Feuergericht Sodoms geben uns im Hinblick auf die Gerichte am Tage des Herrn die deutliche Lehre, dass so ergreifend das Gericht ist, dennoch ein Überbleibsel erhalten wird. Die Menschheit geht nie unter. Der Bestand der Erde, der Tiere, der Menschheit ist göttlich verbürgt.

Zur Rettung der Menschheit und Tierwelt über die Flut hinweg, empfängt Noah den Befehl von Gott, eine Arche zu bauen (1Mo 6:15). Bessere Grundverhältnisse für den Schiffbau, als die angegebenen, sind noch nicht aufgestellt worden. Der Bau selbst von Seiten des glaubensgehorsamen Noah vor den Augen der gottlosen Menschen war eine stete Warnung und Mahnung zur Umkehr, allerdings ohne Erfolg. Nur acht Seelen retteten sich aus dem Zusammenbruch der ersten Menschheit.

Die Angabe von 1Mo 6:19.20 zeigt uns, mit wie viel Sorgfalt, Genauigkeit und Ausführlichkeit Gott sorgt für die Bewahrung auch der übrigen Kreatur.

Lies weiter:
4. Noah und die Flut (1Mo 7-11)