Jakob bei Laban

Aus Bibelwissen
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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort“ (Jahrgang 1923-25)
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.

Siehe weitere Abschriften

Das erste Buch Mose

von: Prof. E. F. Ströter
Inhaltsangabe: 1Mo 1-50

11. Jakob bei Laban

Neunundzwanzigstes Kapitel

Die Frauen der Urväter

Wir haben gesehen, was für eine neue wichtige Form des Glaubenslebens uns in Jakob vorgeführt wird, nämlich die des treuen, hingebenden Dienstes, der leicht vermischt wird mit fleischlichem Eifer und Unverstand. Darin sind wir alle treu wiedergegeben, wie wir vor unserm Gott bekennen müssen. Wie viel fleischlicher Unverstand bei treuster Hingabe findet sich bei uns!

Es wird uns nun in diesem Kapitel in lieblicher Weise vorgeführt, wie Jakob zu seinen beiden Weibern kam.

Unter dem Prinzip des Weibes werden uns ganz besondere göttliche Wahrheiten vorgestellt. Wir finden durch die ganze Heilige Schrift das Weib in den verschiedensten Gestaltungen. Es bedeutet nicht immer nur Gutes; es wird gar oft zur Verkörperung des Bösen gebraucht. So sieht der Prophet Sacharja (Sach 5:8) das Weib in einem Epha und es wird ihm Bescheid: „Das ist die Gesetzlosigkeit“.

Das bedeutet nun nicht, dass die Frauen von vornherein Gesetzlose sind. „Der Gesetzlose“ ist ein Mann (2Thes 2:3.7)! Aber aus dem Weibe wird die Frucht geboren; sie ist die Empfangende in der gegenseitigen Verbindung und die Hervorbringende, Gebärende.

Beispiele aus dem NT sind uns bekannt: Das Weib mit dem Sauerteig (Mt 13:33); das Weib, das den männlichen Sohn gebiert (Offb 12); das Weib in der scheußlichsten Gestalt als die Mutter der Hurerei (Offb 17:18). Da sehen wir, dass das weibliche Prinzip in der Schrift in der verschiedensten Weise zur Anwendung kommt, um ernste und köstliche, aber auch fruchtbare Wahrheiten vorzustellen und nahe zu legen.

Jakob werden nun hier in diesem Kapitel zwei Weiber zugeführt. Schon mancher hat sich daran gestoßen. Wie konnte Gott bei Seinen Auserwählten und Heiligen Vielweiberei gestatten! Ein solches Beispiel würde doch viel missbraucht. Islam und Mormonentum beriefen sich darauf. So müssen die Patriarchen herhalten für die scheußliche Sinnlichkeit.

Wenn uns das Verständnis aufgegangen ist für die vorbildliche Bedeutung dieser Erscheinung, dann stoßen wir uns nicht mehr daran. Gott hat nicht ängstlich verhütet, dass gewisse Dinge einfach unverblümt vor uns hingestellt wurden, obwohl Er sehr gut weiß, dass alles, was Er an Wahrheiten ausspricht und darstellt, von den Menschenkindern missbraucht wird. Der Missbrauch der Menschen hält Ihn nicht davon ab, gewisse Wahrheiten zum Ausdruck zu bringen. Wir dürfen ein bisschen von Ihm lernen. Die Wahrheit Gottes geht nicht unter, einerlei, was die Menschen damit machen. Er spricht aus, was Er zu sagen hat, und ist für die Folgen verantwortlich. Die Verwertung überlässt Er dem Menschen, wie er sich damit abfindet.

Man kann sogar so weit gehen, zu sagen, dass die Bibel mit Absicht so entworfen sei, dass Menschen sich daran stoßen. Man vergleiche das Wort Lk 2:34: „Dieser ist gesetzt zu einem Fall und Auferstehen Vieler in Israel“. Dies Wort ist vom Heiland geredet. Darin liegt eine tiefe Wahrheit, unter die wir uns zu beugen haben.

Gott hat nichts so eingerichtet, wie wir es mit unserer übergroßen Vorsicht einrichten würden. Nicht selten hört man betreffs dieses und jenes Punktes: nur ja nicht sagen! Das darf man nicht laut sagen! Gott sagt es ganz laut; und wenn Er es sagt, dann dürfen wir es auch. Wenn Menschen sich dann daran stoßen, so wird Gott auch damit noch fertig.

Wir wollen uns hüten vor einer Übergeistlichkeit, die nicht göttlich ist, wie es auch eine übergeistliche Demut gibt, die sehr fleischlich ist, welche zurückhält von den höchsten Dingen Gottes zu reden unter dem Vorwand, sei seien zu hoch. Dahinter steckt ganz ordinärer Unglaube und krankhafte Stimmung. Hüten wir uns davor!

Die ganze Scheu vor solchem Kapitel ist darauf zurückzuführen, dass die Schrift erklärt: „Dem Reinen ist alles rein; den Unreinen aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern befleckt ist ihr Sinn und ihr Gewissen (Tit 1:15)“. Selbstverständlich soll das nicht missverstanden werden, als solle der Vielweiberei das Wort geredet werden. Aber es ist Tatsache, dass Gott auch unnatürliche, regelwidrige Verhältnisse, wie sie in der Menschheit gegeben sind, zu benutzen versteht und aus denselben nützliche, wichtige, köstliche, bedeutungsvolle Anwendungen zu machen weiß. Das heißt noch lange nicht, die Vielweiberei zu einer göttlichen Einrichtung zu stempeln. Man hätte sonst auch Berechtigung, zu sagen, weil Gott einmal einem Esel das Maul aufgetan hat, so müssten nun alle Esel reden. Hüten wir uns vor solchen Folgerungen.

Gott versteht es meisterhaft, verkehrte Strömungen und Einrichtungen Sich zu Nutze zu machen, damit es Seinem Heilszwecke diene. Wir haben uns unsre eigenen Vorstellungen gemacht von dem, was sittlich erlaubt ist oder nicht. Wir würden aber wohl tun und reichen Gewinn davon tragen, wenn wir unserm Gott zusehen wollten, wie Er es versteht, das Verkehrte und Ungöttliche, das in die Schöpfung geraten ist, Sich dienstbar zu machen.

Das bedeutet nicht eine Rechtfertigung des Verkehrten, aber für jeden, der seinen Gott aus Seinem Wort kennen gelernt hat, bedeutet es, dass Gott mit allem fertig wird; und das ist ihm ein Beleg dafür, dass es keine Quertreibereien der Menschen und des Teufels gibt, die Gott Sich nicht nutzbar machen könnte oder macht.

Diese beiden Weiber sollen dazu dienen, dass aus ihnen der Same Abrahams gebaut werde. In den Jahren des Dienstes Jakobs beginnt die Erfüllung der Zusage Gottes in weiterem Rahmen von den zahlreichen, oder, wie man sagen könnte, zahllosen Samen.

Es ist von höchster Bedeutung, dass es auf der Isaakstufe nur e i n Weib gibt, eine Rebekka. Abraham hatte zwei. Auf der Stufe der eigentlichen – man wäre geneigt, zu sagen: Ideal-Sohnschaft gibt es nur ein Weib, trotzdem bei der zwanzigjährigen Unfruchtbarkeit die Versuchung, ein zweites Weib zu nehmen, nahegelegen hätte.

Hier handelt es sich um eine andere Seite des Glaubenslebens und der Führung des Glaubenshaushaltes. Es ist der dienende Jakob, dem nicht nur zwei Weiber, die Töchter Labans, zugeführt werden, sondern auch noch deren Mägde, und aus diesen vier Frauen erbaut sich das zwölfstämmige Israel. Denn es ist in diesem Sinne wichtig zu beachten, dass die Söhne der Mägde durchaus ebenbürtig geachtet und behandelt werden mit den Söhnen Rahels und Leas. Die Verschiedenheit gegenüber den früheren Zügen, die klar in die Augen fällt, ist wohl zu beachten.

Jakob und seine Frauen

Wir wollen nun nur noch einen Blick werfen auf die Unterschiede zwischen Lea und Rahel, und was sie in diesem Zusammenhang zu sagen haben.

Wir verstehen es, dass ein Mensch Gottes, der eine Vorstellung von diesem seinem Berufe hat, von einer Erscheinung wie Rahel aufs Äußerste gefesselt wird. Die Zuneigung zu Rahel ist durchaus gottgewollt, in der Ordnung, und selbstverständlich; ebenso einleuchtend ist, dass einer Erscheinung wie Lea Jakob keinen Geschmack abgewinnen konnte. Gott macht sie aber fruchtbarer wie Rahel. Was soll das heißen?

Schon die alten Kirchenväter Origenes und Irenäus haben in diesen beiden Weibern des dienenden Glaubensmannes die zwei verschiedenen Gestaltungen des Kirchenlebens zu erkennen geglaubt: die äußerlich schöne Rahel und die innere Schönheit der Lea; Rahel das Tiefgeistliche in dem göttlichen Leben und was es sonst noch Schönes gibt, das Erbauliche und Beschauliche; aber Lea ist fruchtbarer als Rahel. Diesen Gedanken habe ich gerne aufgenommen, weil ich ihn bestätigt finde in der ganzen Erfahrung des dienenden Haushalts des Glaubens.

Die unschöne Erscheinungsform des geschichtlichen Christentums kann ja für einen geistlichen Menschen nichts Anziehendes haben. Unschön ist es, wie man es auch ansehen mag; wir können uns dessen nicht entschlagen. Warum? Ja, vielleicht öffnet uns der Herr die Augen, dass wir es sehen.

Die andere Form, die schöne Rahel, hat ja für uns viel mehr Gewinnendes; und was möchten wir lieber, denn lauter Rahelsgestalten auch nach außen hin, d. h. dem ganzen Haushalt des Glaubens die schönste Erscheinungsform zu geben, dessen er fähig ist. Gewiss möchten wir das! Warum hat uns Gott das wohl nicht erlaubt?

Seit Jahrzehnten habe ich mich viel mit dieser Frage beschäftigen müssen – man möge mir verzeihen, dass ich persönlich werde. Mein ganzer innerer Werdegang und meine äußere Lebensführung haben das ja eigentlich mit sich gebracht. Ich war, als ich so frisch nach meiner Bekehrung hinaus durfte in das große, weite, freie Amerika, ein Schwärmer für diese Rahelseite des Christentums, für die möglichst schöne, vollendete, abgerundete, äußere, harmonische Darstellung.

Ich habe die besten Jahre meines Lebens damit zugebracht, dieses Wesen an mich zu fesseln und ihm auch möglichst zum Ausdruck zu verhelfen. Ich habe immer wieder erkennen müssen, dass über kurz oder lang uns wieder die Lea untergeschoben wird. Wir wollen nur die Rahel und bekommen immer wieder die Lea. Ich habe noch gar keinen Versuch gelingen sehen, der anders geendet hätte, als was hier so deutlich und ergreifend vor uns steht.

Jakob dient mit der völligsten Hingabe sieben Jahre und sie dünkten ihm wie sieben Tage, so lieb hatte er die Rahel; und als er am Morgen die Augen auftut, hat er die Lea, d. h. wenn wir zu uns kommen, dann sehen wir, dass wir – ich hätte sagen müssen: ich – verurteilt sind in der erzieherischen Weisheit Gottes, in irgend einer Form und Weise uns zuerst mit Lea abzugeben.

Auch Rahel kommt zu ihrem Recht, aber erst später, und nach sehr schweren inneren Kämpfen. Sie bringt aber nicht viele Söhne, nur zwei, und stirbt in der Geburt des zweiten.

Das ist von der einen Seite angesehen eine tieftraurige Tatsache. Aber wenn man es richtig erfasst, liegt auf der anderen Seite darin für uns eine ganz köstliche Wahrheit. Ging es doch unserem großen dienenden Herrn nicht anders. Er bekam zuerst die Lea und danach die Rahel, d. h. zuerst das blöde Volk mit triefenden Augen, an dem wahrlich nichts Schönes war, und nachher daraus Seine Auserwählten.

Und in der Christenheit aus der Völkerwelt geht es Ihm auch nicht anders. Erst die unschöne Gestaltung des geschichtlichen Christentums, und nur langsam, stetig entwickelt sich hier und da etwas von der Schönheit der Rahel; die ist aber nicht so fruchtbar, wie es zu wünschen wäre.

Eine weitere kostbare Wahrheit finden wir hier. Es zeigt sich uns, dass Gott ganz unabhängig ist von dem Gesetz des Schönen, Regelmäßigen, Normalen, dessen wie es sein soll, und dennoch kann Er eine herrliche, ungemein große Fruchtbarkeit geben, abgesehen von der schönen ebenmäßigen und allein berechtigten Gestaltung der Dinge.

Denn dass das göttliche Leben ein gutes Recht hat auf die schönste Ausgestaltung auch nach außen hin, leidet gar keinen Zweifel, aber – wie es auf einem anderen Boden heißt: „Der natürliche Mensch ist der Erste, danach der Geistliche (1Kor 15:46)“, so auch hier: die Lea die erste, danach die Rahel.

Was liegt darin wieder für ein kostbarer Gedanke, dass unser Gott in Seinem Dienen – und Er ist der größte Diener – sich durch die Leagestalt nicht hindern lässt, reiche Frucht zu zeugen. Sie gebiert Ihm einen Sohn nach dem andern, so unschön wie sie ist.

Ich kann gar nicht sagen, was für eine schmerzliche Erfahrung mir das war, als ich vor 21 Jahren aus Amerika kam. Ich hatte viel gehört von der köstlichen Gemeinschaftsbewegung in Deutschland und mit der Selbstverständlichkeit des amerikanischen Urteils mir eingebildet, dass alle die breiten Ströme von den freien Kirchen ausgingen. Das war ja meine Rahel, die ideale Gestaltung des Kirchenwesens, und sie ist ja auch viel schöner als diese trostlose triefäugige Verquickung von Staat und Kirche.

Und nun denke man sich mein Erstaunen, als ich es so ganz anders fand. Was an göttlichem Leben geschenkt war, das floss in ganz anderen Kanälen als in den freien Kirchen. Die blieben nicht ganz unberührt, aber es war mir schmerzlich, dass meine Methodistenbrüder ganz auf dem Trockenen saßen, und um sie her flossen Ströme lebendigen Wassers.

Und mit anderen Gemeinschaften war es nicht anders. Sie alle hatten etwas, dessen sie sich rühmen konnten; sie waren alle hübsch wie Rahel, wenigstens nach ihrem eigenen Urteil. Die Landeskirchen hatten nichts zu rühmen, nur zu seufzen, nur zu klagen gehabt: da wurden viele Kinder geboren.

Das ist eine Erscheinung, die viel zu denken gibt; und wenn wir es richtig erwägen, dann hat uns unser Gott wieder etwas Köstliches zu sagen, von dem ich wollte, dass wir es gerne beherzigen würden. Wir wollen uns hüten, einmal das zu verachten, so wenig schön wir es nennen wollen, was unser Gott versteht zu gebrauchen, um Frucht zu bringen für Seinen Glaubenshaushalt. Das wollen wir stehen lassen, bis Gott damit fertig wird. Dabei wollen wir uns unsere Liebe zu Rahel nicht rauben lassen; sie darf bleiben, so gewiss wie Jakob seine beiden Weiber behalten durfte.

Nein, ich darf meine Rahel behalten; und so gewiss Gott auch der Rahel Gebet erhörte und sie fruchtbar machte – sie gebar sogar den Joseph – so gewiss dürfen wir das pflegen, was Gott uns entgegenführt. Denn das war nicht Lea, sondern Rahel, d. h. die ideale schönste Form dessen, was dem Haushalt des Glaubens zugehört. Das wollen wir behalten.

Aber wir wollen unseren Gott wieder einmal von der Seite kennen lernen, dass Er sich durch nichts abhalten lässt in Seiner unumschränkten Weise, unter allen Umständen Seine Gedanken hinauszuführen.

Und die Kinder Leas sind ebenso echte Söhne Jakobs und Erben der Verheißung wie die Rahels, wenn auch Joseph und Benjamin in der späteren Führung wunderbare Vorrechte genießen. Das bleibt ja bestehen.

Unserem Gott, Der auf diesem Wege wieder einmal beweist, dass Er über alle ist und dass nichts so unschön, verächtlich, abstoßend ist, dass Er es nicht zu Ehren bringen könnte, wie Er es bei Lea getan hat – was bieten wir Ihm? Ist es lauter Rahel, das wir Ihm bieten zur Befruchtung? Ist das nicht meist Lea? Und doch lässt Gott Sich durch alles Unschöne nicht hindern: Er befruchtet es und macht Seinen Namen groß dabei. Das ist unbeschreiblich kostbar.

Dreißigstes Kapitel

Es ist erschütternd, dass Dan, der von der Lieblingsfrau so heiß begehrte und der so menschlich erzwungene Sohn (1Mo 30:1-6), gerade der Stammvater wurde, dessen Haus und Geschlecht den Götzendienst eingeführt hat. Darum erwähnt die Offenbarung diesen Namen nicht unter den zwölf Stämmen (Offb 7).

Die erste Hälfte dieses merkwürdigen Kapitels (1Mo 30:1-24) berichtet den eigenartigen Wettstreit zwischen den Weibern Jakobs des Dienenden. Jukes sagt treffend: In Abraham haben wir den Geist des Glaubens, in Isaak den Geist der Kindschaft, in Jakob das Vorbild, die Verkörperung des Dienenden.

Jakob dient vierzehn Jahre um beide Frauen und noch sechs Jahre um seine Herde, ehe aus ihm der Gotteskämpfer wird. Daraus dürfen wir die richtige, köstliche Lehre entnehmen – was ja nur in einer Aufeinanderfolge verschiedener Bilder dargestellt werden konnte – dass es nicht genug ist an Glaube und Kindschaft, sondern dass die eigentliche Fruchtbarkeit erst einsetzt mit dem Dienst.

Das geistliche Leben, so gesegnet und köstlich es ist seinem innern tiefen Gehalt nach, darf sich nicht erschöpfen in stiller Beschaulichkeit, sondern ist gesetzt und berufen, durch gesegneten Dienst reiche Frucht zu bringen.

Erst in Jakob dem Dienenden wird diese Fruchtbarkeit, die Mehrung des verheißenen Samens eine so große und bedeutungsvolle. Dass es dabei wie bei allem Dienst nicht ganz geistlich hergeht, steht hier sehr deutlich vor unsrer Seele. Wie viel Eitelkeit, Selbstsucht, Eigenwilligkeit fließt da mit hinein. Wie kommt da das natürliche Leben in einer manchmal abschreckenden Form zum Ausdruck. Aber alles gehört mit hinein und ist geheiligt für den Dienst. Da liegen Geheimnisse der göttlichen Gedanken, die manchmal für uns etwas Befremdendes haben.

Viele gehen an Kapiteln wie dieses mit einer gewissen Scheu vorbei. Das ist leicht zu verstehen. Es obwaltet das Empfinden, als ob man sich beinahe beflecke, wenn man sich diese Dinge vor sein Gemüt stellt.

Aber wir dürfen nicht vergessen, dass heilige Männer auch sie geredet und geschrieben haben, getrieben durch den Heiligen Geist, und es geziemt uns nicht, keuscher sein zu wollen als der Geist Gottes. Es geziemt uns nicht, Ihm Vorschriften machen zu wollen, was Er hätte in die Bibel aufnehmen dürfen und was nicht.

Man veranstaltet Bibelauszüge für Kinder, in denen man diese Kapitel auslässt, als dürfe man aus dem Organismus der Schrift in Rücksicht auf die Anschauungen der Zeit ruhig Stücke herausschneiden. Da offenbart sich in einer sehr deutlichen Weise tiefer Mangel an wirklichem geistlichen Verständnis. Wir mögen uns nur immer wieder sagen lassen, was die Schrift sagt: „Dem Reinen ist alles rein“ (Tit 1:15).

Es ist ja wahr, dass diese Vorgänge, die mit solcher Deutlichkeit geschildert werden, abweichen und widerstreiten den Vorstellungen und Auffassungen, in denen wir aufgewachsen sind, und das sie unser natürliches Empfinden verletzen mögen. Aber im Grunde genommen finden wir in ihnen doch wieder nur einen weiteren wunderbaren Beleg für den Reichtum göttlicher Gedanken und für Seine unvergleichliche Art, mit der Er sich alle Dinge untertan zu machen weiß, mit der Er auch die tiefsten Schwächen, Unarten, Verirrungen, ja sogar Verderbnisse, kurz die menschliche Natur und Art, wie sie sich nur offenbaren kann, durchaus so wie sie ist, mit hinein nehmen kann in die Ausführung Seiner Absichten, ohne dass Er Sich bei uns zu entschuldigen habe.

Wir stehen hier vor der einfachen Tatsache, an der wir nicht vorbeikommen, dass diese beiden legitimen, gleichberechtigten, ebenbürtigen Weiber des Stammvater Israels, was sie nach damaligen Sitten und Gebräuchen der Verehelichung unstreitig waren, in fleischlichem Eifer, in unwiderstehlicher Begehrung nach Nachkommenschaft nun ihre eigenen Mägde ihrem rechtmäßigen Mann zu Weibern gaben.

Es war das nicht der erste Fall in der Familie; er hatte schon einen Vorgänger gehabt bei Hagar und Abraham. Dieses Verfahren bei Jakob geschah also nach großväterlichem Vorbild, und Abraham würde, wenn Gott es nicht verhindert hätte, ganz unzweifelhaft dem Sohne der Magd das ganze Erbe zugewendet haben, was jedoch nicht im göttlichen Plane lag.

Aber in der ganzen Bibel ist keine Spur zu finden, dass etwa die Nachkommenschaft dieser beiden Mägde nicht für ebenbürtig angesehen worden wäre in der Familie Jakobs. Sie werden mit Namen belegt, die in ihrer Zusammenstellung eine reiche Bedeutung haben und die göttlichen Gnaden- und Heilsgedanken nicht nur mit Israel, sondern auch mit der Völkerwelt zum Ausdruck bringen.

Das steht da in den Namen der zwölf Söhne Jakobs, und die wollen uns doch etwas sagen. Gott könnte uns diese Lektion nicht geben, wenn diese Dinge hier nicht so wiedergegeben wären. Von einem Versuch des heiligen Schreibers, sie zu entschuldigen, ist keine Spur zu finden, sondern sie werden mit einer Selbstverständlichkeit wiedergegeben, als ob es nicht anders hätte sein sollen und können nach dem merkwürdigen, geheimnisvollen Willen Gottes.

Das soll nun nicht heißen, dass alles aus dem Geiste kommt, dass alles auf Antrieb des Geistes geschehen sei. Aber alle diese natürlichen Triebe, wie sie sich bestätigt haben auf dem Boden des Dienstes, der Heiligung aller Naturgaben und Kräfte, mögen sie an sich des Ungeistlichen so viel haben, wie sie wollen, alle Erscheinungen des menschlichen Lebens und Treibens, wie sie unter der Verwaltung und Ordnung der göttlichen Gedanken stehen, werden mit hineingezogen und haben einen Platz im göttlichen Programm.

Wenn diese Dinge nicht hier stünden, so abstoßend sie für unser keusches Empfinden sind, so sehr sie wider unser Gefühl schlagen, dann frage ich einfach: müsste man dann nicht zeitlebens schwer versucht sein angesichts der Tatsache, dass die meisten Menschen der Sinnlichkeit, der Unzucht ihr Dasein verdanken? Millionen wären nie gezeugt, nie geboren worden, wenn nicht Unzucht und Wollust da gewesen wären.

Das ist nicht eine Entschuldigung der Unzucht und Wollust, aber ich kann nicht glauben, dass Gott alle diese Geschöpfe, die nur durch Wollust ins Leben gerufen worden sind, werde vernichten und nur die durch die Keuschheit Gezeugten werden gelten im göttlichen Gericht.

Es ist gar keine Rede, dass Gott Sich nur der gesetzmäßig Gezeugten annehme und alles Übrige fortwerfe, weil sie einer entsetzlich fleischlichen Quelle entstammen. Man hat es gewiss gut gemeint, in dem Bestreben, die Gemüter nicht unnötig zu erschüttern, wenn man sagte: es wäre besser, solche Dinge stünden nicht in der Bibel. Doch hier steht es klar vor uns, dass Gott auch aus den Trieben Sein eigenes Volk aufbauen kann. Wenn Gott sie aber zur Verwirklichung Seiner Pläne gebrauchen kann, ja was kann Gott dann nicht!

Es ist eine kostbare Wahrheit, die Laban, der den natürlichen Menschen darstellt, ausspricht, wenn er zugeben muss: Gott hat mich um deinetwillen gesegnet. Diese Linie dürfen wir verlängern. Sie läuft durch die Nationenwelt, die gesegnet ist um der Auserwählten willen, und die noch viel mehr gesegnet werden wird. Auch sie kommt in den Haushalt Gottes; sie ist der Boden, auf dem Sein Volk sich aufbaut. Laban ist nicht berufen zu einem Auserwählten Gottes, aber er ist nicht Abfall, er liegt nicht außerhalb des göttlichen Haushalts. Er wird in ihn hineingezogen, und um Seiner Auserwählten willen gesegnet. So wird die Menschheit in zukünftigen Tagen auch gesegnet werden in einem Umfang und in einer Weise, die wir nur ahnen können.

Es war ein ganz einwandfreier Vorschlag, den Jakob dem Laban machte, als er um seinen Lohn gefragt ward (1Mo 30:28-34), und Laban war durchaus damit einverstanden. Was aber weiter gesagt wird von den Mitteln Jakobs, seinen Besitz übermäßig zu vergrößern (1Mo 30:37-43), das sieht recht schlau und gerieben aus. Kein Wunder, wenn man angesichts eines solchen Vorgangs sagen hört: da haben wir den verschmitzten Juden!

Diese Bemerkung ist gewiss nicht ganz unberechtigt, aber es ist nicht das Letzte an diesem geriebenen Jakob, und auch nicht das Ganze an diesem sehr schlauen und sorgfältig überlegten Verfahren, das ganz gewiss nicht beurteilt werden soll nach den Grundsätzen der neutestamentlichen Ethik.

Jakob stand ganz einfach auf dem natürlichen Boden mit Laban, und sein Schwiegerpapa ist ein ebenso geriebener Schelm wie er. Die beiden haben einander nichts vorzuwerfen gehabt. Vom Boden des natürlichen Lebens aber ist dem Jakob kein Vorwurf zu machen. Da ging alles gewohnheitsmäßig zu.

Er hat verstanden, in sehr kluger Weise Vorgänge, die er in vierzehnjährigem Dienst beobachtet hat, sich zu Nutze zu machen. Er hat nicht übervorteilt, so dass er gegen die Absprache mit seinem Schwiegervater gehandelt hätte; er hat nicht betrogen. Klug, schlau, listig, gerieben hat er gehandelt, das ist Tatsache, aber das sind doch nicht unsittliche Züge, an sich betrachtet. Auf dem Boden des fleischlichen Lebens hat er gehandelt; aber es gab ja noch keinen anderen Boden.

Wir müssen uns hüten, einen falschen Maßstab anzulegen. Das gilt auch heute noch, wo man diese Vorwürfe hört. Wenn wir in unsere Geschäftswelt hineinschauen, machen wir die Beobachtung, dass man auch da ganz genau das gleiche Verlangen hat, ebenso klug und gerieben zu sein wie Israel; es gelingt nur nicht. Wir können doch nicht glauben, die Menschen nehmen aus christlicher Nächstenliebe nur so viel Gewinn, dass sie nicht mehr hungern. Sie nehmen jedenfalls so viel, als sie nur kriegen können, und sind damit nicht ein Haar breit verschieden von Israel, nur gelingt es diesem besser. Sie sind nun einmal die Gesegneten des Herrn. Den Schlüssel dazu finden wir im nächsten Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel

In den Söhnen Labans haben wir die richtigen Antisemiten (1Mo 31:1).

Die weiteren Verse aber des Abschnitts (1Mo 31:1-14) bringen uns den Schlüssel für Jakobs wachsenden Reichtum. Wir haben gar keinen Grund zu der Annahme, was Jakob seinen Weibern sagt, sei alles erdichtet und erlogen. Es ist der wunderbare Gott von Bethel, der diesen fleischlichen Jakob segnet, der nicht besser ist als sein geriebener Schwiegervater. So ist er auch nicht besser als Esau. Aber es gelingt dem Jakob, auf dass der Segen geschehen sei nicht aus Frömmigkeit, Tüchtigkeit und Würdigkeit, sondern aus Gnaden des Berufers.

Gott wendet nun einmal den verheißenen Segen dem auserwählten Samen zu und nimmt ihn dem, der nicht auserwählt ist, wenn er damit auch kein Verfluchter wird. Die Gedanken Gottes bewegen sich auf der Linie: „Ich will dich segnen“.

Da liegt der Schlüssel für die Lösung der Frage, warum Israel trotz Zorn und Fluch gesegnet ist vor allen Völkern; und alle Versuche, sie dafür sittlich verantwortlich zu machen, verraten nur, dass man die Gedanken Gottes nicht von ferne versteht, Der Sich nicht kümmert, ob die Menschen gut oder schlecht sind. Nicht als ob Gott nicht das Böse züchtigte.

Gewiss wird das derselbe Jakob auf das Schmerzlichste erfahren müssen. Der Jakob, der so eigensüchtig handeln kann, der kommt nicht aus der Schule, ehe er sich nicht hat beugen gelernt. Alle seine Verirrungen aber durchkreuzen nicht die Gnadenabsichten unsers Gottes, und hindern ihn nicht, dennoch Erbe der Verheißung zu sein.

Es ist für uns von einer so überaus wertvollen Bedeutung, die Einsicht, dass alles, was uns an Gnadengaben in Christo verbürgt ist und was uns von da zufließt, nicht abhängig ist von unsrer Lebensführung oder Stellung. Alles, was wir sind und bedeuten, ist lediglich die Gnade Gottes.

Das will natürlich nicht sagen, dass wir uns versündigen dürfen. Für jede Versündigung bekommen wir scharfe Schläge. Das bedeutet aber nicht Verwerfung, nicht Zunichtemachung unsrer Berufung in Christo. Wir müssen beides im Auge behalten: dass unsre Berufung nicht abhängig ist von dem, was wir von Haus aus sind, und dass diese Berufung auf Grund des Liebesrates Gottes nicht Straflosigkeit bedeutet. Gott lässt uns noch viel weniger durch die Finger gehen als den Kindern der Welt. Gott züchtigt Seine Kinder scharf.

Die Auserwählung bedeutet also nicht Sicherheit, ruhiges Sich-gehen-lassen, sondern Verantwortung für unsere Stellung als Heilige, Geliebte und Auserwählte. Das Gericht trifft umso schärfer, weil wir eine so hohe Stellung haben. Darum ist alles, was in der Schrift geschrieben ist, für unsre Lebensführung so überaus wichtig.

Jakob erzählt seinen Weibern also, wie Gottes Aufforderung zur Heimkehr in sein Vaterland zu ihm kam; und sie stimmen dem zu und betonen, dass der Vater unrecht gehandelt habe; er habe sie verkauft, ihr Geld verzehrt, sie als Fremde betrachtet. Darum gehöre der dem Jakob zugewendete Reichtum ihnen und ihren Kindern (1Mo 31:14-16). Da haben unbewusst diese beiden Weiber eine große Wahrheit ausgesprochen.

Wir durften in Laban den Geist, das Wesen dieser Welt erblicken, den natürlichen Menschen in seiner Klugheit und Geriebenheit, wie er es mit dem berufenen und auserwählten Jakob aufgenommen und doch dabei den Kürzeren gezogen hat, nicht in Folge der Überlegenheit Jakobs über ihn, sondern weil die Hand des Herrn über ihm war. Es ist nicht der Wille Gottes, dass Sein Auserwählter endgültig unterliegen soll im Ringen mit den natürlichen Kräften des Lebens.

Jakob verlässt Laban

Der vornehmste Gewinn, den Jakob davongetragen hat in seinem zwanzigjährigen Dienst, ist ja, dass er in Mesopotamien die beiden Töchter Labans, Lea und Rahel, gewinnt und sie in das Land der Verheißung bringen darf.

Sie sind willig, an ihrem Teil ihres Vaters Haus zu verlassen, wie seiner Zeit Abraham es tat, und ihrem Manne zu folgen in das Land der Verheißung. Das war eine Tat des Glaubens, wenn sie auch in seinen Begleiterscheinungen nachsteht an Großzügigkeit jenem Auszuge Abrahams.

Es ist unschwer zu erkennen, dass es derselbe Leitgedanke war, um den es sich da handelte. So folgen sie dem Rufe des Auserwählten, in dem wir den Dienst sehen, verlassen Vater, Vaterhaus, Freundschaft und ziehen hin in das Land der Verheißung. Sie bewegen sich mit Mann und Kindern auf den Linien der göttlichen Verheißungen.

Weil sie das aber tun, nachdem ihnen klar geworden ist, was für sie der gewiesene Weg sei, dürfen sie auch weissagen, d. h. klare Blicke tun in die Gedanken Gottes, die Er hat mit denen, die den Zügen des Geistes folgen, die Zeit der Verheißung erkennen und den Druck nicht scheuen, mit der Vergangenheit zu brechen und sich auf der neuen Stufe des Lebens zu bewegen. Sie erkennen, der Reichtum ihres Vaters gehöre ihnen und ihren Kindern.

Das wird sich ja einmal noch in ganz andrer Weise erfüllen, als es hier angedeutet wird. In den Weissagungen der Propheten über Israel wird mit voller Deutlichkeit und in kräftigen Zügen gezeigt, dass Seinen Auserwählten zufließen werden die Schätze der Nationen samt ihrem Silber und Gold, der Reichtum der Völker an Mammon, der geweiht sein wird dem Herrn, ihrem Gott, während die gegenwärtige Gemeine Jesu Christi nicht den Beruf hat, sich auf dieser Bahn zu bewegen, denn sie nimmt eine andere Stellung ein. Aber es muss festgehalten werden, dass es Gottes Ratschluss ist, Seinen Auserwählten, Israel, die Machtstellung in der Welt zuzuwenden.

Nun macht sich Jakob auf den Weg, mit all seiner Habe zu seinem Vater zu kommen (1Mo 31:17.18). Zuvor aber wird noch von Rahel erzählt, was eigentümlich berührt (1Mo 31:19). Rahel, die Lieblingsgattin Jakobs, die Schönere der beiden Schwestern, die sein Herz so eingenommen hat, dass bei seinem Dienst um sie sieben Jahre waren wie sieben Tage – sie gerade stiehlt die Hausgötzen des Vaters und bringt sie in das verheißene Land.

Es ist merkwürdig, was für Götzen Menschenkinder, die sich auf den Linien Gottes bewegen, noch herumschleppen. Es handelt sich bei Rahel fraglos nicht um heidnische Götzen. Bilder von Ahnen, hochangesehenen Vorfahren waren es, die im Laufe der Jahrhunderte eine göttliche Verehrung erfuhren, wie Chinesen sie heute noch kennen.

Es waren also nicht übermenschliche Götter, sondern Hausgötter. Solcher Hausgötter gibt es bei uns noch mancherlei: Familien-, Geburts-, Adelsstolz, Standesvorurteile, und wie solche liebenswürdige Hausgötzen sonst noch heißen mögen; und man meint, so gut wie Rahel ihre Götzen vor Laban verbergen konnte, so gut könne man die seinen verbergen vor Gott. Aber das gelingt ihr und uns nicht. Mit weiblicher List vermag sie ihren Vater zu täuschen, aber sowohl sie wie ihr Mann und ihre Kinder können nicht in das verheißene Land einziehen, ehe sie nicht diese Götter von sich getan (1Mo 35:1-7).

Wir sind ja auch natürliche Menschen gewesen und haben von dem natürlichen Wesen noch genug in Erinnerung, dass wir uns denken können, wie aufgebracht Laban sein musste, als er erfuhr, dass Jakob über Nacht und Nebel davongegangen sei (1Mo 31:22-24). Das war nicht schön; Rücksichtslosigkeit sondergleichen zeigt sich darin. Trotzdem lässt sich hierzu noch etwas anderes sagen, obwohl weder Laban noch Jakob daran gedacht haben werden.

Es lag bewusst oder unbewusst in dieser Handlungsweise ein richtiges inneres Empfinden des geistlichen Menschen, dass es eine heilige Rücksichtslosigkeit gibt, eine innere Stellungnahme, die dazu treibt, sich von natürlicher Rücksichtnahme zu lösen.

Das will nicht missverstanden sein. Es gibt eine feine edle Rücksichtnahme, deren das Kind Gottes sich nicht entschlagen darf gegenüber den Kindern dieser Welt. Das geistliche Leben gipfelt nicht darin, dass wir ohne innere Veranlassung, ohne innere Rechtfertigung und Begründung dazu schreiten sollen, mit der Faust drein zu schlagen, Ungläubige zu reizen. Das ist verkehrt, ganz verkehrt.

Wohl aber kommen im Leben eines jeden von Gott berufenen Menschen, namentlich auf der Bahn des von Gott gewiesenen Dienstes, Tage der Entscheidung, wo wir uns mit unserem Gott innerlich klar auseinander zusetzen haben über die Tragweite eines Schrittes für unsere Zukunft und die unserer Familie. Ehe etwas Derartiges bei uns geschehen ist, sind wir gar nicht in der Lage, über Jakob den Stab zu brechen oder ihn zu rechtfertigen.

Wir wiederholen es: es gibt und wird immer wieder geben im Leben eines von Gott berufenen und gesandten Arbeiters einen Zeitpunkt, wo d i e Frage entschieden werden muss: Ist das der dir vom Herrn gewiesene Weg? Wir betonen das mit Nachdruck, weil betreffs dieses Punktes so viele dienstwillige Kinder Gottes nicht zur Klarheit kommen. Es laufen Hunderte, Tausende von ihnen herum, denen es an Willigkeit und Eifer, sich zu betätigen, nicht fehlt, aber eine klare Weisung haben sie nicht.

Wir kennen solche, die es an Rücksicht fehlen lassen gegen die Ihrigen, die sie nötig haben. Da ist eine kranke Mutter, die gepflegt werden muss, die Tochter aber geht in den Diakonissendienst und meint, das sei ihre Sache. Deren Beruf ist daheim bei der sterbenden Mutter. Solcher Fälle gibt es ungezählte in der Christenheit.

Von solchen Fällen ist hier also nicht die Rede. Hier lag klar zutage, was zu tun war: es gab nur einen Weg für die beiden Frauen Lea und Rahel – dem Manne nach in das Land der Verheißung. Was dabei herauskam an Rücksichtslosigkeit gegen Vater, Haus, Familie, das durfte getrost außer Acht gelassen werden, in Übereinstimmung mit dem Worte des Herrn: „Wer nicht hasset seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht Mein Jünger sein“ (Lk 14:26).

Das gibt eine klare Stellung gegenüber diesen Familienrücksichten (5Mo 33:9). Das gibt einen Rechtsboden, eine über alle Zweifel erhabene Weisung, der gegenüber müssen alle andern Rücksichten in den Hintergrund treten.

Nun holt Laban den Jakob ein und macht ihm harte Vorwürfe über seine Handlungsweise ([1Mo 31:25]-30). Jakob darf sich mit Fug und Recht rechtfertigen (1Mo 31:31-42). Das ist ja nicht immer unser Vorrecht. Aber es kommen Gelegenheiten doch auch für die Auserwählten unsrer Tage, wie sie selbst für unsern herrlichen Herrn kamen, und für Seinen Apostel Paulus, da sie den ungerechtfertigten Vorwürfen zu begegnen haben.

So sagte unser Herr dem Diener, der Ihm auf die Wange schlug: „Hab’ ich übel geredet, so beweise es, dass es böse sei; habe Ich aber recht geredet, was schlägst du Mich (Joh 18:23)?“ Und Paulus sagte dem Hohenpriester: „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand. Sitzest du, mich zu richten nach dem Gesetz und heißest mich schlagen wider das Gesetz (Apg 23:3)?“ Auf den Vorhalt aber, dass er den Hohenpriester Gottes also gescholten habe, entschuldigt er sich damit, dass er – seiner Kurzsichtigkeit wegen jedenfalls – nicht den Hohenpriester habe von den andern Ratsherren unterscheiden können.

Es gibt also Gelegenheiten, da ein Kind Gottes, nicht um sich selbst zu suchen, wohl aber um dem verfolgenden Laban zu dienen und ihm in deutlicher Weise seine Stellung klar zu machen, einer solchen Seele vor die Augen führen muss den ganzen Abstand, die ganze Kluft, die nun einmal bestehen zwischen einem Menschen, der für Gott da ist und einem Menschen, der nur für sich da ist. In einem solchen Falle darf ein Auserwählter Gottes ungerechtfertigte Beschuldigungen zurückweisen und alles klarstellen.

Das tat Jakob, den erhobenen Anschuldigungen seines Schwiegervaters Laban gegenüber. Denn darüber hatte Laban gar nicht hinweg kommen können, dass Jakob durch diesen stillen Auszug ihm so deutlich zu verstehen gegeben hatte: ich bedarf deiner nicht mehr. Bis auf den heutigen Tag ist es für die Welt furchtbar ärgerlich und unbegreiflich, dass Gotteskinder ihrer nicht bedürfen. Wir haben nicht den Beruf, ihr am Zeuge zu flicken, wohl aber die Aufgabe, ihr durch unsern abgesonderten Wandel zu beweisen, dass wir ohne sie fertig werden. Das ist etwas, was sie uns am wenigsten verzeiht.

Laban sagt zu Jakob: Warum hast du dich so heimlich hinweggestohlen und ich hätte dir so gerne das Geleit gegeben mit Musik (1Mo 31:27). Das können wir heute noch haben. Die Welt liefert gerne eine Musikkapelle, wenn wir ihr sagen: wir können euch nicht entbehren.

Es war ein so klarer Schritt, eine reinliche Scheidung, wie Jakob sie vornahm, als er seinem Laban deutlich zu verstehen gab: von jetzt ab hört jede Verbindung zwischen uns auf (1Mo 31:36-42). Jakob hat seine Schule in Mesopotamien gut durchgemacht. Was Gott wollte, hatte Er erreicht. Nun weist Er ihn wieder in das verheißene Land.

Nach ihrer Auseinandersetzung kamen Jakob und Laban zu einem klaren Verständnis (1Mo 31:43-54). Es ist etwas Erwünschtes, wenn man mit lieben Menschen sich Mühe gibt, ihnen unsern Standpunkt klar zu machen und sie es endlich einsehen.

Aber auch zu einem Bündnis kam es. Das Mal wurde an der Wegscheide zwischen Mesopotamien und dem westlichen Lande errichtet. Man kam überein, diese Grenze nicht zu überschreiten. Das bedeutete nichts weniger als: wir sind innerlich geschiedene Leute und bleiben es. Die Aufgabe in Mesopotamien war erfüllt: Jakob hatte die beiden Töchter Labans gewonnen und Labans Herdenreichtum ebenfalls. Das steckte im Dienste Gottes des Herrn, und zugleich bedeutete es den Grundstock zu dem Familien- und Vermögensstande des Auserwählten in dem verheißenen Lande, dem er nun entgegen zog.

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12. Aus Jakob wird Israel (1Mo 29-31)