Gottes Bund mit Abram

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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort“ (Jahrgang 1923-25)
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.

Siehe weitere Abschriften

Das erste Buch Mose

von: Prof. E. F. Ströter
Inhaltsangabe: 1Mo 1-50

6. Gottes Bund mit Abram

Fünfzehntes Kapitel

Die in diesem Kapitel berichtete Begebenheit ist herausgeflossen aus dem Zusammenhange mit der Unterredung Abrahams mit dem Könige von Sodom. Das war eine Gelegenheit, die Gott gern ergriff, um Sich dem Abraham weiter zu offenbaren. Seine Offenbarung beruhte auf dem richtigen Verhalten, das Abraham dem Könige gegenüber eingeschlagen hat. Da er treu vor Gott wandelte, hatte der gläubige und bewährte Abraham eine Bereicherung und fernere Bekräftigung der ihm von Gott gegebenen Zusage zu erfahren.

„Fürchte dich nicht, Abraham“, lautete Jehovas Zuruf (1Mo 15:1). Was war denn da, wovor er sich hätte fürchten können? In erster Linie haben wir an jene mächtigen Könige zu denken, denen er eine große Niederlage beigebracht hat. Wenn Abraham auch die Eschkols und Aners für sich hatte, so konnten sie alle miteinander ihre Scharen doch nicht messen mit den Scharen jener Könige, und sie mussten gewärtig sein, dass diese Rache an ihnen nehmen würden. Das ist der erste Gedanke.

Den andern aber wollen wir auch nicht ausschalten. Abraham hatte soeben das Anerbieten eines orientalischen Königs entschieden zurückgewiesen, und zwar in einer Weise, die man dort nicht still hinzunehmen gewahrt war. Es geht dort bei allen Verhandlungen durch eine große Reihe von Verwicklungen, Förmlichkeiten, Schmeicheleien; das ist orientalisch.

Wir finden das in 1Mo 23 sehr gut ausgeführt, wo die Verhandlungen anschaulich geschildert werden, als Abraham den Kauf eines Begräbnisplatzes für Sara abschließen will. Man erwartet im Morgenlande, dass, wenn man etwas abschlägt, man es nicht unverblümt ins Gesicht sagt. Einem orientalischen Herrscher etwas glatt abschlagen, das konnte für einen Nachbar sehr unangenehm werden. Das wusste Abraham wohl.

Gott begegnet solchen Befürchtungen, indem Er sagt: „Fürchte dich nicht, Abram, Ich bin dein Schild“. Deckung gegen feindliche Angriffe, gegen Beraubung und Plünderung stellt der Herr damit in Aussicht. Was heißen soll: „Ich bin dein Schild“, ist gar nicht auszumessen. Gott stellt Sich vor Seinen Knecht, der sich darauf gefasst hat, einen Verlust zu erleiden, hin, ihm eine herrliche Verheißung zu geben.

Die Antwort Abrahams (1Mo 15:2) hat einen bedenklichen Beigeschmack. Sie verrät den leisen Zweifel, ob doch wohl Elieser ihn beerben werde. Elieser von Damaskus war Gutsinspektor, Oberverwalter auf dem großen Wesen des Abraham. Die Antwort ist freilich auch eine Erinnerung des Herrn an Seine Zusage. Er nimmt den Herrn beim Wort und erlaubt sich, Ihn zu mahnen.

Gewiss hat der Herr Seine große Freude daran, wenn wir Ihn an Seine Verheißungen erinnern; eine größere Freude können wir Ihm kaum machen. Wir dürfen, ja wir sollen Ihm Seine Verheißungen vorhalten im einfältigen, kindlichen Vertrauen und Ihn bitten, sie bald zu erfüllen. Jes 62:6.7. Er ist anders als wir menschlichen Schuldner. Wir drücken uns, wenn wir unsere Gläubiger sehen. Er möchte aufs kräftigste daran gemahnt sein, doch bald Seine Zusagen zu erfüllen, auch wenn sie nicht an unsere Adresse gerichtet sind. Das gefällt Ihm mehr, als wenn wir alles auf uns selbst beziehen.

Gott erwiderte nichts und gab damit dem Abraham Gelegenheit, sich noch weiter auszusprechen (1Mo 15:3). So kam auch die menschliche Ungeduld zum Ausdruck. Von g e b e n hat Gott nichts gesagt, nur: Ich bin dein Schild und Lohn; wenn du Mich hast, ist’s genug; Ich genüge dir. Das hat Abraham nicht in seinem ganzen Umfang erfasst, sondern er spricht ganz ähnlich wie Petrus, der, als Jesus aufgefordert hatte, um Seinetwillen alles Hemmende aufzugeben, antwortete: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt; was wird uns dafür?“ (Mt 19:27).

Die Melodie kennen wir und singen sie in Moll und Dur. Abraham war auch ein Mensch wie wir, wir wollen ihn daher nicht zu hart beurteilen. Trotzdem aber müssen wir gestehen, dass bei ihm kein Hinanreichen wahrzunehmen ist an das volle Maß dessen, was Gott gesagt hat. Das drückt sich auch aus in der Weise, wie Gott ihm begegnet, der Sich ja gebunden hat durch Seine Verheißungen, und die Er nie einschränken und kürzen will, weil Abraham nicht an das Maß herangereicht hat. Was Abraham weiter spricht, klingt wie ein Vorwurf und macht nicht den Eindruck, als könnte er seinem Gotte folgen, Der ihn auf die höchste Höhe stellen will, die Ihm möglich ist.

1Mo 15:4 ist zunächst eine einfache, schlichte, deutliche, aber nicht hochragende Bestätigung Seiner Verheißung. Es ist eine Abweisung des Abraham, wenn Gott sagt: Elieser soll nicht dein Erbe sein. Damit aber lässt Gott Sich nicht genügen. Er kann nicht anders, auch wenn Er bei uns Kleinmut, unzureichenden Glauben, Ihn zu begreifen und Ihm Sein Wort ohne Abzug abzunehmen, finden sollte – Er kann nicht klein reden, Er muss groß reden.

Gottes Erziehungsmethode

Das ist mir so überaus köstlich geworden bei dem Studium des Briefes an die Korinther. Es gibt wohl keine Gemeinde, deren geistlicher Zustand kläglicher gewesen wäre, als die in Korinth, und was für Kostbarkeiten lässt Gott an diese Gemeinde schreiben! Gegenüber der Verkommenheit und Armseligkeit auf gewissen Linien kann Gott sich gar nicht genug tun, ein Juwelkästchen nach dem andern zu öffnen, als wollte Er sagen: Ich bin der reiche Gott und lasse Mich von eurem Fleische nicht abhalten, das Größte auszusagen, was Ich sagen kann.

So auch hier. Es gibt eine Zurechtweisung, danach aber nimmt Er den Mund so voll, wie noch nie (1Mo 15:5). Das ist die Weise Gottes, der Sich auf die Erziehung Seiner Kinder besser versteht, als wir es können, dass Er von Seinen reichsten Gütern, von Seinen großartigen Zusagen gerade da einen solchen Gebrauch macht, wo einen der Kleinmut hindern will an das hinanzureichen, was Er dargeboten.

In Seiner Erziehung beobachtet Er den Grundsatz, nicht dass Er bei unserm kümmerlichen Verhalten Sich der Peitsche bedient, sondern dass Er nur um so großartiger, gewaltiger, umfassender, herrlicher redet, um diesem tiefen Mangel, dem Unvermögen unseres Herzens, Ihn voll zu erfassen, entgegenzukommen, heilend, hebend, stärkend, belebend. Das tut Er auch hier und es gelingt Ihm.

Der Herr erlebt es, dass Abraham Ihm ohne Abstriche glaubt (1Mo 15:6), als Er die große Verheißung betreffs seines Samens ausspricht.

1Mo 15:7 erinnert daran, dass es das erste Mal nur zu einem Auszug aus Ur in Chaldäa gekommen und dann erst beim zweiten Mal zu einem Einzug in Kanaan. Das steht hier am Eingang der folgenden Ausführung. Wiederum wird ihm (vgl. 1Mo 13:15) das Land zu erblichem besitz verheißen.

Auf die Frage Abrahams (1Mo 15:8) gibt Gott einen tief ergreifenden, erschreckenden Anschauungsunterricht. Die zu vollziehende Opferhandlung ist ähnlich der, die bei Verträgen geschah. Gott ließ lange warten (1Mo 15:12). Am Abend fiel Schlaf auf Abraham, zugleich aber auch Schrecken und Grauen, was einen niederschlagenden Eindruck machen musste. Und da sprach nun Gott das Wort von der Fremdlingschaft seiner Nachkommen in Ägypten (1Mo 15:13.14).

Man könnte aus diesen Worten den Eindruck mitnehmen, als wäre Gott auf die Frage Abrahams die Antwort schuldig geblieben. Denn 1Mo 15:8 hatte er gefragt: „Herr, Herr, wobei soll ich’s merken, dass i c h das Land besitzen werde?“ Die Antwort Gottes dagegen beschreibt die schweren Gerichtszustände, unter denen Er seinem Samen das Land geben werde. Abraham erhält nur die Zusage, dass er in gutem Alter und in Frieden zu seinen Vätern gesammelt werden würde (1Mo 15:15), was nichts anderes bedeuten kann, als dass er die Besitznahme des Landes in seiner gegenwärtigen Leiblichkeit nicht erleben werde. Dass auch er einmal daran teilhaben werde, bleibt zwar unausgesprochen, steht aber offen.

Das zeigt uns, dass unser Gott von Seinem Knecht und Freunde das Größte erwartet, nämlich das unbedingte, durch keinerlei äußere Belege erhärtete Zutrauen auf die Zuverlässigkeit Seiner Verheißungen. Da bleibt für Abraham das Meiste sein Leben lang unerfüllt.

Abraham ist für uns der Vater des Glaubens, der Gläubigen, an dem wir lernen sollen, dass die Errettung in ihrem höchsten Verstande Unerfüllung bleibt in diesem Zeitalter unerfüllter Erwartungen.

Zu gleicher Zeit aber sehen wir klar, dass Abraham merkwürdig eingehende Unterweisung bekommt über Gottes Verfahren mit seinen Nachkommen. Durch Anschauungsunterricht und deutliches Wort, die sich gegenseitig ergänzen, lässt Gott ihn einen klaren Blick tun in die zukünftige Führung Israels. Er zeigt ihm, wie seine Nachkommen eine schwere Leidensschule in fremdem Lande durchzumachen haben würden, darnach werde er jenes Volk, dem sie dienen müssen, richten, und sie selbst sollen ausziehen mit großem Gut.

Da ist in sehr deutlichen Zügen das ganze Programm für Entstehung, Bedrückung und siegreiche Ausführung des Volkes Israels als Gottes Volk niedergelegt. Für uns ist es köstlich und wertvoll, zu sehen, wie Gott Seinem Knecht keinen Bescheid gibt auf seine unmittelbare Frage, sondern von ihm erwartet, Abraham werde Seine Zusage als fest und ausgemacht annehmen.

Der Geist beweist, dass Abraham wartete, und dass er das bessere, das himmlische Vaterland gesucht habe, das Land, in dem himmlische Zustände sein werden. Damit aber bekam er zu gleicher Zeit einen deutlichen Unterricht über Gottes ganzes Verfahren in Gericht und Gnade mit dem auserwählten Volk. Das musste Abraham lernen, und auch wir müssen es.

Wir haben es nicht deutlich genug gelernt, dass Gott all Seine Wege und Gedanken, alle die großen Ziele, die Er Sich gestellt hat, auf keinem andern Wege zu erreichen bedacht ist, als durch Gericht.

Von diesem Gericht ist auch Sein eigenes Volk nicht ausgeschlossen: dienstbar soll es sein im fremden Lande vierhundert Jahre. In welcher ergreifenden Weise Gott dieses Verfahren an Israel, diesen Seinen Erwählten, fortgesetzt hat, ja bis auf den heutigen Tag noch fortsetzt, so dass es die schwersten Gerichtsheimsuchungen durchzumachen hat, ehe es zu seiner endgültigen Erlösung und Darstellung als Gottesvolk kommt, davon sind wir Zeugen.

Wir wollen es uns zu Herzen nehmen, dass wir diese grundlegende Wahrheit ja recht sorgfältig buchstabieren. Jesus Selbst hat es in einem gewaltigen Wort aus Seinem Munde zusammengefasst (Mk 9:49): „Ein jeglicher muss mit Feuer gesalzen werden“. Wer es recht versteht, stößt sich nicht mehr und hält sich nicht mehr unnötig auf über die Aussagen Gottes über das Feuergericht, von den schweren, erschreckenden Kundgebungen Seiner schonungslosen Heiligkeit, die eben, weil sie Liebe ist, niemals dulden kann, dass auch nur der geringste Überrest von dem, was Verderben wirken und weitertragen könnte, in uns überbleiben darf. Das alles muss schonungslos mit Feuer gesalzen werden. Davon machen Seine Auserwählten keine Ausnahme.

Das ist es, was Gott hier, da es sich um eine köstliche Bestätigung handelt, Seinem Knechte Abraham in so tief eindringender Weise auseinanderlegen will – ein Anfangsunterricht davon, dass Gott versteht, auch Angst und Entsetzen an Seinen Wagen zu spannen, Feuer und Rauchdampf sich untertan zu machen, Seine großen Ziele zu erreichen, die Ausführung Seines großen Erlösungsgedankens zu bewirken.

Darum handelt es sich hier in erster Linie. Wohl handelt es sich in der Antwort Gottes auch um den Schauplatz; aber deutlich sehen wir, dass es sich nicht nur um den Boden, den Teil des Erdreichs, der den Schauplatz abgeben soll, sondern um das Volk Seiner Wahl. Dann werden die schwersten Heimsuchungen nicht erspart, damit Gott endlich zu Seinem Ziele kommt und alles erreicht, was Er Sich vorgenommen.

Gottes Bundesschluss

Aus 1Mo 15:18 geht hervor, dass Gott nicht nur einen Bund schließt mit Abraham, bei dem dieser der empfangende Teil ist, und an welchem Gott Sich vertraglich bindet durch das Opfer, sondern dass Er dadurch so deutlich wie nirgends sonst mehr auch die Grenzen des zukünftigen Besitzers zieht.

Bei dem Wasser, dem Fluss Ägyptens ist es durchaus statthaft, an den Nil zu denken, der ja der Grenze Afrikas sehr nahe liegt. Wenn der Nil als westliche und der Euphrat als östliche Grenze gegeben ist, so hat man nicht nur an das kleine Palästina zu denken; das wäre vielmehr nur als ein Vorgärtlein zu betrachten zu dem Lande, das Israel endgültig besitzen wird. Dann gehört auch das ganze Ostland bis nach dem persischen Meerbusen und Arabien dazu – Länder, auf denen sich beachtenswerte Kämpfe zwischen Türken und Arabern vollziehen, die sich auch nach Europa hinüberspielen mögen. Vielleicht bahnen sich da große Entscheidungen an. -- Wenn diese beiden Ströme nach Osten und Westen die eigentlichen Grenzlinien bedeuten, dann hat die Nachkommenschaft Abrahams bis heute ihr Land in dieser Ausdehnung nie besessen. Dann steht die Erfüllung der Verheißung noch aus bis heute; und alles, was geschehen ist in Besitznahme unter David und Salomo, ist nur Angeld und Anzahlung gewesen für später. Gott wird diesen Scheck in Seiner ganzen Ausdehnung bar bezahlen.

Sechzehntes Kapitel

Im Anfang dieses Kapitels wird uns erzählt die Tat des gläubigen Abrahams auf Anregung seines ebenfalls gläubigen Weibes. Dennoch dürfen wir nicht übersehen, dass bei allen Machenschaften der Glaube ruht. Es handelt sich um eine Machenschaft im Verhalten des Menschen Gott gegenüber, wie wir sie schon oft gefunden haben – um ein eigenwilliges Vorgreifen, um ein Nicht-warten-wollen, das sich rechtfertigt und entschuldigt damit, dass es ruhe auf dem Grunde göttlicher Zusage, und das nichts anderes wolle, als was Gott will.

Es ist nicht eine Tat ausgesprochenen Ungehorsams, nicht ein Brechen mit gegebenen Zusagen, nein – es ist ein Festhalten an der Verheißung. Von dir soll der Same kommen (1Mo 15:4.5.18). Aber es ist ein Vorgreifen von Seiten der gläubigen Menschen, das die bittersten Früchte trägt.

Das selbstverständlich bedeutet nicht Verlust ihrer Seligkeit, ihres Lebens, ihrer Stellung als Geliebte und Auserwählte, aber für beide bedeutet es sehr viel Unruhe, Schmerzen, Bitterkeit, Enttäuschung und herbe Erfahrungen, und was das allerschmerzlichste ist, es hatte ein dreizehnjähriges Schweigen Gottes im Gefolge.

Wir sehen da wieder klar, wie bedenklich ein solches ungeduldiges Vorgreifen auf der Linie der göttlichen Zusage ist. Es ist ja offenkundig, dass gerade auf diesem Gebiete die bedenklichsten und traurigsten Erfahrungen auch der Gemeine Gottes zu verzeichnen sind. Nicht offener Abfall von den Dingen und Wahrheiten Gottes, nicht offenes ungläubiges Brechen und Lossagen von Gottes Verheißungen, sondern ein mächtiges, zielbewusstes Vorwärtsgehen auf Linien, die man als göttliche erkannt hat, aber Art und Gesinnung des Fleisches, die man als göttliche bewerten will.

Das gerade ist die Verirrung und Verführung der verheißungsgläubigen Christusgemeine gewesen bis auf den heutigen Tag. Nicht dass sie das verheißene Reich in Abrede stellt und offen sagt: so etwas gibt es nicht – das kommt ja auch vor – aber dass sie es unternimmt, in dem Kraftwillen des Fleisches mit großer Begeisterung Ziele zu erstreben, die göttlich sind, auf deren von Gott bewirkte Erfüllung man nicht warten kann. Man möchte Reichszustände schaffen, herstellen.

Dabei kommt nur Israel heraus. Im Galaterbrief kommen wir von einem andern Gesichtspunkte aus auf dieselbe Wahrheit. Da bedient sich Paulus desselben Vorgangs, um uns zu zeigen, dass kein Israel in die Gemeine Gottes kommt.

Sarais Voreile

Und nun noch einige Einzelzüge in diesem Bilde. Zunächst tritt uns etwas ganz Ähnliches entgegen, wie wir es in der Eingangsgeschichte der Menschheit gefunden haben. Es war Abrahams Weib, das ihn beredete zu diesem Vorgehen (1Mo 16:2). Das bedeutet aber nicht eine großartige Rechtfertigung. Man kann ihn nicht bezichtigen, dass er seiner Stellung zu seinem rechtmäßigen Weibe etwas vergeben habe, denn sie veranlasst ihn ja dazu, um ihm von ihr Samen zu erwecken.

Sobald nun aber die Verbindung zwischen Abraham und Hagar die erhoffte und gewünschte Frucht gebracht hat, da regt sich der ganze Stolz des ägyptischen Weibes gegenüber der berufenen Freien, der rechtmäßigen Gattin Abrahams (1Mo 16:4), die ihre Stellung an der Seite ihres auserwählten Mannes nach göttlicher Ordnung und Bestimmung erlangt hatte, während die Hagar die ihr widerfahrene Ehre – denn als solche wurde die Tat gewiss angesehen – ihre Bevorzugung lediglich menschlicher Machenschaft zu verdanken hat. Von menschlicher Seite war alles vermieden worden, was anstößig hätte sein können, und doch haben alle klugen, vorsichtigen, menschlichen Veranstaltungen als ganzes Ergebnis ein unerträgliches, stolzes Aufbegehren des Fleisches wider die Kinder des Geistes, die sich allerdings vergessen und die Höhe ihrer Berufung aus dem Auge verloren haben.

Sie sind allerdings ungeduldig geworden und haben nicht warten wollen, so dass sie sich sagten: wir warten ja schon zehn Jahre auf die Erfüllung der Verheißung; nun wird es bald Zeit, dass sie eintritt. Da erhebt sich der ganze ungebrochene Stolz der Hagar, die die Knechtschaft des Gesetzes bedeutet, wie Paulus es im Galaterbrief darstellt, und sie mussten es schwer büßen.

Sarai hatte Anlass gegeben zu dem ganz traurigen Vorgang, und nun überhäuft sie ihren Gatten mit ihren Vorwürfen und legt ihm die Schuld auf (1Mo 16:5). Das ist eine ganz natürliche Erscheinung. Sowie ein Kind des Glaubens die Richtung verloren und sich eine Abweichung von der gewissen Bahn gestattet hat, kann man mit großer Bestimmtheit auf solch eine Entgleisung rechnen. Abraham wusste kein anderes Entweichen, als dass er das Weib ihren Händen übergab (1Mo 16:6). Sarai kühlt ihr Mütchen an ihrer Magd, die durch ihre eigene Schuld Mutter geworden war.

All diese Vorgänge sind eine tiefgreifende, erschütternde Warnung für uns. O dass wir uns vor eigenen Wegen warnen ließen und nie vorgreifen würden! Wie viele Herbheit, gegenseitiges Missverständnis unter den Kindern Gottes, die aufs Beste miteinander auskamen, erleben wir in der Gemeine Gottes! Sowie es zu solch eigenmächtigem Vorgreifen kommt, hört das Einvernehmen auf. Da gibt es Krach! Gewöhnlich ist es der schuldige Teil, der sich bitter beklagt. Das Ergebnis hat man freilich nicht vorausgesehen und nicht gewünscht, aber es ist da!

So ergreifend das ist – über allen Anfeindungen, Spaltungen, an denen die Gemeine so reich geworden ist im traurigsten Sinne des Wortes, waltet die Freundlichkeit und Herablassung unsers Gottes.

Es ist eine köstliche Tatsache, dass diese herben, schmerzlichen Erfahrungen für Abraham und Sarai kein Hinausweisen aus ihrem Verhältnis zu Gott bedeutet. Das blieb unangetastet. Aber ihre Gemeinschaft mit Gott ist unterbrochen, bis Ismael dreizehn Jahre alt geworden war. Gott sprach kein Wort mit Abraham all diese Jahre. Das ist tiefergreifend.

Hagar und Ismael

Nun einiges über Hagar und Ismael. Hagar war eine Persönlichkeit, die ganz gewiss nicht aus der Linie der ursprünglichen, regelrechten, göttlichen Verordnung kommt. Sie war eine ägyptische Magd, die ihrem Herkommen nach gar kein Anrecht hat, mit dem Auserwählten Gottes in solch innige Beziehung gebracht zu werden, ein Fremdkörper, der eingeführt worden ist in den Haushalt des Glaubens. Und durch die Einführung dieses Fremdkörpers wurde ein Sohn gezeugt, der für die ganze Entwicklung des Reiches Gottes auf Erden eine verhängnisvolle Bedeutung geworden ist bis auf den heutigen Tag.

Über allem aber auch wieder die wunderbare Weisheit Gottes, die eine solche Entgleisung, eine solch traurige Ungeduld und Missachtung der klaren göttlichen Zusagen einzufügen versteht in Seinen großen herrlichen Plan.

Es kann keine Rede davon sein, dass man aus Ismael einen Verdammten, Verfluchten macht. Das geht einfach nicht. Es steht deutlich vor unseren Augen, dass Gott Selbst die Früchte solcher Verkehrtheiten der Seinigen zu gebrauchen weiß und dass man Ihm auch von der Seite aus Seinen Plan und Seine großen Absichten niemals durchqueren oder verändern kann.

Dass allerdings dem Augenschein nach in der Ausführung der göttlichen Gedanken eine bedenkliche Verzögerung eintritt, eine dreizehnjährige Unterbrechung der Gemeinschaft zwischen Gott und Seinem Knechte, ist ja eine Tatsache. Aber auch diese lange Wartezeit wird von Gott benutzt, Seine Gedanken mit Abraham ganz wunderbar hinauszuführen, der schon zehn Jahre hatte warten müssen und nun noch zehn und drei Jahre dazu warten musste, als Gott es zum andern Male aufnimmt auf der alten Linie mit Isaak, und dann es um so größer, klarer, herrlicher herausstellt, dass Gott der ist, der aus den Toten Leben schafft. Denn die Wartezeit musste dazu dienen, es deutlich darzulegen, dass die natürliche Aussicht, einen Sohn zu zeugen und zu gebären, geschwunden war. Und dann kam Isaak!

Gott aber hat auch über Ismael, der Magd Sohn, etwas ganz Bestimmtes zu sagen. Der Engel traf die flüchtende Hagar bei einem Brunnen und forderte sie auf, umzukehren und sich zu demütigen für alles, was sie getan hatte (1Mo 16:7-9); war sie doch unrechtmäßig eingedrungen und hatte sich eine Stellung angepasst, die ihr nicht gebührte. Da gilt eine völlige Unterwerfung unter göttliche Zucht. „Demütige dich unter Sarai“, die ein Schattenbild ist von der Freien, die unser aller Mutter ist, der himmlischen Stadt.

Es kommen alle diese trotzigen Kundgebungen, Empörungen, Sichaufbäumen des stolz gewordenen Fleisches zurück unter die Hand Sarais. Zugleich aber eröffnet der Engel des Herrn der Hagar, dass ihr eine zahlreiche Nachkommenschaft beschieden sei (1Mo 16:10). Doch noch eine dritte Ankündigung widerfährt der Hagar und zwar betreffs Ismaels.

Der Name dieses Knaben wird von Gott selbst bestimmt (1Mo 16:11). Man sieht, dass Gott auch darüber Sich die unbedingte Befugnis behält. Wer einem Dinge oder einem Menschen einen Namen geben kann, beweist damit, dass er sie beherrscht. Gott bleibt unbedingter Verfüger über Ismael. Er hat seinem Wesen, seiner Bestimmung Weg und Ziel gesetzt. Gott nennt seinen Namen: Ismael „Gott erhört“. Da können wir uns kaum des Eindrucks wehren, es sei schon gar zu viel der Auszeichnung des Sohns der Magd. Gott behält recht, dass Seine Gedanken höher sind als die unsern, und dass Gott auch bei dem Sohn der Magd, der sein Entstehen dem ungeduldigen Nicht-warten-können Seiner Auserwählten verdankt, Sich ausweist als Der, Der erkannt sein will als Der erhört. Das ist groß! Da treten wieder klare Züge hervor auf dem Boden, auf dem wir uns schon oft bewegt haben. Gerade da, wo menschliche Verkehrtheit, menschlicher Unverstand Gott gegenüber in seiner unangenehmsten, schmerzlichsten, peinlichsten Weise zutage tritt, zeigt Gott, dass diese niemals eine Verschleierung, Verdunkelung der göttlichen Herrlichkeitsgedanken bedeuten, sondern dass sie und alle ihre Folgen in Seiner Hand dazu dienen müssen, Seinen Namen groß zu machen. Gott wird mit ihnen fertig, Er kann Sich Selbst daraus einen großen Namen beilegen: „Gott erhört“.

Ismael wird ein Mann werden wie ein Wildesel (1Mo 16:12). Gott kann auch ihn in Seiner Menagerie gebrauchen. „Er wird angesichts seiner Brüder wohnen.“ Ismael ist bis heute ein Wildesel geblieben und niemand hat ihn gezähmt. Er lässt sich nicht schulreiten. Er ist ein ungebrochener Wildesel geblieben, dessen Gott sich aber schon manchmal zu sehr herben Züchtigungszwecken bedient hat.

Man sieht, wie die Rute zu fernerem Schlage schon gebunden ist. Die Wurzellaute seines Namens begegnen uns im Islam in anderer Ordnung wieder. Die Nachkommen Ismaels sind bis auf diesen Tag die verbissensten Vertreter des Islam gewesen, der eine Religionserscheinung ist, die wir als einzigartig ansehen müssen. Es ist ein satanisch geschicktes Gemisch von Wahnwitz und Lüge, das je ein Mensch ersonnen hat, ein Gebilde, das zu dem mächtigsten gehört, das es je gegeben hat; ein Religionsgemisch, das in Vorderasien, Indien, Afrika sechs bis zehnmal schnellere Fortschritte gemacht hat als das Christentum.

In der neueren Missionsgeschichte haben wir sechs Millionen Bekehrungen, wo die Mohammedaner um zwanzig Millionen zugenommen haben. Es ist wohlbekannt, dass die Missionstätigkeit des Islam von Kairo aus so überaus mächtig vorgeht. Unsere Missionare haben am schmerzlichsten zu beklagen, dass der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse wegen die Kolonialregierungen dem Islam Vorschub leisten.

Aber Gott kann auch Wildesel gebrauchen. So oft Er ihn schon gebraucht hat zur scharfen, furchtbaren Züchtigung und Gerichtsheimsuchung eines verknöcherten Christentums, so gewiss steht er Ihm auch jetzt zur Verfügung. Das prophetische Bild, das der deutsche Kaiser entworfen hat, wird einmal in ganz anderer Weise in Erfüllung gehen: „Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter!“

Die Christenheit hat es erlebt, dass der Islam schon einmal vor ihren Toren stand. Gott hat eine Zuchtrute und wir helfen sie Ihm binden über ein Christentum, das zum Abbruch reif ist, ebenso wie Nordafrika vor tausend Jahren. Das ist eine Linie, die ernste, tiefe Bedeutung hat.

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