Gedenken an frühere Wohltaten Jahwes und Bitte um Erbarmen - Jes 63:7-19

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aus HSA: Verkündiger von Gericht und Heil nach Jesaja (40-66) Bd.2


Gedenken an frühere Wohltaten Jahwes und Bitte um Erbarmen - Jes 63:7-19

Es handelt sich bei diesem Text um ein Dank-, Buß- und Bittgebet der Gemeinde des Exils. Israel befindet sich in äußerer und innerer Not; die Feinde haben das Volk vertrieben, das Heiligtum zertreten, und der rettende Gott scheint sich zurückzuhalten (Jes 63:18 - Jes 63:15). Dennoch beginnt der Text mit Lob und Dank. Jes 63:7 beginnt und endet mit dem Wort chäsäd (in der Mehrzahlform) welches Gnade, Liebe, Huld, Gunst, Güte, Wohlwollen ausdrückt; der Ewigseiende hat sie in reicher Fülle in der Geschichte Israels erwiesen; auch hat er Israel Vertrauen entgegengebracht; (es sind "Söhne, die nicht treulos sein werden"), doch er wurde bitter enttäuscht (Jes 63:10). Und so folgt - ähnlich wie in Ps 106 - dem Lobpreis Gottes die Erinnerung an Israels Ungehorsam, Trotz und Widerstreben im Verlauf seiner Geschichte und der Hinweis auf Gerichte Gottes. Der Herr zog sich zurück, und das bedeutet: Die Feinde triumphieren! Israel wurde nach Babel weggeführt.

Doch der betende Prophet schaut die Dinge nicht nur von außen an, er blickt Gott gewissermaßen ins Herz. Hinsichtlich der Vergangenheit kann er sagen: "In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt" (oder: In all ihrem Beengtsein war es ihm eng"), und im Blick auf die Gegenwart hält er fest: "Du bist doch unser Vater!"

"In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt." Das heißt doch: Gott nimmt teil an den Nöten und Schmerzen seiner Kinder. Er geht nicht kalt und gleichgültig darüber hinweg. So lesen wir auch von Jesus: Er wurde, wenn er die leidenden Massen erblickte, "ihretwegen im Innersten von Erbarmen bewegt" (Mt 9:36 - Mt 15:32 u.a.); vgl. auch Jer 31:20 - Kla 3:31-33). Jeder Schmerz eines Menschen ist auch sein Schmerz. - Delitzsch weist darauf hin, dass Gott einerseits "der glückselige Gott" ist (1Tim 1:11), der über allem Vergänglichen steht, und doch andererseits mitleidet: "wie ein Mensch Schmerz empfinden kann, während er mit seiner Persönlichkeit darüber erhaben bleibt, so empfindet Gott Schmerz, ohne dass seine Seligkeit dadurch Abbruch leidet, und so empfand er seines Volkes Leiden mit."

Jes 63:9 spricht vom "Engel seines Angesichts", der Israel rettete. Es mag sich um denselben Engel handeln, von den Gott in 2Mo 23:21 sagt: "Mein Name ist in ihm", und der bei Israels Zug durch die Wüste ins verheißene Land vor Israel herzog (2Mo 23:20 - 2Mo 32:34 - 2Mo 33:2). Ist er auch identisch mit dem "Engel Jahwes" von 2Mo 3:2 (und anderen Stellen), ja mit Jesus selbst, der ja ebenfalls Israel auf seinem Wüstenzug begleitete (1Kor 10:4)?

Wenn in den Versen Jes 63:9-11 die Rede ist a) von Jahwe, b) vom Engel seines Angesichts und c) vom Geist seiner Heiligkeit, so sah Franz Delitzsch darin gar "das Geheimnis des Dreieinigen Wesens Gottes des Einen" angedeutet. "Es werden Jahwe und der Engel seines Angesichts und der Geist seiner Heiligkeit als drei Existenzen unterschieden", wobei "der Engel Jahwes der Vorausdarstellung dessen dient, der als Ebenbild des Unsichtbaren (Kol 1:15)... (die) vollkommene persönliche Selbstdarstellung des göttlichen Angesichts ist", während "der Geist, dem Kränkung angetan werden kann und der Kränkung empfinden kann (Eph 4:30).

Die Verse Jes 63:1-14 blicken auf die Zeit des Wüstenzuges unter Mose zurück. Wunder über Wunder ließ der gnädige Gott sein Volk erleben. Doch die andauernde Widerspenstigkeit Israels konnte nicht ohne Folgen bleiben: Jahwe "wandelte sich ihnen zum Feind, er selbst bekämpfte sie", Kann denn Jahwe, der Unwandelbare, Beständige, sich wandeln? Gewiss nicht in seinem Herzen und Wesen, wohl aber in seinem Verhalten in der Geschichte, da wechseln Gnadenwunder mit Gerichtsschlägen ab. Das kann so weit gehen, dass Gott Israel verhärtet, verstockt (Jes 6:9-12 und Röm 11). "nachdem der Mensch Gottes Gnade schnöde und hartnäckig verworfen, entzieht sie ihm Gott geerichtsweise, gibt ihn hin in seinen Irrweg und macht sein Herz untüchtig zum Glauben" (Delitzsch). Dass dies aber nicht Ziel und Ende der göttlichen Führung und Erziehung ist, sondern Errettung, zeigt (neben vielen anderen Stellen) Röm 11:25-36.

Es ist wunderbar, in unserm Text zu erkennen, dass sich Israel (dessen Sprecher der Prophet ist) in Jes 63:16 darauf besinnt. "Du bist doch unser Vater!" In der äuersten Not, in innerer und äußerer scheinbarer Ausweglosigkeit, wenden sie sich nicht an einen Menschen oder Engel, sondern an den Vater selbst! "Vater!" - so wird Gott auch in 5Mo 32:6 - Jes 64:7 - Mal 1:6 und Mal 2:10 genannt, während Israel Gottes erstgeborener Sohn in der Völkerwelt ist (2Mo 4:22 - Jes 1:2). Hier handelt es sich also um völkische Vaterschaft und Sohnschaft. Im Neuen Testamet wird dann der Begriff der Vaterschaft und Kindschaft inniger und persönlicher - zunächst in der Bergpredigt Jesu, danach noch viel herrlicher im so genannten "Hohepriesterlichen Gebet" (Joh 17) und in den briefen (man vergleiche etwa Eph 3:14-21 oder 1Jo 3:1.2). Hier ist jedes einzelne Kind Gottes aus dem Vater gezeugt und geboren und seiner göttlichen Natur teilhaftig (2Petr 1:4), und die gesamte Gemeinde Gottes besteht aus Söhnen und Erben (Röm 8:15-17). - Wenden wir uns darum, wie in unserem Text Israel, immer wieder in Freuden oder Nöten vertrauensvoll an den Vater, der in Jesus Christus auch unser Erlöser ist.