Das Zeugnis des Hebräerbriefes

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Abschrift des des Buches:
Das tausendjährige Königreich Christi auf Erden
von Heinz Schumacher (1964)

Paulus Verlag Karl Geyer, Stuttgart


Inhaltsverzeichnis

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In Bearbeitung

6. Das Zeugnis des Hebräerbriefes

Bevor wir die Briefliteratur des NT verlassen und uns dem letzten Bibelbuch zuwenden, müssen wir n och einen blick in den H e b r ä e r b r i e f werfen. Dabei wollen wir uns nicht lange bei denjenigen Aussagen des uns unbekannten Verfassers - vielleicht war es Barnabas - aufhalten, die als direkte Hinweise auf das messianische Königreich oder als Umschreibungen dieses Reiches gelten können, obwohl auch das lehrreich wäre. (S spricht der Verfasser im Hebr 2 davon, dass die zukünftige Wohnwelt, griech. „Ökumene“, nicht mehr den Engeln unterstellt sei - wie heute nach Eph 6:12 diese Welt den „Kosmokratoren“, den Weltbeherrschern der Finsternis -, sondern dem Sohn des Menschen, Christus. Mag diese Feststellung auch im Vollsinn erst für die Neuschöpfung gelten, so ist sie doch auch schon im Blick auf das Tausendjahrreich sinnvoll. - Im Hebr 4 stellt der Schreiber die „Sabbatruhe des Volkes Gottes“ seinen Lesern als erstrebenswertes Ziel vor Augen. Darf man hierbei nicht an „Weltensabbat“ denken, wie schon die Rabbinen das Millennium nannten? Demnach würde das Tausendjahrreich, bei allem Herrschen, Richten, Dienen und Missionieren, doch einen überwiegend festlichen, feierlichen Charakter tragen. Israel und die Völker kommen endlich von Kampf und Mühsal, Sündenelend und Satansherrschaft, Angst und Hetze zur Ruhe Gottes, die aber nicht Eintönigkeit und Langeweile, sondern glückseliges Leben bedeutet. - Wenn Christus des weiteren als „Priester nach der Ordnung Melchisedeks“ dargestellt wird - Hebr 5 bis Hebr 7 -, so ist damit zweifellos nicht nur der g e g e n w ä r t i g e hohpriesterliche Dienst des Herrn bezeichnet, sondern auch ein wesentlicher Charakterzug Seines Dienstes als Königspriester in Seinem irdischen Königreich und darüber hinaus *58-.

Christus als Hohepriester
*58 Ströter schrieb in seinem Todesjahr (1922) in „Das prophetische Wort“, S. 217ff. über Christus als den Hohenpriester für die Äonen nach der Ordnung Melchisedeks u. a. das Folgende: „Was ist es mit diesem rätselhaften Priesterkönig aus jener grauen Vorzeit? Woher stammt er? Welches ist sein Geschlecht? Welches sein Dienst? Vor allem aber, was hat es für eine Bewandtnis mit seiner ‚Ordnung‘ oder Weise?
Die Schrift sagt genug, das uns sicheren Anhalt bietet zur Feststellung der nationalen Zugehörigkeit Melchisedeks: Er war König von Salem, dem nachmaligen Jerusalem, der Hauptstadt des davidischen und salomonischen Reiches. Das war aber, wie uns 2Sam 5:6-9 berichtet wird, die Stadt der Jebusiter, eines der kanaantischen Stämme, die zu vertilgen Israels ernste Aufgabe war ... Jerusalem, die (zukünftige) Mörderin des Fürsten des Lebens, wie wird sie doch durch den Propheten Hesekiel gekennzeichnet? ‚Du stammst her und bist gebürtig aus dem Lande der Kanaaniter, dein Vater war ein Amoriter und deine Mutter eine Hethiterin‘ (Hes 16:3.45)! Und Melchisedek in ihr, lange vor Mose, Levi und aaron, vor David und Salomo, vor Priestern und Propheten Israels, der gesalbte Vertreter des allerhöchsten Gottes auf dem Boden der Völkerschaften, deren Geschichte zu den schaurigsten aller Zeiten gehört! Tiefen Gottes, unergründlich, unausfindlich!
Und das ist die Priesterordnung, nach welcher der Sohn Gottes f ü r die Z e i t a l t e r bestimmt ist. Nicht für das mosaische, das brauchen wir niemand erst zu beweisen. Auch nicht für das gegenwärtige, wie denn die Gemeinde, der Leib Christi, eines eigentlichen Hohenpriesters nicht bedarf, so wenig wie eines Königs. denn sie selbst ist in Christus zur vollsten Mitbeteiligung und -bestätigung als König und Hoherpriester für die Äonen der Zukunft berufen und verordnet.
Was tun sich da für Blicke auf in die Weiten und Fernen, die Tiefen und Höhen göttlicher Gerichts- und Heilswege ... Denn ehe diese Priesterordnung nach der Weise Melchisedeks in die geschichtliche Erscheinung treten kann und wird, muss alles erfüllt worden sein, wovon Gott zu Israel geredet hat durch Seine heiligen Propheten von alters her; und erst recht alles, was Gott durch Seine neutestamentlichen Apostel und Propheten hat verkündigen lassen von dem Geheimnis einer Gemeinde aus allen Völkern, der Fülle dessen, der alles in allen erfüllt.“
Ströter bezieht diese Aufgabe Christi, Priester nach der Weise Melchisedeks zu sein, sodann auch auf die himmlischen Wesen und schreibt: „Äonen um Äonen hat Gott sich die allerfrechste Auflehnung, den allerscheußlichsten Trotz, die unerhörteste Unverschämtheit und Bosheit aller himmlischen Rebellen gefallen lassen, getragen, sich in dem Söhne töten und verwerfen lassen, hat dem Tode ungemessenen Spielraum gelassen in der Menschheit, und das alles wozu? Um schließlich durch den Priesterkönig nach der Weise Melchisedeks, der zum Verfluchten wird, aber dadurch zum Segner des Stammvaters seiner eigenen Gerichtsvollstrecker, die seit ungemessenen Äonen auch in den himmlischen Welten eingerissene Empörung und Zerstörung vollständig und für alle Ewigkeiten auszusöhnen und zum Frieden bringen zu können durch das Blut des am verfluchten Holz gekreuzigten Samens Abrahams, des Menschensohnes."

Und ob die Briefempfänger, die doch Hebräer waren, nicht auch an das messianische Reich gedacht haben, wenn sie - Hebr 12:28 und Hebr 13:14 - vom „Empfangen eines unerschütterlichen Reiches“ und vom „Suchen nach der zukünftigen Stadt“ lasen? Gewiss ist auch hier wie den alttestamentlichen Propheten b e i d e s , Tausendjahrreich und Neuschöpfung, dabei vor Augen gestanden haben.

Diesen Worten des Hebräerbriefes, die unser Panorama vom Königreich Christi wieder um neue Züge bereichern, stehen aber andere Aussagen gegenüber, die dem bisher gewonnenen Bild vom Reich eher zu widersprechen scheinen. Der Verfasser dieses Briefes ist ja ein ausgesprochener Typologe. Ihm ist es von Gott geschenkt, in einer geradezu meisterhaften Weise vorbildliche Züge des AT aufzuspüren, und sie im Lichte des NT zu deuten. Dabei liegt der Ton seiner Ausführungen darauf, dass wir durch Christi Kommen ins Fleisch und Seinen blutigen Opfertod nunmehr von der Abschattung zum wesenhaften Sein, vom Schattenriss zum Körper selbst, vom Vorbild oder Abbild zur eigentlichen Gestalt gelangt sind (Hebr 10:1; vgl. auch Kol 2:16.17). Die Gesetzgebung vom Sinai war eine verkleinerte Abbildung, eine Projektion himmlischer Wirklichkeiten in die irdische Sichtbarkeit - wir sind nun zum wahren, himmlischen Heiligtum und Gottesdienst gekommen, wo sich Christus immerdar für uns verwendet (Hebr 7:24ff.; Hebr 8:1-5; Hebr 9:11-15; Hebr 12:18-24). An die Stelle des levitischen Priesterdienstes tritt also ds Priestertum Christi; Sein Opfertod am Kreuz hat alle vorbildlichen Opferhandlungen, die auf Sein Opfer hinwiesen, erfüllt und zugleich ihre Unzulänglichkeit erwiesen und sie hinfort überflüssig gemacht; der n e u e B u n d ist durch S e i n B l u t eingeweiht w o r d e n und hat den a l t e n abgelöst! Ja, der Verfasser scheut auch vor scharfen, beinahe geringschätzig klingenden Wendungen (wie z. B. „alt, veraltert, überlebt“ Hebr 8:13) nicht zurück, um darzutun, dass die christusgläubigen Hebräer tatsächlich frei geworden sind vom Joch des mosaischen Gesetzes, des ersten Bundes, des levitischen Priestertums.

Der von Jeremia (Jer 31:31) und anderen Propheten verheißene neue Bund hat also für die gläubigen Hebräer bereits begonnen“! So hatte ja auch der Herr an jenem letzten Abend, bevor Er verraten wurden, im Kreise Seiner Jünger bei der Einsetzung des Abendmahles gesagt; „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut ..." (Lk 22:20; 1Kor 11:25). (Die Heidenchristen mit denen der alte Bund nicht geschlossen worden war, dürfen nun ohne weiteres in den neuen eintreten; die Erfahrung des alten bleibt jedoch nach Röm 7 auch ihnen nicht erspart.) - Wenn nun aber, so könnte man fragen, der neue Bund schon in der Gegenwart in der Gemeinde der Gläubigen verwirklicht ist (nicht als zweiseitiger Gesetzesbund, sondern als einseitiger Gnadenbund, geschlossen und garantiert durch Gottes geistliches Gnadenwirken am Menschenherzen), ist dann für die Zukunft noch Weiteres zu erwarte? Wenn die im AT geweissagte „innere Wiederherstellung Israels“ heute schon im Raum der gläubigen Gemeinde geschehen ist und fortlaufend weiter geschieht, wo Israeliten zum Glauben kommen, ist dann derselbe Vorgang auf völkischer Ebene im kommenden Äon noch einmal zu erwarten?

Wir antworten ohne Bedenken mit Ja. So wie es eine gegenwärtige Königsherrschaft Christi gibt - eben nach Kol 1:13 die Gemeinde -, dieses gegenwärtige Königreich des Gesalbten aber kein Ersatz für das zukünftige ist, sondern vielmehr eine Vorstufe dazu, genauso ist auch die gegenwärtige Verwirklichung des verheißenen „neuen Bundes“ im Raum der Gemeinde kein Ersatz für seine spätere völkische Verwirklichung an Israel im Reich. Ebenso verhält es sich ja auch mit der Verheißung des Heiligen Geistes: die Joel Weissagung (Jo 2:28-32; Luther Joe 3:1-5), nach welcher Gottes Geist einmal über alles Fleisch, in erster Linie über die Bewohner Israels ausgegossen werden soll - in Verbindung mit einer großen göttlichen Rettungsaktion auf dem Berge Zion und in Jerusalem -, fand e i n e Erfüllung (genauer: Teilerfüllung, Vorerfüllung) zu Pfingsten in Jerusalem (Apg 2:14-21), was aber die spätere Erfüllung im reich keineswegs ausschließt oder aufhebt.

Aus den Ausführungen des Hebräerbriefscheibers ergeben sich indessen für unser Thema noch weitere Fragen: Wenn das mosaische Gesetz (als Forderung ans Fleisch) überholt und abgetan ist, wie kann dann im Königreich Christi dennoch von Jerusalem das Gesetz ausgehen (Jes 2:3)? - Die Antwort hierauf ist nicht schwer: Mit „Gesetz“ ist hier nicht das Gesetz vom Sinai gemeint, sondern es ist ganz allgemein an „Lehre“ oder „Unterweisung“ zu denken, wie auch übersetzt werden kann. Diese Unterweisung für die Völker mag zwar der Strenge nicht entbehren. (vgl. die „eiserne Zuchtrute“ von Ps 2:9), sie hat jedoch als Ziel nicht den alten, sondern den neuen Bund*59.

Gesetz, Opfer, Tempel im Tausendjährigen Reich
*59 Störter sagt hierzu (Strö PW 1911/381): „Es kann nie die Rede sein, dass die Gläubigen in Israel entweder das ganze Gesetz oder irgendeinen Teil desselben zu ‚tragen‘ hätten in dem Sinne wie Petrus Apg 15:10 davon redet. Wie versuchet ihr nun Gott mit Aufhalsung eines Jochs auf den Nacken der Jünger, welches weder unsere Väter n och wir zu tragen vermochten? Solange nämlich ein Mensch das Gesetz als Weg zum Leben und zur Seligkeit brauchen will, ist es ein unerträgliches Joch. Derselbe Petrus aber wird gewiss mit seinem Bruder Johannes ganz einverstanden gewesen sein, da dieser schrieb: Das ist die Liebe zu Gott, dass wir Seine Gebote halten, und Seine Gebote sind nicht schwer (1Jo 5:3).
Wenn zwei dasselbe tun, ist nicht dasselbe, Gesetzesbeobachtung und Gesetzesbeobachtung ist zweierlei. Wer erkannt hat, das Christus des Gesetzes Ende geworden ist zur Gerechtigkeit, der hört auf mit eigenen Werken des Gesetzes, Wem so Gott nach Seiner Verheißung (Hes 36:27; Jer 31:33) Sein Gesetz ins Herz geschrieben und in den Sinn gegeben hat, der hat seine Lust daran, zu wandeln in allen Geboten und Satzungen des Herrn untadelig.
Wer dagegen aus seinem Tun des Gesetzes Gottes Wohlgefallen verdienen oder erwerben will, wird statt dessen nur Fluch ernten, denn er sät auf das Fleisch.
Wir reden nur einer solchen Beobachtung des Gesetzes für gläubige Israeliten das Wort, wie sie Jesus und Seine Apostel und die ganze erste Gemeinde aus Israel unzweifelhaft geübt haben, nicht zur Erlangen der Gerechtigkeit, sondern um der Wahrheit Gottes willen, zu bestätigen die den Vätern gegebenen Verheißungen (Röm 15:8). Denn das letzte Ziel Gottes in dem neuen Bunde mit Israel ist die Schöpfung eines Volkes, das sich nicht hinwegsetzt in missverstandenem Liberalismus über die alten Vorschriften und Verordnungen, sondern eines Volkes, das in Seinen Geboten wandelt, Seine Rechte beobachtet und danach tut."

Gibt es noch Tieropfer im Millennium?

Schwieriger ist die Beantwortung folgender Fragen: Wenn der alttestamentliche Tempel- und Priesterdienst mit seinen Tieropfern für die christusgläubige Gemeinde - und zwar sowohl für Judenchristen wie für Heidenchristen - „veraltert“ und „überholt“ ist, ein für allemal abgelöst durch Christi Blut und Gerechtigkeit und die Einsetzung der Gemeinde als „heiligen Tempel im Herrn“ (Eph 2:21), ist es dann noch denkbar, dass gemäß der Schau der alttestamentlichen Propheten im messianischen Reich wiederum ein Tempel aus toten Steinen ersteht (Hes 40-46) und Tiere geopfert werden und Priester und Leviten ihres Amtes walten? Stehen solche Tieropfer nicht auch im Gegensatz zu der verheißenen E r n e u e r u n g der Tierwelt? Waren die alttestamentlichen Schreiber, wenn sie die Züge des Reiches ausmalten, in „zeitgenössischen Vorstellungen“ befangen, und haben wir s o l c h e Züge daher von der Entwicklung des NT her zu streichen? - Die letztere Frage bejahen, hieße dem Geiste Christi, der in den Propheten war, keine echte Vorausschau, auch unabhängig von zeitgebundenen Vorstellungen zutrauen. Ja, dann wäre die ganze Weissagung etwa der Kapitel Hes 40-46 im Grunde nichts anderes als Phantasie. Wir können zu den aufgeworfenen Fragen nicht besser Stellung nehmen als mit den Worten Erich Sauers, der in seinem Buch „Gott, Menschheit und Ewigkeit“ (Sa I/177-181 dazu u. a. Folgendes sagt:

„Was die Weissagungen von einem zukünftigen Tempeldienst in der messianischen Zeit betrifft, so gehen sie an zahlreichen Stellen derartig genau in Einzelheiten, dass ein rein geistiger Sinn für jeden unbefangenen Leser einfach ausgeschlossen ist. So spricht Jesaja von einem ‚Altar‘ Gottes im kommenden Messiasreich (Jes 60:7) und der ‚Stätte Seiner Heiligkeit‘, die Gott schmücken will (Jes 60:13). So spricht er vom ‚Speiseopfer‘ (Jes 66:21), von ‚Neumonden‘ und ’Sabbaten’, an denen dann alles Fleisch kommen wird, um den Herrn anzubeten (Jes 66:23). So spricht auch Jeremia von ‚Priestern und Leviten‘, von ’Speiseopfern’, ‚Brandopfern‘ und ’Schlachtopfern’ im Königreich es einst regierenden gerechten Sprossen Davids (Jer 33:18.21.22). So schildert vor allem H e s e k i e l einen zukünftigen Tempel mit derartig vielen Einzelangaben und Teilmaßen, dass es schlechterdings unmöglich erscheinen will, zu erklären, die alles sei nur bildlich gemeint und müsse darum ‚vergeistigt‘ werden“. Erich Sauer erinnert dann an die sehr in s einzelne gehenden Angaben in Hes 45:21-25; Hes 46:7.13.14; Hes 46:9; Hes 40:39-43; Hes 43:24; Hes 45:19.21; Hes 43:10.21; Hes 44:15; Hes 442:15-20; Hes 40:6.7.10.11.16.17; Hes 41:22; Hes 43:13-17 und fährt im Anschluss daran fort: „Das bisher Wiedergegebene dürfte genügen, um zu zeigen, dass ein wirkliches L e s e n dieser prophetischen Texte es über jeden Zweifel erhebt, dass hier eine r e i n bildliche Vergeistigung völlig unmöglich ist, sondern dass der Prophet hier wirklich einen zukünftigen Tempel mit ganz genau angegebenen Einzelmaßen und einen zukünftigen Opferdienst mit zahlreichen, angegebenen Einzelbestimmungen erwartet ... Hier stehen wir wirklich vor einer unentrinnbaren Alternative: E n t w e d e r hat sich der Prophet in seiner Erwartung eines solchen kommenden Tempeldienstes geirrt und seine Weissagung wird in dem Sinn, wie er sie gemeint hat, niemals erfüllt. O d e r aber, Gott wird in der messianischen Zeit auch diese buchstäblich gemeinten Tempelweissagungen noch buchstäblich erfüllen ... *60

*60 Der Gedanke, dass erneuerte, d. h. in den Frieden des Millenniums einbezogene Tiere doch nicht mehr als Opfertiere infrage kommen könnten, ist biblisch nicht beweiskräftig. Denn schon die alttestamentlichen Tieropfer waren ja niemals als S t r a f e für diese Tiere gedacht - sonst wären wohl auch eher die Raubtiere infrage gekommen als Lämmer und Kälber -; vielmehr sollten die Opfer dem Volk eine A n s c h a u u n g heiliger göttlicher Gesetze bieten.
Gerade nach diesen göttlichen Gesetzen aber kann das zu opfernde Tier eigentlich gar nicht friedlich, sanft und rein genug sein; den es soll ja auf niemand anders hinweisen als auf den, der sich als sündloses fleckenloses „Lamm Gottes“ willig schlachten ließ. von hier aus gesehen, wären „erneuerte“, vom Heil des Millenniums auf ihrer Stufe erfasste Tier e r s t r e c h t geeignet, als Hinweis auf das sündlose Gotteslamm geopfert zu werden.’'

Unmöglich ist auch der Versuch, an der Buchstäblichkeit des Hesekielschen Tempels festzuhalten und seine endgeschichtliche Zukünftigkeit dennoch zu bestreiten, indem man ihn aauf den Serubabelschen Tempel bezieht, der ja bald, kurz nach Hesekiels Zeit, in den Jahren 536-516 v. Chr. von den aus der babylonischen Gefangenschaft Zurückgekehrten gebaut wurde (so Hengstenberg). Denn die Maße des Serubabelscheen Tempels stimmen durchaus nicht mit den Maßen des Hesekielschen Tempels überein ....

Dass wir bei diesem Ganzen - namentlich im Hinblick auf den Hebräerbrief - vor n och manchen ungelösten Fragen stehen, sei offen zugestanden ... vielleicht aber können wir doch schon zum mindesten die allgemeine Richtung erkennen, in der sich eines Tages die Lösung auch dieser Fragen zeigen mag. Allerdings sagt der Hebräerbrief: ‚Wo Vergebung der Sünden ist, da ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde‘ (Hebr 10:18). Damit ist aber keineswegs bewiesen, dass es nach Christi Erlösungswerk nun überhaupt keine symbolischen Gottesdiensthandlungen mehr geben könne, wie sie Hes 40-44 aber doch eindeutig bezeugt.

Symbolische Gottesdiensthandlungen sind auch n a c h Golgatha noch möglich. Zwar sind sie dann nicht mehr - in alttestamentlichem Sinne - v o r wärtschauende prophetische Symbole, wohl aber - in neuttestamentlicheem Sinne - r ü c k schauende symbolische Handlungen. Denn wenn es nach Golgatha überhaupt keine sinnbildlischen Gottestdiensthandlungen mehr geben könnte, mit denen für den Glaubenden auch geistliche Segnungen verbunden sind, wo wäre dann noch die Möglichkeit der neutestamentlichen Taufe und des Abendmahls der Gemeinde? Sind diese letzteren doch ebenfalls kultische, äußerlich sichtbare, symbolische Handlungen, mit denen für den Glaubenden auch heute der Empfang tatsächlicher, von Gott gegebener Segnungen verbunden ist.

Allerdings ist es wahr, dass, nach Hesekiel, die von ihm geweissagten zukünftigen Opfer nicht nur rein sinnbildliche Handlungen sind, die lediglich der Erinnerung und dem Gedächtnis des Werkes Christi dienen; sondern sie sind tatsächlich verbunden mit dem Gottesgeschenk von Sündenvergebung und Versöhnung (Hes 43:21-27; Hes 45:17). Aber ebenso gehen auch die neutestamentlichen Handlungen von Taufe und Abendmahl, nach den Belehrungen des NT, über das r e i n Symbolische und Erinnerungsmäßige hinaus und sind verbunden mit dem Empfang göttlicher Segnung (vgl. 1Kor 10:16-21). So ist denn mit dem Hinweis auf den Hebräerbrief keine grundsätzliche Widerlegung zukünftiger, buchstäblicher Tempelhandlungen gegeben. Bewiesen ist nur, dass diese Handlungen dann in einem völlig neuen Sinn und einer völlig neuen Blickrichtung gesschehen werden. Der alttestamentliche Opfer- und Priesterdienst in seinem mosaischen, vorausschauenden, vorchristlichen Sinn wird allerdings nie wiederkehren. Der ‚Alte Bund‘ ist für immer dahin und wird niemals wieder erstehen und neu eingesetzt werden. Ganz bestimmt wird diese neue Theokratie (Gottesherrschaft) kein Rückfall in das AT sein. Vielmehr wird alles im Geist des ‚Neuen Bundes‘ geschehen. Die alten Formen werden mit völlig neuem Geist ausgefüllt werden*61.

*61 „eins aber wird diesen Tempel ... in jedem Fall von dem Salomonischen unterscheiden: es wird keine Bundeslade mehr in ihm sein (Jer 3:16.17), ebenso kein Leuchter, kein Schaubrottisch, kein Vorhang zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten (vgl. Hebr 9:8; Mt 27:51).
Seit der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar (586) hat Israel nie wieder eine Bundeslade gehabt. Dies war für den Tempel Serubabels ein großer Verlust (516 v. Chr. bis 70 n. Chr.) ... für den zukünftigen Tempel aber wird gerade dies Fehlen ein großer Gewinn sein. Denn der Grund ist kein geringerer als der, dass der Herr nun s e l b e r persönlich gegenwärtig ist, dass Jerusalem Sein ’Thron’ (JER 3:17) und Gottes Gegenwart die ’Schechina’ die ‚Wolke der Herrlichkeit‘ ist (Jes 4:5; 2Mo 40:34-38), so dass nunmehr das Sinnbild, als ‚erfüllt‘, seiner Verwirklichung weichen kann.
Damit aber drückt gerade dies Fehlen der Bundeslade das Wesen des Tausendjährigen Reiches aus: es ist die Ü b e r g a n g s - H e i l z e i t zur E w i g k e i t. Im himmlischen Jerusalem wird es überhaupt keinen Tempel mehr geben, weil alles in Christo erfüllt ist (Offb 21:22). Hier aber schwindet zunächst erst ein Teil - und zwar gerade der Hauptteil -; doch das ‚Gehäuse' bleibt noch bestehen. Denn das Messiassreich hat zwar den ‚Kern‘ der Vollendung - die sichtbare Gegenwart Christi -; aber das ‚Gehäuse“ - die alte Welt - ist noch nicht abgetan.“ (Sa II/185)

In diesem Zusammenhang zitiert Erich Sauer den früheren Professor für lutherische Theologie an der Universität Basels namens A u b e r l e n, „einen der Hauptbahnbrecher für die Erwartung eines sichtbaren Gottesreiches noch auf der unverklärten Erde in den Kreisen der gläubigen Theologie“. Auberlen beschreibt das Verhältnis des Tempeldienstes im Tausendjährigen Reich zu den Haushaltungen von Gesetz und Gnade mit folgenden Worten: „Was zu den Zeiten des Alten Bundes nur auf ä u ß e r l i c h e Weise , im ‚Buchstaben‘ geschah, was in der Zeit der Gemeinde umgekehrt sich in das i n w e n d i g verborgene ‚Geistes’wesen zurückzog, das wird in der Zeit des Tausendjährigen Reiches, beides vereinend, auf p n e u m a t i s c h e Weise sich auch ä u ß e r l i c h darstellen und ausgestalten. Im Alten Bund war das ganze israelitische Volksleben in all seinen verschiedenen Erscheinungsformen, Haus- und Staatswesen, Arbeit und Kunst, Literatur und Kultur, auf ä u ß e r l i c h gesetzliche Art religiös bestimmt. Die Gemeinde hatte vor allem auf H e r z e n s erneuerung zu dringen. Im Tausendjährigen Reich werden alle diese ‚äußeren‘ Lebensgebiete von ‚innen‘ heraus wahrhaft christianisiert werden.“

Mit diesen Worten bezeugt Prof Auberlen eine Wahrheit, die wir auch weiter oben schon herausgestellt hatten: Eines der wesentlichsten Kennzeichen des irdischen Königreiches Christi wird dies sein, dass das Äußere Spiegelbild des Inneren sein wird. Die innere Wiederherstellung des heiligen Volkes wird abgebildet werden in Wirtschaft und Politik, Kultur und Klima, kurzum in allen Lebensbereichen bis hinein sogar in die Tier- und Pflanzenwelt. Es wird ein Äon des S c h a u e n s, sichtbarer Darstellung, herrlicher und festlicher Anschauung sein. Und die Bekehrungen im Tausendjährigen reich werden keine Bekehrungen durch „Glauben ohne Schauen“ sein (wie in der Regel heute), sondern (wie beim Pharisäer Saulus) durch „Glauben und Schauen“. Eben um dieser sichtbaren Darstellung willen werden auch Tempeldienst und Opferhandlungen den Worten der Propheten gemäß zu erwarten sein*62

*62 Israel hat immer sichtbaren Anschauungsunterricht gehabt von allen Gottesgedanken; seine ganze Erziehung liegt nicht auf der Linie des Hörens - wie bei uns -, sondern des Schauens. Des Menschen Sohn kommt aber nicht wieder, wie bei Seiner ersten Erscheinung, in Knechtsgestalt; daher wird Israel keine Gelegenheit mehr haben, einen praktischen Anschauungsunterricht zu bekommen für die Dahingabe des Sohnes Gottes in den Tod.
Nach der Hinwegnahme der Gemeinde, wenn das Abendmahl nicht mehr gefeiert wird, tritt der Schatten wieder ein, obwohl er erfüllt ist. Daher ist es ganz einleuchtend, dass das Opfer dann wieder in seine Rechte tritt; nur weist es nicht vorwärts, sondern rückwärts. Auch die Väter des Alten Bundes wussten wohl, dass die Opfer nicht Sünden wegnehmen konnten, und doch gingen sie auf diese göttliche Stiftung ein, weil das Volk ihrer bedurfte.“ (Strö/18-19)

Lies weiter:
IV. Das Königreich nach dem Buch der Offenbarung