Das Königreich nach der Apostelgeschichte und den Briefen

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Abschrift des des Buches:
Das tausendjährige Königreich Christi auf Erden
von Heinz Schumacher (1964)

Paulus Verlag Karl Geyer, Stuttgart


Inhaltsverzeichnis
weitere Abschriften

III. Das Königreich nach der Apostelgeschichte und den Briefen

Das Reich in seiner Verzögerung

Die alttestamentlich Schau vom Reich war die Schau vom Reich I s r a e l s. Hier stand das Volk der göttlichen Wahl als entscheidender Faktor voran: Von Israel aus soll sich einmal das messianische Reich über die ganze Erde hin ausdehnen; Israels äußere und innere Wiederherstellung ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dazu; in Israel, nämlich in Jerusalem, ist der Regierungssitz des Gottkönigs und Seiner Mitregenten; die Heilige Stadt ist zugleich politische Hauptstadt, Sitz des obersten Gerichtshofes, Missionszentrum und Anbetungsstätte Gottes für alle Völker; sie vereinigt gleichsam die Funktionen, die beispielsweise Bonn, Karlsruhe und Rom zusammen für einen katholischen westdeutschen Bürger heute haben, nur eben in göttlicher Gerechtigkeit und Vollkommenheit. -

In den Evangelien steht das Reich als R e i c h des K ö n i g s vor uns. Der König weist sich in Tat und Lehre als der verheißene Messias aus; aber er tut nichts, um Sein Reich in Kraft und Herrlichkeit heraufzuführen, erklärt vielmehr, dass Er erst leiden und sterben müsse und dass erst im Verlauf einer Zwischenzeit zwischen Seinem Tod und und glanzvollen Wiederkommen gewisse Entwicklungen eintreten müsse, bevor Er Seine Herrschaft auf Erden aufrichten könne. Kraft und Herrlichkeit des Reiches werde nur in P r o b e n offenbar, Verfassung und Gesinnung des Reiches nur einem kleinen, auserwählten Jüngerkreis bekannt. Die Masse des Volkes und vor allem seine Obersten würden sich wohl einem Brotkönig (Joh 6) beugen, sind aber zur Unterwerfung unter einen König, dessen Glanz und Macht stets mit Wahrheit, mit Demut, mit Sanftmut und Selbsterniedrigung gepaart sind (so wie diese Eigenschaften im Herzen des Königs David als schwachem Vorbild zusammentrafen), nicht bereit. Er soll sterben, und Er will auch sterben. Bald nach Seiner Auferstehung fährt Er auf gen Himmel, von woher Er gekommen war. Das „nahegekommene“ Reich entfernt sich wieder.

Vor dem Verlassen dieser Erde aber fand noch eine wichtige Unterredung des Herrn mit Seinen Jüngern über Seine Königsherrschaft statt. Und wenn der Herr ihnen auch die Frage nach dem Zeitpunkt des Hereinbrechens des R eiches so wenig eindeutig beantwortete wie vor Seiner Auferstehung, so hat Er doch die Tatsache, dass das Reich Israels einmal wiederhergestellt wird, keineswegs geleugnet (Apg 1:6-8). Prof Auberlen schrieb hierzu seinerzeit:

„Die Apostel haben an ihre scheidenden Herrn keine dringendere Frage als die „Wirst Du in dieser Zeit dem Volk Israel das Reich herstellen? (Apg 1:6). Sollen wir nun etwa annehmen, die Jünger seien hier noch in jüdischen Äußerlichkeiten befangen gewesen? Dagegen spricht im Texte selber das Vorhergehende wie das Nachfolgende. Während der 40 Tage nach der Auferstehung hatte Jesus mit ihnen die Dinge des Reiches Gottes gemäß dem prophetischen Wort besprochen (Apg 1:3; Lk 24:44.45); und wie könnten wir glauben, dass sie Ihn auch in diesen letzten Zeiten noch missverstanden habenN? Vielmehr geht aus der apostolischen Frage hervor, dass in den Belehrungen des Herrn selbst die beiden Begriffe ‚Reich Gottes‘ und ‚Reich Israels‘ nicht so weit müssen auseinander gelegen haben, dass ihnen der Herr vom Kommen des israelitischen Gottesreiches gesprochen und nur über den Zeitpunkt seines Erscheinens sich nicht geäußert haben muss; denn aller Nachtdruck der Frage liegt auf dem: i n dieser Z e i t; die Sache selbst setzen sie als bekannt und anerkannt voraus. Eben darauf weist nun auch die Antwort hin, welche Jesus Apg 1:7 gibt. Sie enthält eine unzweideutige Bestätigung davon, dass Israel das Reich noch einmal erhalten soll, indem sie nur die Bestimmung des näheren Zeitpunktes für den Eintritt dieses Ereignisses ablehnt. Weiter weist dann der Herr in Apg 1:8 die Jünger vom Reich hinweg auf die Gemeinde, deren Zeit jetzt bevorstehe. Der Herr sagt also Seinen Jüngern beim Scheiden: Z u e r s t die G e m e i n d e , d a n n das R e i c h . Dass aber das letztere nicht ausbleiben wird müssen noch ausdrücklich die Engel bestätigen, welche nach der Himmelfahrt Apg 1:11 bezeugen: ‚Dieser Jesus, ,welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird so kommen, wie ihr Ihn gesehen habt gen Himmel fahren.

So erfüllt sich nun an dem Volk Israel, was der von ihm weg zu Seinem Vater Erhöhte ihm in mehreren Gleichnissen bereits angekündigt hatte; Israel scheidet (vorerst) als Träger der Reichshoffnung und Reichsanwartschaft aus; eine andere Körperschaft wird für eine gewisse Zeit der Träger von beidem. Eine göttliche Weichenstellung erfolgt - nicht als Willkür Gottes, sondern infolge menschlichen Ungehorsams Diese Weichenstellung, dieser Übergang wird uns vor allem in der Apostelgeschichte geschildert; er bildet auch den geschichtlichen Hintergrund zu den apostolischen Briefen.

Bevor sich aber die Nacht der Verstockung und Verblendung (Röm 11:7-10.25 völlig auf Israel herabsenkt, ergeht kurz nach Pfingsten ein nochmaliger Bußruf an das schuldig gewordene Volk, verbunden mit einem wunderbaren, einmaligen göttlichen Angebot, - ähnlich wie die sinkende Sonne kurz vor ihrem Untergang je und dann noch einmal für kurze Zeit strahlend durch die Wolkendecke bricht.

1. Das nachpfingstliche Reichsangebot

Das nachpfingstliche Reichsangebot an Israel und seine Ablehnung.

Das Pfingstereignis war noch einmal eine Probe, ein Anbruch vom kommenden Reich. Was die Propheten mehrfach geschaut und bezeugt hatten - dass Israels innere Wiederherstellung mit einer gewaltigen Ausgießung des Geistes Gottes eingeleitet werde -, fand eine anbruchsweise Erfüllung. Deshalb war diese Ausgießung auch an einem bestimmten O r t , Jerusalem, und an eine bestimmte Z e i t, den 50. Tag nach Ostern entsprechend der jüdischen Festordnung, gebunden, und Petrus weist in seiner Pfingstpredigt sogleich darauf hin, dass es sich um die Erfüllung einer alttestamentlichen Reichsverheißung handele (Apg 2:14-21). Tausende von Menschen werden innerlich erneuert; Gott schreibt Sein Gesetz in ihre Herzen; ,Zeichen und Wunder geschehen in der Kraft des Namens des Messias. Aber noch wunderbarer ist, was Petrus im Auftrag Gottes seinen „Brüdern“ dem Fleische nach, nämlich seinen Volksgenossen, die wenige Wochen zuvor erst den Messias verleugnet, verworfen und gekreuzigt hatten (Apg 3:12-18), nun anbieten darf:

“So tut nun Buße und bekehret euch, damit eure Sünden getilgt werden, auf dass Zeiten der Erquickung vom Angesichte des Herrn kommen, und Er den für euch bestimmten Christus Jesus senden möge, den der Himmel aufnehmen muss bis zu den Zeiten der Herstellung alles dessen, was Gott durch den Mund Seiner heiligen, von Ewigkeit ausgesandten Propheten geredet hat.“ (Zürcher Bibel - Das Tillmann-Testament gibt die Stelle wie folgt wieder:) „So ändert also euren Sinn und bekehrt euch, auf dass eure Sünden nachgelassen werden. Dann werden auch Zeiten der Erquickung vom Herrn kommen, und Er wird den euch bestimmten Messias Jesus senden, den der Himmel bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge aufnehmen muss...“ (Apg 3:19-21)

Professor E. F. Ströter hat in seiner Zeitschrift „Das prophetische Wort“ bereits 1907 nachgewiesen, dass die in Apg 3:9 genannten „Zeiten der Erquickung“ nichts anderes bedeuten als eben das Reich des Messias auf Erden. Daher heißt es auch Apg 3:20.21, dass Jesus, der der Messias, der verheißene Gesalbte ist, den jetzt noch der Himmel aufnimmt, wiederum vom Vater gesandt werden soll, und zwar sofort, ohne langen Aufschub, w e n n nur die von Petrus angeredeten „Männer von Israel“ wirklich und in ihrer Gesamtheit oder Mehrzahl Buße tun, ihre verkehrte Gesinnung ändern, umkehren! - Während es uns in Mt 4:17 schwerfiel, an ein A n g e b o t Gottes zu glauben, haben wir es h i e r zweifellos mit einem einzigartigen göttlichen Angebot zu tun! (Es heißt ja auch hier: „Tut Buße, d a m i t ...“, nicht wie in Mt 4:17: „Tut Buße, d e n n ...“)

Der Vater selbst bestimmt nach Jesu Wort in Apg 1:7 Zeiten und Zeitpunkte, d. h. das Tempo, die Schnelligkeit, mit der Sein Heilsplan abrollt. Er hat jederzeit die Freiheit, Zeiten zu verkürzen (siehe Mt 24:22) oder auch zu verlangsamen, sich Zeit zu lassen. Ihm steht es auch frei, auf Gehorsam oder Ungehorsam Seiner Geschöpfe mit plötzlichem „unvorhergesehenen“ Maßnahmen zu reagieren. Dies steht in keinem Widerspruch zu Seiner Allmacht, Allwissenheit und Vorausplanung, Vorausbestimmung. Denn die letztere bedeutet nicht, dass Gott sich selbst gleichsam an einen Fahrplan „gebunden“ und sich in Seinen weiteren Entschlüssen eingeengt und sich die Hände gefesselt habe. Nein: Gott behält die Freiheit, in Gericht und Gnade auf das Verhalten der Geschöpfe zu reagieren. Weil Er aber der Allwissende ist, sah Er auch alle diese später notwendig werden „Reaktionen“ längst voraus und stellte Seine Planung darauf ein. So „fest“ (2Petr 1:19) und unbedingt zuverlässig daher das prophetische Weisheitswort der Bibel auch ist, so ist es dennoch nicht etwa starr und tot und unbeweglich, sondern lebendig und beweglich. Wir haben es nicht „statisch“ sondern „dynamisch“ aufzufassen, haben die Worte göttlicher Prophetie nicht als unbewegliche Figuren hin und her zu schieben, bis sie passen wie ein Zusammensetzspiel (ein Bruder sprach unlängst von „Baukastensteinen“, - so würden manche Gotteskinder Bibelworte aus ganz verschiedenen Büchern und Zeiten aufeinander- und zusammensetzen!), sondern wir müssen daran denken, dass es lebendige Worte sind, in bestimmte geschichtliche Situationen hinein gesprochen und hinein verflochten, aus denen man sie nicht willkürlich lösen darf.

Dieser Gott, der in Seiner Freiheit die Zeiten und Zeitpunkte bestimmt, hielt nach Pfingsten die Zeit für gekommen, Seinem auserwählten Volk ein staunenerregendes Angebot zu machen: Würden die Mörder Jesu eine ernste Sinnesänderung vollziehen, würden sie in der jetzt aufbrechenden Erkenntnis, w e n sie in Wirklichkeit ans Kreuz überlieferten, als sie meinten, mit Billigung Jehovas einen jüdischen Irrlehrer zu beseitigen, erschrocken zu Boden sinken und das Heil begehren, d a n n würde ihnen G o t t diesen ihren M e s s i a s ohne weiteren A u f s c h u b vom H i m m e l her w i e d e r u m senden, und die verheißenen „Zeiten der Erquickung vom Angesicht des Herrn“ und die „Zeiten der Herstellung alles dessen, was Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten geredet hat“ könnten beginnen! - Machen wir uns einen Augenblick klar, was das bedeutet hätte: Auf den „Anbruch“ des Reiches zu Pfingsten wäre sofort - nach vielleicht nur sieben Jahren der letzten Jahrwoche und einleitenden Endzeit - das Reich in seiner Fülle, in voller sichtbarer Wirklichkeit und Herrlichkeit, gefolgt! Jesu „Wartezeit“ (Hebr 10:13) zur Rechten des Vaters wäre aufs äußerste verkürzt worden! Israel wäre die Zeit seiner Verwüstung und Verblendung erspart geblieben! Die Gemeinde Gotts, die in der augenblicklichen göttlichen Haushaltung herausgerufen und auferbaut wird, hätte es nie gegeben! 2000 Jahre Kirchengeschichte hätten nicht stattgefunden! Das Heil wäre zwar auch zu den Nationen gekommen, aber nicht, wie heute, im Organismus des Leibes Christi, ohne Vorrang der Juden (Kol 3:11), sondern gemäß der Schau der alttestamentlichen Propheten von Israel aus und immer nur durch Israel!

Hat Gott dieses Angebot, das Petrus im Heiligen Geist auszusprechen hatte, ernst gemeint? Wir zweifeln nicht daran. Schon weiter oben haben wir gesagt: Wir können uns das Königreich Christi nicht vorstellen ohne G o l g a t h a (und dann natürlich auch nicht ohne die Auferstehung Christi); denn vor der Lösung der M a c h t frage (im Reich) sollte und musste die Lösung der S c h u l d frage kommen (am Kreuz); aber wir könnten uns das messianische Reich sehr wohl ohne einen Leib Christi vorstellen - die alttestamentlichen Propheten haben es ja auch so geschaut! Dass Gott Seinem Sohne in der gegenwärtigen Haushaltung einen besonderen Organismus, ein Werkzeug, einen Leib aus lebendigen Gliedern, einen Tempel aus lebendigen Steinen zubereitet, ist ein zusätzlicher Gnadenerweis, - in Seinem Herzen zwar schon längst zuvor erkannt und geplant, aber erst geoffenbart, als Israel auch das einzigartige Angebot von Apg 3 ausschlug und für nichts achtete. Wir werden noch davon zu reden haben.

Wenn wir in Apg 3:19-21 über den geschichtlichen Rahmen hinaus auch noch einen endgeschichtlichen Sinn sehen dürfen, dann wäre es der: Bevor der Messias wieder zu Seinem Volke kommt, muss dort erst eine Bußbewegung mindestens begonnen haben. Sobald sie da ist, kommt Er! So ging ja auch dem ersten Kommen des Gesalbten die Bußbewegung unter Johannes dem Täufer voraus; und so stellt das letzte Bibelbuch in Aussicht, dass unter dem Eindruck des Wirkens der beiden Zeugen (Offb 11) eine große Schar von Israeliten den Sinn ändert, und daraufhin zu einem Teil zu Gott entrückt, zu einem anderen Teil auf Erden bewahrt, und zu einem dritten Teil in der Verfolgung getötet wird. Eine noch umfassendere Buße wird dann das Kommen des Königs und die Aufrichtung Seines Reiches auslösen, wenn sie Ihn sehen werden (Sach 12:10-14; [Offb 1:7])

Die Reaktion des auserwählten Volkes

Welches war nun die Reaktion des auserwählten Volkes auf die Rede des Petrus in Apg 3? Ging die Kunde von Mund zu Mund und von Herz zu Herz, dass Gott Seinem Volke soeben nichts Geringeres als das Kommen des langersehnten Reiches angeboten habe? Schlug man sich an die Brust und bekannte seine Sünden? Das tat wohl ein Teil des Volkes. Allein 5000 Männer wurden auf dieses geistesmächtige Predigt hin gläubig (Apg 4:4). Solche Massenbekehrungen hielten aber nicht an, es wurde keine Volksbewegung daraus. Zwar heißt es auch in Apg 5:14 noch einmal, dass Mengen von Männern und Frauen errettet wurden, und in Apg 6:1 dass die Jünger sich v e r m e h r t e n; ja nach Apg 6:7 wurde auch eine große Menge von Priestern dem Glauben gehorsam. Aber Zahlen von Tausenden von Errettete (wie Apg 2:41 und Apg 4:) werden hinfort nicht mehr genannt. Die Gemeinde der Gläubigen bliebt im Verhältnis zum Volksganzen eine relativ k l e i n e Schar, die allerdings über eine g r o ß e Geisteskraft, Einheit und Reinheit, Liebe und Zucht verfügte. -Die Masse blieb ablehnend. Ein Teil von ihnen hatte bereits z. Z. Jesu die mutwillige Lästerung des Heiligen Geistes begangen, d. h. sie hatten aus dem Wirken Gottes Heiligen Geist klar erkannt, diesen aber als Geist von unten verschrien und gelästert. Ihnen kann weder im jetzigen noch im kommenden Äon Vergebung und Zurechtbringung zuteil werden (Mt 12:31.32). Daher blieben sie verstockt, ja mehrten ihre Sünde noch indem sie, wie erst Jesum, so nun auch Seine Apostel und Jünger verfolgten, misshandelten und gefangen setzten. Ds jüdische Volk trat mehr und mehr auf i h r e Seite. Zwar stand die judenchristliche Gemeinde zu Jerusalem anfangs in der Gunst des ganzen Volkes (Apg 2:47), wohl nicht zuletzt der Wunder wegen. Als diese aber nachließen und der Ruf zur Buße, die Botschaft der Totenauferweckung und des kommenden Gerichts laut und lauter erscholl, ließ auch die Gunst des Volkes nach, ja schlug zuletzt in Hass um. Ein diesbezüglicher Höhe- und Wendepunkt war die Steinigung des Stephanus. Seine geistesmächtige Anklagerede schließt mit den Worten (Apg 7:51-53):

“Ihr, die ihr halsstarrig und an Herzen und Ohren unbeschnitten seid, ihr w i d e r s t r e b t allezeit dem H e i l i g e n Geist, wie eure Väter, so auch ihr. Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und sie haben die getötet, welche von dem Kommen des Gerechten vorher verkündigten, dessen Verräter und Mörder ihr jetzt geworden seid, ihr, die ihr das Gesetz auf Anordnung von Engeln empfange und nicht gehalten habt." (Zü)

Nun wird also denselben Mördern Jesu, denen Petrus ein unvorstellbar barmherziges und herrliches Angebot Gottes predigen durfte, von Stephanus desselben Gottes bezeugt: Ihr habt das Angebot nicht genutzt! Auch ihr widerstreitet dem Heiligen Geist, und zwar allezeit! - Dass Stephanus recht hatte, erweist ihr Verhalten: wutentbrannt und zähneknirschend steinigen sie ihn, der die Himmel geöffnet und Jesum zur Rechten Gottes s t e h e n (nicht wie sonst sitzen) sieht. - War Stephanus jene „Gesandtschaft“ im Gleichnis von Lk 19:11-27, die die Bürger eines Landes hasserfüllt hinter ihrem Herrscher herschicken, der in ein fernes Land gezogen ist, um dort ein Reich zu empfangen und wiederzukommen, und die ihm die rebellische Mitteilung überbringen soll: „W i r wollen n i c h t, dass d i e s e r über uns h e r r s c h e“? - Das nächste, was uns dann im Anschluss an die Tötung des Stephanus berichtet wird, ist eine große Verfolgung wider die Versammlung in Jerusalem, bei der sich besonders der Pharisäer Paulus durch seinen Eifer hervortut. Gottes mehrmaliges Angebot an Sein Volk, es zu ungeahntem Segen zu setzen, wenn es sich im Gehorsam zu Ihm kehren würde, ist hartnäckig zurückgewiesen worden: schon im AT, dann im Erdenleben Jesu und schließlich nach Pfingsten. Der lange und schmerzliche Gerichtsprozess jahrtausendelanger Verstockung, Zerstreuung und Trübsal war nun nicht mehr aufzuhalten.

2. Israels Verhärtung bringt den Nationen das Heil

für unseren Gott gibt es nichts n u r Negatives. Er weiß auch die schwärzeste Finsternis, die hasserfüllteste Bosheit, die ekelhafteste Sünde, derart zu v e r w e n d e n und in Seinen D i e n s t zu s t e l l e n, dass sie ungewollt und unbewusst Positives, Gutes, Heilbringendes schaffen hilft. Denn Ihm muss alles dienen (Ps 119:91).

Dieser Grundsatz bewahrheitete sich auch bei der hartnäckigsten Ablehnung des Heils durch Israel zur Zeit Jesu und der Apostel. Paulus fasst das in Röm 11:11 in Worte:

“Ich sage nun: Sind sie (die Israeliten) etwa gestrauchelt, auf dass sie fallen sollten? Das sei ferne! Sondern d u r c h ihren F a l l (Fehltritt) ist den N a t i o n e n das H e i l geworden.“

Gott hat auch Israels Widerstreben gegen Jesus von Nazareth und gegen den seit Pfingsten ausgegossenen Heiligen Geist mit in Seinem Plan einbezogen, und zwar so. dass Er sich für die Zeit der Verstockung (der Masse) Israels einen neuen Heilsträger erwählt. D e n n Gottes H e i l s b o t s c h a f t muss h i n a u s ! Sein H e i l und L e b e n muss in ständigem heiligen Kreislauf b e z e u g t , geglaubt, e r g r i f f e n und wiederum w e i t e r g e g e b e n werden! Es kann nicht liegenbleiben, wenn der berufene Heilsverwalter udn Heilszeuge versagt. Dann sieht sich Gott - menschlich gesprochen - eben nach einem anderen um. Andeutungsweise hatte das ja der Herr den obersten Israels in mehreren Gleichnissen bereits gesagt - wohl am deutlichsten in den von den bösen Weingärtnern, wo es hieß: „Das Königreich Gottes wird von euch weggenommen und einer Nation gegeben werden, welche dessen Früchte bringen wird“ (Mt 21:43) Nun war es soweit. Gott stellte die Weiche. Da das Gleis „Israel“ blockiert ist, fährt der Zug des Heils in Richtung Nationenwelt.

Dies konnte aber nur geschehen, weil sich am Kreuz von Golgatha etwas heilsgeschichtlich ungeheuer Behtutsames ereignet hatte, das uns Paulus in Eph 2:11-15 im Heiligen Geist enthüllt:

“Deshalb seid eingedenk, dass ihr, einst die Nationen im Fleische ... zu jener Zeit ohne (getrennt von, außer Verbindung mit) Christus waret, entfremdet dem Bürgerrecht Israels und Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheißung, keine Hoffnung habend und ohne Gott in der Welt. Jetzt aber, in Christo Jesu, seid ihr, die ihr einst fern waret, durch das Blut des Christus nahe geworden. Denn Er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht und a b g e b r o c h e n hat die Z w i s c h e n w a n d der U m z ä u n u n g, nachdem Er in Seinem Fleische die Feindschaft, das Gesetz der Gebote in Satzungen, hinwegetan hatte.“

Hier ist von einer Zwischenwand (oder Scheidewand) die Rede, die in einer Umzäunung, einem Zaun, bestand. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, was Paulus mit diesem Zaun meint: das Gesetz vom Sinai, nicht nur die bekannten zehn Gebote, sondern auch alle die übrigen Satzungen und Verordnungen, die zum Gesetz Israel gehörten, also z. B. die Speisegebote, Opfergesetze, Gebote gegenüber Fremden usw.

Durch dies alles wurde Israel gleichsam eingezäunt - der Zaun sollte trennend und schützend wirken gegenüber denen des Restes der Ureinwohner Kanaans. - Jedes Gesetz, jede Satzung, der sich eine bestimmte Gruppe von Menschen verpflichtet, wirkt ja im Grunde als ein solcher Zaun. Wird ein e. V. oder ein Orden oder eine Organisation irgendwelcher Art gegründet, so sind deren Mitglieder bestimmten Satzungen verpflichtet und von diesen „eingezäunt“. Dieser „Zaun“ kann leicht zur trennenden Scheidewand gegenüber Nichtmitgliedern werden! ein besonderes Kapitel sind die „Zäune“ im christlichen Raum. Weil ein Bruder in Christo nicht zu meiner Kirche oder Gemeinschaft, zu meinem e. V. oder Orden gehört, bin ich versucht, ihn gewissermaßen als „Stiefbruder“ zu betrachten und zu behandeln. Man sagt dann etwa: Gewiss, jene sind a u c h unsere Brüder, aber ... Mit Recht betonte Karl Geyer immer wieder, dass er keine „Auch-Brüder“ oder „Stiefgeschwister“ in Christo kenne. Entweder ist jemand ein Bruder (oder eine Schwester) im Herrn, durch Gottes Heiligen Geist wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung, oder er ist es nicht. Es ist e i n e der w e s e n t l i c h s t e n Aufgaben der G e m e i n de Jesu C h r i s t i unserer Tage, sich darauf zu b e s i n n e n, dass alle, die in irgendeinem c h r i s t l i c h e n Kreis Gottes H e i l i g e n G e i s t besitzen, vollwertige B r ü d e r (und Schwestern) s i n d ! Verschiedenheit des Namens, der Erkenntnis, der Gaben und Aufgaben darf nie als Zaun wirken! Wenn Christus am Kreuz sogar den Zaun zwischen Juden und Heiden niedergerissen hat (einen von Gott selbst im At errichteten Zaun!) so haben wir ganz gewiss kein Recht, von Menschen erstellte Zäune noch länger als Zäune anzuerkennen! Damit meinen wir nicht, dass alles geschichtlich Gewordene im Raum der Gemeinde aufzulösen und in einen Topf zu werfen sei. Der Leib Christi heißt ja eben deshalb Leib, weil E i n h e i t in der V e r s c h i e d e n h e i t sein Lebensprinzip ist - wie beim menschlichen Körper. Die Unterschiede dürfen und sollen und müssen sogar sein, - nur dürfen sie nicht als Zaun wirken, hinter dem ich die „anderen“ nicht ganz ernst nehme, nicht als vollwertige Geschwister anerkenne.

Die verlorenen Schafe Israels

Noch im Matthäusevangelium (v o r dem Kreuzigungsbericht) wird der „Zaun“ um Israel deutlich sichtbar. Als der Herr Seine Jünger auf die erste Missionsreise schickte, ordnete Er an, dass sie auf keinen Fall zu den Heiden, sondern nur zu den „verlorenen Schafen vom Hause Israel“ gehen sollten (Mt 10:5). In Mt 15:11ff. wird berichtet, wie eine kanaanäische Frau mit der Bitte zu Jesus kommt, Er möge sich ihrer besessenen Tochter annehmen. Wie reagiert der „liebe Heiland“? - Er gibt der Frau überhaupt keine Antwort! Den Jüngern erklärt Er Sein Verhalten mit den Worten (Mt 10:24): „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Israel hatte als Gottes erstgeborener Sohn der Völkerwelt (2Mo 4:22) sozusagen ein Kindesanrecht auf Jesu Wort und Wunder; die anderen aber standen außerhalb der Gottesfamilie, außerhalb der trennenden Umzäunung, sie glichen unreinen Straßenkötern, denen man auch einmal einen Brocken hinwirft, die aber kein Kindesanrecht darauf haben. - Diese harte Belehrung wird dem kanaanäischen Weibe zuteil. Erst als sie diese annimmt und den Herrn bittet, ihr dann doch wenigstens solche einen „hingeworfenen Brocken“ zu geben, ihr gewissermaßen eine Gabe durch den Zaun zu stecken, kann Er ihrer Tochter helfen. So kommt die heilige Ordnung des Gesetzes ebenso wohl wie die Barmherzigkeit und Liebe zu ihrem Recht.

Diese Umzäunung - lehrt nun Paulus in Eph 2 - ist seit Golgatha abgebrochen. Christus hat sie eigenhändig niedergerissen, hinweggetan. Er war am Kreuz nach außen hin zwar der Passive, Leidende. Von innen und oben gesehen, war Er jedoch der aktiv Handelnde. Er, der - äußerlich betrachtet - ausgezogen und getötet w u r d e, über den triumphiert h a t , und der aus der Mitte der Lebenden entfernt w u r d e , Er h a t in geistlicher Wirklichkeit und Wahrheit am Kreuz genau das g e t a n , was Er äußerlich e r l i t t : nach Kol 2:14.15 und unserer Epheserstelle h a t Christus am Kreuz ausgetilgt (nämlich die Handschrift, die wider uns war), Er hat sie aus der Mitte weggenommen und ans Kreuz genagelt, Er hat ausgezogen (nämlich die Fürstentümer und Gewalten der Geisterwelt) und sie öffentlich zur Schau gestellt und einen Triumph über sie gehalten, und Er hat abgebrochen und niedergerissen (eben die Zwischenwand der Umzäunung, nämlich das Gesetz der Gebote und Satzungen). Das bedeutet nicht, dass Jesus das alttestamentliche Gesetz abgeschafft oder für ungültig erklärt hätte (Mt 5:18.19); aber Er nahm ihm den trennenden Charakter.

Daraufhin konnte derselbe Herr, der einst Seine Jünger mit den Worten ausgesandt hatte: „Gehet nicht auf einem Weg der Nationen!“ (Mt 10:5), nun anordnen: „Gehet hin und machet alle Nationen zu Jüngern...“ (Mt 2:19), oder nach der Lukasfassung Apg 1:8: „Ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.“

Die Entwicklung geht aber noch weiter. In Apg 1:8 steht immerhin noch Jerusalem und Judäa voran. Das bedeutete: Wenn die Jünger ihre Missionsarbeit in Jerusalem und Judaä erfolgreich durchgeführt hätten sollten sie sich auch den anderen Völkern zuwenden. An diese Regelung haben sich die Zwölfe auch gehalten. Wir sahen aber bereits im vorangehenden Abschnitt, dass es zu einer erfolgreichen Missionsarbeit an den Juden n i c h t kam.! Israel lehnt Gottes Heil in seiner großen Masse ab! Der Heilige Geist wird ebenso verworfen wie einst der Vater (1Sam 8:7) und dann der Sohn (Mt 27:23b). - Daraufhin stellt nun Gott ganz deutlich die Weiche: Er beauftragt den Petrus, im Haus eines heidnischen Hauptmannes vor Heiden, Unbeschnittenen, Nichtisraeliten das Evangelium zu verkündigen. Die Bedenken, die Petrus vom Gesetz her hat, zerstreut Gott in einem Gesicht, in dem Er ihm zeigt, dass er hinfort niemanden mehr als „unrein“ anzusehen habe, weil Gott die trennende Scheidewand hinweggetan habe. Kornelius selbst schaut in einem Gesicht, dass Petrus in sein Haus kommen und dort predigen soll (Apg 10). So ist von Gott her alles genauestens vorbereitet, und während nun Petrus in einen schlichten, aber geisterfüllten Predigt die großen Taten Gottes in und durch Jesus Christus bezeugt, geschieht etwas, das den anwesenden Juden unglaublich, beinahe anstößig erscheinen will: Der heilige G e i s t fällt auf a l l e , die das W o r t hören: Er wird H e i d e n zuteil! Und zwar nicht als Ausnahme, sondern fortan als die Regel, ebenso, wie Er seit Pfingsten schon den gläubigen Juden zuteil wurde. Die Nationengläubigen begreifen mit dankbarem Staunen, was den Judenchristen, die nun auf ihre Sonderstellung verzichten müssen, nur schwer eingeht: „Gott sieht die Person nicht an, sondern in jeder Nation ist Ihm angenehm, wer Ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt“ (Apg 10:35).

Die neue Ordnung aber erfordert auch einen neuen Mann. Er heißt Paulus. Er ist der Verwalter und Haushalter der neuen Heilsordnung (Eph 3:1.2). Er ist der Lehrer der Nationen (1Tim 2:7; 2Tim 1:11), der der Gemeinde aus Juden und Heiden ihr Wesen, ihre Berufung und Erwartung klarmachen und sie dafür vorbereiten soll. Doch hierauf kommen wir im nächsten Abschnitt zurück.

Wie verläuft die Entwicklung nun weiter? Petrus verteidigt sein Erleben im Hause des Kornelius gegen jüdische Angriffe in Jerusalem (Apg 11). Als er erzählt, dass es sich um eine eindeutige Weichenstellung G o t t e s handelte, geben sich die Brüder zufrieden und erkennen Gottes Handeln an: „Dann hat Gott also auch den Nationen Buße zum Leben gegeben“ (Apg 11:18). In Antiochien wird eine große Zahl von Griechen gläubig (Apg 11:20.21). Dort werden die Jünger erstmals Christen genannt. In Antiochien geschieht es auch, dass Barnabas und Paulus auf ein ausdrückliches Gebot des Heiligen Geistes hin zu einem besonderen Dienst mit Handauflegung der Brüder ausgesandt werden (Apg 13:2.3). Sie kommen nach Cypern, Perge in Pamphylien und Antiochien in Pisidien. Überall reden sie das Wort zuerst zu den Juden (vgl. den Vorrang der Juden im Aussendungsbefehl von Apg 1:8, ferner die paulinische Wendung: dem Juden zuerst als auch dem Griechen: Röm 1:16; Röm 2:9). Im pisidischen Antiochien aber stoßen sie erstmalig auf stärkeren Widerstand der Juden, hervorgerufen durch Neid und Eifersucht. Sie widersprechen dem von Paulus Bezeugten und lästern. Daraufhin

“gebrauchten Paulus und Barnabas Freimütigkeit und sprachen: Zu euch musste notwendig das Wort Gottes zuerst geredet werden; weil ihr es aber von euch stoßet und euch selbst nicht für würdig achtet des ewigen Lebens, siehe, so w e n d e n wir uns zu den N a t i o n e n“ (Apg 13:46).

Am gleichen Ort werden auch (in größerer Anzahl, wie man annehmen darf) Heiden gläubig, was die Erbitterung der Juden aufs neue anstachelt und eine wütende Verfolgung auslöst. Auch in Ikonium - der nächsten Station ihrer Reise - werden Paulus und Barnabas von den Juden verfolgt, ja diese setzten ihnen sogar nach Lystra nach, wo Paulus infolge einer Steinigung fast gestorben wäre und wohl nur durch die Wunderkraft Gottes seinen Dienst fortsetzen kann.

Das Evangelium kommt zu den Nationen

Apg 15 berichtet uns, dass von Judäa Gesetzeslehrer kommen und auch für die Nationengläubigen die Beschneidung fordern. (Es ist die Situation, die den Galaterbrief auslöste). Paulus und Barnabas lehnen das ab. Daraufhin werden sie nach Jerusalem geladen, um diese Streitfrage dort mit den Aposteln und Ältesten zu besprechen. (Dies war jedoch für Paulus nur der äußere Anlass; der innere war laut Gal 2:2 eine Offenbarung des Herrn.) Auf dieser in Apg 15 und Gal 2 dargestellten Apostelversammlung versuchten „nebeneingeführte falsche Brüder“ die Freiheit des Paulus (von Gesetz und Beschneidung) auszukundschaften und seine Verkündigung und damit die jungen Heidenchristengemeinden wieder unter das Gesetzesjoch zu beugen. Paulus und Barnabas „leisten ihnen auch nicht eine Stunde Gehorsam“, sondern halten an ihrer Freiheit fest. Bei dieser Gelegenheit legt Paulus das von ihm unter den Nationen verkündigte Evangelium den Aposteln in Jerusalem vor. Er stößt - trotz gewisser Unterschiede (darum: „m e i n Evangelium“: Röm 2:16; Röm 16:25) - auf Verständnis und Anerkennung. Petrus bestätigt den paulinischen Standpunkt unter Hinweis auf sein Erleben von Apg 10. Auch er lehnt es ab, „Ein Joch auf den Hals der Jünger zu legen, da weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten“ (Apg 15:10). Schließlich ergreift Jakobus das Wort und urteilt - und dieses Urteil wurden den Gläubigen aus den Nationen von den Aposteln und Ältesten zu Jerusalem als ein Urteil „vom Heiligen Geist und uns“ brieflich zugestellt -, dass die Heidenchristen nicht durch Gesetz und Beschneidung beunruhigt werden sollten - sie sollten sich lediglich „von der Verunreinigung durch die Götzen, von der Unzucht, vom Fleisch erstickter Tiere und vom Genuss von Blut“ fernhalten (Apg 15:20) Men). -

Sind diese Bestimmungen für die Nationengemeinden aller Zeiten gültig, oder galten sie nur für die besondere Situation der jungen Christengemeinden inmitten ihrer heidnischen Umwelt? Maßgeblich für u n s ist da Paulus, der Lehrer der Nationen. Selbstverständlich lehnt auch er Götzendienst und Unzucht ab. Wie er über Fleischgenuss, insbesondere den Genuss von Götzenopferfleisch denkt, hat er gewiss ebenso wie Jakobus im Heiligen Geist - in 1Kor 9:1; 1Kor 10:14-33 und in Röm 14 dargelegt. (Wir sollten uns angesichts der paulinischen Ermahnungen vor zwei grundsätzlichen Fehlern hüten: entweder diese Ermahnung für ein neuaufgelegtes Gesetz zu halten - das sind sie nicht, auch wo sie wörtlich mit den zehn Geboten übereinstimmen, denn sie haben ja einen ganz anderen Hintergrund: den des v o l l b r a c h t e n Heiles, nicht eines vom Menschen er zu erringenden Heiles - oder der radikalen paulinischen Gesetzesfreiheit seine Ermahnungen überhaupt zu vergessen!)

Wichtig ist, dass die Apostel bei dem „Konzil“ von Apg 15; Gal 2 den paulinischen Standpunkt grundsätzlich anerkannten. Wichtig ist ferner die „Arbeitsteilung", die sie nach Gal 2:9.10 vornahmen:

“Als sie die Gnade erkannten, die mir gegeben ist, gaben Jakobus und Kephas (= Petrus) und Johannes, die als Säulen angesehen wurden, mir und Barnabas die Rechte der Gemeinschaft, auf dass wir unter die Nationen, sie aber unter die Beschneidung gingen ...."

Das von Paulus verkündigte Evangelium steht also in keinem Gegensatz zu dem der übrigen Apostel. Ihm ist aber tiefer als den anderen Aposteln vom Herrn geoffenbart worden, um was es in der Christusgemeinde aus Heiden und Juden geht. In klarer Erkenntnis dieses seines Sonderauftrages und gemäß den vom Herrn gesetzten Gaben und Wirkungsbereichen wurden sie eins, Paulus und Barnabas das Feld der Nationen zu überlassen, selbst aber weiterhin dem Volk der Wahl mit dem Evangelium zu dienen. Fürwahr, eine geistliche, eine vorbildliche Arbeitsteilung!

3. Der weitere Verlauf des Planes Gottes

In der Rede des Apostels Jakobus verdienen die Verse Apg 15:13-18 besondere Beachtung. Wir hatten sie daher zunächst zurückgestellt. Hier offenbart sich das durch den Heiligen Geist gewirkte Verständnis der Apostel für die neue Lage und den weiteren Verlauf des Planes Gottes:

“Als sie schwiegen, nahm Jakobus das Wort und sprach: Liebe Brüder, höret mich! Simon hat berichtet, wie sich Gott z u e r s t erbarmt hat, S einen Namen aus den Heiden ein Volk zu bereiten. Damit stimmen die Worte der Propheten überein, wie geschrieben steht: D a n a c h will ich umkehren und die zerfallene Hütte Davids wieder aufbauen, ihre Trümmer will ich wiederherstellen und sie aufrichten, damit die Übriggebliebenen unter den Menschen den Herrn aufsuchen wie auch alle Heiden, über die mein Name genannt worden ist, spricht der Herr, der solches schafft. Von Ewigkeit her (war es Ihm) bekannt.“ (TT; Sperrungen vom Verf.)

Es ist zu beachten, dass Jakobus ein „Zuerst“ und ein „Danach“ im Heilsplan Gottes unterscheidet; ferner, dass er nicht sagt, das Volk, das Gott in der Gegenwart „zuerst“ für Seinen Namen gewinnt, sei eine E r f ü l l u n g der Worte der Propheten (in dem Sinn, wie es etwa bei Matthäus des öfteren heißt: „Dies geschah, auf dass e r f ü l l t würde, was geschrieben steht ...“) Er spricht - und darf nicht übersehen werden - nicht von einer E r f ü l l u n g, sondern lediglich von einer Ü b e r e i n s t i m m u n g (nach dem Grundtext: von einer „Symphonie“, einem harmonischen Zusammenklang). Dass sich Gott eine Körperschaft aus den Heiden erwählt, b e v o r Israel als Volk Buße getan hat und ein Segen inmitten der Erde wird, war ja nie Gegenstand alttestamentlicher Weissagung gewesen*46

*46 Eine nähere Erläuterung dieses Satzes findet sich in dem Aufsatz „Die paulinische Lehre vom Leibe Christi“ von E. F. Ströter („Für Leben und Glauben, Heft 9, Paulus-Verlag)

Es ist ein völlig neues, unerwartetes Handeln Gottes, unerwartet zwar nicht von Gott selbst , dem alle Seine Werke von Ewigkeit her bekannt sind (Apg 15:18, Fußnote der Mengebibel), aber unerwartet von den Menschen - man denke nur an das „Entsetzen“ der Juden im Hause des Kornelius (Apg 10:45), ferner daran, dass Paulus dieses neue Handeln Gottes in Eph 3:1-6 ein G e h e i m n i s nennt, das in früheren Geschlechtern den Menschenkindern noch nicht geoffenbart wurde.

Jakobus will zum Ausdruck bringen, dass dieses neue, unerwartete Handeln Gottes, das nie zuvor von den Propheten angekündigt worden war, dennoch in k e i n e m Gegensatz zum alttestamentlichen Prophetenwort steht, sondern in voller Ü b e r e i n s t i m m u n g und H a r m o n i e. Es ist zwar im At nicht verheißen - denn dort ist immer nur über ein bekehrtes Israel den Völkern Heil zugesagt -; aber das AT lässt Raum dafür. Als Beweis zitiert er eine jener vielen Weissagungen, in denen davon die Rede ist, dass Gott Sein auserwähltes Volk dem Gericht überliefern, dann aber wieder herstellen und bleiben segnen will. (Er hätte statt Am 9:11.12 auch Hos 3:4.5; Hes 20; Hes 16 u.v.a. Zusammenhänge aus Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Joel, Sacharja usw. anführen können, wo gesagt ist, d,ass Israels Ungehorsam und Götzendienst durch schwere Heimsuchungen bestraft, hernach aber wieder eine herrliche Segenszeit folgen werde. Siehe die von uns gesammelten Zitate in dem Abschnitt C 4 dieses Buches).

In Am 9:8-10 wird dem Volke Gottes wieder einmal Gericht angedroht:

“Siehe, die Augen des Herrn Jahwe richten sich gegen das sündige Reich, dass ich es von der Oberfläche der Erde vertilge. Doch will ich das Haus Jakob nicht ganz und gar vertilgen, sagt Jahwe. Denn siehe, ich tue Befehl, dass man das Haus Israel unter alle Völker schüttelt, wie man im Siebe schüttelt, ohne dass ein Korn zur Erde fällt. Durchs Schwert sollen alle Sünder meines Volkes fallen, die da sagen: das Unglück wird sich uns nicht nahen, noch und überraschen."

Dan folgt die Verheißung der Wiederherstellung: (Am 9:11-15):

“An jenem Tage will ich die verfallene Hütte Davids wieder aufrichten und ihre Risse vermauern und ihre Trümmer wieder aufrichten, und ich will sie bauen wie in den Tagen der Vorzeit, damit sie den Rest Edoms erben und alle Völker, über die mein Name genannt ist, sagt Jahwe, der solches tut.
Denn siehe, Tage kommen, sagt Jahwe, da reiht sich der Pflüger an den Schnitter und der Traubenkelterer an den Sämann, da werden die Berge von Most triefen und alle Hügel zerfließen. Dann führe ich die Gefangenen meines Volkes Israel zurück, und sie werden verödete Städte bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihren Wein trinken, sie werden Gärten einrichten und ihre Frucht essen. dann will ich sie auf ihr Land pflanzen, und sie sollen nicht wieder aus ihrem Lande, das ich ihnen gegeben habe, ausgerissen werden, sagt Jahwe, dein Gott.“ (No)

Von diesen Worten zitiert Jakobus in seiner Rede in Apg 15 die Verse Am 9:11.12, lässt den 11. Vers aber nicht mit den Worten „an jenem Tage“, sondern mit „d a n a c h“ beginnen, damit ganz deutlich wird, dass die Wiederherstellung des alttestamentlichen Gottesvolkes erst n a c h der Sammlung eines Gottesvolkes aus den Heiden zu erwarten ist. Z u e r s t - d a n a c h ! Jakobus sagt im Heiligen Geist: Zuerst wird (in der Gegenwart) aus allen Völkern ein Gottesvolk gewonnen - danach wird (in der Zukunft) Israel wiederhergestellt. Die Propheten des AT hatten bezeugt: Zuerst kommt das Gericht über Israel - dann eine Zeit der Wiederherstellung und Segnung. Beide kennen ein Zuerst und ein Danach. Darin liegt die Übereinstimmung. Das „Danach“ ist in jedem Fall Israels Wiederherstellung im Reich des Messias. Das „Zuerst“ ist in alttestamentlicher Sicht das Gericht über Israel, seine Zerstreuung und Verfluchung, in neutestamentlicher sich ist es das zunächst auch (vgl. Mt 23:37-39: Israel wird „zuerst“ verödet und verlassen, um „danach“ den Herrn zu preisen; oder Röm 11:25.26: „zuerst“ Verstockung, Verhärtung, „danach“ Errettung, Erlösung), aber hinzu kommt etwas Neues: das „Zuerst“ das in negativer Hinsicht durch Israels Verstockung und Zerstreuung gekennzeichnet ist, wird in positiver Hinsicht ausgefüllt durch die Gewinnung einer Körperschaft aus allen Völkern.

Wenn wir die Entwicklung vom AT zum NT im ganzen ins Auge fassen, so ergibt sich, kurz skizziert, das folgende Bild:
Die Propheten des AT stellen in Aussicht:

Zuerst wird Israel gesegnet -
danach durch Israel auch die Heiden.

Als Israel aber in zunehmendem Maße sündigte und gerichtsreif wurde, ließ Jehova durch Seine Seher verkünden:

Zuerst wird Israel gerichtet, verflucht, zerstreut -
danach wird es wieder hergestellt und gesegnet
(um dann auch ein Licht für die Völker zu sein).

Die neue Erkenntnis von Apg 15 aber lautet:

Zuerst nimmt sich Gott aus den Völkern ein Volk für Seinen Namen
(während gleichzeitig Israel unter dem Fluch der Verstockung und dem Gericht der Zerstreuung lebt),
danach wird Israel wieder hergestellt, aufgebaut, gesegnet
(um dann auch für die übrigen Menschen ein Segen zu sein).

So sind Erste zu Letzten und Letzte zu Ersten geworden, nach dem Wort des Herrn!

Apg 15:13-18 zeigt somit ganz deutlich, dass die Rettung von Heiden in der Gegenwart kein E r s a t z ist für das messianische Reich, sondern eine göttliche E i n s c h a l t u n g für die Zeit, da Israel unter Fluch und Gericht steht. N a c h dieser E i n s c h a l t u n g aber f o l g t das messianische R e i c h, eingeleitet durch die Endzeit-Drangsal und schwere kosmische Katastrophen. Denn wenn Jakobus sagt - wobei ihm Am 9:11.12 und vielleicht noch andere alttestamentliche Stelle vor Augen standen -, dass „danach der Herr umkehren und die zerfallene Hütte Davids wieder aufbauen“ werde, so nennt er ja damit typische Kennzeichen des Königreichs Christi. Dann was bedeutet „Umkehr des Herrn?“ Es bedeutet: Der Herr wendet sich wieder Seinem Volke zu und segnet es (Abwendung Seines Angesichts bedeutet Verlassenheit, Fluch, Gericht: Jes 30:18: er wird sich hinweg erheben; Hes 7:22: ich werde mein Angesicht von ihnen abwenden; Mt 23:39: ihr werdet mich von jetzt an nicht mehr sehen; die „Umkehr“ de Herrn aber bedeutet Seine liebende, tröstende, erquickende und segnende Zuwendung: Jer 8:4: Wendet man sich ab und kehrt nicht wieder zurück? ferner Ps 6:4 [Luther V. 5]; Sach 1:3; Apg 3:19: Zeiten der Erquickung vom Angesicht des Herrn). Als weiteres Kennzeichen des messianischen Reiches nennt Jakobus: die zerfallene Hütte Davids, „ein Bild des heruntergekommenen und aller Macht beraubten Davidshauses“ (No/173), wird wieder errichtet, ,also die Herrschaft und das Reich Davids wieder hergestellt durch den Davidssohn, der sich Seinem Auswahlvolk wieder zugewandt hat; gleichzeitig, das zeigt der Zusammehang der von Jakobs zitierten Amos-Stelle in den Versen Am 9:13-15, setzt eine große Fruchtbarkeit im Heiligen Lande ein, die Städte werden wieder aufgebaut, und niemand wird die von Gott „eingepflanzten „ Bewohner je wieder „ausreißen“ können. („Das wieder hergestellte Gottesvolk wird den segen seiner Arbeit genießen ... Pflügen und Schneiden, Keltern und Säen werden sich unmittelbar aneinander reihen. Weist jenes Paar auf die Schnelligkeit des Reifens so dies auf die Reichlichkeit des Ertrages... die Israeliten selbst werden mit Bäumen verglichen, die Jahwe auf dem ihnen geschenkten Land einpflanzt, ohne dass sie wieder los gewurzelt werden.“ „Nowack.)

Die von Jakobus in Apg 15 zitieirite Amos-Stelle ist demnach ein typische Weissagung für das messianische Reich, das Reich Israels unter dem Messiaskönig. Nachdem sich Gott „zuerst“ in der Gegenwart (ohne die Bekehrung des Volkes Israel abzuwarten) eine Gemeinde aus allen Völkern sammelt, wird Er sich „danach“, nach Abschluss der Gemeindezeit, wieder Seinem Volke zuwenden und die ihm gegebenen Reichsverheißungen erfüllen*47

Die verfallene Hütte Davids
*47 E. Sauer schreibt über die „verfallene Hütte Davids“ (Sa I/183-184): „'An jenem Tage werde ich die verfallene Hütte Davids aufrichten, ihre Risse vermauern und ihre Trümmer aufrichten.‘ Was ist mit dieser ‚Hütte Davids‘ gemeint?
Zweifellos nicht eine buchstäbliche Hütte ... ebenso wohl sicherlich auch nicht lediglich der irdisch-nantionale-politische Statt Davids, sondern sein ‚Haus‘ sein ‚Könighaus‘, seine Königsdynastie So reden wir ja auch heute noch von ‚Königshäusern‘, z. B. ‚Haus’Windsor, ‚Haus‘ Habsburg, ‚Haus‘ Hohenzollern. Und so hatte es Gott selbst dem David durch den Propheten Nathan verkündigen lassen: ‚Jehova wird dir ein Haus bauen‘, was im gleichen Zusammenhang sofort hinterher als ‚Königshaus‘ = Königsdynastie erklärt wird (1Chr 17:10b.11.14).
Dies einst so mächtige Königs’haus’ Davids war aber nach dem Zusammenbruch des jüdischen Staates 8586v. Chr.) zu einer verfallenen ‚Hütte‘ geworden ... Nun aber kündigt die Weissagung an: Gott wird dieses Königshaus wieder aufrichten. Er wird den verfallenen Glanz der Königsdynastie Davids wieder erneuern. Dies wird durch den kommenden Davidssohn Christus, den Messiaskönig, geschehen ..."

Dann werfen die „Übriggebliebenen unter den Menschen“ den Herrn aufsuchen (Apg 15:18). Auch dies ist ja ein Charakterzug des Tausendjährigen Reiches. Der häufig bei den Propheten anzutreffende Ausdruck „Überrest“ oder „Übriggebliebene, Zurückgelassene, Hinterbliebene“ weist auf die großen Katastrophen der Endzeit zurück, in welchen der Großteil der Menschheit untergeht. Der Überrest, der im Tal „Jehoschafat“ (deutsch: „Der Herr richtet“) nun nochmals von Jehova persönlich je nach seinem Verhalten zu den geringsten Brüdern des Herrn gesichtet und gerichtet wird (Joe 3; Luther Joe 4; ferner Mt 25:31-46), wird zuletzt nur noch in einer relativ sehr kleinen Schar gedemütigter und zerschlagener Menschen bestehen. Sie werden den Herrn (jährlich in Jerusalem) aufsuchen. - Auf ihnen werden durch zahlreiche Vermehrung wieder große Völker erstehen, die allesamt nach dem Herrn fragen werden, der in Herrlichkeit auf dem Zionsberge wohnt und thront. -

Somit war den Aposteln durch göttliche Erleuchtung klar gezeigt worden, wie sich die neugeschaffene Tatsache der Bekehrung von Heiden in den bisher erkannten Plan Gottes einfügt: als eine E i n s c h a l t u n g für die Zeit der Verstockung der Masse Israels, nicht aber als E r s a t z für das Reich. N a c h der Zeit der Gemeinde wird Gott all das ungeschränkt erfüllten, was Er Seinem Volke Israel durch den Propheten von Anbeginn verheißen hat.

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4. Das durch Paulus enthüllte Geheimnis der Gemeinde