Das Königreich nach den Evangelien

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Abschrift des des Buches:
Das tausendjährige Königreich Christi auf Erden
von Heinz Schumacher (1964)

Paulus Verlag Karl Geyer, Stuttgart


Inhaltsverzeichnis

weitere Abschriften

In Bearbeitung

II. Das Königreich nach den Evangelien

Das Reich als Reich des Königs

Nachdem wir einen gewissen Einblick in die Fülle der alttestamentlichen Aussagen über das messianische Königreich gewonnen haben, wenden wir uns nunmehr den Zeugnissen des NT zu. Es soll uns dabei die Frage vor Augen stehen, ob und inwieweit die Königsreich-Verheißungen des AT und NT etwa eine Veränderung, Akzentverschiebung, Vergeistigung, Verflüchtigung, Annullierung oder aber eine Bestätigung, Bereicherung, Erweiterung erfahren. Im einzelnen sind folgende Punkte zu klären:

  • Ist es wahr, dass das NT, wie immer wieder behauptet wird, abgesehen von Offb 20, zu unserem Thema fast völlig schweigt?
  • Ist es wahr, dass die Verheißungen der Propheten des AT vom NT her mindestens insoweit fallengelassen werden müssen, als dem Volk Israel eine politische und religiöse Führerrolle im messianischen Reich zusprechen?
  • Erfährt also das alttestamentliche Panorama vom kommenden Reich im NT gewisse Korrekturen, Berichtigungen, Abstriche, und wenn ja, welche?
  • Was sagt das NT insbesondere über Zeit und Dauer, Örtlichkeit und Personen im messianischen Reich?
  • Zeigen sich im NT Akzentverschiebungen gegenüber dem alttestamentlichen Zeugnis vom messianischen Reich?
  • Mit anderen Worten: Was bleibt übrig von dem herrlichen Gemälde, das die Propheten vom Reich des kommenden Königs entwerfen? Nichts? Wenig? Alles?

Alle diese Fragen mögen uns auf unserem Gang durch die Evangelien, die Apostelgeschichte, die Briefliteratur und die Offenbarung vor Augen stehen.

Wir betonen noch einmal - was wir weiter oben schon ausgesprochen haben -, dass wir nun nicht das NT gleichsam wie ein Sieb gebrauchen und alle die Aussagen des AT, die im NT nicht ausdrücklich wiederholt werden, als fallengelassen, als ungültig, als gestrichen ansehen. Dieses von Theologen mehr oder weniger angewandte Verfahren entspricht weder der „Festigkeit“ (2Petr 1:19) des prophetischen Wortes noch der Verheißungstreue unseres Gottes. Es ist auch von der Sache her höchst fragwürdig, aus einer „Fehlanzeige“, d. h. aus dem Schweigen der Zeugnisse des NT über gewisse Punkte derart schwerwiegende Rückschlüsse auf die Gültigkeit der Aussagen des AT zu ziehen; nicht nur, weil eine fehlende Aussage ja durchaus nicht immer einer negativen Aussage gleichkommen muss, sondern auch deshalb, weil uns gar nicht alle Taten und Worte Jesu und Seiner Apostel überliefert sind (Joh 20:30; Joh 21:25). Nein. Wenn etwas vom alttestamentlichen Reichszeugnis fallengelassen oder in anderem Lichte gesehen werden soll, dann muss uns das NT klar und deutlich darauf hinweisen! I übrigen tun wir gut, den von E. F. Ströter des öfteren geltend gemachten Auslegungsgrundsatz zu beachten, alle Schriftworte zunächst so zu hören oder zu lesen, wie sie die Zeitgenossen Jesu und der Apostel seinerzeit gehört oder gelesen haben, - soweit uns das nach fast 2000jährigem Abstand und starker Verhaftung in traditionsgebundenem Verständnis oder rein ichhaft-erbaulicher Lektüre des Wortes Gottes überhaupt noch möglich ist!

Wenn wir nun mit den genannten Fragen und Auslegungsgrundsätzen zunächst den vier E v a n g e l i e n nähertreten, so erkennen wir sehr bald, dass eine A k z e n t v e r s c h i e b u n g allerdings vorliegt. Wir haben sie bereits in der Überschrift angedeutet: „Das Reich als Reich des Königs.“ Das ist natürlich nicht streng und ausschließlich zu verstehen: Auch im AT stand schon der König im Blickfeld, und auch in den Evangelien geht es um Israel. Und doch liegen die Schwerpunkte anders. Der geschichtliche Hintergrund und Anlass zu den Weissagungen des AT ist fast durchweg die Frage: Wie geht es weiter mit Israel? Was wird aus Volk und Reich, nachdem die Glanzzeiten unter David und Salomo vorüber sind? - Die Propheten antworten: Das Volk wird durch schwere Gerichte geführt, bleibt aber erhalten, und nach den Gerichten wird das davidische Reich, größer und herrlicher den je zuvor von Gott wieder hergesellt werden und für die ganze Welt Bedeutung erlangen. - In den Evangelien aber ist der geschichtliche Hintergrund und Anlass der: Der König kommt zu Seinem Volk, wenn auch verborgen in Niedrigkeit. Hier ist es der König selbst, der Aussagen über das Reich macht. Und das bedeutet: Was in den Evangelien über das Königreich Christi auf Erden gesagt ist steht in engster Beziehung zur Person des Königs. Ja, durch die Anwesenheit des Königs und durch Seine Machttagen ist das Reich schon da, schon verwirklicht, wenn auch noch nicht endgültig, sondern erst im Anbruch. Das ist der Sinn jener oft missverstandenen Lukasstelle (Lk 17:20.21), die nicht vom "Reich i n euch“, sondern vom Reich „mitten u n t e r euch“ spricht. (Wir kommen noch auf sie zurück.)

Wir untersuchen nun, was uns die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes über das schon von den Propheten geschaute irdische Königreich Christi zu sagen haben. Dabei gliedern und präzisieren wir unsere Fragen wie folgt:

  1. Welche Schriftworte in den Evangelien bestätigen und bekräftigen die alttestamentliche Schau vom Reich?
  2. Welche Schriftworte in den Evangelien zeigen uns neue, im AT unbekannte oder nur schwach angedeutete Gesichtspunkte in Bezug auf das messianische Reich?
  3. Welche Schriftworte in den Evangelien scheinen der alttestamentliche Schau vom Reich zu widersprechen?
  4. Welche Schriftworte in den Evangelien sagen etwas aus über die zeitliche Nähe und über die Dauer des Reiches?

Selbstverständlich kann auch die Befragung der Evangelien keine „erschöpfende“ sein, kann nicht jede Bibelstelle genannt und untersucht werden, die irgend vom „Reich“ spricht. Doch hoffen wir, die wesentlichen Stellen im Folgenden beachtet zu haben.

I. Bestätigung und Bekräftigung des AT

Wir gliedern diesen Abschnitt in folgender Weise:

a) Das „Reich der Himmel“
b) Die Nähe des „Reiches der Himmel“
c) Angebot des Reiches?
d) Jesu Wunder als Erweis Seiner Messianität
e) Die Bedingungen für das Eingehen ins Reich
f) Salz und Licht
g) Die Erfüllung von Gesetz und Prophetie
h) Das Reichsgebet
i) Friede und Gehorsam in der Tierwelt
j) Israels Vorrangstellung
k) Sichtbare Herrlichkeit
l) Thron und Herrschaft über Israel und die Völker
m) Plötzliche Reichsaufrichtung nach Drangsal und Gericht
n) Ergebnis

Das NT steht auf dem Boden des AT. Dies ist in viel stärkerem Maße der Fall, als oft angenommen wir. Wir können ohne Übertreibung sagen: Ohne Kenntnis des AT ist ein tieferes h e i l s g e s c h i c h t l i c h e s Verständnis des NT unmöglich. Manche evangelistische oder praktisch-erbauliche Wahrheit kann man dem NT allein entnehmen; die großen Heilslinien und prophetischen Zusammenhänge aber ohne deren Kenntnis unser Glaubensleben allzu leicht im engen Kreis privater ichhafter Frömmigkeit befangen bleibt, tun sich erst dem Leser der g a n z e n Bibel auf. Ja, auch das rechte Verständnis einzelner Worte und Begriffe des NT benötigt das Vertrautsein mit der Sprache und den Zeugnissen des AT.

a) Das Reich der Himmel

Die enge Verflochtenheit der beiden Teile unserer Bibel muss gerade auch beachtet werden, wenn wir nach neutestamentlichen Zeugnissen vom Reich fragen. Sonst kann es geschehen, dass man gleichsam mitten im Wald keine Bäume findet, dass man also in den Evangelien, die auf fast jeder Seite vom kommenden Königreich auf Erden sprechen, dennoch das messianische Reich nirgendwo erkennt, weil man alles auf ein rein geistiges, unsichtbares, innerliches bzw. jenseitiges „Himmelreich“ bezieht. So nur lässt es sich wohl erklären, dass beispielsweise ein Pfarrer die Meinung vertrat, vom „Tausendjährigen Reich“ sei im NT wohl nur an einer Stelle die Rede, und daher könne die ganze Angelegenheit wohl nicht so wichtig sein. Gewiss: Dass das Reich Christi auf der alten Erde t a u s e n d J a h r e währen soll, wird nur in Offb 20 (dort aber gleich sechsmal!) bezeugt. Aber daraus kann man doch nicht schließen, das ganze übrige NT schweige sich über diesen Gegenstand aus! Mag über die D a u e r des Tausendjährigen Reiches sonst nichts gesagt sein, die S a c h e aber wird, vor allem von Matthäus, Markus und Lukas, auf Schritt und Tritt erwähnt, wobei die Ausdrücke im einzelnen wechseln: „Reich der Himmel“, „Reich Gottesn“, „mein Reich“, „Reich meines Vaters“, „Wiedergeburt“ (nämlich Israels, so Mt 19:28), „Leben“, „kommendes oder jenes Zeitalter (Äon), oder (in Apg 3) „Zeiten der Erquickung“ und „Zeiten der (Wieder-)Herstellung alles dessen, wovon Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“.

Nach diesen Vorbemerkungen kommen wir auf die Frage dieses Abschnittes zurück: Welche Schriftworte in den Evangelien bestätigen und bekräftigen die alttestamentliche Schau vom Reich?

Vor allem das Matthäusevangelium ist randvoll von Zeugnissen über das kommende sichtbare Reich des Messias. Es wird dort in der Regel „H i m m e l r e i c h“ genannt. Damit ist gerade n i c h t ein Reich i m H i m m e l gemeint, sondern ein Reich auf Erden, das aber nicht durch irdische Macht, sondern vom Himmel her errichtet wird, wie es schon der Prophet Daniel zum Ausdruck brachte, als er im Heiligen Geist schaute, dass die Königreiche dieser Erde am Ende abgelöst werden von einem vom Himmel her aufzurichtenden Reich. (Ein „Stein“ reißt sich ohne Menschenhände los, zermalmt das Standbild der Weltmächte und wird zu einem großen Berge, der die ganze Erde(!) füllt; mit den Wolken des Himmels kommt einer wie eines Menschen Sohn zu dem „Alten an Tagen“ und empfängt von Ihm Herrschaft, Herrlichkeit und Königtum über alle Völker, Völkerschaften und Sprachen; Dan 2:44.45; Dan 7:13.14).

b) Die Nähe des „Reiches der Himmel“

Sowohl Johannes der Täufer als auch Jesus selbst begannen ihre öffentliche Wirksamkeit in Israel mit dem Ruf zur Buße, zur Umsinnung: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahegekommen“ (Mt 3:2; t 4:17). Dachten sie bei diesem Reich an ein anderes Als das von allen Propheten des AT verheißene? Keineswegs. Schon die Tatsache, dass sie sich an vielen Stellen jede nähere Erläuterung und Charakterisierung dieses nahegekommenen Reiches spare, beweist, dass es sich nur um das von den alttestamentlichen Propheten geschaute und bezeugte messianische Reich handeln kann. Auch der Gedanke, dass die Aufrichtung dieses Reiches mit völkischer Buße Israels verbunden ist, ist nicht neu. Neu ist höchstens die Ankündigung, dieses Reich sei n a h e g e k o m m e n. Bei diesem Ausdruck müssen wir kurz verweilen. Man hat aus diesem und ähnlichen Worten Jesu eine „Naherwartung Jesu“, ja eine „Nächsterwartung“ herauslesen wollen. Doch ein Überblick über das Vorkommen der griechischen Worte für „nahe“ und „nahen“ zeigt, dass die Bedeutung zeitlicher Nähe durchaus nicht die einzig mögliche ist. Es kann sich bei diesen Worten um z e i t l i c h e Nähe von Stunden oder Tagen oder Monaten oder wenigen Jahren handeln (Mt 26:45; Mt 21:34; Lk 21;20.28; Apg 7:17; Mt 24:32; Joh 2:13): ebensogut aber auch um r ä u m l i c h e Nähe (Mt 21:1; Mt 26:46; Lk 19:329; Joh 3:23 u. a.) oder um g e i s t l i c h e , p e r s o n a l e Nähe, d. h. ein heilsgeschichtlich wichtiges, schwerwiegendes Ereignis, das zeitlich noch um Jahrtausende entfernt sein kann, schaut das Auge des Glaubens als ganz nahe; die dazwischenliegende Zeitspanne erscheint ihm gegenüber bedeutungslos (so Röm 13:11.12; Hebr 10:25; Jak 5:8; 1Petr 4:7; Phil 4:5; Offb 1:3; Offb 22:10). Uns scheint, dass in dem Wort: „Das Reich der Himmel ist nahegekommen“ eher an die Näher der Person und des Geistes als an zeitliche Nähe zu denken ist: in Jesu Person, in Seiner geistlichen Vollmacht und Wirksamkeit war das Reich genaht (vgl. Lk 11:20; Lk 17:21: „mitten unter euch“); es war i m A n b r u c h da*30

Keine „Naherwartung“ im Sinne der „Konsequenten Eschatologie“
*30 Eine abwegige Deutung der „Naherwartung Jesu“ vertritt die „Konsequente Eschatologie“. Prof Wilhelm Michaelis schreibt darüber: „Die unbestreitbare Bedeutung, die die Enderwartung innerhalb der neutestamentlichen Enderwartung in der Vorm der Naherwartung auftritt, werden von den Verfechtern der Konsequenten Eschatologie - das heißt der vor Jahrzehnten von A l b e r t S c h w e i t z e r in Gang gesetzten und heute besonders von M a r t i n W e r n e r vertretenen Auffassung von der Eigenart der biblischen End- und Naherwartung - als Anlass genommen, unermüdich darauf hinzuweisen, dass diese Naherwartung, die vor allem Jesus selbst vertreten haben, sich doch gar nicht erfüllt habe, dass sie somit, auch vor allem bei Jesus, nur als ein Irrtum zu beurteilen sei. Die Konsequente Eschatologie unterstellt Jesus eine Nächsterwartung, die nicht nur auf uns heute als ungesund und krankhaft, als bloße Einbildung wirken muss und die daher unsere Erkenntnis des Wahrheitswertes der gesamten Botschaft Jesu gefährden müsste, sondern die auch schon zu ihrer Zeit nur als unverständlich und unverständig gewirkt haben müsste. Die Konsequente Eschatologie behaupt nicht mehr und nicht weniger als dies, dass Jesus nicht etwa über die Zeit nach Seinem Tode Aussagen gemacht habe, die dann nicht eingetreten wären, sondern dass Er schon zur Zeit der Aussendung Seiner Jünger (Mt 10) eine Nächsterwartung des Jüngsten Tages vertreten habe, die mit allerkürzesten Fristen rechnete. dass Er mit dieser Nächsterwartung aber, wie nicht anders zu erwarten war, elend Schiffbruch erlitten habe, und dass von da ab Sein ganzes Denken, Wollen und Handeln unter dem Eindruck der E n t t ä u s c h u n g darüber, dass Er sich g e t ä u s c h t habe, gestanden habe. Schon während der Lebenszeit Jesu habe sich also die Naherwartung als ein Irrtum erwiesen, oder vielmehr, da Jesus nicht an einen völligen Irrtum zu glauben vermochte, so habe Er sich das Ausbleiben des Jüngsten Tages nur als Verzögerung des Jüngsten Tages erklären können. Darum habe Er sich nur noch das gefragt, wie Er diese Verzögerung wieder aufholen könne; freilich habe Er auch damit sich in einem großen Irrtum befunden, und die gesamte folgende Zeit habe dann notwendig unter dem Zeichen der andauernden Parusieverzögerung stehen müssen.
Es ist klar, dass die Parusieverzögerung, von der die Konsequente Eschatologie spricht, etwas ganz anderes ist als der ‚Verzug‘, von dem 2Petr 3:9 die Rede ists und der sich dann ergibt, wenn man übersieht, dass die Naherwartung bei Jesus wie bei Paulus gerade die verhältnismäßig große Ferne des Jüngsten Tages zur Voraussetzung hat.“ (Mi/59-62)

c) Angebot des Reiches?

Man hat das Wort vom nahegekommenen Reich des öfteren im Sinne eines A n g e b o t s aufgefasst: Wenn Israel wirklich Buße tut, wird alsbald das messianische Reich erscheinen; lehnt es aber in seiner großen Masse die Umsinnung (metananoia = „Buße“, Umstellung des Sinnens und Denkens) ab, so geht das Angebot ungenutzt vorüber und das Reich kommt erst später; es wird aufgeschoben, es „verzieht“. - Erich Sauer lehnt diesen Gedanken eines Angebotes wohl mit Recht ab. Er weist darauf hin, dass das erste Kommen Jesu von Anfang an mit der Blickrichtung aufs K r e u z geschah. Es stand im Zeichen der Selbsterniedrigung Jesu von Stufe zu Stufe (Phil 2:5-8). Diese Stufenfolge konnte und durfte nicht unterbrochen werden. Jesus m u s s t e sterben. Die Schrift m u s s t e erfüllt werden. Dem vorbildlichen Opferdienst des AT m u s s t e endlich das wahre, wesenhafte Opfer folgen, das allein wirklich imstande war, die Sünden der Welt zu sühnen (1Jo 2:2). Das Reich k o n n t e nicht kommen, ehe n icht das Blut der Versöhnung geflossen und eine Möglichkeit zur Vergebung, Reinigung und Heiligung für alle Menschen geschaffen war. Vor der Verherrlichung des Königs m u s s t e Seine Selbsterniedrigung, Sein Leiden stehen (Lk 24:44.46; 1Petr 11)*31.

*31 Erich Sauer sagt hierzu: „Ein Angebot und eine Aufrichtung des Messiasreiches war vor Golgatha gar nicht möglich. Denn ohne Sündenvergebung konnte keine Reichsherrlichkeit kommen. Sündenvergebung aber war nur aufgrund des stellvertretenden Sühnetodes Jesu möglich, und Jesus ist von vornherein gekommen, Sein Leben zu geben als ein Lösegeld für viele (Mt 20:28). Ein solches Angebot hätte darum von vornherein - und zwar von Gott selbst her! - in stärkstem Widerspruch gestanden zu den entscheidenden Grundsätzen Seines eigenen Erlösungsplans. Darum stand auch dem Herrn, sofort schon bei Seinem Eintritt in die Welt, das Kreuz als allererstes vor Augen (Hebr 10:5-10). Erst Verwerfung, dann Erhöhung! Erst Dornenkrone, dann Königskrone! Darum hat Ihn auch Johannes der Täufer, Sein Wegbereiter, gleich zu Anfang in d i e s e r Weise angekündigt mit dem Ruf: ‚Siehe das L a m m Gottes, das die Sünden der Welt (hinweg)trägt‘ (Joh 1:29). Die Reihenfolge war eben von vornherein: Durch Kreuz zur Krone! Durch Buße zum Heil! Nur durch Sündenvergebung zur Verherrlichung! Niemals umgekehrt.“ (Sa I/174)

Auch ist es nicht unseres Gottes Art, etwas anzubieten, das in Wirklichkeit noch nicht zu haben ist. Zwar könnte man hier einwenden, Gott habe doch auch einst im Gesetz das „Leben“ angeboten, obwohl - nach paulinischer Belehrung im Römer- und Galaterbrief - das Leben, die wahre Gerechtigkeit, aus Gesetzeswerken gar nicht zu erlangen ist. Hierzu wäre erstens zu sagen, dass es Leben und Gerechtigkeit auf verschiedenen Stufen gibt - von Zacharias und Elisabeth wird z. B. in Lk 1:6 eine Gerechtigkeit aus Gesetz bezeugt; und zweitens, dass es noch fraglich ist, inwieweit das alttestamentliche Gesetz überhaupt auf Gott selbst zurückgeht, und inwieweit es von Gott aus „pädagogischen“ Gründen lediglich zugelassene „Anordnungen von Engeln“ enthält, worauf einige Stelle hinweisen (Apg 7:53; Gal 3:19; Hebr 2:2).

Schließlich müsste es in unserem Text in Mt 3:2 und Mt 4:17, wenn es sich wirklich um ein A n g e b o t handelte, wohl heißen: „Tut Buße, d a m i t das Reich der Himmel kommt.“ Es heißt aber nicht „damit“, sondern „denn“: „denn das Reich der Himmel ist nahegekommen“. Die Nähe des Reiches ist B e g r ü n d u n g für die geforderte Buße des Volkes, nicht die F o l g e davon. (Anders steht es z.B, in Apg 3:17-21. Dort mag es sich um ein echtes Angebot an Israel gehandelt haben. Dort heißt es: „Tut Buße... d a m i t Zeiten der Erquickung kommen.“'’ Während Kreuz und Auferstehung Jesu Christi unumgängliche Vorbedingungen für das Kommen des messianischen Reiches darstellten, wäre die Gemeinde, die im jetzigen Zeitalter von Gott zubereitet wird anstelle des verstockten auserwählten Volkes, keine unerlässliche Voraussetzung für das Reich gewesen; es hätte auch ein Tausendjähriges Reich o h n e diese Gemeinde geben können.)

Der Heroldsruf Johannes’ und Jesu, der dann auch zum Heroldsruf der Zwölfe bei ihrer ersten Aussendung wurde (Mt 10:7), will also keine zeitliche Nähe des messianischen Reiches, sondern seine g e i s t l i c h e , p e r s o n a l e Nähe proklamieren (personal, weil in der Person des Herrschers nahegekommen); es ist k e i n A n g e b o t, sondern Feststellung einer Tatsache, einer Tatsache allerdings, die zur Buße führen soll. Er fügt sich durch in den Rahmen der alttestamentlichen Prophetenworte vom Reich ein, insofern kein anderes Reich gemeint ist als das von den Propheten verheißene. Das wird noch deutlicher aus der Art, wie sich nun Jesus in T a t und L e h r e (Apg 1:1) als der Messias ausweist*32

*32 Hätte Israel zur Zeit des Erdenwirkens des Herrn Buße getan, so wäre allerdings das irdische Königreich Christi auch zeitlich in größere Nähe gerückt. Zwar hätte Christus in jedem Fall sterben und auferstehen müssen; wäre aber Sein Tod gegen den Willen der Volksmassen (vielleicht nur von einer hasserfüllten Minderheit oder von den Römern) herbeigeführt worden, so hätte kurz nach Pfingsten des Königreich zu dem bußwilligen Volke kommen können. (Näheres darüber bei der Betrachtung von Apg 3:19-21). Auf die 69 Jahrwochen von Dan 9 wäre sofort die 70. gefolgt. In diesem Sinne mag in der Botschaft vom „nahegekommenen Reich“ der Gedanke an zeitliche Nähe als leiser Unterton immerhin mitgeklungen haben.

d) Jesu Wunder als Erweis Seiner Messianität

Wir lesen in Mt 4:23:

“Jesus zog in ganz Galiläa umher, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Königreiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen unter dem Volke.“

Was das Auftreten Jesu kennzeichnet, ist also Lehre und Predigt (Heroldsruf) einerseits und Wundertat andererseits. Wir bedenken zunächst das letzter: Jesu Wundertaten. Sie äußern sich hier in der Heilung a l l e r Krankheiten, ob körperlich, seelisch oder geistig-dämonisch bedingt. Ähnliches berichtet der gleiche Evangelist in Mt 8:16.17.

“Als es aber Abende geworden war, brachten sie viele Besessene zu Ihm; und Er trieb die Geister aus mit einem Worte, und Er heilte alle Leidenden, damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaias geredet ist, welcher spricht: Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten.“

Überhaupt sind gerade Mt 8 und Mt 9 angefüllt mit Wunderberichten. Es sind insgesamt zehn Wunder, die uns hier überliefert werden, je 5 in Mt 8 und Mt 9.
In Mt 8:

  1. Die Heilung des Aussätzigen
  2. Die Heilung des Knechtes vom Hauptmann von Kapernaum
  3. Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus
  4. Die Stillung des Sturmes
  5. Die Heilung der beiden Gedarener

In Mt 9:

  1. Die Heilung des Gelähmten
  2. Die Auferweckung der Tochter des Jairus
  3. Die Heilung der blutflüssigen Frau
  4. Die Heilung der zwei Blinden am Wege
  5. Die Heilung eines Stummen

Fritz Rienecker bemerkt dazu in der "Wuppertaler Studienbibel" Matthäus: „Es sind im ganzen zehn wunder, von denen Matthäus berichtet. Vielleicht denkt Matthäus an jene zehn Wunder im AT, die Gott an Israel bei seiner Befreiung aus Ägypten vollbracht hatte. Die rabbinische Theologie wusste davon, indem sie sagte: ‚Zehn Wunder geschahen unsern Vätern in Ägypten und zehn am Meere ... Zehn Wunder geschahen unsern Vätern im Heiligtum‘“ (Rie/91).

Wie sich einst Mose gegenüber dem eigenen Volk und den ägyptischen Feinden als von Gott gesandter und bevollmächtigter Retter und Richter in zehn Gerichtswundern auswies, so erweist sich Jesus in zehn Heilungs- und Wiederherstellungswundern als gottgesandter Retter und Zurechtbringer und als verheißener Messias.

Diese Wunder Jesu geschehen im Rahmen der alttestamentlichen Reichsverheißungen. Es sei nur erinnert an Propheten worte wie Jes 29:18-24; Jes 32:3.4; Jes 33:24; Jes 35:5.6 (vgl. oben den Abschnitt: Die Wiederherstellung des Königreiches Israel) Als daher dem Täufer im Gefängnis Zweifel an der Messianiät Jesu kommen und er Ihn durch seine Jünger fragen lässt: „Bist Du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ weist der Herr Seinen angefochtenen Wegbereiter auf Seine Wunder hin (Mt 11:4-6).

“Gehet hin und verkündet Johannes, was ihr höret und sehet: Blinde werden sehend, und Lahme wandeln, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird gute Botschaft verkündigt; und glückselig ist, wer irgend sich nicht an mir ärgern wird (= keinen Anstoß an mir nimmt)."

e) Die Bedingungen für das Eingehen ins Reich

Neben Jesu W u n d e r t a t e n erweisen P r e d i g t und L e h r e Seine Messianität. Jesus verkündigte - und ließ dann durch Seine Apostel verkündigen - das E v a n g e l i u m des K ö n i g r e i c h e s (Mt 4:23; Mt 9:35; vgl. Mt 24:14). Es geht dabei sowohl um etwas Gegenwärtiges als auch um etwas Zukünftiges: um den Ruf zur Buße, zur Nachfolge, zur gegenwärtigen Lebensausrichtung aufs Reich hin (das im Anbruch in Jesu Person und Wirken schon da ist) einerseits, und um die Bitte um das Kommen des Reiches und seine Erwartung andererseits. Es sind die gleichen Bedingungen ,die gelten für den gegenwärtigen Eintritt in die Jüngerschaft oder Schule Jesu und für den zukünftigen Eingang in das kommende messianische Reich. Neben dem Zeugnis, dass das Reich nahe ist (als Anbruch und Angeld, als Vorgeschmack und Vorausdarstellung - so nah, dass man’s mit Händen greifen und mit Augen sehen kann!) und in seiner Vollgestalt in Zukunft kommt, nehmen in der Verkündigung Jesu diese E i n t r i t t s b e d i n g u n g e n einen breiten Raum ein. auch sie entsprechen wieder ganz dem Zeugnis, das schon die Psalmisten und Propheten gaben, die ja auch schon darauf hinwiesen, dass nicht die Stolzen, Starken, Selbstherrlichen oder nur Scheinfrommen in sReich eingehen, sondern die Demütigen und Sanftmütigen, Elenden und Besitzlosen. In der Bergpredigt bestätigt und bekräftigt der Herr dieses Zeugnis, indem Er sagt (Mt 5:3-11.20; Mt 7:21-23 nach F. Rienecker):

“Glückselig die Armen durch den Geist, denn i h r e r ist das Königreich der Himmel.
Glückselig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land ererben.
Glückselig, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden.
Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.
Glückselig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen.
Glückselig die um Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihrer ist das Königreich der Himmel. Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und jedes böse Wort lügnerisch über euch reden um meinetwillen.
Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht überfließend mehr ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Königreich der Himmel kommen!
Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Königreich der Himmel eingehen, sondern wer den Willen meines Vater tut, der in den Himmeln ist. Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! haben wir nicht durch Deinen Namen geweissagt und durch Deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch Deinen Namen viele Wunderwerke getan? Darauf werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt; weichet von mir, ihr Übeltäter!“

Weitere Zeugnisse über die Eintrittsbedingungen ins Reich des Messias finden sich bei Matthäus in Mt 18:3.4; Mt 19:14.23; Mt 21:32.32 und in der großen prophetischen Rede in Mt 25:31-46. Im Grunde geht es stets um das gleiche: Demut, Einfalt, Echtheit der Frömmigkeit, Barmherzigkeit und Friedfertigkeit.

In der Regel werden solche Worte in Predigt und Bibelstunde auf das Erlangen der „Seligkeit“ (jetzt, oder in der Todesstunde, oder beim Jüngsten Gericht) oder auf das Eingehen in ein jenseitiges „Himmelreich“ gedeutet. Dabei wird sowohl der geschichtliche Hintergrund als auch der prophetische Charakter dieser Aussagen Jesu verkannt. Wir sind zwar weit davon entfernt, zu leugnen, dass auch diese Worte den Gläubigen unserer Heilszeit Nützliches zu sagen haben; j e d e s Gotteswort dürfen und sollen wir im Sinne von 2Tim 3:16 nicht nur lehrmäßig betrachten, sondern auch praktisch auf uns anwenden. Leider wird aber nur allzuoft über der praktisch-erbaulichen Anwendung die geschichtliche, lehrmäßige, prophetische Auslegung vernachlässigt oder eine Anwendung schon für Auslegung gehalten! Man bedenke doch immer, dass die Jünger und Zuhörer Jesu, deren Bibel das AT und n u r das AT war, Jesu Aussagen über das Königreich Gottes, bzw. der Himmel durchaus im Sinne der alttestamentlichen Reichsverkündigung verstanden und verstehen sollten! Gewiss übt Gott auch in den Himmeln Herrschaft aus (Mt 6:10 u. a.); gewiss ist auch die Gemeinde, die da ist Sein Leib, e i n e Erscheinungsform des Königtums Gottes und Christi (Kol 1:13); gewiss wird das Gottesreich zuletzt kosmische, weltweite Ausmaße haben (1Kor 15:22-28); - wo aber die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas vom Reich sprechen, ist dies alles nicht gemeint, das vom Himmel her bei Seinem Erscheinen mit allen Heiligen in großer Macht und Herrlichkeit aufgerichtet werde soll*33.

*33 Zu den „Eintrittsbedingungen“ der Bergpredigt für das Gottesreich hat WALTER NIGG das Folgende beobachtet und vermerkt: „ Die Ausführungen der Bergpredigt sind alles andere als überspitzte Forderungen. Vielmehr ist der Mensch, den Jesus als Friedfertigen, als Sanftmütigen, als reinen Herzens selig preist, eine Vorwegnahme jener Einstellung, nach der man im Reiche handeln wird. Die Seligpreisungen sind die ersten Sonnenstrahlen, die das am Horizont heraufsteigende Reich auf diese Erde wirft, und das unterscheidet sie prinzipiell von allem Moralismus ... Jesu Bergpredigt gehört der Welt des Unbedingten an, die mit ihrem ungeheuren Selbstbewusstsein, ‚Ich aber sage euch‘, durch alle Jahrhunderte dröhnte, und die mit ihrer Ablehnung aller geteilten Halbheit sich als des Menschen dringlichste Aufgabe erweist. Trotz ihrer Auffordern zur Vollkommenheit sind diese Worte nicht aus der Welt des Sollens, sondern des göttlichen Seins gesprochen.“ (Ni/34)
Vielleicht ist beides der Fall: Für den Menschen von Röm 7, den Menschen des eigenen Ringens und Mühens, bedeutet die Bergpreigt die höchste Steigerung gesetzlicher Forderung, die nur denkbar istm und an der sein selbstbewusstes frommes Leistungsstreben ad absurdum geführt wird und zerschellen soll. - Der Mensch des Glaubens aber, der nicht mehr von sich und alles von seinem Gott erwartet, erblickt in der gleichen Bergpredigt das göttliche Sein, das auch ihm zuteil wird; für ihn ist sie nicht Forderung, sondern Geschenk.

f) Salz und Licht

Weitere Züge der Reichsverkündigung Jesu, die durchaus der Rechsbotschaft der alttestamentlichen Propheten entsprechen, sind folgende:

Wenn der Herr in der sogenannten Bergpredigt in Mt 5:13-16 Seine israelitischen Jünger als das Salz der Erde und das Licht der Welt bezeichnet, so entspricht das ganz den Aufgaben, die das auserwählte Volk nach alttestamentlich-prophetischer Schau im Reich zu erfüllen hat. Es sei nur erinnert an Jes 42:6; Jes 49:6; Jes 60:1-3; Jes 62:1.2. Wie die Gegenwart Jesu auf Erden vor Seiner Verwerfung und Kreuzigung ein Anbruch des kommenden Reiches war, so sollte auch Wandel und Wirken Seiner Jünger ein Vorschmack des Verhaltens Israel im Reiche sein. Bei der „Stadt auf dem Berge“, die nicht verborgen sein kann, dachte der Herr sicherlich an Jerusalem, das nach Jes 2:2-4 (wie wir oben sahen) einmal über alle Hügel und Berge hinausragend weithin leuchten und die Gegenwart und Herrlichkeit des Königs verkündigen soll.

g) Die Erfüllung von Gesetz und Prophetie

Besondere Beachtung verdienen in unserem Zusammenhang der Mt 5:17.18:

“Meinet nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz und die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis dass der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht e i n Jota oder e i n Strichleich von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen sein wird." (Rie)’'

Hier spricht es der Herr selber klar und deutlich aus: Das Gesetz und die Propheten werden erfüllt. Nichts davon, auch nicht den kleinsten Buchstaben oder ein Akzentzeichen, löst Er auf, d. h. schafft Er ab, hebt Er auf. Hätten wir nur dieses e i n e Wort aus dem Munde Jesu Gesetz und Prophetie, es sollte genügen, unsere weiter oben gestellte Frage nach der fortdauernden Gültigkeit der Prophetenworte über das messianische Reich zu entscheiden: Alles, was die Propheten geweissagt haben - also auch das von ihnen geschaute und bezeugte Panorama des Königreiches Christi auf Erden -, bleibt gültig und wird erfüllt werden. Ja, Jesus selbst ist der Erfüller. Erfüllte Er bei Seinem ersten Kommen vor allem die Leidensweissagungen wie Jes 53 und Ps 22, so wird Er ein andermal, wenn Er in Herrlichkeit als Richter und Retter und König erscheint, das übrige erfüllen.

Dass der Herr in unserem Matthäus-Wort nicht vom Tun oder Halten oder Beobachten des Gesetzes spricht, sondern die Ausdrücke „geschehen“ und „erfüllen“ (pläroun, das sehr oft die Erfüllung einer Weissagung bezeichnet) gebraucht, weist uns darauf hin, dass hier nicht so sehr an das Gesetz als F o r d er u n g , sondern als V e r h e i ß u n g gedacht ist, anders gesagt: an die p r o p h e t i s c h e Seite des Gesetzes. Mehr oder weniger ist ja das ganze Gesetz zugleich Prophetie, was man z. B. aus dem Hebräerbrief hinsichtlich der Opfergesetze oder aus Röm 3:25 im Blick auf den „ Sühnedeckel“ ersehen kann. Auch in Bezug auf das Tausendjahrreich ist das Gesetz voller Prophetie - wir führten bereits Stellen wie 2Mo 23:22.25-27.31; 3Mo 25:18.19; 3Mo 26:3-12; 5Mo 28:1-8.12-14 u. a. weiter oben an. Nichts davon wird hinweggetan, für ungültig erklärt. Alles wird erfüllt - sowohl nach der Fluch- und Gerichtsseite als auch nach der Segens- und Heilsseite hin. Jesus selbst der das Ja und Amen zu allen Verheißungen Gottes isst (2Kor 1:20; Offb 3:14) verbürgt es uns!

Nach Seiner Auferstehung bestätigte der Herr den Jüngern auf dem Weg nach Emaus, was Er ihnen vor Seinem Leiden in Mt 5:17.18 gesagt hatte, nämlich „dass alles erfüllt werden muss, was über mich geschrieben steht in dem Gesetz Moses und den Propheten und den Psalmen“ (Lk 24:44); bezüglich Seines Leidens und Seiner Herrlichkeit (Mt 5:26) „erklärte Er ihnen in allen Schriften das, was Ihn betraf" (Mt 5:27), bis ihr Herz brennend wurde*34

*34 Wenn Prof. Ethelbert Stauffer in „Die Botschaft Jesu damals und heute“ (Stau/32) mit der unbekümmerten Selbstsicherheit, die für so manche moderne Kritiker am Worte Gottes typisch ist, die Meinung äußert: „Jesus von Nazareth kann das Wort von der ewigen Geltung der Thora (Gesetz) unmöglich gesagt haben. Denn Er selber hat nicht nur Häkchen aus der Thora entfernt, sondern ganze Paragraphen abgeschafft“, dann übersieht er erstens, dass es hier (im Mt 5:18 und Lk 16:17) um die prophetische (auf Christus und den „neuen Bund“ und das messianische Reich zielende) Bedeutung des Gesetzes geht; zweitens, dass Jesus, auch wo Er dem Buchstaben nach etwa gegen das Sabbatverbot verstieß, doch damit dieses nicht „abgeschafft“ hat noch für Israel abschaffen wollte, vielmehr nur die Schwerpunktverlagerungen der Pharisäer, die über dem Zehnten von Krausemünze und Anis und Kümmel Gericht und Barmherzigkeit und Glauben vergaßen (Mt 23:23), bloßstellen und korrigieren wollte; und drittens hört für den Glauben die Feststellung „das Wort kann Jesus unmöglich gesagt haben“ ohnehin jede Diskussion auf. Hier ist ein Punkt erreicht, an dem sich die Geister scheiden: entweder ist, wie viele heutige Theologen meinen und lehren, unsere Bibel und in Sonderheit das NT von Fälschern und Verdrehern der eigentlichen „Urbotschaft Jesu“ zusammengestückelt worden, die je nach ihrem geistigen Standort und menschlichem Dafürhalten Worte Jesu ausließen, ,veränderten, hinzudichteten und Ihm frei erfundene Worte und „Weissagungene“ in den Mund legten, um das Evangeliu, ihren Zeitgenossen schmackhaft zu machen, - oder aber es bleibt bei dem biblischen Selbstzeugnis, wonach „heilige Menschen Gottes redeten, getrieben vom Heiligen Geist“. (Näheres über die Inspiration der Heiligen Schrift enthält der Aufsatz vom gleichen Verfasser: „Was bedeutet uns die Bibel?“ in „Für Leben und Glauben“, Heft 6: „Wie soll ich meine Bibel lesen?“ Paulus Verlag

h) Das Reichsgebet

Das Vaterunser (Mt 6:9-13) wird nicht umsonst das „Reichsgebet“ genannt. Prof. E. F. Ströter hat schon 1907 in einer tiefgründigen und überzeugenden Auslegung dieses Gebetes in seiner Zeitschrift „Das prophetische Wort“ nachgewiesen, dass es das g an z e Gebet, dass es a l l e sieben Bitten (nicht nur die zweite und dritte) mit dem Kommen des messianischen Reiches zu tun haben. Er hat gezeigt, dass die Heiligung des Namens Gottes (erste Bitte) nicht etwa nur das R e d e n der Jünger betrifft, also eine geziemende, ehrfürchtige Ausdrucksweise beim Reden mit oder von Gott meint, sondern dass die alttestamentlichen Propheten darunter die Sammlung und Erneuerung Israels verstanden haben: Gott selbst will seinen unter den Völkern durch Israel entweihten Namen wieder heiligen, indem Er Sein Volk sammelt, reinigt und ihm Seinen Geist schenkt (Hes 36:22-24; vgl. Hes 20:40-44; Hes 39:7.25). Um d i e s e Heiligung des Namens Gottes geht es im Vaterunser, wenn man es in seiner prophetischen Bedeutung vom AT her zu verstehen sucht, wie es Jesus und Seine Jünger verstanden haben.

Der Zusammenhang bestätigt diese Deutung: an die erste Bitte schließt sich die zweite an: Es komme Dein Königreich! Das bedeutet, dass Jesus trotz Seiner Anwesenheit auf Erden, durch die „das Reich mitten unter euch“ getreten war (Lk 17:21; vgl. Mt 12:28!), das Reich doch noch nicht als endgültig und ganz gekommen ansah. Als Anbruch war das Reich in der Person des Königs erschienen, aber noch nicht in seiner vollen Ausgestaltung, Entfaltung und Verwirklichung. Die zweite Bitte zeigt darum, dass Jesus für die Zukunft das verheißene Königreich erwartete. Und solange es noch nicht in Erscheinung getreten ist, bleibt es die Bitte der Seinen: Es komme Dein Königreich!

Die dritte Bitte schließt sich wiederum zwanglos an die zweite an: Im Königreich Jesu Christi soll endlich auch auf Erde Gotts Wille geschehen, - so widerspruchslos und umfassend, wie er heute schon im Himmel geschieht, bei den heiligen Heerscharen des Gottes Zebaoth. Die Erwartung vieler Kinder Gottes zielt auf den Himmel und nur auf den Himmel. Gott aber will Sein Reich und Seinen Willen vornehmlich auf dieser E r d e verwirklichen! Mit Raketen und Raumschiffen strebt die heutig Menschheit von der Erde weg in den Weltraum hinaus - Gott aber, der alle Räume Seines Kosmos beherrscht und durchwaltet, will Sein Heil gerade auf unserer E r d e verwirklichen. Er ist viel stärker an dieser unserer E r d e interessiert, als viele jenseitshungrige Gläubige oder „raumfahrt“besessene Ungläubige es sich träumen lassen!

Ströter zeigt in der erwähnten Auslegung, dass sich auch die vierte bis siebte Bitte auf das Reich bzw. auf die letzte Drangsalzeit vor dem Kommen des Reiches beziehen lassen. Die Bitte ums Brot für den folgenden Tag ist heute, im Zeitalter weltweiten Nahrungsmittelhandels, in vieler Munde nur noch eine Redensart: Das Brot, so meint man, ist doch da (wenn auch nicht in Indien, so doch bei uns), und im Falle einer Missernte steht immer noch der Import aus anderen Ländern zur Verfügung. Wenn aber einmal jene Drangsal über Judäa kommt, wie noch keine gewesen ist und auch keine mehr sein wird (Mt 24:15-22), wo niemand kaufen oder verkaufen kann, als nur die mit dem Malzeichen des Tieres Gekennzeichneten (Offb 13:16.17), dann wird die Bitte ums Brot für den nächsten Tag wieder brennend akut (vierte Bitte). - Dann wird Israel noch einmal schwerste Drangsal, Unrecht, Verfolgung von den Nationen erleiden und viel zu vergeben haben, aber auch selbst der Vergebung bedürfen (fünfte Bitte). - Dann wird es flehen um Bewahrung vor der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommt (Lk 21:36; Offb 3:10) (sechste Bitte). - Und es wird beten, dass d e r B ö s e (nicht nur d a s B ö s e) endlich von ihm genommen werde, wie es auch zu Beginn des Tausendjahrreiches tatsächlich geschieht (Offb 20:1-3) (siebte Bitte)*35.

“Dein Königreich komme!“
*35 Da der genannte Artikel von E. F. Ströter vergriffen ist, seien wenigstens einige Auszüge hier wiedergegeben, Ströter schreibt zur zweite Bitte u. a.: „Auch mit dieser Bitte stellt Jesus Seine Jünger ganz auf die Linien der göttlichen Weissagung. Seine eigene Reichspredigt hat, wie die von Ihm veranlasste Seiner Jünger, nie einen anderen Inhalt gehabt noch haben können als das, was alle Propheten von Mose an bezeugt haben, dass Jehova selbst Israels eigener König, Gesetzgeber und Richter sei, und dass dies Volk und sein Land der geographische und politische Rahmen und Boden für die Darstellung Seines Königreiches auf Erden seien. Ein anderes Königreich Gottes kennt das ganze AT anerkanntermaßen nicht. Daraus ziehen wir den uns selbstverständlichen Schluss, dass Jesus ebenfalls kein anderes meinen und predigen konnte und wollte. Denn Ihm konnte die Schrift weder umgebogen, aufgelöst noch gebrochen werden. Er kannte nur eins -: ihre Erfüllung. Dazu allein wusste Er sich gesandt. Eine Umgestaltung dieses fundamentalen Begriffes ist aber bei Ihm und bei Seinen Jüngern, den Aposteln, nicht nachzuweisen. Denn als Er diese aussandte, das Nahesein des verheißenen Reiches zu verkündigen, kam es Ihm gar nicht in den Sinn, weder deren Reichsvorstellung zu korrigieren noch die des Volkes durch sie korrigieren zu lassen - ein unverantwortliches Versäumnis, wenn es wahr wäre, dass die Jünger und das Volk sich von dem zu erwartenden Reiche ganz falsche, ‚fleischliche‘ Vorstellungen gemacht hatten, wie man ihnen allgemein zur Last legt. Nicht ihre Reichsvorstellungen waren fleischliche, sondern nur ihre Gedanken über die Art der göttlichen Verwirklichung der Reichshoffnung. W a s sie erwarteten, war richtig. W i e sie es erwarteten, falsch. Es ist offenkundig, dass ihre Begriffe vom R eich an sich der Korrektur nicht bedurften, sonst wäre eine solche geschehen. Das Gegenteil ist der Fall. Jesus bestätigt die sachliche Korrektheit der Reichserwartungen Seiner Jünger auf das bestimmteste. Mit deutlichen Worten schon Mt 13:11.12.51.52. Ferner durch Eingehen auf ihre diesbezügliche Frage in Apg 1:6-8, deren sachliche Richtigkeit Er damit durchaus anerkennt. Unsere zumeist dem Unglauben gegenüber dem einfachen Wortlauf der Weissagung entsprungenen, aber mit einem Mäntelchen vermeintlich höherer ‚Geistlichkeit‘ verhüllten Reichsbegriffe bedürfen dringend der Korrektur bzw. der Abweisung.’'
Aus der Fassung der zweiten Bitte ergibt sich Folgendes: Jesus hat nicht geglaubt, ,darum auch nicht gelehrt, dass durch Seine Fleischwerdung, d. h. durch die Offenbarung Gottes in Seiner Person, das Reich Gottes bereits gekommen sei, d. h. die vom Reich handelnde Schrift ihre Erfüllung gefunden habe. Sonst konnte Er, der sich als den ‚Gekommenen‘ wusste, nicht beten lehren: Dein Königreich komme. Wohl war Er von der zentralen Bedeutung Seiner messianischen Persönlichkeit für das Zustandekommen des Königreichs Gottes auf Erden derart überzeugt und erfüllt, dass Er Seine Jünger mit der Ankündigung durch das ganze jüdische Land sandte das Königreich der Himmel sei nahe herbeigekommen. Er ging sogar so weit, Seinen erklärten Feinden, den Pharisäern, entgegenzuhalten, das Königreich Gottes sei mitten unter sie getreten (nicht ‚inwendig in ihnen‘ - eine Ungereimtheit sondergleichen), eben in der Person des rechtmäßigen Königs. auch Sein Einzug in Jerusalem bekundet, wie bestimmt Er sich in das Zentrum aller großen Reichshoffnung stellte. Aber auch Sein ‚gutes Bekenntnis‘ vor dem Vertreter der vierten großen Weltmacht, des römischen Reiches - dass Sein Königreich nicht dieser Welt entstamme und weltlicher Mittel (des Schwertes) zu seiner Darstellung nicht bedürfe -, bezeugt er klar, dass Er sich nie in dem Wahn befand, das verheißene messianische Reich bereits herbeigeführt zu haben und also die darauf zielende Schrift bereits in Seinem damaligen Leben und Auftreten erfüllt zu haben.
Es liegt daher in dieser Bitte für die Jünger die bestimmte Unterweisung, dass das Königreich Gottes über die Person des Messias hinausreiche und mehr erheische als die Offenbarung Gottes in Christo, Ohne Ihn ist natürlich kein eigentliches Königreich denkbar. Aber Er allein, Sein Wesen und Seine Kraft, Seine Lebensfülle und seine Gottesherrlichkeit machen noch nicht das Reich Gottes aus, von welchem die Schrift redet. Selbst der durch die Hinzufügung Seines Leibes, Seiner Füller, der Gemeinde, vervollständigte Christus Gottes allein macht noch nicht das Königreich Gottes aus. Dazu gehört Sein Volk und Sein (Immanuels) Land.“ (Strö PW 107/168-170)

Wir erkennen daraus, dass sich auch das Gebet, das Jesus Seine Jünger lehrte, durchaus auf den Linien bewegt, die die alttestamentlichen Propheten vom Reich u nd der vorhergehenden endzeitlichen Drangsal ausgezogen haben.

Jesu Worte gegen eine nur äußere Frömmigkeit und gegen den Sorgengeist (Mt 6:1-8.16-34) entsprechen durchaus der Schau der Propheten des AT, nach welcher Israel zu Beginn der Tausendjährigen Reiches durch Gottes Geist eine tiefgreifende Erneuerung erfahren soll, um dann sicher und sorglos - ohne Furcht vor Hunger, Mangel, Krankheit, Gefahr - im Heiligen Lande zu leben. In der Jüngerschaft Jesu wird das Reich, das Königtum Christi, im Anbruch verwirklicht (nicht sich jedoch darin erschöpfen). Daher sollen diese Züge des messianischen Reiches im Leben der Schüler und Nachfolger Jesu vom voraus zur Darstellung kommen.

So hat auch das Wort Mt 6:35: „Trachtet aber zuerst nach dem Königreich (der Himmel) und nach seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden“ (Rie) einen doppelten Sinn: Im Blick auf den Anbruch des Reiches, als Jesus auf Erden die Gottesherrschaft in machtvollen Proben erwies und Nachfolger in Seine Königsherrschaft berief, bedeutet es: Es sei eure allererste und einzige Sorge, dass meine Königsherrschaft in eurem Leben verwirklich wird, dass ich wirklich in eurem Leben der Herr und König bin; alle anderen Fragen des Lebens werden dann ihre Lösung finden. (In diesem praktisch-erbaulichen Sinne wollen auch wir, die wir heute zur Gemeinde Jesu Christi gehören, uns dieses Wort gesagt sein lassen.) - Zugleich ist aber unter „basileia“ das Königreich in seiner zukünfntigen vollen Entfaltung zu ve rstehen; Euer Sehnen, Verlangen und Flehen sei ganz auf das kommende sichtbare Königreich auf erden und auf seine Rechtsordnungen gerichtet, wo dann ale irdischen Bedürfnisse wie Nahrung und Kleidung im reichsten Maße gestillt und befriedigt werden. So entspricht der Satz der Bitte: Dein Reich komme!

i) Friede und Gehorsam in der Tierwelt

Wir lasen im AT von der Erneuerung, die im Königreich des Messias auch der Tierwelt zuteil werden soll. Wie uns die Evangelisten berichten, hat Jesus bei Seinem ersten Kommen auf diese Erde des öfteren demonstriert, dass Ihm die Tierwelt bedingungslos und willig gehorcht. Damit hat Er auch jenen Zug der alttestamentlichen Reichsverkündigung bestätigt und im Kleinen sichtbar verwirklicht.

So berichtet Lukas (Lk 5:1-11) von dem wunderbaren Fischzug des Petrus, den er entgegen aller Berufserfahrung tun durfte. Auf das Wort seines Meisters gingen die Fische in die Netze, wann und wo Er es befahl.

Etwas Ähnliches erlebte Petrus (nach Mt 17:24-27), als er voreilig, wie er oft war, die Frage der Einnehmer der Tempelsteuer, ob auch Jesus diese jüdische Kopfsteuer bezahle, bejaht hatte. Der Herr belehrt den Petrus eines Besseren, schickt ihn aber, um jene nicht zu ärgern, an den See, wo er die Angel auswerfen soll. Der erste Fisch, der heraufkommen werde, habe ein Geldstück in seinem Maul eingezwängt, das möge Petrus als Tempelsteuer für Jesus und für sich bezahlen.

Zu Jesu Einzug in Jerusalem (Mk 11:1-11) benutzte Er ein Eselfüllen, „auf welchem kein Mensch je gesessen hatte“ (Mk 11:2). War das nicht äußerst gewagt? - Nicht für den, der auch der Tierwelt Seinen Frieden mitteilt, Jesus Christus.

Und nach Seiner Auferstehung erkannten die Jünger den Herrn bei Seiner Erscheinung am See von Tiberias (Joh 21:1-11) wiederum an einem wunderbaren Fischzug, den Er ihnen schenkte, und bei welchem 153 große Fische auf Sein Geheiß ins Netz gingen.

j) Israels Vorrangstellung

Wenn der Herr in Mt 10:5 Seine Apostel anweist, die Kunde vom nahegekommenen Reich nicht den Heiden (Nationen, Nichtisraeliten), sondern nur den verlorenen Schafen vom Hause Israel zu bringen, und wenn Er in Mt 15:24 der kanaanäischen Frau, die Ihn um die Heilung ihrer besessenen Tochter bittet, entgegenhält: „Ich bin nicht gesandt, als nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ und der Tochter erst hilft, nachdem die Mutter diese Vorrangstellung Israels grundsätzlich anerkannt hat, so zeigt Er in beiden Fällen aufs neue, dass Er voll und ganz auf dem Boden des AT steht, wo das Heil für die Heiden erst nach der Bekehrung Israels und durch Israels Vermittlung vorgesehen ist. Die Königsherrschaft Christi soll sich einmal - so erkannten wir oben - vom Zionsberg aus über die Städte Judas, über ganz Israel und danach auch über die Völker bis zu den fernsten Inseln ausbreiten. Nach dieser Ordnung handelte der Herr auch bei Seinem ersten Kommen. Dies entsprach Seiner göttlichen Sendung. Kein Heil und keine Heilsbotschaft für die Heiden, solange Israel das Heil nicht erfasst hat! Erst nach Pfingsten trat diesbezüglich eine Änderung ein, auf die wir noch zu sprechen kommen.

Mt 16:16 haben wir das Gemeinde begründende Bekenntnis des Petrus: „Du bist der Christus (= der Messias), der Sohn des lebendigen Gottes.“ Diese Gleichung (der Messias ist der Gottessohn) ist ebenfalls vom AT her bekannt. Nach Ps 2 ist Jehovas Gesalbter (Messias) und König und zugleich Sein Sohn. Nun war in der Gestalt Jesu von Nazareth dieser Gottessohn und Messiaskönig, wenn auch vorerst verhüllt in Niedrigkeit, mitten unter Sein Volk getreten.

k) Sichtbare Herrlichkeit

Ein Höhepunkt von unvergleichlicher Herrlichkeit im Erdenleben Jesu Christi im Fleisch war das Geschehen auf dem sogenannten Verklärungsberge, das uns Mt in Mt 17:1-8 überliefert hat. Es war für die anwesenden drei Jünger von einer gar nicht zu überschätzenden Bedeutung, die sie wohl erst nach Pfingsten voll erfassten. Dort auf dem berge durften - wie es der Herr in Mt 16:28 vorausgesagt hatte - einige Seiner Jünger (dieselben drei, die auch gewürdigt wurden, Seinem Leidenskampf in Gethsemane beizuwohnen) bereits in ihrem Erdenleben den Sohn des Menschen in seiner königlichen Würde schauen. Er wurde vor ihnen umgestaltet (Mt 17:2). Die war ein Vorbild, eine Vorausdarstellung, eine kleine Probe jener Umgestaltung des Leibes, die alle die Glieder der Gemeinde Jesu erfahren sollen, die bei Seiner Ankunft noch auf Erden leben. (1Kor 15:51-53; 2Kor 5:2.4; Phil 3:21). Die Ausstrahlung der Herrlichkeit des verwandelten Jesus - derselben Herrlichkeit, in welcher Er im messianischen Reich in Jerusalem als König thronen wird und vor welcher der Mond und die Sonne sich schämen werden (Jes 24:23) - muss bis in die himmlische, jenseitige Welt gedrungen sein, wo ein Mose und ein Elia auf ihre Stunde warten, als die zwei Zeugen von Offb 11 in der Endzeit aufzutreten.*36

*36 Eine nähere Begründung für die Annahme, dass es sich bei den beiden Zeugen von Offb 11 um die wiedererstandenen alttestamentlichen Gestalten Mose und Elia handelt, gibt der Verfasser in seiner Schrift „Die 70 Jahrwochen und die kommende Endzeit“, erschienen im Paulus-Verlag

Ihr plötzliches Erscheinen mag von einem Erschrecken begleitet gewesen sein: Ist das Reich schon da? Haben wir unsere Vorläufer-Zeit verpasst? Da sagte ihnen der Herr, welchen Ausgang ER d i e s m a l in Jerusalem nehmen müsse (Lk 9:31). Petrus hat darüber hinaus besonders das Erscheinen Gottes des Vaters in einer Lichtwolke der Herrlichkeit und Sein direktes Reden über den Sohn beeindruckt. Er schreibt darüber in 2Petr 1:16-19:

“Denn nicht als Nachbeter ersonnener Sagen haben wir euch kundgetan die Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus, sondern als Augenzeugen Seiner Größe. Denn von Gott dem Vater hat Er Ehre empfangen und Herrlichkeit, da von der erhabenen Herrlichkeit her diese Stimme an Ihn erging: Mein geliebter Sohn ist Er, an dem ich Wohlgefallen habe, und diese Stimme haben wir vom Himmel kommen hören, da wir bei Ihm waren auf dem heiligen berge. Und als etwas ganz Zuverlässiges haben wir das prophetische Wort; ihr tut gut, euch daran zu halten als an ein Licht, das an finsterer Stätte leuchtet, bis der Tag anbricht und lichtspendend aufgeht in euren Herzen.“ (Nach der kath. Über. von Franz Sigge)’'

Bei Petrus bewirkte dieses Erleben, dieser Vorschmack und Anbruch des Reiches nach der sichtbaren Herrlichkeitsseite hin, dass ihm nach Pfingsten, in Erinnerung daran, alle Zweifel an der Zuverlässigkeit des Wortes der Propheten endgültig und für immer schwanden. Er schaute den Christus in Seiner Königswürde, sah und hörte Mose und Elia und erlebte dazu noch, dass der Vater selbst erschien und sich zu Jesus von Nazareth als zu Seinem geliebten Sohn bekannte - das genügte ihm. Nun wusste er aufs gewisseste, dass er keinen Mythen (Fabeln, Legenden, ersonnenen Sagen, ,religiösen Dichtungen, Märchen) gefolgt war - wie es Bultmann und sein zahlreichen Schüler auf Lehrstühlen und Kanzeln und in theologischen Fachzeitschriften und Büchern in unseren Tagen wieder mit zunehmender Lautstärke behaupten -, als er das Kommen Jesu in Macht und Herrlichkeit glaubte und den Gemeinden verkündigte.

Von allen drei Synoptikern wird uns jenes Geschehen auf dem Berge berichtet (Mt 18:18; Mk 9:2-8; Lk 9:28-36). Bei ihnen allen steht diesem Bericht voran: die erste Leidensankündigung Jesu (Mt 16:21; Mk 8:31; Lk 9:22; Matthäus und Markus fügen den Widerspruch und die Zurechtweisung des Petrus bei) ; Jesu Weissagung, dass Er - auch wenn Er jetzt leiden muss - einmal in der Herrlichkeit Seines Vaters mit den heiligen Engeln erscheintM ferner die Verheißung, dass etliche Seiner Jünger, ehe sie sterben, Ihn in Seiner Königswürde gesehen habe (bzw. Gottes Königreich, Königtum, Königswürde - dies alles kann das Wort „basileia“ bedeuten - gesehen haben; Mt 16:27.28; Mk 8:38; Mk 9:1; Lk 9: 26.27). Dann folgt, nicht lange nach dem Geschehen auf dem Verklärungsberge, die zweite Leidensankündigung (Mt 17:22.23; Mk 9:31; bei Lukas fehlt sie). Diese von alle synoptischen Evangelisten gleichermaßen eingehaltene Reihenfolge entspricht ohne Zweifel dem ursprünglichen geschichtlichen Verlauf: Jesu erste klare und unverhüllte Leidensankündigung hat bei den Jüngern einen derartigen Schock ausgelöst (der sich im Widerspruch des Petrus spontan äußert), dass der Herr ihnen in den folgenden Worten die Notwendigkeit des Kreuzesweges, auch für ihr eigenes Leben, klarzumachen sucht, ihnen zugleich aber versichert, dass das Leiden die zukünftige Herrlichkeit nicht aufhebe; es bleibe vielmehr dabei: Der Sohn des Menschen wird kommen in der Herrlichkeit Seines Vaters und einem jeden vergelten nach seinem Tun. - Diese Versicherung allein aber konnte den schwankend gewordenen Glauben der Jünger nicht stützen. Sie mussten etwas s c h a u e n, etwas e r l e b e n. Den wertvolleren, stärkeren Glauben, der nicht sieht und doch v er traut (Joh 20:29), vermochten sie nicht aufzubringen. Daher sofort anschließend die Verheißung, die bei Matthäus lautet, etliche der Jünger, die um Jesus herumstanden, würden den Tod nicht schmecken, bis dass sie den Sohn des Menschen in Seiner Königswürde haben kommen sehen. (Uns will scheinen, Matthäus habe diese Geschehnisse am sorgfältigsten beobachtet und wiedergegeben; daher folgen wir auch im Mt 16:28 seiner Vision). Die Tatsachen, dass erstens das Wort „basileia“ auch königliche Würde bedeuten kann (so nach Benselers griechisch-deutschem Schulwörterbuch), die ja auf dem Verklärungsberge in Erscheinung t rat; dass ferner dort tatsächlich nur „etliche der hier Stehenden“, eben drei aus dem Kreis der Zwölfe, Ihn sahen; und dass schließlich bei Matthäus wie bei Markus und Lukas auf dieses Verheißung sofort und unmittelbar der Bericht von der Verklärung folgt und sogar der zeitliche Abstand zwischen beiden vermerkt wird (nach Matthäus und Markus sechs Tage, nach Lukas acht Tage), - sie alle deuten darauf hin, dass sich die Verheißung Jesus von Mt 16:28 (und Parallelen), wie es schon die alte Kirche auffasste, eben auf dem Verklärungsberg erfüllte. Der Versuch, die Erfüllung der Verheißung anders zu deuten, bereitet erhebliche Schwierigkeiten, es sei denn, man besitzt Unglauben genug, zu behaupten diese Zusage Jesu habe sich überhaupt nicht erfüllt; der Herr sei Opfer einer Selbsttäuschung geworden.

Für unser Thema ist uns wichtig: Auf dem Verklärungsberge bestätigte Jesus durch ein sichtbares Erscheinen in Seiner Königsherrlichkeit, ,was Er zwei Verse zuvor durch ein Verheißungswort ausgesprochen hatte: Er ist der König, der einmal in wunderbarer Glorie erscheint! Der Vater selbst bekennt sich hierzu, indem Er Jesus von Nazareth vom Himmel herab Seinen geliebten Sohn nennt, auf dessen Wort man hören soll (Mt 17:5).

So wurde das Wort der Propheten und Jesu eigenes prophetisches Wort durch Verwandlungswundeer und Vaterwort für alle Zeiten befestigt und bestätigt (2Petr 1:19). Für uns ist hierdurch wie für Petrus die Frage einer „Ent-mytho-logisierung“ ein für allemal geklärt, die vielen Theologen soviel Mühe macht: die Bibel enthält keine „Mythen“ (dieses Wort steht im Grundtext von 1Petr 1:16), deren wir uns n ach irgendwelchen Regeln unseres Verstandes zu entledigen hätten! vielmehr ist gerade das prophetische Wort das Licht, das wir um so nötiger brauchen und um so heller erstrahlen lassen sollten, je dunkler es in unserer Zeit und Welt wird.

l) Thron und Herrschaft über Israel und die Völker

In Mt 19:28 bestätigt der Herr weitere Züge des Panoramas, das Psalmisten und Propheten des AT vom messianischen Königreich entwerfen. Er gibt dort dem Petrus, der nach einer Belohnung für die unter Aufgabe von Beruf, Besitz und Familie erfolgte Jesusnachfolge fragt, zur Antwort:

“Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, auch ihr werdet in der Wiedergeburt, wenn der Sohn des Menschen sitzen wird auf Seinem Throne der Herrlichkeit, auf zwölf Thronen sitzen udn richten die zwölf Stämme Israel.“

Unter den Wort „Wiedergeburt“ ist hier nicht die Wiedergeburt eines einzelnen zu verstehen (wie etwa in Tit 3;5 oder in Joh 3:3.5 - an letztere Stelle steht allerdings im griechischen Text ein anderes Wort, das neben „von n e u e m gezeugt oder geboren werden“ auch „von o b e n gezeugt oder geboren werden“ bedeuten kann); es hat vielmehr v ö l k i s c h e n Sinn. „Die Wiedergeburt“ ist hier eine Umschreibung für „das messianische Reich“, eben weil die innere Erneuerung Israels durch Gottes Geist, seine Wiedergeburt (wo zur natürlich-leiblichen Geburt die göttlich-geistliche tritt), ein wesentlicher Charakterzug des Tausendjährigen Reiches ist (vgl. oben den Abschnitt „Israels innere Wiederherstellung" sowie Jes 66:8).

In diesem Reich wird Jesus Christus, der sich hier wie so oft als den „Sohn des Menschen“ von Dan 7:13.14 bezeichnet, auf einem Thron göttlicher Herrlichkeit sitze. Er regiert aber nicht allein, sondern hat Mitherrscher - ein Zug, den auch schon das AT, z.B. in Jes 32:1, erwähnt. Die zwölf Jünger Seines engsten Jüngerkreises sollen dann auf zwölf Thronen sitze und die zwölf Stämme Israels richten (bzw. - diesen Sinn hat besonders das hebräische Wort für „richten“ - den zwölf Stämmen Israels Recht sprechen, Recht verschaffen). Hiermit bestätigt der Herr gleich drei Züge der alttestamentlichen Schau vom Reich:

  1. Der Messias und Seine Mitherrscher werden im irdischen Gottesreich Herrschaft ausüben und Recht schaffen.
  2. Die Herrschaft und Rechtsprechung des Messias und Seiner Mitherrscher erstrecken sich zuerst und vor allem auf Israel.
  3. Alle zwölf Stämme Israel sind im messianischen Reich vertreten. -

Weiter Worte der Evangelien, in denen vm Herscherthron des Messias in Seinem Reich die Rede ist, mögen folgen.

In Lk 1:32.33 kündigt der Engel Gabriel der Jungfrau Maria die Geburt eines Sohnes an, den „Heiliger Geist“, „“Kraft des Höchsten“ (Lk 1:35) in ihr zeugen würde. Über diesen Sohn weissagt der von Gott gesandte Engel:

“Dieser wird groß sein und ein Sohn des Höchsten genannt werden, und Gott, der Herr, wird Ihm den Thron Seines Vaters David geben. Und Er wird über das Haus Jakobs bis in die Ewigkeiten herrschen, und Seines Königtums wird kein Ende sein.“ (Rie)

Der Ausdruck „Thron Seines Vaters David“ bestätigt uns, dass es sich um eine durchaus irdische, politische Herrschaft handelt; „herrschen (wörtlich: k ö n i g l i c h herrschen) über das Haus Jakobs“ zeigt wiederum an, dass sich dieses Königtum „zunächst über Israel erstreckt; „Seines Königtums wird kein Ende sein“ entspricht ebenfalls der alttestamentlichen Schau, die allerdings später in 1Kor 15 und in Offb 20 dahingehend erläutert wird, dass Christi Reich nach den 1000 Jahren nach der Niederschlagung eines letzten Aufruhrversuches Satans und dem allgemeinen Weltgericht auf der neuen Erde in veränderter Form weitergeht, um schließlich, well alle Seine Feinde unterworfen und der Tod in jeder Art und Form abgetan ist, dem Vater übergeben zu werden. „Kein Ende haben“ heißt also: durch keine geschöpfliche Macht beendet werden, schließt aber Veränderungen, Wandlungen Seiner Königsherrschaft und den schließlichen Übergang in die Königsherrschaft des Vaters nicht aus.*37

Jesu Recht auf Davids Thron
*37 Hat denn Jesus von Nazareth auch wirklich ein Anrecht auf Davids Thron? - Hierzu sagt Wilkerson: „Der Messias muss der leibliche Sohn Davids sein, um die Wahlfähigkeit für Davids Thron zu besitzen (Ps 132:11) ... Was das Geschlechtsregister Matthäi betrifft, so enthält es zwei Gründe gegen das Recht Jesu, auf Davids Thron zu sitzen: Er war nicht die Frucht von Davids Leibe durch Joseph, und außerdem konnte Er als Nachkomme Jojachins (oder Jechonjas) Davids Thron nicht einnehmen (Jer 22:30) ... Lukas gibt das Geschlechtsregister der Mutter Jesu. Die jungfräuliche Mutter, Tochter Helis, kam durch Nathan aus Davids Lenden. Doch das Recht auf Davids Thron lag in Salomos und nicht in Nathans Linie ... Wie konnte nun Jesus als Davids Sohn durch Nathan das Recht auf Davids Thron haben? Soviel wir sehen können, einfach und allein durch eine H e i r a t zwischen Joseph und der jungfräulichen Mutter des Messias. Auf diese Weise hatte Jesus ein R e c h t auf den Thron durch Joseph und das Wahlrecht für diesen Thron als Davids Same durch Maria. Durch diese Heirat umgeht Jesus sozusagen die beiden Hindernisse im Geschlechtsregister Matthäi und schreitet über das eine Hindernis im Geschlechtsregister von Lukas hinweg.“ (Nach Wi/95-101).’'

In Lk 1:68-75 bestätigt der Heilige Geist durch Zacharias, den Vater des Täufers und Wegbereiters Johannes, dass der Gott Israels

“besucht und Erlösung geschafft hat Seinem Volke, und uns ein Horn des Heils aufgerichtet hat in dem Hause Davids, Seines Knechtes, gleichwie Er geredet hat durch den Mund Seiner heiligen Propheten, die von alters her waren, Rettung von unseren feinden und von der Hand aller, die uns hassen; um Barmherzigkeit zu vollbringen an unseren Vätern und Seines heiligen Bundes zu gedenken, des Eides, den Er Abraham, unserem Vater, geschworen hat, um uns zu geben, dass wir, gerettet aus der Hand unserer Feinde, ohne Furcht Ihm dienen sollen in Frömmigkeit und Gerechtigkeit vor Ihm alle unsere Tage.“

Darf man diese ausdrücklich als „Weissagung in der Fülle des Heiligen Geistes“ (Lk 1:67) bezeichneten Worte als fleischliche, jüdische Nationalerwartungen abtun, die sich nicht erfüllt hätten und auch nie mehr erfüllen würden? Gewiss haben sich diese Worte beim ersten Kommen Jesu nur z. T. verwirklicht: Erlösung, Heil und Rettung von den Feinden wurden zwar in geistlichem Sinne als Erlösung von Sünde, Tod und Teufel durch Christi Kreuzestod geschaffen; die endgültige Rettung Israel von allen seinen äußeren Feinden steht aber auch heute, nachdem es wieder einen Staat Israel gibt, noch aus. Hat der Geist der Weissagung darum unrecht behalten? Hat Zacharias zu viel erwartet? Das kann nur annehmen, wer die Art unseres Gottes nicht kennt, schon „von Anfang das Ende zu verkündigen, und von alters her, was noch nicht geschehen ist“ (Jes 46:10). Wenn gewisse Gottes Wort und Geist misstrauende Theologen in ihren Büchern und Artikeln mit allen möglichen Fakten und Tatsachen rechnen, nur nicht mit der Realität des Geistes Gottes und Seinem Vermögen, Künftiges über Jahrtausende hinweg im voraus zu schauen, dann hält uns das nicht ab, dem biblischen Selbstzeugnis gemäß dabei zu bleiben, dass nicht ein Jota von Gesetz und Prophetie hinfällt, dass alles erfüllt werden muss, was vom Herrn geschrieben ist auch im Gesetz und in den Propheten und Psalmen, dass das prophetische Wort nicht eine Mythensammlung, sondern ein durch göttliche Vorausdarstellungen und Proben bekräftigtes und befestigtes Wort ist, ja dass die Zeiten der (Wieder-)Herstellung alles dessen, wovon Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat, kommen werden (Mt 5:18; Lk 24:44; 2Petr 1:19; Apg 3:21). So wird auch Israel zu Gottes Zeit und Stunde, nach dem zweiten Kommen des Königs auf diese Erde die Rettung von allen ä u ß e r e n Feinden im messianischen Reich beseligt erfahren, so gewiss es bei Seinem ersten Kommen die Erfüllung aller jener Weissagungen erlebte, die auf das Leiden und die Niedrigkeit des Herrn Bezug hatten. Zacharias hat also nicht z u v i e l erwartet, ohne schon zu erkennen, dass vor der Einlösung der Herrlichkeits-Weissagungen die Einlösung der Niedrigkeits-Weissagungen kommt und kommen muss.

Auch durch Simeon sprach der unfehlbare Heilige Geist der Weissagung (Lk 2:25-27), als er, in der Kraft des Geistes z. Z. der Darstellung des Jesusknäbleins in den Tempel kommend, sagte:

Nun, Herr, entlässest Du Deinen Knecht, nach Deinem Worte, in Frieden; denn meine Augen haben Dein Heil gesehen, welches Du bereitet hast vor dem Angesicht alle Völker: ein Licht zur Offenbarung der Nationen und zur Herrlichkeit Deines Volkes Israel.“

Er bestätigt mit diesen Worten, dass der Messias nicht nur den Herrscherthron über Israel innehat (wenn Er auch zunächst und vor allem Herrscher über Israel ist), sondern alle Völker Heil und Licht sein soll. Auch dieses Wort erfüllt sich beim zweiten Kommen des Königs auf diese Erde im messianischen Reich, während es sich heute nur im Kleinen und Verborgenen und Geistlichem im Raum der Gemeinde Jesu verwirklicht.

Von Herrlichkeit und Herrscherthron spricht schließlich Jesus selbst in Mt 25:31-46 mit den Worten:

Wann aber der Menschensohn kommen wird in Seiner Herrlichkeit und alle Engel mit Ihm, dann wird Er sich auf den Thron Seiner Herrlichkeit setzen; und vor Ihm werden sich alle Völker versammeln, und Er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu Seiner Rechten stellen, die Böcke aber zu Seiner Linken. Dann wird der König zu denen auf Seiner Rechten sagen: Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmt in Besitz das Königtum, das euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt. Denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen, ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken, ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen, ich war nackt und ihr habt mich bekleidet, ich war krank, und ihr habt mich besucht, im Gefängnis war ich, und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden die Gerechten Ihm antworten und sagen: Herr, wann haben wir Dich hungern sehen und gaben Dir zu essen, oder durstig und gaben Dir zu trinken? Wann haben wir Dich fremd gesehen und dich aufgenommen, oder nackt und haben Dich bekleidet? Wann haben wir Dich krank gesehen oder im Gefängnis und sind zu Dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen Amen, ich sage euch, wieviel ihr getan habt an einem dieser meiner geringsten Brüder, soviel habt ihr an mir getan. Dann wird Er auch zu denen auf Seiner Linken sagen: Fort von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel bereitet ist und seinen Engeln. Denn ich war hungrig, und ihr gabt mir nicht zu essen, ich war durstig, und ihr gabt mir nicht zu trinken, ich war fremd, und ihr habt mich nicht aufgenommen, ich war nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet, ich war krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir Dich hungern sehen und dürsten oder fremd oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben Dir nicht gedient? Dann wird Er ihnen antworten und sagen: Amen, ich sage euch, wieviel ihr nicht getan habt an einem dieser Geringsten, soviel habt ihr an mir nicht getan. Und diese werden hingehen in ewige Pein, die Gerechten aber in ewiges Leben.“ (Nach der kath. Übersetzung von Franz Sigge, Fischer-Bücherei)’'

Er bestätigt mit diesen Worten, was schon Joe 3:1-17 (Elbf. Zählung, nach Luther Joe 4:1-17) von der Versammlung der Nationen und dem göttlichen Gericht über sie im Tale Josaphat oder Jehoschafat (zu deutsch: Jehova richtet) geweissagt hatte, dass nämlich nach den Drangsalen der Endzeit, wenn die große Geistausgießung auf dem Berge Zion und in Jerusalem stattfindet, alle Völker nach ihrem Verhalten gegenüber Israel in der letzten antichristlichen Zeit beurteilt werden. Nach ihrem eigenen Tun wird ihnen vergolten werden: der Unbarmherzige wird unbarmherzig gerichtet werden; wer aber Gottes Volk geschont oder gar ihm wohlgetan hat, wird auch selber Schonung und Wohltat empfangen: er darf ins Reich eingehen.*38

Wann findet das Völkergericht von Mt 25:31-46 statt?
*38 Wir möchten eine anderes Sicht von Mt 25:31-46 nicht unerwähnt sein lassen, auch wenn wir darin nur ein Deutungs m ö g l i c h k e i t sehen können. In der Zeitschrift „Das Morgenland“ Nr 6 und 8/1957 machte Friedhelm Schäfer in dem Artikel „Sind von Mt 24 bis Mt 25 tausend Jahre?“ auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die der Auffassung, das Völkergericht von Mt 25:31-46 finde zu Beginn des Tausendjährigen Reiches statt, entgegenstünden, und vertrat dem gegenüber die Meinung, dieses Gericht geschehe erst n a c h den 1000 Jahren u. a.:
„Allgemein meint man, das große Gericht über die lebenden Weltvölker (Mt 25:32) finde zu B e g i n n des Tausendjahrreiches statt. Aber dann nähmen an den Segnungen des ‚Königreiches der Himmel‘ (außer dem innerlich erneuerten Israel) nur die durch ihr barmherziges Handeln an den geringen Brüdern des Messias für gerecht erklärten Völker teil als Gesegnete des Vaters, denen das Reich bereitet ist seit Grundlegung der Welt.
Wie würde sich aber dann erklären, dass diese ‚Gesegneten des Vaters‘, die im göttlichen Urteil Bewährten und darum zur Rechten gestellten Völker zur Zeit der Herrschaft Satans und des Tieres gegen das noch unerneuerte Israel nach dem Fleisch (Jakob) voller Barmherzigkeit und Güte waren, n u n aber unter der Herrschaft Christi im Tausendjahrreich zu glühenden Antisemiten gegen das wiedergeborene Gottesvolk geworden sind? Und dass sie nach der überaus gesegneten tausendjährigen Friedensherrschaft Jesu Christi auf Erden nur auf die Freilassung Satans aus dem Abgrund warten, um sofort in die furchtbarste Rebellion gegen das Regiment des Gesalbten und Seiner Heiligen auszubrechen? (Offb 20:7ff.). Sollte Gott sich am Anfang des Tausendjahrreiches so getäuscht haben, als Er geheimen Antisemiten das Reich bereitete? Das sei ferne!
Wer nicht von neuem geboren ist, kommt nicht in das Reich (Joh 3). Wie sollten ganze Nationen im Geiste unerneuert, also ohne wiedergeboren zu sein, nur weil sie ‚Philosemiten‘ waren, dennoch ins Reich eingehen? Wie so einfach lösen sich diese Schwierigkeiten, wenn wir sehen, dass die Völker erst gerichtet werden, n a c h d e m Israel als geheiligtes Priestervolk im Tausendjahrreich seine Missionsaufgabe an den Völkern gemäß dem Befehl des Herrn in Mt 28 hat auszuführen können und zu Lehrjüngern alle Völker gemacht und sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft hat. Da wurden die Völker gelehrt, alles zu halten, was ihnen der Herr befohlen hatte.
Die Völker des Tausendjahrreiches sind äußerlich unter Zucht, innerlich aber noch unerneuert. Die Segnungen sind ganz anderer Art als Israels Segnungen. Ob die Völker ins Reich kommen, das entscheidet sich am Ende der tausend Jahre, die der erste Tag der Königsherrschaft Christi auf Erden sind. Dann folgt der zweite Tag Seiner Herrschaft auf dieser Erde. (Wie es war in den Tagen Noahs, so wird es sein in den T a g e n des Menschensohnes).
„Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in Seiner Herrlichkeit, werden vor Ihm versammelt werden a l l e Völker“ (Mt 25:31.32). Haben wirklich im jetzigen Zeitalter a l l e Völker der Erde, die bei der Wiederkunft Christi leben werden, solche Gelegenheit sich zu entscheiden durch ihr Verhalten gegenüber Israel und den einzelnen geringen Brüdern des Herrn? Man bedenke diese Entscheidung: Gottesreich oder Feuersee! Sind die Juden, solange sie zerstreut und unter dem Fluche stehen, von den Weltvölkern wirklich als geringe Brüder und Gesandte des himmlischen Königs erkennbar, so dass ihre freundliche oder feindliche Aufnahme innerhalb der Völkerwelt gleichgesetzt werden kann mit der Aufnahme des Gottessohnes? Am ehesten könnte man diese Frage noch für die sogenannten christlichen Völker Europas und Amerikas bejahen, aber gerade hier ist der Antisemitismus durchgebrochen. Welches Erkenntnislicht hat dagegen ein Durchschnittseuropäer, auch wenn er getauft ist, über die Judenfrage bei diesem offenkundigen Mangel an prophetischem Licht in den Massenkirchen? Welches Erkenntnislicht hat dann schon ein Durchschnittschinese heutzutage über die Judenfrage? Welches Verhältnis hat etwa ein Bantuneger zu jüdischen Exporteuren?
Wenn aber ungeachtet all der Widersprüche und Auslegungsschwierigkeiten, die entstehen, am Völkergericht von Mt 25:31-46 beim Kommen des Herrn (zum Tausendjahrreich) festgehalten wird, so erhebt sich die brennende Frage:
Welche Nation hat sich nicht an den Juden versündigt, soweit es für die Völker eine Judenfrage gegeben hat? Denn die Völker der Welt werden je nach ihrem Verhalten zu den Juden gerichtet werden (für lange Ewigkeit). Wo ist dieses Volk, wo sind diese Völker (Mehrzahl) der Endzeit, die den einzelnen Juden oder dem Staate Israel um ihrer Zugehörigkeit zu ihrem Messias, dem Sohne Gottes willen, so viel Gutes und Barmherzigkeit erwiesen haben, dass sie d a r u m als gerechtfertigt vor Gott dastehen und das Zeugnis des Königs von Israel empfangen dürfen: Kommet her, ererbet das Reich!? Hier handelt es sich ja nicht um Wohltaten einzelner Staatsbürger an Angehörigen des jüdischen Volkes, sondern um die nationale Einstellung ganzer Völker zur Judenfrage im positiven Sinn. Im Dritten Reich Hitlers haben viele Deutsche verfolgten Juden Gutes erwiesen, aber für die deutsche Nation als Ganzes bleibt nach dem Mord an sechs Millionen Juden wohl nur noch der Feuersee.
Natürlich werden beim Kommen des Herrn zu Beginn des Tausendjahrreiches über die Nationen auch Gerichte ergehen ... Die Parusie des Herrn bedeutet neben der Läuterung Israels die Durchrichtung des Erdkreises, Gerichte über die Nationen, die ‚in den Hütten Sems‘ gewohnt haben, die nach Röm 10:15) die ‚Frohbotschaft des Friedens und des Guten‘ gepredigt bekommen haben.
Aber die Nationen des ‚Erdkreises‘ fahren zum Gericht in den Scheol (den ersten Tod), nicht in den Feuersee (den zweiten Tod). Es sind solche Nationen, die sich vom Gesetz (das in ihre Herzen geschrieben ist) gelöst haben und Gott ‚vergessen‘ haben, was zum Abfall vor dem Tag des Herrn geführt hat ... Im Gegensatz zum ersten Tod kommen in den zweiten Tod nur solche Wesen, die i m G e i s t wider Gott gesündig thaben, also gefallene Engel, Dämonen oder Menschen, die in klarer Erkenntnis wider ihre geistliche Erleuchtung, also wissentlich, mutwillig und vorsätzlich gesündigt haben; nicht aber solche, die in der Schwachhit der von der Sünde verderbten und von Satan und seinen Geistern verführten adamitischen Natur sündigten.
Wenn die Völker zur Linken also in das Gericht des Feuersees komme, das Satan und seinen Engeln bereitet ist und worin sich bis zu diesem Zeitpunkt nur der Antichrist und der falsche Prophet befinden, so heißt das, dass sie im Geiste gesündigt haben müssen. Damit fallen sie dann unter das Urteil von Hebr 6:4-8.
So wie es bei den Juden unmöglich war, die zur Zeit Jesu und besonders in der Apostelzeit durch den Heiligen Geist erleuchtet waren und die himmlische Gabe (Jesus) und das gute Wort Gottes geschmeckt hatten und die Wundertaten des zukünftigen Zeitalters in nie zuvor gesehener Weise erlebt udn gesehen hatten und trotzdem abfielen, sie wiederum zur Umkehr zu erneuern, so auch gleicherweise bei den Völkern, welche tausend Jahre lang die gleichen Vorzüge genossen haben wie jene, ja noch größere, weil die Versuchung durch den Bösen wegfiel. Sie können keinen Segen von Gott empfangen (nicht die Gesegneten des Vater sein), darum sind dieser Völker dann mit Fug und Recht dem Flucht nah, und ihr Ende ist Verbrennung.
So empfangen die zur Linken stehenden Völker ihr Urteil; ‚gehet hin, ihr Verfluchten ins ewige Feuer.‘
Damit sind die Völker (am Schluss des Tausendjahrreiches) reif zum Gericht, denn sie haben sich in klarer Erkenntnis dafür entschieden, auf die Seite des Hochmutsgeistes und seiner Engel zu treten, sobald diese wieder aus dem Abgrund frei sind. Darum gehen sie nun auch an den gleichen Ort der Verdammnis. Um aber gerichtsreif zu werden für dieses furchtbare Strafmaß, bedurfte es erst des Schmeckens und Sehens der Güte Gottes im Tausendjahrreich.“ (Soweit Friedhelm Schäfer.)
Wir gestehen, dass der Bezug des Nationengerichtes von Mt 25:31-46 auf die Zeit zu Beginn des Tausendjährigen Reiches allerlei Fragen aufwerfen, ja Schwierigkeiten der Auslegung bereiten kann. Aber sind die von Friedhelm Schäfer angedeuteten Schwierigkeiten unlösbar? Muss man deswegen den Text auf die Zeit nach den 1000 Jahren beziehen? Führt das nicht wieder zu neuen Schwierigkeiten? Ohne alle Einzelfragen, die in den zitierten Artikel gestellt sind, beantworten zu wollen, geben wir noch Folgendes zu bedenken:
1. Es darf nicht übersehen werden, dass im Tausendjährigen reich eine ungeheure Mehrung des Lebens stattfindet. Den Völkern, die in sReich eingehen, werden Kinder und Kindeskinder geboren. Muss es ein Widerspruch sein, wenn die Kinder jener Eltern, die als gesegnete Judenfreunde einst ins Reich eingingen - vielleicht erst in der 10. oder 20. Generation - wieder dem Antisemitismus verfallen, zunächst versteckt, dann offen?
2. In Joh 3:3.5 ist nicht speziell vom Tausendjährigen Reich die Rede, wie überhaupt dieses Evangelium mehr geistlich, innerlich, wesensmäßig ausgerichtet ist, als am äußeren Verlauf des Heilsgeschehens interessiert. Jesu Worte an Nikodemus betreffen das Eingehen des einzelnen Menschen in die Gottesherrschaft durch den Glauben, nicht das Eingehen der Völker ins messianische Reich. Wenn man dieser Worte überhaupt aufs Tausendjahrreich beziehen darf, dann nur auf Israel, das z. Z. der Reichsaufrichtung seine völkische Wiedergeburt erfährt.
3. Dem messianischen Reich voraus geht die Zeit der großen Drangsal über Jakob, die antichristliche Zeit. Wie die Offenbarung beschreibt, werden alle Völker gewarnt, nicht das Malzeichen des Tieres anzunehmen, sondern Gott zu fürchten und Ihm die Ehre zu geben (Offb 14:6-11). Die Heiligen, besonders aus Israel, werden hart bedrängt, verfolgt, zerstreut, gefangen gesetzt, getötet. In dieser Zeit haben die dann lebenden Generationen der Völker - und nur über die L e b e n d e n der Nationen ergeht ja das Gericht von Mt 25 - reichlich Gelegenheit (ja sie stehen vor der unausweichlichen Notwendigkeit), sich in ihrem Verhalten gegenüber Israel wie auch zu Gott und zum „Tier“ so oder so zu entscheiden. Hier geht es dann um bewusste Entscheidungen im Geist angesichts voraufgegangener göttlicher Warnungen.
4. Der Ausdruck „alle Nationen“ in Mt 25:32 fordert nicht zwingend, dass bei diesem Gericht die Völker nur geschlossen beurteilt, und nicht etwa auch (wie bei der „Entnazifizierung“ in Deutschland nach der Hitlerzeit, was natürlich ein verzerrtes Bild ist) die einzelnen Bürger geschieden werden und entweder ins Reich des Messias oder ins Gerichtsfeuer eingehen. Man vergleiche den Ausdruck „alle Nationen“ in Mt 28:19 (wo er doch zweifellos Einzelunterweisung nicht ausschließt) oder in Röm 16:26; Röm 15:11; 2Tim 4:17 (wo Paulus den Ausdruck für seine Missionstätigkeit unter den Völkern gebraucht, den er doch nicht summarisch an ganzen Volkskörpern, sondern an einzelnen Gruppen und Personen tat.)
5. Falls das Nationengericht von Mt 25 (dessen Kriterium doch das Verhalten der Nationen gegenüber den hungernden, dürstenden, nackten, gefangenen Brüdern Jesu ist!) tatsächlich erst nach den 1000 Jahren stattfinden und es dabei auf das Verhalten der Völker während der 1000 Jahre ankommen soll, so muss man fragen: Wann udn wo gab es während der 1000 Jahre der Reichsherrlichkeit Israels hungernde, dürstende, verfolgte, bedrängte Israeliten? Hier liegt u. E. der schwächste Punkt jener Deutung. Verfolgte und bedrängte Brüder Jesu gibt es nur v o r den 1000 Jahren, in diesem gegenwärtigen bösen Äon, sonderlich in dessen letzter Zeit der Drangsal.
6. Hingegen glauben wir gern mit dem Verfasser, dass all das, was die Propheten in Bezug auf Israel und die Völker an Heil und Herrlichkeit geweissagt haben, in den 1000 Jahren erst b e g i n n t und darüber hinaus in den Äonen der Auferstehung aller Toten und hernach auf der neuen Erde seine Fortsetzung und Vollendung findet.

m) Reichsaufrichtung nach Drangsal und Gericht

Das Kapitel Mt 24 bestätigt und erläutert die Schau der Propheten vom plötzlichen Hereinbruch des Reiches nach Drangsal und Gericht. Nicht langsam und wachstümlich aus der heutigen verborgenen Königsherrschaft Christi sich entwickelnd, kommt das messianische Reich zustande sondern - wie es schon Dan 2 zu lesen ist - unter plötzlich hereinbrechenden Gerichtsschläge Gottes. An Daniel schließt sich der Herr auch an, wenn Er in Mt 24:15 vom „Gräuel der Verwüstung“ (im Tempel zu Jerusalem durch den Antichristen) spricht. Mt 24:16 zeigt, dass die große Drangsal der Endzeit vor allem J u d ä a treffen wird. Nach dieser Drangsal aber „wird die Sonne verfinstert, und der Mond seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden. Und dann wird das Zeichen des Sohnes des Menschen in dem Himmel erscheinen; und dann werden wehklagen alle Stämme des Landes, und sie werden den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit. Und Er wird Seine Engel aussenden mit starkem Posaunenschall, und sie werden Seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von dem einen Ende der Himmel bis zu ihrem anderen Ende.“ Dass dieses Kommen des Sohnes des Menschen der Beginn des messianischen Reiches ist ergibt sich aus Mt 25:31-46 sowie aus dem Buch der Offenbarung.

n) Ergebnis

Unsere Untersuchung der Evangelien hat bisher gezeigt, dass a l l e wesentlichen P u n k t e der alttestamentlichen Schau des messianischen Reiches im Munde Jesu ihre Bestätigung finden:

Das „Reich der Himmel“ in Seinem Munde ist kein anders Reich als das von den Propheten geschaute und verheißene. Es ist zwar in der Person des Königs schon da, es ist im Anbruch vorhanden und erweist sich in Jesu Wundern an Kranken, Besessenen und toten und im Gehorsam der Tierwelt gegenüber dem Herrn. Dennoch aber e r w a r t e t Jesus das messianische Reich in seiner Vollentfaltung noch für die Zukunft und lehrt die Jünger um das Kommen dieses Reiches beten, in dem endlich auch auf E r d e n Gottes Wille geschehen soll.

Die vom Herrn genannten E i n t r i t t s b e d i n g u n g e n für dieses Reich entsprechen durchaus jenen, die auch die Propheten bezeugten: Demut und Sanftmut, Barmherzigkeit und Echtheit der Frömmigkeit; die Armen und Elenden, Zuschandengewordenen und Bankerotten kommen vor den Reichen und Selbstgerechten hinein.

Im „Reich der Himmel“ geht es zuerst um I s r a e l, das zu Beginn der Reiches seine völkische Wiedergeburt erlebt und in erster Linie Gegenstand des Richtens und Herrschens des Messias und Seiner Mitherrscher ist.

Dass man im Tausendjahrreich s i c h t b a r e Herrlichkeit erlebt, bestätigt der Herr nicht nur in Worten, sondern erweist es in dem großartigen Umgestaltungswunder auf dem Verklärungsberge.

Er wird aber im messianischen Reich nicht nur König über das Haus Jakobs, sondern auch Richter und Heiland der Völker sein, die Er zu Beginn Seiner Herrschaft beurteilt und scheidet.

Wie die Propheten des AT, so schildert auch der Herr das Kommen des Reiches als ein plötzliches Hereinbrechen in Verbindung mit großen Gerichten, und nicht als eine fortschreitende Entwicklung durch Verbesserung oder Christianisierung der gegenwärtigen bösen Welt.

Darüber hinaus bestätigt der Herr, dass überhaupt von allen Worten der Propheten, wie auch des Gesetzes, kein Jota hinfällt. Was sie gesehen, bezeugt, geweissagt, bleibt im Vollumfang bestehen.

Als ein neuer Gedanke trat uns der entgegen, dass es vor der eigentlichen Reichsaufrichtung einen Anbruch im Kleinen, eine probeweise Vorausdarstellung beim ersten Kommen Jesu gab. Davon wussten die Propheten noch nichts, die das erste und zweite Kommen Christi stets zusammen schauten.

Mit diesen und weiteren n e u e n Zügen, die in den Evangelien das alttestamentliche Panorama bereichern und ergänzen (nicht entstellen), haben wir uns nun noch ausführlicher zu beschäftigen.

Lies weiter:
2. Welche Schriftworte zeigen neue Gesichtspunkte in Bezug auf das messianische Reich?