Ablehnung des heuchlerischen Gottesdienstes - Jes 66:1-6

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aus HSA: Verkündiger von Gericht und Heil nach Jesaja (40-66) Bd.2


Ablehnung des heuchlerischen Gottesdienstes - Jes 66:1-6

Deltzsch lehnt zwei Auffassungen der Verse Jes 66:1.2 als unzutreffend ab: a) In Babel zurückgebliebene Juden hätten kurz nach dem Exil, als ihre Brüder sich anschickten, einen neuen Tempel für Jahwe in Jerusalem zu errichten, ebenfalls einen solchen bauen wollen, "wie später die Juden in Ägypten sich einen solchen in Leontopolis bauten". Dies ist aber nicht mehr als eine Vermutung, die im Text keine Stütze findet. - b) Der Herr lasse die aus Babel Zurückgekehrten wissen, dass er an einem Tempelbau überhaupt nicht interessiert sei. Bei einem solchen Verständnis verwickelt man aber den Propheten in einen Widerspruch mit sich selbst - da ja in Jes 56 und Jes 60 ein Tempel mit fortbestehendem Opferdienst vorausgesagt sei - und mit anderen Propheten wie Hesekiel und Sacharja.

Das ist richtig, und man darf aus Jes 66:1.2 ebenso weinig eine radikale Ablehnung eines Tempels durch Jahwe heraushören wie aus Ps 51:18.19 ein radikales Nein des Herrn zum Opferdienst. Vielmehr kehrt das Buch Jesaja am Ende zum Anfang zurück - in Jes 66:1-4 zu Jes 1:10-15. In beiden Texten verwirft Jahwe eine geheuchelte Frömmmigkeit, bei der die imnnere Gesinnung und die entsprechenden Taten böse sind: Man tut Unrecht bis hin zum Mord, man übertritt die Reinheitsgesetze und treibt Götzendienst. Leute mit einer solchen Gesinnung sollen dem Ewigen keinen Tempel bauen; sie sollen nicht meinen, der Schöpfer des Alls bedürfe dessen. Was ihm wichtig ist, sind nicht großartige Bauwerke und Frömmigkeitsübungen, sondern Menschen gedemütigten und zerschlagenen Geistes, Menschen, die da zittern vor seinem Wort (vgl. Jes 57:15.16 - Ps 51:19 - Mt 5:3).

Gibt es nicht auch in unserer Zeit eine Überbewertung großartiger Bauten "zur Ehre Gottes" (während man bei allen möglichen Anlässen die menschlichen Erbauer nicht genug rühmen kann) und "heiliger" Festzeiten, Gewänder, Frömmigkeitsübungen? Was Gott dem gegenüber sucht, ist Glaubensgehorsam, Wortgehorsam. Wo findet man sie heute, die Menschen, die da "zittern" vor seinem Wort (Jes 66:2- Jes 66:5)? Damit ist ja nicht die Angst vor dem Quäler-Gott gemeint, auch nicht eine Buchstabenknechtschaft, wohl aber ein sorgfältiges Lesen und Hören des Gotteswortes, ein Bleiben am Wort und ein ernsthaftes Ausleben des Wortes (Joh 8:31.32 - Joh 14:23). Ein "zitterndes" Ernstnehmen des Wortes verträgt sich weder mit einer "Spaßgesellschaft" im christlichen Raum noch mit einem allzu freien Umgang mit den überlieferten Texten. Hier können auch Übersetzer und Kommentatoren sündigen. - Nicht Spaß im weltlichen Sinn, wohl aber herzliche Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn (1Jo 1:3) und bleibende Freude als Geistesfrucht (Gal 5:22) will der Herr den Seinen schenken.

Den Elenden und Demütigen, die sein Wort ernst nehmen, verheißt Jahwe in unserm Text, dass er auf sie "blickt", sich um sie kümmert und ihnen bei Anfeindungen beisteht (Jes 66:2 - Jes 66:5.6).

Kehren wir nun noch einmal zu Jes 66:1 zurück! Er wird von Stephanus, dem ersten christlichen Märtyrer, in seiner langen Rede in Apg 7:49 zitiert. Stephanus reizt die hohe jüdische Geistlichkeit, zu der er spricht, aufs Äußerste, indem er ihr zu verstehen gibt: Der Tempel in Jerusalem - euer Ein und Alles - ist Gott gar nicht so wichtig, er kan gut darauf verzichten und wohnt nicht darin! Hier, in Apg 7, befinden wir uns in einem anderen Abschnitt der Heilsgeschichte - nicht mehr im mosaischen Gesetzeszeitalter, sondern im beginnenden Gemeindezeitalter, der "Haushaltung der Gnade" (Eph 3:2). In dieser Zeit der Gemeinde sind die in Christus Jesus Erlösten frei von der Bindung an ein bestimmtes religiöses Bauwerk als Stätte der Begegnung mit Gott. Sie selbst, die Gemeinde, ist ja sein Tempel (Eph 2:21.22).

Inzwischen ist der Tempel in Jerusalem nun schon lange zerstört, und kein anderes Bauwerk kann ihn ersetzen. Das schließt nicht aus, dass es in Zukunft wieder einen Tempel in Jerusalem geben wird - für das Israel der Endzeit wie auch für Israel und die Völker im Reich des Messias. Stellen wie Mt 24:15 - 2Thes 2:4 - Jes 56:7 und Hes 40-47 weisen darauf hin.