Göttliche und menschliche Selbstoffenbarung

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Abschrift des Heftes: Von der Offenbarung Gottes im Sohn
Julius Beck (1887-1962) stammt aus Altingen.
Er war Mittelschullehrer in Calw, nach 1945 Rektor.

Aus der Reihe: Vätererbe Bd. VI
Verlag Ernst Franz Metzingen, Württ.

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Inhaltsverzeichnis

Von der Offenbarung Gottes im Sohn

4. Göttliche und menschliche Selbstoffenbarung

Die Selbstoffenbarung Gottes und des Menschen wird auch „Geburt“ genannt. Nur ein zentralisch erleuchtetes Auge vermag in die geheimnisvollen Vorgänge dieses Geburtsprozesses hineinzuschauen. Jedesmal beginnt dieser Prozess auf Anregung der Weisheit, welche die Grundkräfte A und O in Gott durch spiegelhaftes Vorstellen eines Bildes zur Bewegung anreizt. Dasselbe ist beim Menschen der Fall. Das von der göttlichen Weisheit vorgestellte Bild gelangt - zu Beginn und zur Eröffnung des Geburtsprozesses - zunächst in den Verstand Gottes. Hier wird das Bild geprüft, „ob es gut ist“. Wird es als gut befunden, dann wird es von dem göttlichen Gedächtnis festgehalten und sozusagen dem Willen vorgestellt als erstrebenswertes Ziel, welches durch seine Kraft verwirklicht, d. h. ausgeboren werden soll. Fährt nun der Wille aus und will das vom Verstand erkannte und vom Gedächtnis festgehaltene - und auf den Thron der Seele erhöhte - Bild, eben das Gute, so dreht sich das Geburtsrad der göttlichen Seele, und das Gewollte wird geboren.

Die Weisheit, die das göttliche Seelenrad zur Geburt bewegt, stellt Gott, dem Dreieinigen, immer nur sich selbst in allen seinen Kräften vor. Denn nichts, was außer Gott ist, vermag Ihn zur Bewegung bzw. zur Selbstoffenbarung zu veranlassen. Gott sieht immer nur sich selbst in allen seinen Kräften und Geistern im ewigen Gemüt. Weil Er nun sich selbst als gut versteht, so will Er auch sich selbst. Dadurch bringt Er das göttliche Geburtsrad ins Bewegen, und so läuft der göttliche Geburtsprozess an. Weil aber Gott nur sich selbst erkannt und gewollt hat, so kann auch das, was der Vater ausgebiert, nichts anderes sein und heißen als Gottes Sohn, der mit dem Vater gleichen Wesens ist. Darum kann Jesus mit Recht sagen: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“

Der Geburtsprozess in der menschlichen Seele verläuft ähnlich. Auch beim Menschen wirkt die Weisheit erregend zur Offenbarung dessen, was in den Kräften des Menschen verborgen ist. Ebenso werden die oberen Kräfte der Seele stark in den Prozess hereingezogen und erzeugen eine Art Kreisbewegung, durch welche etwas Neues im Menschen geboren wird. Absolut verschieden vom göttlichen ist der menschliche Geburtsvorgang darin, dass der Mensch, als Geschöpf, nie und nimmer sich selbst wollen darf. Würde er dies tun, so würde er sich als Gott gebärden, was für ihn größte Sünde ist. Wir sollen nicht, wie der Teufel dem Menschen einst vorgaukelte, in diesem Sinn „sein wie Gott“; sondern wir sollen sein, wie Gott uns haben will: Wir sollen Geschöpfe sein vor Gott und sein Gebot erfüllen. Dieses göttliche Gebot aber lautet in unserem Fall: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und aus allen deinen Kräften!“ Gott lieben und Gott wollen, nicht aber sich selbst, das ist dem Menschen gesagt.

Gott lieben bedeutet aber nicht nur, ein wenig Liebesgesinnung, Liebeserregung oder Liebesgefühle im Herzen hegen. Vielmehr soll der Verstand Gott für das höchste Gut achten; das Gedächtnis soll mit Gott immer in Gedanken umgehen; der Wille aber soll sein größtes Wohlgefallen an Gott haben. Dies vorausgesetzt, geschieht beim Geburtsprozess das unerhörte Wunder, dass in der Menschenseele - gerade wie in Gott! - auch der Sohn Gottes ausgeboren wird. „Süßer Imanuel, werd’ auch in mir „so“ geboren!“ Auf körperlichem Gebiet erzeugt der Mensch einen Menschen; auf geistlichem Gebiet erzeugt er - mit Hilfe der göttlichen Weisheit - den Sohn Gottes, wie dies bei Gott selbst auch geschieht. Welcher Adel und welche Würde des Menschen! „Herr, was ist der Mensch?“

Wider diesen Adel aber handelt der Mensch, wenn er sich vom Weltgeist innerlich besamen lässt und ihn die irdische Weisheit berät. Lässt er sich mit ihr ein, so werden in seiner Seele keine Gottesbilder, sondern lauter Weltgeistgeburten erzeugt. Sein Seelenrad wird falsch entzündet; es läuft nicht nach dem vollkommenen Gesetz des Geistes des Lebens, sondern nach dem Gesetz der Sünde und des Todes. Geschieht noch Schlimmeres - und lässt sich der Mensch von der teuflischen Weisheit beraten und besamen, so werden lauter teuflische Geburten in ihm erzeugt. Darauf weist Jesus hin mit dem Wort an die Pharisäer: „Aus eurem Herzen kommen arge Gedanken: Mord, Ehebruch, Hurerei...!“ Und dies darum, weil in diesem Fall - nicht Gott, sondern - der Teufel ihr Vater ist. Er zeugt und wirkt und offenbart sich in ihnen - und in uns, wenn wir uns auch diesem Einfluss und dieser Inspiration von unten hingeben! Wo dieser Geburtsprozess auf der tiefsten Stufe in einem Menschen vor sich geht, wird in ihm eine Teufelsgestalt erzeugt und geboren. Dadurch wird man ein Erstling des Teufels. Man bedenke, wie weit der Mensch hier abgekommen ist von seiner göttlichen Bestimmung! Nach dieser soll er Gott in sich gebären; und nun gebiert der Mensch den Teufel in sich aus. Dass dann Mord und Lüge und allerlei höllische Geburten in uns entstehen, lässt sich leicht verstehen. Man beherzige aber das göttliche Gebot: „Lass dich nicht gelüsten - des Bösen!“ Sondern: „Habe deine Lust an dem Herrn; Er wird dir geben, was dein Herz wünschet“, d. h. Er wird in Dir sein eigenes Bild erzeugen und dich zu einem Gotteskind und -Sohn machen.

Damit dies beim sündlichen Menschen geschehen kann, möge er die apostolische Mahnung beherzigen: „Erneuert euch im Geist eures Gemütes und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist.“ Nicht nur äußerlich soll der Mensch sein Betragen ändern; auch nicht bloß im Herzen - oder nur im Gemüt - sich erneuern; sondern im „Geist des Gemüts“, also im Ungrund des menschlichen Wesens. Hier aber grenzt der Mensch an die unsichtbaren Welten. Die Erneuerung besteht darin, dass etwas Neues gewirkt wird. Hat bisher - nach der Sündenordnung - der Geist von unten die menschliche Seele inspiriert und besamt; so soll nun das Neue geschehen, dass der Geist Gottes - in unserem Unterbewusstsein - uns besamt und sein Bild in uns erzeugt und gebiert. Doch kann der menschliche Wille, der immerhin gefallen ist, dies nicht aus eigener Kraft vollbringen. Er ist auf das gnadenvolle Tun Gottes und des Heilandes angewiesen, der ihm „ein neu Herz und einen neuen Geist darein“ gibt - und uns dadurch zu Gottesmenschen macht.

Wer Gott um diese große Gnade bittet, wird erhört werden. Denn „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ - nicht aber zur Erkenntnis der Lüge d. h. des Bösen.

Die Lichtsgeburt des Sohnes aus dem Vater

Jesus Christus ist der „Eingeborene Sohn vom Vater“; Er ist also aus dem Vater geboren. Diese Geburt des Sohnes ist die erste und die höchste Offenbarung der Gottheit im Ungrund. Der Zeugende und Gebärende ist der Vater, der Geborene ist der Sohn. Dieser heißt auch das Herz der Gottheit und die Herrlichkeit des Vaters.

Die Selbstoffenbarung Gottes wird eine Geburt genannt; unsere Gedanken, Worte und Taten können ebenso als „Geburten“ von uns bezeichnet werden. Sowohl die göttliche als die ebenbildliche Menschenseele bildet ein Geburtsrad oder eine Geburtsquelle. Das Geburtsrad Gottes kommt in Bewegung, wenn die himmlische Weisheit dem Vater den Gedanken einer Selbstoffenbarung vorspiegelt. Da Gott alles wie in einem Punkte schaut, sieht Er zum Voraus seinen Sohn als Schöpfer - und als Erlöser und Neuschöpfer. Diese Aussicht reizt die Grundkräfte des göttlichen Seelenrades zur Offenbarung.

Die göttliche Weisheit führt das, was geoffenbart werden soll, zuerst dem Verstand, dem Gedächtnis und dem Willen Gottes vor. Im Verstand erkennt sich Gott selbst; das Gedächtnis hält das von Gott Erkannte auf dem Thron des göttlichen Seelenrades fest und stellt es dem Willen vor. Damit, dass der göttliche Wille das erkannte und auf dem Thron des Seelenrades sitzende Bild will, läuft das Geburtsrad zur Offenbarung an. Der Geburtsprozess selbst durchläuft sieben Stufen bis zur Ausgeburt des Sohnes. Auf der ersten Stufe dehnt sich die Lichteskraft des Vaters aus; auf der zweiten Stufe geschieht eine Ein- und Zusammenziehung des Lichtes, wodurch dieses zum Feuer wird. Nunmehr stehen sich das Licht und das Feuer - bzw. das Licht und die „Finsternis“ - in harmonischem Ringen einander gegenüber. Das ist die dritte Stufe des Geburtsprozesses. Auf der vierten geschieht, wie das bei Gott immer der Fall ist, eine Überwindung der Finsternis durch das Licht. Dadurch bricht aus dem finsteren Feuer das Licht als Herrlichkeit hervor; dies ist die fünfte Stufe des Geborenwerdens. Auf der sechsten Stufe gewinnen alle Kräfte, die in den Prozess hineingezogen wurden - die aber nur göttliche Kräfte sind -, Wesen und Gestalt zur Wahrnehmung. Auf der siebten Stufe geschieht die Ausgeburt des Sohnes in Geistleiblichkeit. Damit ist der Geburtsprozess vollendet; es gibt keine weitere Ausgeburt über diese Stufe hinaus.

Das, was geboren wird, heißt der Sohn; der, der gebiert, heißt der Vater. Es handelt sich aber nicht um zwei verschiedene Gottheiten, sondern um zwei verschiedene Offenbarungsstufen ein- und derselben Gottheit. Hier wird Licht aus Licht geboren; der Sohn ist der Glanz des Feuers, das den Vater darstellt. Nun ist der unsichtbare Vater, der ein Geist ist, im Sohn sichtbar geworden. Der Geborene ist Gott selbst; denn es handelt sich um eine Selbstoffenbarung des Einigen - und des Dreieinigen - Gottes auf der Stufe der Geburt. Eine weitere Offenbarung von Vater und Sohn ist der „Ausgang“ des Geistes aus Beiden. - Mittels der siebenfachen Kraft des Geistes geschieht dann durch den Sohn die Schöpfung. Das ist die dritte Form der göttlichen Offenbarung. Der Mensch steht mit seinem Körper auf der Stufe der Schöpfung; seine Seele ist eine Art „Ausfluss“; und der Geist, soweit darunter das aus Gott geschenkte neue Geistesleben zu verstehen ist, ist eine Geburt aus Gott. Das ist die große Nachricht, welche Jesus dem Nikodemus gibt, indem Er ihm offenbart, wie auch der Mensch, sogar der gefallene Mensch, durch Gnade Gottes wieder eine Gottesgeburt werden und dadurch wieder in das Bild Gottes zurückkehren könne. Diese Tatsache ist nicht hoch genug zu schätzen; denn dadurch erhebt Gott den nach seinem Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen wieder zu sich empor und macht ihn zu einem Gottesmenschen - trotz des Falles! Hier geht der Liebesrat Gottes weit über alles menschliche Denken und Verstehen hinaus.

Die Geburten in der Menschenseele

Wie geschieht eine Lichtsgeburt im Menschen? Vor dem Fall wohnte im Menschen die göttliche Weisheit. Sie war die Gehilfin des Menschen zu seiner Offenbarung; diese kann ebenfalls eine „Geburt“ geheißen werden. Die himmlische Weisheit stellte der Seele des Menschen Gott als das allerhöchste Gut vor, das der Mensch lieben und begehren sollte von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und aus allen seinen Kräften. Und weil das Gesetz des Geistes noch im Menschen herrschte, vermochte er auch - ohne weitere Hilfe - das zu tun, was die himmlische Weisheit ihm vorspiegelte. Die Weisheit stellte seinem Verstand den Gehorsam gegen Gott vor und der Verstand erkannte diesen Weg als gut und recht; das Gedächtnis hielt diesen als gut erkannten Weg fest und setzte das Bild des gehorchenden Menschen auf den Thron der menschlichen Seele. Nun musste der menschliche Wille dazu Stellung nehmen. Weil er von keiner anderen Macht beeinflusst war als von der Weisheit Gottes, wählte er den Weg des Gehorsams. Damit tat er den Willen Gottes, wie Jesus während seines ganzen Lebens, und war ein „lieber Sohn“ Gottes. Der von dem Gedanken des Gehorsams erfüllte Wille des Menschen erfuhr bei der Durchführung die Unterstützung der göttlichen Weisheit.

Das Seelenrad drehte sich, weil der Wille es in Bewegung setzte, und durchlief die sieben Geburtsstufen - ähnlich wie das göttliche Seelenrad, dem es - auf geschöpflicher Stufe - glich. Der göttliche Wille siegte stets im Menschen, solange bis der Mensch, von einer anderen Weisheit und Macht beeinflusst, nicht mehr den Willen Gottes, sondern den eigenen - und damit den Willen der Finsternis tat. Dadurch geschah eine Finsternisgeburt im Menschen. -

Bei der Versuchung spiegelte die teuflische Weisheit dem unerfahrenen Menschen vor, dass es Gottähnlichkeit bedeute, wenn der Mensch den eigenen Willen tue. Wohl mag der Mensch so und so lange dieser Versuchung widerstanden haben; schließlich unterlag er. Nun wurde dem Verstand des Menschen der Ungehorsam gegen Gott als das höchste Ziel vorgestellt. Dieser bejahte ihn, und das Gedächtnis hielt den Gedanken, den eigenen Willen zu tun, fest - und setzte ihn auf den Thron des Seelenrades. Der inzwischen von der Finsternis inspirierte Wille aber wählte den Ungehorsam. Damit fing das Seelenrad an zu laufen; am Ende der sieben Geburtsstufen war das Tun des eigenen bzw. des finsteren Willens zur Tatsache in der Seele des Menschen geworden. Indem der Versucher dem Menschen dazu die Gelegenheit gab - im Essen von dem verbotenen Baum, geschah die Sünde. Damit war die furchtbarste Katastrophe in das Leben der Menschen eingebrochen. Die Strafe ließ nicht lange auf sich warten. Tut der gefallene Mensch bewusst und dauernd den Willen der Finsternis, so kann es dahin kommen, dass schließlich der Satan persönlich im Menschen geboren wird. Der Mensch ist sodann ein Erstling Satans - und der Satan ist sein Vater geworden. -

Tut dagegen der gefallene Mensch in Buße und Sinnesänderung wieder den Willen Gottes, so macht er zunächst die Erfahrungen des Paulus in Röm 7; er findet das Sündengesetz in seinen Gliedern vor - und ist ihm in eigener Kraft nicht gewachsen. Erstarkt aber unter dem Beistand des Geistes Gottes der innere Mensch, so kommt es schließlich dahin, dass er - wieder mit Paulus — sprechen kann: „Ich vermag es durch Den, der mich mächtig macht, Christus.“ Denn Christus ist uns - nach dem Fall - wieder gemacht zur Weisheit; als solche ist Er uns behilflich beim Tun des Willens Gottes. Geschieht durch uns der göttliche Wille dauernd, wenn vielleicht auch schwach, dann kann es dahin kommen, dass schließlich Christus eine Gestalt in uns gewinnt. So ereignet sich also auch im gefallenen Menschen wieder eine Lichtsgeburt, und auf diesem Wege wird der Fall allmählich wieder behoben.

Wie Gott, der Vater Jesu Christi, beide Tinkturen oder Grundkräfte in sich hat, um zu gebären, so ist auch der in uns durch die Wiedergeburt erzeugte neue Mensch mit beiden Tinkturen begabt. In diesem neuen Menschen aber geschieht die Lichtsgeburt; in ihm wohnt später auch die Heilige Dreieinigkeit. In dieser Seelengestalt ist der Mensch wieder ein wahres Ebenbild Gottes.

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5. Von der göttlichen Weisheit