Die Freiheit des neuen Menschen

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nach dem gleichnamigen Buch von Andrew Jukes

"Der neue Mensch und das ewige Leben"

Gedanken über das zwölffache "Wahrlich, wahrlich!" des Sohnes Gottes im Evangelium Johannes


Inhaltsverzeichnis des Buches

  1. Der "Amen" und "der Jünger der da zeugt" - Einleitung
  2. Die Heimat des neuen Menschen - Das erste "Wahrlich, wahrlich"
  3. Die Geburt des neuen Menschen - Das zweite "Wahrlich, wahrlich"
  4. Das Gesetz des neuen Menschen - Das dritte "Wahrlich, wahrlich"
  5. Die Speise des neuen Menschen - Das vierte "Wahrlich, wahrlich"
  6. Die Freiheit des neuen Menschen - Das fünfte "Wahrlich, wahrlich"
  7. Die göttliche Natur des neuen Menschen - Das sechste "Wahrlich, wahrlich"
  8. Der Dienst des neuen Menschen - Das siebte "Wahrlich, wahrlich"
  9. Das Opfer des neuen Menschen - Das achte "Wahrlich, wahrlich"
  10. Die Erniedrigung des neuen Menschen - Das neunte "Wahrlich, wahrlich"
  11. Die Herrlichkeit und Macht des neuen Menschen - Das zehnte "Wahrlich, wahrlich"
  12. Der Schmerz und die Freude des neuen Menschen - Das elfte "Wahrlich, wahrlich"
  13. Die Vollendung des neuen Menschen - Das zwölfte "Wahrlich, wahrlich"
  14. Schlussgedanken zum Buch - Der neue Mensch und das ewige Leben


Das fünfte "Wahrlich, wahrlich"

6. Die Freiheit des neuen Menschen

Joh 8:31 Jesus sprach nun zu den Juden, die ihm geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaft meine Jünger;
Joh 8:32 und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Joh 8:33 Sie antworteten ihm: Wir sind Abrahams Nachkommenschaft und sind nie jemandes Sklaven gewesen. Wie sagst du: Ihr sollt frei werden?
Joh 8:34 Jesus antwortete ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Sklave.
Joh 8:35 Der Sklave aber bleibt nicht für immer im Haus; der Sohn bleibt für immer.
Joh 8:36 Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein.

I. Im Licht Gottes

Unser Gott lenkt zunächst unsere Aufmerksamkeit, welche der Aufnahme des göttlichen Lebens folgt. Das Leben ist wohl ein Segen, allein ohne Freiheit ist dasselbe kaum ein Leben zu nennen. Deshalb haben die Menschen in jedem Zeitalter ihr Leben willig geopfert, um Freiheit zu erlangen. Unser Herr sagt uns hier, was wahre Freiheit ist. Und wir bedürfen Seiner Worte, denn ausgenommen die Freiheit, von welcher Er hier redet, kann jede andere Befreiung, sowohl die des Leibes, als auch die des Geistes, zu einer nur noch schlimmeren Knechtschaft führen. Indessen ist das eingewurzelte Schmachten nach Freiheit, das sich bei allen Geschöpfen findet, ein wahres Zeugnis von dem Ziel des Menschen, und dass er in der Tat dazu geschaffen ist, um frei zu sein. Hier in diesem fünften "Wahrlich, Wahrlich" zeigt uns unser Herr, worin die Freiheit des neuen Menschen besteht, dass sie die Frucht des Lichtes ist, und nur im Geist der Kindschaft durch denjenigen, welcher der Sohn ist, vollendet wird.

Es ist lehrreich zu erkennen welche Stelle diese Wahrheit in der ganzen Reihenfolge einnimmt. Das Evangelium des Johannes redet von zwei großen Segnungen, Leben und Licht, welche dem Menschen durch das ewige Wort zuströmen. Die ersten sieben Kapitel handeln von dem Leben, und die ersten vier wiederholten Amen sind alle mit Einzelheiten beschäftigt, die sich auf das ewige Leben beziehen; zuerst kommt seinen wahre Heimat, dann das Geheimnis der Belebung desselben, dann sein charakteristischer Werg und dann seine Speise. Im achten Kapitel fährt unser Herr fort, von dem Licht zu reden, indem Er sagt: "Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht im Finstern wandeln, sonder wird das Licht des Lebens haben" (Joh 8:12). Sodann redet Er in unmittelbarer Verbindung mit diesem Licht des Lebens von der Freiheit, welche dieses Licht gibt, und danach von dem Dienst, den wir als befreite Menschen Gott und dem Nächsten leisten können. Das ist noch mehr als Leben, denn das Licht zeigt nicht allein die Dinge, wie sie sind, und wirkt zahllose Wunder, beides im Himmel und auf Erden, indem es alles verändert, womit es in Berührung kommt, sondern es befreit uns auch von den Fesseln, welche die Finsternis stets anlegt. Deshalb ist es wahr, was der weise Salomo sagt: (Pred 11:7) "Es ist das Licht süß und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen"; denn "wenn die Sonne aufgeht, heben sich die wilden Tiere davon und legen sich in ihre Löcher, so geht dann der Mensch aus an seine Arbeit und an sein Ackerwerk" (Ps 104:22-23). Das Licht befreit ihn um ihn zur Arbeit zu befähigen. Dieses ist die Lehre, die wir hier vor uns haben: "Wahrlich, Wahrlich, ich sage euch: wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht, der Knecht aber bleibt nicht ewiglich im Hause, der Sohn bleibt ewiglich. So euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei" (Joh 8:34-46).

a) Die Wahrheit befreit

Diese Wahrheit wird durch eine Erklärung eingeleitet betreffs gewisser Stufen himmlischen Lebens, vom Glauben zur Erkenntnis, und von da zur wahren Freiheit. Hierbei erheben nun etliche sofort den Einwand, dass solche Lehre ihrer Herkunft als Abrahams Söhne Abbruch tue, welche, wie sie vermuten, notwendigerweise den vollen Segen in sich schließt. Und nun folgt unseres Herrn Antwort auf diesen Einwand, welche zeigt, worin die Freiheit des neuen Menschen besteht, und was es eigentlich betetet "in Wahrheit frei" zu sein.

Man bemerke zuerst die Lehre unseres Herrn betreffs der Stufen des himmlischen Lebens: "Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an Ihn glauben: So ihr bleiben werdet in meiner Rede, so seid ihr mein rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit macht euch frei machen" (Joh 8:31.32). Hier haben wir verschiedene Stufen: zuerst "Glaube" - sodann durch "Bleiben in Seinem Wort" so "wird man ein rechter Jünger", danach kommt "Erkenntnis der Wahrheit" und hierdurch "Freiheit". Denn es geht bei dem himmlischen und geistlichen, wie bei dem natürlichen Leben zu. Wenn dieses zuerst erweckt wird, so geschieht es in der Verborgenheit, und selbst wenn es ans Licht kommt, so bedarf es noch Tage oder Monate lang der Windeln, welche es einschränken und doch zugleich stärken; danach muss es während mehreren Jahre die Zucht der Jugend und Kindheit erfahren, während welcher es noch dem Willen des Vaters durch Gesetze gebunden ist. Danach wird es in dem Maß, als es im Wort beharrt, ein "Jünger", und auf diese Weise wird es Schritt für Schritt, indem es die Wahrheit erkennt, freigemacht, und zwar gerade in dem Grad, als es dasselbe erkennt. Aber es hat nicht gleich zu Anfang die Erkenntnis, noch ist es von Anfang an frei. Nur in dem Maß, als wir im Wort bleiben, kommen wir ins Licht und dann in die wahre Freiheit.

Der Weg fängt mit dem "Glauben" an, das heißt damit, dass wir das Wort aufnehmen, welches von Gott kommt. Der Glaube an den Sohn Gottes gibt das Leben. Dieser Glaube besteht nicht darin, dass wir diese oder jene Wahrheit in Bezug auf den Herrn glauben, sondern vielmehr darin, dass wir Ihm glauben und gehorchen, wenn Er uns ruft. Deshalb spricht das Evangelium mehr davon "wem" als "was" wir glauben sollen. Die Verheißung betrifft denjenigen, welcher "dem Sohn glaubt". "Wer dem Sohn glaubt, der hat das ewige Leben". (Joh 3:36). "Wer an Mich glaubt, der wird nimmermehr sterben" (Joh 11:26). "Wer an Mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue" (Joh 14:12). "Wer an Mich glaubt, von dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wasser fließen" (Joh 7:38). Denn Er ruft und redet noch immer zu den Menschen, zu einigen durch eine innere Stimme, zu anderen durch ein äußeres Ereignis oder durch einen Propheten oder durch ein Wort der Helligen Schrift; durch eine dieser Stimmen oder durch alle zugleich zwingt Er uns zu erkennen, dass "der Meister gekommen ist und uns ruft". (Joh 11:28). Diese Stimme haben alle vernommen. Auch kommt es nicht darauf an, wie scheinbar unbedeutend und rein persönlich die Sache sein mag, betreffs welcher Er zu uns redet. Wenn wir nur in der geringsten Angelegenheit Seinem Worte vertrauen, so kommt Segen und Leben mit dem Wort. Denn indem wir Ihm vertrauen, wird der Bruch geheilt, der uns von Gott scheidet.

b) Verharren im Wort

"Verharren" wir sodann "in dem Wort", so wird mehr Licht zu uns dringen,wir werden "rechte Jünger werden". Dieser Name bezeichnet einen gewissen Fortschritt. In der Apostelgeschichte haben die Christen vielerlei Namen: "Gläubige" (Apg 2:44 - Apg 4:32 - Apg 5:14 - 1Tim 4:12; vergl. 1Kor 6:6 - 1Kor 14:23 - 2Kor 6:14); "Brüder" (Apg 15:1.3.22.23.33 und Mt 23:8); "Jünger" (Apg 9:1 - Apg 11:26 - Apg 19:1.3 - Apg 20:7), "Heilige" (Apg 9:13.32.41 - Kol 1:2) und jeder dieser Namen bezeichnet eine Stufe oder eine Anschauung ein und desselben Lebens. Zuerst sind wir "Gläubige", solche, die nicht länger unabhängig von Gott sind. Dieses macht uns zu "Brüdern" in unserem wahren Verhältnis zu unseren Mitmenschen. Dann sind wir "Jünger" oder "Schüler" in Gottes Schule. Und endlich sind wir "Heilige" oder heilig, d.h. zum Dienst Gottes ausgesondert. Indem Er hier zu Gläubigen redet, sagt unser Herr: "So ihr bleiben werdet in meinem Wort, so seid ihr meine rechten Jünger", denn das Leben mag wohl durch ein Wort geweckt werden, aber man lernt nur, wenn man auf die Heiligung erwartet. Deshalb haben die Helligen zu allen Zeiten gesagt: "Ich harre auf den Herrn, meine Seele harre und hoffe auf Sein Wort" (Ps 130:5). "Wie habe ich Dein Gesetz zu lieb, täglich rede ich davon; Du machst mich mit Deinem Gebot weiser als mein Feinde sind, denn es ist ewiglich mein Schatz. Ich bin gelehrter denn alle meine Lehrer, denn Deine Zeugnisse sind meine Rede. Ich bin klüger denn die Alten, denn ich halte Deine Befehle" (Ps 119:97-100).

Ebenso sagt auch Paulus, wenn er seinem geliebten Timotheus schreibt: "Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und dir anvertraut ist, denn du weißt, von wem du das gelernt hast! Und weil du von Kind an die Heilige Schrift kennst, kann dich dieselbe unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben, der da ist in Christo Jesu" (2Tim 3:14.15). So lernen wir täglich, wenn wir im Wort bleiben. Allein wie viele verlieren die göttliche Kunst des Lernens durch die Eile, mit der sie andere lehren, ehe sie selbst recht erkannt haben! Wei kann man da "die Wahrheit erkennen", die nur dann gelernt wird, wenn wir im Wort bleiben und uns demselben hingeben, auf dass es uns mehr und mehr in Besitz nehme.

c) Bewähren im Glauben

Die Sache ist die, dass die Wahrheit gerade wie ein Baum in uns wächst. der Same ist das Wort (Lk 8:11) und dieses bringt in unseren Herzen zuerst Glauben, dann Erkenntnis, dann Freiheit hervor. Anfangs, so lang wir noch durch die Sinne gebunden sind, können wir nur die symbolische Form der Wahrheit empfangen, weil wir noch unfähig sind, die wahre Bedeutung derselben zu verstehen. Dennoch kommt auch in dieser Beziehung "der Glaube durch das Hören" (Röm 10:17). Und wie schwach auch dieser Glaube erscheint, so enthält derselbe doch gleich einer Wurzel, die ohne Schönheit ist, alles, was zur rechten Zeit daraus entstehen wird. Denn dieser Glaube ist die Quelle des Lebens, und es ist das Leben, welches alles erleuchtet. Nur in dem Maß, als wir ein Leben, welcher Art es auch sei, leben, werden wir dasselbe wirklich und wahrhaftig verstehen. In dem Maß, deshalb als wir dieses Leben leben, indem wir Sein Wort halten, wird der Glaube eine Erfahrung bei uns. Wir bewähren uns durch die Erfahrung, indem wir geglaubt haben, und indem wir uns also bewähren glauben wir hinfort nicht allein, sondern wir bekommen auch eine gewisse Erkenntnis.

Was wir auch immer von Christi Leben oder Tod oder Auferstehung gehört haben, wird durch den Gehorsam, welcher Lebensgemeinschaft mit Ihm ist, Teil unserer Erfahrung. Dennoch liegt der Same oder die Wurzel dieser Erkenntnis oder Erleuchtung schon in dem empfangenen Wort, welches genau nach dem Maß, in welchem wir darin bleiben und leben, in uns wächst und sich entwickelt. Der Glaube ergreift in der Tat die verheißene Zukunft als ein gegenwärtiges Besitztum (Hebr 11:1) allein wir erkennen dasselbe nur soweit, wie wir danach leben. Nur auf diese Weise reichen wir in unserem Glauben die Erkenntnis, in der Erkenntnis die Liebe dar" (2Petr 1:5). Somit ist also dieser Erkennis nicht das Resultat einer intellektuellen Kraft oder eines eigenwilligen Erforschens der göttlichen Dinge, welches, weit davon entfernt, uns zum Besitz der Wahrheit zu verhelfen, uns denselben beinnahe zur Unmöglichkeit machen kann. Die Wahrheit kehrt nur bei den Demütigen und Wahrhaftigen ein (Ps 25:9). Die Erfahrung lehrt uns, dass der wirklich erleuchtete Mensch nicht derjenige ist, der Gottes Geheimnisse zu wissen begehrt, sondern vielmehr der, welcher danach trachtet, mit Gott zu leben und zu wandeln und Seinen Willen in dem Maße zu tun, als ihm derselbe offenbar geworden ist. Wollen wir Seinen Willen tun, so werden wir auch Seine Lehre erkennen (Joh 7:17). Deshalb sagt auch Paulus: "Wer sich unter euch dünkt weise zu sein, der werde ein Narr in dieser Welt, dass er möge weise sein" (1Kor 3:18). Ohne Gehorsam "lernen die Seelen immerdar und kommen nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit" (2Tim 3:7). Die Heilige Schrift, welche für den Unglauben immer unfruchtbar ist, blüht und grünt für den, der Gott fürchtet"

d) Die Wahrheit erkennen

Dann gelangen wir dahin; "die Wahrheit zu erkennen", welches mehr ist, als von der Wahrheit zu wissen, denn es gibt verschiedene Wege, um zur Erkenntnis von etwas zu gelangen. Wir können eine Sache durch das Zeugnis von anderen kennen, oder indem wir sie selbst sehen, oder indem wir sie durch Nachdenken herausfinden, oder auch durch Intuition, welches alles verschiedene Arten und Weisen sind, wodurch wir Erkenntnis erlangen. Allein vollkommen wissen wir nichts, bis wir es besitzen. Um Schmerzen völlig zu kennen, müssen wir Schmerzen haben. Um Freude völlig zu verstehen, müssen wir Freude haben. So kennen wir auch die Wahrheit nicht völlig, bis wir dieselbe in unserem Leben selbst besitzen, bis durch diese göttliche Vereinigung das Verstehen des Lebens und das verstandene Licht in eins zusammenschmelzen. Dann erkennen wir in der Tat, denn dann besitzen wir Ihn, welcher Gottes Wahrheit und Weisheit ist: Er in uns und wir in Ihm. Doch auch in dieser Art des Erkennens gibt es Stufen.

Zuerst werden wir wie die Braut im Hohenlied sagen:"Mein freund ist mein", indem unser erster Gedanke der ist, dass die Wahrheit unser ist und dass wir sie haben anstatt dass dieselbe jetzt uns ergriffen und in Besitz genommen hat. Allein dieVollendung dieses Besitzes ist nicht erreicht, bis wir wie dieselbe Braut auf einer späteren Stufe sagen: "Ich bin meines Freundes", und zwar geschieht dies in der größeren Freude, dass weder wir, noch irgendetwas, das wir besitzen, unser Eigentum ist, sondern dass allen gänzlich Sein ist1. Denn in der Tat, sogar was die Wahrheit be trifft, wird der Segen niemals völlig ergriffen, so lange es unsere Hoffnung ist, etwas Eigenes zu besitzen, denn bei allen diesen Wünschen etwas für uns zu haben, bleibt auch ein Überrest von Knechtschaft. Erst dann, wenn wir uns bewusst werden, dass wir sogar bezüglich der Wahrheit nichts Eigenes haben und dass alles,was wir haben und sind, des Herrn ist, wird die ganze Fülle des Segens Besitz von der Seele nehmen.

1 Die drei auflagen der Braut im Hohenlied sind diese (nicht bei Luther). Erstens: "Mein Freund ist mein, und ich bin Sein" (Hl 2:16), dann: "Ich bin meines Freundes, und mein Freund ist mein", (Hl 6:3) und endlich: "Ich bin meines Freundes, und Sein Verlangen steht nach mir" (Hl 7:10). Zuerst ist der vorwiegende Gedanke der: "Christus ist mein". Dass ich Sein bin, ist bis dahin noch an zweiter Stelle. Denn auf dieser Stufe denken wir hauptsächlich an Christus als den unsrigen, und daher scheint Er gewissermaßen zu unserem Vergnügen da zu sein. Danach gelangen wir zu dem weiteren Ausspruch: "Ich bin Sein, und Er ist mein". Dass Christus uns besitzt und ein Recht auf uns hat, nimmt jetzt den ersten Platz in unseren Gedanken ein, und dass wir Ihn besitzen, wie segensvoll dies auch sei, wird jetzt etwas Untergeordnetes. Endlich gelangen wir dahin, zu sagen: "Ich bin Sein und Sein Verlangen steht nach mir", wobei das Wort "mein" ganz und gar ausgelassen ist, weil wir in der göttlichen Gewissheit stehen, Ihm tatsächlich anzugehören, alles andere einschließt.

II. Abrahams Same

Dem allen gegenüber wird sofort der Einwand von Seiten etlicher gemacht, zu denen Christus diese Worte redet: "Sie antworteten Ihm: Wir sind Abrahams Same und sind nie jemandes Knechte gewesen, wie sprichst Du dann, ihr sollt freiwerden?" (Joh 8:33). Ihr eigenes Ich wird durch die Behauptung beleidigt, dass sie noch nicht frei seien. Daher stellen sie eine andere Wahrheit bezüglich ihrer Berufung ihrem eigentlichen Zustand entgegen. Sie behaupten, dass sie als Same Abrahams frei sein müssen, und bestreiten es, dass man durch ein gehorsames Jüngerleben einigermaßen, wenn überhaupt irgendwie in der Freiheit wachsen könne. Anstatt zu "lernen", "antworten" sie deshalb, und zwar ist ihre Antwort halb wahr, halb falsch: Zuerst sagen sie: "Wir sind Abrahams Same", welches wahr ist, danach: "Wir sind niemals jemandes Knechte gewesen", welches falsch war. Es waren wirklich Abrahams Same, unser Herr gibt das zu (Joh 8:37); sie waren noch immer die Bevorzugten des Herrn, durch Seine Gnade waren sie zu Seinen Söhnen und Erstgeborenen erwählt (2Mo 4:22 und 5Mo 14:1) allein, der Knechtschaft unter der Sünde und unter dem Buchstaben des Gesetzes zu schweigen, waren sie und ihr Väter immer wieder als Gefangene weggeführt worden, und selbst zur Zeit als sie dieses sagten, befanden sie sich unter dem eisernen römischen Joch. Dennoch sprachen sie sie: "Wir sind niemals jemandes Knechte gewesen".

Wie töricht auch ihre Antwort ist, so ist sie doch nur zu oft die Erwiderung, welche manche den Ermahnungen, nach mehr Freiheit zu streben, entgegenstellen. Nicht allein Jungbelehrte, sondern sogar alte Christen behaupten, dass sie frei seien, weil sie eben Gläubige sind. Deswegen "antworteten" sie Ihm: Ach, könnten wir anstatt zu "antworten" stille sein und Seine Worte aufbewahren und bitten, dass wir Ihn völliger verstehen lernen mögen! Denkt nur an die elenden, selbstgerechten Antworten, die wir alle zu geben bereit sind, wenn Christus von einer verständigen Jüngerschaft und von einem Fortschreiten von Glauben zu Erkenntnis und von der Erkenntnis zur wahren Freiheit zu uns redet. Es sind nur wenige Jahre her, da wurden diese Worte: "Wir sind niemals Jemandes Knechte gewesen" bei einer Versammlung von bekennenden Christen, wenigstens vom Sinn des Predigers nach dergestalt ausgelegt, dass sie den Zustand derer, die er anredete, bezeichnen sollten. Täglich findet man Gläubige, die noch durch Meinungen, Gewohnheiten oder Formen gebunden sind, welche, wie nützlich sie auch an der rechten Stelle sein mögen, dennoch weit von der Freiheit entfernt sind, womit uns Gott befreit hat; und doch sind solche Gläubige allezeit bereit, zu behaupten, dass sie nicht in Knechtschaft sein können, weil diejenigen, welche an Christus glauben, notwendigerweise frei sein müssen. Das ist aber nicht die Sprache der Heiligen Gottes. Die Schrift ist voll von dem Angstgeschrei solcher, obgleich sie mit Gott wandelten, dennoch frei bekannten, dass sie sich ungeachtet ihrer himmlischen Berufung befinden, und doch zweifelten sie keineswegs an der Absicht Gottes mit ihnen, noch daran, dass sie erwählt und geliebt seien, obschon sie in ihrer Erfahrung das, wozu sie in Christo ergriffen worden waren, noch nicht ganz verwirklichen konnten. Es wird denen, welche sich selbst nicht kennen, überlassen zu rühmen, dass sie frei sind.

III. Der Sünde Knecht

Allein, dieses Prahlen in Bezug auf ihre Freiheit aufgrund ihrer Erwählung entlockt dem lebendigen Wort nur noch weitere Wahrheiten über die Freiheit, womit Er uns freimacht. "Jesus antwortet ihnen: 'Wahrlich,Wahrlich, wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht aber bleibt nicht ewiglich im Hause, der Sohn bleibt ewiglich. So euch nun der Sohne freimacht, so seid ihr wirklich frei" (Joh 8:34-36). Hier erklärt unser Herr zuerst, was eigentlich Knechtschaft ist; danach,dass der Geist der Knechtschaft ausgetrieben werden muss, und endlich sagt Er, wer es ist, der die wahre Freiheit gibt, und worin sie besteht.

Erstens sagt Er, was nicht Freiheit, sondern Knechtschaft ist: "Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht". Privilegien sind noch kein Beweis, das wir frei sind. Mögen unsere Gaben und unsere Berufung sein, was sie wollen, so macht uns die Sünde zu Knechten von dem, was wir zu genießen scheinen, was uns aber in Wirklichkeit gefangen hält. Gerade unsere Gaben können dazu dienen, uns blind in Bezug auf unseren Zustand zu machen, denn auch in diesem Sinn machen "die Geschenke die Weisen blind". (5Mo 16:19). Es denke daher keiner, dass Gaben auch Freiheit in sich einschließen! "Wisset ihr nicht", sagt Paulus, "welchem ihr euch begebt zu Knechten in Gehorsam, dessen Knechte seid ihr, wem ihr gehorsam seid, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? (Röm 6:16). Und obgleich falsche Lehrer "die, welche recht entronnen waren, zur fleischlichen Lust reizen" mögen, so dass sie nun "im Irrtum wandeln" und ihnen Freiheit verheißen, obgleich sie selbst Knechte des Verderbens sind" - so sind doch solches eitle Reden, "denn von welchem jemand überwunden ist, dessen Knecht ist er geworden" (2Petr 2:18.19). Sünde und Freiheit können nicht nebeneinander bestehen."Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht".

a) Was ist Sünde?

Was ist eigentlich Sünde? Die Schrift gibt zwei Antworten darauf. "Was nicht aus Glauben geschieht, das ist Sünde". (Röm 14:23) und "Sünde ist Gesetzlosigkeit", das heißt Eigenwille (1Jo 3:4). Auf der einen Seite ist es Sünde, wenn wir unserem eigenen Willen folgen, anstatt unserer Erkenntnis gemäß zu handeln; auf der anderen Seite ist es auch Sünde, wenn wir in diesem Eigenwillen über unsere Erkenntnis hinausgehen. In beiden Fällen, sowohl wenn wir nicht unserer Erkenntnis gemäß handeln, als auch wenn wir über das uns gegebene Licht hinausgehen, wirken wir unabhängig von Gott, und diese Unabhängigkeit ist eine Trennung von Ihm. Der Sündenfall besteht einfach darin, dass eine Kreatur, das heißt irgend etwas, was nicht Gott ist, die Stelle Gottes bei dem Menschen einnimmt, und der Mensch, indem er dem Geschöpf mehr als Gott traut, wandelt lieber ist ihrem Licht oder besser gesagt, in ihrer Finsternis, als in der Gemeinschaft Gottes. Die Gerechtigkeit wird wieder hergestellt, wenn der Mensch erneut dazu gebracht wird, mit Gott zu wandeln, und Ihm Seinen rechten Platz zu geben, indem er in allen Dingen Seinem Willen gemäß handelt oder denselben in allem über sich walten lässt. Deshalb ist alles, was nicht aus Glauben geschieht, Sünde.

Und jede derartige Sünde ist Knechtschaft. Eigenwille ist Knechtschaft. Denn bei einer Menschenseele, die für Gott erschaffen ist und nicht für sich allein bestehen kann, ist Eigenwille oder Unabhängigkeit von Gott gleichbedeutend mit Abhängigkeit von einer Kreatur, und wir können nicht von einem Geschöpf abhängig sein, welches es auch sei, ohne demselben mehr oder weniger untertan zu werden. Was ist nicht alles um des Geldes willen oder um Kreaturliebe willen geopfert worden! Wer aber hat wohl je ein Geschöpf mehr geliebt als der Schöpfer, ohne zuletzt zum Bewusstsein seiner Knechtschaft zu erwachen! Ich sage nichts von der schlimmsten Gefangenschaft, welche durch unseren Eigenwillen hervorgebracht wird, wenn wir unseren eigenen Gedanken oder Leidenschaften oder Neigungen nachgeben. Sogar die Kraftanstrengungen des Glaubens können, wie wir dies bei Abraham in Bezug auf Hagar sehen, so lange derselbe nicht gezüchtigt ist, nur einen vermehrte Knechtschaft herbeiführen. Wer von uns weiß nicht etwas von der Knechtschaft, in welche die Menschen in Bezug auf Tage und Zeiten und Essen und Trinken geraten können, nur aus dem Grund, weil das, was an für sich rein ist, ihnen aus Mangel an Glauben unrein scheint? Wer kann sie in die Freiheit setzen als nur Gott? Und Er macht sie frei in dem Maß, wie sie mit Ihm wandeln. Alle Unabhängigkeit von Ihm ist eitel Finsternis.

b) Sünde erwirkt Gesetz

Es gibt noch eine andere Art von Knechtschaft, welche in indirekter Weise durch die Sünde kommt. Die Sünde nimmt nicht nur für sich gefangen, sondern sie bedarf auch zu ihrer Einschränkung und um auf ihre Gegenwart aufmerksam zu machen, des Gesetzes (Gal 3:19 und Röm 3:20); und dieses Gesetz bewirkt, so heilig es auch ist, eine neue Knechtschaft, da sie es eben mit der gefallenen Natur zu tun hat (Röm 7:9 und Gal 4:24). Der Alte Bund und die Geschichte Israels sind Beweise davon. Welcher unter uns versucht hat, durch das Gesetz frei zu werden, der weiß wohl, dass, ehe der Geist der Kindschaft kommt, das bloße Gesetz und unsere besten Bemühungen es zu halten, die Seele immernoch in Knechtschaft halten. Doch ist es gewiss wahr, dass selbst die äußerste Knechtschaft des Gesetzes Freiheit ist, im Vergleich mit der viel schlimmeren Sklaverei, in welche der Eigenwille und die Selbstgefälligkeit uns führen. Ich zweifle auch nicht, dass die Regeln und die mannigfache Disziplin, durch welche etliche gebunden waren, gerade wie Bandagen für ein zerbrochenes Glied heilsam sind, und dass deshalb solche Gesetze ihren Wert haben, um zur wahren Freiheit zu führen.

Denn natürlich bedarf der Erbe, solange er Kind ist, all dieser Dinge, allein so lang er ihrer noch bedarf, so ist, wie der Apostel sagt, zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, obwohl er Herr über alle Güter ist (Gal 4:1-3). Also auch wir, solange wir noch Kinder sind, sind wir gefangen unter den äußeren Satzungen. Allein diese Satzungen, wie gut sie auch zu ihrer Zeit sein mögen, sind doch keine Freiheit, und wenn wir sie an die Stelle der Freiheit, mit der Christus uns freimacht, setzen oder wenn wir sie über dieselbe erheben, so begehen wir einen Irrtum bezüglich des Mittels, das zum bestimmten Ziel führen soll, und wir bleiben in der Kindheit stehen, während wir doch zum vollen Mannesalter berufen sind. Gott hat Seinen Sohn gesandt, auf dass Er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen. Und weil wir nun Kinder sind, sendet Er den Geist Seines Sohnes in unsere Herzen. So sind sie nun nicht mehr Knechte, sondern Kinder; sind es aber Kinder, so sind es auch Erben Gottes durch Christus.

c) Der Sohn bleibt

Dieses führt uns zum nächsten Punkt, den unser Herr berührt, dass nämlich dieser Geist der Knechtschaft ausgetrieben werden soll. "Der Knecht bleibt nicht ewiglich im Hause, aber der Sohn bleibt ewiglich" (Joh 8:35). Die Knechtschaft und der Knecht haben ihre Zeit, sie sollen aber nicht immerdar bleiben; die Knechtschaft ist nicht ewig denn die Sünde ist nicht ewig. Die Geschichte Abrahams zeigte dies in den Söhnen Abrahams im Bild, indem sie erzählt, wie der Knecht in das Haus des Glaubens hineinkam und wie, als der wahre Erbe gekommen war, beide, die Magd samt ihrem Sohn, ausgestoßen wurden. Unser Herr deutet hier nur auf die Geschichte hin, als sollte die darin enthaltene Lektion von den Söhnen Abrahams gelernt worden sein. Paulus tut noch mehr. Ein über das andere Mal geht er in den typischen Sinn der Tatsache ein, auf welche unser Herr in dieser Aussage anspielt. "Meine LiebenKinder", sagt er zu den Galatern, "welche ich abermals mit Ängsten gebäre, bis dass Christus Gestalt in euch gewinnt. Ich wollte, dass ich jetzt bei euch wäre und meine Stimme wandeln könnt, denn ich bin irre an euch. Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt, habt ihr das Gesetz nicht gehört?

Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd, den anderen von der Freien. Aber der von der Magd war, ist nach dem Fleisch geboren, der aber von der Freien ist durch Verheißung geboren. Die Worte bedeutet etwas. Denn das sind die zwei Testament; eines von dem Berge Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, welches ist Hagar, den Hagar heißt in Arabien der Berg Sinai und reicht bis nach Jerusalem, das zu dieser Zeit ist, und ist dienstbar mit seinen Kindern. Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, die ist unser aller Mutter. Denn es steht geschrieben: "Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst und brich hervor und rufe, die du nicht schwanger bist, denn die Einsame hat viel mehr Kinder als die den Mann hat! Wir aber, liebe Brüder sind Isaak nach der Verheißung Kinder. Aber gleichwie zu der Zeit, der nach dem Fleisch geborene verfolgte den,der nach dem Geist geboren war, also geht es jetzt auch. Aber was spricht die Schrift? 'Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohn, denn der Magd Sohn soll nicht erben mit dem Sohn der Freien!'" (Gal 4:19-30). Und den Römern schreibt er in demselben Sinn: "Nicht alle, die Abrahams Same sind, sind auch Kinder, sondern in Isaak soll Dir der Same genannt sein. Dies alles zeigt uns, wie auch noch in Abrahams Haus Knechtschaft sein kann, und wie dieser Knecht ausgestoßen werden muss.

Unser Leib als Haus

Diese Wahrheit findet auf zweierlei Weise ihre Erfüllung. Erstens in einer inneren Weise, welche sich bei allen vollzieht, denn unsere Leiber sind ein Haus (1Kor 6:19 und 2Kor 5:1-4) worin Gott durch das Gesetz und das Evangelium arbeitet, in äußerer Weise, welche sich in den Weltzeiten oder göttlichen Ökonomien sowohl in dem "großen Haus" (2Tim 2:20) der bekennenden Kirche, als auch in dem noch größeren Haus der äußeren Welt (Hebr 3:4) vollzieht, und worin wir die Entwicklung desselben Ratschlusses wahrnehmen können. Die Erfüllung dieses Vorgangs in den Weltzeiten ist allen bekannt. Wir wissen, wie die Juden, der Magd Sohn, ausgestoßen wurden, als der wahrhaftige Sohn erschien; nicht, dass sie für immer verloren seien, sondern zum Zeichen, dass der Geist der Knechtschaft und diejenigen welche in diesem Geist leben, von Gottes Volk ausgeschieden werden müssen. Die sichtbare Kirche bezeugt dasselbe. Es gibt noch immer etliche im Hause der Auserwählten, deren Leben mehr die Frucht des Gesetzes als der Verheißung ist, welche, obgleich sie wie Ismael und die ehemaligen Juden zu Söhnen berufen sind, es doch dadurch beweisen, dass sie vom Samen der Magd stammen, dass sie nicht beharren bis ans Ende, sondern ausgestoßen werden wie die unfruchtbare Rebe, und man sammelt sie, und sie müssen brennen.

Das Haus der Knechtschaft

Jedoch ist dieses nur die zeitweilige und daher stückweise und schattenhafte Erfüllung jener Worte unseres Herrn: "Der Knecht bleibt nicht ewiglich im Hause", und wie es mit dem Schatten der Fall sein kann: die selige Wirklichkeit, die derselbe vorbildet, mag dadurch verzerrt werden, ja in scheinbarem Widerspruch zu demselben stehen. Denn der hier geoffenbarte Wille Gottes und die ewige Wahrheit ist die, dass das Leben der Knechtschaft nicht ewiglich bleiben soll und dass beides, sowohl das Resultat, als auch die Ursache desselben für immer abgetan werden muss. Ein Leben soll hervorgebracht werden, das nicht aus dem Gesetz, sondern aus der Gnade stammt, das nicht die Frucht des fleischlichen Willens ist, sondern das aus Gottes Macht fließt, welches im Menschen erzeugt wird, wenn das Wollen der Kreatur, wie wir dies bei Abraham sehen, so gut wie erstorben ist, und welches, weil es auf diese Weise erlangt wurde, frei ist (denn es ist der Sohn der Freien, nicht er Magd) und welches deshalb als ein Sohn und Erbe ohne Zweifel sagen kann: "Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar". (Ps 23:6)

Trotzdem scheint die erste, äußere Erfüllung dieser Wahrheit, wie wir sie in der Verwerfung des Ismaels und der Juden erblicken, weit eher von Gericht als von Freiheit zu reden. Und sie muss uns auch in dieser Gestalt erscheinen, so lang wir noch in der Selbstsucht unseres Sündenfalles stehen. auf einer solchen stufe wird das vollkommenste Evangelium in unseren Augen nichts als ein neues Gesetz sein. Wenn aber der Geist der Kindschaft kommt, dann wird sogar das Gesetz für uns zu Verheißung werden und wird die Gewissheit der ewigen Freiheit und Freude mit sich bringen. Ich rede von dem, was ich weiß, und ich weiß, wie sogar das Gesetz,welches sagt: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir", "du sollst den siebten Tag ruhen" , "lass dich nicht gelüsten!" - welches sich zunächst immer als Forderung an den Menschen wendet, indem es etwas von ihm verlangt, was ihm schwer und unmöglich scheint, und welches ihn deswegen in dieser Hinsicht nur verdammt, - für die Söhne Gottes zur Verheißung wird, weil es zeigt, dass, weil Gott es sagt, der Tag kommt, wo wir keine anderen Götter haben werden neben Ihm, dass wir sicherlich nach den Arbeitstagen ruhen werden, ja, dass wir weder stehlen,noch töten, noch uns gelüsten lassen werden, noch irgendeines der gräulichen Dinge tun, die uns in eitle Knechtschaft bringen.

Doch wird dies alles während vieler Jahre nur als ein Gesetz und nicht als Verheißung gesehen, und es wird immer so gesehen werden, bis der Knecht durch die Gnade ausgestoßen ist. So mögen sogar diese Worte unseres Herrn etlichen wie eine Gerichtsandrohnung erscheinen. Doch auch dafür sei Gott gepriesen, wenn sie als ein Gericht kommen, denn dieses Gericht ist uns zum Heil. Gebenedeit sei Sein Name, dass obschon Seine Kinder Ihn missverstehen, Sein Ratschluss nicht fehlschlagen kann, und dass er gesagt hat: "Der Knecht bleibt nicht ewiglich im Haus, der Sohn aber bleibt ewiglich. So euch nun der Sohn frei macht, sei ihr recht frei!"

IV. Das Haus des Geistes

Auf diese Weise wird uns gezeigt, wer uns die wahre Freiheit gibt und worin sie besteht. "Der Sohn wird euch freimachen" (Joh 8:36). Die Freiheit, welche hier verheißen wird, ist die freie Gabe des Sohnes, welcher, da Er der Erbe aller Dinge ist, uns in der Tat freimachen kann. "So spricht der Herr, Ich habe dich zur gnädigen Zeit erhört, und habe dir am Tag des Heils geholfen, und habe dich behütet und zum Bund unter das Volk gestellt, damit du das Land aufrichtest und das zerstörte Erbe einnimmst, zu sagen den Gefangenen: 'Gehet heraus' und zu denen in der Finsternis: 'kommet hervor!'" (Jes 49:8.9). Und Er selbst sagt: "Der Geist des Herrn ist auf mir, denn Er hat mich gesalbt und gesandt zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerbrochenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, dass sie freisein sollen." (Lk 4:18) Darum ist Er aufgefahren in die Höhe und hat das Gefängnis gefangen geführt!" (Eph 4:8). Darum "wird Er nicht müde noch mutlos werden, bis Er Gerechtigkeit auf Erden aufgerichtet" und "Seine Gefangenen aus der Grube, in der kein Wasser ist, befreit hat". (Sach 9:11) Die Auserwählten sind nur Gottes "Erstlingsfrüchte" (Jak 1:18 und Offb 14:4). Auch die Kreatur wird freiwerden von dem Dienst des vergänglichen Wesens" (Röm 8:21).

Doch wie macht Er frei? Gibt Er uns etwas, was von Ihm getrennt ist, dessen wir uns rühmen können, wie es etliche getan haben, indem sie vorgaben über alle Formen, über das Gesetz und über das Gewissen erhaben zu sein, oder befreit Er uns, indem Er sich Selbst uns mitteilt? Nein, Er befreit uns nicht, durch etwas, was von Ihm getrennt wäre, sondern, indem Er Sich uns zu eigen schenkt, Er, der Selbst der Erbe ist. Auf diese Weise stößt Er die Selbstsucht aus, welche der eigentliche Knecht ist, so dass wir hinfort mit Paulus sagen können: "Ich lebe, doch nun nicht Ich, sondern Christus lebt in mir". Das befreite Leben ist Christi eigenes Leben in uns, welches durch Christus selbst gewirkt wird. Er hat es für uns erwirkt, indem Er in unsere Natur kam und diese Natur annahm, und so wurde, durch das ewige Wort, der Mensch mit Gott vereinigt und zu einer neuen Kreatur gemacht. In derselben Weise wirkt dieses Leben in uns, indem Er durch das Wort in uns einzieht, auf dass, so viele Ihn aufnehmen, Seine Söhne werden, freie Menschen und Gottes Erben samt Ihm. "Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit"

Der Knecht muss gehen

Das ganze Geheimnis wird uns im Haus Abrahams gezeigt. Sobald Isaak erscheint und entwöhnt ist, wird der Knecht ausgestoßen, welches jedoch nicht ohne Kampf für den Glaubensmenschen geschieht, denn die Austreibung Ismaels ist, gerade wie auch das Ausstoßen der Selbstsucht in uns, eine Scheidung von einem Teil des eigensten Lebens der Auserwählten, und deshalb fällt es uns zunächst sehr schwer. (1Mo 21:11). Aber es muss geschehen. Obgleich es schwer ist, von diesem Prozess zu reden, weil wir nämlich aus dem Ich heraus in Christus eingehen, - weil wir keine Worte haben, um dem Ausdruck zu geben, und nur sehr wenige Augen haben, um die Stufen dieser wunderbaren Umwandlung zu erkennen, - so wird dasselbe doch alle Tage vollzogen. Wo es geschehen ist, dass etliche die wahre Freiheit erlangt haben, da beruht es eben darauf, dass der Knecht ausgestoßen ist, und dass der Sohn sie freigemacht hat. Es ist alles Sein eigenes Werk. Zuerst erscheinen die Tugenden des ewigen Lebens an Ihm Selbst, sodann offenbart Er diese den Menschen. Auf diese Weise wird der Mensch befreit. Dann ist er frei vom Gefühl der Schuld, welches auf dem Herzen lastet, frei von allen Irrtümern und von dem Betrug der Sinne, welche das Gemüt verdunkeln und täuschen, frei von Todesfurcht, von der Knechtschaft des Buchstabens, von den Worten und Namen der Menschen, frei in seinen Gedanken und Handlungen und Begierden, so frei, wie der Herr es ist; er kann nunmehr Diener aller werden, wie uns dies ein späteres "Wahrlich, Wahrlich" lehrt (siehe das siebte Wahrlich, Wahrlich") indem Er durch Seinen Dienst andere in derselben Weise befreit, wie Er befreit worden ist.

Die Wahrheit macht uns frei

Dies wäre also die Summe dieser Sache. Die Wahrheit führt uns zur Freiheit, und wir erkennen die Wahrheit, indem wir im Wort beharren, welches wir zuerst auf das Zeugnis eines anderen hin empfangen. Das Erkennen der Wahrheit ist die Frucht des Glaubens, und der Glaube ist nicht die Frucht des Erkennens. Denn zuerst sind wir Kindlein, und müssen es sein; Kinder aber, sowohl dem Fleisch als dem Geiste nach, müssen zuerst glauben, ehe sie erkennen, denn es ist nicht möglich, dass sie von Anfang an tausenderlei Dinge aus eigener Erfahrung verstehen sollten, welche sich ihnen in dem Maß offenbaren werden, als sie durch die Tugend zum Mannesalter heranwachsen. Gauben sie zuerst, so werden sie die Wahrheit erkennen. Danach wird sie die Wahrheit freimachen. Es wolle nur niemand diese Reihenfolge umstoßen. Zuerst kommt der Glaube, dann die Erkenntnis der Wahrheit, und danach seiner Zeit die Freiheit. Es hat zu jeder Zeit solche gegeben, die meinten, von Anfang an frei sein zu können und tun zu dürfen, was sie gelüstete um dann im Eigenwillen die Wahrheit sich auszuwählen und zu finden.

Ich behaupte nicht, dass die Wahrheit niemals auf diese Weise zuletzt noch gefunden erden kann, denn sie kann auch durch Gerichte noch gelernt werden. Die Art und Weise des neuen Menschen aber ist die, durch den Glauben zur Wahrheit zu gelangen, und danach durch die Wahrheit zur wahren Freiheit. Der Eigenwille kann niemals ruhen. In der Selbstliebe leben, heißt in Banden leben; um wahrhaft frei zu sein, müssen wir der Liebe leben, und Gott ist die Liebe. Der Sohn ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Indem Er Sich uns gibt, schenkt Er uns Gott und macht uns teilhaftig der göttlichen Natur, welche nicht Selbstliebe, sondern Liebe ist. Das vollkommene Gesetz der Freiheit ist Liebe. Wer in dieses Gesetz hineinschaut und darin ausharrt, ist selig; denn indem er also gleichsam in einem Spiegel die Herrlichkeit des Herrn erblickt, wird er in dasselbe Bild verwandelt. Wohl mochte deshalb Augustinus sagen: "Liebe, und dann tu, was du willst!". Liebe und Liebe allein ist die vollkommene Freiheit.

Das ist die Freiheit welche der Sohn Gottes gibt, die Freiheit der Söhne Gottes, ja es ist die Freiheit, welche Gott selbst besitzt, denn der Sohn, der uns freimacht und der unser Leben ist, ist der wahrhaftige Gott. Jeder also befreite Mensch ist ein Teilhaber der göttlichen Natur (2Petr 1:4) weil er Christi teilhaftig ist (Hebr 3:14). Dies ist ein tiefes Geheimnis. Ein kleiner Durchblick in dasselbe wird uns in dem nächstfolgenden "Wahrlich, Wahrlich" gegeben, welches uns nicht allein die Freiheit, sondern auch die göttliche Natur des neuen Menschen erschließt, der da ist der Sohn Gottes.

Lies weiter hier:

7. Die göttliche Natur des neuen Menschen - Das sechste "Wahrlich, wahrlich"
8. Der Dienst des neuen Menschen - Das siebte "Wahrlich, wahrlich"
9. Das Opfer des neuen Menschen - Das achte "Wahrlich, wahrlich"
10. Die Erniedrigung des neuen Menschen - Das neunte "Wahrlich, wahrlich"