Der sechste Schöpfungstag: Unterschied zwischen den Versionen

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'''I. Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendige Tiere, ein jegliches nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art. Und es geschah also. Und Gott machte die Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art, und allerlei Gewürm auf Erden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war''' ([[1Mo 1:24]]-25).<br/>
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So wenig mit der Schöpfungsstufe des fünften Tages die Kraft Gottes erschöpft war, so wenig vermochte die Erde am sechsten Tage vermöge der ihr innewohnenden Kraft etwas Neues aus sich selbst zu erzeugen. Sie bedurfte erneut der sprechenden Kraft Gottes; denn diese ist die eigentliche Schöpferin neuen Lebens, während die Eigenkraft der Erde lediglich dazu fähig ist, die Trägerin jener neuschaffenden Gotteskraft zu sein.
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Gottes Gedanken waren mit dem fünften Tag noch nicht vollendet; es waren noch nicht alle in die Erde gelegten Kräfte erlöst und zu einem vollkommenen Dasein gebracht. Gottes Liebe aber kann nicht ruhen, sie habe denn ihr Ziel mit dem Geschöpf erreicht. Mit einer neuen Offenbarung der Kraft seiner Liebe wendet sich Gott am sechsten Tag an die Erde, um sie ihrer Vollendung entgegenzuführen. Der sechste Tag ergänzt zunächst den dritten Tag, indem er die bereits mit Pflanzen geschmückte Erde mit einer Fülle neuer Lebensformen bereichert. Er bringt aber damit auch der Erde ihre letzte Vollendung; denn so viel auch am fünften Tage an Erlöstem geschaffen wurde, erst der sechste Tag brachte das Letzte und Höchste, was Gott der Erde zunächst an Erlösung zu offenbaren hatte. Mochten jedoch die Tiere des sechsten Tages vollkommenere und höher organisierte Wesen sein als alle bisher erschaffenen, so war doch noch nicht alles „sehr gut“. „Doch war noch alles nicht geschehen; dem Ganzen fehlte das Geschöpf, das Gottes Werke dankbar sehen und seine Güte preisen möcht`.“
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Wie Gott am fünften Tag Fische aus dem Wasser und Vögel aus der Luft schuf, so ließ er am sechsten Tag Tiere aus der Erde als aus ihrem Element hervorkommen. Und von ihnen gilt noch mehr als vom Menschen die göttliche Bestimmung: „Von Erde bist du genommen und zu Erde sollst du werden!“ Denn nachdem sie dem Menschen gedient haben, vergehen die Tiere und kehren in ihr irdisches Element zurück. Sie sind nicht fähig, höheres Leben in sich aufzunehmen; denn sie sind nicht dazu bestimmt. So wie die Pflanzenwelt des dritten Schöpfungstages dazu berufen ist, mit ihrem unendlichen Lebensreichtum der Tierwelt des sechsten Tages in ihrem Aufbau und in ihrer Bestimmung zu dienen; so ist es die höhere Aufgabe der Tierwelt, dem Menschen in verschiedenster Weise behilflich und dienstbar zu sein.
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Die Tiere sind unendlich weniger als der Mensch, und doch näherte sich dieser durch seinen Fall der Tierwelt unheimlich. Der Mensch ist Abbild Gottes; das Tier aber ist nur ein Gedanke Gottes, in dem sich jeweils eine besondere Kraft und Eigenschaft des Schöpfers offenbart. Während der Mensch dazu befähigt und bestimmt ist, eine Fülle göttlichen Lebens zu fassen, stellen die Tiere in ihrem Wesen Gleichnisse einzelner Fähigkeiten und Kräfte Gottes dar. So offenbart der Löwe die Stärke, das Lamm die Geduld, die Schlange die Klugheit und die Taube die Einfalt; und so jedes Tier eine besondere Eigentümlichkeit einer höheren Kraft.
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Überaus bezeichnend ist es, was der Mensch aus dem Tier als dem Sinnbild einer höheren Kraft gemacht hat. Der heidnische Mensch verkehrte die Wahrheit, wonach das Tier mehr oder weniger vollkommen eine Verkörperung göttlicher Kräfte ist, und verehrte es als göttlich. Daher kam der Tierkult in Ägypten und anderen Ländern; er erwies dem Geschöpf göttliche Ehre. Rein menschlicher Instinkt dagegen sah im Tier Verkörperungen menschlicher Gemütsbewegungen und Charaktereigenschaften. Insbesondere wurden ihm die Raubtiere sinnbildlicher Ausdruck höchster Kraft; sie dienten und dienen ihm heute noch als Wappenschmuck; so der Löwe in seiner königlichen Art, der Adler mit seinem scharfen Blick, der Bär mit seiner unheimlichen Stärke, der Hirsch mit seinem stolzen Geweih. Dies alles ist an sich ziemlich harmlos, solange dabei nicht eine Vergötterung des Geschöpfes stattfindet. Viel schlimmer erscheint, was die christliche Welt mit dem kreatürlichen Geschöpf, d. h. mit sich selbst getan hat. Auch im Menschen als einem göttlichen Geschöpf finden sich Eigenschaften und Kräfte Gottes. Verehrt und bewundert man die Gaben und Leistungen des Menschen, ohne dem Geber aller Gaben dafür zu danken, so betet man das Geschöpf und nicht den Schöpfer an. So kann Heldenverehrung, Bewundern einer genialen Leistung auf künstlerischem, wissenschaftlichem, religiösem oder wirtschaftlichem Gebiet eine Verunehrung Gottes sein, wenn sich das Geschöpf dadurch selbst ehrt. Auch hier findet eine Verdrehung der göttlichen Wahrheit statt; denn Gott will seine Ehre keinem anderen geben noch seinen Ruhm den Götzen. Damit ist nicht gesagt, dass eine heldenmütige Tat oder ein Opfer der Liebe nicht anerkannt werden dürfte; nur darf kein Missbrauch getrieben werden, der, anstatt Gott zu ehren und anzubeten, zu einer Vergötterung des Menschen führt.
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Richtig sieht das Auge derer, die in den Tiersarten Darstellungen und Gleichnisse menschlicher Leidenschaften erblicken; sie bleiben dadurch vor Vergötterung des Geschöpfs bewahrt. Sie treiben mit ihm weder den Missbrauch der Vergötterung, noch auch den der Vergewaltigung und Misshandlung, wozu sich der Mensch in dem Wahn, die Tierwelt zu beherrschen, verleiten lässt.
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Am schärfsten ist das Auge des Mystikers, der in den Erscheinungen und Dingen der äußeren Welt Abbilder dessen erblickt, was an Neigungen und Begierden aus dem menschlichen Herzen hervorkommt. Ihm sind die Tiere Gleichnisse unserer sinnlichen Natur. Der Löwe ist ihm Abbild eines herrschsüchtigen und gewalttätigen Menschen; der Fuchs zeigt ihm die menschliche List; das Schwein ist ein Spiegel der Völlerei usw. Der Mystiker ist weit davon entfernt, tierische Offenbarungen seines Wesens zu vergotten oder auch nur gut zu heißen, was doch untermenschlich und untersittlich ist. Mit großem Bedauern nimmt er in sich einen Zustand wahr, der des Öfteren mehr tierisch als menschlich ist. Dies ist nicht sein ureigener, anerschaffener Zustand, in welchem er Gott ähnlich war; vielmehr erkennt er in der Regung tierisch- sinnlicher Triebe seiner Seele eine Verkehrung seiner wahren Natur; diese hofft er durch Überwindung der niederen Anlagen wieder zu erreichen. Um die Herrschaft über sich selbst und seine gefallene Natur zu bekommen, geht er einen Opfergang und schlachtet die Lüste und Begierden, die von unten her stammen, d. h. er kreuzigt sein „Fleisch“, um es in den „Geist“ zu erhöhen. Auf diesem Weg der Selbstverleugnung müssen allmählich sämtliche Tiersarten in der Seele sterben; der Mensch nähert sich wieder der Stufe des göttlichen Ebenbildes, die dem Tier ewig unerreichbar bleibt. Wer dagegen die in ihm sich offenbarenden Tierskräfte nicht bekämpft, dem werden sie gefährlich. Die Gefahr besteht darin, dass das Tierische zur eigentlich beherrschenden Macht in der Seele wird. So wie aber der Lebensraum des Menschen nach oben sich weit über denjenigen des Tieres hinaus erstreckt, so auch nach unten. Geht er den Weg abwärts, dann bleibt er durchaus nicht etwa auf der Stufe des Tieres stehen; er vermag diese beträchtlich zu unterschreiten und landet, ohne dies bewusst zu wollen, auf der Stufe des Teuflischen. Abermals ein Zeichen dafür, dass der Mensch unendlich mehr ist als das Tier; denn er grenzt an Himmel und Hölle und kann beide Möglichkeiten in sich entwickeln. Wie naiv nimmt sich übrigens in solchem Zusammenhang die einst so „hochwissenschaftliche“ Behauptung von der Abstammung des Menschen vom Tiere aus!<br/><br/>
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:::„Wer viel böse Lust empfindet,
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:::viele Tiere in sich findet,
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:::die für den Altar geweiht,
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:::soll an Jesu Kreuz sie bringen ...!“ - - -
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:::„Denn ach! Der Mensch – ein erbärmliches Wesen,
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:::weil er an Himmel und Hölle angrenzt –
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:::kann durch sich selber niemals ganz genesen ...!“<br/><br/>
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====<big>Lasset und Menschen machen</big>====
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'''II. Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen''' ([[1Mo 1:26]]a).
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Das seelisch-tierische Leben war die höchste Stufe irdischen Naturlebens, zu dessen Hervorbringen die Erde befähigt wurde. Eine Fülle göttlicher Kräfte und ein Reichtum seiner Herrlichkeit waren durch die Arbeit Gottes in den bisherigen Schöpfungstagen offenbar geworden. Die Besonderheit der bis jetzt geschaffenen Dinge und Wesen bestand darin, dass sie alle zusammen die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der göttlichen Kräfte und der göttlichen Weisheit abspiegelten. Es war aber noch kein Geschöpf vorhanden, das mit der Fülle seiner Gaben und Kräfte und der Art seines Lebens auch nur annähernd an Gott angegrenzt hätte. Dieses Geschöpf wurde der Mensch, Gottes höchste Gabe an die Schöpfung.
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Bei der Schöpfung seiner bisherigen Werke wendete sich Gott einfach befehlend an die Welt; bei der Erschaffung des Menschen, der ein Bindeglied zwischen dem Schöpfer und der übrigen Schöpfung werden sollte und der darum mehr als jedes andere Geschöpf, jedoch immer noch bedeutend weniger als der Schöpfer selbst war, ging Gott mit sich selbst in eine besondere Beratung. Er rief dieses Mal höhere Kräfte, als in der Erde verborgen lagen, zum Werden auf. Denn im Menschen wollte sich Gott auf eine viel höhere Weise offenbaren als in allen übrigen Wesen; er sollte der Zentralpunkt und die Vollendung der ganzen Schöpfung werden. Ohne den Menschen fehlt es der Schöpfung an jener inspirierenden und belebenden Kraft, durch welche sie aus der Knechtschaft eines rein stofflichen Daseins erlöst wird. Denn der Mensch sollte das Herz, das innerste Leben der gesamten Schöpfung werden. Seitdem er durch seinen Fall diese Bestimmung verfehlt hat, seufzt die Kreatur und wartet mit Sehnsucht und Schmerz auf die Stunde, in welcher der Mensch wieder in seiner vollen Kraft und Herrlichkeit zum Heiland der seufzenden Kreatur wird. Aber der Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben; er hat seine Quellen nicht in sich selbst, auch nicht im Geschöpf, solange er in der richtigen Verfassung steht. Vielmehr liegt seine Bestimmung darin, zu empfangen und das Empfangene weiterzugeben; beherrscht zu werden, um selbst wieder herrschen zu können. Er ist das empfangende Werkzeug einer höheren Macht, in welcher er seine Ruhe und seinen Sabbat findet und deren höherer Leitung er bedarf. Dies ist das „Sohnesverhältnis“, in welchem Christus dauernd gestanden ist; denn „er tat nicht seinen Willen“. Von diesem leidenden Gehorsamsverhältnis hängt die hohe Bestimmung des Menschen ab; beschränkt er sich aber auf sich selbst, d. h. führt er ein Leben in sich selbst, oder ruhen seine Quellen gar im Geschöpf, so wird seine hohe Bestimmung und der Bestand seiner eigenen Natur unhaltbar. Er ist dann nicht mehr „Mensch“ im Vollsinn des Wortes, nicht mehr vollkommen. Er bedarf dann erst der Erlösung, um die Kreatur um ihn herum in den höheren Lebenskreis seines Friedens und seiner Erlösung emporführen zu können. –
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Der sechste Tag ist die Stufe der Vollendung auch des inneren Lebens. Hier erreicht der gefallene Mensch in der Neuschöpfung wieder die Stufe „Mensch“. Alle vorherigen Stufen sind nur Wachstums- und Vorbereitungsstände; für sie gilt das Wort [[1Jo 3:2]]: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.“ Am sechsten Schöpfungstag jedoch wird das Geheimnis „Mensch“ in uns wieder offenbar; der Mensch ist wieder Ebenbild Gottes und als solcher Herr der Schöpfung<br/><br/>
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====<big>Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde</big>====
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'''III. Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn''' ([[1Mo 1:27]]a).<br/>
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Aus dem dichterischen Schwung der Textesworte schon fühlt man das Besondere bei der Erschaffung des Menschen heraus; der Parallelismus der Glieder, der zum Wesen der hebräischen Poesie gehört wie der Reim bei unserer Dichtung, tritt hier zum ersten Mal in der Bibel auf; ein Jubelton ist es, der aus ihm spricht.
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Und das, was vorging, war auch Grund zum Jubeln für die Schöpfung; ihr wurde mit der Erschaffung des Menschen die Krone aufgesetzt! Im Menschen fasste der Schöpfer alle die Kräfte, die er zur Erschaffung der Welt und ihrer Bewohner eingesetzt hatte, zusammen, um den Makrokosmos, die große Welt, im Menschen als in einem Mikrokosmos, einer kleinen Welt, noch einmal darzustellen.
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Doch ging er dabei weit über den bisherigen Kräfteeinsatz hinaus. Auch diese Tatsache ist in dem kurzen Text angedeutet. Hieß es bei Himmel und Erde kurz: „Gott schuf sie“; beim Licht: „Es werde“ und bei Sonne und Mond: „Gott machte sie“, so klingen die Worte, mit denen Gott an die Schöpfung des Menschen herantrat, geradezu feierlich und erhaben: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei!“ Das Wörtchen „uns“, das hier der Schöpfer gebraucht, bedeutet mehr als nur eine „Aufforderung an die übrige Schöpfung“. Die Dreiheit selbst, Gott und das Wort und der Geist, gehen hier mit sich zu Rat, um ein kreatürliches Abbild der Heiligen Dreieinigkeit zu schaffen. Wie hoch muss der Mensch in Gottes Augen geachtet sein, wenn sich alle Kräfte der Gottheit zu seiner Erschaffung bewegen! Und wie hoch muss der Ursprung des Menschen sein, der so unmittelbar aus den „Händen des Schöpfers“ hervorgeht!
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Was ist aber der Mensch? Das eben ist die Frage, auf welche kein menschlicher Verstand und keine Wissenschaft eine letzte Antwort zu geben vermögen. Unsere Textstelle gibt uns zur Antwort: „Der Mensch ist Gottes Bild.“
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Formell ist mit diesen Worten so viel gesagt, dass Gott in der Erschaffung des Menschen das Höchste aus sich offenbarte, was er der ersten Schöpfung zu geben beabsichtigte. Das schließt nicht aus, dass er am siebten Tag eine noch höhere Offenbarung aus sich herausgab als an allen vorhergehenden sechs Schöpfungstagen; ebenso wenig dass er am neutestamentlichen „Tag des Heils“ abermals höhere Erlösungsoffenbarungen zeigte, welche diejenigen der ersten Schöpfung weit überstrahlen.
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Im Menschen als der höchsten Offenbarung der ersten Schöpfung vollendete Gott sein ganzes Werk, um es am Schöpfungssabbat in seine beseligende Gemeinschaft und in seine Ruhe einzubeziehen. Durch den Menschen wollte er mit der ganzen Schöpfung in eine geistige Gemeinschaft treten; der Mensch sollte Vertreter des Schöpfers und Vermittler zwischen ihm und der ganzen Schöpfung sein. Im Mikrokosmos, der „ein kleines Ganzes vom großen Ganzen“ war, wollte Gott mit seiner Herrlichkeit wohnen. Von da aus sollte der ganzen übrigen Schöpfung der Reichtum des göttlichen Lebens als aus einer Quelle zufließen, ähnlich wie die Sonne unserer Erde höhere Kräfte vermittelt. Um ein solch hohes Wesen zu schaffen, konnte das Vorbild der Tiere, welches Gott bereist in mannigfacher Gestalt und Art hervorgebracht hatte, nicht genügen. Nur sein eigenes Bild konnte als Vorlage in Betracht kommen für ein Wesen, für welches er alles Bisherige geschaffen hatte und das er im Besonderen für sich selbst und für seinen Umgang schuf. Gab es aber ein solches „Bild Gottes“, nach welchem Gott den Menschen bilden konnte? Jesus sagte bei seinem Hiersein: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ Er ist also das „Ebenbild“ Gottes, der „Erstgeborene vor allen Kreaturen“, die sogenannte „himmlische Menschheit“, nach welcher der irdische Mensch Adam geschaffen wurde. Wie unendlich viel ist damit bereits angedeutet über Ursprung, Wesen und Bestimmung des Menschen! Der von Gott Kommende und zu Gott Geschaffene findet nirgends Ruhe oder Ersatz für Gott; alles in der Schöpfung, das ihn zu beseligen scheint, muss ihn eines Tages enttäuschen, weil er nur in Gott, nicht aber im Geschöpf, das doch weit unter ihm steht, seine Ruhe und Ergänzung finden kann. Ohne Gott aber irrt der Mensch unstet und ruhelos, ja einsam und verlassen unter der Menge der sichtbaren Geschöpfe umher; denn der göttlich Geadelte findet seinen Himmel nur im Umgang mit Gott, während der Umgang mit dem Geschöpf ihm die Hölle in irgendeiner Form schafft. Möge er darum die Mahnung beherzigen: „Such alles aus im Schöpfungsraume und auch in der Unendlichkeit; du find`st nur Ruh` beim Lebensbaume, Genüge an der Herrlichkeit!“-
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Gleichheit des Menschen mit Gott bedeutet ein Doppeltes: eine äußerliche und eine innerliche Ebenbildlichkeit. Die Gestalt des ersten Menschen kommt irgendwie der Gestalt Gottes gleich, das innere Wesen des Menschen ist mit dem Wesen Gottes verwandt. Zwar heißt es von Gott, dass er Geist sei; aber jeder Geist, der ja an sich unsichtbar ist, baut sich ein Haus, einen Leib, ein Kleid; und „Licht ist das Kleid, das Du anhast“. Also auch die Leiblichkeit des Menschen trug vor dem Fall die Würde göttlicher Herrlichkeit an sich. Es war ein Leib, der ein unsterbliches Organ der dem Menschen innewohnenden göttlichen Fülle war und dem Auferstehungsleib der Gerechten gleichen mochte, die „leuchten werden wie die Sonne“ in ihres Vaters Reich. Gleichwohl möchte man, eben im Blick auf den einstigen Auferstehungsleib des Menschen, fragen, welchem Stoff der Leib des ersten Menschen entnommen war. Nach unserer jetzigen Leiblichkeit zu schließen, dürften die alten Kabbalisten weithin recht haben, die behaupten, dass der Mensch aus drei Teilen zusammengesetzt sei: aus Leib, Seele und Geist. Der Leib ist ihm aus den Elementen der Erde geworden, die Seele aus dem Geist der Welt, sein Geist oder Gemüt aber aus Gott. Klarer wird die Vorstellung von der einstigen Beschaffenheit des Menschenleibes, wenn man bedenkt, dass der Mensch nach seinem ganzen Wesen ein Auszug aus allen geschaffenen Dingen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt war. Der Leib, welcher das Organ war, mit dem er auf die sichtbare Welt zu wirken hatte, gehörte zweifellos der sichtbaren Welt zu. Dies soll aber nicht heißen, dass er dem nach dem Fall uns gewordenen Erdenleib gleich gewesen sei; vielmehr stammte der Stoff zum menschlichen Leib aus den Elementen der damaligen sichtbaren Welt. Bei der vor dem Fall bestehenden vollkommenen Harmonie zwischen Leib, Seele und Geist des Menschen herrschte kein Zwiespalt zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt, wie dies jetzt bei uns der Fall ist; vielmehr war das Sichtbare verschlungen von der Kraft des Unsichtbaren, das höhere Gesetz der Geisteswelt beherrschte die Welt der Erscheinung und erhöhte sie in die Unsichtbarkeit. Ein Bild und Gleichnis davon liegt in der Verklärung Jesu, bei welcher „seine Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine `Kleider ́ weiß wurden als ein Licht“. Auch hier war das äußere Reich der Leiblichkeit verschlungen von dem inneren Reich des Lichts.
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So war also Adams Leib ein paradiesischer Leib, der sich zum jetzigen Körper des Menschen verhalten mochte wie der Tag zur Nacht. Ist doch die dem Menschen durch den Fall und die Entartung im Lauf der Zeit gewordene Leiblichkeit oft geradezu ein Hindernis des Geistes, dem sie als williges Organ dienen sollte. Ja es geht ein Riss durch den Menschen hindurch, insofern der Leib von Gesetzen eines andern Reiches beherrscht wird als das geistige Innere des Menschen. Und noch eine Kluft besteht beim natürlichen Menschen zwischen Seele und Geist, oder wie Paulus Röm. 7 sagt, zwischen Gliedern und Gemüt, die zweierlei sich widerstreitenden Gesetzen unterworfen sind. Auf alle Fälle erhielt der Mensch seine heutige grobe Leiblichkeit, „in welcher nichts Gutes wohnt“, erst durch den Sündenfall. Dennoch ist auch dieser Leib noch ein großes Kunstwerk des Schöpfers, welcher sein Ebenbild auch nach dem Fall nicht aller Herrlichkeit entkleidete. Gott hat es sogar auf eine Erhöhung der jetzigen Leiblichkeit abgesehen, wenn er schon im Alten Testament die Heiligung auch des Leibes verlangte, während es im Neuen Testament heißt: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ Unser Leib ist also fähig, von dem erlösten Geist in dieselbe Heiligkeit hineingezogen zu werden. Darum gilt für jeden die sittliche Bestimmung, dass nicht nur die Seele, sondern auch der Leib heilig gehalten werden soll; denn man kann nicht innerlich ein Engel und äußerlich ein Teufel sein. Höchstens unreine Dämonen begnügen sich in der Not mit einer rein tierischen Körperlichkeit (Matth. 8, 32). Der Mensch aber tut seinem Leib viel Ehre an; ja er schmückt ihn mit den ausgesuchtesten Formen und Farben, um dessen Herrlichkeit zu erhöhen. So verkehrt ein solches Tun im Einzelnen sein mag, so ist es doch ein Zeichen von dem inneren Bedürfnis des Menschen, sich eine leuchtende und eindrucksvolle Körperlichkeit zu schaffen. Doch wird einst nur der geistig und seelisch vollkommene Mensch mit der ihm entsprechenden Leibesherrlichkeit angetan werden, wenn er in der Auferstehung „Ihm gleich sein wird“; denn eine vollendete Leiblichkeit ohne einen vollendeten Geist wäre abermals ein Widerspruch wie der zwischen dem Sünden- und Geistesgesetz, die im Menschen herrschen und ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. –
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So wichtig die Frage nach der vormaligen Leiblichkeit des Menschen sein mag, da ihre richtige Beantwortung zugleich die Frage nach der Beschaffenheit des Auferstehungsleibes beleuchtet, so bestand doch die Ebenbildlichkeit des Menschen nicht so sehr in seiner Leiblichkeit, als in der Beschaffenheit seiner Innenwelt, seiner Seele und seines Geistes. Es mag jetzt schon darauf aufmerksam gemacht werden, wie furchtbar die Folgen des Sündenfalls für jene Geisteswelt des Paradiesmenschen Adam gewesen sein mögen, wenn sie schon für den weniger bedeutsamen Teil seines Wesens, nämlich seinen Leib, so verheerend waren, dass er dadurch unter das Gesetz des Todes und der Verwesung geriet. Angesichts dieser Tatsache versteht man die Klage des Dichters: „Ach, was hat Adams Fall auf diesem Erdenball doch angericht`t!“
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Der biblische Schöpfungsbericht sagt nicht genau, worin die Ebenbildlichkeit des Menschen bestanden habe. Nur so viel lässt sich aus ihm erkennen, dass der Mensch eine ganz einzigartige Stellung sowohl gegenüber der Schöpfung unter ihm als gegenüber dem Schöpfer über ihm eingenommen habe. Er war Haupt und Herz der Natur und vermochte mit Hilfe seiner stofflichen Leiblichkeit und der ihm innewohnenden göttlichen Kraft König und Priester der Schöpfung zu sein. Durch ihn floss der Strom von Gottes Licht und Leben auf die Geschöpfe in der Natur. Zweifellos vermochte Adam dadurch die Tiere nicht nur zu benennen, sondern auch kraftmagisch zu beherrschen.
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Seine einzigartige Anlage befähigte ihn aber zu noch mehr: er war dazu begnadigt, vermöge des göttlichen Adels seiner Seele in eine innere Lebensgemeinschaft mit Gott zu gelangen; war er doch „göttlichen Geschlechts“! Ihm war das Bild Gottes, welches das „Wort“ oder die himmlische Weisheit ist, in die Seele eingeprägt. Und nur in diesem Bild konnte er Gott wohl gefallen; denn „vor ihm nichts gilt, als sein eigen Bild“. So war der Mensch in geschöpflichem Sinn ein „Sohn Gottes“. Eine ähnliche Bedeutung, wie sie Jesus als dem „Herrn des Himmels“ innewohnte, besaß Adam als „Herr der Erde“.
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Einen besonderen Hinweis auf die innere Natur des Menschen gibt die kurze Auslegung des Begriffes „zum Bilde Gottes“ in den Worten: „Und er schuf sie als Mann und Weib („ein Männlein und Fräulein“). Ist diese Bemerkung unwesentlich oder drückt sie bereits die Erschaffung von zwei Menschen aus? Da Eva erst später „aus der Rippe Adams“ genommen wurde, liegt in dieser Andeutung ein tieferes Geheimnis, eben in Bezug auf das Wesen der Gottebenbildlichkeit des ersten Menschen. So unbegreiflich es für unsere Vernunft sein mag, so will hier offenbar gesagt werden, dass der erste Mensch beide Geschlechter, das männliche und das weibliche, unzertrennt in sich hatte und insofern das Bild Gottes an sich trug. Da Gott ein Schöpfer sowohl der männlichen als auch der weiblichen Wesen ist, so liegt keinerlei Widerspruch in der Behauptung, dass auch in ihm beide Wesenheiten (=Tinkturen) unzerteilt wohnen und sein „Bild“ ausmachen. Denn in Gott wohnt sowohl die Gerechtigkeit als die Liebe; jene ist eine männliche, diese eine weibliche Eigenschaft; er ist sowohl Feuer, d. h. männlicher Art, als Licht, d. h. weiblicher Art. Und wie in Gott diese beiden Naturen unzertrennlich sind, so sollten sie auch im Menschen unzertrennlich sein. Die größte Herrlichkeit und Vollkommenheit des Menschen bestand eben darin, dass er anfänglich beide Tinkturen in einer Person vereinigte. Wie stark, ja geradezu gewaltig musste die Persönlichkeit des ersten Menschen gewesen sein; kein Wunder, dass er der Beherrscher der Schöpfung war! Eine Parallele zu Adam vor dem Fall ist Jesus, der ebenfalls Macht hatte über Elemente, Geschöpfe und alle lebenden Wesen. Und so tief ist das Ebenbild Gottes dem Menschen eingegraben, dass er es niemals wieder verlieren kann, auch dann nicht, wenn er bis in die unterste Hölle hinab verdammt werden müsste. Wohl wird es durch die Sünde im Menschen verdeckt und entstellt; aber das ganze Erlösungswerk Gottes in Christus geht dahin, dieses verschüttete Bild Gottes in uns wieder zu erwecken und zu erneuern. Sind wir doch nach [[Röm 8:29]] „dazu verordnet, dass wir gleich sein sollen dem Ebenbilde seines Sohnes“. Diesem Sohn aber, der der innergöttliche Sohn war, ist der Mensch als der innerweltliche Sohn Gottes nachgeschaffen.
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Es ist für uns gefallene Menschen kaum vorstellbar, wie stark sich diese männlich-weiblichen Kräfte in der Seele Adams äußerten. Er fand in sich die Feuers- und Lichtkräfte vor, wie sie in Gott wirkten; sowohl das männlich- wirksame als das weiblich-leidsame Wesen war ihm eigen. Darüber sagt ein bekannter Theosoph: „Der Mensch bekam die göttliche Weisheit zur Braut, weil er das Bild Gottes war. In diese hätte sein Gemüt einschauen, durch sie hätte er sich offenbaren sollen, dann wären Geburten nach Gottes Gleichnis aus ihm gekommen und an ihm gewachsen wie an einem Baume.“ Wie reich mag übrigens diese erste Menschenseele, vollends in der Harmonie aller ihrer Kräfte, gewesen sein! Ein Riese an Geist und Kraft, dem gegenüber wir uns jetzt als Zwerge und Schwächlinge fühlen müssen. Kein Wunder, wenn uns die Kräfte des Lichtes fehlen, mit denen wir die Macht der Finsternis in uns bezwingen könnten! Es kann wiederum nur Jesus, der nie eine Sünde tat und Tod und Teufel bezwang, mit dem Menschen vor dem Sündenfall verglichen werden. Und zu seiner Ähnlichkeit sind wir wieder berufen.
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Adam in seiner Gottebenbildlichkeit war also „Sohn Gottes“ und deshalb fähig, Gott in seiner Fülle zu fassen. Doch war die „Fülle“, die in ihm wohnte, geschöpflich beschränkt, während in Jesus, dem „zweiten Adam“, die ganze Fülle Gottes leibhaftig wohnte. Durch den Sündenfall ist Adam dieser Sohnschaft im engeren Sinne verlustig gegangen; er wurde zum „verlorenen Sohn“. Als solcher spiegelt er nicht mehr die Herrlichkeit Gottes ab, denn er vermag sie nicht mehr zu fassen; vielmehr offenbaren sich in ihm die Wunder der Welt und der Hölle, unter deren Herrschafts- und Machtbereich er gelangte, nachdem er die Gemeinschaft mit Gott verloren hatte. Jetzt herrscht dieselbe Welt über ihn, zu deren Beherrscher er einst von Gott gesetzt war. Er kann nicht mehr den Stoff inspirieren, vielmehr inspiriert nun der Stoff seine Seele, ohne sie je „füllen und stillen“ zu können; denn das innerste Wesen des Menschen ist immer noch auf Gott hin angelegt. Dies ist der Rest des göttlichen Ebenbildes, welches durch Wiedergeburt und Neuschöpfung vom Menschen wieder erlangt werden kann. Dann ist der Mensch ein „wiedergefundener Sohn“.
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Immerhin war die anerschaffene Gottähnlichkeit des Menschen nicht als vollendet, sondern nur als Anlage vorhanden. Die Entfaltung dieser hohen Anlage war abhängig von dem Willen des Menschen. Adam hatte die Wahl, seinen Willen entweder in Gott oder in die Welt oder aber in sich selbst einzuführen. Nur unter der Voraussetzung, dass er in dem leidenden Gehorsamsverhältnis Gott gegenüber verharrte, wozu ihn ja die weibliche Seite seiner Natur besonders befähigte, vermochte sich das Bild Gottes in ihm zu entfalten. Denn so, wie Jesus bei seinem Erdenlauf von sich sagte: „Ich tue nicht meinen Willen, sondern den Willen des, der mich gesandt hat“, so sollte, wenn er im Sohnesverhältnis verharren wollte, auch der Mensch Adam sagen. Nur in der freiwilligen Liebe und Hingabe an den Vater konnte sich das in der Anlage vorhandene Sohneswesen entwickeln. Groß und erhebend ist es für den gefallenen Menschen, zu wissen, dass dies heute noch geschehen kann, falls er das göttliche Gebot erfüllt: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen und von ganzer Seele und aus allen deinen Kräften!“ Eine solche Liebe aber, die „nichts tut, als was sie sieht den Vater tun“, ist die Bedingung, um das, was von Natur vorhanden ist, in den Stand der Vollkommenheit zu erheben; nur auf diese Weise kann die „Natur“ in den „Geist“ erhöht werden.
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Auf dem angedeuteten Weg der Abhängigkeit von Gott wäre der Mensch zur vollen Geistesgemeinschaft mit dem Schöpfer herangereift und hätte der Schöpfung unter ihm das sein können, was für ihn selbst der Schöpfer über ihm war. All sein Denken und all sein Sehnen wären auf den Reichtum der Herrlichkeit Gottes gerichtet geblieben, vor dem seine heilige Seele in Anbetung und Bewunderung gefeiert hätte. Nun er aber dieses Weges verfehlt hat, steht er – und das ist sein Jammer und seine Verkehrtheit – bewundernd vor dem Geschöpf; er wird von ihm innerlich ergriffen und ehrt es, anstatt den Schöpfer. Denn sobald der Mensch nicht mehr von Gott ergriffen ist, ergreifen ihn die Kreatur und die Natur. Diesem Geistesgesetz kann der Mensch nicht entrinnen und ist ihm bis auf den heutigen Tag nicht entgangen.
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Erst in Jesus, der „gehorsam war bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“, ist der wahre Sohnesgehorsam und deshalb auch die wahre Geistesgemeinschaft zwischen Vater und Sohn wieder sichtbar geworden. Er konnte sagen: „Ich und der Vater sind eins.“ In diesem wahren Menschensohne, der seinem Sohnesnamen Ehre machte, ist auch für die „verlorenen Söhne“ Adams wieder Hilfe und Rettung vorhanden; er vermag sie, wenn sie ihm nachfolgen, in dieselbe Lebensgemeinschaft mit dem Vater hineinzuziehen, in der er sich selbst befindet. Dadurch kann der Mensch wieder eingehen in die „Ruhe Gottes, die noch immer vorhanden ist“ als der Erlösungssabbat, der sich für alle diejenigen jetzt schon anbahnt, die innerlich in den Sabbatzustand eingetreten sind. Auf diesen Sabbat wartet die ganze Schöpfung; er wird der Menschheit wiederbringen, was ihr durch den Fall verlorengegangen ist.<br/><br/>
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====<big>Füllet die Erde und macht sie euch  untertan</big>====
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'''IV. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die Erde und machet sie euch untertan, und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Tier, das auf Erden kreucht''' ([[1Mo 1:28]]).<br/>
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Wie Adam auf Gott hin geschaffen und als „Sohn Gottes“ zur Herrscherstellung in der Welt bestimmt war, so war wiederum alles Leben in der Welt auf Adam hin geschaffen. Gott hat ihn zum König über alle erschaffenen Wesen gesetzt; als eine Art „Gott“ sollte er seine Oberherrschaft über Tiere, Pflanzen und Elemente ausüben.
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Vermöge seiner Ebenbildlichkeit war Adam zum Herrschen über die Natur befähigt. Gott, der Mensch und die Natur waren innig verbunden; durch den Mittler Adam wirkte Gott auf die Natur. Diese Beherrschung der Natur ist nicht etwa gleichbedeutend mit Knechtung; vielmehr war Adam eine Quelle höheren Lebens für seine Untertanen, etwa das, was die Sonne der gesamten Natur ist. Ein Strom göttlichen Lichtes und paradiesischen Lebens sollte durch ihn an die Geschöpfe unter ihm vermittelt werden. Sein Herrschen war also keine Vergewaltigung und kein Zwang; er war auch kein König, den die Untertanen ernähren mussten; vielmehr war er reich über alle seine Untertanen und konnte ihnen aus seiner Kräftefülle darreichen, was sie brauchten. Wahr ist allerdings, dass er durch seinen Fall um diese Herrschaft gekommen ist; was wir heute an „Naturbeherrschung“ üben, sind nur schwache Reste jener königlichen Herrschaft. Weithin herrschen nun die Naturgewalten über uns; tritt aber einmal – wie dies in Christus geschah – ein Mensch auf, der wieder Vollmacht hat über die Natur, so erscheinen seine Taten den allermeisten Menschen als unglaubwürdige „Wunder“ oder als eine Art Zauberei. Und doch ist ein Gottesmensch durch die Kraft des Blutes Jesu wieder befähigt und berufen zu solcher Herrschaft. Denn so wenig dem Menschen durch den Fall die Anwartschaft auf das göttliche Ebenbild verloren gegangen ist, ebenso wenig ging ihm die Anwartschaft auf die Herrschaft über die gesamte Natur auf immer verloren. Sehnt sich doch die Natur geradezu nach der „Offenbarung der Kinder Gottes“, damit in der wiederhergestellten Herrschaft des gottähnlichen Menschen für sie die goldene Zeit der Erlösung anbreche. Dadurch wäre nicht nur den Tieren, sondern auch den Elementen geholfen; ihr verhältnismäßig niederes Leben soll durch die Vermittlung des Menschen zu einer höheren Daseinsform erhoben und in Vollkommenheit und Unverweslichkeit hineingezogen werden. Dadurch würden überall paradiesische Zustände hervorgerufen.
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Ein Beispiel von solch herrlichem Zustand gab Gott dem Menschen in der Schaffung des Paradieses. Hier konnte er an einem kleinen Ausschnitt der Schöpfung sehen, welcher Erhöhung und Verherrlichung die ganze Natur fähig sei, wenn alle in sie gelegten Schöpferkräfte entbunden und entfaltet sind. Nur muss, wer ein Paradies schaffen will, in sich selbst paradiesische Zustände tragen. Woher kam es, dass die Welt vor ihrer Erneuerung durch die Schöpfung der sechs Tage wüste und leer war? Nur ein Geist, der in sich Wüste und Leere, d. h. die Hölle trug, konnte sie so verwüsten. Was der Mensch in sich trägt, das prägt sich in seiner Umgebung aus; denn er drückt ihr, bewusst oder unbewusst, seinen eigenen Stempel auf. Deshalb ist es ein lächerliches Unterfangen, den Menschen dadurch bessern zu wollen, dass man ihm äußerlich bessere Zustände schafft. Denn nicht die Kultur schafft den Menschen, sondern der Mensch schafft sich die Kultur. Je höher seine geistige Kultur ist, desto edlere Zustände vermag er in seiner Umgebung hervorzubringen. Die edelsten Zustände aber schaffen Menschen, die Gott am nächsten stehen, nicht aber reine Politiker oder Wissenschaftler. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Propheten im Alten Testament verkündigen, dass mit der Ankunft des Messiaskönigs auf Erden paradiesische Zustände eintreten werden.
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Wie wenig der gefallene Mensch seiner eigentlichen Aufgabe gegenüber der Natur gerecht wird, zeigen die dunklen Blätter der Geschichte. Nach dem Verlust des Ebenbildes vermag er sich der Schöpfung gegenüber nicht mehr richtig zu benehmen. Entweder tut er zu viel oder zu wenig. Bald vergöttert er die Natur und kniet in knechtischer Furcht und grober Unwissenheit anbetend vor dem Geschöpf, das er beherrschen sollte; bald vergewaltigt er dieses bis zur Vernichtung, anstatt es auf eine höhere Lebensstufe zu bringen. So sehr hat der Mensch das richtige Urteil über das Geschöpf verloren. Nur ein Mensch, der Gott kennt und zu ihm im rechten Verhältnis steht, kennt auch seine Stellung zur Natur. Ja er sieht Gott in der Natur und hütet sich schon darum vor ihrem Missbrauch. Sobald die Gotteserkenntnis erlischt, und sobald man den Schöpfer aus der Schöpfung streicht, sobald fängt der Dienst der Götzen an. Es erfüllt sich dann Jeremias Klage: „Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich hie und da ausgehauene Brunnen, die doch löchericht sind und kein Wasser geben.“ Dies ist die zwiefache Sünde einer Wissenschaft, die glaubt, die Geheimnisse der Welt unter Ausschaltung ihres Schöpfers ergründen zu können. Eine Kultur aber, die von solcher Wissenschaft hervorgebracht wird, endigt in ödem Naturalismus. Anstatt auf der Erde einen paradiesischen Frieden hervorzubringen, wonach das Menschenherz im Grunde verlangt, weiß man den ersehnten Frieden höchsten durch drohende Mordinstrumente zu begründen und zu sichern. Es fehlen die sittlichen Grundlagen zu einer Neuordnung des Lebens einer Familie oder eines Volkes, wenn nicht die wahren Bausteine dafür vorhanden sind in Menschen, die in ihrem Innern die angestrebten höheren Ordnungen verwirklichen. Hier liegen die Geheimnisse jeglicher Neuordnung auf sittlichem und religiösem Gebiet; verständlich werden sie aber nur dem, der die besondere Aufgabe des Menschen kennt, die ihm Gott mit der Beherrschung der Natur gestellt hat.<br/><br/>
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Lies weiter: <br/>
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[https://www.bibelwissen.ch/wiki/Der_siebte_Tag '''7. Der siebte Tag'''] ([[2Mo 2:1]]-3)<br/><br/>

Aktuelle Version vom 9. August 2022, 16:50 Uhr

Abschrift des Heftes: Die Schöpfungstage in der großen und in der kleinen Welt
Julius Beck (1887-1962) stammt aus Altingen.
Er war Mittelschullehrer in Calw, nach 1945 Rektor.

Aus der Reihe: Vätererbe Anhang
Zuerst erschienen im „Verlag des Lehrerboten“, Stuttgart-Bad Cannstatt.

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Die Schöpfungstage in der großen und in der kleinen Welt

6. Der sechste Schöpfungstag

(1Mo 1:24-31)
I. Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendige Tiere, ein jegliches nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art. Und es geschah also. Und Gott machte die Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art, und allerlei Gewürm auf Erden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war (1Mo 1:24-25).

So wenig mit der Schöpfungsstufe des fünften Tages die Kraft Gottes erschöpft war, so wenig vermochte die Erde am sechsten Tage vermöge der ihr innewohnenden Kraft etwas Neues aus sich selbst zu erzeugen. Sie bedurfte erneut der sprechenden Kraft Gottes; denn diese ist die eigentliche Schöpferin neuen Lebens, während die Eigenkraft der Erde lediglich dazu fähig ist, die Trägerin jener neuschaffenden Gotteskraft zu sein.

Gottes Gedanken waren mit dem fünften Tag noch nicht vollendet; es waren noch nicht alle in die Erde gelegten Kräfte erlöst und zu einem vollkommenen Dasein gebracht. Gottes Liebe aber kann nicht ruhen, sie habe denn ihr Ziel mit dem Geschöpf erreicht. Mit einer neuen Offenbarung der Kraft seiner Liebe wendet sich Gott am sechsten Tag an die Erde, um sie ihrer Vollendung entgegenzuführen. Der sechste Tag ergänzt zunächst den dritten Tag, indem er die bereits mit Pflanzen geschmückte Erde mit einer Fülle neuer Lebensformen bereichert. Er bringt aber damit auch der Erde ihre letzte Vollendung; denn so viel auch am fünften Tage an Erlöstem geschaffen wurde, erst der sechste Tag brachte das Letzte und Höchste, was Gott der Erde zunächst an Erlösung zu offenbaren hatte. Mochten jedoch die Tiere des sechsten Tages vollkommenere und höher organisierte Wesen sein als alle bisher erschaffenen, so war doch noch nicht alles „sehr gut“. „Doch war noch alles nicht geschehen; dem Ganzen fehlte das Geschöpf, das Gottes Werke dankbar sehen und seine Güte preisen möcht`.“

Wie Gott am fünften Tag Fische aus dem Wasser und Vögel aus der Luft schuf, so ließ er am sechsten Tag Tiere aus der Erde als aus ihrem Element hervorkommen. Und von ihnen gilt noch mehr als vom Menschen die göttliche Bestimmung: „Von Erde bist du genommen und zu Erde sollst du werden!“ Denn nachdem sie dem Menschen gedient haben, vergehen die Tiere und kehren in ihr irdisches Element zurück. Sie sind nicht fähig, höheres Leben in sich aufzunehmen; denn sie sind nicht dazu bestimmt. So wie die Pflanzenwelt des dritten Schöpfungstages dazu berufen ist, mit ihrem unendlichen Lebensreichtum der Tierwelt des sechsten Tages in ihrem Aufbau und in ihrer Bestimmung zu dienen; so ist es die höhere Aufgabe der Tierwelt, dem Menschen in verschiedenster Weise behilflich und dienstbar zu sein.

Die Tiere sind unendlich weniger als der Mensch, und doch näherte sich dieser durch seinen Fall der Tierwelt unheimlich. Der Mensch ist Abbild Gottes; das Tier aber ist nur ein Gedanke Gottes, in dem sich jeweils eine besondere Kraft und Eigenschaft des Schöpfers offenbart. Während der Mensch dazu befähigt und bestimmt ist, eine Fülle göttlichen Lebens zu fassen, stellen die Tiere in ihrem Wesen Gleichnisse einzelner Fähigkeiten und Kräfte Gottes dar. So offenbart der Löwe die Stärke, das Lamm die Geduld, die Schlange die Klugheit und die Taube die Einfalt; und so jedes Tier eine besondere Eigentümlichkeit einer höheren Kraft.

Überaus bezeichnend ist es, was der Mensch aus dem Tier als dem Sinnbild einer höheren Kraft gemacht hat. Der heidnische Mensch verkehrte die Wahrheit, wonach das Tier mehr oder weniger vollkommen eine Verkörperung göttlicher Kräfte ist, und verehrte es als göttlich. Daher kam der Tierkult in Ägypten und anderen Ländern; er erwies dem Geschöpf göttliche Ehre. Rein menschlicher Instinkt dagegen sah im Tier Verkörperungen menschlicher Gemütsbewegungen und Charaktereigenschaften. Insbesondere wurden ihm die Raubtiere sinnbildlicher Ausdruck höchster Kraft; sie dienten und dienen ihm heute noch als Wappenschmuck; so der Löwe in seiner königlichen Art, der Adler mit seinem scharfen Blick, der Bär mit seiner unheimlichen Stärke, der Hirsch mit seinem stolzen Geweih. Dies alles ist an sich ziemlich harmlos, solange dabei nicht eine Vergötterung des Geschöpfes stattfindet. Viel schlimmer erscheint, was die christliche Welt mit dem kreatürlichen Geschöpf, d. h. mit sich selbst getan hat. Auch im Menschen als einem göttlichen Geschöpf finden sich Eigenschaften und Kräfte Gottes. Verehrt und bewundert man die Gaben und Leistungen des Menschen, ohne dem Geber aller Gaben dafür zu danken, so betet man das Geschöpf und nicht den Schöpfer an. So kann Heldenverehrung, Bewundern einer genialen Leistung auf künstlerischem, wissenschaftlichem, religiösem oder wirtschaftlichem Gebiet eine Verunehrung Gottes sein, wenn sich das Geschöpf dadurch selbst ehrt. Auch hier findet eine Verdrehung der göttlichen Wahrheit statt; denn Gott will seine Ehre keinem anderen geben noch seinen Ruhm den Götzen. Damit ist nicht gesagt, dass eine heldenmütige Tat oder ein Opfer der Liebe nicht anerkannt werden dürfte; nur darf kein Missbrauch getrieben werden, der, anstatt Gott zu ehren und anzubeten, zu einer Vergötterung des Menschen führt.

Richtig sieht das Auge derer, die in den Tiersarten Darstellungen und Gleichnisse menschlicher Leidenschaften erblicken; sie bleiben dadurch vor Vergötterung des Geschöpfs bewahrt. Sie treiben mit ihm weder den Missbrauch der Vergötterung, noch auch den der Vergewaltigung und Misshandlung, wozu sich der Mensch in dem Wahn, die Tierwelt zu beherrschen, verleiten lässt.

Am schärfsten ist das Auge des Mystikers, der in den Erscheinungen und Dingen der äußeren Welt Abbilder dessen erblickt, was an Neigungen und Begierden aus dem menschlichen Herzen hervorkommt. Ihm sind die Tiere Gleichnisse unserer sinnlichen Natur. Der Löwe ist ihm Abbild eines herrschsüchtigen und gewalttätigen Menschen; der Fuchs zeigt ihm die menschliche List; das Schwein ist ein Spiegel der Völlerei usw. Der Mystiker ist weit davon entfernt, tierische Offenbarungen seines Wesens zu vergotten oder auch nur gut zu heißen, was doch untermenschlich und untersittlich ist. Mit großem Bedauern nimmt er in sich einen Zustand wahr, der des Öfteren mehr tierisch als menschlich ist. Dies ist nicht sein ureigener, anerschaffener Zustand, in welchem er Gott ähnlich war; vielmehr erkennt er in der Regung tierisch- sinnlicher Triebe seiner Seele eine Verkehrung seiner wahren Natur; diese hofft er durch Überwindung der niederen Anlagen wieder zu erreichen. Um die Herrschaft über sich selbst und seine gefallene Natur zu bekommen, geht er einen Opfergang und schlachtet die Lüste und Begierden, die von unten her stammen, d. h. er kreuzigt sein „Fleisch“, um es in den „Geist“ zu erhöhen. Auf diesem Weg der Selbstverleugnung müssen allmählich sämtliche Tiersarten in der Seele sterben; der Mensch nähert sich wieder der Stufe des göttlichen Ebenbildes, die dem Tier ewig unerreichbar bleibt. Wer dagegen die in ihm sich offenbarenden Tierskräfte nicht bekämpft, dem werden sie gefährlich. Die Gefahr besteht darin, dass das Tierische zur eigentlich beherrschenden Macht in der Seele wird. So wie aber der Lebensraum des Menschen nach oben sich weit über denjenigen des Tieres hinaus erstreckt, so auch nach unten. Geht er den Weg abwärts, dann bleibt er durchaus nicht etwa auf der Stufe des Tieres stehen; er vermag diese beträchtlich zu unterschreiten und landet, ohne dies bewusst zu wollen, auf der Stufe des Teuflischen. Abermals ein Zeichen dafür, dass der Mensch unendlich mehr ist als das Tier; denn er grenzt an Himmel und Hölle und kann beide Möglichkeiten in sich entwickeln. Wie naiv nimmt sich übrigens in solchem Zusammenhang die einst so „hochwissenschaftliche“ Behauptung von der Abstammung des Menschen vom Tiere aus!

„Wer viel böse Lust empfindet,
viele Tiere in sich findet,
die für den Altar geweiht,
soll an Jesu Kreuz sie bringen ...!“ - - -
„Denn ach! Der Mensch – ein erbärmliches Wesen,
weil er an Himmel und Hölle angrenzt –
kann durch sich selber niemals ganz genesen ...!“

Lasset und Menschen machen

II. Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen (1Mo 1:26a).

Das seelisch-tierische Leben war die höchste Stufe irdischen Naturlebens, zu dessen Hervorbringen die Erde befähigt wurde. Eine Fülle göttlicher Kräfte und ein Reichtum seiner Herrlichkeit waren durch die Arbeit Gottes in den bisherigen Schöpfungstagen offenbar geworden. Die Besonderheit der bis jetzt geschaffenen Dinge und Wesen bestand darin, dass sie alle zusammen die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der göttlichen Kräfte und der göttlichen Weisheit abspiegelten. Es war aber noch kein Geschöpf vorhanden, das mit der Fülle seiner Gaben und Kräfte und der Art seines Lebens auch nur annähernd an Gott angegrenzt hätte. Dieses Geschöpf wurde der Mensch, Gottes höchste Gabe an die Schöpfung.

Bei der Schöpfung seiner bisherigen Werke wendete sich Gott einfach befehlend an die Welt; bei der Erschaffung des Menschen, der ein Bindeglied zwischen dem Schöpfer und der übrigen Schöpfung werden sollte und der darum mehr als jedes andere Geschöpf, jedoch immer noch bedeutend weniger als der Schöpfer selbst war, ging Gott mit sich selbst in eine besondere Beratung. Er rief dieses Mal höhere Kräfte, als in der Erde verborgen lagen, zum Werden auf. Denn im Menschen wollte sich Gott auf eine viel höhere Weise offenbaren als in allen übrigen Wesen; er sollte der Zentralpunkt und die Vollendung der ganzen Schöpfung werden. Ohne den Menschen fehlt es der Schöpfung an jener inspirierenden und belebenden Kraft, durch welche sie aus der Knechtschaft eines rein stofflichen Daseins erlöst wird. Denn der Mensch sollte das Herz, das innerste Leben der gesamten Schöpfung werden. Seitdem er durch seinen Fall diese Bestimmung verfehlt hat, seufzt die Kreatur und wartet mit Sehnsucht und Schmerz auf die Stunde, in welcher der Mensch wieder in seiner vollen Kraft und Herrlichkeit zum Heiland der seufzenden Kreatur wird. Aber der Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben; er hat seine Quellen nicht in sich selbst, auch nicht im Geschöpf, solange er in der richtigen Verfassung steht. Vielmehr liegt seine Bestimmung darin, zu empfangen und das Empfangene weiterzugeben; beherrscht zu werden, um selbst wieder herrschen zu können. Er ist das empfangende Werkzeug einer höheren Macht, in welcher er seine Ruhe und seinen Sabbat findet und deren höherer Leitung er bedarf. Dies ist das „Sohnesverhältnis“, in welchem Christus dauernd gestanden ist; denn „er tat nicht seinen Willen“. Von diesem leidenden Gehorsamsverhältnis hängt die hohe Bestimmung des Menschen ab; beschränkt er sich aber auf sich selbst, d. h. führt er ein Leben in sich selbst, oder ruhen seine Quellen gar im Geschöpf, so wird seine hohe Bestimmung und der Bestand seiner eigenen Natur unhaltbar. Er ist dann nicht mehr „Mensch“ im Vollsinn des Wortes, nicht mehr vollkommen. Er bedarf dann erst der Erlösung, um die Kreatur um ihn herum in den höheren Lebenskreis seines Friedens und seiner Erlösung emporführen zu können. –

Der sechste Tag ist die Stufe der Vollendung auch des inneren Lebens. Hier erreicht der gefallene Mensch in der Neuschöpfung wieder die Stufe „Mensch“. Alle vorherigen Stufen sind nur Wachstums- und Vorbereitungsstände; für sie gilt das Wort 1Jo 3:2: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.“ Am sechsten Schöpfungstag jedoch wird das Geheimnis „Mensch“ in uns wieder offenbar; der Mensch ist wieder Ebenbild Gottes und als solcher Herr der Schöpfung

Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde

III. Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn (1Mo 1:27a).

Aus dem dichterischen Schwung der Textesworte schon fühlt man das Besondere bei der Erschaffung des Menschen heraus; der Parallelismus der Glieder, der zum Wesen der hebräischen Poesie gehört wie der Reim bei unserer Dichtung, tritt hier zum ersten Mal in der Bibel auf; ein Jubelton ist es, der aus ihm spricht.

Und das, was vorging, war auch Grund zum Jubeln für die Schöpfung; ihr wurde mit der Erschaffung des Menschen die Krone aufgesetzt! Im Menschen fasste der Schöpfer alle die Kräfte, die er zur Erschaffung der Welt und ihrer Bewohner eingesetzt hatte, zusammen, um den Makrokosmos, die große Welt, im Menschen als in einem Mikrokosmos, einer kleinen Welt, noch einmal darzustellen.

Doch ging er dabei weit über den bisherigen Kräfteeinsatz hinaus. Auch diese Tatsache ist in dem kurzen Text angedeutet. Hieß es bei Himmel und Erde kurz: „Gott schuf sie“; beim Licht: „Es werde“ und bei Sonne und Mond: „Gott machte sie“, so klingen die Worte, mit denen Gott an die Schöpfung des Menschen herantrat, geradezu feierlich und erhaben: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei!“ Das Wörtchen „uns“, das hier der Schöpfer gebraucht, bedeutet mehr als nur eine „Aufforderung an die übrige Schöpfung“. Die Dreiheit selbst, Gott und das Wort und der Geist, gehen hier mit sich zu Rat, um ein kreatürliches Abbild der Heiligen Dreieinigkeit zu schaffen. Wie hoch muss der Mensch in Gottes Augen geachtet sein, wenn sich alle Kräfte der Gottheit zu seiner Erschaffung bewegen! Und wie hoch muss der Ursprung des Menschen sein, der so unmittelbar aus den „Händen des Schöpfers“ hervorgeht!

Was ist aber der Mensch? Das eben ist die Frage, auf welche kein menschlicher Verstand und keine Wissenschaft eine letzte Antwort zu geben vermögen. Unsere Textstelle gibt uns zur Antwort: „Der Mensch ist Gottes Bild.“

Formell ist mit diesen Worten so viel gesagt, dass Gott in der Erschaffung des Menschen das Höchste aus sich offenbarte, was er der ersten Schöpfung zu geben beabsichtigte. Das schließt nicht aus, dass er am siebten Tag eine noch höhere Offenbarung aus sich herausgab als an allen vorhergehenden sechs Schöpfungstagen; ebenso wenig dass er am neutestamentlichen „Tag des Heils“ abermals höhere Erlösungsoffenbarungen zeigte, welche diejenigen der ersten Schöpfung weit überstrahlen.

Im Menschen als der höchsten Offenbarung der ersten Schöpfung vollendete Gott sein ganzes Werk, um es am Schöpfungssabbat in seine beseligende Gemeinschaft und in seine Ruhe einzubeziehen. Durch den Menschen wollte er mit der ganzen Schöpfung in eine geistige Gemeinschaft treten; der Mensch sollte Vertreter des Schöpfers und Vermittler zwischen ihm und der ganzen Schöpfung sein. Im Mikrokosmos, der „ein kleines Ganzes vom großen Ganzen“ war, wollte Gott mit seiner Herrlichkeit wohnen. Von da aus sollte der ganzen übrigen Schöpfung der Reichtum des göttlichen Lebens als aus einer Quelle zufließen, ähnlich wie die Sonne unserer Erde höhere Kräfte vermittelt. Um ein solch hohes Wesen zu schaffen, konnte das Vorbild der Tiere, welches Gott bereist in mannigfacher Gestalt und Art hervorgebracht hatte, nicht genügen. Nur sein eigenes Bild konnte als Vorlage in Betracht kommen für ein Wesen, für welches er alles Bisherige geschaffen hatte und das er im Besonderen für sich selbst und für seinen Umgang schuf. Gab es aber ein solches „Bild Gottes“, nach welchem Gott den Menschen bilden konnte? Jesus sagte bei seinem Hiersein: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ Er ist also das „Ebenbild“ Gottes, der „Erstgeborene vor allen Kreaturen“, die sogenannte „himmlische Menschheit“, nach welcher der irdische Mensch Adam geschaffen wurde. Wie unendlich viel ist damit bereits angedeutet über Ursprung, Wesen und Bestimmung des Menschen! Der von Gott Kommende und zu Gott Geschaffene findet nirgends Ruhe oder Ersatz für Gott; alles in der Schöpfung, das ihn zu beseligen scheint, muss ihn eines Tages enttäuschen, weil er nur in Gott, nicht aber im Geschöpf, das doch weit unter ihm steht, seine Ruhe und Ergänzung finden kann. Ohne Gott aber irrt der Mensch unstet und ruhelos, ja einsam und verlassen unter der Menge der sichtbaren Geschöpfe umher; denn der göttlich Geadelte findet seinen Himmel nur im Umgang mit Gott, während der Umgang mit dem Geschöpf ihm die Hölle in irgendeiner Form schafft. Möge er darum die Mahnung beherzigen: „Such alles aus im Schöpfungsraume und auch in der Unendlichkeit; du find`st nur Ruh` beim Lebensbaume, Genüge an der Herrlichkeit!“-

Gleichheit des Menschen mit Gott bedeutet ein Doppeltes: eine äußerliche und eine innerliche Ebenbildlichkeit. Die Gestalt des ersten Menschen kommt irgendwie der Gestalt Gottes gleich, das innere Wesen des Menschen ist mit dem Wesen Gottes verwandt. Zwar heißt es von Gott, dass er Geist sei; aber jeder Geist, der ja an sich unsichtbar ist, baut sich ein Haus, einen Leib, ein Kleid; und „Licht ist das Kleid, das Du anhast“. Also auch die Leiblichkeit des Menschen trug vor dem Fall die Würde göttlicher Herrlichkeit an sich. Es war ein Leib, der ein unsterbliches Organ der dem Menschen innewohnenden göttlichen Fülle war und dem Auferstehungsleib der Gerechten gleichen mochte, die „leuchten werden wie die Sonne“ in ihres Vaters Reich. Gleichwohl möchte man, eben im Blick auf den einstigen Auferstehungsleib des Menschen, fragen, welchem Stoff der Leib des ersten Menschen entnommen war. Nach unserer jetzigen Leiblichkeit zu schließen, dürften die alten Kabbalisten weithin recht haben, die behaupten, dass der Mensch aus drei Teilen zusammengesetzt sei: aus Leib, Seele und Geist. Der Leib ist ihm aus den Elementen der Erde geworden, die Seele aus dem Geist der Welt, sein Geist oder Gemüt aber aus Gott. Klarer wird die Vorstellung von der einstigen Beschaffenheit des Menschenleibes, wenn man bedenkt, dass der Mensch nach seinem ganzen Wesen ein Auszug aus allen geschaffenen Dingen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt war. Der Leib, welcher das Organ war, mit dem er auf die sichtbare Welt zu wirken hatte, gehörte zweifellos der sichtbaren Welt zu. Dies soll aber nicht heißen, dass er dem nach dem Fall uns gewordenen Erdenleib gleich gewesen sei; vielmehr stammte der Stoff zum menschlichen Leib aus den Elementen der damaligen sichtbaren Welt. Bei der vor dem Fall bestehenden vollkommenen Harmonie zwischen Leib, Seele und Geist des Menschen herrschte kein Zwiespalt zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt, wie dies jetzt bei uns der Fall ist; vielmehr war das Sichtbare verschlungen von der Kraft des Unsichtbaren, das höhere Gesetz der Geisteswelt beherrschte die Welt der Erscheinung und erhöhte sie in die Unsichtbarkeit. Ein Bild und Gleichnis davon liegt in der Verklärung Jesu, bei welcher „seine Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine `Kleider ́ weiß wurden als ein Licht“. Auch hier war das äußere Reich der Leiblichkeit verschlungen von dem inneren Reich des Lichts.

So war also Adams Leib ein paradiesischer Leib, der sich zum jetzigen Körper des Menschen verhalten mochte wie der Tag zur Nacht. Ist doch die dem Menschen durch den Fall und die Entartung im Lauf der Zeit gewordene Leiblichkeit oft geradezu ein Hindernis des Geistes, dem sie als williges Organ dienen sollte. Ja es geht ein Riss durch den Menschen hindurch, insofern der Leib von Gesetzen eines andern Reiches beherrscht wird als das geistige Innere des Menschen. Und noch eine Kluft besteht beim natürlichen Menschen zwischen Seele und Geist, oder wie Paulus Röm. 7 sagt, zwischen Gliedern und Gemüt, die zweierlei sich widerstreitenden Gesetzen unterworfen sind. Auf alle Fälle erhielt der Mensch seine heutige grobe Leiblichkeit, „in welcher nichts Gutes wohnt“, erst durch den Sündenfall. Dennoch ist auch dieser Leib noch ein großes Kunstwerk des Schöpfers, welcher sein Ebenbild auch nach dem Fall nicht aller Herrlichkeit entkleidete. Gott hat es sogar auf eine Erhöhung der jetzigen Leiblichkeit abgesehen, wenn er schon im Alten Testament die Heiligung auch des Leibes verlangte, während es im Neuen Testament heißt: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ Unser Leib ist also fähig, von dem erlösten Geist in dieselbe Heiligkeit hineingezogen zu werden. Darum gilt für jeden die sittliche Bestimmung, dass nicht nur die Seele, sondern auch der Leib heilig gehalten werden soll; denn man kann nicht innerlich ein Engel und äußerlich ein Teufel sein. Höchstens unreine Dämonen begnügen sich in der Not mit einer rein tierischen Körperlichkeit (Matth. 8, 32). Der Mensch aber tut seinem Leib viel Ehre an; ja er schmückt ihn mit den ausgesuchtesten Formen und Farben, um dessen Herrlichkeit zu erhöhen. So verkehrt ein solches Tun im Einzelnen sein mag, so ist es doch ein Zeichen von dem inneren Bedürfnis des Menschen, sich eine leuchtende und eindrucksvolle Körperlichkeit zu schaffen. Doch wird einst nur der geistig und seelisch vollkommene Mensch mit der ihm entsprechenden Leibesherrlichkeit angetan werden, wenn er in der Auferstehung „Ihm gleich sein wird“; denn eine vollendete Leiblichkeit ohne einen vollendeten Geist wäre abermals ein Widerspruch wie der zwischen dem Sünden- und Geistesgesetz, die im Menschen herrschen und ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. –

So wichtig die Frage nach der vormaligen Leiblichkeit des Menschen sein mag, da ihre richtige Beantwortung zugleich die Frage nach der Beschaffenheit des Auferstehungsleibes beleuchtet, so bestand doch die Ebenbildlichkeit des Menschen nicht so sehr in seiner Leiblichkeit, als in der Beschaffenheit seiner Innenwelt, seiner Seele und seines Geistes. Es mag jetzt schon darauf aufmerksam gemacht werden, wie furchtbar die Folgen des Sündenfalls für jene Geisteswelt des Paradiesmenschen Adam gewesen sein mögen, wenn sie schon für den weniger bedeutsamen Teil seines Wesens, nämlich seinen Leib, so verheerend waren, dass er dadurch unter das Gesetz des Todes und der Verwesung geriet. Angesichts dieser Tatsache versteht man die Klage des Dichters: „Ach, was hat Adams Fall auf diesem Erdenball doch angericht`t!“ Der biblische Schöpfungsbericht sagt nicht genau, worin die Ebenbildlichkeit des Menschen bestanden habe. Nur so viel lässt sich aus ihm erkennen, dass der Mensch eine ganz einzigartige Stellung sowohl gegenüber der Schöpfung unter ihm als gegenüber dem Schöpfer über ihm eingenommen habe. Er war Haupt und Herz der Natur und vermochte mit Hilfe seiner stofflichen Leiblichkeit und der ihm innewohnenden göttlichen Kraft König und Priester der Schöpfung zu sein. Durch ihn floss der Strom von Gottes Licht und Leben auf die Geschöpfe in der Natur. Zweifellos vermochte Adam dadurch die Tiere nicht nur zu benennen, sondern auch kraftmagisch zu beherrschen.

Seine einzigartige Anlage befähigte ihn aber zu noch mehr: er war dazu begnadigt, vermöge des göttlichen Adels seiner Seele in eine innere Lebensgemeinschaft mit Gott zu gelangen; war er doch „göttlichen Geschlechts“! Ihm war das Bild Gottes, welches das „Wort“ oder die himmlische Weisheit ist, in die Seele eingeprägt. Und nur in diesem Bild konnte er Gott wohl gefallen; denn „vor ihm nichts gilt, als sein eigen Bild“. So war der Mensch in geschöpflichem Sinn ein „Sohn Gottes“. Eine ähnliche Bedeutung, wie sie Jesus als dem „Herrn des Himmels“ innewohnte, besaß Adam als „Herr der Erde“. Einen besonderen Hinweis auf die innere Natur des Menschen gibt die kurze Auslegung des Begriffes „zum Bilde Gottes“ in den Worten: „Und er schuf sie als Mann und Weib („ein Männlein und Fräulein“). Ist diese Bemerkung unwesentlich oder drückt sie bereits die Erschaffung von zwei Menschen aus? Da Eva erst später „aus der Rippe Adams“ genommen wurde, liegt in dieser Andeutung ein tieferes Geheimnis, eben in Bezug auf das Wesen der Gottebenbildlichkeit des ersten Menschen. So unbegreiflich es für unsere Vernunft sein mag, so will hier offenbar gesagt werden, dass der erste Mensch beide Geschlechter, das männliche und das weibliche, unzertrennt in sich hatte und insofern das Bild Gottes an sich trug. Da Gott ein Schöpfer sowohl der männlichen als auch der weiblichen Wesen ist, so liegt keinerlei Widerspruch in der Behauptung, dass auch in ihm beide Wesenheiten (=Tinkturen) unzerteilt wohnen und sein „Bild“ ausmachen. Denn in Gott wohnt sowohl die Gerechtigkeit als die Liebe; jene ist eine männliche, diese eine weibliche Eigenschaft; er ist sowohl Feuer, d. h. männlicher Art, als Licht, d. h. weiblicher Art. Und wie in Gott diese beiden Naturen unzertrennlich sind, so sollten sie auch im Menschen unzertrennlich sein. Die größte Herrlichkeit und Vollkommenheit des Menschen bestand eben darin, dass er anfänglich beide Tinkturen in einer Person vereinigte. Wie stark, ja geradezu gewaltig musste die Persönlichkeit des ersten Menschen gewesen sein; kein Wunder, dass er der Beherrscher der Schöpfung war! Eine Parallele zu Adam vor dem Fall ist Jesus, der ebenfalls Macht hatte über Elemente, Geschöpfe und alle lebenden Wesen. Und so tief ist das Ebenbild Gottes dem Menschen eingegraben, dass er es niemals wieder verlieren kann, auch dann nicht, wenn er bis in die unterste Hölle hinab verdammt werden müsste. Wohl wird es durch die Sünde im Menschen verdeckt und entstellt; aber das ganze Erlösungswerk Gottes in Christus geht dahin, dieses verschüttete Bild Gottes in uns wieder zu erwecken und zu erneuern. Sind wir doch nach Röm 8:29 „dazu verordnet, dass wir gleich sein sollen dem Ebenbilde seines Sohnes“. Diesem Sohn aber, der der innergöttliche Sohn war, ist der Mensch als der innerweltliche Sohn Gottes nachgeschaffen.

Es ist für uns gefallene Menschen kaum vorstellbar, wie stark sich diese männlich-weiblichen Kräfte in der Seele Adams äußerten. Er fand in sich die Feuers- und Lichtkräfte vor, wie sie in Gott wirkten; sowohl das männlich- wirksame als das weiblich-leidsame Wesen war ihm eigen. Darüber sagt ein bekannter Theosoph: „Der Mensch bekam die göttliche Weisheit zur Braut, weil er das Bild Gottes war. In diese hätte sein Gemüt einschauen, durch sie hätte er sich offenbaren sollen, dann wären Geburten nach Gottes Gleichnis aus ihm gekommen und an ihm gewachsen wie an einem Baume.“ Wie reich mag übrigens diese erste Menschenseele, vollends in der Harmonie aller ihrer Kräfte, gewesen sein! Ein Riese an Geist und Kraft, dem gegenüber wir uns jetzt als Zwerge und Schwächlinge fühlen müssen. Kein Wunder, wenn uns die Kräfte des Lichtes fehlen, mit denen wir die Macht der Finsternis in uns bezwingen könnten! Es kann wiederum nur Jesus, der nie eine Sünde tat und Tod und Teufel bezwang, mit dem Menschen vor dem Sündenfall verglichen werden. Und zu seiner Ähnlichkeit sind wir wieder berufen.

Adam in seiner Gottebenbildlichkeit war also „Sohn Gottes“ und deshalb fähig, Gott in seiner Fülle zu fassen. Doch war die „Fülle“, die in ihm wohnte, geschöpflich beschränkt, während in Jesus, dem „zweiten Adam“, die ganze Fülle Gottes leibhaftig wohnte. Durch den Sündenfall ist Adam dieser Sohnschaft im engeren Sinne verlustig gegangen; er wurde zum „verlorenen Sohn“. Als solcher spiegelt er nicht mehr die Herrlichkeit Gottes ab, denn er vermag sie nicht mehr zu fassen; vielmehr offenbaren sich in ihm die Wunder der Welt und der Hölle, unter deren Herrschafts- und Machtbereich er gelangte, nachdem er die Gemeinschaft mit Gott verloren hatte. Jetzt herrscht dieselbe Welt über ihn, zu deren Beherrscher er einst von Gott gesetzt war. Er kann nicht mehr den Stoff inspirieren, vielmehr inspiriert nun der Stoff seine Seele, ohne sie je „füllen und stillen“ zu können; denn das innerste Wesen des Menschen ist immer noch auf Gott hin angelegt. Dies ist der Rest des göttlichen Ebenbildes, welches durch Wiedergeburt und Neuschöpfung vom Menschen wieder erlangt werden kann. Dann ist der Mensch ein „wiedergefundener Sohn“.

Immerhin war die anerschaffene Gottähnlichkeit des Menschen nicht als vollendet, sondern nur als Anlage vorhanden. Die Entfaltung dieser hohen Anlage war abhängig von dem Willen des Menschen. Adam hatte die Wahl, seinen Willen entweder in Gott oder in die Welt oder aber in sich selbst einzuführen. Nur unter der Voraussetzung, dass er in dem leidenden Gehorsamsverhältnis Gott gegenüber verharrte, wozu ihn ja die weibliche Seite seiner Natur besonders befähigte, vermochte sich das Bild Gottes in ihm zu entfalten. Denn so, wie Jesus bei seinem Erdenlauf von sich sagte: „Ich tue nicht meinen Willen, sondern den Willen des, der mich gesandt hat“, so sollte, wenn er im Sohnesverhältnis verharren wollte, auch der Mensch Adam sagen. Nur in der freiwilligen Liebe und Hingabe an den Vater konnte sich das in der Anlage vorhandene Sohneswesen entwickeln. Groß und erhebend ist es für den gefallenen Menschen, zu wissen, dass dies heute noch geschehen kann, falls er das göttliche Gebot erfüllt: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen und von ganzer Seele und aus allen deinen Kräften!“ Eine solche Liebe aber, die „nichts tut, als was sie sieht den Vater tun“, ist die Bedingung, um das, was von Natur vorhanden ist, in den Stand der Vollkommenheit zu erheben; nur auf diese Weise kann die „Natur“ in den „Geist“ erhöht werden.

Auf dem angedeuteten Weg der Abhängigkeit von Gott wäre der Mensch zur vollen Geistesgemeinschaft mit dem Schöpfer herangereift und hätte der Schöpfung unter ihm das sein können, was für ihn selbst der Schöpfer über ihm war. All sein Denken und all sein Sehnen wären auf den Reichtum der Herrlichkeit Gottes gerichtet geblieben, vor dem seine heilige Seele in Anbetung und Bewunderung gefeiert hätte. Nun er aber dieses Weges verfehlt hat, steht er – und das ist sein Jammer und seine Verkehrtheit – bewundernd vor dem Geschöpf; er wird von ihm innerlich ergriffen und ehrt es, anstatt den Schöpfer. Denn sobald der Mensch nicht mehr von Gott ergriffen ist, ergreifen ihn die Kreatur und die Natur. Diesem Geistesgesetz kann der Mensch nicht entrinnen und ist ihm bis auf den heutigen Tag nicht entgangen.

Erst in Jesus, der „gehorsam war bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“, ist der wahre Sohnesgehorsam und deshalb auch die wahre Geistesgemeinschaft zwischen Vater und Sohn wieder sichtbar geworden. Er konnte sagen: „Ich und der Vater sind eins.“ In diesem wahren Menschensohne, der seinem Sohnesnamen Ehre machte, ist auch für die „verlorenen Söhne“ Adams wieder Hilfe und Rettung vorhanden; er vermag sie, wenn sie ihm nachfolgen, in dieselbe Lebensgemeinschaft mit dem Vater hineinzuziehen, in der er sich selbst befindet. Dadurch kann der Mensch wieder eingehen in die „Ruhe Gottes, die noch immer vorhanden ist“ als der Erlösungssabbat, der sich für alle diejenigen jetzt schon anbahnt, die innerlich in den Sabbatzustand eingetreten sind. Auf diesen Sabbat wartet die ganze Schöpfung; er wird der Menschheit wiederbringen, was ihr durch den Fall verlorengegangen ist.

Füllet die Erde und macht sie euch untertan

IV. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die Erde und machet sie euch untertan, und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Tier, das auf Erden kreucht (1Mo 1:28).

Wie Adam auf Gott hin geschaffen und als „Sohn Gottes“ zur Herrscherstellung in der Welt bestimmt war, so war wiederum alles Leben in der Welt auf Adam hin geschaffen. Gott hat ihn zum König über alle erschaffenen Wesen gesetzt; als eine Art „Gott“ sollte er seine Oberherrschaft über Tiere, Pflanzen und Elemente ausüben.

Vermöge seiner Ebenbildlichkeit war Adam zum Herrschen über die Natur befähigt. Gott, der Mensch und die Natur waren innig verbunden; durch den Mittler Adam wirkte Gott auf die Natur. Diese Beherrschung der Natur ist nicht etwa gleichbedeutend mit Knechtung; vielmehr war Adam eine Quelle höheren Lebens für seine Untertanen, etwa das, was die Sonne der gesamten Natur ist. Ein Strom göttlichen Lichtes und paradiesischen Lebens sollte durch ihn an die Geschöpfe unter ihm vermittelt werden. Sein Herrschen war also keine Vergewaltigung und kein Zwang; er war auch kein König, den die Untertanen ernähren mussten; vielmehr war er reich über alle seine Untertanen und konnte ihnen aus seiner Kräftefülle darreichen, was sie brauchten. Wahr ist allerdings, dass er durch seinen Fall um diese Herrschaft gekommen ist; was wir heute an „Naturbeherrschung“ üben, sind nur schwache Reste jener königlichen Herrschaft. Weithin herrschen nun die Naturgewalten über uns; tritt aber einmal – wie dies in Christus geschah – ein Mensch auf, der wieder Vollmacht hat über die Natur, so erscheinen seine Taten den allermeisten Menschen als unglaubwürdige „Wunder“ oder als eine Art Zauberei. Und doch ist ein Gottesmensch durch die Kraft des Blutes Jesu wieder befähigt und berufen zu solcher Herrschaft. Denn so wenig dem Menschen durch den Fall die Anwartschaft auf das göttliche Ebenbild verloren gegangen ist, ebenso wenig ging ihm die Anwartschaft auf die Herrschaft über die gesamte Natur auf immer verloren. Sehnt sich doch die Natur geradezu nach der „Offenbarung der Kinder Gottes“, damit in der wiederhergestellten Herrschaft des gottähnlichen Menschen für sie die goldene Zeit der Erlösung anbreche. Dadurch wäre nicht nur den Tieren, sondern auch den Elementen geholfen; ihr verhältnismäßig niederes Leben soll durch die Vermittlung des Menschen zu einer höheren Daseinsform erhoben und in Vollkommenheit und Unverweslichkeit hineingezogen werden. Dadurch würden überall paradiesische Zustände hervorgerufen.

Ein Beispiel von solch herrlichem Zustand gab Gott dem Menschen in der Schaffung des Paradieses. Hier konnte er an einem kleinen Ausschnitt der Schöpfung sehen, welcher Erhöhung und Verherrlichung die ganze Natur fähig sei, wenn alle in sie gelegten Schöpferkräfte entbunden und entfaltet sind. Nur muss, wer ein Paradies schaffen will, in sich selbst paradiesische Zustände tragen. Woher kam es, dass die Welt vor ihrer Erneuerung durch die Schöpfung der sechs Tage wüste und leer war? Nur ein Geist, der in sich Wüste und Leere, d. h. die Hölle trug, konnte sie so verwüsten. Was der Mensch in sich trägt, das prägt sich in seiner Umgebung aus; denn er drückt ihr, bewusst oder unbewusst, seinen eigenen Stempel auf. Deshalb ist es ein lächerliches Unterfangen, den Menschen dadurch bessern zu wollen, dass man ihm äußerlich bessere Zustände schafft. Denn nicht die Kultur schafft den Menschen, sondern der Mensch schafft sich die Kultur. Je höher seine geistige Kultur ist, desto edlere Zustände vermag er in seiner Umgebung hervorzubringen. Die edelsten Zustände aber schaffen Menschen, die Gott am nächsten stehen, nicht aber reine Politiker oder Wissenschaftler. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Propheten im Alten Testament verkündigen, dass mit der Ankunft des Messiaskönigs auf Erden paradiesische Zustände eintreten werden.

Wie wenig der gefallene Mensch seiner eigentlichen Aufgabe gegenüber der Natur gerecht wird, zeigen die dunklen Blätter der Geschichte. Nach dem Verlust des Ebenbildes vermag er sich der Schöpfung gegenüber nicht mehr richtig zu benehmen. Entweder tut er zu viel oder zu wenig. Bald vergöttert er die Natur und kniet in knechtischer Furcht und grober Unwissenheit anbetend vor dem Geschöpf, das er beherrschen sollte; bald vergewaltigt er dieses bis zur Vernichtung, anstatt es auf eine höhere Lebensstufe zu bringen. So sehr hat der Mensch das richtige Urteil über das Geschöpf verloren. Nur ein Mensch, der Gott kennt und zu ihm im rechten Verhältnis steht, kennt auch seine Stellung zur Natur. Ja er sieht Gott in der Natur und hütet sich schon darum vor ihrem Missbrauch. Sobald die Gotteserkenntnis erlischt, und sobald man den Schöpfer aus der Schöpfung streicht, sobald fängt der Dienst der Götzen an. Es erfüllt sich dann Jeremias Klage: „Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich hie und da ausgehauene Brunnen, die doch löchericht sind und kein Wasser geben.“ Dies ist die zwiefache Sünde einer Wissenschaft, die glaubt, die Geheimnisse der Welt unter Ausschaltung ihres Schöpfers ergründen zu können. Eine Kultur aber, die von solcher Wissenschaft hervorgebracht wird, endigt in ödem Naturalismus. Anstatt auf der Erde einen paradiesischen Frieden hervorzubringen, wonach das Menschenherz im Grunde verlangt, weiß man den ersehnten Frieden höchsten durch drohende Mordinstrumente zu begründen und zu sichern. Es fehlen die sittlichen Grundlagen zu einer Neuordnung des Lebens einer Familie oder eines Volkes, wenn nicht die wahren Bausteine dafür vorhanden sind in Menschen, die in ihrem Innern die angestrebten höheren Ordnungen verwirklichen. Hier liegen die Geheimnisse jeglicher Neuordnung auf sittlichem und religiösem Gebiet; verständlich werden sie aber nur dem, der die besondere Aufgabe des Menschen kennt, die ihm Gott mit der Beherrschung der Natur gestellt hat.

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7. Der siebte Tag (2Mo 2:1-3)