Der falsch verstandene Jakobusbrief

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Von Daniel Muhl

Einführung

Den Jakobusbrief empfinde ich wie ein "Stiefkind" unter den Briefen der Apostel (zumindest in etlichen Kreisen, die ich kenne).

Zwar werden immer wieder einzelne Textstellen aus diesem Brief zitiert, aber eine Gesamtbetrachtung dieser 5 Kapitel ist schon eher eine Seltenheit. Das liegt aus meiner Sicht daran, dass dieser Brief an etlichen Stellen falsch oder gar nicht verstanden wird. Ich selbst habe ihn über dreissig Jahre missverstanden, nicht zuletzt deshalb, weil ihn auch meine geistlichen Lehrer falsch interpretiert haben. Dieses Phänomen ist aber keine Seltenheit und betrifft auch namhafte Persönlichkeiten, wie z. B. Martin Luther! In Wikipedia finden wir u.a.

"Martin Luther jedoch stellte die Kanonizität des Jakobusbriefes in Frage, weil diese Schrift nach seinem Verständnis den Werken anstelle des Glaubens die Rechtfertigung zuschreibe (s. WA DB 7, 384).
...
Schon früh sahen Kommentatoren theologische Spannungen zwischen dem Jakobusbrief und den Briefen des Paulus. Martin Luther empfand den Gegensatz in der Frage der Rechtfertigung als so schwerwiegend, dass er den Jakobusbrief als eine stroherne Epistel bezeichnete. Daher verschob er ihn fast ans Ende des Neuen Testaments."

Heinz Schumacher schreibt zum Jakobusbrief:

"Die Ausführungen in Jak 2:14-26 scheinen der paulinischen Rechtfertigungslehre (nach Röm 3 und Röm 4) zu widersprechen. (Der Römerbrief lag wohl noch nicht vor, aber die mündliche Verkündigung des Paulus hatte schon begonnen.) Im Grunde kämpfen aber beide Apostel nicht gegeneinander. Jakobus wehrt sich gegen eine Heilslehre, die sich mit dem Glauben begnügt und auf Taten der Liebe verzichtet, was Paulus nie vertreten hat (vgl. Gal 5:6 - Eph 2:10). Dennoch sind gewisse Aussagen des Jakobus (Jak 2:14 - Jak 2:21) mit der Lehre des Paulus nicht ohne weiteres zu vereinbaren- –"

Mein Großvater Arthur Muhl, aber auch konkordante und andere Glaubensgemeinschaften ordneten die "Rechtfertigungslehre" des Jakobusbriefes dem "Evangelium der Beschneidung" (Gal 2:7) zu, indem sie auf die Adressaten des Jakobusbriefes hinwiesen. Diese wiederum waren die zwölf Stämme in der Zerstreuung (griech. diaspora; Jak 1:1). Damit dürfte das Volk Israel gemeint sein und somit Israeliten, die zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Heute würde man sie u. a. auch als "messianische Juden" bezeichnen. Wir werden aber noch sehen, dass der Jakobusbrief für die Nationenchristen genauso wichtig ist, wie für die genannten zwölf Stämme. Für die Vertreter der oben genannten Lehre besteht zwischen dem "Evangelium der Bescheidung" und dem "Evangelium der Unbeschnittenheit" ein lehrmäßiger Unterschied. Dieser "Unterschied" wird dann vor allem in den scheinbar widersprüchlichen Aussagen zwischen Jakobus und Paulus festgemacht. Denken wir z. B. nur an folgende Aussagen:

  • Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, hat aber keine Werke? Kann etwa der Glaube ihn erretten? (Jak 2:14)
  • Ist nicht Abraham, unser Vater, aus Werken gerechtfertigt worden, da er Isaak, seinen Sohn, auf den Opferaltar legte? (Jak 2:21)

Paulus hingegen, machte Aussagen, die uns eine ganze andere Perspektive aufzeigt:

  • Denn aus Gnade seid ihr errettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es! (Eph 2:8)
  • Denn wir urteilen, dass [der] Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. (Röm 3:28)

Wenn man diese Aussagen einander gegenüberstellt, realisiert man zuerst einmal einen großen "Widerspruch". Martin Luther ärgerte sich über die Aussagen von Jakobus, weil er meinte, dass sie die überaus kostbare Rechtfertigungslehre des Apostels Paulus im Römerbrief schmälern oder gar komplett infrage stellen (das sind jetzt meine Worte). Darum zweifelte er auch daran, dass der Jakobusbrief zu Gottes Wort gezählt werden kann. Am liebsten hätte er diesen Brief aus dem Kanon entfernt.

Auf den ersten Blick kann man Luther durchaus verstehen. Doch sein 'Angriff' auf den biblischen Kanon setzte sich glücklicherweise nicht durch. Auch wenn mittlerweile klar ist, dass der Jakobusbrief zum biblischen Kanon – und somit zum vollgültigen Wort Gottes –gehört, so herrscht in einigen Kreisen trotzdem noch eine große Verwirrung über die scheinbar gegensätzlichen Aussagen von Paulus und Jakobus. Wie bereits erwähnt, haben einige Lehrer diese 'widersprüchlichen Aussagen' zwei unterschiedlichen 'Evangelien' zugeordnet. Die Stelle aus Gal 2:7 bestärkte sie zu dieser Schlussfolgerung:

  • "... sondern im Gegenteil, als sie sahen, dass mir das Evangelium für die Unbeschnittenen anvertraut war ebenso wie Petrus das für die Beschnittenen ..."

Einige Bibellehrer sehen diese Bibelstelle als Beweis dafür, dass das "Evangelium für die Beschnittenen" auch eine andere Rechtfertigungslehre beinhalte. Daher machen sie folgende Unterscheidung:

  1. Das "Evangelium für die Unbeschnittenen", das dem Apostel Paulus anvertraut wurde, beinhaltet die Rechtfertigungslehre, wonach wir allein aus Glauben gerechtfertigt wurden.
  2. Das "Evangelium für die Beschnittenen" (messianische Juden), das dem Apostel Petrus (und Jakobus) anvertraut wurde, beinhaltet eine Rechtfertigungslehre, in der messianische Juden 'durch Glauben und Werke' gerechtfertigt werden.

Diese unterschiedlichen Rechtfertigungslehren führten u. a. auch zu der sogenannten "Schriftteilung". Dabei berufen sich die Vertreter dieser Lehre auf das Wort von 2Tim 2:15. Diese Schriftteilung hat dann zur Folge, dass man die Briefe des Apostels Paulus als die alleingültigen Anweisungen für die Nationenchristen anschaut, währenddem man die Evangelien und die anderen Briefe den messianischen Juden oder dem sogenannten "Reichsevangelium" zuordnet. Auf den ersten Blick scheint das für uns Nationenchristen eine praktikable Lösung zu sein. Aber bei genauerer Betrachtung, verursacht diese Sichtweise ganz große Probleme!

  1. Wer nur die Briefe des Apostels Paulus für sich gelten lässt, kann alles Unangenehme des übrigen NT's, für sich selbst als nicht relevant aussortieren oder als ungültig erklären. Das ist aber brandgefährlich! Damit beschneidet man das Wort Gottes nach eigenem Gutdünken und nimmt dem Wort Gottes etwas weg. Dieses Verhalten hat ein schweres Gericht zur Folge, wie wir auch aus Offb 22:19 sehen können.
  2. Müssten die messianischen Juden aus Glauben und [Gesetzes-]Werken vor Gott gerechtfertigt werden, ständen diese vor einem unlösbaren Problem.

Paulus sagt unmissverständlich:

  • "Darum: aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden; denn durch Gesetz [kommt] Erkenntnis der Sünde." (Röm 3:20)

Diese Aussage gilt für alle; auch für die messianischen Juden! Ich bin meinem Gott unendlich dankbar, dass kein Mensch – auch kein messianischer Jude – durch Gesetzeswerke vor Gott gerechtfertigt werden kann und muss! Unterschiedliche Rechtfertigungslehren für verschiedene Heilskörperschaften können nicht die Lösung für den scheinbaren Widerspruch zwischen Paulus und Jakobus sein!

Die Lösung ergibt sich aus einer genauen Textanalyse von Röm 3 und 4 sowie Jak 2. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass man sowohl den Kontext als auch die einzelnen Begriffe sehr genau betrachtet und unterscheidet. Wer nur die Begriffe – ohne den dazugehörigen Kontext – vergleicht, kommt unweigerlich ins Schleudern! Obwohl Jakobus und Paulus in den genannten Kapiteln das gleiche griech. Wort (pistis) gebrauchen, hat es nicht an allen Stellen die gleiche Bedeutung! Aus dem Kontext wird ersichtlich, dass Jakobus im zweiten Kapitel sehr oft einen "unechten (ungenügenden) Glauben", bzw. einen "Pseudo-Glauben" beschreibt, den wir in Röm 3 überhaupt nicht finden! Des Weiteren beschreibt Jakobus keine "Gesetzeswerke", sondern "Glaubenswerke", obwohl er nur den Begriff "Werke" (griech. ergon) benutzt! Auch diese Tatsache kann ohne das Beachten des Kontextes nur schwer erkannt werden. Doch hier, in der Einleitung geht es jetzt nicht um die Textanalyse von Jak 2 (die folgt später).

Trotzdem möchte ich noch auf einen, für mich wichtigen Umstand hinweisen: Wir begegnen in der Bibel ganz vielen "scheinbaren Widersprüchen", die wir vorerst nicht verstehen. Wenn wir einen scheinbaren Widerspruch nicht verstehen, dann sollten wir ihn zuerst einmal stehen lassen! Selbstverständlich dürfen und sollen wir auch darüber nachdenken und unseren HERRN fragen, wie dieser scheinbare Widerspruch zu verstehen ist. Was aber absolut unzulässig ist, dass wir einfach den Teil wegstreichen, der uns nicht "in den Kram" passt!

Den absoluten Klassiker eines scheinbar biblischen Widerspruchs finden wir in Spr 26:4-5:

  • Antworte dem Toren nicht nach seiner Narrheit, damit nicht auch du ihm gleich wirst! 5 Antworte dem Toren nach seiner Narrheit, damit er nicht weise bleibt in seinen Augen!

Eines dürfte von vornherein klar sein: "Der Autor dieser beiden Verse (vmtl. Salomo) war sich dieses scheinbaren Widerspruchs von Anfang an bewusst und er hat ihn ganz bewusst gesetzt!" Solche bipolaren Aussagen regen das Denken an und sagen mit wenigen Worten sehr viel aus! Um zu erklären, was hier gemeint ist, brauche ich wesentlich mehr Worte als Salomo. (Beachten Sie auch diese Grafik!) Der erste Satz macht auf die Gefahr aufmerksam, in der sich derjenige befindet, der dem Toren eine Antwort gibt! Er tut gut daran, sehr darauf zu achten, dass die Denkart des Toren nicht auf ihn abfärbt.

Aber bei der Begegnung mit einem Toren geht es nicht nur um den eigenen Schutz, sondern auch darum, dem Toren eine Tür zur Selbsterkenntnis aufzuzeigen, die ihm eine Möglichkeit für die Umkehr bietet. Es geht eben nicht nur um die eigene Heiligung, sondern auch um die Rettung des Verlorenen. Die Bibel lehrt uns, das Sowohl-als-auch zu beachten. Wer "Tag und Nacht" über das Wort Gottes nachsinnt, sagt nicht nur; "es steht geschrieben", sondern auch; "es steht wiederum geschrieben." (Mt 4:7) Fast alle Christen und Gemeinden sind etwas zu einseitig geprägt, weil die meisten gerne die Bibelstellen lesen und studieren, die in ihr theologisches Konzept passen, währenddem sie die anderen Stellen bewusst oder unbewusst verdrängen. Selbst innerhalb des Römerbriefes finden wir Aussagen, die sich scheinbar widersprechen:

  • Denn wir urteilen, dass [der] Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. (Röm 3:28)

und

  • ... es sind nämlich nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden. (Röm 2:13)

Kein Ausleger macht innerhalb des Römerbriefes eine "Schriftteilung". Paulus und Jakobus ergänzen sich wunderbar und widersprechen sich nicht! Trotzdem hat Jakobus eine ganz besondere Gruppe von Christen im Auge, die es aber auch in fast jeder christlichen Gemeinde unter den Nationen gibt. Jakobus hat die Namens- und Wohlstandschristen im Fokus, die sich richtig gut in dieser Welt eingerichtet haben und mit Gleichgültigkeit – statt mit Liebe – durch den Alltag gehen.

Gerade weil Georg Müller (der Waisenhausvater von Bristol) den Jakobusbrief so absolut ernst nahm, wurde er zu einem ganz anderen Christen als derjenige, der in Jak 2:2-10 beschrieben wird! Es lohnt sich auf jeden Fall, diesen Brief eingehend zu studieren.


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