Der Dienst des neuen Menschen

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'nach dem gleichnamigen Buch von Andrew Jukes

"Der neue Mensch und das ewige Leben"

Gedanken über das zwölffache "Wahrlich, wahrlich!" des Sohnes Gottes im Evangelium Johannes


Inhaltsverzeichnis des Buches

  1. Der "Amen" und "der Jünger der da zeugt" - Einleitung
  2. Die Heimat des neuen Menschen - Das erste "Wahrlich, wahrlich"
  3. Die Geburt des neuen Menschen - Das zweite "Wahrlich, wahrlich"
  4. Das Gesetz des neuen Menschen - Das dritte "Wahrlich, wahrlich"
  5. Die Speise des neuen Menschen - Das vierte "Wahrlich, wahrlich"
  6. Die Freiheit des neuen Menschen - Das fünfte "Wahrlich, wahrlich"
  7. Die göttliche Natur des neuen Menschen - Das sechste "Wahrlich, wahrlich"
  8. Der Dienst des neuen Menschen - Das siebte "Wahrlich, wahrlich"
  9. Das Opfer des neuen Menschen - Das achte "Wahrlich, wahrlich"
  10. Die Erniedrigung des neuen Menschen - Das neunte "Wahrlich, wahrlich"
  11. Die Herrlichkeit und Macht des neuen Menschen - Das zehnte "Wahrlich, wahrlich"
  12. Der Schmerz und die Freude des neuen Menschen - Das elfte "Wahrlich, wahrlich"
  13. Die Vollendung des neuen Menschen - Das zwölfte "Wahrlich, wahrlich"
  14. Schlussgedanken zum Buch - Der neue Mensch und das ewige Leben


Das siebte "Wahrlich, wahrlich"

8. Der Dienst des neuen Menschen

Joh 10:1 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht durch die Tür in den Hof der Schafe hineingeht, sondern anderswo hinübersteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber.
Joh 10:2 Wer aber durch die Tür hineingeht, ist Hirte der Schafe.
Joh 10:3 Diesem öffnet der Türhüter, und die Schafe hören seine Stimme, und er ruft die eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus.
Joh 10:4 Wenn er die eigenen Schafe alle herausgebracht hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen.
Joh 10:5 Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen.
Joh 10:6 Diese Bildrede sprach Jesus zu ihnen; sie aber verstanden nicht, was es war, das er zu ihnen redete.
Joh 10:7 Jesus sprach nun wieder zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür der Schafe.
Joh 10:8 Alle, die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe hörten nicht auf sie.
Joh 10:9 Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, so wird er errettet werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.
Joh 10:10 Der Dieb kommt nur, um zu stehlen und zu schlachten und zu verderben. Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Überfluß haben.
Joh 10:11 Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
Joh 10:12 Wer Mietling und nicht Hirte ist, wer die Schafe nicht zu eigen hat, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht - und der Wolf raubt und zerstreut sie -
Joh 10:13 weil er ein Mietling ist und sich um die Schafe nicht kümmert.
Joh 10:14 Ich bin der gute Hirte; und ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich,
Joh 10:15 wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne; und ich lasse mein Leben für die Schafe.
Joh 10:16 Und ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hof sind; auch diese muß ich bringen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird [eine] Herde, ein Hirte sein.
Joh 10:17 Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, um es wiederzunehmen.
Joh 10:18 Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Vollmacht, es zu lassen, und habe Vollmacht, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.

Das fünfte "Wahrlich, Wahrlich" zeugt von der Freiheit des neuen Menschen. Das sechste erschließt das Geheimnis seiner göttlichen Natur. Das siebte stellt seinen Dienst vor Augen, welcher aus der Freiheit als Sohn Gottes entspringt, aus seiner Teilnahme an dem Leben Gottes selbst. Denn wir gelangen nicht durch unseren Dienst zur Freiheit, noch zur Gottessohnschaft, sondern durch die Kindschaft und Freiheit, am Dienst Gottes teilzuhaben. Der Sohn Gottes dient, weil Er Liebe ist, und wer an Seinem Leben teilhat, dient mit Ihm als Sohn, um Seine elenden Schafe zu suchen und selig zu machen. Dadurch ist der Dienst, den wir hier vor Augen haben, Christi eigenster Dienst, an welchem wir in dem Maß teilhaben, wie Er in uns lebt und wir mit Seinem Geist verbunden sind.

Der Dienst der Pharisäer

Die Worte, welche unser Herr über diesen Gegenstand redet, schließen an ein Beispiel von pharisäischem Dienen an. Ein Blindgeborener hatte soeben sein Augenlicht durch den Sohn Gottes erhalten. Diese Heilung geschah am Sabbat, und die Pharisäer sagten: "Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er nicht den Sabbat hält. Sie können nicht erkennen, wie die Bedürftigkeit eines Menschen Gott auffordert zu wirken und zugleich bezeugt, dass der wahre Tag der Ruhe noch nicht gekommen ist. Daher sprechen sie zu dem Blindgeborenen: "Was sagst du von Ihm, nachdem Er deine Augen aufgetan hat?" Er antwortete: "Er ist ein Prophet". Da sprachen sie: "Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist". Der, welcher blind geboren war, antwortete: "Ob er ein Sünder, das weiß ich nicht; eines weiß ich wohl, dass ich blind war und bin nun sehend." Da fluchten sie ihm und sprachen: "Du bist Sein Jünger, wir aber sind Moses Jünger. Wir wissen, dass Gott mit Mose geredet hat, von diesem aber wissen wir nicht, von wo Er ist". Der Mensch antwortete und sprach zu ihnen: Das ist ein wunderlich Ding, dass ihr nicht wisst, von wo Er sei, und Er hat meine Augen aufgetan. Wäre dieser nicht von Gott, so könnte er nichts tun". Sie antworteten ihm und sprachen: "Du bist ganz in Sünden geboren und lehrst uns"? Und stießen ihn hinaus (Joh 9:16-34).

Auf diese Weise bedienen die Pharisäer die Seelen. Voll Eifer für das geschriebene Wort, indem sie immer wieder sagen: "wir wissen" (Joh 9:24-29) rühmen sie sich Jünger Mose zu sein, durch welchen Gottes Wort in vergangen Zeiten zu den Menschen geschah; und doch sind sie taub für das Wort, wenn es selbst zu ihnen kommt und blind für Gottes Wirken in ihrer Mitte. Das einzige, was sie für einen Menschen tun können, weil er von dem lebendigen und gegenwärtigen Wort Licht empfangen hat, das sie ihm nicht geben konnten, und weil er durch dieses Licht von ihrer Gewalt erlöst wurde, ist, ihn "auszustoßen". Dies ist das letzte Mittel, wozu pharisäischer Dienst greift: er vermag nur die Irrenden auszustoßen, ohne einen Gedanken daran, sie wieder zu gewinnen, die Verlorenen wieder zu bringen oder ihre Lasten zu tragen wie ein rechter Hirte.

Denn der einzige Gedanke, von dem ein Pharisäer geleitet wird, ist der, selbst richtig zu stehen, wer auch sonst verkehrt sein mag. Lahme und Blinde sind allerorts. Der Pharisäer kann noch heute Gott danken, dass er nicht ist wie andere Leute (Lk 18:11). Auf diese Weise "verlässt er sich auf das Gesetz und rühmt sich Gottes und weiß Seinen Willen, er gibt sich aus, Leiter der Blinden zu sein und ein Licht derer, die in Finsternis sind, ein Züchtiger der Törichten, ein Lehrer der Einfältigen, hat die Form des Wissens und des Rechts im Gesetz"; (Röm 2:17-20). Dabei bleiben aber die Irrenden im Irrtum, die Lahmen und Blinden bleiben lahm und blind, wenigstens was den pharisäischen Dienst anbelangt. Ein Pharisäer kann den Dienst, der sich selbst aufopfert, um die Irrenden und Verlorenen zu retten und zu gewinnen, nicht begreifen.

Der Dienst des neuen Menschen

Im schärfsten Gegensatz zu dem allen haben wir hier den Dienst des neuen Menschen vor Augen. Es werden uns vier unterschiedliche Punkte desselben vorgeführt: Erstens die Kennzeichen desselben, zweitens sein Zweck, drittens das, was er kostet, und endlich seine Resultate. In jedem dieser Punkte unterscheidet sich dieser Dienst von dem Pharisäischen, so weit als der Himmel von der Erde getrennt ist.

Kennzeichen des Dienstes

Die Kennzeichen dieses Dienstes sind folgende: - "Wahrlich, Wahrlich, ich sage euch, wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder, wer aber zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe. Diesem macht der Türhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme, und Er ruft Seine Schafe mit Namen und führt sie aus. Und wenn Er Seine Schafe rausgelassen hat, geht Er vor ihnen her und die Schafe folgen Ihm nach, denn sie kennen Seine Stimme" (Joh 10:1-4).

Das erste deutliche Kennzeichen, dass ein wahrer Diener gleich einem Hirten mit den Schafen geht, so dumm und tierisch, und geneigt sich zu verirren sie auch sind; er geht durch dieselbe Tür, durch welche auch die Schafe gehen können, die Tür, welche für sie bereitet ist, weil sie, so wie sie einmal sin, einer Hürde zu ihrem Schutz bedürfen und auf keinem anderen Weg eingehen können. "Steigt" jemand hinauf und gibt hiermit zu verstehen, dass er den Schafen überlegen ist, - geht er auf einem anderen, näheren oder höheren Weg, auf welchem die Schafe, da sie eben nur Schafe sind, ihm nicht folgen können - so mag ein solcher wohl beweisen, dass er vermag, was sie nicht können, aber zugleich beweist er auch, dass er nicht das Herz eines Hirten hat. Ein solches Benehmen zeigt, dass er ein Dieb ist. Denn wenn sich ein Mensch mit Schafen abgibt, so ist er entweder ein Hirte oder ein Dieb. Man gibt sich nicht mit Schafen ab, es sei, dass man entweder sich selbst oder ihnen dienen will. Der wahre Hirte dient den Schafen, daher geht er auf dem Weg, den sie gehen können.

Sind sie auf dem Feld, so ist er dort mit ihnen, des Tages von der Hitze verzehrt, des Nachts von der Kälte (1Mo 31:40). Bedürfen sie einer Tür, so bückt er sich, um durch dieselbe Tür einzugehen; er ist fortwährend um niedrigere Naturen bemüht, welche nicht ahnen, was er bei solchem Dienst aufgibt und erträgt. Mit einem Wort, dies ist der Dienst Christi, wie wir denselben in Seiner Menschwerdung erblicken: jene wunderbare Herablassung, da der Sohn Gottes zu den brutalen, irrenden Menschen herabstieg, indem Er uns nicht nur von der Ferne aus half, sondern zu uns an den Ort kam, wo wir uns befanden, indem Er unser Schlafen und Wachen,unsere Schwäche und unseren Mangel teilte, auf dass Er unserer Torheit und unseren Bedürfnissen durch Seine Erniedrigung zur Hilfe käme und uns Seiner Zeit sicher nach Hause bringt.

Pharisäer heute

Vielleicht denkt man, ein solcher Dienst würde allgemeine Anerkennung finden, und dass besonders alle Frommen die Schönheit desselben instinktiv erkannt und gefühlt haben müssten, wie derselbe genau unserem Bedürfnis entsprach. Aber dem ist nicht so. Viellicht erkennt man die Macht des Widersachers der Menschen nirgendwo so, wie auf dem Gebiet der Religion. Daher wird der Dienst der Pharisäer anerkannt, während noch immer ein Dienst nach Christi Vorbild gleich Ihm selbst unter dem Vorwand verdammt wird, dass er ungeistlich sei und der Sünde Vorschub leiste. Sehen es Etliche, welche sich religiös nennen, als ein Kennzeichen von Geistlichkeit an, dass jeder Christ und jede sogenannte Kirche den höchstmöglichen Standpunkt einnehme, nichts aufgebe von dem, was sie Wahrheit nennen, um derer willen, welche durch geistliche Unmündigkeit oder Unwissenheit diese noch nicht annehmen können und für welche daher eine solche Wahrheit oder eine nicht nur unerreichbar, sondern auch sehr ungeziemend ist, - anstatt dass sich die Stärkeren und Weiseren aufopfern oder die Eigentümlichkeit, deren sie sich in Sonderheit rühmen, - gewöhnlich irgendeine Form der Wahrheit, welche sie völliger und richtiger erkannt zu haben meinen als ihre Brüder - aufgeben sollten? -

Ist dies aber Christi Art zu dienen? Heißt dies sich herablassen um "durch die Tür einzugehen" oder heißt dies nicht einfach noch immer Pharisäertum, das unter denen wuchert, welche am entschiedensten die Pharisäer früherer Zeiten verurteilen, während sie sich selbst des gleichen Irrtums schuldig machen? Worin besteht denn eigentlich das Pharisäertum? Es ist erstaunlich, was für irrige Ansichten hierüber im Umlauf sind. Die meisten denken, der Pharisäer bestehe in einem eifrigen Hängen an Gesetzlichkeit und jüdischen Formen. Man denkt nicht, dass auch ein bekehrter Evangelikaler, der gegen äußere Formen eifert, ein Pharisäer sein kann. Indessen muss der rechte Pharisäer der jetzigen Zeit notwendigerweise ein evangelikal Gläubiger sein. Das Wort Pharisäer bedeutet einfach nur Separatist (PhaRaSch); einer, der sich absondert, wenn die Kirche seines Zeitalters voll Verderbnis ist, indem er denkt, er wolle genauer der Wahrheit gemäß leben, welche Gott am Anfang der gegenwärtigen Ökonomie geoffenbart hat. Natürlich war der Pharisäer oder Separatist des jüdischen Zeitalters, der sich genauer an seine Heilsordnung zu halten suchte, notwendigerweise gesetzlich, da er in dem Zeitalter des Gesetzes lebte.

Der Pharisäer der gegenwärtigen Zeit aber ist der Mensch, welcher bei dem Verfall der Kirche auf dem rechten Weg zu sein meint, wenn er und andere sich genau nach der Richtschnur und dem Buchstaben der gegenwärtigen Heilsordnung, welche nicht Gesetz, sondern Evangelium ist, separiert, und das Ziel, dem er nachstrebt, ist, so genau wie möglich nach dem Vorbild zu leben, welches beim Beginn der Heilsordnung angegeben wurde. Dies kann er aber nur, indem er sich absondert, daher ist er ein Separatist, mit anderen Worten ein Pharisäer. Bei alledem aber mag er auf das Aufrichtigste meinen, er diene Gott gerade wie Paulus, als er als Pharisäer lebte (Apg 23:1 und Apg 26:4.5). Ich weiß wohl, wie einleuchtend dieser Irrtum scheint, denn auch ich habe gemeint, es sei wahrhaftig dem Sinne Gottes gemäß, den "rechten Standpunkt" einzunehmen, wie man sagt, obgleich die große Masse der Kirche in Knechtschaft und Unwissenheit zurückgelassen wird. Jetzt erkenne ich, dass dies nicht Christi Weg ist, wie gut auch die Absicht sein mag. Es liegen ihm zwei Irrtümer zugrunde: es ist unwahr und lieblos.

Unwahr, weil man dabei unbewußterweise etwas vorgibt und annimmt, dass, obgleich die Kirche im Ganzen auf verkehrten Weg ist, etliche ihrer Glieder, durch äußere Trennung und indem sie den ursprünglichen Standpunkt der Heilsordnung einnehmen, wie sie sagen, von der allgemeinen Schmach und dem Irrsal freibleiben können, wobei dann die wahre Einheit der Kirche mit der Tat verleugnet wird. Lieblos ist ein solches Verhalten, weil dabei kranke, irrende Brüder verlassen werden und unter dem Schein von Eifer für Gott die Menschen gelehrt werden, ihre eigenen Interessen zunächst zu suchen, - obschon es, das gebe ich zu, die Interessen einer anderen Welt sind, immerhin die eigenen Interessen, - indem sie nur oder hauptsächlich daran denken sollen, wie sie selbst richtig stehen; und wenn dann auch Andere im Unrecht sind, so sind sie, "Gott Lob, doch nicht wie andere Leute". Das ist nicht der Dienst, den der Herr anerkennt. das erste Kennzeichen eines Dienstes nach Christi Vorbild ist, dass derselbe, anstatt auf einem Weg hinaufzusteigen, auf welchem Schafe nicht zu gehen vermögen, aber wo doch nur einige der stärkeren, vielleicht die Böcke, nachfolgen können, sich herablässt, um die Schwachheit der Schwächsten aus der Herde zu teilen und mit ihnen in die Schafhürde durch die niedrige Tür zu gehen, welche ihrem Bedürfnis entsprechend bereitet ist.

Der wahre Hirte

Es gibt auch noch andere, geringfügigere Kennzeichen dieses Dienstes, doch sind es alles nur nähere Bezeichnungen betreffs des einen Hauptmerkmals, der sich ein solcher, nach rechter Hirten Art, den Schafen zuwendet. So sagt zum Beispiel unser Herr betreffs des wahren Hirten, dass "die Schafe Seine Stimme hören" (Joh 10:2), dass heißt sie verstehen ihn, denn er ist nicht zu hoch über sie erhaben. Sodann "ruft er sie mit Namen" (Joh 10:3). Hier wird uns des Hirten persönliche Bekanntschaft mit jedem Einzelnen gezeigt. Er "lehrt nicht nur", wie der Apostel sagt, "öffentlich", sondern auch "abgesondert" (Apg 20:20). Wiederum "lässt er sie raus", das heißt er führt sie aus der äußeren Kirchenverfassung, welche als Schutzmauer dienen sollte, heraus zu den freien Weiden der Verheißung hin, welche jenseits liegen und welche weit süßer und frischer sind als die heilsame, aber oftmals trockene Zehrung der Schafhürde. Wenn der Hirte nun die Schafe rausgelassen hat, so geht er ferner "vor ihnen her", denn er sagt nicht: "Geht!", sondern vielmehr "Kommt her!", nicht wie Lot zu seinen Kindern: "Geht aus diesem Ort!" (1Mo 19:14) sondern "Folget mir nach!" (1Kor 11:1) Und die Schafe folgen ihm, denn sie kennen seine Stimme (Joh 10:4). Sie wissen wohl wenn sie Nahrung empfangen. Aller wahrhaftige Dienst wird früher oder später von denjenigen erkannt, welche dessen Frucht genießen. Einem solchen "macht der Türhüter", der heilige Geist, "auf" (Joh 10:3) denn Er ist der Wächter der Gemeinde und der unfehlbare Mitarbeiter der Söhne Gottes, der noch immer bei uns ist in unserer Mitte, um Herzen und Türen für alle zu öffnen, welche die Herde Gottes weiden.

Als aber dieses zu den Jüngern gesagt wurde, "vernahmen sie nicht, was es war, das Er zu ihnen sagte" (Joh 10:6). Noch übersteigt das Kreuz und die Erniedrigung des Sohnes Gottes ihr Verständnis. Sie warten wie die Juden früher auf einen Messias, der nur von Erhöhung weiß, und nicht auf einen, der an die Stelle Seines Volkes tritt. Umsonst redet der Prophet davon, dass Gott Seine Herde weiden und die Lämmer an Seiner Brust tragen und das Verlorene suchen und finden wird (Jes 40:11). Das alles ist noch zu hoch für sie, solange Gottes Leben noch nicht in ihren eigenen Herzen schlägt. Auch wir erkennen nicht leicht die Anzeichen der Gegenwart Gottes in der Erniedrigung für andere. Sogar, wenn wir einen solchen Dienst vor Augen sehen, verstehen wir nicht, bis der Geist Gottes kommt und uns des Herzens und Sinnes Gottes teilhaft macht.

2. Zweck des Dienstes

Nachdem unser Herr von den Kennzeichen des wahren Dienstes geredet hat, spricht er weiter von dessen Zweck, nämlich eine "Tür für die Schafe" zu sein: - "Da sprach Jesus wieder zu ihnen: "Wahrlich, Wahrlich, ich sage euch, ich bin die Tür zu den Schafen" (Joh 10:8), das heißt, Ich bin das Mittel oder das Medium, um sie in die Ruhe hineinzuführen. Hier wechselt das Bild. Was die Merkmale des Dienens anbelangt, so wird uns des "Hirten" Benehmen zum Vorbild gegeben, welcher auf dem Weg geht, auf welchem Schafe nachfolgen können. Was aber den Zweck eines solchen Dienstes anbelangt, so weist uns der Herr auf die "Türe" hin und will damit zeigen, dass der Dienst nur Mittel und nicht Zweck ist, obwohl der Zweck ohne ein solches Mittel nicht erreicht werden kann. Denn eine Tür ist nicht nur das Zeugnis dafür, dass es eine Hürde oder innere Kammer dahinter gibt, sondern es ist noch mehr das Mittel, durch welches die, welche draußen sind, hineingehen können. Der wahrhaftige Seelendienst, sei es bei Christus oder bei Seinen Dienern, schließt alles dieses mit ein. Sowohl Er, als auch sie sind "Türen", welche dazu dienen, dass andere da hineingehen können, wo sie ohne ein solches Medium nicht hinein könnten. Als das ewige Wort unsere Natur annahm, wurde es "die Tür" welche uns "zu Gott bringt" (1Petr 3:18). Gott ist das Ziel; doch wir kommen nur "durch Christus", welcher der Mittler ist (1Tim 2:5) zu Ihm, und Er ist auch der "neue und lebendige Weg" (Hebr 10:20 - Hebr 13:20). Wenn das Ziel erreicht ist, so gibt Er Sein Amt auf, auf dass Gott sei alles in Allen" (1Kor 15:25).

Und auch Seine Diener sind "Türen" oder "Tore", denn die Namen der Väter der Auserwählten stehen auf den Toren der Stadt Gottes geschrieben: (Offb 21:12 und Hes 48:31-35) gegen Morgen drei Tore, gegen Mitternacht drei Tore, gegen Mittag drei Tore, gegen Abend drei Tore, und zwar haben die verschiedenen Tore verschiedene Ämter, wenn auch in der Kraft ein und desselben Lebens, nämlich die Nationen, welche noch fern von Gott sind, aus allen Himmelsrichtungen zusammenzubringen. Denn gleichwie in diesem Leben den Kindern ein Vater vorangehen muss, so gibt es auch zu jener Stadt keinen Eingang, ohne durch Väter, welche den Toren gleich sind, durch welche wir eingehen. Trotzdem sind diese Erstgeborenen Mittel und nicht Zweck. Gleich Johannes der Täufer sind sie nur "Stimmen" welche für "das Wort" Zeugnis ablegen und dann nie wieder gehört werden. (Joh 1:23). Ihr Zweck ist es, nicht die Seelen zu sich selbst zu bringen oder für sich zu behalten, sondern vielmehr, dieselben zu Gott zu führen, damit sie in Seiner Gegenwart von Ihm neu geschaffen werden nach Seinem Willen. Und dies ist der Prüfstein für den wahren Dienst. Führt derselbe zu Gott hin, oder nimmt er Seine Stelle ein? Alle falsche Arbeit an Seelen nimmt tatsächlich Gottes Stelle ein, bringt daher leicht in Sklaverei und lässt die Seelen am Ende in einem unvollendeten Zustand, weil sie fern von Gott bleiben. Die wahre Arbeit an den Seelen hingegen ist nur eine "Tür" sie bringt zu Gott in dem Bewusstsein, dass nichts wirklich getan ist, es sei denn, dass sie zu Ihm geführt wird.

Türen für die Schafe

Weiter ist der wahre Dienst eine "Tür für die Schafe", das heißt für jene armen, animalischen Seelen, welche um ihrer Schwachheit willen eines Hüters und Führers bedürfen. Denn die Kirche Christi enthält gleich Noahs Arche nicht nur Menschen, sondern auch Tiere (1Mo 6:19-21) und da müssen nach dem Gesetz der Liebe die höheren und reineren Naturen den niederen dienen. Die geistlich gesinnten sind nicht um ihrer Selbst willen auserwählt, sondern um "Türen" oder Mittel des Segens für die draußen Stehenden zu sein, welche ohne sie nicht zu Gott zurückkehren könnten. Und dies ist ihre Freude, denn auch sie waren einst verloren, und nachdem sie selbst gesucht und gefunden und hineingeführt wurden, von jemandem der Selbst zur "Tür" wurde, um sie zu Gott zu führen, freuen sie sich, dass auch sie das Mittel werden dürfen, durch welches andere, die jetzt noch irren, hereingebracht werden mögen, obwohl sie zu diesem Zweck nach Art der "Türen" gebildet, gesetzt und gebraucht werden müssen, und zwar dies alles nach dem Willen eines anderen. Der Herr selbst hat Sich hierzu herabgelassen, und sie erniedrigen sich gern mit Ihm, auf dass sie nur "Etliche selig machen" (1Kor 9:22).

Im Gegensatz hierzu redet dann der Herr von einem Dienst anderer Art: - Wenn nämlich die Menschen anstatt "Türen" zu sein, sich vor die Türe hinstellen, so werden sie die Herde eher in Knechtschaft bringen und ihr mehr schaden als dienen. Denn "Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe gewesen" (Joh 10:8). Welches ist der Sinn hiervon? Es haben etliche behauptet, unser Herr sage hiermit, die ganze jüdische Heilsordnung sei von einem bösen Geist ausgegangen. (Das war die gnostische Anschauung dieses Textes.) Dies kann nicht die Meinung des Herrn sein, denn an anderen Orten lehrt Er, dass der Alte Bund sowohl als der Neue, das Amt des Todes und der Verdammnis eben so wie das Amt der Gerechtigkeit und des Lebens von dem einigen Gott ausgehen, weil beide in gleicher Weise für das Werk unserer Erlösung notwenig sind. Daher wollten andere die Worte dadurch erklären, dass sie zwischen "kommen" und "gesandt werden" unterschieden. Alle, welche "gekommen" sind, das heißt, so sagen sie, welche aus ihrem eigenen Willen kamen, anstatt von Gott gesandt zu sein.

Doch mir scheint, als könne auch dieses nicht der wahre Sinn sein. "Alle, welche vor mir gekommen sind", heißt, wenn ich nicht irre, alle, welche den Weg versperren, welche anstatt als "Türen", das heißt als Mittel zu dienen, sich selbst zum Endzweck machten und somit die Seelen nicht weiter als zu sich hinführen. Es sind viele, auch seit Christus, in dieser Weise "vor Ihm gekommen", das heißt, sie haben Seine Stelle eingenommen und den Weg versperrt und sind weder selbst eingegangen, noch haben sie andere eingelassen (Lk 11:52). Alle, welche in dieser Weise kommen mit dem Vorgeben, sie seien in sich selbst etwas, sich auf ihre eigene, eingebildete Kraft und Gabe stützen und andere mehr mit sich als mit dem Herrn beschäftigen, werden die Seelen nur in Knechtschaft bringen. Solche sind notwendigerweise "Diebe und Mörder". Diejenigen hingegen, welche nichts in sich selbst zu sein vorgeben und nur zu Gott hinführen, erfüllen den Dienst, den unser Herr noch immer durch Seine Glieder ausführt.

In wiefern ist es aber wahr, dass die Schafe solchen Verführern "gefolgt" sind? (Joh 10:8) Haben nicht falsche Lehrer einen vorwiegenden Einfluss gehabt? Sind echte Schafe niemals irregeleitet worden? Haben wir nicht alle auf Verführer gelauscht? Ach, gewiss haben wir das! Doch selbst während wir ihnen zuhörten, war da nicht immer etwas in uns, was die Lüge hasste? War nicht ein Verlangen nach dem wahren Hirten in uns, selbst als wir am tiefsten Punkt im Irrtum standen? Mögen hier diejenigen antworten, welche verführt worden sind, ob nicht in ihnen eine Stimme dasjenige, was nicht aus der Wahrheit war, verdammt, so bald es an das Licht gebracht wurde? Ein Schaf wird nicht gern verleitet. Werden die Seelen gefangen, so ist es, weil irgendeine Lüge vorgibt, Wahrheit zu sein. Falsche Apostel, verführerische Geister gewinnen nur dadurch etwas, weil sie sich in Apostel Jesu Christi verkleiden und etwas von Seiner Ähnlichkeit anziehen (2Kor 11:18). Daher wechselt die Irrlehre auch beständig ihre Gestalt; denn die Schafe, so töricht sie auch sind, würden derselben doch nicht einen Augenblick Gehör geben, wenn nicht die Lüge wenigstens einen Anschein von Wahrheit und Liebe tragen würde.

3. Kosten des Dienstes

Was kostet aber ein solcher Dienst, und aus welchem Beweggrund entsteht entsteht er? Die Worte, die unser Herr hierüber sagt, sind einideutig. Erstens kostet ein solcher Dienst das Leben. "Ein guter Hirte lässt sein Leben, denn er hat Acht auf die Schafe" (Joh 10:4), während der Mietlingsdienst allezeit mehr um sich selbst als um die Schafe bemüht ist: "der Mietling aber flieht, denn er ist ein Mietling" (Joh 10:12). Ein Dienst nach Christi Vorbild entspringt dem Leben Gottes selbst und gibt daher auch das Leben. Nur ein "guter Hirte", welcher das Leben dessen besitzt, der gut ist, kann ein solches Opfer bringen. Der Mietling mag viel tun, aber sein Leben wird er nimmermehr aufopfern. Eine bloß auftragsmäßige Arbeit wird immer eine solche bleiben. Der, welcher nur um des Lohnes willen arbeitet, tut es eben aus eigenem Interesse und nicht, weil er die Arbeit liebt; und wie kann er bei einem solchen Motiv sein Leben für andere geben? Wird er nicht zur Zeit, wenn er auf die Probe gestellt wird, stets fragen: Werden die Kosten auch durch das aufgewogen, was ich dafür erlangen soll? und noch mehr: Bin ich auch schließlich ganz gewiss, dass mir mein Lohn werden wird? Von solchen Hirten hat Gott gesagt: "Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen nicht die Hirten die Herde weiden"? (Hes 34:2) Ein solcher Dienst schlägt allezeit fehl.

Der "gute Hirte" dient aber nicht aus solchen Beweggründen. Auch verrichtet er seinen Dienst nicht als Nebensache, während er nebenbei noch andere Zwecke verfolgt. Auf diese Art würde selbst ein irdischer Handel nicht vonstatten gehen (2Tim 2:4). Wir mögen wohl den Knecht spielen, ohne dass es uns etwas kostet; aber nach Christi Vorbild dienen, können wir nicht ohne unser Leben aufzugeben. Ein Dienst wie der Seine wird alles von uns fordern. Wer kann Gott von ganzem Herzen lieben und seinen Nächsten wie sich selbst, ohne dabei ein ganzes Brandopfer zu werden? Wer kann einer gefallenen Seele helfen oder dieselbe zu Gott zurückführen, ohne ihre Last zu tragen und ihre Sünde und Torheit mit ihr zu bekennen? Wer vermag es auch nur, eine kleine Schar von echten Brüdern im Frieden beieinander zu halten, ohne beständig ein Opfer für sie zu werden? Christi Dienst erfordert dies alles, darum ist der, welcher die Herde wahrhaft weidet, wie der Apostel sagt, oftmals "in Arbeit, in Wachen, in Fasten" (2Kor 6:5) für die Schafe, und er wird erfahren, dass er seine Arbeit, besonders in Zeiten der Lauheit, der Verfolgung, oder der Seuche, nicht verrichten kann, es sei denn, dass er sein Leben für die Schafe gibt. Der Geist Christi aber nimmt solches alles auf sich, denn dieser Geist ist der Geist der Liebe, und die Liebe muss sich selbst für den Geliebten hingeben.

Die Liebe drängt uns

Doch es kostet dieser Dienst sogar noch mehr als dieses. Unser Herr fügt hinzu: "Ich kenne meine Schafe und bin bekannt den Meinen" (Joh 10:14). Vielleicht haben es etliche erst noch zu lernen, wie viel es kostet, die Schafe zu "kennen und ihnen bekannt zu sein". Wenn sie nur die Schafe kennen, so werden sie auch bald verstehen lernen, was eine solche Kenntnis einschließt. Wir leiden in dieser Welt in dem Maß, in welchem wir lieben. Denn wie kann ich andere lieben und von ihrem Schmerz wissen und nicht Schmerz empfinden, besonders wenn die Leidenden, in irgendwelcher Weise die Meinen sind? Ja kann ich auch nur von dem Leid Fremder hören, ohne Schmerz zu empfinden? Kann ein Bettler in Mangel und Not an meiner Türe steht und seine Not sollte mich nicht rühren, wenn ich meinen Nächsten liebe wie mich selbst? Wäre keine Güte in mir, so würde ich vielleicht nichts empfinden, aber der, welcher "in der Liebe bleibt", kann nicht von eines anderen Mangel wissen, ohne denselben mehr oder weniger wie eigenen Schmerz zu empfinden.

Teilt man daher seine Bedürfnisse einer liebenden Seele mit, so ist das so, als seine Last auf ihn werfen. So sagen Maria und Martha in ihrem Kummer einfach nur: "Herr, der, den du lieb hast ist krank", (Joh 11:3), denn sie hatten erfahren, dass Er nicht von ihrer Not wissen und dabei zusehen könne. Ja sogar die Welt gibt zu, dass wenn einer, der in Not ist, sagen kann: "Sie kennen mich", oder wenn derselbe sogar ein Empfehlungsschreiben von einem bringt, - und mehr noch, wenn der Notleidende ein ehemaliger Bekannter ist, dass eine solche Bekanntschaft einen Anspruch auf Hilfe hat, welche nicht verleugnet werden kann. Auch der Selbstsüchtigste fühlt sich jetzt verpflichtet, einer ihm bekannten Not abzuhelfen. Und wenn dem so ist, was muss es diejenigen, welche des Meisters Herz haben, kosten, dass sie "die Schafe kennen"? Müssen solche nicht oftmals ausrufen "wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird geärgert und ich brenne nicht?" (2Kor 11:29) Kostet es aber etwas, "die Schafe zu kennen", was muss es dann erst kosten "ihnen bekannt" zu sein? Kann wohl eine liebende Seele "bekannt" sein, ohne jeden Fall von Not und Schmerz ringsumher an sich zu ziehen? Werden sich nicht die Leidenden aller Stände an einen solchen Menschen wenden? Er ist ihnen "bekannt", und daher klagen sie jeden Kummer in sein mitleidiges Ohr. Sie wissen, dass er seine Hilfe nicht versagen kann, denn er ist ein Schuldner beider, der Juden und der Griechen, "denn die Liebe Christi drängt ihn". Gewiss wissen die liebenden Seelen, was dieses "Bekanntsein" mit sich bringt. Sie suchen nicht das Ihre. Wie es daher bei dem Meister war, so ist es auch bei ihnen: "Jedermann sucht dich". "Die ganze Stadt versammelte sich vor der Tür". (Mk 1:33.37)

Gegenseitiges Erkennen

Auf diese Weise "kennt" der gute Hirte, und "ist er bekannt" den Seinen. Und das Maß und Muster eines solchen Kennens ist das gegenseitige Kennen des Vaters und des Sohnes. Darum sagt Er: "Ich kenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, gleichwie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater" (Joh 10:14.15), das heißt, dieses Kennen beruht auf einer gemeinsamen Natur, deren Teilhaber nicht umhin können, füreinander zu fühlen und sich zu verstehen. Christus kennt den Vater, denn "Er ist im Vater, und der Vater ist in Ihm" (Joh 14:10) und aus derselben Ursache kennt der Vater den Sohn. In der gleichen Weise kennen die Schafe Christus, weil sie "in Ihm" sind (1Jo 5:20) und daher Seinen Sinn haben (1Kor 2:16) und Er kennt sie, weil Er "in ihnen ist" (Joh 17:23) und daher ihre Gedanken teilt, und zwar rührt beides aus der Gemeinschaft derselben Natur. Dass wir uns so schwer untereinander verstehen, kommt nur von dem gefallenen Leben des Ichs her.

Der Schlüssel aller Erkenntnis ist das Leben aus Gott, der in Allen ist und für Alle empfindet. In diesem Leben kennt der Hirte die Schafe, und sie kennen Ihn, gleichwie der Vater den Sohn kennt und derselbe den Vater. Auch zeigen diese Worte, dass der Sohn in Seinem Mitgefühl für uns nichts anderes tut, als was der Vater tut; denn die Einheit, in der Er mit dem Vater steht, ist die Ursache und das Unterpfand Seiner ewigen Vereinigung und Seines Mitgefühls mit uns. Auch beruft Er uns zu nichts anderem, als was Er selbst getan hat; denn wie Er sollen wir erkennen und erkannt werden, wie der Vater Ihn und Er den Vater kennt. Mit einem Wort, Christi Mitleiden und Seine Erkenntnis von uns beruht auf des Vaters Mitgefühl und Erkenntnis von Ihm, und unsere Erkenntnis Christi beruht wiederum auf Seiner Erkenntnis Gottes, und zwar ist dies alles nur ein Ausfluss desselben ewigen Lebens, welches Gott dem Menschen gegeben und geoffenbart hat, damit wir darin das eigene Leben überwinden, welches die Wurzel und die Frucht des Mangels an Gotteserkenntnis ist, und damit wir fortan in Ihm wohnen und Er in uns.

4. Frucht des Dienstes

Es bleibt noch, die Frucht solchen Dienstes zu bemerken: erstens die Frucht betreffs anderer, und dann für den Diener selbst. Was die anderen betrifft, so werden durch diesen Dienst etliche in der Jetztzeit gerettet und etliche heimgeholt, welche bisher verlorene Schafe waren. So sagt unser Herr in Bezug auf gegenwärtigen Früchte: "Wer durch mich eingeht, der wird selig werden, er wird ein- und ausgehen und wird Weide finden" (Joh 10:9). Doch ist dies nicht alles. Es gibt noch weitere Früchte: "Ich habe noch andre Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; und diese muss ich herführen, und es wird ein Hirt und eine Herde werden" (Joh 10:16). Der wahre Gottesdienst rettet in erster Linie diejenigen, welche denselben hier annehmen und welche durch diesen hier in die Ruhe eingehen und von den zahllosen Schlingen und Mängeln befreit werden, denen die wie Schafe auf freiem Feld ausgesetzt sind, das heißt im gegenwärtigen Stand der Mühe und Versuchung. Das Wort des Propheten deutet die Größe dieser Erlösung an, dass nämlich "das Verlorene zurückgebracht werden soll, das Verwundete verbunden und das Schwache gestärkt werden soll", so dass dieselben "nicht mehr zum Raub werden sollen, noch sollen die Tiere des Feldes sie mehr fressen, sondern sie sollen sicher wohnen, und niemand soll sie schrecken. Und der Herr selbst wird ihnen eine Pflanzung geben, dass sie nicht mehr Hunger leiden im Land; denn die Bäume des Feldes sollen ihre Frucht bringen, und die Erde soll ihr Gewächs hervorbringen. (Hes 34:16.27.28.29)

All dieses ist für etliche bereits jetzt ein gegenwärtiges Segensteil, für die, welche hier schon durch die Tür eingehen und wissen, was es heißt, ein- und ausgeführt zu werden und Weide zu finden. Der gute Hirte aber blickt über die Jetztzeit hinaus, denn Er hat noch "andere Schafe, welche nicht aus diesem Stall sind", welche aber auch die Seinen und Ihm teuer sind, obwohl sie noch im Irrweg gehen. Diese "muss Er auch herführen, auf dass eine Herde und ein Hirte sei". Dem ursprünglichen Sinn nach wird hier auf die Heidenwelt hingedeutet, und es ist tröstlich, zu denken, dass Christus die Nationen oder Heiden als Seine Schafe betrachtet, obwohl sie bis jetzt noch verloren und fern von Ihm umherirren. Denn wahrlich, der Gesalbte ist des Menschen Sohn, voll des Sinnes und Herzens dessen, der Seinen Sohn gab, um "die Welt selig zu machen" (Joh 3:17 - Joh 12:47 und 1Jo 4:14). Er ist der Sohn des Vaters, der gesagt hat: "Erbitte von mir, so will ich Dir die Nationen zum Erbe geben, und der Welt Enden zum Eigentum" (Ps 2:8). Welcher sagt: "Es ist mir zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und das Verwahrloste in Israel wiederzustellen, ich habe dich auch zum Licht der Nationen gemacht, damit du mein Heil bis an der Welt Ende bringst" (Jes 49:6). gemäß dem Eid und der Verheißung, die dem Erwählten gegeben sind: "In dir und in deinem Samen sollen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden". (1Mo 12:2 - 1Mo 22:18 und 1Mo 28:14). Von Natur aus mögen unsere selbstsüchtigen Herzen wenig an diese Verlorenen denken. Des Menschen Sohn aber, welcher der gute Hirte ist, vergisst sie nicht. Sie sind schon jetzt Sein, denn Gott hat sie Ihm gegeben, und Er gab Sein Leben für sie hin.

Dienst der Glieder Christi

Dieses gilt ebenfalls von Christi Gliedern, in denen er Seine Werke wirkt, welche mit Ihm zugleich "Diener sind, durch welche andere gläubig werden", und welche "ihren Lohn empfangen, ein jeglicher nach seiner Arbeit" (1Kor 3:5). Diese sind Gottes Mittarbeiter, und wenn "sie auf sich selbst und auf die Lehre achthaben", so machen sie sowohl "sich selbst hier selig, als auch die, welche sie hören". (1Tim 4:16) Es wird durch sie ein gegenwärtiges Werk vollbracht, doch ihre Arbeit ist damit nicht abgeschlossen . Auch sie sind "der Welt Erben", (Röm 4:13 und Gal 3:8.9) und daher dürfen auch sie samt Christo sagen: "ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall". Die Heiligen dürfen sagen: Ich bin ein Teil von Christi Leib, und die Welt ist mein (1Kor 3:22). Menschen, welche ich im Fleisch noch nie gesehen habe, gehören mir, denn sie sind mir in Christo geschenkt, gemäß dem Bund, der nicht gebrochen werden kann. Er trat aber nicht in Sein priesterliches Amt ein, bevor er nicht durch dem Tod und das Gericht gegangen war; und so wird auch mein Tod mich in einen umfassenden Dienst für diejenigen einführen, welche, obgleich nicht aus dem gegenwärtigen Stall, doch die Seinen und in Ihm auch die Meinen sind. Die "anderen Schafe" sollen heimgeführt werden. "Ich muss sie auch herführen". Ich bin dazu beauftragt, und ich werde es tun.

Denn in dem zukünftigen Äon werden diejenigen, welche Christus angehören, und welche das Kleinod der hohen Berufung gewinnen, Könige und Priester sein (Offb 1:6), um diejenigen herbeizuführen, welche niemals in den jetzigen Stall eingehen werden, welche aber, obwohl sie nicht unter den Erstgeborenen sind doch als Teilhaber an dem gemeinsamen Leben Gottes zu der "einen Herde" und unter den "einen Hirten" gehören werden. Denn es soll nicht ewiglich zwei Herden von Verlorenen und Geretteten geben. Die Verlorenen sollen von dem guten Hirten gesucht werden, "Bis Er sie findet" (Lk 15:4). Es soll nicht ewiglich eine Scheidung bestehen, denn "Gott ist Einer" (Röm 3:30 - Gal 3:20 - 1Tim 2:5). Zuletzt werden alle Seine Stimme hören, und es wird "ein Hirt und eine Herde werden".

Folgen des Dienens

Es hat aber dieser Dienst auch segensreiche Folgen für den Diener selbst. "Darum liebt mich mein Vater, dass ich mein Leben lasse, auf dass ich es wieder nehme" (Joh 10:17). Sicherlich war der Sohn stets der Geliebte. Der Herr besaß Ihn im Anfang Seiner Wege. Er war Gottes Lust von Ewigkeit her (Spr 8:30). Aber da Er Knechtsgestalt annahm, wurde Er auch um Seines Dienens willen geliebt: (Phil 2:7-9) aLs Seinen Knecht hat Gott Wohlgefallen an Ihm (Jes 42:1). Auch wir sind als Kinder geliebt, sogar wenn wir blind, verirrt und lahm sind. Doch wir können Gott auch durch unseren Gehorsam gefallen, wie unser Herr sagt: "Wer mich liebt, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen" (Joh 14:28). Ach, wenn wir nur mehr daran dächten, welche Freude Ihm unser Dienst bereitet, wie sehr "der Tod Seiner Heiligen vor dem Herrn wertgehalten ist" (Ps 116:15) und wieder Dienst Seiner Auserwählten Ihm so kostbar ist "wie Trauben in der Wüste und wie die ersten Feigen am Feigenbaum" (Hes 9:10) - wenn wir es nur bedenken wollten, dass, wenn wir weise sind, wir unseres Vaters Herz erfreuen, (Spr 27:11) - so wie wir Ihn durch unseren Unglauben täglich betrüben - so würden wir uns öfter gedrungen fühlen, unsere Leiber zum lebendigen Opfer zu geben, heilig und Gott angenehm, welches unser vernünftiger Gottesdienst ist.

Und was diesen Dienst angenehm macht, ist, dass er sowohl freiwillig als auch zugleich die Erfüllung Seines Gebotes ist. Er ist freiwillig, denn: - "Ich lasse mein Leben, niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber" (Joh 10:18). Dieser Dienst entspringt aus einem Herzen, das in Gemeinschaft mit demjenigen steht, der, weil Er Liebe ist, Seinen eingeborenen Sohn freiwillig dahin gab. Doch ist er auch gemäß einem Gebot und entspricht des Vaters Willen: - "Solches Gebot habe ich von meinem Vater empfangen" (Joh 10:18). So ist der gleiche Dienst sowohl ein freiwilliges Opfer als auch Gehorsam einem Gesetz gemäß, nämlich dem Gesetz der Liebe, welche nicht das Ihre sucht. Der Sohn will, was der Vater will. Und an Ihm hat der Vater Sein Wohlgefallen, weil der Sohn sich selbst freiwillig für die Menschen dahin gibt. Daher schließt Christus Seine Rede hier, indem Er sagt: - "Ich und der Vater sind eins" (Joh 10:30).

Doch sind dieselben nicht mehr eins, als Christus es mit Seinen Gliedern ist. Er ist das Haupt und sie sind der Leib, und Er liebt sie, wie der Vater Ihn liebt (Joh 15:9). Daher geben sich beide in Gemeinschaft eines Lebens hin und erfüllen somit zu gleicher Zeit ein Gebot hierdurch. Niemand zwingt sie dazu, sich für andere zu erniedrigen. Sie lassen ihr Leben, weil sie lieben, während sie zugleich durch dieses Lassen des Lebens das Gesetz Gottes befolgen. Ihr Wille begehrt eben nach dem, was Er gebietet. Das Gesetz der Opfer versinnbildlicht alles dieses. Doch das nächste "Wahrlich, Wahrlich" macht dieses noch deutlicher durch das, was es uns von dem Opfer sagt, das der neue Mensch bringt, auf dass andere durch Ihn leben mögen.

Leben für Gott

Dies ist der Dienst, den Gott anerkennt, und stets sucht Er nach etwas von dem Geist eines solchen Dienstes, nicht nur bei den Unterhirten (Hes 34:2-20) sondern auch bei den Schafen; denn was Er wider die Herde hat, wenn Er "richtet zwischen den Lämmern und Schafen und Böcken", ist dies, dass die Starken "die Schwachen mit ihren Hörnern von sich gestoßen und mit den Füßen ausgeschlagen haben" und "die überflüssige gute Weide aufgefressen und die schönen Borne getrunken" und "den Schwachen nur dasjenige gelassen haben, wes sie zertreten und mit ihren Füßen trübe gemacht haben" (Hes 34:17-22) Und wenn Christus zum Gericht kommt und alle vor Ihm versammelt sind, und Er sie von einander scheidet, wie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet, welche ist dann die Auflage gegen die Verurteilten als diese: "Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mit nicht getränkt" ? (Mt 25:41-45). Ihre Schuld besteht einfach nur in einem Mangel an Liebe, das heißt einem Mangel an Ähnlichkeit mit ihrem Herrn, einem Mangel an Seinem Leben, welches Er allen zu geben kam, wenn wir ihn nur aufnehmen, ein Leben, welches für andere leben muss und nicht für sich selbst, denn es ist Gottes eigenstes Leben, welches das Seine sucht, denn Gott ist Liebe. Aller wahrhafte Dienst ist nichts anderes als der Ausfluss dieses einen, ewiges Lebens, welches Geduld hat und bis zuletzt nicht müde wird, und dessen letzte Werke sogar noch mehr sein werden als die ersten. Christus ist das Muster solchen Dienstes. Möchten wir von nun an nicht mehr wir selbst sein, die da leben, sondern Christus allein, der in uns lebt und dient! -

Lies weiter hier:

9. Das Opfer des neuen Menschen - Das achte "Wahrlich, wahrlich"
10. Die Erniedrigung des neuen Menschen - Das neunte "Wahrlich, wahrlich"
11. Die Herrlichkeit und Macht des neuen Menschen - Das zehnte "Wahrlich, wahrlich"
12. Der Schmerz und die Freude des neuen Menschen - Das elfte "Wahrlich, wahrlich"
13. Die Vollendung des neuen Menschen - Das zwölfte "Wahrlich, wahrlich"