Ums Königreich

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Abschrift des Buches: Der da war, und der da ist und der da kommt!
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Aus dem Gemeinschaftsblatt für innere Mission Augsb. Bek.: "Reich-Gottes-Bote“ (1918-26)
Selbstverlag des Bibelheims „Bethanien", Langensteinbach

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Inhaltsverzeichnis:
Kapitel davor:
68. Unter Meiner Herrschaft Mt 5:43-48 (1924)

69. Ums Königreich

  • Mt 9:35-38 (ELB) (35) Und Jesus zog umher durch alle Städte und Dörfer und lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen. (36) Als er aber die Volksmengen sah, wurde er innerlich bewegt über sie, weil sie erschöpft und verschmachtet waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. (37) Dann spricht er zu seinen Jüngern: Die Ernte zwar ist groß, die Arbeiter aber sind wenige. (38) Bittet nun den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter aussende in seine Ernte!

Die Auslegungsfrage

Ums Königreich der Himmel geht Jesu Reden, geht Jesu Zeichentum, geht Jesu Jammer. Was Luther in unserem Text mit „Reich“ übersetzt, heißt wörtlich „Königreich“ Es ist wichtig, das zu erkennen, weil, wie wir schon oft gezeigt haben, es sich eben nicht um die Gemeine handelt, wenn vom Königreich die Rede ist. Wir stehen in diesem Text wieder einmal vor einem H a u p t - und G r u n d w o r t, welches, je nachdem man es auslegt, in ganz verschiedene Linien, auch in verschiedene Arbeitslinien des Reiches Gottes zieht. Darum ist es eine tiefernste und heilig-gewissensmäßig Sache, den richtigen Heilandssinn bei solchen Worten zu erfassen. Weil wir das glauben, nur darum reden wir auch.

Wir müssen hier etwas Grundlegendes beachten. Wir stehen mit unserer hergebrachten Auslegung, sonderlich auch der drei ersten Evangelien, aber auch vieler anderen Stellen, noch sehr stark in der k a t h o l i s c h e n A u s l e g u n g s w e i s e. Wenn wir die Heilige Schrift so recht zum Nutzen der Gläubigen auslegen wollen, müssen wir in weiten Teilen in eine viel evangelischere Auslegungsweise eindringen. Die reformatorische Auslegung ist hier nicht in allen Stücken evangelisch geworden und konnte es auch nicht werden. Es ist den nachkommenden Glaubensgeschlechtern vorbehalten geblieben, in wachstümlicher Weise, und mit geleitet von der fortschreitenden Weltregierung Gottes in eine immer allseitigere evangelische Auslegungsweise hineinzuwachsen. Es ist doch nur zu verständlich, dass die alte, die katholische Kirche - „k a t h o l i s c h“ heißt: auf das Ganze, auf die Masse gehend - je mehr sie aus dem Gemeinecharakter heraustrat und Massenkirche und gar Staatskirche wurde, alle die Stellen, welche sich auf das Machtreich und Königreich Gottes beziehen, auf sich selbst zog und schließlich die ganze Bibel unter diesem Gesichtspunkt auslegte. Von dieser Auslegungsart konnte sich auch die reformatorische Kirche in ihren Anfängen nicht ganz befreien, weil sie auch noch Massen-Kirche und Fürsten-Kirche blieb.

Je länger, je klarer trat aber auch in allerlei Erscheinungen, sonderlich in den evangelischen Teilen der Welt, die Gemeine wieder heraus, und nun gab’s schon in vielen Stücken eine wachstümlich evangelischere Auslegung. Vielen dieser Linien konnte sich auch die große Kirche mit der Zeit nicht entziehen und hat sie sich angeeignet. Wir sind nun in unseren Tage in eine der entscheidendsten Wenden der Weltregierung Gottes eingetreten. Nach 2000 Jahren ist das jüdische Volk als Volk auf den Plan getreten. Die Zeiten kommen in Lauf, wo die auf diese Stunde hin versiegelten Weissagungen aufbrechen. Jetzt ergibt sich ein g a n z n e u e s B i l d - nein, es ergibt sich das u r a l t e O f f e n b a r u n g s b i l d, welches nur im Laufe der Jahrhunderte entstellt und verdreht worden war, wenn auch ohne bösen Willen. Juden und Nationen treten einander gegenüber, wie es in den früheren Gotteszeitaltern (Äonen) war, und wie es unverbrüchlicher Plan Gottes ist. An der Wende zweier Gotteszeitalter stehend, tun wir einen uns oft überraschenden, aber doch gar weiten und beseligenden Blick in die verschiedenen Gotteszeitalter zur Durchführung des Rettungsplanes Gottes. Und diese Gotteszeitalter stehen zu gleicher Zeit in ihrer wunderbaren Verschiedenheit und doch auch wieder in ihrer durchgehenden Einheit vor unseren Augen auf.

Zeugen des Wortes

In der ganzen sogenannten „christlichen“ Welt treten die Zeugen auf, natürlich wie immer, jetzt am Anfang noch viel bekämpft und missverstanden - natürlich auch, weil selber wachsend, oft missverständlich -, und diese Zeugen geben auf Grund des göttlichen Wortes den Juden, was den Juden gilt, und den Nationen, was den Nationen gilt. Ein großer neuer Schritt geschieht zum tieferen evangelischen Verständnis der Schrift. Nicht als ob die geistgeborenen Kinder Gottes das nicht auch bisher erkannt hätten - gewiss haben sie es. Wir finden überall bei den alten Vätern Fortschritte in der eigentlich evangelischen oder gemeinemäßigen oder äonenmäßigen Auslegung der Schrift; aber weil die Weltverhältnisse noch nicht so reif waren wie jetzt, ist vieles in der Hülle geblieben, was jetzt freier hervortritt und in den kommenden Zeiten noch freier hervortreten wird.

Was den G l a u b e n s w e g angeht, so hat hier Luther einen gewaltigen evangelischen Auslegungsfortschritt gemacht, was aber den O f f e n b a r u n g s r a t angeht, ist er, wiewohl er auch hier herrliche Durchblicke hat, doch durch den Druck der Verhältnisse im Katholischen geblieben. Weil wir nun in der gegenwärtigen Epoche unserer Kirche, sonderlich seit Krieg und Revolution, in der großen Gefahr stehen, auf allen Linien zu katholisieren und katholisch zu werden - und die katholische Kirche merkt das wohl, die evangelischen Massen merken es aber leider nicht -, darum tut es umso mehr not, laut zeugend die evangelische oder gemeinemäßige Schriftauslegung immer heller ans Licht zu stellen, damit in den letzten Zeiten die Auserwählten einen umso festeren Stecken und Stab haben.

Zeitlich korrekte Einordnung

Diese Wahrheiten wollen wir nun anwenden auf unser gegebenes Textwort. Wir haben schon oben gesagt, es ist ein Haupt- und Grundwort - und eben darum ist seine richtige Beziehung von so großer Bedeutung. Mit diesem Wort Mt 9:35-38 sind ganze Bewegungen innerhalb der evangelischen Volksteile entfacht worden, mit diesem Wort sind ganz gewaltige Arbeitsgebiete eröffnet und immer wieder gefördert worden. Die innere Mission Wichernschen Sinns - welcher aber bezeichnenderweise die Gemeine der Gläubigen von Anfang an zurückhaltend gegenüberstand - und viele andere Reichs-Gottes-Arbeit fußen auf diesem Wort. Darum ist es so hochwichtig, es richtig zu verstehen.

Und da gilt es nun zuerst klar zu betonen: wenn wir dieses Wort restlos auf das gegenwärtige Zeitalter des Rates Gottes beziehen, dann kommen wir in vollständig schiefe Linien auch auf dem Gebiet der Reich-Gottes-Arbeit und werden, wie wir sehen werden, auch dem Wort selbst nicht gerecht. Gehen wir hinein in unser Heilandswort! Das ist gewiss wahr und klar, dass es vom K ö n i g r e i c h und seiner Heraufführung handelt. Dass aber das von den Propheten verheißene, von den Juden erwartete, und vom Heiland gepredigte und bestätigte Königreich etwas ganz anderes ist als die Gemeine der Gläubigen, welche aus Gott geboren heranwächst zur w e s e n t l i c h e n E i n h e i t mit dem K ö n i g, das ist ganz offenbar. Die Söhnegemeine gehört zum K ö n i g - Er in ihr und sie in Ihm - b e i d e in e i n s. Die Söhnegemeine wächst in die völlige Gleichheit des Sohnes hinein. Das ist etwas ganz anderes als das K ö n i g r e i c h mit dem König und den Untertanen. Wie verschieden beide sind, sehen wir deutlich in unserem Text.

Das jüdische Volk zuerst

Der Heiland zieht nach unseren Textworten umher in alle Städte und Märkte, lehrt in ihren Schulen und predigt das Evangelium vom Königreich. Vollständig klar ist hier der Heiland a u f s G a n z e gerichtet. Das ganze Volk will Er. Das tritt noch viel deutlicher hervor aus dem zehnten Kapitel, dem auf unseren Text folgenden, welches wir nachlesen wollen; da ist alles auf das ganze jüdische Volk gerichtet. Darum heilt der Heiland auch nicht a l l e r l e i Krankheit, wie Luther übersetzt, sondern jede S e u c h e und j e d w e d e Krankheit im Volk, also r e s t l o s a l l e s, was Ihm in den Weg kommt. Dasselbe befiehlt Er den Jüngern Mt 10:8. Ganz allgemenin sagt Er: „Macht die Kranken gesund, reinigt die Aussätzigen, weckt die Toten auf, treibt die Teufel aus.“ Und ganz genau hält Sich der Heiland als der echt gehorsame Sohn an den Plan des Vaters, nach welchem Er wusste, dass erst die Fülle des Israel aus dem jüdischen Volke gewonnen werden müsste, und dass dann erst die Nationen eingehen könnten ins Königreich - solches zeigen ja alle Propheten. Darum befahl Er den Jüngern Mt 10:5.6: „Gehet nicht auf der Heiden Straße und nicht in der Samariter Städte, sondern allein zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Dass hier ein ganz anderes Gottzeitalter vor uns steht, als es die Gemeine der Gläubigen ist, leuchtet auf den ersten Blick ein. (Hier möchten wir nur einfügen, dass Mt 22. und Lk 14. bei der königlichen Hochzeit unter denen - „von den Gassen und Landstraßen“ auch Juden gemeint sind; dass also dort kein Gegensatz zu Mt 10. vorliegt.)

Die gläubige Gemeine

Die gläubige Gemeine geht immer nur auf einzelne, und ist eine Einheit von Juden und Nationen. In ihr ist der Zaun abgebrochen: da ist nicht Jude noch Grieche, sondern allzumal e i n e r in Christo. So ging’s dem Heiland in unserem Text ums Königreich. Er ist eben zunächst und zuerst als Messias gekommen und als Erfüller des Gesetzes und der Propheten, und erst als diese Fülle nicht heraufgeführt werden konnte, trat das Zeitalter der Gemeine in seine Fülle. Wie unterschiedlich Königreich und Gemeine sind, sehen wir auch an den Heilungen des Herrn. Er heilte j e d e Seuche und j e d w e d e Krankheit im Volk - also unterschiedslos. Das geschieht doch in der Gemeine nicht, und auch nicht von der Gemeine aus. Paulus war lebenslang krank, Timotheus hatte einen elenden Magen und musste ihn mit Wein kurieren. Und wenn der Heiland den Zwölfen - und, achten wir wohl, s o g a r dem J u d a s (Mt 10:4) - den Auftrag gibt, restlos a l l e s zu heilen, was ihnen in den Weg kommt, ja sogar alle Toten, die sie anträfen, aufzuwecken, so entsprach das ganz den prophetischen Verheißungen.

Bei der Hochzeit des Lammes, bei der Aufrichtung des Königsreichs (was dasselbe ist), sollte niemand krank sein, auch nicht infolge von Todesfällen traurig oder unrein. Das alles aber passt doch in keiner Weise auf die Gemeine. Eine solche Wirksamkeit hat der gläubigste Mensch nicht. Die Gabe der Heilung, welche zum Besten des Aufbaus der Gemeine auch in ihr ist, geht in ganz anderen Linien als dieses Heilandstun und dieser Heilandsauftrag (Mt 9. und Mt 10.). Nehmen wir nur das ganz allgemeine; „Weckt die Toten auf!“ - das ist in der Gemeine einfach ausgeschlossen. Die Gläubigen sind die Gemeine der A u f e r s t a n d e n e n. Der lebendige Glaube i s t die Erstauferstehung; aber diese Erstauferstehung haben die Gläubigen in dem irdenen Gefäß des Todesleibes. Wenn der Geist Christi in uns wohnt, ist der Leib noch tot (Röm 8.). So sehen wir, wie der Heiland in unserem Text ums Königreich ringt, nicht um die Gemeine. Dies geht auch aus dem Wort „Ernte“ hervor.

Beginn der Ernte

Wenn das jüdische Volk gläubig wird, beginnt d i e E r n t e; darum war der Versuch des Herrn, das jüdische Volk zu Buße und Glauben zu erwecken, der Anfang der Ernte. Aber die Ernte konnte nicht durchgeführt werden, sie erwies sich als noch nicht reif. Und da ist jetzt ganz nach der göttlichen Offenbarung zuerst die Z e i t der E r s t l i n g e. Erst wenn die Erstlinge der Ernte im Tempel geborgen sind, kann die eigentliche Ernte beginnen. Darum sind wir eben jetzt nicht in der Ernte, sondern in der Erstlingseinheimsung. Zu dieser braucht man nun, um dies gleich hier vorauszunehmen, naturgemäß gar nicht so viele Arbeiter, die braucht man erst in der eigentlichen Ernte. Warum der Heiland, obwohl Er wusste, dass die Erstlingsernte noch nicht geborgen war, doch den Ernteversuch im jüdischen Volke machte, davon wollen wir weiter unten reden. Hier haben wir zunächst noch eine andere Seite darzulegen.

Also das haben wir ganz deutlich gesehen: von der Gemeine ist hier nicht die Rede, es geht ums Königreich Christi, um das sogenannte Tausendjährige Reich. (Leider ist dieser nur e i n m a l in der Bibel vorkommende Name auf das Ganze übertragen worden. Wir würden viel besser „Königreich Christi“ sagen, das ist der häufigere Name.) Nun sieht aber der Heiland bei Seinem unablässigen Wirken um dieses Königreich Gottes oder der Himmel etwas sehr Trauriges, was Ihm das Herz brechen will. Er sieht, dass keine wahre Buße da ist, darum auch kein lebendiger Glaube. Kraft Seines prophetischen Blickes sieht Er eine Tatsache, die Sein Herz mit Jammer erfüllt.

Zerstreut und verschmachtet

Statt gesammelt unter Ihm selbst, dem einigen, verheißenen Erzhirten, sieht Er das jüdische Volk z e r s t r e u t und v e r s c h m a c h t e t wie Schafe, die keinen Hirten haben. Äußerlich war es das damals, als der Heiland unter ihm stand, nicht. Nein, es war im Gegenteil nach innen in seinen Gottesdiensten reich und nach außen abgeschlossen. Es war so reich, dass wie uns der Hebräerbrief zeigt, viele heilandsgläubige Juden späterhin in Gefahr standen, in den jüdischen Gesetzesdienst zurückzufallen. Aber innerlich war die Anlage zum kommenden Elend in der Unbußfertigkeit schon da. Das sah aber einstweilen nur das prophetische Auge des Herrn. So sieht der Heiland: das Königreich kann noch nicht kommen; die Hochzeit kann noch nicht gehalten werden. Ja, Er sieht eine lange Fluchzeit der Zerstreuung und Verschmachtung, welche vor unseren Augen heute - zweitausendjährig, und vor ihrer Vollendungshöhe stehend - offen daliegt.

Und der Heiland sieht die innere Teinahmslosigkeit hauptsächlich auch darin, dass keine Arbeiter aufstehen, welche begeistert den Anbruch des Königreichs des Messias verkündigten. Kein Mensch ist mehr aufgestanden nach Johannes dem Täufer. Jammernd bittet Er die Jünger, sie sollten doch um Arbeiter in die große Ernte bitten - und schickt endlich die armen Zwölfe aus. Ja, der Herr sieht, es geht nicht. Er sagt das in Mt 10. auch den Jüngern, als Er sie aussendet: Ihr werdet nicht durchdringen, sondern von Wölfen angefallen werden, denen gegenüber ihr arme Schafe seid. Und dann sagt der Heiland den Jüngern: „Wahrlich Ich sage euch, ihr werdet das Volk nicht zum Ziele bringen (Luther: zu Ende kommen), bis des Menschen Sohn kommt.“ Hier weist der prophetische Blick des Herrn auf Dan 7.. Dort kommt des Menschen Sohn nach vier Weltreichen und den zehn Königreichen und nach dem Antichristen. Soweit also sieht der Heiland das Königreich der Himmel hinausgeschoben in Seinem Geiste, und eine so lange Fluchzeit sieht Er. Das jammert Ihn tief.

Man wird dem Jammer Jesu nicht gerecht, wenn man nicht diese Tiefe sucht. Nun könnten wir aber sagen: wenn der Herr gewusst hat, dass das Königreich der Himmel noch nicht kommen könne, wenn Er die lange Fluchzeit vorausgesehen hat, warum hat Er Sich dann doch soviel Mühe gegeben, es aufzurichten durch Wort und Zeichen? Warum hat Er dann doch die Jünger ausgesandt? Warum heißt Er sie dann doch bitten um Arbeiter für die Ernte? Und wenn der Herr gar wusste, dass die Erstlinge noch zuerst gesammelt, und ins Heiligtum gebracht werden müssten, warum redet Er schon von Ernte?

Die Verheißung des jüdischen Volkes

Durch all das sollte Israel und das jüdische Volk o f f e n b a r w e r d e n. Es musste einmal heraustreten, wie es in Wahrheit um dasselbe stand. Das konnte aber nur geschehen, wenn ihm die ganze Fülle der Erfüllung aller Verheißung angeboten wurde. Da wurde es offenbar, wie weit es noch entfernt war, diese Erfüllung in Wahrheit zu wollen. Ja, wir können noch einen Ton tiefer gehen. Diese ganze Heilands- und Jüngerarbeit sollte zunächst die Verstockung heraufführen, damit das Volk, durch die furchtbaren Gerichte der Zerstreuung und der Verschmachtung geläutert, endlich den König und das Königreich annehme. Hat nicht der Heiland auch in Gleichnissen geredet, d a m i t sie sich nicht bekehrten? Auch das Judenvolk musste zuerst verschlossen werden unter den Unglauben wie auch alle Nationen, auf dass Er Sich aller erbarme. Die Zerstreuungs- und Verschmachtungszeit, so jammervoll sie ist, so verschuldet sie ist von Seiten des Volkes, ist doch ein notwendiger Weg, im Liebesrat Gottes beschlossen zu seiner G a n z v o l l e n d u n g. So geht’s in unserem Text im Wirken und im jammervollen Leiden ums Königreich Christi. Wie richtig diese Auslegung ist, sehen wir auch an der praktischen Anwendung.

Bei der restlosen gewöhnlichen Beziehung dieser Heilandsworte auf das gegenwärtige Gottzeitalter kommen wir zu etwas ganz Unmöglichem. Da wird gewöhnlich gepredigt: Ach, es ist n o c h s o ! Auch unser Volk ist verschmachtet und zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben, und die ganze Welt ist so; und das kann dann natürlich auf die ergreifendste Weise an den verschiedensten Beispielen gezeigt werden; und dann, wenn es erschütternd gezeigt ist, dann geht es los: darum Arbeiter, Arbeiter, Arbeiter und natürlich auch Geld, Geld, Geld. Wir können es nicht verstehen, wie es den Menschen nicht auffällt, dass es jetzt, nachdem der Heiland 2000 Jahre alle Macht hatte, noch so sein soll - und womöglich noch ärger - wie vor 2000 Jahren, so dass wir noch ärger um Arbeiter schreien müssten.

Ja, was hat denn dann der Heiland eigentlich in den 2000 Jahren getan? Das wäre doch eine jämmerliche Sache. Da müsste uns ja die Welt auslachen, wenn es so wäre. Zwar das ist wahr, das jüdische Volk ist zerstreut und ist verschmachtet, und in unseren Tagen mehr als je. Und das ist auch wahr, weil das jüdische Volk noch unbekehrt ist, sind auch die Nationen noch verschmachtet und zerstreut - aber ist das alles? Soll uns 2000 Jahre lang nichts bleiben als der Schrei nach Arbeitern? Nein und wieder nein!

Die Glaubensgemeine

Die G l a u b e n s g e m e i n e ist d a - und sie ist da durch die ganzen zweitausend Jahre. Sie ist in ihrer Vollkommenheit noch nirgends äußerlich sichtbar. Sie bleibt verborgen, solange ihr Haupt verborgen bleibt. Aber sie ist da, sie ist wahrhaftig da, und sie tritt in Teilform und noch im Werden begriffen, also in Unvollkommenheit, da und dort heraus, wo Gläubige sich die Hände reichen. Und diese Gemeine ist in Wahrheit weder zerstreut noch verschmachtet. Von außen sieht es wohl so aus. Aber in Wahrheit ist sie eins unter ihrem einen, himmlischen Hirten. Ich glaube an eine heilige, christliche Kirche. Und diese Gemeine der Gläubigen ist nicht verschmachtet, nein, sie ist wohl ernährt. Sie wächst in allen Stücken an ihrem Haupte Christus. Sie hat noch nie Mangel gehabt. Der Herr führt sie durch Seinen Heiligen Geist in alle Wahrheit. Er will sie nicht darben lassen. Er rüstet sie aus, hin und her zu jedem Kampfe und zu jeder Aufgabe, und in jeder neuen Zeit mit den Gaben und Kräften die sie braucht - im einzelnen und im ganzen.

Und diese Gemeine braucht nicht um Arbreiter zu schreien. Da werden immer wieder solche g e g e b e n zu Aposteln, Evangelisten, Hirten und Lehrern, auf dass die Heiligen zugerichtet werden. Uns will sogar manchmal eher scheinen, es sei wie zur Zeit Gideons, dass der Herr sagen müsste: „Des Volkes (der Arbeiter) ist zu viel.“ Es sind zu viele da, welche nicht das Wasser direkt mit der Zunge lecken, wie der Hund leckt (Ri 7:5ff.) Uns will dünken, als wäre es genug, wenn da und dort ein hell scheinendes Licht stünde, zu dem dann alle Aufrichtigen laufen würden. Die Gemeine ist versorgt und wird versorgt, und Gläubige wissen auch immer und merken sofort, wo sie versorgt werden. So steht es um die Gemeine, da braucht’s keinen Jammer, da ist der Herr und der Geist und die Gaben, auch wenn’s durch viel Armut, Gedränge und Kreuz geht.

Allerdings, des armen jüdischen Volkes und der armen, zerstreuten und verschmachteten Nationen jammert auch uns. Doch hilft da im jetzigen Zeitalter nicht die Bitte um Arbeiter in der Ernte. Das ist eine eigentliche Königreichsbitte, die bekommt erst im erschienenen Königreich wieder ihre Bedeutung. Da hilft jetzt nur das: „Komme bald Herr Jesu!“ - und die Bitte um Vollendung der Gemeine und um rechte Durchwirkung der laufenden und kommenden Zeitgerichte, welche die Liebe Gottes zum Zerbrechen braucht. Je mehr uns aber der Zustand der Nationen jammert, umso mehr wollen wir Fleiß tun, unsere Berufung und Erwählung fest zu machen; denn die Kreatur wartet mit ihrem Schmachten auf die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

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70. Johannes der Täufer und das Gotteskind Mt 11:2-15