Jakob und Esau

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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort“ (Jahrgang 1923-25)
Begründet von Professor E. F. Ströter

Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.

Siehe weitere Abschriften

Das erste Buch Mose

von: Prof. E. F. Ströter
Inhaltsangabe: 1Mo 1-50

10. Jakob und Esau

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Isaak segnet seine Söhne

Am Anfang dieses Kapitels (1Mo 27:1-4) wird uns etwas von Isaak berichtet, was uns aufs Tiefste beugen muss. Auch Abraham konnte lange nicht von der tiefgewurzelten Zuneigung zu Ismael loskommen, der Mischlingsfrucht aus Glauben und eigenem Können.

Hier haben wir, wenn wir es so nehmen wollen, die Sache noch schmerzlicher! Abraham hätte es ja gerne gesehen, dass Gott Ismael anerkannt hätte als Träger der Verheißung, so weit aber wie Isaak ist er nicht gekommen. Man sieht in einem gewissen Sinne, dass, je höher man steigt im geistlichen Leben, man um so tiefer fällt, sobald man das Niveau verlässt.

Isaak hat nicht nur den Wunsch und das Verlangen, Esau den Segen zuzuwenden, sondern er greift selbständig ein, das zu Stande zu bringen. Isaak tut alle Schritte, die er tun kann in seinem hohen Alter, nach einem reich gesegneten Leben. Das ist erschütternd.

Wir dürfen aber nicht Steine werfen; nur einen Denkstein wollen wir uns setzen und uns zu einer ernsten Mahnung werden lassen, dass keine noch so gesegnete, fruchtbare vom Herrn aufs Höchste anerkannte Stellung im geistlichen Leben uns unfehlbaren Schutz gewährt gegen tiefgehende Missgriffe, gegen ernstliche, bedenkliche Rückfälle, gegen ein sehr gefährliches Raumgeben den eigenen Gedanken des Fleisches.

Isaak steht vor uns in einer ganz köstlichen Gestalt, und nun am Ende seines Lebens sehen wir diese tieftraurige Kundgebung. Er aß das Wildbret so gern. An dieser Schwäche setzte die Versuchung ein, und um dieser Schwäche willen, die ja diesem Esau so verderblich war, kommt er zu Fall. Er spricht seine ganz bestimmte Absicht aus, ihm den Erstgeburtssegen zuzuwenden (1Mo 27:4).

Rebekka mischt sich ein

Dem gegenüber nun trifft Rebekka ihre Veranstaltung mit dem Zweitgeborenen, der die Verheißung erben soll (1Mo 27:5-13). Sie hatte deutlich gehört: der Ältere wird dem Jüngeren dienen (1Mo 27:25.23). Es wird ihr angst und bange, als sie von dem Plane Isaaks hört, und nun sucht sie der Absicht Isaaks entgegenzuarbeiten, um mit ihren Mitteln ihrem Lieblingssohne den von Gott gewollten Erstgeburtssegen auf einem Schleichwege zu sichern.

Da sind Züge, die uns mit Deutlichkeit unser verschlungenes Wesen offenbaren, so dass wir uns in den tiefsten Staub zu beugen haben; auch Züge, wie sie sich in der äußeren Erscheinung der Kirchen und im geschichtlichen Verlauf der Geschichte des Samens Jakobs nach dem Fleische wiederholt haben.

Jakob ist ein Auserwählter auf der Stufe des Dienstes, die ja erst im Gefolge sein kann von Isaak und Abraham. Auch das Kampfesleben muss vorangehen, das Leben Isaaks am Wasserbrunnen, ehe es zu einem gesegneten Leben des Dienstes kommen kann. Das ist deutlich gesagt in der Erscheinung Jakobs nach Isaak und Abraham.

Nun aber sehen wir diesen Auserwählten etwas Merkwürdiges tun. Der Anschlag seiner Mutter war raffiniert, aber es sprechen sich darin überraschende Wahrheiten aus. Er nimmt die raue Gestalt seines Bruders ein, um unter dieser Gestalt den Segen seines Vaters zu erschleichen. Er verleugnet damit seine ihm von Gott geschenkte Eigenart und nimmt das an, was Esau seinen Namen eingetragen hat.

Das ist der Haushalt des Glaubens, der die Art und Erscheinung des Weltgeistes einnimmt, um ihm wirksam zu begegnen, um ihn unter sich zu zwingen; denn das war der unverkennbare Trieb in dem Gebaren Jakobs. Es gibt sehr viel solches Christentum, das dienstbereit und dienstwillig ist, dem man auch seine Eigenschaft als dem Haushalt des Glaubens entstammend keineswegs absprechen kann, das sich aber sehr bedenklicher, fleischlicher Wege bedient, um den älteren Bruder draußen unter sich zu zwingen. Das hat die Kirche immer wieder versucht und dazu die raue Esaugestalt an sich genommen.

Um die Welt zu christianisieren, hat sie sich weltlicher Maßregeln bedient – mit scheinbarem Erfolg. Das Wunderbare dabei ist, dass dennoch der Haushalt Jakobs der gesegnete geblieben ist, wie es auch dabei bleibt, dass alle diese Machenschaften das wirkliche innere Wesen des Haushalts des Glaubens nicht verändern können. Darunter ist eben doch Jakob. Die Stimme ist Jakobs, und Jakob ist und bleibt der Gesegnete des Herrn, weil er doch ein höheres Verständnis hat für den Wert der Erstgeburt als Esau, der ihr Verächter ist.

Es ist ja dem Jakob nicht ganz geheuer bei diesem ganzen Handel. Er sagt seiner Mutter glatt ins Gesicht, er würde in den Augen seines Vaters als Betrüger erscheinen, und das möchte ihm Fluch statt Segen eintragen. Die Mutter aber will den Fluch auf sich nehmen und fordert nur, dass Jakob ihren Anordnungen folge. So haben sie denn beide das Vorhaben ausgeführt und Isaak wirklich hintergangen, trotzdem dieser Bedenken hatte und über die Persönlichkeit nicht recht klar war.

Wie wunderbar Gott da wieder ausgeglichen hat! Isaak bedurfte einer scharfen Zurechtweisung, weil er eigenwillig den Segen dem geben wollte, für den er nicht bestimmt war. Der wirkliche Erbe der Verheißung muss ihm diesen schändlichen Streich spielen, ihn vor seinen Augen zu täuschen. Ja, das sind Gerichtswege Gottes! Und sein eigenes Weib ist die Anstifterin dieses ganzen schmutzigen Handels! Was hat da Isaak für schändliche Dinge erlebt in seinem eigenen Hause an denen, die ihm die Nächsten waren!

Wie viel derartige schmerzliche Dinge werden am Tage der Offenbarung der Gläubigen vor dem Richterstuhl Christi zum Ausgleich zu bringen sein gerade innerhalb des Haushalts des Glaubens.

Aber wir wollen wieder lernen, unter keinen Umständen zu erschrecken. Nirgends ist hier davon die Rede, dass Gott die Lüge gut geheißen, und dass Er beide Augen über dem Betruge Rebekkas zugedeckt hätte. Nein, Gott hat die Sünde bei allen Dreien schonungslos heimgesucht. Isaak bekam seine Züchtigung; Rebekka muss die Verbannung ihres Lieblingssohnes erleben, und was Jakob sich hat müssen in Mesopotamien bieten lassen, ist fast unbeschreiblich. Gott versteht die Ruten scharf zu schneiden. Wir bringen es mit allen unsern Lügenschaften und Verkehrtheiten einfach nicht dahin, Gott von Seinem großen Ziel abzubringen. Auch die beschämendsten Kundgebungen unserer Art bringen Ihn nicht aus der Fassung; und der verlogene Jakob erbt die Verheißung, nicht aus Verdienst der Werke, aber aus Gnade des Berufers.

Dass Gott gerecht bleibt, Sünde heimsucht, scharf, schonungslos, aber alles zurechtbringt, wie wird einem das groß! Wir hätten hier ganz gewiss keinen Ausweg gefunden. Wenn solche tiefen Versündigungen bei uns im Brüderkreise zur Entscheidung kommen, da können wir nur sagen: Hinaus! Gott aber wirft niemand hinaus, und doch führt Gott Seine Wege durch, natürlich nicht ohne Gericht. Es kann nicht davon die Rede sein, dass Gott Sünde bei Seinen Kindern gutheißt, aber Er kommt mit ihnen zurecht durch die tiefsten Wege der Gerichtsheimsuchung.

Der Betrug wird offenbar

Wie Isaak hinter den ihm gespielten Betrug kommt, erzählt der Abschnitt 1Mo 27:30-40. Bei allem Entsetzen über dieser Entdeckung aber erklärt Isaak in Ruhe: „Ich habe ihn gesegnet, und er wird auch gesegnet bleiben“. Wir hätten vom rein menschlichen Standpunkt aus wahrscheinlich anders entschieden: Jakob hat sich selbst des Segens unwürdig gemacht und ich ziehe ihn zurück. Nicht also Isaak. Er beugt sich unter den göttlichen Ratschluss. Er anerkennt die Gerechtigkeit der Wege Gottes, die ihn freundlich und gütig verhindert hat, seinem Gott geradewegs zuwider zu handeln, und es fertig gebracht hat, auch ihn, den Widerwilligen, der es nicht beabsichtigte, dahin zu führen, dass er dennoch den göttlichen Willen zur Ausführung bringen muss.

O, das ist zum Anbeten! Wo bleibt da unsere Schulweisheit vom menschlichen Willen! Isaak hat ganz gewiss nicht gewollt, dass Jakob den Segen bekäme; er glaubt, das Beste getan zu haben, den Erstgebornen zu segnen, und glaubt auch, ihn gesegnet zu haben. Und dann entdeckt er, dass er den Jakob gesegnet und ohne es zu wollen den Willen Gottes ausgeführt hat!

Wahrlich, es ist eine kurzsichtige Art, von dem Willen eines Geschöpfes so zu reden, als könne es wirksam den Liebeswillen Gottes hintertreiben. Das gibt’s einfach nicht. Wir denken so himmelhoch von allen unsern Fähigkeiten und allem unsern Vermögen, dass wir darüber den unerschütterlichen Glauben an den allmächtigen Gott verlieren. Wir sind durchseucht und vergiftet bis in die tiefste Seele hinein von der Großartigkeit unsers Wollens, dem wir zutrauen, er könne Gott wirksam Widerstand leisten, um den Er nicht herumkommen könne.

Da sitzt der tiefe, tiefe Schaden! Keine Kreatur bringt es fertig, was Gott sich vorgenommen hat an der Durchführung zu verhindern. Niemand kann dem heiligen, herrlichen Gott auch nur den leisesten Vorwurf machen, dass Er in allen diesen verzwickten, verlogenen Händeln nicht die rechte, ja nicht eine bewunderungswerte Lösung gefunden habe. Er hat es nicht nötig, die geringste Abweichung von Seinen Plänen vorzunehmen.

In Esau steigt der Rachegedanken auf, seinen Bruder umzubringen nach seines Vaters Tode (1Mo 27:41). Zu einer solch tödlichen Feindschaft kann es bei dem Sohne Isaaks kommen! Und Esau macht gar keinen Hehl aus seiner Absicht.

Auch der Abschnitt 1Mo 27:42-46 ist von Bedeutung für uns. Was der Jakob, in dem wir eine weitere Stufe des Glaubenslebens erblicken dürfen, die Stufe des gesegneten Dienstes, alles getan hat, in diesen Dienst zu treten, sieht auf den ersten Blick gar nicht göttlich, sondern sehr menschlich aus.

Jakob flieht vor seinem Bruder

Die Hauptveranlassung für Jakob zum Dienst in Mesopotamien ist der Hass seines Bruders Esau und die mütterliche Besorgnis der Rebekka, dass sie ihre beiden Söhne verlieren könnte auf einen Tag, den einen, weil ermordet, den andern, weil flüchtig vor der Rache des Bluträchers. Das sieht gar nicht aus nach dem Geist; und Rebekka zeigt ja auch wieder sehr wenig, man darf sogar sagen: gar kein Verständnis für die Hand Gottes, die alles leitet. Sie bekundet kein Gottvertrauen. Von einem Ruhen in den Gedanken Gottes und Seinen Wegen ist keine Rede. Trotzdem ihr das Begehren ihres Herzens erfüllt worden ist, ist sie innerlich keineswegs befriedigt und stille.

Es war ja ein gottgewolltes Ziel, das Rebekka verfolgte, und sie bewegte sich, wenn auch in durchweg fleischlicher Weise, in gottgewollten Linien, da sie ihrem jüngeren Sohne den Segen des Vaters zuzuwenden trachtete; und doch, als nun der Zweck erreicht war, konnte sie sich dessen nicht freuen.

Darin dass nun, nachdem Gott in so wunderbarer Weise alles zum Besten gelenkt hat, Rebekka in so großer Unruhe und Besorgnis ist, spiegelt sich auch für uns wider so manche schmerzliche Erfahrung. Wenn man göttliche Ziele und Aufgaben erkennt, sie aber selbstwillig und fleischlich verfolgt hat, dann kommt man darüber doch nicht zum rechten fröhlichen Genuss und zur wahren Freude.

Und nun spricht sie (1Mo 27:45) ein Verlangen aus, das nicht befriedigt werden sollte. Sie hat nicht die Freude erlebt, ihren Sohn Jakob aus der Fremde wieder heimkehren zu sehen. Sie weist hier ihren jüngsten Sohn, den Erben der Verheißung, ganz bestimmt aus dem verheißenen Lande zurück in das Land, aus dem Abraham ausgegangen war und seine Freundschaft verlassen hatte. Und doch hat sie auch darin, wie wohl unverstanden, den Gedanken Gottes erfüllt.

Auf den ersten Blick mochte es ja aussehen als ein Verlassen gottgewollter Linien, aber es sollte ja nicht zu einer wirklichen Übersiedlung nach Mesopotamien kommen. Es lag Rebekka ferne, auch wenn sie den eigentlichen Gedanken Gottes nicht kannte, dass sich Jakob dauernd dort niederlassen sollte, sondern sie erblickte in Mesopotamien nur eine vorübergehende Zufluchtsstätte.

Der Herr hatte aber andere Gedanken. Für Ihn handelte es sich darum, dass der Erbe der Verheißung das verheißene Land verlassen musste, um hinabzusteigen zurück in die Gebiete des natürlichen Lebens, aus dem sein Vater Abraham nach dem verheißenen Lande im Glauben ausgezogen war. Sein Dienst sollte an denen sein, die dort zurückgeblieben waren. Zunächst sollte Jakob nicht dienen lernen im verheißenen Lande, sondern er musste lernen auf dem, was ihm nun Fremdlingsland geworden war, d. h. auf dem Boden des natürlichen Lebens, dem Abraham hatte den Rücken kehren müssen.

Wenn wir wollen, auch ein köstlicher Zug dafür, dass der Sohn und Erbe über alles den Himmel zu verlassen und hinabzusteigen hatte auf den Boden des verderbten, gottentfremdeten Naturlebens, um da zu dienen und da fruchtbar und reich zu werden.

Das wird ja Rebekka nicht alles erkannt haben. Darum ist es für uns so köstlich zu sehen, wie Gott sich dieser blinden Triebe in Rebekka bedient hat, um dadurch Seine Gedanken zu verwirklichen. Es ergeht von Jehova kein ausdrücklicher Befehl an Jakob, in jenes Land zu ziehen, aber er wird von Isaak gesegnet (1Mo 28:1) und hat unterwegs eine Begegnung mit dem Gott seiner Väter Isaak und Abraham (1Mo 28:28.13); und der bestätigt seinen Auszug nach Mesopotamien.

Ihrem Manne Isaak gegenüber beruft sich Rebekka darauf, dass sie es nicht würde ertragen können, wenn auch Jakob ein Weib aus den Hethitern nähme, wie Esau, dessen Weiber Isaak und Rebekka viel Herzeleid bereitet hätten (1Mo 26:26.35). Das schlug bei Isaak durch.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Auf der gleichen Linie wie bei Abraham bewegen sich Isaaks Gedanken (1Mo 28:1-5), als er seinen Wunsch äußert, dass Jakob ein Weib aus der Freundschaft seines Hauses suche. Er sieht die göttlichen Linien, wie sie sein Vater sah, der für ihn, Isaak, eine Braut werben ließ durch Elieser nicht aus den Töchtern des Landes. Isaak aber schickt seinen Sohn selbst in seines Vaters Haus nach Mesopotamien.

Den merkwürdigen Schritt Esaus, eine Tochter Ismaels zum Weibe zu nehmen (1Mo 28:6-9), könnte man so auslegen, als wollte er seinem Gebaren einen Triumph aufsetzen, und zu den Töchtern des Landes, die seinen Eltern das Leben sauer machten, noch eine weitere hinzunehmen, um seinen Eltern erst recht etwas zu Leide zu tun, die ihn um den Wegen der Erstgeburt gebracht hatten.

Dem gegenüber darf gesagt werden, dass das ganze Verfahren Esaus den Eindruck macht, als ob er dem Vater eine Freude bereiten wolle. Das Betragen Jakobs wie der ganze Verlauf der Sache, die für Esau im Grunde so tief schmerzlich gewesen war, mochte auf Herz und Gewissen Esaus einen vorteilhaften Einfluss ausgeübt haben. Der natürliche Mensch ist doch eben immer geneigt, von dem geistlichen Menschen etwas zu lernen, um sich zu verbessern. Diese Beobachtung macht man überall da, wo wirkliches geistliches Leben sich kundgibt im Glaubensgehorsam. Der raue Esau nimmt alsdann gern etwas von den guten Sitten des gläubigen Jakobs an.

Dabei greift er natürlich fehl. Es kommt ihm nicht in den Sinn, auf die gleiche Linie wie Jakob zu gehen oder gar mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen, mit ihm hinauszuziehen, völlig versöhnt, einverstanden mit der Wendung, die unter Gottes Leitung die Sache genommen hat. Nein; aber er nimmt etwas an von den guten Zügen, die er an Jakob wahrnimmt. Er möchte namentlich seinem Vater eine Freude machen. Vielleicht auch sollte seine Handlungsweise ein kleines Gegengewicht gegen seine frühere Schlechtigkeit sein. Zudem wusste er, wie sehr sein Vater Isaak aus Pietät gegen Abraham noch an Ismael hing. Die feineren Unterschiede zwischen einer Tochter Ismaels und einer Tochter aus dem Hause Abrahams waren ihm ja nicht verständlich. So greift er in seiner natürlichen Blindheit bei aller guten Absicht, seinem Vater eine Freude zu machen – vielleicht haben seine eigenen Weiber ihm selbst schwer zu schaffen gemacht – zu einem Weibe aus den Töchtern Ismaels.

Dieser Vorgang ist kennzeichnend für das Auftreten des Esau, der ja auch dem Hause Abrahams entstammt, der eine Frucht des gläubigen Isaaks ist, und das Naturleben, wie es im Hause des Glaubens geboren wird, darstellt: es ist ein so treues Abbild dessen, welche Wege der natürliche Mensch aus solcher Umgebung einschlägt, wenn er wirklich etwas tun will zur Befriedigung seines eigenen Gewissens und zur Herstellung besserer äußerer Verhältnisse.

Jakob und die Himmelsleiter

Nun wird uns ein wunderbares Ereignis, das dem flüchtigen Jakob begegnet, berichtet, eine Erweisung hoheitsvoller Gnade von Gott, wie wir sie uns köstlicher gar nicht vorstellen können (1Mo 28:10-15). Es sind anbetungswürdige Züge, die wir aber mit unserm Geiste kaum verstehen können. Da geht wieder unser Gott ganz andere Wege, als wir gegangen sein würden.

Die Umstände sind sehr klar. Die Sonne ist untergegangen, die Nacht hereingebrochen. Jakob legt sich schlafen. Während sein Geist sich mit Unruhe, Furcht, Gewissensangst und Reue beschäftigt haben mag, und einer gewissen Befriedigung darüber, dass er dem drohenden Missgeschick, dem Erschlagenwerden von der Hand seines Bruders entronnen sei, tut sich ihm der Himmel auf.

Das ist etwas ganz Neues. Weder Isaak noch Abraham haben je eine solche Kundgebung erlebt. Keinem von ihnen ist gezeigt worden, was dem Jakob gezeigt wird. Gewiss, wenn man genau zusieht, so steht Jehova hier hoch über dem Jakob, während derselbe Gott Abrahams und Isaaks mit diesen seinen Vätern in viel näherer, persönlicher Beziehung und Berührung gestanden hat. Bei seinem Großvater Abraham war er wiederholt wohl zu Gast gewesen, wenigstens aber einmal, und hatte verkehrt mit ihm wie ein Freund mit dem Freunde, d. h. in menschlicher Gestalt und Erscheinungsweise. Hier aber steht Jehova hoch über Jakob. Darin offenbart sich also ein Unterschied, und wir können daraus wohl erkennen, dass zwischen Jakob und seinem Gott doch eine gewisse Kluft bestand.

Die Nähe Gottes, wie er sie später erfährt, war noch nicht da. Später, als ihm Gott am Jabbok in Menschengestalt erscheint, fordert Er ihn zum Zweikampf heraus und lässt Sich von Jakob überwinden. Das ist über alles Maß wunderbar. Aber nach der andern Seite hin erfährt jetzt Jakob eine Offenbarung, wie sie seinen Vätern nicht geworden ist. Durch die Sprache, die hier gebraucht wird, von den auf- und niedersteigenden Engeln, werden wir überaus lebhaft an das Wort Jesu an Nathanael erinnert (Joh 1:52). Diese Sprache kommt sonst nie wieder vor. Der Herr nimmt offenbar Bezug auf dieses Gesicht, das dem Vater Jakob zuteil wurde (1Mo 28:12).

Schon die Kirchenväter haben in ihm ein deutliches Bild von dem Geheimnis der Menschwerdung erblickt, dass der große Gott hinabgestiegen ist, was hier nur im Schattenbild angedeutet wird durch das Hinabsteigen der Engel. Aber im ganzen Bilde liegt ausgeprägt der Gedanke, dass durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes aufgetan ist ein neuer Weg zwischen Himmlischem und Irdischem. Der Weg hinauf zu Gott ist erschlossen für den, der im Glauben gerufen ist zu dienen und fruchtbar zu sein im Dienst.

Für das persönliche Glaubensleben gibt es ja nichts Kostbareres als das Geheimnis des Kreuzes, aber für den gesegneten Dienst ist das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes unerlässlich, weil es sich dabei ja auch für uns darum handelt, dass wir immer wieder lernen müssen, unsere Stellung in Christo zu verlassen, aus den himmlischen Räumen hinabzusteigen in die Not und Herzenshärtigkeit der Irdischen, so dass wir nicht weltfremd werden und uns nicht genügen lassen mit dem Genießen der himmlischen Vorrechte und Segnungen, die wir haben, es aber auch nicht für einen Raub ansehen, teilhaftig zu sein der göttlichen Natur, sondern lernen Knechtgestalt anzunehmen und Diener zu sein, ein jeder mit der Gabe, die Gott ihm gegeben hat. Das Geheimnis des gesegneten Dienstes liegt vornehmlich darin ausgedrückt.

Was uns bei der Kundgebung Gottes in 1Mo 28:13 am meisten berührt, ist nicht das, was Er hier sagt, sondern das, was Er verschweigt. Wir würden erwarten, dass Jehova in erster Linie diesem fleischlichen, arglistigen Jakob, der auf so bedenklichem Wege wandelt, einmal scharf ins Gewissen geredet, und ihm seine ganze schwere Schuld und Schändlichkeit deutlich und eindringlich vorgehalten hätte. Nichts davon! Hat Gott nichts davon gewusst? Hat Gott das schon vergessen? O nein! Die Abrechnung kam; das Gericht wurde dem Jakob nicht erspart; aber Gott zeigt ihm das j e t z t nicht. Das ist wunderbar.

Das heißt nicht, man könne, wenn man in den Dienst Gottes geht, es nun so krumm machen, wie man wolle; Gott schweige dazu, weil man Sein berufener Diener sei. Nein, das heißt es nicht! Aber es heißt, dass Gott Sich um unsere dogmatischen Vorstellungen sehr wenig kümmert, sondern warten kann, bis Er es Seinen Gläubigen zu gelegener Zeit heimgeben kann zu ihrem Heil. Denn schenken tut Er ihnen nichts von dem, was sie verfehlt haben.

Dazu war Jakob jetzt noch gar nicht reif, noch gar nicht im Stande, es aufzunehmen, sich das sagen zu lassen. Das kam später. Wohl jedes Kind Gottes wird bestätigen müssen, dass es Erkenntnisse über das eigne törichte, verkehrte Wesen gibt, mit denen Gott in großer, überaus freundlicher, unbegreiflicher Geduld und Langmut zurückhält, die Er uns nicht vorn am Anfang vorhält, sondern erst später, die aber ganz gewiss herauskommen und die uns dann zu unserer völligen Zerbrechung dienen müssen.

Gott sorgte schon dafür, dass sein Bruder Esau ihm zu rechter Zeit begegnete, wie ein Bewaffneter mit vierhundert Gewappneten. Da trat ihm dann die ganze Schrecklichkeit seiner Versündigung an dem Herrn entgegen; und dann erst wurde er gewahr, dass alle seine eigenwilligen Bestrebungen, seinen Bruder unterzukriegen, verfehlt und sündhaft waren. Er muss sich dann tief beugen und sagen: Mein Herr Esau! Der Herr hat ihn in all den Jahren in Mesopotamien nicht untergekriegt, - bei seiner Heimkehr bringt Er es fertig. Das sind Aufgaben, die Gott auch uns zu lernen gibt; Er weiß Zeit und Stunde dafür.

Hier bei Jakob wird der Same in seiner Ausdehnung gekennzeichnet „wie der Staub auf Erden“ (1Mo 28:14), bei Isaak dagegen „wie die Sterne am Himmel“. Hervorzuheben ist, dass bei keinem andern der Erzväter so nachdrücklich betont wird, wie weit der Same wohnen solle. Also auch ihm wird verheißen, dass sein Same sich ausbreiten werde und durch ihn gesegnet werden sollen alle Geschlechter auf Erden. Und dann noch die persönliche Zusage: „Ich bin mit dir und will dich behüten“ (1Mo 28:15). Auch darin wieder finden wir die wunderbaren Zusagen und großartigen Gnadenerweisungen Gottes in seiner Erziehung. Gott dient Jakob, damit dieser dienen lernen soll. Er gibt ihm die Verheißung unverkürzt und auf keinem andern Grunde als dem: „Ich will“.

In 1Mo 28:16 kommt deutlich zum Bewusstsein, was Gott in diesem Sohne des Glaubens gewirkt hat. Aus dem Munde eines Esau wären diese Worte einfach nicht zu denken. D i e s e Worte kann nur Jakob sagen, bei aller fleischlichen Gebundenheit, die sich bei ihm findet; nur d e r Jakob, dem Gott einen Sinn gegeben hat – er mag noch so sehr gedämpft und getrübt sein durch natürliche Regungen und Bestrebungen mancherlei Art – die Bedeutung des Erstgeburtsrechtes zu erfassen, selbst wenn er es mit eignen Mitteln erjagen sollte und krumme Wege gehen müsste, sich in den Besitz des verheißenen Segens zu setzen. Jedenfalls leuchtet uns durch alles hindurch klar eine andere Gesinnung entgegen als sie bei Esau zu finden war, der seine Erstgeburt verachtete.

Hier nehmen wir das grundverschiedene Wesen wahr zwischen dem, der aus dem Geiste ist und dem, der aus dem Fleische ist. So ist denn auch Jakob einfach überwältigt in seinem Gemüte; und es erwacht zuerst das allerdings schreckliche Bewusstsein, dass ihm der Herr so nahe gekommen ist. Sein böses Gewissen erlaubt ihm nicht, mit kindlicher Freude das zu genießen, was Gott geoffenbart hat.

Die Stätte, auf der er gelegen hatte, war ein ganz gewöhnliches Brachfeld, für das natürliche Auge nichts Absonderliches. Nun aber wird es ihm klar, dass es eine heilige Stätte war (1Mo 28:17); denn Gott hat ihm einen Weg gezeigt, diese Erde heimzusuchen mit einer Offenbarung, von der selbst seine Väter nichts geschaut hatten.

Wir sehen, wie Gott Selbst bei einem Jakob in Seinen Offenbarungsweisen fortschreitet. Gott enthüllt Sich Selbst königlich, eine Schönheit nach der andern. Wo nur etwas Verständnis da ist, so gering es sein mag, dem begegnet Gott, sei’s auch nur in dunkler Nacht auf dem Brachfelde. Aber Gott offenbart Sich und schreitet weiter in der Offenbarung Seiner selbst.

Gegenüber der großartigen Offenbarung Gottes ist nun das, was wir in 1Mo 28:18-22 lesen eine recht armselige Selbstoffenbarung Jakobs, der ausgezogen ist, zu dienen und Frucht zu bringen.

„Wenn Gott will mit mir sein“: Das ist der ganze Bankrott in einem einzigen Wort, und zwar aus dem Hause Isaaks heraus, gegenüber einer viermaligen Bestätigung aus dem Munde Gottes: „Ich will“! Diesem „Ich will“, begegnet Jakob mit einem: „Ja, wenn“. Das ist erschütternd! Wir haben aber wahrscheinlich keine Veranlassung, Jakob zu schelten. Im Angesichte der kostbarsten, klarsten Zusagen unseres Gottes zu sagen: „Ja, wenn“, das bringen auch wir fertig. Als ob Gottes Zusagen irgendwie und irgendwann zweifelhaft sein könnten! Das ist tief beschämend.

Die Worte, welche Jakob in seinem Gelübde äußerte (1Mo 28:20.21), waren alles gute, lobenswerte Gedanken, aber nur ein Jakob bringt es fertig, dass er das Wort seines Gottes einfach auf den Kopf stellt und Gott auf den Boden Seiner Zusagen verpflichtet: „Wenn Gott Seinen Vertrag hält, dann soll Er mein Gott sein“!

Erschütternd ist es, solche Offenbarungen eines gläubigen Menschen vor sich zu sehen, der unter den denkbar günstigsten Umständen aus einer Fülle von göttlichen Gnadenerweisungen heraus entstanden und nun berufen ist zu dem seligen Dienen, und der selbst auf einer solchen Stufe des geistlichen Lebens, wo er gewürdigt wird, für den Herrn fruchtbar zu sein, seinen Gott noch so wenig verstehen kann. Das ist nicht völlige Stumpfheit, nicht Esautreiben, Ismaeltum, nein, das ist Jakob, der Erbe der großen Verheißungen Gottes!

Wie dürfen wir da wieder in einem solchen Spiegel unser eigen Bild sehen und uns beugen, und wie wird uns das bewahren vor aller törichten Sicherheit, als ob wir, wenn wir zu gesegnetem Dienst ausgehen, dann schon mit unserm Gott völlig im Reinen wären und alle Seine Gedanken und Wege erkannt hätten.

Bethel - das Haus Gottes

Das Haus Gottes ist in Bethel (1Mo 28:22) nie gebaut worden. Das waren eigene Gedanken und fromme Anschläge, deren wir ja auch allezeit fähig sind, namentlich wenn uns großer Eifer antreibt, für die Sache Gottes einzutreten. Gewiss, nachher hat Jakob einmal einen Altar in Bethel gebaut, aber er hat damals nicht geahnt, was später einmal seiner Nachkommen einer tun würde, nämlich dort einen Altar für ägyptischen Kälberdienst aufzurichten, nämlich Jerobeam (1Kö 12:28-32).

Das Wort Jakobs vom Zehnten (1Mo 28:22) findet bis heute eine sehr verschiedene Deutung. Bei vielen, selbst Kindern des Neuen Bundes, gilt das Geben des Zehnten nicht nur als bindend, was es keineswegs ist und sein will, sondern als einen sehr hohen Maßstab des Gebens. Die ganze Art, wie das Wort hier aus dem Munde Jakobs erscheint, will mir nicht als sehr empfehlend für diese Anschauung vorkommen. Es schmeckt sehr stark nach einem geschäftlichen Abkommen.

Nachher begegnet uns im Leben Jakobs keine Spur, wie er es mit dem Geben des Zehnten überhaupt gehalten, wie er sein damaliges Versprechen erfüllt hat. Es ist also nicht der Eindruck zu gewinnen, als ob Gott darauf eingegangen wäre und ihm Gelegenheit gegeben hätte, den Zehnten vor Jehova auszuliefern. Die erwähnte Anschauung scheint mir bedenklich in der Luft zu hängen.

Dass später unter dem Gesetz Moses in einer ausdrücklichen Weise der Zehnte als Ordnung eingeführt wurde, hatte seine ganz bestimmte und köstliche Bedeutung, die wir überhaupt nur verstehen, wenn uns die Bedeutung der ganzen gesetzlichen Haushaltung aufgegangen ist. Denn sie ist nicht als eine Form unsers geistlichen Lebens, in die es gebunden werden soll, sondern als eine Abschattung göttlicher Ordnung zu betrachten, die als Gefäße und Formeln zwar nur eine vorübergehende Bedeutung gehabt haben, aber eine Abspiegelung großer Gedanken Gottes gewesen sind.

So war verordnet, dass die Kinder Levi, denen Gott kein Besitztum gab im Lande, die keine eigenen Äcker hatten und die zerstreut unter ihren Brüdern wohnten, von diesen den Zehnten erhalten sollen aus ihrem Einkommen, ihnen den Unterhalt zu sichern. Das war eine köstliche Einrichtung, die den Stamm Levi in besonderer Weise an das Herz der übrigen Brüder befahl.

Das ganze Haus Israel wurde dadurch gehalten, nicht sich selbst zu leben, sondern den Brüdern zu dienen und diese Gemeinschaft in einer sehr zweckdienlichen, anschaulichen Weise zu betätigen. Jene standen im Heiligtum Jehovas für sie ein in geistlichen Dingen, und diese wiederum hatten das Vorrecht, ihren Brüdern in leiblichen Dingen zu dienen mit dem, was Gott ihnen bescherte.

Dass dabei als ein gewisses Maß der Zehnte gesetzt wurde, ist mehr eine Zufälligkeit. Er empfahl sich aus Nützlichkeitsgründen fast von selbst. Da sind also andere Zusammenhänge. Die ganze Einrichtung wurde getragen von einem anderen höheren Zweck, der im NT aufs Bestimmteste hervorgehoben wird und von dem Paulus in Röm 15:27 deutlichen Gebrauch macht.

Die ganze Kundgebung Jakobs scheint ein recht bedenkliches Gepräge zu tragen, und in seiner späteren Führung sind keine Zeugnisse für die Erfüllung des Versprechens gegeben. In der geschichtlichen Darstellung ist also auf dieses Wort nicht zurückgegriffen worden.

Lies weiter:
11. Jakob bei Laban (1Mo 29-31)