Die gerichteten Richter

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Abschrift des Buches: Der da war, und der da ist und der da kommt!
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Aus dem Gemeinschaftsblatt für innere Mission Augsb. Bek.: "Reich-Gottes-Bote“ (1918-26)
Selbstverlag des Bibelheims „Bethanien", Langensteinbach

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Inhaltsverzeichnis:
Kapitel davor:
88. Pfingsten als Verheißungs-Anfang Apg 2:1-13 (1923)

89. Die gerichteten Richter

  • Röm 2:1-10 (ELB) (1) Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, jeder, der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe. (2) Wir wissen aber, daß das Gericht Gottes der Wahrheit entsprechend über die ergeht, die so etwas tun. (3) Denkst du aber dies, o Mensch, der du die richtest, die so etwas tun, und dasselbe verübst, daß du dem Gericht Gottes entfliehen wirst ? (4) Oder verachtest du den Reichtum seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut und weißt nicht, daß die Güte Gottes dich zur Buße leitet? (5) Nach deiner Störrigkeit und deinem unbußfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, (6) der einem jeden vergelten wird nach seinen Werken (7) denen, die mit Ausdauer in gutem Werk Herrlichkeit und Ehre und Unvergänglichkeit suchen, ewiges Leben; (8) denen jedoch, die von Selbstsucht bestimmt und der Wahrheit ungehorsam sind, der Ungerechtigkeit aber gehorsam, Zorn und Grimm. (9) Bedrängnis und Angst über die Seele jedes Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl des Juden zuerst als auch des Griechen; (10) Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem, der das Gute wirkt, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen.

Das gottlose Wesen der Menschen

Der Apostel Paulus hat im ersten Kapitel des Römerbriefes das gottlose Wesen und die Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten, in ergreifender Weise geschildert. Er hat gezeigt, wie die Menschen die Möglichkeit gehabt hätten, Gott und Seine ewigen Normen zu wissen und zu erkennen, wie sie aber in ihrem hochmütigem Eigenwesen Gott verachtet haben. Darum sagt er, hat sie auch Gott dahin gegeben; dreimal und dreifach bringt er dies grausige Wort (Röm 1:24.26.28) und zeigt die Offenbarung des Zornes Gottes dadurch an. Er schließt das Kapitel mit dem erschütternden Satz: „Sie wissen Gottes Gerechtigkeit, dass die solches tun, des Todes würdig sind, und tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun.“ Da tritt vor sein inneres Auge eine große Gruppe von Menschen, bei denen das scheinbar nicht der Fall ist, was er eben von allen Menschen gesagt hat. Er sieht im Geiste unter Heiden und Juden weite Kreise vor sich stehen, welche die Ungerechtigkeit und Unwahrhaftigkeit, und alle die Gräuel der Menschen scharf beurteilen und verurteilen. Er sieht die Menschen des Nichtgeistes. Wahrlich eine weitverzweigte Gruppe!

Es sind die Leute der moralischen Entrüstung, welche ihrem Unmut über die im Schwange gehende Ungerechtigkeit, Lüge, Verschwendung, Genusssucht und Liederlichkeit jeder Art laut Luft schaffen. Es sind die Leute, welche harte Urteile fällen und welche alle, die sich in solchen von ihnen gerügten Sünden wandeln sehen, aufs schärfste verdammen, andere noch zum Verdammen aufrufen, ja vielleicht zur Tat schreiten und Verdammungsurteile vollziehen. Nicht nur einzelne Menschen, sondern Klassen und Parteien, ja ganze Nationen sitzen in solcher Weise übereinander zu Gericht und verdammen einander. Die Richterkaste - wir meinen natürlich nicht die amtlichen Berufsrichter, sondern diejenigen, welche sich im täglichen und öffentlichen Leben zu Richtern über die anderen aufwerfen - diese Richterkaste ist eine der stärksten unter der Menschheit.

Über Richter und Verdammer

Wie ist unsere Zeit so voll von solchen sich selbst aufwerfenden Richtern und Verdammern der anderen. Das ganze wirtschaftliche, ja politisch-öffentliche Leben und das Völkerleben ist voll von dieser Erscheinung, das ganze Parteiwesen beruht vielfach und es besteht aus diesen Richtern und Verdammern. In hohen Tönen wird da in sittlicher Entrüstung gemacht, Schuld, grausige Schuld festgestellt und verdammt, oft durchaus nicht bloß mit Worten. Dieser richterliche Teil der Menschheit scheint nun auf den ersten Blick nicht ins Urteil des Apostels in Röm 1 zu fallen, dass Gottes Zorn über sie geoffenbart werde; denn, wenn man sie hört, haben sie ja kein Gefallen an denen, die Unrecht und Gemeines tun oder mit Lügen umgehen - sie zeugen ja laut dagegen und sprechen ihr verdammendes Urteil.

Diesen selbstaufgeworfenen Richtern der anderen reißt nun der Apostel Paulus in unseren zehn Versen des zweiten Kapitels die Larve vom Gesicht, und tut sie ins gleiche Zorngericht Gottes wie die anderen. „Du bist ohne Entschuldigung, wer du auch seist, der du richtest“, ruft er ihnen mit göttlicher Donnerstimme zu. Dein Richten rechtfertigt dich nicht; dein Richten reinigt dich nicht; dein Richten nimmt Zorn und Verdammnis Gottes nicht von dir. Weil du so genau die Sünde und das Unrecht kennst, so treffend über sie urteilst, und so wahrheitsgemäß sie verurteilst, bist du selbst persönlich noch lange nicht dem Gericht entronnen. Wenn sich Aufwerfen zum Richter vom Gericht befreite, dann dürften die Welt bald keine Gerichte mehr treffen; denn der sich aufwerfenden Richter sind Legion. Der Apostel sagt: im Gegenteil, ihr Richter, ihr fallt noch in ein viel tieferes Gericht als die anderen! Hören wir da dies göttliche Wort: alles richterliche B e u r t e i l e n anderer und das richterliche V e r u r t e i l e n derselben durch solche, die selbst Sünder sind, führt nur schweres Gericht herbei.

Der Gerichtsmaßstab

Mit welcherlei Maß du richtest, wirst du gerichtet werden. Je schärfer dein Richtermaßstab für andere, umso schärfer dein Gerichtsmaßstab für dich. Warum das? Paulus sagt: Worin du einen anderen richtest, verdammst du dich selbst; weil du eben dasselbe tust, was du richtest. Jeder unbekehrte und nicht wiedergeborene Mensch ist, und bleibt dem Gesetz der Sünde und des Todes unterworfen. Er ist und bleibt Sünder. Wer aber Sünder ist und bleibt, der tut auch Unrecht; denn die Sünde ist das Unrecht. Ein Sünder tut weder die Gerechtigkeit noch die Wahrheit. Er steht in ganz derselben Verdammnis wie der, den er richtet, wenn auch vielleicht in anderer Form und in anderem Grad; aber er steckt eben auch darin. Selbst der bekehrte, ja der wiedergeborene Mensch, der in Christo Jesu ist, fällt noch oft und viel in das Wesen der Ungerechtigkeit hinein, und hat in der Kraft des Geistes einen täglichen, schweren Kampf - der unbekehrte Mensch steckt noch ganz darin. So tut er ganz dasselbe was der tut, den er richtet und verdammt.

Wie schwer wird seine eigene Verdammnis sein, wenn er durch sein Richten so klar anzeigt, dass er über Sünde und Verdammnis so trefflich Bescheid wusste. Wundere dich drum nicht, wenn du schon in diesem Leben trotz deines moralischen Urteilens oder gerade wegen desselben in mancherlei Gerichtsführungen kommst; und wundere dich nicht, wenn am Tage des Gerichtes Gottes über dich die schärfsten Urteile ergehen. O, über den Wahn des Richtens - er führt zu schrecklicher Offenbarung. Über solche Leute, die durch ihr eigenes Richten ihr Wissen bewiesen haben, und die doch im gleichen Wesen waren wie die, welche sie richteten, ist doch Gottes strenges Urteil gewiss nach der Wahrheit. Wenn hier Gottes Verdammungen ergehen, jetzt oder einst, wird jedermann sagen „Recht so!“ „Wir wissen, dass Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun.“ „Oder meint ihr vielleicht, ihr selbstaufgeworfenen Richter, dass ihr Gottes Gericht entfliehen werdet?“ Ihr täuscht euch!

Richten befreit nicht vom Gericht. Schon in der Welt ist der beamtete Strafrichter nicht gerichtsfrei, sondern derselben Gesetzen und Urteilen unterstellt, welche für alle gelten. Ja, wenn der Richter selbst mit den Gesetzten, die er handhabt, in Konflikt käme, so würde er mit Recht härter bestraft als alle anderen, eben darum, weil er Richter war. Wer richtet, steht auf dem B o d e n des R e c h t s und damit d e s G e r i c h t s und bleibt darauf stehen. Nur die Gnade in Christo Jesu befreit vom Gericht; wer von Gnade lebt, der steht auf einem anderen Boden. In der Gnade ist das Gericht aufgehoben. Wohl züchtigt und richtet ja Gnade noch viel tiefer als alles Gesetz; aber sie führt ins Selbstgericht, und dies ist der Tod alles Richtgeistes.

Täuschen wir uns nicht

Der Gnadenmensch ist barmherzig und begnadigt, weil er im Selbstgericht mit sich selbst am meisten zu tun hat, und weil er von Erbarmen lebt und barmherzig ist. Der Richtende steht auf dem Gerichtsboden, und er wird dem Gericht nicht entfliehen. Merke dir das wohl, auch du, f r o m m e r Richter: wer richtet und verdammt, steht auf Gesetzesboden, er mag ‚Heiland‘ sagen, soviel er will, Mose wird ihn treffen. Wer noch richten und verdammen kann, ist nicht durch Gnade dem Gericht entflohen; sonst könnte er es nicht. Täuschen wir uns doch nicht, als ob strenge Maßstäbe, die wir anlegen, von unserer eigenen Sünden- und Gerichtsfreiheit zeugten - ganz im Gegenteil: sie zeugen von dem Maßstab, der an uns selbst gelegt werden wird. Täuschen wir uns hier nicht selbst! Lassen wir aber auch durch den Reichtum der Güte, Langmut und Geduld Gottes nicht uns selbst in falschen Sicherheiten wiegen. Ja, Gott hat einen wunderlichen Reichtum von Güte. Wenn einer nur einmal sittliche Maßstäbe nach göttlichen Richtlinien hat, so segnet ihn Gott darüber.

Gottes Güte segnet einen jeden auf seiner Stufe nach ihrer Art. Auch die niedrigsten Stufen haben schon ihre Segnungen, meist Segnungen äußerer Art, so auch die Stufen der sittlichen Maßstäbe. Mit den Sünden dieser richtenden Maßstabsmenschen hat dann Gott Geduld und Langmut, in der Er wartet, ob sie ihre Maßstäbe nicht doch vielleicht noch mit ganzer Strenge auf sich selbst anwenden möchten. Solche göttliche Güte voller Langmut und Geduld darfst du nicht als eine Aufhebung des Gerichts achten. Du darfst nicht denken: Ei, nun Gottes Güte segnete mich ja, so werde ich in kein Gericht fallen. Wenn Gottes Güte, Geduld und Langmut also sicher macht, dass er sich sünden- und gerichtsfrei wähnt, der zeigt damit an, dass er gewiss gerichtsreif ist. Gottes Güte, Geduld und Langmut darfst du ja nicht gering einschätzen; sie hat viel Gerichtliches in sich. Gott will, ehe Er v e r d a m m e n d richtet, s e g n e n d richten.

Selbstsucht und Eigenwesen

Die sich selbst aufwerfendenen Richter der anderen, merken aber das gewöhnlich nicht; sie sind selbstgerecht, und darum fehlt ihnen das g e i s t l i c h e G e s p ü r für den Gerichtsernst in Gottes Güte, Langmut und Geduld. Sie nehmen diese wie ein Verdientes hin, und a c h t e n n i c h t der sie heimsuchenden Liebe - darin liegt die V e r a c h t u n g. Alle Selbstmenschen achten unverdiente Liebe nicht, sondern treten sie mit Füßen. Selbstsucht, Eigenwesen ist hartnäckig, achtet gering und niedrig (verachtet), was so hoch anzuschlagen ist. Darum fährt der Apostel fort: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Gottes Güte drängt und treibt zur Buße. Sie demütigt ja und beugt, aber die selbstaufgeworfenen Richter folgen diesem Triebe nicht, der auch ihr Herz bewegen will. Als solche, die andere beugen, glauben sie, selbst der Beugung nicht zu bedürfen. Darum sind sie dem Trieb der Güte Gottes gegenüber unwissend.

Richten macht hart; andere richten führt je länger, je mehr zu der inneren Meinung, als ob man selbst der Sinnesänderung, der Buße, nicht bedürfe. Durch diese Härte des Herzens aber, und durch diese unbußfertige Gesinnung häufen sich diese Richter den Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes. Jeder Mensch, je nach seiner inneren Stellung, sammelt sich jetzt Schätze, die einst offenbar werden. Die einen sammeln sich Zorneschätze, welche am Tage des gerechten Gerichts offenbar werden, Schon in diesem Leben kann man ja in irdischen Dingen sich Gerichtsschätze sammeln oder Segensschätze, so auch im Ewigen. Richtende, die für göttliche Güte, Langmut und Geduld hart sind, sammeln sich Zornesschätze. Am Tage des Endgerichts wird es eben haarscharf nach den Werken gehen. „Er wird geben einem jeglichen nach s e i n e n W e r k e n.“

Urteil nach Werken

Nicht der hohe richterliche Sinn, der alles wusste und alles urteilte und alles maß, wird maßgebend sein, sondern die Werke. Das Endgericht gehört eben nicht zur Gnadenhaushaltung im engeren Sinne, sondern zur Gesetzes- und Gerichtigkeitshaushaltung - und da geht es nach Werken. Da werden Preis, Ehre und unvergängliches, d.h. nicht mehr dem Todesverderben unterworfenes Wesen diejenigen erhalten, die einen Zug zum ewigen, d. i. göttlichen Leben hatten, und die in der Leidensgeduld, welche alle Werke des Guten in dieser Welt des Bösen erfordern, diese Leidensgeduld in guten Werken bewiesen haben. Es werden aber Zorn und richtenden Lebensodem Gottes (Luther: Ungnade) zu spüren bekommen alle widerstrebenden Geister (Luther: zänkisch), die Böcke, wie der Heiland sagt, welche der Wahrheit nicht gehorchten, gehorchten aber der Ungerechtigkeit. Die Richtenden aber gehorchen ja nicht der Wahrheit, weil sie sich nicht zur Buße leiten lassen. Der Wahrheitsgehorsam zeigt sich bei Sündern v o r a l l e m in der B u ß e. Sehen die Richtenden auf diesen Leit-Trieb der Wahrheit nicht ein, so beweisen sie, dass sie der Wahrheit nicht gehorchen.

Über solche aber wiederholt Paulus, käme Trübsal und Angst wie über Seelen, welche das Böse tun - Herrlichkeit, Ehre und Friede kann nur kommen über die, welche das Gute tun. Dabei stehen die Juden als die Offenbarungsträger immer vornean, die Griechen, d.h. die Nationen, stehen an zweiter Stelle als die auf das Gewissen Angewiesenen, denen direkte Offenbarung fehlt. Heute könnten wir etwa evangelisierte und nicht evangelisierte Völker dafür setzen. Weil nun der Richtgeist gegen Gott und Menschen hart macht und verstockt, so fallen die Richtenden in das Zorngericht und in die Verdammnis.

Kinder Gottes und das Gericht

O brave Welt, die du so genau weißt, was unrecht ist und so genau weißt, was auf Unrecht folgt, sieh hier dein Urteil, weil du selbst Unrecht tust! Wer im Richtgeist steht, dessen Urteil ist in unserem heutigen Text gefällt. Möchte es viele erschrecken und heute zur Buße treiben, wenn sie sich darin ertappen. Kinder Gottes richten andere nicht; s i e r i c h t e n s i c h und leben vom Erbarmen im Blute Christi; sie sind Zeugen gegen die Sünde, erbarmen sich aber des Sünders; sie beugen sich unter ihn, tragen ihn betend und suchen, ihn zu retten. Sie sind allem Gericht entronnen. Sie wissen aber, wie furchtbar Verdammungs-Gericht ist; darum freut sich ihr Herz, dass sie selbst nicht hinein müssen, sie tun aber auch keinen anderen hinein, sondern ihr Wille ist, herauszuholen. Barmherzigkeit ist ihr Grundwesen. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen - das ist ihr Leitspruch.

Andere richten führt uns selbst ins Gericht, sich richten in Christo und glauben an Ihn, führt aus allem Gericht, ja führt zur Richterherrlichkeit am Tag des Herrn. Nicht g e r i c h t e t e R i c h t e r, sondern einst r i c h t e n d e G e r i c h t e t e, das wollen wir werden und sein.

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90. Auf dem Weg zum Jüngsten Gericht Röm 2:9-16