Die Prophetie auf Leiden

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Von Daniel Muhl

Zwei ganz unterschiedliche Erfahrungen

Als unser Herr Jesus überliefert und misshandelt wurde, war das für die Jüngerschar ein Rückschlag sondergleichen. Dreieinhalb Jahre durften sie miterleben, wie ihr Herr und Meister jede Situation souverän löste, wie Er allen Widerwärtigkeiten getrotzt hat und wie Ihm niemand etwas anhaben konnte.
Doch mit einem Mal lässt sich ihr Herr einfach alles gefallen, Er lässt sich von den unbeschnittenen Heiden gefangennehmen und schlagen. Plötzlich präsentiert sich ihr souveräner Herr als der scheinbar Ohnmächtige. Derjenige, der die Toten auferweckt hat und sich somit als der Herr über Leben und Tod geoffenbart hat, lässt sich einfach wie ein Schwerverbrecher geisseln und anspucken.
Dieser extreme Übergang von äusserlich sichtbaren Erfolg, hin zum scheinbaren Misserfolg, war für die Seelen der Jüngerschar kaum auszuhalten. Das Entsetzen war so gewaltig, dass die mehrfachen Prophezeiungen des Herrn Jesus, leiden und sterben zu müssen, völlig in den Hintergrund verdrängt wurden. Vor dem Herrenmahl hat sich in den Seelen der Jünger ein ganz anderes Bewusstsein und eine ganz andere Erwartung aufgebaut. Denken wir an Aussagen und Begebenheiten wie:

  • Lk 10:9 - "heilt die Kranken darin und sprecht zu ihnen: Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.

oder den triumphalen Einzug in Jerusalem am "Palmsonntag" oder an die Aussage des Herrn Jesus:

  • Lk 22:36-38 - "Er sprach nun zu ihnen: Aber jetzt, wer eine Börse hat, der nehme sie und ebenso eine Tasche, und wer nicht hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert; 37 denn ich sage euch, daß noch dieses, was geschrieben steht, an mir erfüllt werden muß: «Und er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden»; denn auch das, was mich betrifft, hat eine Vollendung. 38 Sie aber sprachen: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug."

Wer versteht da nicht, dass diese Erlebnisse in den Jüngern eine andere Erwartung aufkommen liess, eine freudige Erwartung die den Inhalt hatte, dass das Reich Gottes jetzt sichtbar auf die Erde kommen wird, denn wir lesen auch:

  • Lk 19:11 - "Während sie aber dies hörten, fügte er noch ein Gleichnis hinzu, weil er nahe bei Jerusalem war, und sie meinten, daß das Reich Gottes sogleich erscheinen sollte."

Die mehrfache Prophezeiung Jesu, dass der Sohn des Menschen leiden und sterben muss, schob sich im Bewusstsein der Jünger in den Hintergrund, nicht zuletzt deshalb, weil alle Verheissungen auf ein messianisches Friedensreich, viel angenehmer waren. Es gibt wenige Menschen, die prophezeites Leiden nicht verdrängen. Auch die meisten Gläubigen hören sich lieber eine Verkündigung an, in der das Angenehme und die Befreiung von Problemen gepredigt wird. Nicht zuletzt haben auch deshalb Gemeinden, in denen die Krankenheilung höchste Priorität hat, grossen Zulauf.

Das Volk Gottes und der leidende Messias

Beim Volk Gottes ist es genauso! Bis heute verdrängen sie den leidenden und verachteten Messias. Sie sehen alle die vielen Verheissungen im AT, wonach der Messias das Böse beseitigt, die Weltherrschaft übernimmt und den Frieden auf die Erde bringt. An Palmsonntag dachte das Volk in Jerusalem: "Jetzt ist es endlich soweit! Wir haben den Messias gefunden und wir erwarten jetzt das verheissene Friedensreich." Die Tatsache, dass auch ein leidender Messias vorausgesagt wurde, haben die Wenigsten beachtet oder sie haben die entsprechenden Stellen anders ausgelegt. Psalm 22 war vmtl. für viele Juden lediglich eine Beschreibung des Leidensweges von David und Jesaja 53 beschreibt das grosse Leiden des Volkes Israel. Die Tatsache jedoch, dass es sich hier um den leidenden Messias handelt, passte weder in die Theologie der Schriftgelehrten noch in die Vorstellung des Volkes Israel.

Was können wir daraus lernen?

Aus dieser Begebenheit heraus, dürfen wir folgendes lernen: „Bibelstellen, die nicht in unsere Theologie passen, sollten wir auf keinen Fall leichtfertig mit einer standardisierten Auslegung beiseite schieben oder in Folge unserer anderweitigen Erwartung verdrängen! Bibelstellen, die nicht mit unseren Vorstellungen übereinstimmen, zeigen, dass wir entweder eine noch korrekturbedürftige Vorstellung haben oder dass wir die Bibelstelle noch nicht richtig verstehen.