Die Erstlingszüge im Bild der Maria

Aus Bibelwissen
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Abschrift des Buches: Der da war, und der da ist und der da kommt!
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Aus dem Gemeinschaftsblatt für innere Mission Augsb. Bek.: "Reich-Gottes-Bote“ (1918-26)
Selbstverlag des Bibelheims „Bethanien", Langensteinbach

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Inhaltsverzeichnis:
Kapitel davor:
31. Das gute Teil Lk 10:38-42 (1920)

32. Die Erstlingszüge im Bild der Maria

  • Lk 10:38-42 (ELB) (38) Es geschah aber, als sie ihres Weges zogen, daß er in ein Dorf kam; und eine Frau mit Namen Marta nahm ihn auf. (39) Und diese hatte eine Schwester, genannt Maria, die sich auch zu den Füßen Jesu niedersetzte und seinem Wort zuhörte. (40) Marta aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen; sie trat aber hinzu und sprach: Herr, kümmert es dich nicht, daß meine Schwester mich allein gelassen hat zu dienen? Sage ihr doch, daß sie mir helfe! (41) Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta! Du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; (42) eins aber ist nötig. Maria aber hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird.
  • siehe auch: Joh 11; Joh 12:1-8

Das gute Teil

Maria ist eines der ausgeprägtesten Kinder Gottes, eines der markantesten Erstlinge der Gemeine zu Lebzeiten Jesu. An ihrem Bilde können wir so recht die Grundzüge aller Erstlinge Gottes erkennen. Dass wir sie nicht willkürlich zu den Erstlingen rechnen, zeigen nicht nur diese Züge, sondern auch das Wort des Heilandes, welcher im Lukasevangelim über sie spricht. Der Herr sagt: „Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden. Von einer Auswählung spricht der Herr. Maria hat sich etwas a u s e r w ä h l t. Wo aber ein Auserwählung ist, da ist immer etwas Sonderliches aus vielem anderen und immer etwas sonderlich W e r t v o l l e s aus vielem anderen herausgenommen. Das Wort „auserwählen“ ist ein rechtes Gemeinewort, sowohl hinsichtlich der Auswahl des Herrn der die einzelnen auserwählt, als auch hinsichtliche der des Zieles, des Kleinodes, dem die Auserwählten nachjagen. Paulus erwählt sich immer den Siegespreis. So hat nach dem Worte des Herrn auch Maria sich etwas auserwählt - und zwar das gute Teil, oder genauer: d a s g u t e E r b t e i l.

Das ist aber das Erbteil der Heiligen im Licht. Ob sie es schon g a n z k l a r erkannte zu jener Stunde oder nicht - ihr Herz hatte das gute Erbteil erwählt. Erben im eigentlichen Sinn sind die Kinder: „Sind sie Kinder, so sind wir auch Erben.“ Und Johannes sagt ja in seinem Evangelium: „Wieviele Ihn aber aufnahmen, denen gab Er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an Seinen Namen glauben.“ solch gutes Erbteil hatte Maria, die tiefsinnig Schauende, sich erwählt. Und der Herr sagt: „Es soll nicht von ihr genommen werden.“ Das sagt die Bibel nur vom Kindschafts- und Erbschaftsteil. Da sagt sie: „S i n d wir denn Kinder, s o s i n d wir auch Erben.“ Und: „Der in euch a n g e f a n g e n hat das gute Werk, der w i r d es auch vollenden bis auf S e i n e n T a g.“ So charakterisiert der Heiland die Maria in Lk 10:42 nach allen Seiten hin als einen Erstling, in welchem das Erwählungswerk begonnen hat. Das bestätigen nun auch die wunderbaren Erstlingszüge im Bild Marias, bei deren Anschauen wir selbst prüfend uns betrachten können, ob wir etwas davon in unserem Wesen tragen.

Da tritt uns vor allem der gänzlich s i c h h i n g e b e n d e G l a u b e an Jesus, als a n d e n C h r i s t u s und H e i l a n d, entgegen. Das ist aber nach Johannes (1Jo 5:1) der grundlegende Zug der Gotteskindschaft: „Wer da glaubt, dass Jesus sei der Christus, der ist von Gott geboren.“ Maria legt nirgends ein W o r t b e k e n n t n i s dahingehend ab; aber ihr ganzes Wesen ruft laut: Herr ich glaube! Und ihr ganzes Tun ruft laut: ich glaube, und wenn ich gar nichts sehe! Schon Lk 10 ist ihr stilles, hingegebenes Sitzen zu Jesu Füßen, unter Zurücksetzung alles anderen, ein lautes Zeugnis für ihren Glauben, dass Er der Herr sei mit den ewigen Lebensworten. Und wenn sie (Joh 11.), dem Herrn begegnend, zu Seinen Füßen hinfällt, was will sie anderes, denn Ihm als dem M e s s i a s k ö n i g h u l d i g e n, der ihr unverbrüchlich Messiaskönig bleibt, auch in der gegenwärtig dunklen Führung des Todes ihres Bruders! Wenn s i e sagt: „Herr, wärest Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben“, so hat das jedenfalls einen ganz anderen Ton und Klang, als wenn es Martha sagt.

Maria, Martha und Jesus

Wenn zwei dasselbe tun ist es bei weitem nicht immer dasselbe. Als Martha es sagt, bleibt sie stehen; Maria fällt nieder und huldigt - darum ist auch der Erfolg beim Heiland so verschieden. Bei Martha redet und zeugt Er und bringt sie zurecht; bei Maria wird Er erschüttert im Geiste und betrübt. Ihr unentwegter Glaube ergreift Ihn im Innersten. Bei Maria ist das Wort „ H e r r“ das Hauptwort; bei Marhta das „wärest Du hier gewesen“. So sehen wir darum auch Joh 12, wo alles wie betäubt ist von dem schweren Todesverhängnis, das über den Häuptern schwebt, Maria allein fest glauben und Jesum salben zu Seinem Tode. Sie ahnt’s und bekennt’s: auch der Tod gehört zum Messiasweg! Ihr ist Er und bleibt Er der Herr, mag es aussehen, wie es will. Das ist ja Glaube, der nicht schaut, der hofft, da nichts zu hoffen ist. Das ist der Erstlinge Grundwesen von Abel und Abraham an bis heute.

Grundwesen der Erstlinge

Die geborenen Söhne, welche den Sohnesgeist in sich tragen, kennen und lieben den Sohn und in Ihm den Vater, mögen die äußeren Wege sein, wie sie wollen. Hier folgen sie ihrem großen Erstgeborenen, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher auch den Glauben durch Tod, Gericht und Hölle siegreich trug. Darum wird auch die Gemeine in d e r Zeit geboren, da Satan herrscht, da die diesseitigen Grundlinien die herrschenden sind, in der Zeit der Machtentfaltung des antichristlichen Geistes. Darum ist auch die Gemeine, die leidende, die zahlenmäßig geringe, die niedrige - sie trägt ihren Schatz in irdenen Gefäßen. Sie hat I h n lieb, ob sie I h n auch nie gesehen. Das ist Mariens Grundzug; bist du Kind Gottes, so ist es auch der deine, und der Herr wolle uns beim zunehmenden Nichtsehen den Glauben stärken: „Ich will die Augen schließen und glauben blind.“ Im Königreich Christi wird geschaut und dann geglaubt, in der Gemeine wird geglaubt und dann geschaut.

Der andere und nächste Zug der Maria, eng zusammenhängend mit diesem, ist der des völligen persönlichen Hingegebenseins an die Person des Herrn. Als der Herr in ihrem Hause einkehrt (Lk 10), da sieht sie nur I h n. Alle anderen, auch die an und für sich nötigsten Dinge treten ihr zurück - zu seinen Füßen ist ihr Platz, Ihn zu hören. So ist es auch Joh 11. Sie ist nur auf Ihn gerichtet. Sie weiß, dass Er im Kommen ist; aber sie steht nicht auf - sie wartet, wartet, bis Er ruft. Und dann fällt sie huldigend zu Seinen Füßen nieder - s i e w a r t e t auf I h n. Am ergreifendsten tritt es uns in Joh 12 entgegen. All ihr Tun gilt Ihm persönlich, all ihre Habe, ihr Köstlichstes, verwendet sie für Ihn p e r s ö n l i c h. Sie ist uns in allen drei Stellen ein rechtes Bild des „i n I h m S e i n s“. Nicht Seine S a c h e, Sein Werk, das Wirken in Seinem Dienste, das Liebe üben an Armen ist ihr d a s e r s t e - sondern immer Er, nur Er. So sagte auch der große Erstling Zinzendorf: „Ich habe nur e i n e Passion, und das ist Er, nur Er.“

Erste und zweite Linie

Martha wirkt und sorgt und kommt nicht zu I h m. Sie tut’s f ü r Ihn; sie redet und zeugt v o n Ihm - aber Maria ist i n Ihm. Das ist ein rechter Erstlingszug. Bei ihnen ist die Hauptsache und Grundlage die Gemeinschaft mit dem Herrn selbst. Ihm zu Füßen sitzen, Sein Wort essen; Ihm zu Füßen liegen, Ihn anbeten und mit Ihm reden; Ihm zum Opfer sich und sein Bestes geben - Zeit, Kraft, Gaben und Wesen: das ist ihnen das erste. Dahinter tritt alles andere, auch das Wirken in Seinem Namen und für Sein Reich, und das Liebe üben, weit zurück. Das ist zweite Linie. Selbst die Gemeinschaft mit Gotteskindern, selbst Gebets- und Bibelstunden sind zweite Linie - e r s t e ist: von Person zu Person beim Herrn, vor dem Herrn, in dem Herrn. Der Schulmeister Kolb sagt: Der Umgang mit geistlichen Menschen macht geistlich, der Umgang mit Gott macht göttlich.

Das Grundziel und Grundtrachten der Erstlinge ist, dass sie in Ihm erfunden werden - es sei im Leben oder im Sterben. Weißt du und kennst du das? Damit hängt eng zusammen, dass die Erstlinge Gottes, wie Maria, immer mehr einwärts als auswärts gerichtet sind, immer mehr auf d e n E i n e n und auf das E i n e als auf das Vielerlei. Sie wissen: Eins ist d a s N o t w e n d i g e. Darum schweigen sie auch mehr, als sie reden. Wir hören von Maria nur das e i n e Wort, dort zu Füßen (Joh 11:32). Nach außen redet sie gar nicht, auch wo man natürlicherweise meinen sollte, sie müsste etwas sagen. Laut sein und lärmend sein und umtriebig sein passt nicht ins Bild der Kinder Gottes. Der Ewigkeitscharakter wirkt an ihnen etwas aus von der großen, heiligen Stille alles wahrhaft Göttlichen. Sie sind in Wahrheit die Stillen im Lande.

Der Zug des Leidens

Dies führt uns auf den Zug des Leidens. Maria ist überall, wo wir sie sehen leidend. Wenn in Lk 10 ihre Schwester sie beim Heiland anklagt, so sehen wir eine Leidende. In Joh 11 ist sie ebenso die Leidende, gewiss nicht nur um des Todes des Bruders willen, sondern noch mehr um des teilnehmenden Haufens willen, der doch das Innerlichste, was sie bewegt, in keiner Weise versteht. In Joh 12 aber ist sie im Vollsinn die einsam Leidende. Sie allein sieht dem zum Kreuze gehenden Messias ins Herz und leidet mit Ihm - und sie ist es, die, wie Er selbst, unter der ganzen anderen Schar schwer trägt. Alle fallen über sie her, wohl auch die Schwester und Lazarus.

Die Erstlinge müssen, weil sie später Könige und Priester sein sollen, einsam und allein stehen können - und sonderlich leidend allein. Mit ihrem inneren Ewigkeitswesen haben sie immer andere Eindrücke, andere Urteile, andere Wesensäußerungen als die anderen, und daraus entsteht das Leiden. Wenn der Herr mit Seinen Jüngern ins Haus kommt, ist es doch das Natürliche, sich zu regen und viel zu sorgen - Maria bleibt sitzen bis man sie ruft. Ganz ohne ä u ß e r e n Anlass einfach die beste Narde pfundweise verbrauchen, das ist doch Torheit - das tut sie. Immer ist sie anders als die anderen - wie sollten diese sich nicht an ihr ärgern! Das bringt ihr manche äußere Demütigung und manchen inneren Druck. Das ist die Passion der Erstlinge, unter der sie fast ständig gehen und unter der sie für ihr hohes Ziel reifen. Zu werden und zu wachsen, das ist ja immer ihr Hauptziel - und das geht unter den Leiden am zielsichersten.

Warten auf den Herrn

Darum schweigt auch Maria zu all ihrem Kummer. Sie erwidert der Schwester nichts auf ihre Anklage, und sie erwidert der ganzen murrenden Jüngerschar nichts. Sie trägt still auch das in den tadelnden Worten liegende Unrecht. Sie wehrt sich nicht und wehrt nicht ab. Sie überlässt das dem Herrn und stellt es Ihm anheim, für sie einzutreten. Und Er tut es beide mal in köstlicher Weise, sowohl Lk 10 gegenüber der Schwester als auch Joh 12 gegenüber den Jüngern. Das ist ein wichtiger Zug im Bild der Erstlinge: sie widerstreben nicht dem Unrecht und schaffen sich selbst nicht Recht. Sie warten auf ihren Herrn. Er rechtfertigt sie nach B e d a r f und zur rechten Z e i t und in der rechten A r t - was sie alles selbst niemals richtig fertigbrächten. Hast du solche Züge in deinem Wesen - geisteseingeprägt? Wir alle, die wir den Geist des Glaubens in der neuen Geburt haben, wollen bitten, dass der Herr solches Sein Bild an uns immer kräftiger ausgestalte.

Wir werden auf diesem Wege nicht viele Kameraden haben, sondern gleich Maria unter den Eigenen (Lk 10) wie in der Gemeinschaft (Joh 11 u. Joh 12:1-8) oft einsam sein. Das wirft nur umso mehr auf Ihn und lehrt verlangen nach Ihm - und fördert so unser wahres Bestes. Aber eines müssen wir uns merken: Martha war zwar ganz anders, sie stand wohl auch mit dem Heiland in Verbindung, sie öffnete Ihm ihr Haus, sie diente Ihm, es war ihr keine Mühe zu viel für die Sache des Herrn, sie legt Joh 11 auch ein schönes Bekenntnis ab, wenn auch nicht nachhaltig; denn sie spricht gleich darauf dem Herrn wieder dazwischen. Es geht bei ihr der Glaube mehr aus dem Sehen (Joh 11:40). Sie steht mehr in dem gesetzlich-messianisch Jüdischen, nicht in dem innerlich Geistesmäßigen wie Maria; darum steht sie auch mehr im Tun und Wirken des Äußeren - aber J e s u s hatte M a r i a und auch M a r t h a lieb. Wenn sie auch des Erstlingswesens nicht teilhaftig war - so meinte sie doch das Königreich des Herrn. Und sie musste Maria zur Zucht und Förderung sein, wie auch Maria ihr wieder ein innerer Segen.

Der Sterbensweg der Erstlinge

Darum sind sie auch nicht in Streit geraten, sondern beieinander gewesen und beieinander geblieben. Erstlinge laufen nicht aus der Schule; sie achten auch niemand gering, da sie in ihren eigenen Augen stets die Geringsten sind. Sie bleiben und sterben da, wo sie hingestellt sind, bis sie der Herr an einem anderen Orte das Sterbensleben fortsetzen heißt. Sterben, sagt ein Gottesknecht einmal, kann man überall. Sie machen dabei keine verdrießlichen Gesichter, wie das Maria sicher auch nicht tat. Sie stehen ja nicht unter den Menschen, sondern unter ihrem Herrn, und der ist immer voll Freundlichkeit gegen sie. Es beschämt uns, dass Maria schon vor der vollbrachten Heilsbeschaffung solche Züge an sich trug, obwohl wir ja den gegenwärtigen Heiland in Anschlag bringen müssen; wieviel mehr sollten wir sie an uns tragen, die wir haben des Geistes Erstlinge. -

Wir wollen aber an diesem Mariawesen nicht nur uns, sondern auch unsere Gemeinschaften prüfen. Wir werden wohl verstehen, wie die großen Kirchen, deren Gliedermehrzahl eben keine gottgeborenen Leute sind, auch in ihren besten Kreisen immer mehr das Marthawesen an sich tragen werden - eine sachliche Vielgeschäftigkeit auf allen Gebieten. Wir sollten aber auch verstehen, wie unsere Gemeinschaften, welche doch, wenn auch unvollkommen Sammelstellen der Gläubigen in Christo sein wollen, mehr das Marienwesen an sich trägen müssten. Es ist keine Frage, dass das Gemeinschaftsleben unserer Tage im großen und ganzen, und zwar je moderner es ist, umso mehr die Erstlingszüge verliert, und allgemein- religiöse Reichszüge annimmt, voll Unruhe und Vielerleiheit. Hier kann es nur anders werden, wenn wir mehr wiedergeborene Gotteskinder bekommen. Um diese aber gilt es zu beten und selbst eines zu werden aus Gnaden.

Lies weiter:
33. Die Eigentumsherde Joh 10:12-16 (1926)