Die Endlosigkeit der Höllenstrafen

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Abschrift des Buches: Das Los der Toten
(gänzlich umgearbeitete Neuauflage von Auferstehung des Fleisches)

Verfasser: Pastor Samuel Keller
Verlag der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt, Berlin 1913

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:
1. Der Zustand nach dem Tode

2. Die Endlosigkeit der Höllenstrafen

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die katholische Kirche und nach ihr die Reformatoren (Augustana XVII.) die Endlosigkeit der Höllenstrafen gelehrt haben. Fragen wir nach dem Schriftbeweis, so werden uns nachstehende Worte angegeben. Wir müssen sie genau prüfen, ob das Fundament fest genug ist, eine so ungeheuerliche Behauptung zu tragen: der Gott der Liebe habe im voraus gesehen, dass sich die Mehrzahl seiner Menschen nicht zu Erben seiner Herrlichkeit brauchbar erweisen würden, und sie darum den endlosen Qualen verfallen müssten, - und er habe sie doch geschaffen! Er habe sie mit endloser Lebensfähigkeit (Unsterblichkeit der Seele) begabt, damit ihre Qual nie und nimmer ein Ende nehmen könne! Ist das keine „Abscheulichkeit“?*) Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie damit gesagt haben!

*) „Die andere Idee, dass die Seele wegen ihres schlechten Verhaltens, während der doch nur so kurzen irdischen Periode ihres gesamten Daseins, auf ewig und unwiderruflich mit Verdammnis bestraft werde, ist eine Abscheulichkeit, und wäre selbst für ein irdisches Strafgericht eine unverhältnismäßige Übertreibung der Strafgewalt.“ (Hilth, Sub specie aeternitatis, S. 43)

Womit stützt man nun diese Lehre? Wir wollen jede einzelne Schriftstelle genau darauf ansehen; nur nicht die direkten Parallelstellen, die nichts anderes besagen.

  1. Mt 25:41 Parallelstelle Offb 20:10.15): Ewiges Feuer, Qual von Ewigkeit zu Ewigkeit. Hier wird nur unsere Darlegung des Begriffes „Ewigkeit“ uns vor der Schlussfolgerung einer endlosen Qual befreien können. Dasselbe gilt von Mt 25:46. Über den Unterschied von „ewig“ in ein und demselben Vers reden wir später anhand von anderen Schriftstellen.
  2. Mt 18:8.9: Ewiges- oder höllisches Feuer. Mt 3:12; Lk 3:17.
  3. Mk 3:29: Ewiges Gericht. Hebr 6:2
  4. 2Thes 1:9: Pein leiden, das ewige Verderben.
  5. Mk 9:48: „Da ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.“ Das ist ein Zitat aus Jes 66:24 und kann im Neuen Testament keine ganz andere, weitergehende Bedeutung haben, als dort. Nun bezieht es sich dort auf die, um das erneuerte Jerusalem, liegenden Leichname der Abtrünnigen, die von Wurm oder Feuer zerstört werden sollen. Die Fortdauer von Wurm und Feuer kann nur bedeuten, dass jenen Leichnamen keine Wiederbelebung mehr zuteil wird. (Spräche also eher für die Vernichtung der Persönlichkeit!) Die bildlichen Ausdrücke Wurm und Feuer quälen also nicht die lebenden Leiber, geschweige Seelen, sondern schildern in drastischer Weise „einen diesseits sich vollziehenden Vorgang, der seinem Wesen nach nicht endlos ist“. *)
  6. Dan 12:2: Ewige Schmach und Schande.
  7. 2Petr 2:17: Eine dunkle Finsternis in Ewigkeit. Jud 1:13
  8. Offb 14:11: Der Rauch ihrer Qual von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Es erscheint mir wichtig für diejenigen Leser, die selbst die Grundsprachen nicht kennen, dass in Kürze auf den Gebrauch der beiden Worte für „ewig“ eingegangen wird. Im Hebräischen heißt es „olam“; kommt im Alten Testament 373 mal vor. Im Griechischen „aion“, Eigenschaftswort „ainios“; findet sich im Neuen Testament 168 mal. Wie steht es an diesen 541 Stellen mit dem Begriff der Endlosigkeit?

Wenn „Ewigkeit“ schon an und für sich gleich Endlosigkeit wäre, könnte die Schrift nicht in der Mehrzahl von Ewigkeiten sprechen, sie aneinander reihen: zehnmal im A. T. und siebenmal im N. T.**) Oder wie könnten Ausdrücke gebraucht werden: „Vor den Äonen“***) oder „nach den Äonen****), wenn schon Äon irgendwo und wie gleich Endlosigkeit wäre?

*) Prof. Dr. Lemme, Endlosigkeit der Verdammnis, S. 8.’'
**) Lk 1:33; Röm 1:25; Röm 9:5; Röm 11:36; Röm 16:27; 2Kor 4:18; Hebr 13:8. Der Ausdruck: in die Äonen der Äonen kommt zwanzigmal vor. Jud 1:25: alle, oder sämtliche Äonen. 2Tim 1:9 und Tit 1:2 spricht Paulus von „ewigen Zeiten“, äonische Zeiten.’'
***) Hebr 1:2 und Hebr 11:3 hat Gott durch den Sohn die Äonen gemacht: so gab es also eine Zeit, wo sie nicht waren. Gott und Jesus waren vor den Äonen da. 2Tim 1:9 und Tit 1:2 vor den Äonen. 1Kor 2:7 und Jud 1:25 ebenso.’'
****) Olam va-ed: ewig und darüber hinaus. Dreizehnmal im Alten Testament.’’

Äon als zeitlicher Begriff

382 mal werden in der Schrift diese Ausdrücke gebraucht von Dingen, Einrichtungen, Anordnungen und Zuständen, die als geschaffene einen Anfang gehabt haben, und keine Ewigkeit im landläufigen Sinn beanspruchen können. („Ewige“ Steinhaufen, Schutthügel, Wüsten, Schlaf, Schwangerschaft, Tiefen ohne Ende, Freundschaften, Aussatz, Meeresschranken, Türen, Grenzen usw.). Hätte Luther überall das Wort „Äon“ mit „Ewigkeit" übersetzt, würden manche bekannte Sprüche sehr merkwürdig Mt 12:32: „Weder in dieser Ewigkeit, noch in jener.“ Lk 16:8: „Die Kinder dieser Ewigkeit“. Röm 12:2: „Stellet euch nicht dieser Ewigkeit gleich.“ Gal 1:4: „Errettet aus dieser gegenwärtigen argen Ewigkeit.“ 2Tim 4:10: „Demas hat diese Ewigkeit lieb gewonnen.“ Man sieht, dass dadurch, dass in unserer Bibel bei einem Wort „ewig“ steht, sich noch gar nicht so ohne weiteres die Bedeutung ergibt, dass die Schrift von einer wirklichen Endlosigkeit im philosophischen Sinn sprechen möchte.

Die Begriffe selbst müssen etwas enthalten, wodurch das Eigenschaftswort „aionios" über die Menschenzeit hinausgehoben wird! Wo das nicht der Fall ist, heißt „Äon" - Zeitalter, und aionios, was einem Zeitalter entspricht. Von dieser Regel machen auch die Stellen keine Ausnahme, die sich auf das Priestertum und die Königsherrschaft Jesu beziehen (44 mal). Denn das „ewige“ Priestertum nach der Ordnung Melchisedeks, und die „ewige“ Königsherrschaft Jesu hören nach der Schrift auf, und haben ein Ende. 1Kor 15:24-28 zeigen doch, dass er, wenn er alles überwunden hat, von seinen Ämtern zurücktreten, und alles dem Vater übergeben wird. Wenn es nichts mehr zu versöhnen gibt im Himmel und auf Erden, hat das Priestertum ein Ende, und wenn die letzten Rebellen unterworfen sind, das Königtum Jesu auch, auf dass Gott sei alles in allen.

Äon im Sinn von unsterblich

Nur bei zwei Begriffen des Schriftgebrauchs liegt es eben im Wesen des Begriffes selbst, dass der Zusatz „aionios“ oder „olam" den Sinn von Endlosigkeit haben kann und sagen muss: Gott und das Leben'’'.

Als Beispiel nehmen wir Röm 16:25.26. Die Rede ist von einem Geheimnis, das von „ewigen Zeiten“ her verschwiegen war, jetzt aber auf Befehl des „ewigen Gottes“ bekanntgemacht wird. Zeiten sind nicht endlos, und diese haben ja in dem Augenblick einen Abschluss gefunden, wenn Paulus das bisher verborgene Geheimnis verkündigt. Im selben Satz steht das gleiche Wort für Gott, der „ewige“ Gott. Wer würde auf den absurden Gedanken kommen, nun zu schließen: weil es einmal nicht endlos bedeutet, kann es auch jetzt nur heißen: Wenn die ewigen Zeiten ein Ende haben, dann hat Gott auch ein Ende?

Oder für Leben lese man Tit 1:2: wieder ewige, d.h. vergehende und vergangene Zeiten und endloses Leben. Nachdem die Verheißung erfüllt ist, sind die Zeiten zu Ende, aber das Leben nie! Jetzt vergleiche man Mt 25:46, und ziehe selbst den gleichen Schluss, ob Bengel nicht recht hat, der hier von zwei verschiedenen Bedeutungen von „ewig“ in einem Vers redet! -

Ich kann mich nicht zurückhalten, hier ein paar Sätze aus einem Artikel von Johnson (Der Geisteskampf der Gegenwart 1911, Heft 10) anzuführen.

„Gottes Leben ist immer „ewiges Leben“. Wie er der Inbegriff des Lebens ist, so auch der Inbegriff der Ewigkeit. Handelt es sich doch um Lebensewigkeit, nicht Todesewigkeit. Die göttliche Ewigkeit ist keine öde, keine Leere, keine Negation, auch keine Abstraktion von den, an sich schon relativen, menschlichen Begriffen des Raumes und der Zeit und ihrer Maße, kein gähnendes Grab, kein Tod, sondern die Fülle, aus der wir schöpfen Leben um Leben, Gnade um Gnade.

Liegt auch in dem griechischen Wort „aion“, das Luther mit „Ewigkeit“ wiedergibt, an sich der Begriff der Ewigkeit nicht, so umso mehr der Begriff der Lebensdauer, der Lebenszeit, des Lebensalters. Der „aion“ eines Menschen beträgt siebzig Jahre, wenn es hoch kommt, sind es achtzig Jahre. In dieser Zeit erschöpft sich die physische Energie seines „aions“ (eigentlich Rückenmark, aus dem die Lebenskraft abgeleitet wird), seines Lebens. Aber Äon auf Gott angewandt, gewinnt unmittelbar die Bedeutung der Ewigkeit, eben weil das Leben Gottes unerschöpflich, und daher seine Lebenszeit unendlich ist. Diesem Gott des Lebens, der in diesem Sinn auch „allein“ Unsterblichkeit hat (1Tim 6:16), ihm, dem König der Ewigkeiten, dem unvergänglichen, unsichtbaren, einigen Gott, Ehre und Ruhm in die Ewigkeiten der Ewigkeiten (1Tim 1:17).

Man müsste tatsächlich ohne alles tiefere Empfinden sein, wollte man hier nicht herausfühlen, wie sich aus der Fülle der Lebensbeziehungen heraus die Gedanken häufen und drängen, um den Dynasten der Ewigkeit in seiner absoluten Lebens- und Herrlichkeitssouveränität darzustellen. Schon die Beziehungen des deutschen Wortes „ewig“ (im Althochdeutschen „ewa“, im Gotischen „aiws") zu dem griechischen „aeon“, dem lateinischen „aevum“ lassen überall die Grundbedeutung des Leben hindurch schimmern. Das „aevum" der Tiere und Pflanzen, d. h. die ihnen zugemessene Lebenszeit ist eng begrenzt, das „aevum“ Gottes aber ist grenzenlos, seine Zeit hat kein Ende, weil sein Leben kein Ende hat, er hat unergründliche Tiefe und eine aus sich selbst erneuernde Kraft.“

Aus dem Gesagten erhellt, dass wir kein Recht haben, einem Vorgang endlose Dauer zuzusprechen, weil das Wort „aionios“ dabei steht. „Aion“ heißt Zeitalter und kann nur eine andere Bedeutung haben, wenn das Wort, mit dem es im Satz verbunden ist, eine solche erfordert. Nach der ganzen Heiligen Schrift ist Gott allein endlos, denn es steht geschrieben: „Der allein Unsterblichkeit hat“ (1Tim 6:16), und nur, wer an seinem endlosen Leben Anteil bekommt, kann unsterblich sein. Röm 6:23 sagt es deutlich, dass für uns das ewige Leben ein Charisma, ein Gnadengeschenk Gottes sei. Eine Unsterblichkeit der Seele, die physischer Besitz jedes Menschen wäre, lehrt die Schrift nicht.*) Selbstverständlich wird damit der Unsinn der Anhänger Russels (Milleniums-Leute) nicht Vorschub geleistet, dass die Seele mit dem Tod des Körpers zugleich sterbe. Dann gäbe es keine Fortdauer nach dem Tode, kein Zwischenreich, keine Vergeltung, und alle die darauf deutlich hinweisenden Schriftstellen würden gegenstandslos.

*) Biedermann, Dogm. II, 2. Aufl., S. 971: „Die Vorstellung der Unsterblichkeit.... nimmt für den kreatürlichen Geist in Anspruch, was nur das Wesen des absoluten Geistes ausmacht.“

Adam war noch nicht unsterblich (im Sinne von endloser, göttlicher Dauer) vor dem Sündenfall. Hätte er damals von dem Baume des Lebens (1Mo 3:22) gegessen, der im nicht verboten war (1Mo 2:16), wäre ihm Unsterblichkeit zuteil geworden. Weil er aber von dem verbotenen („Satansbaum“?) Baum aß, waren er und seine Nachkommenschaft dem irdischen Tod, und soweit sie nicht später an der Erlösung durch Christum teilhatten, dem ewigen oder andern Tod verfallen. Aus dem aber rettet nur Jesus! -

Keine Rettung ohne Jesus

Tatian (Anrede an die Griechen, Kap. 13) sagt: „Die Seele ist nicht in sich selbst unsterblich, o Griechen, sondern sterblich. Doch aber ist es möglich für sie, nicht zu sterben. Ja, kennt sie die Wahrheit nicht, so stirbt sie....“ Ähnlich Irenus (II 34,3): „Der Vater aller verleiht den Fortbestand für immer und ewig denen, die errettet werden. Denn Leben entspringt nicht aus uns, noch aus unserer Natur, sondern wird verliehen gemäß der Gnade Gottes. Wer darum das ihm verliehene Leben bewahrt und ihm dankt, der es verliehen hat, der wird auch Länge der Tage erhalten immer und ewiglich. Wer es aber zurückweist und sich seinem Schöpfer gegenüber als undankbar erweist, insofern er doch geschaffen wurde, und ihn nicht anerkannt hat, der ihm die Gnade verliehen hat, bringt sich selbst um das Vorrecht des Fortbestandes für immer und ewig. Und dies ist auch der Grund, warum der Herr diejenigen, die sich ihm gegenüber undankbar erzeigten, sagte: Wenn ihr nicht treu gewesen seid in dem, was gering ist, wer wird euch geben, was groß ist? damit andeutend, dass diejenigen, welche sich in diesem kurzen irdischen Leben dem gegenüber undankbar erwiesen haben, der es verliehen hat, von Rechts wegen von ihm auch nicht die Länge der Tage für immer und ewig erhalten werden.“

Clemens Alexandrinus: „Wenn wir getauft sind, werden wir erleuchtet; erleuchtet werden wir Söhne; als Söhne werden wir vollkommen und unsterblich.'’'"

Wenn nicht die platonische Philosophie sich in die spätere christliche Gedankenwelt hineingeschlichen hätte, wären die biblischen Vorstellungen geblieben, dass nämlich der Weg zur wahren Endlosigkeit nur durch die Errettung vom ewigen Verderben geöffnet worden ist, die durch Christum geschehen ist. Was für eine Wucht verleiht dieser Gedanke der frohen Botschaft: Euch allen droht nach dem jammervollen Erdenleben eine trostlosere Existenz im Zwischenleben, angefüllt mit schrecklichem Warten des letzten Gerichts und dort der Urteilsspruch, der euch zum zweiten Tod, der Vernichtung eurer Persönlichkeit, verdammt. Er ist allein das Licht und der Trost fürs Erdenleben, indem er euch von den Ketten der Sünde befreit! Er ist die Hoffnung und die Energie („lebendig gemacht im Geist“) eurer Geister, im Zwischenzustand eine beseligende Arbeit an andern fortzuführen. Und endlich bringt er die herrliche Auferstehung eures Leibes, und damit die Errettung eurer Persönlichkeit aus aller Gefahr der Vernichtung für immer. Denn Jesus sagt nur von denen, die würdig werden der Auferstehung, dass „sie hinfort nicht sterben können“ (Lk 20:35).

Prof. Lemme sagt im a. B. S. 36: „Darum wagt denn auch kein denkender Dogmatiker der Gegenwart die volle Endlosigkeit der Verdammnis, für alle nicht in Christo Beseligten mehr im vollen Umfang, zu behaupten. Sondern entweder stellt man die Bedenken zusammen, und stellt es der göttlichen Weisheit und Liebe anheim, einen Ausweg aus den theologischen Schwierigkeiten zu eröffnen. Oder man sucht in irgendeiner Weise eine Einschränkung jener Lehre zu geben. Das letztere ist theologisch nicht nur berechtigt, sondern für den, der die Schwierigkeiten erkennt, dogmatisch notwendig. Das erstere ist theologisch unzulässig. Bei von Gott geoffenbarten Mysterien ist Bescheidung erforderlich, die das Unbegreifliche Gott anheimstellt. Aber die Endlosigkeit der Höllenstrafen ist kein von Gott geoffenbartes Mysterium, sondern ein durch Dogmen geschichtliches Erzeugnis der Theologen. Es kommt aber dem Theologen nicht zu, widersinnige Behauptungen aufzustellen und, bei Erkenntnis des Widersinns, Gott die Lösung der Schwierigkeiten aufzubürden.“

Darum finden sich die verschiedensten Theologen in dem Bekenntnis zusammen: „Die Hoffnung auf Unsterblichkeit beruht im Neuen Testament nicht auf dem Wesen der Seele, sondern auf der Verheißung des Lebens in Jesu Christo.“ (Dr. Beet)

Insofern ψυχή (psuchē) das leibliche Leben bezeichnet, kann sie keinen Anteil an ihr (der Unsterblichkeit) bekommen, insofern sie der Sitz des weltlichen Fühlens ist, sondern nur insoweit, als sie durch das religiöse Fühlen in die Gotteswelt hineinragt.“ (Wohlrab, Grundriss d. neuttest. Psychologie, S. 10). Ich drücke das so aus: erst durch Zusammenschluss mit Christi ewigem Leben kommt für die Seele eine endlose Fortdauer zustande. Außerhalb dieses Lebens Christi gibt’s keine Unsterblichkeit der Seele als einen physischen natürlichen Besitz des Menschen. - Hierher gehört auch Jak 5:20: „Wer einen Sünder bekehrt, rettet eine Seele vom Tode“. Die Seele ist also an sich sterblich, sie wird nur dadurch vom Untergang gerettet, dass ihr durch die Bekehrung göttlicher Geist zuteil wird. - Hat man von gewisser Seite der Seelenvernichtungslehre vorgeworfen, dass sie das Interesse an der Verkündigung des Evangeliums unterbindet, so kann im Zusammenhang mit den soeben mitgeteilten Hinweisen gesagt werden: gibt’s einen stärkeren Impuls als den, durch die Bekehrung, eine sonst dem Zugrundegehen preisgegebene Seele, für das ewige Leben zu retten?

Biedermann (Dogm. II, 2. Aufl. S 641) fertigt die vulgäre Anschauung, die sich unter platonisch-scholastischem Einfluss in die Kirchenlehre eingeschmuggelt hat, mit den Worten ab: „Nun aber widerspricht vorab die Ewigkeit der Höllenstrafen:

  1. Dem gerechten Verhältnis zwischen Gott und Mensch, dem zufolge das extensiv immer endliches Tun des Menschen keine extensiv unendliche*) Strafe zur Folge haben kann
  2. der dem menschlichen Ich als Geist essentiellen Freiheit, der zufolge dasselbe nie zu einem bloß daseienden Substrat von Zuständen werden kann;
  3. der Absolutheit Gottes, die am Ende, so gut wie am Anfang etwas neben, und außer Gott noch Daseiendes, rein Negatives, nicht zulässt.“ (Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, dass mich sonst die Biedermannsche Auffassung vom Ende nicht befriedigt. Nur darin hat er recht, dass er darauf hinweist, wie die altkirchliche Auffassung vom Zwischenzustand mit der Vorstellung von der nachfolgenden Auferstehung im Widerspruch steht.)
*) Was hat eine Strafe, die weder bessert, noch tötet, für einen Sinn?

Was bedeutet endlose Verdammnis?

Wollen wir uns noch einmal deutlich vorstellen, was endlose Verdammnis bedeutet. „Sie besteht in endloser, bewusster Feindschaft gegen Gott.

Also auch endlose Macht und Herrschaft der Sünde über alle endlos Verdammten. Wer die endlose Verdammnis der Gottlosen lehrt, behauptet damit den endlosen Fortbestand einer im tiefsten Wesen Gott feindlichen Welt von Geschöpfen, die mit Bewusstsein allen und jeden Erweisungen göttlicher Liebe, Macht und Gnade erfolgreich Trotz bieten.

Ja, sie können gar nichts anderes, als denselben Trotz bieten. Denn sie sind durch ein gerichtliches Urteil Gottes selbst dazu verdammt, nie mehr anders zu können oder zu wollen.

Nun lehrt die Schrift, dass Gott alle seine Werke von Ewigkeit her bewusst sind (Apg 15:18). Somit auch das ihm zugeschriebene Werk der endlichen, hoffnungslosen, nie aufhörenden Verstockung der Verdammten, ihre strafrechtliche Verhärtung zu einem unaufhörlichen, wahnwitzigen, verzweiflungsvollen, aber entsetzlich wirklichen und bewussten Gegensatz allem gegenüber, was göttlich ist.

Es kann gern zugestanden werden, dass diese hoffnungslos verhärteten Feinde Gottes gewaltsam verhindert werden, diesen Gegensatz weiter zu tragen über die Grenzen der Hölle hinaus. Zugestanden, dass ihr Gefängnis durchaus sicher verwahrt und jede Gefahr ausgeschlossen ist, dass irgendein Teil der übrigen Schöpfung je wieder von Sünde, Tod oder Teufel berührt oder gefährdet werde.

Aber es bleibt eben doch irgendwo im All ein Satansreich, eine bewusste Höllenwelt bestehen, die nie ihr Ende erreichen wird, und die ihr Dasein der Sünde und Empörung des Teufels gegen Gott verdankt.

Was lehrt die Schrift?

Nun lehrt die Schrift, dass der Sohn Gottes dazu erschienen sei, dass er die Werke des Teufels zerstöre (1Jo 3:8).

Die Lehre von der endlosen Verdammnis aber bedeutet, dass jenes Höllenreich Satans keineswegs zerstört, sondern dass es durch Millionen verdammter Menschen einen bedeutenden Zuwachs erhalten werde, und dass ihm durch göttlichen Spruch ein endloser Fortbestand verbürgt sei.

Denn man lehnt ja eine endliche Vernichtung aller hoffnungslos Gottlosen ab, und die endliche Errettung aller leugnet man.

Damit wird entweder gelehrt, dass Gott selbst in seinem ewigen Rat und Vorsatz die Sünde als eine Macht gesetzt habe, die er niemals völlig aufzuheben, oder zu beseitigen beabsichtige. Denn er verdammt ja Engel und Menschen zu endloser bewusster Auflehnung gegen ihn. Gott habe also der Sünde eine gleiche endlose Dauer wie ihm selber zugedacht. Denn niemand wird behaupten wollen, dass die Sünde ohne Gottes Willen jemals solch endlose Dauer im All haben könne.

Oder aber, es folgt daraus, dass Gott nicht imstande sei, sich der Sünde endgültig zu erwehren, er könne sie nicht beseitigen, er müsse ihr endlosen Bestand wider Willen einräumen. Satan, nicht Jesus bleibt dann Sieger!

Gott hätte danach als Ausgang der Entwicklung seiner großen Gedanken mit seiner Schöpfung, zuvor ersehen und verordnet, dass Sünde, Tod, Teufel, Finsternis, Hass, Wut, Wahnwitz, Lästerung, Qual und Verzweiflung in der denkbar höchsten Potenz in seinem Weltall ohne Ende fortbestehen sollten, - oder müssten!

Das würde bedeuten, dass es der Sünde und dem Teufel gelingen sollte, einen großen (nach Vielen sogar den größten) Teil der Menschheit, also der liebsten Werke des Sohnes, von dem, durch den und zu dem ja alle Dinge geschaffen sind, endgültig und hoffnungslos zu zerstören. Und das nach Gottes vorbedachtem Rat und Vorsatz in Christo Jesu!

Und eine solche furchtbare Gotteslästerung hat in der gläubigen Christenheit Kurs bekommen als ein „Grundpfeiler der evangelischen Wahrheit“, als wesentlicher Bestandteil der „frohen Botschaft“ Gottes, an eine verlorene Welt!“ (Professor Ströter)

Auch Leute, die sich all diesen Zeugnissen und ihrer Beweiskraft nicht zu entziehen vermögen, meinen aus Pietät an der traditionellen Kirchenlehre festhalten zu müssen, und treten einem damit entgegen: Die Leugnung der Endlosigkeit der Höllenstrafen würde im praktischen Leben die verhängnisvollsten Konsequenzen nach sich ziehen. Die Ungläubigen würden noch den letzten geheimen Rest von Angst vor solchem Geschick verlieren und umso frecher sündigen, und die Lauen und Schlaffen könnten sich damit trösten, dass ja dann schließlich alle Strafe für ihre Schuld nicht so schlimm sei, wenn man ein schließliches Ende statt endloser Qualen voraussehe.

Darauf möchte ich nur kurz erwidern: was hat denn die bisherige Praxis der Kirche für Früchte getragen? Die wirklich Ungläubigen haben ja trotz, der im Mittelalter und in manchen Sekten bis auf den heutigen Tag grauenvoll gemalten Qualen der endlosen Verdammnis, sich dadurch nicht bessern lassen, weil sie alles Fortleben nach dem Tode, Gott und Gericht leugnen. Im Gegenteil, manche von ihnen sind erst recht zum Unglauben gekommen, weil sie sich mit einem Gott der Liebe nicht einen Despoten zusammenreimen konnten, der fort und fort unsterbliche Wesen schafft, von denen er weiß, dass der allergrößte Teil Teil in alle Ewigkeit gequält werden wird. Mit bloßen Angstmitteln, von denen einem das oberflächlichste Nachdenken sagt, dass sie gegen alle Begriffe der Gerechtigkeit, Moral und Billigkeit verstoßen, kann man keine Bekehrung der ungläubigen Welt erwarten. Sonst hätte das krasseste Mittelalter die tiefgehendsten und umfassendsten Bekehrungen der Massen erzielen müssen.

Ein praktisches Beispiel

Wir wundern uns, dass es Christen geben konnte, die es über das Herz brachte, ihre Mitmenschen, die einen anderen Glauben, als sie hatten, auf die fürchterlichste Weise zu foltern und zu verbrennen. Vielleicht liegt hier der psychologische Schlüssel zu diesem Rätsel. Der Mensch ist immer nur ein Abbild seines Gottes, d. h. ein Ergebnis seiner Gotteserkenntnis. Hatte man diese Leute im Namen des falsch verstandenen Christentums gelehrt, dass ihr Gott die vorgefasste ernstliche Absicht habe, die Mehrzahl der von ihm geschaffenen Menschheit, deren Unglauben er doch voraussehen musste, sowie kleine Kinder, die durch Lässigkeit ihrer Eltern oder geringe Nebenumstände plötzlich ungetauft sterben, einer endlosen Höllenqual zu überantworten, - so war es kein Wunder, wenn sie selbst auch unbarmherzig und hart gegen anders Glaubende wurden.

Bleibt außerdem nicht noch genüg übrig, um laue und schlaffe Menschen, die für Angst empfänglicher sind, als für Liebe zu schrecken? Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer, und es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen, wenn er, der seiner nicht spotten lassen wird, schließlich keine Gnade den Verstockten mehr bieten kann, sondern nur Gericht. Ein friedloses Leben auf Erden, - die Gottlosen haben keinen Frieden! - ein trostloses Sterben, und sofort nachher ein Aufwachen im Zwischenleben, wo man an seinem Zustand merkt, dass man sich furchtbar geirrt, und sein ewiges Heil von sich gestoßen hat! Und dann die zehrende, bohrende Angst - vielleicht Jahrhunderte hindurch! - vor dem letzten Gericht! Ist das der Menschenseele, die auf Leben und Entwicklung angelegt ist, eine Beruhigung, dass sie dann zuletzt ausgeschlossen sein soll von allem Guten und Schönem, was das Los der Seligen ist, und sie draußen in grausiger Gesellschaft warten muss, bis sie zugrunde geht, ohne auch mehr nur einen Schimmer von Hoffnung und Hilfe zu haben! Gott hat als Strafe für den Unglauben und die Sündenliebe den Tod gesetzt, - zuerst den leiblichen Tod und nachher den geistigen Tod. Über sein eigenes Urteil und Strafmaß wird er aber selbst nicht hinausgehen! -

Ich appelliere zum Schluss an viele ehrliche Anhänger dieser Lehre: Habt ihr nicht, auch wenn ihre jahrelang der Meinung wart, dass das orthodoxe schriftgemäße Lehre sei, heimlich den quälenden Widerspruch gefühlt und im tiefsten Grunde geseufzt: Ach, dass es anders käme! Oder ging es euch nicht, wie jenem eifrigen Prediger, der mit besonderer Wucht die endlose Qual wie Blitzstrahlen in jeder Predigt aufzubringen wusste, und plötzlich war diese Schroffheit aus seiner öffentlichen Verkündigung verschwunden, weil sein einziger geliebter Sohn unbekehrt sich das Leben genommen hat? - Nun, dann denkt euch in die Seelen eurer Hörer hinein, die eine solche wehe Stelle mit sich umhertragen und predigt*) nie mehr, was sich biblisch so wenig begründen lässt, und Gottes Liebe und Gerechtigkeit so furchtbar entstellt! -

*) Hat Paulus die Endlosigkeit der Höllenstrafen für seine Evangelisationsreden nötig gehabt? Vergl. Apg 13:16-41.46.476; Apg 14:15-18; Apg 17:22.31; Apg 20:18-35; Apg 22:3-21; Apg 24:10-21; Apg 26:2-25; Apg 28:17-20.

Lies weiter:
3. Die Wiederbringungslehre