Der Beginn der neuen Menschheit

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Abschrift des Buches: Rom - Babel - Jerusalem
Der Weg der Menschheit im Licht der Schrift bis zur Vollendung des Gottesreiches

Verfasser: G. Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach) (1928)
Verlag: Gebrüder Schneider, Karlsruhe i. B.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:
2. Das Gottesreich in seiner Niedrigkeitsgestalt

3. Der Beginn der neuen Menschheit

Der Auferstandene

Jerusalem ist nicht nur die Stadt des Kreuzes Christi, sondern auch die seiner Auferstehung und Himmelfahrt. Und dann wurde es die Stadt, wo die Christenheit ihren Anfang nahm. Auch die Christenheit aus der Völkerwelt darf nicht vergessen, dass ihre Heimatstadt Jerusalem ist. In Jerusalem entsprang der Lebensstrom aus dem oberen Heiligtum; da wurde den Harrenden der Heilige Geist geschenkt an jenem Pfingsten nach Christi Himmelfahrt, als die große Gabe des Erhöhten für den gegenwärtigen Zeitlauf. Es ist eine anfängliche Erfüllung von Hes 47. Seitdem ist der Heilige Geist nicht mehr aus der Welt hinausgegangen. Er hat eine schwere Aufgabe; denn allgemein durchdringen kann er noch nicht. Aber wirkungsmäßig ist der doch. Durch ihn ist es gekommen, dass es durch all die Jahrhunderte eine Gemeinde Jesu in der Welt gegeben hat, und dass keine Gewalt, noch List sie zu beseitigen vermag. - Es soll zu Christi Auferstehung und Himmelfahrt und über Jesu Gemeinde noch einiges gesagt werden.

Jesus bei den Toten

Es ist gut, das Wort von der Auferstehung Jesu Christi in seinem vollen Sinn zu nehmen. "Auferstanden von den Toten", z. B. Apg 10:41. Sein Geist war bei den Toten zwischen seinem Sterben und seinem Auferstehen. Der Gang zu den Toten, zu den Abgeschiedenen in der Totenwelt, in der Unterwelt (Hades, "Hölle" bei Luther), wurde ihm nicht erspart. Er befahl sterbend seinen Geist in des Vaters Hände. Aber den Heimweg trat sein Geist noch nicht an. Er musste zu den Toten; denn der Himmel war noch nicht offen - der öffnete sich erst bei der Himmelfahrt. Aber der Vater, dessen Hand überallhin reicht, auch in die Totenwelt, hielt des Sohnes Geist fest, als er dorthin ging. Der Gang in die Totenwelt gehört noch zum Sterben Jesu. Das Sterben ist ja damit noch nicht erledigt, dass Geist und Leib sich trennen. Das Sterben erfasst nicht nur den Leib, sondern auch der Geist muss den Ernst des Sterbens schmecken. In allen Dingen musste er seinen Brüdern gleich werden, auch in dem Stück, dass er der ganzen, bis dahin im Totenreich zusammengescharten, dem Tod verfallenen Menschheit zugesellt wurde.

Das Wort an den Schächer (Lk 23:43) scheint dem Gang Jesu in die Totenwelt zu widersprechen. Jesus verhieß dem MItgekreuzigten, der sich mit bußfertiger und glaubender Bitte an ihn wandte, das Zusammensein mit ihm im Paradies noch am Todestag. Als jetziger Ort des Paradieses, das infolge der menschlichen Sünde von der Erde verschwunden ist, die seitdem niemals und nirgends mehr ein Paradies aufzuweisen hat, ist nach 2Kor 12:4 und Offb 2:7 die obere Welt zu denken. Darum könnte man meinen, Jesu Geist sei gleich nach dem Sterben zum Vater gekommen. Aber nicht bloß das Glaubensbekenntnis, sondern auch 1Petr 3:19 schließt an das Ende des irdischen Laufes Jesu den Gang in die Unterwelt an. Und erst durch seine Himmelfahrt hat Jesus die Wohnungen im Vaterhaus (wieder) bereitgestellt. Seine eigene Rückkehr dorthin erfolgte auch erst damals. Was Jesus dem sterbenden Schächer noch für seinen Todestag zusagte, war nicht der Himmel, sondern die Friedensstätte in der Totenwelt, die in Lk 16:23 Abrahams Schoß genannt wird. Den Gang in die Totenwelt konnte Jesus dem Schächer nicht ersparen; und doch war es eine große Gnade Jesu, das er ihn im Totenreich vor der Pein rettete, die der reiche Mann ertragen musste.

Es war von den großen Spannungen die Rede, die Jesu Geist durchzogen. Sie sind auch an dem Punkt seines Amts vorhanden, der ihn zu den Toten führte. Die Toten gehörten (und gehören) ebenfalls zu denen, die von Jesu Christusamt umfasst sind. Was in der Schrift darüber gesagt und was als Niederschlag des apostolischen Wortes darüber im Glaubensbekenntnis ausgesprochen ist, wird manchmal als Fessel empfunden; in Wirklichkeit aber ist es eine Hilfe für den Glauben. Denn daran zeigt sich, dass Jesu Beziehung zur Menschheit vollständig ist, dass sein Amt den Dienst an der Gesamtmenschheit umfasst. Nehmen wir die Menschheit als Gesamtheit aller, die jemals auf der Erde lebten und leben, und noch leben werden, so bildet der jeweils lebende Teil der Menschheit nur einen kleinen Ausschnitt aus derselben. Machen wir weiter Ernst mit der Heiligkeit Gottes, die zwischen sich und der sündigen Welt trotz aller Liebe eine Trennung stiften musste, dann wird der gewöhnliche Gedanke unmöglich, als führte das Sterben den menschlichen Geist unmittelbar zu Gott.

Evangelisation im Totenreich

Nur der Gemeinde Jesu ist verheißen, dass die Unterwelt an sie die Hand nicht legen dürfe (Mt 16:18). Diese Verheißung, die den Gliedern dieser Gemeinde bei ihrem Sterben die Wohnungen des Vaterhauses öffnet (Joh 14:2.3), ist nichts Selbstverständliches, sondern eine Gabe von überragender Größe. So ist dem Teil der Menschheit, den Jesus seiner Gemeinde nicht, oder noch nicht einfügen konnte, nach dem Sterben die obere Welt verschlossen und die untere Welt angewiesen. Da ist nun die Wahrnehmung, das Jesu Christusamt auch die Toten in der Unterwelt umfasst, und umfasst hat, eine Entlastung für die Beschwernis des Liebens, Glaubens und Hoffens, die aus der Erkenntnis entsteht, dass viele Abgeschiedene, ja wohl die meisten, nicht im Himmel zu suchen sind, sondern in der Unterwelt. Wie bedrückend wäre diese Erkenntnis für die Freudigkeit des Glaubens und für das Bedürfnis der Liebe, die mit dem Sterben geliebter Menschen nicht zu Ende geht, wenn wir nicht zur Ruhe kommen dürften in der Gewissheit, dass Jesu Christusamt nicht nur die Lebenden umfasst, sondern auch die Toten. Seine Beziehung zu den Toten begann gleich nach seinem Sterben. Er weilte bei ihnen, in ihrer Mitte, zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung, und zwar nicht nur im friedlichen Teil der Totenwelt, der Abrahams Schoß und Paradies genannt wurde, sondern auch bei den Geistern im Gefängnis, in Haft (1Petr 3:19; 1Petr 4:6). An der erstgenannten Stelle ist hingewiesen auf das größte Sterben, das bis jetzt in der Welt vor sich gegangen ist, und das die ganze erste Menschheit mit wenigen Ausnahmen erfasste, das Sterben bei der Sündflut. Es war ein trotziges, Gott abgewandtes Geschlecht; aber auch dieses Geschlecht aus einer längst verschollenen Zeit der menschlichen Geschichte war von Jesu Christusamt umfasst.

Aber es sind in diesem Zusammenhang noch einige Gedankengänge zum Ende zu führen. Die Spannung, in die der Sohn Gottes durch seinen Eintritt in die Menschheit eingetreten ist, und die darin besteht, dass er seitdem Gottes- und Menschensohn in einem ist, und dass er als Menschensohn Gottes Werk an der Menschheit ausführt, wirkt sich auch bei seinem Gang zu den Toten aus: bei den Toten war er leidend und tätig zugleich. Dieser Gang vollendete seine Erniedrigung: er trug als Glied und Vertreter der Menschheit nicht nur die menschliche Sünde und das Sterben, sondern hatte auch das Todeslos auszukosten. Er wurde versammelt zu seinem Volk, wie im Alten Testament der Ausdruck lautet, z.B. 1Mo 25:8, um das stets neue Hinzutreten bisher Lebender zu den Toten zu bezeichnen. Er wurde versammelt zu seinem Volk, das heißt: zu dem im besonderen Sinn ihm zugehörigen Volk, dessen im Frieden Gottes auf die Erlösung harrende Glieder im Paradies um Abraham geschart waren; und zu seinem Volk im weiteren Sinn, nämlich zur Menschheit, die wohl größtenteils dieses Friedens noch nicht teilhaftig war. Nun gehörte ER auch zu den Toten! Offb 1:18 sagt der Erhöhte von sich selber: "Ich wurde ein Toter" - ich trat einst in die Reihe der Abgeschiedenen ein. - Aber er kam zugleich als der Christus, als der Wirker aller Werke Gottes. Bei den Toten, als sein Herniederfahren zum Schlusspunkt gekommen war, begann sein Herrscheramt und zwar als Heilandsamt mit der frohen Botschaft (1Petr 3:19; 1Petr 4:6). Evangelium auch bei den Toten! Das ist, ohne dem Ernst die Spitze abzubrechen, ein Wunder der Gnade.

So köstlich dieser Gedanke ist, so könnte doch die Erwägung ängstigen: war das nicht bloß damals? Hat das Bedeutung auch noch für die Gegenwart, für unsere jetzigen Toten? Schon eine Erwägung allgemeiner Art könnte stillend wirken. Die Beziehung zur Erde, auf der Jesus gelebt hat in der gleichen Weise wie wir, hat ja mit seinem Gang zum Vater nicht aufgehört: "Siehe ich bin bei euch!" (Mt 28:20).

Verhüllt den Erdkreis düstre Nacht,
Ich weiß, dass dort ein Auge wacht,
Das einst um uns geweinet,
Das einst für uns im Tode brach:
Es ist dein Aug; es bleibet wach,
Bis neu die Sonne scheinet.
O wer nunmehr
Nimmer klagte, nimmer zagte,
Seit du wachest
Und aus Nächten Tage machest!
Albert Knapp
Württemb. Gesangbuch 229,3

Die Beziehung zur Erde ist so fest geknüpft, dass ein jetziges Fortsein nur einen Zwischenzeit (Apg 3:21), und nur dem Verreistsein gleicht, wenn es längere Zeit währt (Mt 25:19). Auf das Verreistsein folgt die Rückkehr. Weil es nun schon lange währt, will der Christenheit seine Wiederkehr fast verwunderlich erscheinen; und es ist doch nur das Natürliche, dass die Wiederkehr die zeitweilige Abwesenheit abschließt. Daher heißt auch das im Neuen Testament für sein Wiederkommen gebrauchtes Wort eigentlich "Anwesenheit", weil der von der Reise Heimkehrende wieder anwesend, wieder da ist. Und wenn er wiederkommt, macht er seine Beziehung zur Erde erst recht fest. Wenden wir nun die Treue Jesu, der seine Beziehung zur Erde festgemacht hat, nachdem er einmal in das irdische Leben eingetreten ist, auf seine Beziehung zu der Totenwelt an: sollte anzunehmen sein, dass er, nachdem er zwischen Tod und Auferstehung die Toten besucht hat, sich nun nicht mehr um sie kümmere? Er wird sich umso mehr um sie kümmern, weil sie seiner in besonderem Maße bedürfen.

Was nun die überlegende Erwägung der Beständigkeit Jesu nahelegt, das wird durch das apostolische Wort bestätigt. Paulus spricht in Eph 4:8-10 wie Petrus von der Hadesfahrt Jesu. Die Christenheit freut sich der Auffahrt Jesu. Sie kann aber von seiner Auffahrt nicht sprechen, ohne zugleich seiner Niederfahrt zu gedenken, zuerst vom Himmel zur Erde, dann noch tiefer in die Unterwelt. So ist das ganze Gebiet der Schöpfung in beiden Richtungen von ihm durchmessen worden, von oben nach unten, und von unten nach oben. Wozu das alles? "Zu dem Zweck, damit er das alles erfülle" (Eph 4:10), damit er überall gegenwärtig sei mit seiner, ihm seit seiner Himmelfahrt unbeschränkt zur Verfügung stehenden, Christusmacht. Hat er gleich zur Zeit, um es menschlich auszudrücken, seinen Standort noch im Himmel, auf dem Thron Gottes, so ist er doch all den Gebieten nicht ferne, zu denen er in den Tagen seines Fleisches in Beziehung getreten ist. Die damals geknüpften Beziehungen gehen weiter.

Befreiung der Gefangenen

Noch einer Ergänzung bedürfen die vorstehenden Ausführungen. An der angegebenen Stelle (Eph 4:8-10) hat Paulus mit einem alttestamentlichen Wort beschrieben, was Jesus bei seiner Auffahrt tat: "Er hat das Gefängnis gefangen geführt." Wir haben nicht zu untersuchen, welchen Sinn das angeführte Psalmwort im Zusammenhang des Psalmes hat; jedenfalls hat Pauls in jenem Psalmwort einen treffenden Ausdruck dafür gefunden, was Jesus bei seiner Auffahrt vollbrachte. Paulus sah ihn bei seiner Himmelfahrt nicht bloß empfangend, sofern ihm da von des Vaters Hand die Herrschermacht überreicht wurde. Er sah ihn auch handelnd, indem er an dem "Gefängnis", an "Gefangenen" etwas tat. Wir versuchen im Anschluss an die bisherigen Gedankengänge diese dunklen Worte zu verstehen. Die Unterwelt ist ein Gefängnis, schlimm genug, wenn auch nicht so schlimm wie die Hölle selbst, oder der Abgrund. Wer dorthin musste und muss, kam und kommt hinter verschlossene Türen (s. den Ausdruck Mt 16:18). Ein Gefängnis ist sie nicht nur für die mit ungeordneten Trieben dorthin Gekommenen, die ihres Herzens Lust nicht mehr nachgehen können, und außerdem in die Pein des bösen Gewissens eingeschlossen sind; ein Gefängnis war sie auch für die Frommen Israels - denn sie mussten auf ihre Erlösung erst harren.

Was hat nun Jesus getan? Er hat dieses Gefängnis selber zum Gefangenen gemacht; und wie der Sieger die von ihm Gefangenen mit sich führt, so hat er bei seinem Siegeszug in den Himmel einen sonderlichen Gefangenen mitgebracht: das Gefängnis. Noch nicht das ganze Gefängnis. Erst den Teil des Gefängnisses, der eigentlich halb widerrechtlich Gefangene gefangen gehalten hatte, nämlich diejenigen Frommen Israels, die er nur bis zum Tag Christi sollte behalten dürfen, wie es Jesus von Abraham bezeugt ([Joh 8:56]). Der Teil der Totenwelt, der Abrahams Schoß genannt wird (Lk 16:22), hört bei Christi Himmelfahrt auf; dieses Gefängnis nahm Jesus gefangen und führte, die darin bisher gefangen Gehaltenen, mit vor Gottes Thron. Seitdem gibt es auch im Himmel ein Israel, dem sich dann, die von der Erde abscheidenden Glieder der Gemeinde Jesu aus Israel und der Völkerwelt anschließen. Der andere Teil der Totenwelt ist geblieben. Er mag verschiedene Abteilungen haben, je nach dem Grad und der Verkettung mit der Sünde. Aber auch von dort will Christus noch Gefangene erlösen und zu seinen Gefangenen machen, nämlich dann, wenn ihnen die Bande, die Er anlegt, nicht mehr lästig sind. Wir achten, dass zumal im 1000-jährigen Reich dort viele Bande fallen werden.

Auswirkung der Auferstehung

Es war davon die Rede, dass Christi Auferstehung die Rückkehr aus der Mitte der Toten in sich schließt. Damit ist sie aber noch nicht völlig beschrieben. Die Mitnahme der seligen Toten aus der alttestamentlichen Zeit Israels bei seiner Auffahrt nennen wir nicht Auferweckung. Der harren sie immer noch entgegen. Bis jetzt sind die vollendeten Gerechten erst Geister (Hebr 12:23). Was ihnen der Tod genommen, ist noch nicht völlig ersetzt. Er nahm ihnen den Leib; den bekamen sie noch nicht zurück. Wäre Jesu Leib im Grab zurückgeblieben, dann wäre bei Jesus der Tod nicht völlig überwunden gewesen. Im Tod wurde ihm sein Leib genommen, sein reiner, heiliger, von keiner Sünde entweihter Leib. Seit der Sohn Gottes Mensch geworden ist, ist der Leib für ihn nichts Nebensächliches mehr. Denn die leibliche Verfassung ist etwas dem Menschen Wesentliches. Zur Auferweckung Jesu gehört deshalb wesentlich auch die Zurückgabe des Leibes an ihn, und zwar in einer seinem Sieg entsprechenden Gestalt. Er hat diesen neuen herrlichen Leib bekommen. Zeuge davon ist das leere Grab. Ein wunderbarer Leib, der irdischen Welt eingefügt, und doch ihr gegenüber völlig frei; mit dem Vermögen, sich an die Ordnungen der bisherigen alten Schöpfung zu halten, bis zum Sichtbarwerden, zum Betastetwerden, zum Reden, zum Gehen, zum Essen, zum Hände aufheben; und sich doch zugleich über alle Schranken der alten Schöpfung erheben, ein williges, völliges Werkzeug des Geistes.

Als der Auferstandene ist Jesus der Anfänger der neuen Schöpfung und eine tatsächliche Weissagung auf sie. Der Anfänger ist er in doppeltem Sinn, sowohl in dem Sinn, dass mit seiner Auferweckung die neue Schöpfung begonnen wurde - er ist der Erstling der neuen Kreatur -, als auch in dem, dass Jesus selber die Neuschöpfung begonnen hat: denn er ist nicht nur der Auferweckte, der seinen Leib wiederbekam, sondern zugleich der Auferstandene, der ihn kraft der ihm verliehenen Herrschermacht selbst an sich genommen hat. Er ist der Anfänger der neuen Menschheit; von ihm geht die neue Menschheit aus, die nicht nur in ihrem irdischen Stand aus dem Heiligen Geist das neue Leben bekommen hat und bekommt, sondern die mit ihrem Haupt, um ihres Hauptes willen, und durch ihr Haupt zur völligen geistleiblichen Verklärung gelangen soll, ob diese nun durch die Auferweckung hindurch geschehen wird, oder unmittelbar. Für beide Fälle ist ein alttestamentliches Vorbild vorhanden: für die Verklärung durch das Sterben hindurch ist Mose das Vorbild, der Mittler des Alten Bundes, auch in diesem Stück wie in manchem andern ein Vorbild auf Jesum. Er starb wie Jesus am Gesetz und durch das Gesetz um der Sünde willen, aber der Tod durfte ihn nicht halten. Für unmittelbare Verklärung ist Elia ein Beispiel. Die beiden waren zugegen bei Jesu Verklärung auf dem Berge (Mt 17:1-9), und zwar nicht aus der Totenwelt, sondern in himmlischer Herrlichkeit (Lk 9:31); der Vertreter des Gesetzes vor dem Erfüller des Gesetzes, der sterbend seine Ordnungen aus der Abschattung ins Wesen erhob, und den neuen Bund stiftete, der über den durch Mose gestifteten hinausragt, wiewohl er ihn zur Grundlage hat; und der gewaltige Vertreter der Propheten vor dem, der das Ziel des prophetischen Wortes war, und der sterbend sein Erfüller wurde. Sie "redeten von dem Ausgang, welche er erfüllen sollte zu Jerusalem" (Lk 9:31).

Die Gemeinde Jesu

Wie die mit der Auferstehung Jesu begonnene neue Schöpfung sich stufenweise auswirken wird, bis alles neu geworden ist, und alle Widerstände, schließlich auch der Tod, überwunden werden, das ist 1Kor 15:20-28 ausgeführt. Wer seinen Standort in Christus gewonnen und ihn dort bekommen hat, der ist bereits eine Neuschöpfung (2Kor 5:17). Denn im inneren Lebensstand beginnt sie durch den Heiligen Geist. Sie muss sich aber zu seiner Zeit auch nach außen auswirken, wenn die Erlösung den ganzen Wesensbestand der Gemeinde erfasst. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, in welchem Maß die Geschichte der Gemeinde Christi gleichlaufend ist mit seinem eigenen Lebensgang. Nach der Zeugung von oben kam Jesu Gang durch die Welt, dann folgte sein Leiden und Sterben, seine Höllenfahrt, seine Auferstehung, und endlich seine Einsetzung in seine himmlische Herrlichkeit und Machtfülle. Diesem Gang entspricht der seiner Gemeinde: sie bekommt ihr Bestes, ihr eigentliches Leben aus dem Heiligen Geist. Von ihm ins Leben gerufen und durch ihn innerlich beseelt, geht sie ihren Gang durch die Welt und durch die Zeit, in der Welt, und doch nicht von der Welt, die einzige Stütze der morsch gewordenen Welt und doch von ihr nicht verstanden. Eine Nebeneinanderstellung des irdischen Lebens Jesu, und des Gangs der Gemeinde durch die Welt ,zeigt übrigens nicht nur die gleiche Stellung der beiden, sondern ergibt auch für die geschichtliche Betrachtung eine Reihe merkwürdiger Vergleichspunkte: so blieb die Gemeinde Jesu lange Zeit der Welt, wenigstens der vornehmen und großen Welt verborgen, wie auch Jesu Jugendzeit in der Stille verlief, so dass nicht einmal seine Landsleute ahnten, wer es war, der in ihrer Mitte lebte.

Und als die Gemeinde Jesu, nachdem sie in der Welt Fuß gefasst hatte, in ihre Berufsarbeit an der Welt eintrat, da war ihr Anfang schwer, wie der Jesu nach seiner Taufe: sie hatte mit der List und Gewalt des bösen Feindes zu ringen, der die Gemeinde auf Abwege führen wollte, um sie zu ihrem Beruf untauglich zu machen; aber auch mit der Gegenwirkung der Welt, die sich bis zu den heftigsten Verfolgungen steigerte. Es kamen dann Zeiten, die sich vergleichen lassen mit dem Jubel, der Jesus entgegenkam in Galiläa; solche Zeiten waren angebrochen als die Kirche zu Ehren kam, und noch mehr in den Zeiten der Reformation, als zumal in Deutschland, die Herzen dem neu entdeckten Evangelium entgegenschlugen. Aber die Begeisterung, die Jesus entgegen gebracht wurde, währte nicht lange; sie ließ nach. So folgten auch für die Gemeinde nach der Hochflut der Reformationszeit, die Tage der geringeren Dinge. Wie zur Zeit Jesu die werdende Gemeinde eine Sichtung erfuhr, und von Jesu Seite eine Vertiefung erhielt und eine zunehmende Rüstung auf bange Tage, so gab's in den letzten Jahrhunderten auch Sichtung und Vertiefung, und der Eindruck wächst, dass noch bange Dinge bevorstehen.

Jesus ging in das Leiden hinein, zuerst innerlich in Gethsemane, dann auch äußerlich unter den Händen der frommen und der heidnischen Welt. So ist schon manchmal darauf hingewiesen worden, dass für Jesu Gemeinden noch Gethsemanestunden kommen müssten und Leidenstage, nicht bloß für die Völkerwelt, sondern sogar innerhalb der Christenheit. Die Offenbarung weissagt, dass die Gemeinde auch noch ein Golgatha erleben werde und eine Höllenfahrt, ein großes Sterben, das sie vom Schauplatz der irdischen Geschichte wie weggefegt erscheint. Aber wie auf das Kreuz die Auferstehung folgt, so folgt dem gewaltsamen Sterben der Gemeinde ihre Auferstehung, nicht bloß bildlich, sondern buchstäblich: das Wort von der ersten Auferstehung tritt in diesem Zusammenhang in ein neues Licht. Wie wird das Wirken der der ersten Auferstehung Gewürdigten an der Menschheit sein im Reich Gottes auf Erden, das wir das 1000-jährige Reich Gottes auf Erden nennen? Es wird dem Wirken des Auferstandenen gleichen, in den 40 Tagen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt. In das volle Christuswirken trat Jesus ein mit seiner Erhöhung zur Rechten Gottes. So gelangt die Gemeinde Jesu an ihren eigentlichen Platz, und zur vollen Entfaltung ihrer Kraft, und zur vollen Erfüllung ihrer Aufgabe im Reich Gottes in der neuen Schöpfung, wo sie am Thron Gottes stehen und sein Angesicht schauen und ihm dienen wird (Offb 22:3.4).

Das Nebeneinander des Gangs Jesu und der Gemeinde ist nichts Zufälliges, sondern hat eine tiefe innere Begründung. In der Gemeinde bekam Jesus zum zweiten mal einen Leib. Das erste mal erhielt er ihn bei seinem Eintritt in die Menschheit. Er hat diesen Leib behalten, vielmehr in Herrlichkeitsgestalt wieder erhalten, bei seiner Auferstehung. Aber die Sichtbarkeit seines ganzen neuen Wesens ist von der Erde weggenommen. Auch im Reich Gottes auf Erden, 1000-jähriges Reich genannt, ist seine Anwesenheit nicht zu verstehen nach der Art eines irdischen Regenten, der seine Residenz hat, und mit seinem Volk zusammenlebt. Sie wird die Art seiner Anwesenheit auf Erden während der 40 Tage haben, wo er wieder zur Erde gehörte, und noch zu ihr gehörte, aber nicht ganz. Ein Geheimnis wird auch im 1000-jährigen Reich noch um ihn sein, jedenfalls für die Welt, wenngleich der Schleier gelüftet ist, zum Schrecken und zur Freude. Aber wenn auch sein Leib bis zu seinem Wiederkommen von der Erde weggenommen ist, und seine ganze Herrlichkeit selbst im 1000-jährigen Reich noch nicht enthüllt sein wird, so hat er doch in der ganzen Zeit einen Leib, der ihn und sein Wesen sichtbar macht, und der ihm zugleich zur irdischen Ausrichtung seines Christusamtes dient: nämlich seine Gemeinde. Was seiner Gemeinde widerfährt, widerfährt ihm. Finden Glieder seiner Gemeinde irgendwo Eingang, dann wird er aufgenommen (Joh 13:20); wird ihnen Verachtung zuteil, so fällt sie auf ihn; jeden Dienst ihnen gegenüber, und wäre es der kleinste, lohnt er als ihm erwiesen; jede Misshandlung seiner Glieder trifft ihn. Hierher gehört das Wort von der Belohnung für den Wassertrunk (Mt 10:42); die Frage an Saulus: warum verfolgst du mich? (Apg 9:4); der Maßstab, den er für sein richterliches Urteil über die Glieder der Völkerwelt aufstellt (Mt 25:31-46): jede Freundlichkeit gegenüber seinen Jüngern, die in der Welt überaus gering bewertet, aber seine Brüder sind, vergilt er mit der Aufnahme in das Reich Gottes; und das ernste Wort über die, welche seinen Jüngern den Dienst der Barmherzigkeit versagen, hat seinen Grund darin, weil sich in der Behandlung seiner Jünger die Stellung kundtut, die ihm gegenüber eingenommen wird.

Die Bedeutung des Abendmahls

Mit dem Folgenden soll nichts Erschöpfendes vom hl. Abendmahl gesagt werden, dass Jesus auch in der Zeit, da er der Menschheit noch nicht ganz nahe ist, innerhalb derselben einen Leib hat, nämlich an seiner Gemeinde. Das hl. Abendmahl ist eine Gabe an die Gemeinde, und zwar eine Gabe besonderer Art. Gewiss dürfen keine Schranken aufgerichtet werden, die denen, die es begehren, den Zutritt erschweren, selbst wenn noch vieles mangelt an Buße und Glauben. Der glaubende Genuss dieses Mahles kann auch den Weg vollends bahnen, der in Jesu Gemeinde führt. Aber bei aller Weite bleibt es doch bestehen, dass das hl. Abendmahl seinen tiefsten Sinn nach, Gabe an einen festumschlossenen Kreis ist, nicht Allgemeingut. Es sei aber ausdrücklich gesagt, dass die Umgrenzung dieses Kreises nicht Menschensache ist, sondern zu Christi Regiment gehört. Dieser Schar ist Christi Leib auf Erden gegeben, solange er selber noch nicht völlig da ist. Ihr hat er nun seinen Leib übergeben als kostbares Vermächtnis, den gebrochenen Leib mit dem geflossenen Blut. Sie soll ihn haben und sich stets neu aneignen. Es handelt sich um ein Geheimnis des Glaubens, aber nicht größer als es das Geheimnis der Gemeinde und Christi selber ist.

Der Gekreuzigte und Erhöhte ist der gleiche. Zum Herrlichkeitsstand des Erhöhten gehört auch der aus dem Tod verklärte Leib. Es ist eine geheimnisvolle, unmittelbare, die Glieder der Gemeinde nach ihrem ganze geistleiblichen Wesen umfassende Beziehung ihres verklärten Herrn zu seiner Gemeinde, die sein Leib auf Erden ist. Ein jedes von uns pflegt seinen Leib und behandelt ihn nicht als etwas Nebensächliches; auch ein Christ darf und soll seines Leibes warten, wenn er nur dabei nicht vergisst, dass er um der Sünde willen dem Tod verfallen ist und deshalb noch der Erlösung bedarf, und dass er nicht sündigem Verlangen zum Werkzeug werden darf. Wir pflegen ihn mit Speise und Trank. Der erhöhte Herr seiner Gemeinde pflegt seinen Leib auf Erden auch und lässt ihm Speise und Trank zukommen. Einst aß Israel Jahr für Jahr das Passahlamm, um dessen erstmaliger Schlachtung willen Israel bei der Stiftung des Alten Bundes vom Gericht verschont wurde. Jahr für Jahr floss das Blut der Passahlämmer beim Altar.

Die Gemeinde Jesu hat auch einen Altar, das ist das Kreuz. Dort brachte das rechte Passahlamm sich selbst Gott als heiliges Opfer dar. Da wurde durch das Blut dieses Lammes der Neue Bund besiegelt. Wie das alte Israel, so hat nun seitdem das neue Gottesvolk sein heiliges Mahl, es ist das rechte Passahlamm. Von diesem Essen wächst es heran, der Neuschöpfung entgegen; an diesem Blut trinkt es sich Gesundung aus dem tiefsten Schaden. Nicht als ob die Gemeinde nicht schon Vergebung hätte, und nicht als ob ihre Hoffnung auf die Neuschöpfung des Grundes entbehrte. Das Kreuz ist der Quellort des Friedens und der Hoffnung. Aber stets neu wird der Friedensbund bestätigt, und die Kräfte der zukünftigen Welt zu schmecken gegeben im Opfermahl des Neuen Bundes (s. dazu auch Hebr 13:10). Dieses Mahl dauert solange fort, bis die Zeit der Trennung Christi von seiner Gemeinde zu Ende geht, bis er kommt (1Kor 11:26). Dann ist die Zeit der neuen Gemeinschaft angebrochen im Reich Gottes, auf die Jesus mit der Stiftung des Bundesmahls hingewiesen hat (Mt 26:29).

Das neu werdende Denken

So wie der Ertrag von Jesu Gang ans Kreuz niemals verloren geht, sondern die Grundlage bildet für sein ganzes Christuswirken bis in die fernsten Zeiten, so bleibt er auch für immer, was er durch seine Auferstehung geworden ist. Er ist zwar zum Vater zurückgekehrt, von dem er ausgegangen ist; aber er ging dorthin nicht in seiner ursprünglichen, göttlichen Gestalt, sondern in seiner verklärten Menschlichkeit. Er ist der Menschensohn geblieben, auch auf dem Throne der Ehren; und als Johannes seine Herrlichkeit wahrnahm, sah er ihn anders als Gott, den er selber nicht beschreiben konnte und durfte, sondern als Menschensohn (Offb 1:9-10). Diese Erkenntnis ist für die Freudigkeit des Glaubens wichtig. Wem hat der große und heilige Gott den Platz neben sich gegeben? Freilich ist es sein Sohn; aber dieser sein Sohn ist seit dem Tag von Bethlehem für immer der Vertreter der Menschheit, und als solchem ist ihm alle Vollmacht übergeben im Himmel und auf Erden.

Himmelfahrt! Der Gang Jesu in den Himmel darf wörtlich genommen werden, wie er in Apg 1:9-11 beschrieben ist. Sein Gang ging durch alles hindurch, was Himmel heißt, bis zum Allerheiligsten; und nicht bloß bis zum Thron Gottes, sondern auf seinen Thron, und zwar auf den Ehrenplatz. Was schon an Erzählungen vom Auferstandenen deutlich wird, nämlich sein Heraustreten aus allen irdischen Schranken oder Einbußen seiner menschlichen Erscheinungsweise und seiner geheiligten und doch liebevollen Menschlichkeit, das vollendete sich bei seinem Abschied. Mit segnendem Wort und segnenden Händen (Lk 24:50), in voller Sichtbarkeit schied er von ihnen, ungehemmt durch die uns, noch in unserer jetzigen leiblichen Verfassung, bindenden natürlichen Gesetze. Er ist der gleiche geblieben auch in seiner jetzigen überirdischen Herrlichkeit. Was er empfing bei seiner Auferstehung, das hat er behalten. Seine wunderbare Art während der 40 Tage stellt keine Zwischenstufe dar, die nun überwunden wäre, sondern der Beginn seines neuen Standes, der für immer bleibt.

Es ist wahr, wir sind fast nicht imstande, die Art zu begreifen, wie er nach seiner Auferstehung zugleich irdisch und überirdisch mit den Seinen verkehrte. So ist uns in seinem jetzigen Stand namentlich eines schwer zu fassen: seine gleichzeitige Abwesenheit und seine gleichzeitige Anwesenheit. Er ist seit seiner Himmelfahrt abwesend, wie er ja im Gleichnis von seinem Verreistsein sprach, und zwar von einem länger währenden (Mt 25:5.19); aber gleichzeitig erfüllt er alles (Eph 4:10), und ist so ungesehen doch anwesend. Es ist wie bei Gott selber: er hat in der jetzigen Ordnung der Dinge seinen Ort - wir reden menschlich - noch im Himmel und ist doch allenthalben gegenwärtig, sodass jeder Ruf ihn erreicht. So ist es auch mit dem erhöhten Herrn: sein eigentlicher Platz in der Zeit bis zur Aufrichtung seines Reichs ist am Thron, ja auf dem Thron der Ehren (Offb 5); und doch wandelt er, wenn auch ungesehen, zwischen den Leuchtern, den Gemeinden (Offb 1:13). Er ist noch in der Verborgenheit; aber es ist nur ein dünner Schleier, der ihn von uns trennt. Gerade die Erkenntnis seiner Nähe ist für den Glauben eine wichtige Sache. Was uns das Verständnis dieser Wirklichkeit erschwert, wird nicht bloß die Beschränktheit unseres, noch an die irdische Erfahrungswelt gebundenen Denkens sein, sondern auch unsere seit dem Anfang des menschlichen Geschlechts von Gott abgewandte Art, welcher die Herrlichkeit Gottes in den Augen nicht bloß wohl, sondern auch wehtut. Wir müssen erst wieder göttlich sehen lernen.

Darum können Kinder und solche, die in Jesu Sinn wieder Kinder und Unmündige werden, die wunderbaren Berichte vom Auferstandenen viel einfacher nehmen als der Verstand der Verständigen. Wie es uns mit den biblischen Kapiteln geht, die vom Auferstandenen handeln, so geht es übrigens auch mit dem Schriftwort von der neuen Welt überhaupt. Schon das weissagende Wort, das der armen Erde noch einen Sabbat verheißt nach den schweren Erdenwerktagen, klingt uns, an Erdensünde und Erdenjammer gewöhnten Menschenkindern, fast unglaublich, und wir bedürfen des Vertrauens, dass Gott zu seiner Verheißung steht, um sie als wirklich zu fassen. Wo aber die Verheißung weitergeht bis zum Wort von der neuen Erde, da versagen unsere ans jetzige Irdische gewöhnten Gedanken den Dienst. Das Ohr hört zwar die Zusage gern: "Siehe ich mache alles neu" (Offb 21:5), aber unwillkürlich schleicht sich manchmal der Gedanke ein: ist das Wirklichkeit? Ist das im Grunde nicht nur ein freundliches Wort, das dichterisch die schwere, rauhe Wirklichkeit verklärt und so über ihre Schwere hinüberhilft, oder wollen wir gar sagen: hinüber täuscht?

Gott kann Wunderbares schaffen: er kann machen, dass ein Mensch glaubt ohne zu sehen, dass er hofft, wo scheinbar nichts mehr zu hoffen ist, dass er liebt, wo ihm Widerwille und Hass begegnet; er bringt es fertig, dass ein zum Guten willenloser und willensschwacher Mensch wollen kann, und zwar wie Er will, und dass auch sein Handeln nicht in der Schwäche stecken bleibt, sondern zum Vollbringen wird; er kann fast erstorbenes Empfinden zurückrufen; er kann - und darauf kommt es im vorliegenden Zusammenhang an - auch das Denken neu machen, dass es ihm und seiner Herrlichkeit nachgehen kann. Noch nicht völlig zwar; denn in unserem jetzigen Stand gibt es erst ein teilweises und noch unvollkommenes Erkennen (1Kor 13:9). Aber wenn wir auch noch nicht die ganze Gotteswelt durchschauen können, und vieles für den Stand der Vollendung vorbehalten bleibt, so ist doch im Glauben der Anfang einer neuen Erkenntnis möglich. Nicht als ob der Mensch sich durch Übungen zu solche neuem Erkennen fähig machen könnte: vielmehr kommt die neue Erkenntnis nur zustande, indem man die großen Taten Gottes gelten und sich von der Schrift weisen lässt, die sie bezeugt, ob sie nun schon geschehen sind oder noch geschehen sollen.

Eine dreifache Wirklichkeit bezeugt die Schrift: einmal die unseren Sinnen zugängliche Welt, aber als eine von ihm geschaffene und durchwaltete; sodann die jetzt schon vorhandene unsichtbare Welt über uns, um uns, in uns und unter uns; endlich die neue Welt, die er noch schaffen will. Und alle drei großen Gebiete zusammengefasst in einer Himmel und Erde und Unterwelt, die Zeiten und die Ewigkeit umspannenden Geschichte. Der Mittelpunkt der Geschichte ist Jesus, welcher der Christus ist, der Sohn des lebendigen Gottes, der Herr, der aus der anderen Welt in diese Welt in die Menschheit Eingetretene, der Gekreuzigte und Auferstandene, der Aufgefahrene und Wiederkommende, der Mittler der alten und der neuen Schöpfung. Und mitten drinnen steht das Kreuz von Golgatha mit der dort geschaffenen großen Erlösung, auf welche die ganze alte Schöpfung gewartet hat und von der die Hoffnung auf die neue Schöpfung ausgeht, in welcher die alte nach einer großen Versöhnung zur Vollendung gelangt.

Die neue Welt

Die neue Welt liegt nicht mehr völlig in der Zukunft; ihr Anfang ist bereits vorhanden. Sie begann mit dem Eintritt des Sohnes Gottes in die Menschheit. Zuerst wurde die Menschheit von der Neuschöpfung erfasst. Jesus ist der neue Mensch und der Anfänger der neuen Menschheit. In seinen irdischen Tagen war das Neue, das mit ihm gekommen war, noch ganz in das Alte eingebettet, noch ganz vom Alten verhüllt. Aber es durchbrach die Hülle an dem Auferstehungstag. Da ergriff die Neuschöpfung auch das, was wir die Naturseite am Menschen nennen. Die von Gott gewirkte geistleibliche Verklärung Jesu aus dem Tod heraus, ist ein Vorbild der Neuschöpfung durch die Schrecken des Gerichts hindurch. Was mit dem Auferstandenen und durch ihn geschah, in den Tagen bis zu seiner Himmelfahrt, das ist bereits ein Aufleuchten, ein Inkrafttreten der Kräfte und Gesetze der kommenden Welt. Weil uns die neue Welt, die hinter dem letzten Gericht kommt, noch so wenig vertraut ist, deshalb ist uns auch ihr Morgenrot, wie es durch Jesu Auferstehung und durch sein Wirken als Auferstandener dargestellt ist, noch so fremd. Werden wir selber der völligen Erlösung, also auch der des Leibes, teilhaftig, dann werden uns jene Anfangstage der neuen Welt zwischen Ostern und Himmelfahrt kein Rätsel mehr sein. Aber wir sind eingeladen, nicht erst von jener Welt aus ihren Anfang zu verstehen, sondern von diesem, bereits der Geschichte angehörenden Anfang aus, die kommende Welt zu begreifen. Jener Anfang ist zugleich eine Weissagung, dass alles neu gemacht werden wird. Die Art, wie der Auferstandene damals mit den Jüngern umging, ist eine Weissagung, wie er einst, schon wieder offenbar und doch noch verhüllt, umgehen wird mit den Seinen auf der Welt, und in gewissem Sinne vielleicht auch mit der Welt selber im Reich Gottes auf der Erde; und die Verklärung, die mit ihm selber vorging, ist eine Weissagung auf die Umwandlung des alten Himmels und der alten Erde in die neue Welt durch das Feuer hindurch.

In Jesu Siegesruf am Kreuz: "Es ist vollbracht!" (Joh 19:30), ist auch die Neuschöpfung schon enthalten. Sie war damals noch nicht erfolgt; aber mit der Versöhnung am Kreuz, die das All umfasst (Kol 1:20), war die Möglichkeit dazu gegeben, die Grundlage dafür geschaffen. Die Verwirklichung der Neuschöpfung ist nur eine Auswirkung von Golgatha. Jener Ruf spricht freilich zunächst die Vollendung eines bereits geschehenen Werks aus; aber er ist zugleich ein weissagendes Wort nach Art der Schrift, die in Gottes Plan schon die Ausrüstung des Plans, und im Anfang bereits den Ausgang sieht. Man vergleiche hierzu die Zeitform der Aussage des Paulus über die Verherrlichung der Berufenen (Röm 8:30): die Berufenen und Gerechtfertigten - eben die HAT er auch verherrlicht. Mit der Rechtfertigung beginnt zwar die Verherrlichung; denn den Gerechtfertigten wird der Geist von oben zuteil. Aber vollendet ist sie mit der Verleihung des Geistes noch nicht. Trotzdem hat Paulus nach dem guten Anfang mit voller Glaubensfreudigkeit und Glaubensgewissheit bereits die gesamte Verherrlichung als geschehen bezeichnet.

Ähnlich ist es in Offb 14:8, wo der Engel den Fall Babels als geschehen verkündigt, während es noch stand. In diesem Licht gewinnt die ganze Weissagung der Schrift ein anderes Aussehen. Sie erscheint ihrer Form nach als Vorausverkündigung von Dingen, die erst noch geschehen müssen; in Wirklichkeit geht sie den Gedanken und Ratschlüssen Gottes hintendrein. Denn was er beschlossen hat, das ist vor ihm so gut wie geschehen; und wenn er ein Geschehen eingeleitet hat, ist es vor ihm soviel wie schon zu Ende geführt. So hat Jes 53 Jesu Kreuzigung als bereits geschehen verkündigt in der Zeitform der Vergangenheit, als noch Jahrhunderte vergingen bis zur Errichtung des Kreuzes auf Golgatha. Sie hat er auch die einstige große Buße Israels für seine Versündigung am Knecht Gottes im gleichen Kapitel bereits als erfolgt bezeichnet, und hat sogar sein einstiges Schuldbekenntnis wortwörtlich angeführt, obwohl Israel sich damals in dieser Weise noch nicht versündigt hatte, und obwohl die Wendung des Volkes auch jetzt noch in der Zukunft liegt.

Es ist vollbracht!
Ich muss nichts mehr vollbringen.
Er hat sein großes Werk bereits getan.
Was hab ich noch zu tun? Ich nehms nur an.
In meiner Seele hebet an ein Klingen.
Ich überlass mich seinen treuen Händen.
Was er begann, das wird er auch vollenden.
Er hats vollbracht!

Mit der Auferstehung Jesu ist die neue Welt in Erscheinung und in Kraft getreten. Nicht als ob die alte Welt seitdem ausgeschaltet wäre. Das ist noch nicht der Fall. Nicht bloß die Grundlagen der alten Schöpfung bestehen noch fort, sondern auch - und das weckt das sehnsüchtige Verlangen nach der neuen Welt - ihre durch die Sünde tief beeinflusste Gestalt. Das gilt von der Welt im Großen wie im Kleinen bis zur sündigen Gebundenheit des Leibes und unseres ganzen Wesens. Siehe in dieser Hinsicht den Ausblick des Paulus (Röm 8:19-23). Aber mit dem Gericht über die Sünde auf Golgatha ist der ganzen alten, altgewordenen, überalternden Welt das Urteil gesprochen, das ihr Ende vorsieht; jedoch hinter diesem Ende steht nicht das Nichts, sondern die neue Welt.

Des Christus Sterben bedeutet dem Grundsatz nach das Sterben der alten Welt; des Christus Auferstehen den Hoffnungsblick auf die Neue Welt nach dem Sterben der alten. Denn das Christusamt ist weit ausgreifend. Als der Christus ist Jesus nicht nur der König Israels - das ist er zunächst; auch nicht bloß der Herr der Menschheit; sondern der Herr der gesamten Schöpfung. Was ihm widerfahren ist, greift zu seiner Zeit über, auf alle genannten drei Gebiete. Wenn Jesus erfasst wird als der Christus, dann hat nicht nur der Glaube, und der Wille und die Liebe einen Zielpunkt bekommen, sondern am Christusnamen entzündet sich auch die Hoffnung. Denn der Christus wird sein herrliches Werk vollenden, eher wird er ja nicht ruhn.

Wie sind Wunder einzuordnen?

Nun ist es eine große Stärkung der Hoffnung, wenn man wahrnimmt, dass die neue Welt nicht nur in der Zukunft liegt, sondern dass sie in gewissem Grade schon gegenwärtig ist, innerhalb der jetzigen alternden Welt, ja dass sie noch vor der für das Werden der neuen Welt grundlegenden Tatsache der Auferstehung Christi sich mächtig angemeldet hat. Wir denken an die Wunder. Die ganze Zeit des Heilandswirkens Jesu ist voll von Wundern. Und Israels Geschichte war schon vor Jesus begleitet von Wundern, namentlich an ihren Wendepunkten. Was sind Wunder? Geht man aus von der sprachlichen Bedeutung des deutschen Ausdrucks, so kommt das Verständnis nicht genügend zum Ziel. Dinge, deren man sich wundern muss, gibt es viele. Je unverbildeter der Sinn ist, umso mehr wächst das Gefühl für das viele Wunderbare. Was wir Natur nennen, ist voller Wunder in diesem sprachlichen Sinn, nicht bloß´die große Welt der Gestirne, sondern ebenso die kleinste Welt der Zellen. Je weiter die Forschung fortschreitet, umso mehr sollte das Gefühl der Ehrfurcht wachsen gegenüber dem Schöpfer, der das Kleinste und Größte geordnet hat in einer für den Menschengeist unfassbaren Weise, und zwar von Anfang an. Es wäre gut, wenn das Hochgefühl, das angesichts der neueren Forschungsergebnisse und der praktischen Forschungsverwertungen den menschlichen Geist überkommen will, ob seiner Entdeckungen und Erfindungen, sich nicht dem Menschen zuwenden würde, sondern dem Schöpfer. Er hat all die Kräfte in die Schöpfung hineingelegt von Anfang an, und seine Herrlichkeit kommt an den Tag, wenn sie gefunden werden; und auch darin, dass er den Menschengeist befähigt hat, seine Gedanken nachzudenken und die göttliche Schöpfung in menschlichen Nachschöpfungen zu verwerten, wird Gottes Größe offenbar, der auch des Menschen Geist geschaffen hat.

Indes alle diese Wunder so sehr sie zum Wundern sind und so sehr sie Anlass geben, darob ehrerbietig und ehrfürchtig den Schöpfer zu preisen, gehören der jetzigen Schöpfung an, noch nicht der neuen Welt. Die neue Welt aber wird die alte überragen an Herrlichkeit. Die Wunder im eigentlichen Sinn sind eine Vorausdarstellung der neuen Welt im Rahmen der alten, und auf diese Weise eine Weissagung auf die neue Welt. Die Wunder sind "Zeichen" (Joh 2:11). Sie "zeigen" ein Zweifaches: einmal was es bedeutet, wenn Gott nicht bloß den natürlichen, von der Schöpfung her geordneten, und von seinem fortlaufenden Wirken umfassten Kräften ihren Lauf lässt, sondern unmittelbar in Gnade und Gericht eingreift; sodann, dass Gott eine neue Welt seiner Macht und Herrlichkeit vorbehalten hat, in welcher er in anderer Weise wirken wird als bisher. Wo ein Wunder geschieht, da ragt die obere Welt in die untere herein, und die kommende Welt in die jetzt noch bestehende. So weist alles, was im vollen Sinn ein Wunder ist, nach oben und nach vorwärts.

Sowohl die jetzige irdische Welt, wie die obere, und auch die kommende sind alle drei Gottes. Darum steht das Geschehen in diesen Welten trotz allem Unterschied voneinander nicht im Gegensatz zueinander. Wenn Gott nach Art des Wunders in den Geschichtslauf eingreift, dann verletzt er die Gesetze der natürlichen Welt nicht; er kann sich ihrer dabei sogar bedienen. Die Durchführung Israels durch das Rote Meer ist ein Wunder im vollen Sinn des Wortes; aber die natürliche Vermittlung war nicht völlig ausgeschaltet: ein starker Ostwind musste mithelfen (2Mo 14:21). Die Erweckung der Tochter des Betsaalvorstehers in Kapernaum ist ein Wunder; aber, als Jesus das Kind seinen Eltern zurückgegeben hatte, stellte er es mit dem Gebot, ihr essen zu geben, sofort wieder in die natürliche Ordnung des Lebens zurück (Mk 5:43). Mit dieser Beziehung des Wunders zum gewöhnlichen Lauf des Geschehens soll die Größe des Wunders nicht abgeschwächt, vielmehr gezeigt werden, dass es der gleiche Gott ist, der in sogenannter natürlicher Weise wirkt und in besonderer Art. Und auch wenn er in besonderer Weise eingreift, so handelt er doch nicht nach Willkür, sondern lässt die Kräfte der oberen, und der kommenden Welt bereits in der jetzigen Welt wirksam werden. Hätten wir Augen, die weniger verblendet und stumpf sind, dann würde uns in vielen Fällen dieses Eingreifen der oberen Welt, und das Hereinragen der kommenden Welt offenbar werden. Das Gebet rechnet mit diesem Eingreifen. Wo mit der Hand Gottes nicht gerechnet wird, da wird das Beten schwerer; das Bitten schrumpft zusammen zur Ergebung; es kann auch sein, dass auf diese Weise das Gebet abstumpft. Der Bittende greift über die Not hinüber in die Allmacht Gottes hinein; das ist die Zuversicht des Bittens. Die Bescheidung liegt darin, dass der Bittende Gott den Weg der Hilfe freilässt, ob er die natürlichen Verhältnisse, im Sinne der Bitten lenken, oder auf besondere Weise eingreifen, ferner, ob er gleich oder später helfen, oder ob er den Inhalt der Bitte durch etwas anderes ersetzen will.

Mein Gott und euer Gott

Bisher war davon die Rede, dass bei der Himmelfahrt Jesu alles erhalten blieb, und in seiner jetzigen himmlischen Herrlichkeit auch alles erhalten bleibt was er durch seine Auferstehung erhielt, ja dass mit Christi Auferstehung die neue Welt begonnen hat, wenn auch die Neuschöpfung noch in der Zukunft liegt, also dem kommenden Zeitlauf angehört. Dieser Gedankengang könnte noch ergänzt werden durch einen andern, der von der Herrlichkeit abzubiegen scheint, in die Jesus mit seiner Himmelfahrt eingetreten ist. Joh 20:17 sagt der Auferstandene zu Maria Magdalena: "Ich fahre auf zu dem, der mein Vater ist und der eure; zu dem, der mein Gott ist und euer Gott". In der Verheißung an die Überwinder, im Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia (Offb 3:12), nennt der erhöhte Gott viermal hintereinander seinen Gott: er redet vom Tempel und vom Namen seines Gottes und von der Stadt seines Gottes, die hernieder komme von seinem Gott. Die Benennung ist merkwürdig. Unsere Glaubensgedanken rücken Jesum seit seiner Himmelfahrt unmittelbar neben Gott, und wir tun recht damit. Thomas hat der Empfindung der Göttlichkeit Jesu vollberechtigten Ausdruck gegeben mit seinem anbetenden Wort: "Mein Herr und mein Gott!" (Joh 20:28). Und niemals kann die Gemeinde Jesu von seiner Anrufung lassen; vielmehr besteht die Gemeinde aus denen, die den Namen des Herrn Jesu Christi "anrufen an jeglichem Ort, bei ihnen und bei uns" (1Kor 1:2). Jede Anrufung Jesu teilt ihm göttliche Ehre und Majestät zu. Gerade an diesem Punkt nun, wo für Jesu Gemeinde kein Schwanken möglich ist, setzt das Staunen ein über die Benennung Gottes durch den Auferstandenen und Erhöhten aus "seinen" Gott. Denn damit stellt er sich auch in seiner Herrlichkeitsgestalt unter den Vater, Majestät und Demut in unvergleichlicher Weise miteinander vereinend. Wo liegt der Grund? Wenn ich recht sehe darin, dass der erhöhte Herr auch in seiner Herrlichkeit die lebensmäßige, die organische Verbindung mit der Menschheit festhält, die er eingegangen ist mit seiner Menschwerdung, mit seinem Eintritt in die Menschheit. Er ist auf dem Thron der Ehren der zur Menschheit Gehörige geblieben, der er durch seine Geburt geworden ist, freilich nicht nur ihr Glied, sondern ihr Haupt. Seine einzigartige Zugehörigkeit zu Gott als dessen Sohn, die er besaß vor aller zeit, hat er damit nicht aufgegeben; denn kein Geschöpf kann und darf so wie Er sagen: "mein Gott!"

Sind diese Schriftworte richtig aufgefasst - woran ich nicht zweifle, weil der obigen Auslegung das Antasten der Gottheit Jesu völlig fern liegt -, dann leuchtet aus ihnen die Größe der Liebe des Vaters und des Sohnes zur Menschheit wunderbar hervor. Die Liebe des Sohnes: denn er achtet seine Zugehörigkeit zur Menschheit als deren Glied und Haupt, so hoch wie seine Wesensverbundenheit mit dem Vater; ja, die erstere bestimmt, ohne die letztere zu verletzen, sein jetziges Verhältnis zum Vater. Die Liebe des Vaters: denn er hat diese Verbindung seines Sohnes mit der Menschheit gewollt, auch über das Kreuz hinüber, und hat mit der Erhöhung seines Sohnes zur Rechten, der Menschheit Heimatrecht gegeben bei sich. Der Menschheit die, mit der Ausstoßung seines Sohnes aus ihrer Mitte, den Widerstand gegen ihn auf die Spitze getrieben hatte! Weil er nämlich grundsätzlich vergeben hat in seinem Sohn und durch seinen Sohn, der willentlich ihr Haupt geblieben war, auch als sie ihn ausstießen, und er als Haupt für die Empörung der Glieder haftete.

Die Verfolgung dieser Gedanken ergibt eine etwas andere Wertung der Himmelfahrt als die gewöhnliche. Sie wird meistens verstanden als Einsetzung Jesu in die Herrschergewalt. Damals sagte der Herr Davids zum Sohne Davids: "Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße" (Ps 110:1). Diese Bedeutung der Himmelfahrt soll gänzlich unbestritten sein. Aber auf einige biblische Tatsachen sei doch hingewiesen, um zu zeigen, dass die Schrift den Beginn von Jesu Herrscherstellung bereits auf die Auferstehung zurückführt: Matthäus bringt von der Himmelfahrt keinen ausdrücklichen Bericht, auch Johannes nicht. Der Grund ist der, weil die Auferstehung Jesu das Entscheidende ist. Dass ihm alle Vollmacht im Himmel und auf Erden verliehen sei, hat Jesus schon als der Auferstandene bezeugt (Mt 28:18), und die Anbetung des Thomas hat er bereits als Auferstandener angenommen (Joh 20:18). Die Bezeugung der Auferstehung Jesu war für die Apostel das Kernstück ihrer Botschaft. Den Beginn der machtvollen Sohnesstellung Jesu hat Paulus zusammen geschaut mit seiner Auferstehung (Röm 1:4). Man vergleiche auch Apg 13:33, wo in der Auferweckung Jesu von den Toten die Erfüllung des Psalmwortes erblickt wird: "Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt!" (Ps 2:7).

Die Anwesenheit Christi

Die Grundlage der Freude der Christen ist Ostern, freilich auf dem Hintergrund des Karfreitags; nicht erst Himmelfahrt. Auch der Sonntag als der Tag der Auferstehung ist davon Zeuge. Ich komme von dem Eindruck nicht los, dass in der heutigen Christenheit der Blick von Ostern nach dem Karfreitag und nach Himmelfahrt hinüber gerückt ist. Wenn diese Beobachtung richtig ist, was ist dann der Grund dazu? Das Zurücktreten der Erwartung des Wiederkommenden! Diese Erwartung bildete neben der Freude des Auferstandenen das Hauptstück des apostolischen Christentums. Die Himmelfahrt und die jetzige himmlische Herrlichkeit Christi wurde nur als Zwischenstück und Zwischenzeit gewertet (s. dazu Apg 3:21). In dieser Zeit ist er, wie schon früher ausgeführt, "verreist, abwesend"; sein Wiederkommen ist seine "Parusie", wörtlich: seine "Anwesenheit". Eine völlige Abwesenheit ist auch die Zeit seiner himmlischen Herrlichkeit nicht. Darum ist das letzte Wort, das Matthäus vom Auferstandenen berichtet, die Versicherung an seine Gemeinde, er werde Tag für Tag, bis zum Ausgang dieses Zeitlaufs "mit" ihnen sein (Mt 28:20) - "bei" ihnen ist fast etwas zu viel gesagt; in besserem Deutsch ließe sich der griechische Ausdruck wohl wiedergeben mit der Übersetzung: "um" euch werde ich sein. Also Abwesenheit und Anwesenheit in einem! Das ist nicht eine Verschwommenheit des christlichen Glaubens, sondern hängt zusammen mit der schwierigen Lage, in die Christus durch seine Ausstoßung von der Welt versetzt wurde. Er gehört eigentlich seit seiner Geburt ganz zur Menschheit; aber die Weltsünde hat bewirkt, dass er sich der Welt eine geraume Zeit entziehen muss, in der ganzen Zeit zwischen Kreuzigung und Wiederkunft, in welcher die Welt ihn ja tatsächlich als erledigt betrachtet, bis sie bei seinem Wiederkommen mit Schrecken ihres Irrtums gewahr wird.

Die Sehnsucht der Gemeinde empfindet die Abwesenheit, obwohl sie nicht dagegen murrt, sondern als eine, durch die Menschheitssünde verursachte, Unnatur und wartet auf den Tag der Vereinigung mit bräutlichem Verlangen. - Eine ähnliche Verschiebung im Blickfeld der Christenheit findet sich auch bei der persönlichen Christenhoffnung. Als der entscheidende Punkt wird der Augenblick des Sterbens empfunden. Dass derselbe überragende Bedeutung hat, bleibt unbestritten. Darauf hat schon Jesu Wort Mt 16:18 hingewiesen, das seiner Gemeinde zugesagt hat, dass die Totenwelt nicht über sie werde Herr werden. Aber die Hoffnung der neutestamentlichen Gemeinde griff darüber hinaus auf den Tag der Auferstehung. Die Zeit zwischen Tod und Auferstehung ist Zwischenzeit. Der Tod vermittelt auch für die Jünger Jesu noch nicht ihr endgültiges Heil. Das tritt erst mit ihrer Auferstehung, bzw. mit ihrer Verklärung in Kraft. Der Blick darauf macht die toderfüllte Gegenwart erträglich, und die Arbeit in ihr freudig und sieghaft (s. 1Kor 15.). Die gegenwärtige Gestalt der Hoffnung ist eine Verarmung gegenüber der neutestamentlichen. Damit hängt ein weiterer Mangel der üblichen Christenhoffnung zusammen, dass sie mehr nach der Vollendung der einzelnen ausblickt, als nach der Vollendung des Ganzen. Die ursprüngliche christliche Hoffnung ist Reichshoffnung, während die jetzige mehr auf die Beseligung der einzelnen bedacht ist. Der Einzelne kommt gewiss nicht zu kurz, wenn Jesus das Reich Gottes in Kraft vollendet, falls er nämlich ein Glied am Leibe Christi ist. Aber er empfängt das Heil gemeinsam mit seinen Brüdern. Bis dahin warten im Himmel die Geister der vollendeten Gerechten; aber bereits ihr Warten ist Freude.

Die Abwesenheit Jesu

Die Abwesenheit Jesu ist für die Welt ein Verlust, freilich ein verschuldeter Verlust. Sie hat ihn seit seiner Himmelfahrt, ja seit seiner Auferstehung nicht mehr. Zwar wird er ihr durch die Gemeinde Jesu bezeugt als der auferstandene Herr der Welt; aber den Zugang zu ihm findet sie nur im Glauben; auch die Gemeinde selber ist fortwährend auf das reine Glauben angewiesen, nachdem das erste Geschlecht der Glaubenden, das ihn in seinen irdischen Tagen als den Auferstandenen sah, abgerufen worden ist. Die Gemeinde beklagt sich darüber nicht, weil sie weiß, an wen sie glaubt, und dass ihr Glauben in Schauen, ihr Warten in Freude übergehen wird, ja dass sie, sofern sie im Glauben beharrt, jetzt schon glücklich ist. Nun ist zwar solches Warten auch schon Freude, aber erst Vorfreude; und die Empfindung eines Mangels ist mit dem Warten untrennbar verbunden. Dieses Gefühl des Mangels kann der Gemeinde nicht erspart werden, weil sie mitten in der Menschheit als ein Teil von ihr steht, obwohl sie andererseits durch ihre Berufung zu Jesus der Welt entnommen ist. Die Menschheit muss die Abwesenheit des Christus tragen, weil sie es bis zu den letzten Folgen innewerden muss, was es hieß, ihr Haupt auszustoßen. Es war Gerechtigkeit seitens Gottes, dass er der Menschheit den Christus entzog, nachdem sie sich in der furchtbarsten Weise an der größten Gabe Gottes vergriffen hatte.

In der Entziehung Christi hat sie Gottes Heiligkeit erleben müssen. Zuerst musste Israel diesen Ernst der heiligen Gerechtigkeit Gottes erfahren. Die Augen, die sich am Kreuze weideten, sahen ihn nicht mehr, auch wenn sie es nachher an der Gemeinde mit Zorn und Grauen ahnten, dass der Gekreuzigte nicht tot war. Bis auf den heutigen Tag leidet Israel an seiner Christuslosigkeit, die zugleich Heilandslosigkeit ist. Hier sitzt Israels Krebsschaden. Und die Menschheit hat Jesum seither auch nicht mehr gesehen und muss auskosten, was es heißt, ohne ihr Haupt zu sein, gerade wie sie die bittern Früchte der Gottlosigkeit essen muss. Israel und die Völkerwelt tragen in zunehmendem Maß an der Christuslosigkeit, und geraten an ihr tiefer in Jammer und Sünde hinein, bis sie beim großen Zusammenbruch am Ende dieses Zeitlaufs innewerden, dass nur ihr König sie heraus- und aufwärts führen kann. Über diese Gerechtigkeit Gottes, welcher der Menschheit den Christus, und nur den Glaubenden den Zugang zu ihm öffnet, muss der Heilige Geist der Welt die Augen öffnen (Joh 16:8.10). Vielen sind die Augen im Lauf der Jahrhunderte aufgegangen; aber es hat den Anschein, als ob die Sünde und das Elend den Gipfel erreichen müssten, bis Israel nach seinem König ausschaut, und die Welt ihrer Hohlheit sattwird.

Die Erwartung der Wiederkunft Jesu

Auch die Christenheit, ja selbst die Gemeinde Jesu muss es lernen, sehnsüchtiger nach ihrem Herrn auszuschauen. Sie hat sich an seine Abwesenheit gewöhnt, als ob das der normale Zustand wäre. Sie muss innewerden, das ihr Glauben, Lieben, Hoffen erst mit seinem Offenbarwerden zum Ziel gelangen, und dass sie die irdischen Verhältnisse ohne sein unmittelbares Eingreifen, und ohne seine Anwesenheit je länger, desto weniger meistern kann. Mag die erste Christenheit sich in dem Stück geirrt haben, dass sie das Wiederkommen Jesu zu bald erwartet hat, während er selber wohl von baldigem kraftvollen Eingreifen sprach (Mt 16:28), dagegen zu verstehen gab, dass er später kommen werde als man erwarte (Mt 25:5) - darin bleibt die neutestamentliche Gemeinde doch für alle Zeitläufe richtungsweisend, dass sie die Abwesenheit Jesu bei aller Freude der glaubenden Verbundenheit, mit ihm schmerzlich empfand und sein Kommen ersehnte und erbat. Die Gemeinde wird durch den eigenen Zustand, und durch die Zustände der Welt. noch dahin geführt werden, dass sie sich die Bitte zueigen macht, mit welcher das Neue Testament schließt: "Komm, Herr Jesu!" (Offb 22:20). Diese Bitte hat nicht nur dann Sinn, wenn die Hoffnung darauf geht, selbst noch Christi Wiederkommen zu erleben. Sie hat auch dann Sinn, wenn mit vollem Ernst das Sterben als Ausgang des irdischen Lebens ins Auge gefasst wird. Denn wir erhoffen Jesu Wiederkommen nicht nur zur Vollendung des eigenen Lebens, sondern zur Lösung der, immer undurchsichtiger und schwieriger werdenden, Verhältnisse der Kirchen und des Volks- und Völkerlebens. Und die Vollendung der, vor seiner neuen Erscheinung aus diesem irdischen Leben Abgerufenen, kann ja auch nicht ohne sein Kommen erfolgen.

Wartezeit ist es auch noch für den erhöhten Herrn selber. Er ist bereits der König der Könige, und der Herr der Herren, wie er einst offenbar werden wird bei seinem Kommen (Offb 19:16). Seine Macht hat bereits im gegenwärtigen Zeitlauf seine Schranken. Aber er macht von ihr noch keinen unbeschränkten Gebrauch, weil jetzt noch die Zeit seiner Verborgenheit ist. Zwar ist der schlimme Fürst dieser Welt seit Golgatha gerichtet und weiß es. Aber seine Wirksamkeit ist noch nicht ausgeschaltet. Zwar kann nichts geschehen ohne Christi Zulassung. Aber zu Zeiten greift er nicht ein, wenn eine Hand nach seinen Leuten greift, manchmal sogar dann nicht, wenn sie sich an ihrem Leben vergreift. Die Zeit des Kreuzes ist noch nicht vorüber, steht vielmehr in ihrem vollen Ernst erst noch bevor. Und weil er mit den Seinen trägt, umfasst das Leiden auch ihn noch. Dine besondere Art seines Leidens ist die, dass er so wenig Glieder hat, deren er sich bedienen kann zum Bau seines Reichs. Zwar steht ihm der Heilige Geist ohne Maß zur Verfügung zum Wirken in der Welt, und an der Menschheit, und die Scharen der dienenden Geister (Hebr 1:4). Aber seine eigentlichen Werkzeuge, die Glieder seines Leibes, sind die zu seiner Gemeinde Gehörenden. Und ihr mangelt es an Zahl und Kraft. Es sind so wenige und so schwache Werkzeuge, schwach wegen ihrer eigenen Untreue. Welche Arbeit muss der Heilige Geist leisten, bis er die Glieder der Gemeinde aus der Welt herausruft, heiligt und zu brauchbaren Werkzeugen zubereitet!

Damit ist die Rede auf die eigentliche Weise gekommen, wie der erhöhte Herr in der Zwischenzeit seine Herrschaft ausübt: durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist die Gabe des auferstandenen und erhöhten Herrn. Er hat seinen Jüngern den Heiligen Geist versprochen vor seinem Abschied am Kreuz und vor seinem Abschied bei seiner Himmelfahrt (Joh 16:7; Apg 1:5). Und er hat sein Versprechen gehalten. Wenige Tage nach seinem Scheiden, an Pfingsten, sandte er ihn und erfüllte mit ihm die Herzen seiner Jünger. Durch den Heiligen Geist band er jeden einzelnen mit seinem innersten Wesen, und mit dem Wollen an sich und den Vater, verband sie untereinander zur Gemeinde und rüstete sie aus zu seinem Dienst. Auch an der Welt arbeitet er durch den Heiligen Geist; sie kann sich seiner Wirkung nicht entziehen, auch wenn sie sich ihm verschließt (Joh 16:8-11). Darin, dass der Heilige Geist in Gemeinschaft tritt mit sündigen Menschen und sie mit ihnen festhält, wenn sie dem Ruf folgen, darin erlebt die Gemeinde Gottes und Christi im gegenwärtigen Zeitlauf die Liebe Gottes und die Gnade Christi (2Kor 13:13). Dagegen das Übergreifen der Erlösung auf den gesamten Bestand des menschlichen Wesens einschließlich des Leibes bleibt dem Kommen Jesu vorbehalten.

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4. Der Gang des Gottesreiches durch die Menschheit