Das Zukunftsbild des Propheten Haggai

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Aus dem Zweimonatsheft für gläubige Schriftforscher:
"Das prophetische Wort"
Begründet von Professor E. F. Ströter


Herausgegeben von Heinrich Schaedel
Maranatha-Verlag, Klosterlausnitz i. Thür.
XIX. Jahrgang 1928

Siehe weitere Abschriften
Weitere Referate: Die 12 kleinen Propheten

Das Zukunftsbild des Propheten Haggai

Von W. Israel, Berlin

Die Zeit des Propheten

Während die Abfassungszeit der Schriften anderer Propheten vielfach schwer zu bestimmen ist, lässt es sich bei Haggai genau feststellen, wann er geredet hat. Sein Wirken fällt in das Jahr 520 v. Chr. und zwar in die Monate August, Oktober und Dezember. Das babylonische Exil hatte sein Ende erreicht. Ein Teil des Volkes war aus dem Lande der Chaldäer in das Land seiner Väter zurückgekehrt. Es scheint eine wenig bemittelte Schar gewesen zu sein, sie war auch nicht sehr zahlreich. Viele Juden mochten es für vorteilhafter gehalten haben, im Lande der Verbannung ihren Geschäften nachzugehen. Serubabel führte im Auftrag des persischen Herrschers das Regiment, Josua war der Hohepriester. Man ging an den Bau des Tempels, aber die Sorge drückte, wie man mit den kärglichen Mitteln den Bau würde hinausführen sollen. Die Beteiligung des Mischvolkes der Samariter hatte man abgelehnt, das erregte bei diesen Feindschaft. Die Juden wurden bei dem Perserkönig verdächtigt, der den Tempelbau verbot. Er stand still bis in das Jahr 520. Das Volk sprach: Es ist jetzt nicht an der Zeit, des Herrn Haus zu bauen. Da trat Haggai auf mit der Botschaft: „So spricht der Herr Zebaoth: Dies Volk spricht: die Zeit ist noch nicht da, dass ihr in getäfelten Häusern wohnt, und dies Haus muss wüst stehen.“ Dann muss der Prophet dem Volke verkündigen, dass der Misswuchs der Feldfrüchte die ernste Vergeltung Gottes sei für ihre Saumseligkeit und Gleichgültigkeit in Beziehung auf das Heiligtum. Das Wort Haggais schlug durch. Serubabel, Josua und das Volk ließen sich das sagen.

Bau des Tempels

Man begann den Tempelbau von neuem. War auch das Verbot des persischen Königs noch nicht zurückgezogen, so wusste man doch, dass infolge des inzwischen eingetretenen Regierungswechsels dem Fortgang des Baus Schwierigkeiten nicht mehr würden bereitet werden. Und nun sandte der Herr durch seinen Knecht reichen Trost. Sein Segen soll die Früchte wieder gedeihen lassen. Früher war alles unrein in und an dem Volk. Wie ein Verunreinigter nach dem Gesetz seine Unreinigkeit auf alles überträgt, was er berührt, während Heiliges nicht in gleicher Weise auch anderes heiligt, so hat die Unterlassung des Tempelbaues allen Gottesdienst und jede Frömmigkeitsäußerung vor Gott wertlos gemacht, daher der Unsegen. Aber das ist nun vorbei. Und ferner verhieß der Herr: „Die Herrlichkeit dieses letzten Hauses soll größer werden, denn des ersten gewesen ist, und ich will Frieden geben an diesem Ort.“ Wie soll das geschehen? „Es ist noch ein Kleines dahin, dass ich Himmel und Erde, das Meer und das Trockene bewegen werde. Ja, alle Heiden will ich bewegen. Da soll dann kommen aller Heiden Bestes.“ Diese Stelle ist schwierig, die Auslegungen gehen auseinander. Die revidierte Lutherbibel übersetzt: „der Heiden Bestes“. Andere Übersetzungen lauten: „Dass die Kleinodien aller Völker herbeikommen sollen“, oder „dass herbeikommen die Auserlesenen aller Völker“. Luther und andere, besonders ältere Schriftausleger, haben übersetzt: „Der Heiden Trost“ und das Wort auf den Messias gedeutet. Mir will es scheinen, als ob die verschiedenen Ansichten, sich vereinigen ließen. Hatte Jesaja schon geweissagt (Jes 60:15ff.): „Darum, dass du bist die Verlassene und Gehasste gewesen, da niemand hindurchging, will ich dich zu Pracht ewiglich machen und zur Freude für und für, dass du sollst Milch von den Heiden saugen, und der Könige Brust soll dich säugen“, und damit angedeutet, dass die Heiden sich Israel dienstbar erweisen würden, so mag die Rede Jehovas von Haggai sehr wohl dahin verstanden worden sein, dass durch außerordentliche Vorgänge in der Völkerwelt es geschehen werde, dass Weihegeschenke aus derselben dem Tempel zu würdiger Ausstattung verhelfen würden, umso mehr, als in der Rede des Herrn ausdrücklich der Zusatz folgt: „Denn mein ist Silber und Gold.“

Aber das ist ja gewiss, dass die äußere Herrlichkeit des Tempels, zu der ihm später ja besonders ein Mann, wie Herodes der Große verholfen hat, weder in unseren, noch in Gottes Augen die größte sein kann. Was dem zweiten Tempel seine größte Herrlichkeit gegeben hat, ist doch unzweifelhaft die Tatsache gewesen, dass in ihm der Herr Jesus Christus aus- und einging. Beiläufig sei bemerkt, dass die jüdischen Rabbinen in vorchristlicher Zeit der Überzeugung gewesen sind, und zwar aufgrund dieser Stelle, dass der Messias in diesem zweiten Tempel erscheinen werde, die falschen Deutungen stammen erst von den Juden späterer Zeit. Wie die Herrlichkeit des ersten Tempels vornehmlich darin bestand, dass die Wolke ihn erfüllte, also dass die Priester nicht stehen und des Amtes pflegen konnten vor der Wolke, weil wie es 1Kö 8:11 heißt „die Herrlichkeit des Herrn das Haus erfüllte“, so ist die Verheißung Gottes bei Haggai: „Ich will dieses Haus voll Herrlichkeit machen“, nicht vornehmlich in der glänzenden äußeren Ausstattung des Tempels in Erfüllung gegangen, sondern in dem Erscheinen Jesu Christi in ihm, der von sich sagen konnte: „Hier ist der, der größer ist denn der Tempel“. Seitdem aber der Herr erschienen ist, ist Jerusalem zur geistlichen Wallfahrtstätte der Auserwählten unter den Völkern geworden, welche dort, d. h. in dem Erlösungswerk des Herrn, sich den Frieden des Herzens geholt haben.

Letzte Tage oder letzte Zeit

Offenbar schwebt aber dem Haggai die Endzeit vor, wenn er redet von einem Bewegtwerden des Himmels und der Erde, des Meeres und des Trockenen. Das braucht uns nicht abzuhalten, das Wort: „Da soll dann kommen aller Heiden Bestes“, auf die erste Erscheinung Jesu zu deuten. Der Begriff „letzte Zeit“ oder "letzte Tage“ ist dehnbar. Ich erinnere nur an das Wort Hebr 1:1: „Nachdem Gott manchmal und auf mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn“. Ebenso wird Apg 2:17 die Ausgießung des heiligen Geistes als in den letzten Tagen geschehen hingestellt. Desgleichen schreibt Paulus 1Kor 10:11, dass auf ihn und die Korinther das Ende der Welt gekommen sei. Die alttestamentlichen Propheten kennen keinen Unterschied zwischen erster und zweiter Erscheinung Christi. Tatsächlich ist bereits in seiner ersten Erscheinung das Ende angebrochen, weil eine über Jesus hinausdeutende Offenbarung Gottes nicht mehr zu erwarten ist. Insofern aber die Offenbarung Christi eine mehrfache ist, gibt es innerhalb der letzten Zeit noch eine letzte in besonderem Sinne. In diese fällt dereinst die höchste Erfüllung des Wortes: „Da soll dann kommen aller Nationen Bestes.“

Wie andere Propheten schaut auch Haggai gegen das Ende hin außerordentliche Völkerbewegungen und Völkerzerstörungen, ein gegenseitiges sich Zerfleischen. Es sind Szenen des Untergangs, welche vor seinem Auge sich abspielen. Die Stühle der Königreiche kehrt Gott um, die mächtigen Königreiche der Nationen vertilgt er, dann, wenn dies geschieht, wird aber der Herr den Serubabel, den Statthalter aus davidischem Geschlecht, wie einen Siegelring nehmen und werthalten. Serubabel wird die Verheißung schwerlich auf sich gedeutet haben, denn dass die Königreiche samt und sonders in kurzer Zeit fallen würden, hat er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erwartet. Ihm mag ein Herrscher der Zukunft aus Davids Geschlecht vorgeschwebt haben. Wir urteilen geradeso. Jesus Christus wird der Erbe der Weltreiche werden. Satan hat sie ihm schon angeboten, er lehnte ab. Einst wird der Vater ihm das Erbe anbieten, dann nimmt er es an und besitzt es zu Recht.

Was Haggai an Katastrophen in der Völkerwelt geschaut hat, hat mancherlei vorläufige Erfüllungen gefunden, so vornehmlich auch im Weltkrieg; die letzte Erfüllung ist noch nicht geschehen. Sie wird die früheren an Furchtbarkeit weit übertreffen.

Der Tempel des Neuen Bundes

Ich bin mit meiner Aufgabe, das Zukunftsbild des Haggai zu zeichnen, zu Ende, kann mir aber nicht versagen, aus seiner Schrift eine Nutzanwendung für uns zu machen. Wenn einst der Herr den irdischen Segen für die Juden zurückhielt, weil sie unterließen den Tempel zu bauen, so ist das für uns eine starke Mahnung, eingedenk zu sein des Wortes: „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen“. Noch ein zweiter Gedanke drängt sich auf. Zuerst musste das Haus des Herrn gebaut werden, dann erst konnte der Segen von oben kommen. Nun gibt es geistliches Haus den Herrn, einen Tempel des heiligen Geistes. Es ist die Gemeinde Jesu Christi, sein Leib. Er ist im Bau seit fast 2000 Jahren, aber noch nicht vollendet. Er muss vollendet werden; ihn vollenden zu helfen, ist die größte Aufgabe, welche den Gläubigen gestellt ist. Es muss vollendet werden durch innere Ausreife und Durchheiligung seiner Glieder und auch durch durch Hinzutun der Vollzahl derselben. Ist er vollendet, dann ist für Jesus die Fülle vorhanden, deren er nach seinem eigenen Willen bedarf, um ganz Christus zu sein. Dann, wenn der Tempel des Neuen Bundes vollendet ist, kommt das große Neue, der ganze Reichtum göttlichen Segens für die Welt, auf welchen hin der Name Haggais weissagt, Haggai heißt: der Festliche.

Auf's Ziel ausgerichtet

Blicken wir jetzt zurück auf das, was wir bisher als Weltbild der kleinen Propheten erkannt haben, so möchte ich sagen, dass es eine Ausführung des Wortes ist: „Der Herr kann auch große Dinge tun“ (Joe 2:21). In der Tat, große Dinge haben die Propheten geschaut, gewaltige Taten des lebendigen Gottes stehen ihnen als zukünftig vor Augen, Gerichts- und Gnadenerweisungen sondergleichen, alles umspannend, Menschenwelt und Naturwelt. Es kommt der Tag des Herrn, der alles offenbar macht was an Bösem und Gutem unter den Menschen vorhanden ist, der die gerechte Vergeltung bringt, Tod oder Leben, Rettung oder Untergang, je nachdem,d der Tag, der eine völlige Theodizee, d. h. Rechtfertigung Gottes bedeutet. Seine Gerechtigkeit war ja oft verhüllt, so dass Zweifler sie bezweifeln konnten, jetzt liegt sie enthüllt vor aller Augen. Die Propheten schauen ein Ziel der Geschichte. Wenn wir denkende Menschen sind, sehnen auch wir uns nach einem Ziel. Es ist eine unsagbar öde Weltanschauung zu meinen: es bleibt alles wie es war, die Weltgeschichte ist ein sich unaufhörlich drehendes Rad. Nein, das ist sie nicht. Es gehört zu den großen Fortschritten der Naturwissenschaften, dass sie an die Stelle der mechanischen Betrachtung des Naturgeschehens die teleologische treten lassen, d. h. dass sie eine Zielstrebigkeit des Werdens erkennen. Ist in der Natur eine Zielstrebigkeit, so ist sie in der Geschichte erst recht. Klar und deutlich bezeugt das unter anderem das große paulinische Wort: „Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“ Desgleichen bezeugt es der erhöhte Herr, wenn er sagt: „Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.“

Wir brauchen große Gedanken; das Zukunftsbild des Propheten gibt sie uns. Und der größte unter allen diesen Gedanken ist: Mag es auch noch so dunkel werden auf Erden, es zieht herauf ein neuer Gottestag, dessen Licht heller strahlt als alles frühere. Es kommt ein Sieg des Allmächtigen, der Menschen und Engel jauchzen lässt. Im Vorgefühl des Sieges jubeln auch wir und rufen schon jetzt: Halleluja!