Zum höchsten Ziel

Aus Bibelwissen
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Abschrift des Buches: Der Brief von der Freude (Philipperbrief)
Pfarrer Theodor Böhmerle (1870 - 1927)

Aus dem letzten Bibelkurs im Oktober 1926
(nach den Notizen mehrerer Teilnehmer)

weitere interessante Abschriften:

Inhaltsverzeichnis
Kapitel davor:

I. Eine Auslegung des Philipperbriefes - Kapitel 1
II. Durch Leiden zur Herrlichkeit - Kapitel 2
III. Freuet euch im Herrn - Kapitel 3
IV. Stehet fest in dem Herrn! - Kapitel 4

in Bearbeitung

V. Zum höchsten Ziel

Phil 3:12-14

Paulus ist ein Läufer zum höchsten Ziel. Er will uns ermuntern, nach dem gleichen höchsten Menschheitsziel uns auszustrecken. Wenige Menschen haben hohe Ziele, noch viel weniger das allerhöchste Ziel. Ziellos werden Millionen hin und her gefegt vom Treiben der Erde. Niedrige, irdische Ziele hat die Masse. Und weil irdische Ziele immer wieder verschwinden und zusammensinken, so wird sie von Ziel zu Ziel getrieben. Nur wenige der niedrigen Ziele werden erreicht, und wenn sie erreicht sind, befriedigen sie nicht. Edle, weit gesteckte oder gar ewige Lebensziele, klar erfasst und verfolgt, sind selten. Das allerhöchste Ziel kennen nur von Gott Auserwählte. Nur ein kleiner Teil der Menschheit weiß, wozu der Mensch eigentlich bestimmt ist; und von denen, die es wissen, jagen nur wenige dieser Bestimmung nach.

Die Krone der Gerechtigkeit

Weißt du, was der eigentliche, ursprüngliche, hohe Zweck und das einzigartige Ziel des Menschen war? „Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf Er ihn“. Dieses Urwart gibt dir eine Ahnung. Seitdem der Sohn Gottes, diese Bild Gottes, Mensch geworden, gestorben und erstanden ist, seitdem Er verklärt, dass Er zur Rechten des Vaters sitzt, hat dieses Ziel greifbare klare Gestalt gewonnen. Der Apostel Paulus nennt es Kleinod. An anderen Stellen heißt es Krone der Gerechtigkeit oder Krone des Lebens. Kurz vor unserer Stelle, im elften Vers, heißt es: Ausauferstehung. Kindschaft, Erbschaft und Miterbschaft des Sohnes Gottes heißt das höchste Ziel in Röm 8. Du kannst es auch Herrlichkeit, du kannst es Mitherrschen und Mitregieren nennen.

Vollendetes König-Priestertum, Eigentumsvolk sind weitere Kennzeichnungen. Die Gleiche mit dem Sohne Gottes für einen jeglichen in seiner Art und an seinem Teil hat der ewige Gott nach ewigem Rat für den Menschen bestimmt. Nach eingetretenem Sündenfall und nach der laufenden Sündenauswirkung im menschlichen Geschlecht, kommt nur eine Auswahl zur Lebenserkenntnis und zu lebendiger Ergreifung dieses Zieles. Den vollen, eigentlichen Menschenberuf hat nur der Mensch ergriffen, welcher in Christo zum Kinde Gottes geworden, mit ganzem Ernst der Vollendung in der Herrlichkeit des Sohnes entgegeneilt. Das höchste Menschheitsziel ist ein Herrscherziel in könig-priesterlicher Ausprägung. Bei Jesu Christo, dem verklärten Haupt, als verklärtes Glied stehen und an Seiner seligen Untertanmachung aller Kreatur in Ihm mitteilnehmen, das ist das Höchste, was ein Mensch erlangen und erreichen kann. Es ist für arme, todverfallene Sünder ein unbegreiflich hoher und wunderbar herrlicher Beruf, zu welchem sie berufen sind. Kann es etwas Herrlicheres geben, als einst der ganzen Kreatur in Christo Jesu, und im Verein mit den anderen verklärten Kindern Gottes, das Heil vermitteln zu dürfen? Deswegen harret ja die ganze Kreatur auf die herrliche Freiheit der Kinder Gottes.

Der Mensch, in diesen Beruf von Anfang an hineingestellt, hat ihn durch die Sünde verloren. Nur wenige der fleischgeborenen Massen ergreifen ihn in Christo wieder. Die Massen dringen nur zu einem seligen Untertanenverhältnis zum Herrn durch, und dazu nur durch die schwersten und tiefsten Gerichte hindurch. Der hohe, einzigartige Kindschafts- und Erbschaftsberuf, der Ausauferstehungsweg, ist aber angeboten im Heiland, und alle zum Glauben Durchgedrungenen dürfen ihn in Gnaden ergreifen. Es gibt eine in Gott vollendete Schar, welche vor den letzten Gerichtszeiten dieses gegenwärtigen Zeitalters, vom erscheinenden Herrn bei sich versammelt, den Anbruch und das Allerheiligste der Menschheit bildet, und welche der Gesamtkreatur gegenüber Gott und Christus darstellt, weil in ihr selbst die Fülle dessen wohnt, der alles in allem erfüllt. Welche nun diesen Beruf eines Kindes Gottes erfassen, welche in ihrer Erdenzeit in diesem Beruf wachsen und reif werden wollen und der Erbschaft in der Herrlichkeit zustreben - die haben das höchste Ziel ergriffen. Das sind die eigentlichen Menschen.

Natürlich kann dieses Ziel nicht irdisch-menschlich erfasst werden. Kein im Sünden- und Ich-Dienst gefangenes Wesen könnte je darauf kommen, dass es einen solchen Menschenberuf gibt. Ja, die natürliche Menschheit hält es für unsinnig, einen solchen Beruf zu ergreifen und ihm nachzujagen. Sie spottet und höhnt die Kinder Gottes, die zur Herrlichkeit eilen - ja sie tötet sie. Paulus nennt diesen himmlischen Stand das „Kleinod der oberen Berufung in Christo Jesu“. In Christo Jesu ist die ganze Welt versöhnt und erlöst. Er ist nicht nur gestorben für die Sünden der jetzt Gläubigen, sondern auch für die Sünden der ganzen Welt (1Jo). aber Er hat eine auserwählte Schar um sich, unter welcher Er der erstgeborene Bruder ist, und die Er zu Seiner vollkommenen Gleichheit verherrlicht. Diese Schar wird jetzt in unseren Zeiten herausgerufen durch das Wort der Wahrheit. Alle Briefe der Gemeine weisen auf diesen Beruf und dieses Ziel hin.

Von Christus ergriffen

Die Auserwählten, Heiligen und Geliebten sind der Gegenstand des rufenden Wortes. Wo nun in einem armen Sünderherzen der Heilige Geist den Heiland verklären darf, da stellt derselbe Geist auch den großen Erstlingsberuf vor Herz und Sinne. Es geht durch Versöhnung und Erlösung, durch Buß- und Glaubenswege hindurch; es geht durch Erweckungen und Erleuchtungen, durch Bekehrungsstände hindurch, bis es in die innere Geburtslinie geht. Dann öffnet sich der Blick für die wunderbare Herrlichkeit des Kindes und Erben, und dann kommt der Zug, dahin durchzukommen. Es ist ein himmlisches Licht, welches einem Herzen durch Wort und Geist aufgeht, wenn es in das Geheimnis des höchsten Zieles schaut. Wer es sieht und nimmt, ist von oben berufen. Das obere Ziel offenbart sich von oben her. Und der Heiland, der Erlöser - Er wird zum Ziel. Er ist’s, den wir, und Er ist's, dessen Wesen wir erstreben; darum heißt es „obere Berufung in Christo Jesu“. Wer sich das Kleinod zum Lebensziel stellen will, muss, wie es Paulus in unserem Text ausdrückt, „von Christo Jesu ergriffen sein“ (Phil 3:12). In Wort und Geist greift der Heiland uns an und greift uns ins Herz. Wer sich ergreifen lässt, ist ergriffen. Ergreift Er mich und macht mich zum verlorenen Sünder, und ich sage ja - so bin ich ergriffen. Ergreift Er mich und sagt mir: Wer Mich aufnimmt, der wird Gottes Kind und Erbe, und ich sage „Ja", so bin ich ergriffen. Und die Ergriffenen ergreifen dann wieder. So kann man die höchste Berufung nur durch Wort und Geist, die sie uns verklären, ergreifen. Wir können diese Berufung verkündigen - es haben sie aber nur die Gläubigen. Bist du schon von dem Gekreuzigten und Erstandenen, dem wunderbar liebenden Gottessohn ergriffen, und hast du ihn Ihm die Kindschaft ergriffen? Sieh, dann steht du im höchsten Menschenziele! Selig, wer darin steht!

Noch nicht ergriffen

Von diesem Ziel sagt nun der Apostel mehrmals, er habe es noch nicht ergriffen. Gewiss haben viele gedacht, welche Paulus hörten oder sahen oder ihn sich als Gefangenen im Herrn vor Augen stellten: der hat’s erreicht! Dem gegenüber erklärt Paulus: „Liebe Brüder, ich schätze mich selbst noch nicht, es ergriffen zu haben.“ Wie ist das zu verstehen, das Paulus doch so siegesgewiss dem in Christo Jesu klar und hell vorgehaltenen Ziele entgegenstrebt? Zunächst ist es wohl ganz natürlich zu verstehen: solange Paulus noch auf Erden im Fleische ringt und kämpft, hat er es noch nicht. Wir tragen den Schatz, solange wir hier leben, in irdenen Gefäßen. Wir sehnen uns, solange wir noch im Laufe sind, nach unseres Leibes Erlösung. Wir sind Gottes Kinder, aber es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber bestimmt, dass wir Ihn sehen werden und Ihm gleich sein werden, wie Er ist. Was Luther übersetzt; „nicht, dass ich es schon er griffen habe oder gar vollkommen sei“, übersetzen wir wohl besser: „oder gar zum Ziel gekommen sei.“ In diesem Sinne haben wir es alle noch nicht ergriffen. Dann aber liegt in allen Gotteskindern und in allen klar Zielbewussten, und nach dem Kleinod Gehenden, eine stets sich vermehrende Sündenerkenntnis.

Alle echten Kinder Gottes haben tief im Innern etwas Blödes und Erschrockenes. Sie maßen sich nichts an; sie haben alles aus Gnaden. Darum greifen sie nicht vor. Solange sie noch im Kampfe stehen, maßen sie sich kein Urteil an. „Ich richte mich selbst nicht“, sagt Paulus im ersten Korintherbrief. Der Tag des Herrn wird’s offenbaren. Der Herr setzt den Vollendeten die Krone auf. Darum hat Paulus, und haben wir es noch nicht ergriffen, ehe der Tag des Herrn kommt. Weiter aber gibt es in der Herrlichkeit verschiedene Stufen. Eine andere Herrlichkeit hat die Sonne, eine andere der Mond, eine andere haben die Sterne. Und ein Stern übertrifft den anderen an Klarheit. Wenn nun einer wie Paulus nach der allerhöchsten Herrlichkeit verlangt, wenn er so nah wie möglich beim Heiland sein möchte, so hat er es eben noch nicht ergriffen, und ist noch nicht am Ziel. Noch stehen ihm Proben bevor. Der Apostel steht im Philipper-Brief vor dem Märtyrer-Tod. Darin muss er sich auch noch bewähren. Bei den Gläubigen in Christo wird der Weg umso steiler, je näher es dem Ziel zugeht. Da gilt es die letzten großen Bewährungen. Da hat man noch nicht ergriffen, solange man noch kämpft.

Halte fest, was du hast!

Man kann aber auch um eine Herrlichkeitskrone kommen und bei allem Zielfassen doch eine niedrigere Stufe erreichen. Darum heißt es: „Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme“. Darum sagt auch Paulus, er betäube seinen Leib und zähme ihn, dass er nicht anderen predige und selbst verwerflich werde. Das heißt soviel wie: er möchte bei der Preis- und Herrlichkeitsverteilung nicht zurückstehen müssen. Wer nicht bis zum letzten Kampfe treu ist, erleidet Einbuße, und der Treue kommt ihm zuvor. Sei drum getreu bis in den Tod hinein, so will Ich dir die Krone des Lebens geben. So stehen die Läufer zum wahren Menschheitsziel immer in der Demut und Niedrigkeit: nicht dass ich es schon ergriffen hätte oder schon am Ziele sei.

Das Ziel selbst aber, welches die obere Berufung hinstellt, ist ihnen ganz gewiss. Darum jagen sie ihm auch nach, ob sie es wohl ergreifen möchten. Nicht eine Unsicherheit oder Unklarheit soll ausgesprochen sein in den Worten: ich schätze mich selbst noch nicht, dass ich es ergriffen habe; vielmehr sind es nur der in sich niedrige, demütige Sinn ,und der sich klar bewusste Geist, die wissen, dass es zu kämpfen gilt bis zum Schluss. Bei den Ringkämpfern der Menschen kann im letzten Augenblick, wenn ich vielleicht nachlasse, mir noch einer zuvor kommen. So ist’s auch im Göttlichen. Aber das ist gewiss, wer das Kleinod will, den trägt der Heiland auch hin. Der Heiland hält uns nichts vor, was Er nicht auch gibt. Gläubige Menschen kämpfen in ihrem ewigen Beruf mit einer inneren Sicherheit und Klarheit. Bei aller Niedrigkeit in sich selbst stehen sie getrost und fest in Christo. Darum jagen sie dem Kleinod nach, ob sie es ergreifen möchten, nachdem sie von Christo Jesu ergriffen sind.

Das Alte ist vergangen

Natürlich gibt diese Berufung zum höchsten Ziel den Berufenen in dieser Welt eine ganz bestimmte und eigenartige Stellung. Diese bezeichnet der Apostel Paulus mit den Worten: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, was vorne ist. „ Nach rückwärts die Lösung, nach vorwärts die Bindung. Dahinten liegt mein ganzes Weilands-Wesen - mein Leben in Sünde und im Eigenen. Das vergesse ich, wenn ich das ewige Ziel will. Die Sünden sind den Gotteskindern vergeben, die Schulden getilgt. Wir wissen zwar wohl, wer wir waren, und vergessen das nicht; dadurch bleibt uns die Gnade ständig groß und frisch. Aber wir lassen uns durch den Feind unserer Seelen, durchs eigene Herz oder durch Umstände, die Sünden nicht immer wieder hervorholen und hindernd in den Weg stellen. Das Alte ist vergangen! Ich stehe fest und gewiss auf dem Gnadengrund. Wie kann ich sonst zum Gnadenziel laufen? Mag Satan noch so recht haben, wenn er mir dieses und jenes vorwirft - Christus hat noch mehr recht, und Er ist für mich gestorben und auferstanden. Was dahinten, das mag schwinden, ich will nichts davon. So müssen auch meine schon durchlaufenen Leidensstrecken dahinten bleiben. Der Lauf zum höchsten Ziel ist ein Leidens- und Sterbenslauf. Wenn’s nun auf den letzten Strecken noch besonders steil wird, so dürfen die schon durchkämpften Strecken uns nicht hemmen. Siehst du auf das Erlittene, dann heißt’s auch, noch einmal! Was wir erlebt haben mit Menschen und unter Verhältnissen - und haben’s überwunden -, das muss dahinten bleiben. Das Gegenwärtige und Zukünftige reicht. Es gibt Leute, die nichts im Rucksack haben, oder die den Rucksack vorne tragen, um immer hineinsehen zu können, ob auch alles drin ist. Lass den Rucksack hinten, nein, lass alles auf den Herrn geworfen bleiben. Was du vorholst, gibt Berge, die du schwer zu übersteigen hast.

Vergiss, was dahinten ist

So lass aber auch die Gnaden Gottes, die du erfahren hast, im rechten Sinne dahinten. Um das Lob Gottes daran zu vergrößern, um dich selbst daran zu stärken, magst du sie dir immer wieder vorstellen. Aber dass du dir auf Grund deiner Gnaden eine große Herrlichkeit erträumst und nicht mehr freudig kämpfst - das wäre verkehrt. Die letzten Kämpfe geben noch den Hauptausschlag. Es gibt Leute, die von erfahrenen, besonderen Dinge leben - die bleiben sitzen. Beim Herrn heißt es immer: „heute“. Ob du gestern einen Traum oder ein Gesicht gehabt hast, das musst du nicht ins Heute und Morgen hinein schleppen; und ob du mal selige, gefühlsreiche Tage gehabt hast, das musst du nicht, in einer jetzt etwa vorhandenen Dürrestrecke, immer ansehen. Vergiss, was dahinten ist, und ziehe an, was du heute brauchst. Die natürliche Menschheit lebt von der Geschichte - wir leben von der Gegenwart und Zukunft. In diesem Sinne vergiss, was dahinten ist, und strecke dich nach dem, was da vorne ist. Daher kommt unsere Kraft, da ist der Herr, vor uns, über uns. Unsere Kraft liegt immer in Ihm. Der Gläubige des höchsten Zieles allen kann vor sich leben. Wie kann ein natürlicher Mensch vor sich leben, wenn vor ihm der Tod steht?

Vor uns steht der wunderbare Tag des Herrn und Seiner Herrlichkeit. Es sind energievolle Worte, welche Paulus für das Vorwärtslaufen gebraucht. Je klarer das Ziel, umso energischer der Mensch, umso weniger Aufhalten, umso weniger Gepäck. Wer ums höchste Ziel läuft, legt viel ab und hält sich wenig auf. Das Allereinfachste ist genug. Von der Welt wird nicht mehr als nötig gebraucht. Vieles in der Welt Große ist uns sehr klein und kaum beachtenswert. Halte dein Ziel klar, dann kommst du an vielem schneller vorbei. Was sind dann auch Leiden und Trübsale? Sie sind zeitlich und leicht gegenüber der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden. Wohlan denn zum höchsten Ziel: als berufen zu den Stufen vor des Lammes Thron will ich eilen; das Verweilen bringt oft bösen Lohn. Eines fülle Herz und Sinn: zum Kleinod hin! (21. 6. 1925).


Aus den letzten Lebensmonaten von Pfarrer Böhmerle

(nach Georg Urban: Theodor Böhmerle - ein Zeuge Jesu Christi und Seiner Gemeine)

Aus der letzten Zeit seines Lebens liegen wertvolle Berichte von Hausvater Straßer vom Hardthaus und von Fräulein Dürr vor, die ihn in der Leitung des Gemeinschaftsverbandes und des Bibelheims unterstützten.

Schon im Sommer 1926 spürte Pfarrer Böhmerle, dass ihn der Weg von seinem Haus ins Heim sehr ermüdete. Auch die täglichen Andachten kosteten ihn viel Kraft. Er kam jedes Mal ganz ermattet aus dem Saal und brauchte dann geraume Zeit, bis er sich wieder erholt hatte .Da äußerte er machmal: „Wenn ich nur auch einmal ausruhen dürfte!“ Kam er dann wieder unter die Gäste, so merkte ihm niemand etwas an.

Im Oktober 1926 hielt er noch als Abschluss des Sommers einen Bibelkurz über den Philipperbrief und freute sich sehr über die Gemeinschaft mit Brüdern, überhaupt strengte ihn ein Bibelkurs, und wenn er 4-5 Stunden am Tage reden musste nicht so sehr an wie die täglichen Andachten zwischen den einzelnen Bibelkursen. Er sagte oft, im Kurs sei es ein wechselseitiges Geben und Nehmen, das ihn anrege und gar nicht müde mache.

Wie freute er sich, wenn er merken durfte, d,ass er mit seinem Zeugnis verstanden wurde; da konnte er manchmal sagen: „Es ist etwas Herrliches um die Gemeinschaft der Heiligen!“ Oft ließ er sich nach der Andacht in seinen Lehnstuhl fallen und sagte: „Ach, wie freue ich mich, ich hab’ wieder Brüder.“

Als das Heim am 20. Oktober 1926 geschlossen wurde, durfte er nicht, wie er hoffte, ausruhen, sondern es stand ein Berg von Arbeit vor ihm. Die Novembernummer der „Gemeine“ musste geschrieben werden und auf jeden Sonntag ein „Reich-Gottes-Bote“. Das erschöpfte ihn sehr. Außerdem kosteten die Korrekturarbeiten beim Neudruck des Jahrgangs 1925 der „Gemeine“ viel Zeit. Hin und her regte sich ein starkes Verlangen nach fester Speise. So war man auch außerhalb Badens auf dieses „Monatsblatt für biblische Vertiefung“ aufmerksam geworfen und wollte nicht nur die laufenden Hefte haben, sondern alle Hefte von Anfang an.

Die Sonntage, an denen er nun im Heim keine Bibelstunden zu halten hatte, waren fast alle bis Weihnachten für auswärtige Dienste versprochen. Er sprach in Pforzheim, Brötzingen, Büchenbronn, Wilferdingen, Welcheneureut, Kleinsteinbach, Mannheim. Adelsheim, Eppingen, Sinsheim, Hoffenheim und Breiten. Es machte ihm Freude, nun mit seinem Auto auch an entfernteren Orten mit dem Worte dienen zu können. Und wie hat er da noch gedient!

Ende November zeigten sich bei ihm am Hals wieder Furunkel wie im vorigen Jahr. Sie bereiteten ihm viele Beschwerden. Doch setzte er seine Arbeit, das Schreiben der Dezembernummer der „Gemeine“ und des „Reich-Gottes-Boten“ unentwegt fort. Dabei hatte er große Schmerzen, weil die bösen Geschwüre sich in bedenklicher Weise ausdehnten und zu Karbunkeln wurden. Trotzdem kam er am 8. Dezember als schwer leidender Mann zum letzten Mal in die Sitzung des Verwaltungsrats nach Karlsruhe und leitete sie in starkem Geist. Doch war dies sein letzter Dienst hienieden.

Zunehmende körperliche Schwäche fesselte ihn daraufhin ans Bett. Das war für den unermüdlichen, schaffensfreudigen Mann schon ein herbes Sterben. Die Kräfte nahmen schnell ab, auch setzte Fieber ein. Doch dachten wir kaum daran, dass der Herr ihn uns wegnehmen könnte. Auch er selbst hoffte mit uns auf Genesung. „Er kann mich wohl herausreißen“, meinte er einmal, „Er ist ja ein Rausreißer. Aber wenn es nochmals herausgeht, dann möchte ich hinein in einen höheren Grad der Ausgeburt Seines Sohnes. Dann gibt’s ganz neue Offenbarungen und ein noch klareres Zeugnis. Doch es gehe, wie es gehe, es geht mit mir nach dem Liebesrat meines Gottes.“

Eine große Erquickung waren ihm die Grüße und Briefe der Geschwister, die ihn im Gebet stützten. Alle hatten eine getroste Zuversicht, dass der Herr ihn uns noch einmal schenken werde. Er selber sagte einmal: „Ich warte immer noch auf eine Stunde, wo ich merke, ob es zum Besserwerden oder zum Heimgang sich wendet.“ Als er einmal durch besondere Tiefen leiblicher Not hindurchgegangen war, meinte er, d,er Tod sei diesmal sehr nahe gewesen. Hausvater Straßer, der an seinem Bett stand, fügte hinzu: „Aber der Heiland war auch da.“ „O ja“ entgegnete er sofort, „ich fühle mich umgeben von einer Lebenfülle.“

Am letzten ganzen Tag seines Lebens standen abends drei Brüder an seinem Lager und meinten, er sei schon bewusstlos. Auf einmal sprach er klar und vernehmlich die Worte: „Aus Licht in Licht!“ Nach dem Gebet der Brüder, als kaum das Amen gesprochen war, erhob der Sterbende seine rechte Hand. Aus seinem Munde kam’s in feierlichem Ton; „Und der Herr segne euch und behüte euch; der Herr lasse Sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig; der Herr erhebe Sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden! Amen.“ Unter dem Eindruck, dass er segnen könne, standen die Brüder in jenen heiligen Augenblicken. Segnend hat er von ihnen Abschied genommen. Die Segensworte waren die letzten Worte, die sie aus seinem Mund hörten.

Am Tag darauf, am 7. Januar 1927, um 19.30 Uhr schlief er im Frieden Gottes ein.