Unsere Aufgaben der alten Natur gegenüber

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Abschrift des Buches: Die zwei Naturen in dem Kinde Gottes
Verfasser: E. W. Bullinger (1874)

Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen:
Verlagsbuchhandlung Hermann Rathmann, Marburg an der Lahn (1957)

In englischer Sprache, hier erhältlich:
Two Natures in the Child of God

Siehe weitere Abschriften
Inhaltsverzeichnis

Die zwei Naturen in dem Kinde Gottes

VI. Unsere Aufgaben der alten Natur gegenüber

Wir haben Folgendes gesehen: Wenn auch die zwei Naturen in derselben Person nebeneinander wohnen, haben wir doch für jede derselben eine gewisse Verantwortung, welche nichts zu tun hat mit den Vorschriften, Grundsätzen, Anweisungen und Geboten der Menschen.

Unsere erste Aufgabe ist: Gottes Urteil über dieselbe anzuerkennen:

Sie als mit Christus gestorben betrachten

Das Wort Gottes gibt uns keine Lehre, ohne uns die nötige Erklärung zu geben. Die Heilige Schrift ist zu beidem nütze. Die Erklärung sagt uns, wie wir die Lehr anwenden sollen und zeigt uns, wie wir unsere Pflichten zu unserm Nutzen und Frieden erfüllen solle. Wenn wir also dies als unsere erste Aufgabe anerkennen, dann werden wir dafür halten,d ass unsere alte Natur mit Christus gestorben ist (Röm 6:11)

Wir werden nicht im Zweifel darüber gelassen, was damit gemeint ist. Der Vers beginnt: Also auch ihr. Worauf bezieht sich Also auch? Die vorhergehenden Verse sagen es uns: „Denn wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt* von der Sünde. Wenn wir aber mit Christo gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit ihm (wieder) leben werden, da wir wissen, dass Christus, aus (den) Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod herrscht nichtmehr über ihn. Denn was er gestorben ist, das ist er ein für allemal der Sünde0 gestorben, was er aber lebt er Gott (Röm 6:7-11). Also auch ihr, haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christo Jesu.

*Griech. (dedikaiotai) steht als gerechtfertigter da (es ist das Pefektum).

Beachten wir, dass nicht gesagt ist, dass wir uns selbst als tot zu fühlen, oder dass wir das auch zu verwirklichen haben; sondern wir sollen uns dafür halten (ansehen, rechnen, schätzen), dass wir in Gottes Augen wirklich tot sind und zwar so, als ob es eine vollendete Tatsache wäre.

Diese fünf Verse folgen als eine Erklärung und Veranschaulichung der im vorhergehenden Vers festgestellten Tatsache:
"Indem wir dies wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist (mit Christo)" (Röm 6:6).

Dieselbe Tatsache finden wir auch in Röm 7:6. "Jetzt aber sind wir von dem Gesetz (den Forderungen des Gesetzes)a losgemacht (oder entlastet), da wir dem gestorben sind, in welchen wir festgehalten wurden".

Dasselbe wird bezeugt in Gal 2, wo der Apostel eine wichtige und selbstständige Wahrheit betont durch Anwendung einer Redefigur (Epanadiplosis), welche im Griechischen mit demselben Wort „Christus“ den Satz beginnt und schließt, was diese Wahrheit verstärkt und hervorhebt, wodurch unsere Aufmerksamkeit auf sie gelenkt und an ihr festgehalten wird. (Gal 2:20).

„Christus bin ich mit (ihmI gekreuzigt; doch ich lebe, (und doch) nicht mehr ich, sonder er lebt in mir, Christus.“ (Gal 20:20)

So hielt sich der Apostel dafür, dass er dem Gesetz gestorben war. Deshalb sagt er, er würde tatsächlich ein Sünder sein, wenn er nun suchen sollte, in Christo gerechtfertigt zu werden (Gal 2:17); weil er vom Gesetz freigemacht ist, wenn er mit Christo starb. Sein nachträgliches Suchen nach Rechtfertigung, sogar durch Christum, würde eine praktische Verleugnung dieser großen geoffenbarten Tatsache sein, welche doch bereits vollendet ist.

So ist es auch unsere erste Pflicht, uns dafür zu halten, als ob wir tote Personen wären im Blick auf das Gesetz und alle seine Ansprüche an uns.

Das ist keine Sache des Gefühls, sondern den Glaubens. Solange wir uns von unseren Gefühlen leiten lassen, kommen wir nicht in den Genuss dieser Wahrheit. Wir sollen einfach Gott glauben. „Der Glaube kommt aus der Verkündigung (dem Hören der Predigt), die Verkündigung aber durch das Wort Gottes.“ (Röm 10:17) Gott hat dies große Tatsache in seinem Wort kungetan (sonst hätten wir sie nie erfahren); wir hören das Wort; der Glaube nimmt es an und hat Freue an dem, was er hört, und glaubt Gott, ganz abgesehen vom Gefühl. Unsere erste Aufgabe hinsichtlich der alten Natur ist die, dass wir Gottes Urteil über dieselbe annehmen und sie so ansehen (wie er es tut), nämlich dass sie mit Christo starb, als er gekreuzigt wurde.

Sie als tot betrachten

Unsere weiter Aufgabe ist es, den alten Menschen sowohl für das Gute wie für das böse als tot zu betrachten.

Wenn wir sagen gut, so meinen wir natürlich gut für Gott, gut in Gottes Augen, gut für die Ewigkeit, gut in Gottes Meinung, gut, was er als solches ansieht und anerkennen kann. In seinen Augen ist in der alten Natur (wie wir bereits gesehen haben) nichts Gutes. Wenn wir also sagen, wie haben das Gute in ihr nicht zu pflegen, so meinen wir nicht das, was der Mensch gut heißen würde, sondern das, was Gott als gut betrachtet. Wir haben die alte Natur in ihrer ganzen Güte wie in ihrer ganzen Schlechtigkeit für tot zu halten und alle Hoffnung aufzugeben, für Gott etwas aus ihr hervorzubringen, da unsere alte Natur vor ihm tatsächlich tot und begraben ist. Wenn Gott sagt, sie ist tot, so erwartet er von uns, zu glauben, dass sie tot ist, weil er sagt, sie ist es. Er erwartet von uns, dass wir sie als begraben ansehen.

Der natürliche Mensch mag religiöse und liebenswürdige Eigenschaften besitzen und pflegen, das Kind Gottes aber braucht und darf dies nicht. Denn wenn wir nach der neuen Natur wandeln und von ihr geleitet werden, was brauchen wir dann n och das Fleisch zu pflegen? Die neue Natur hat Christum und den Sinn Christi an Stelle der Religion. Das übertrifft bei weitem alles, was wir je durch Ausbildung der alten Natur hervorbringen könnten.

Dies führt uns zu einer dritten Aufgabe nämlich:

Nicht Vorsorge für das Fleisch zu treiben

sondern sich immer daran zu erinnern: dass das Fleisch nichts nützt (Röm 13:14; Joh 6:63). Das nennt man die Lehre Jesu, unseres anbetungswürdigen Herrn und Meisters. Aber, obwohl man sie so nennt, wünscht man sie doch nicht und will sie auch nicht haben. Auf jeden Fall will man sich aus der Lehre nur das heraussuchen, was einem gerade passt. Trotzdem lehr der Herr: das Fleisch (oder die alte Natur nützt nichts. Wenn wir seinem Urteil über dasselbe glauben, so werden wir dem Fleisch nie zumuten, in eigener Kraft etwas für Gott zu tun, sei es auf dem Wege der Anbetung oder der gottesdienstlichen Formen; wir werden nie das Fleisch nötigen, etwas zu tun, um Gerechtigkeit vor Gott zu erlangen. Wir werden dessen eingedenk sein, dass jede solche Gerechtigkeit wie ein unflätiges Kleid ist (Jes 64:6).

Das Fleisch kann sehr religiös gemacht werden. Und gerade darin unterscheidet sich die Religion vom Christentum. Die Religion hat es nur mit dem Fleisch zu tun. Alle ihre Satzungen sind von dem Fleisch, oder stehen in Verbindung mit demselben. Es sind lauter Dinge, welche das Fleisch erfüllen kann. In Jes 1 haben wir ein Bild von dem, was Religion ist. Als unser Herr auf die Erde kam, war diese Art der Religionsausübung auf ihrem Höhepunkt. Nie gab es eine genauere und peinlichere Beobachtung aller ihrer Satzungen und Gebräuche. Aber dass dies keine neue Natur geben, noch die alte ändern kann, zeigt die Tatsache, dass es gerade der religiöse Teil des Volkes war, der den Hern Jesum kreuzigte. Dahin bringt es eine Religion, selbst wenn sie von Gott gegeben ist, wenn sie durch die alte Natur verdorben und missbraucht wird.

Darauf beziehen sich Stellen, wie die folgende: „Hat der Herr Lust an Brandopfern und Schlachtopfern, gleichwie am Gehorsam der Stimme des Herrn? Siehe, Gehorchen ist besser als Schlachtopfer und Aufmerken besser als das Fett von Widdern.“ (1Sam 15:22)

Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater ist der: Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen und sich von der Welt unbefleckt zu halten (Jak 1:27). Das will sagen: Wenn es sich um Religion handelt, d. h. um äußere Handlungen und Übungen, so sind Taten der Barmherzigkeit und Güte weit reiner und besser als alle äußeren gottesdienstlichen Handlungen, wie Verneigungen und Kniebeugen; Bekreuzigungen und das gedankenlose Beten des Rosenkranzes; das sich Nahen mit den Lippen, die Beobachtungen von Tagen und das Halten von Festen (Jes 29:13; Mt 15:8).

Dies ist der wesentliche Inhalt des Briefes an die Kolosser, der gerade in dieser frage gipfelt: „Wenn ihr mit Christus den religiösen Satzungen der Welt gestorben seid*, was unterwerft ihr euch Satzungen (berühre nicht, koste nicht, betaste nicht, welches alles mit dem Gebrauch umkommt) n ach den Geboten und Lehren der Menschen!“ (Kol 2:20-23)

Der natürliche Mensch (das Fleisch) kann diese Satzungen verstehen und ihnen untertan sein, denn sie alle betreffen 'irdische Dinge.’

Wenn ihr nun mit Christus** auferstanden seid, so suchet was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet*** auf das was droben ist, nicht auf das was auf der Erde ist. Denn ihr seid gestorben**** und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.“ (Kol 3:1-3)

* Griechisch: apethanete, = starbet, nicht „tot seid“. Es ist der 1. Aorist.
** Synergerthete, auferstanden seid, auferweckt wurdet. Es ist der 1. Aorist.
*** Griechisch: phroneite = denken an. „Suchet“ bezeichnet die Handlung; „sinnet auf“ den Antrieb und Vorsatz.
**** Apethanete, 1. Aorist

So unterweist uns die Schrift, als neue Naturen nicht Vorsorge für das Fleisch zu treffen, es nicht mit der Nahrung großzuziehen, die es gerne hat, ihm nicht seinen Willen zu tun, auch nicht mit dem, was die Leute für gut halten. Die alte Natur ist durch und durch hochmütig. Darum sind jene Versammlungen gedrängt voll, wo praktisch gesprochen wird, wie man sagt, und wo die Zuhörer aufgefordert werden, dies und das zu tun (nicht, dass sie sich notwendigerweise hernach viel um das Tun bekümmern); doch immerhin befriedigt dies die alte Natur des religiösen Menschen. Die alte Natur, sogar im Kinde Gottes liebt es, Vorschrift auf Vorschrift, Vorschrift auf Vorschrift zu hören (Jes 28:10) Sobald man jedoch Gott ehrt und Christum verherrlicht, sein Wort erhöht und den Menschen erniedrigt - will es die alte Natur nicht hören. Wenn es nach ihr ginge, würden die Kirchen und Kapellen veröden, wo diese Lehre gepredigt wird und wo die Anbetung wahrhaftig im Geist geschieht. Alles das ists ihr verhasst, und sie wird es offen heraus sagen, dass ihr das ganz und gar missfällt. Umgekehrt: Wo Vorsorge für die getroffen wird, wo reichlich Musik gemacht wird, wo Vorschrift auf Vorschrift von der Kanzel verkündigt wird, da findet sich der alte Mensch in Massen ein.

Für Kinder Gottes liegen in der sogenannten Religion und den verfeinerten Genüssen der fleischlichen Gesinnung mehr Gefahren als in den groben und gewöhnlichen Lüsten des Fleisches. Ein Kind Gottes wird nicht so leicht und so willig eine solche Vorsorge für das Fleisch treffen. Wenn aber von anderen etwas zur Pflege des religiösen Lebens geschieht, was nicht offen mit Laster oder Unglauben, Weltgeist oder Unsittlichkeit in Verbindung steht, so wird ihm gerade das zum Fallstrick.

Der fünfte Vers redet von einer weiteren Aufgabe:

Tötet nun eure Glieder

die auf der Erde sind (Kol 3:5). Das klingt zunächst sonderbar, nachdem uns doch wiederholt gesagt worden ist, dass wir mit Christo gestorben sind. Es klingt auch praktisch. Aber wenn etwas praktisch sein soll, so muss es ausführbar sein. Es muss etwas sein, was wir wirklich tun können.

Das Wort töten (im Grundtext nekroo), bedeutet hier so viel wie behandeln, ansehen als getötet. Was die Schrift hier mit dem Wort meint, das ergibt sich deutlich aus den beiden anderen Stellen, wo es noch vorkommt: Röm 4:19, wo es von Abraham gebraucht ist: “Er war nicht schwach im Glauben, sah auch nicht auf seinen eigenen, schon erstorbenen Leib (er war fast hundert Jahre alt), noch auf das Abgestorbensein* des Mutterleibes der Sarah“

* Griechisch: nekrosis, verwandt mit nekroo.

Und Hebr 11:12: „Darum sind auch von einem, und zwar (einem) Gestorbenen viele geboren worden.“

Es handelt sich nicht darum, was das Wort im Lexikon bedeutet, oder wie es von den Griechen angewandt wurde, sondern, wie der Heilige Geist es gebraucht. Und wir sehen aus den eben genannten zwei Stellen, dass es auf jemand angewandt wurde, der tatsächlich noch am Leben war, aber erstorben (gestorben, es kann mit so gut wie tot übersetzt werden), d. h. unfähig, Leben zu erzeugen oder praktische Aufgaben zu erfüllen.

Weiter wird das Wort Kol 3:5 gebraucht und zwar nicht von der alten Natur selbst, sondern von ihren Gliedern, und die Ermahnung schließt sich folgerichtig an die Aussage in den vorhergehenden Versen an.

Sie beginnt mit nun (daher), und die Schlussfolgerung ist: Da ihr sehet, dass ihr mit Christus gestorben seid, so beschäftigt euch mit himmlischen und nicht mit irdischen Dingen, richtet euren Sinn auf Christus und auf die selige Tatsache, dass ihr in ihm vollendet seid und ass, wenn er in Herrlichkeit erscheint, ihr auch in Herrlichkeit geoffenbart werdet. Seid nicht schwach im Glauben, betrachtet nicht eure Glieder, welche auf Erden sind, sondern haltet sie für erstorben (so gut wie tot), da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen habt, der erneuert wird zu der völligen Erkenntnis* nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat. (Kol 3:9-10).

* Griechisch: epignosis (völlige oder vollkommene Erkenntnis)

Auf Grund der Tatsache, dass wir mit Christo gestorben sind und daher den alten Menschen ausgezogen und den neuen angezogen haben, sollen wir nun die Glieder unseres Leibes als erstorben (so gut wie tot) halten und sie als unvermögend und unfähig betrachten, irgendwelches Leben oder gute Werke hervorzubringen.

Alle sogenannten guten Werke, die von der alten Natur getan werden, sind tote Werke. Sie werden durch unsere Glieder gewirkt, welche (in Gottes Urteil) erstorben (so gut wie tot) sind. Nur das sind gute Werke, welche Gott selbst zuvor bereitet hat, dass wir darinnen wandeln sollen. und welche in der geistlichen Kraft der neuen Natur getan werden (Eph 2:10).

O, dass Gottes Urteil auch das unsere wäre! Dass wir gleich wie Abraham in dieser wichtigen Sache nicht schwach im Glauben sein möchten, sondern stark, Gott zu glauben, und dass wir dadurch freigemacht würden, unsere Wünsche auf das zu richten, was droben ist, wo Christus sitzt, zur Rechten Gottes, und zu warten auf unsere Offenbarung mit ihm in Herrlichkeit.

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VII. Unsere Aufgaben der neuen Natur gegenüber