Die siebzig Jahrwochen: Unterschied zwischen den Versionen

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(I. Zusammenhang und Gedankengang der Weissagung)
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===<big>Die kirchlich-messiansche Auffassung</big>===
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Wir wenden uns nun zur Einzelbetrachtung derjenigen Kapitel unseres Propheten, an deren Erklärung, wie oben am Schluss der Einleitung gezeigt wurde, die ganze kritische Frage über das Buch Daniels hängt. Gelingt es, die Unhaltbarkeit der modernen Auffassungen dieser Kapitel nachzuweisen, so ist das Buch selber ein so gewaltiges Zeugnis für seine Echtheit, dass die übrigen dagegen vorgebrachten Gründe ihr Gewicht verlieren.
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Und zwar beginnen wir mit Dan 9., weil diese Weissagung eine für uns schon längst vergangene Zeit zum Gegenstand hat, während die des 2. und 7. Kapitels in eine auch für uns noch zukünftige Epoche hinausblickt und sich daher eng mit der neutestamentlichen, johanneischen Apokalypse zusammenschliesst. Es soll nun zunächst eine Entwicklung des Inhalts jener Engelsoffenbarung gegeben werden, sowie derselbe  zwar mit mancherlei Modifikationen im Einzelnen, aber dem Wesen nach zu allen Zeiten gleichmäßig von der Kirche ist aufgefasst worden. Denn einen Überblick über die Geschichte der Auslegung unserer Stelle bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts kann H a v e r n i c k (Kommentar S. 393, 395) mit der Bemerkung schließen: "Dass im L e b e n  C h r i s t i der Zielpunkt der 70 Wochen zu suchen sei, war bei aller Verschiedenheit im Einzelnen doch allgemeines Zugeständnis; und die Verschiedenheit entstand nur teils aus der Verschiedenartigkeit der angenommenen Anfangspunkte, teils aus der Verschiedenartigkeit in der Berechnung des Lebens Jesu, teils aus der auf die manigfaltigste Weise zugrunde gelegten Zählmethode." An die positive Darlegung unserer Absicht wird sich dann eine Kritik der modernen Auffassungen rehen. Da eine sprachliche Detailerklärung außerhalb unserer Aufgabe liegt, so verweisen wir in dieser Hinsicht im Allgemeinen auf H e n g s t e n b e r g s Christologie des A. T., II, S. 401-581, sowie auf H ä v e n i c k s Kommentar.<br/><br/>
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=='''Erstes Kapitel'''==
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===<big>'''Die kirchlich-messianische Auffassung'''</big>===
  
 
===<big>'''I. Zusammenhang und Gedankengang der Weissagung'''</big>===
 
===<big>'''I. Zusammenhang und Gedankengang der Weissagung'''</big>===
  
<big>'''Dan 9'''</big><br/>
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Unser Kapitel versetzt uns in das erste Jahr Darius des Meders. Haben wir unter diesem, wie noch immer das Wahrscheinlichste, Epaxares II. zu verstehen, in dessen Namen sein Neffe, Schwiegersohn und Nachfolger Kyrus als Oberbefehlshaber der gesamten medopersischen Heeresmacht 538 v. Chr. Babylon eroberte: so fällt also das Ereignis unseres Kapitels ins Jahr 537, mithin ein Jahr vor der von Kyrus den Juden gegebenen Erlaubnis zur Rückkehr aus dem Exil und 69 Jahre nach der 606 erfolgten Wegführung Daniels und also auch nach dem Beginn des Exils
  
Wir wenden uns nun zur Einzelbetrachtung derjenigen Kapitel unseres Propheten, an deren Erklärung, wie oben am Schluss der Einleitung gezeigt wurde, die ganze kritische Frage über das Buch Daniels hängt. Gelingt es, die Unhaltbarkeit der modernen Auffassungen dieser Kapitel nachzuweisen, so ist das Buch selber ein so gewaltiges Zeugnis für seine Echtheit, dass die übrigen dagegen vorgebrachten Gründe ihr Gewicht verlieren.
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Wir begreifen, dass der fromme Israelit, der mit so lauterer Liebe an Jehova und seinem Volke hing, gerade um diese Zeit sich angetrieben fand, die Weissagung Jeremias von den siebzig Jahren, welche über den Trümmern von Jerusalem hingehen sollten, zum Gegenstand seines Forschens und Nachsinnens zu machen. Er forschte aber in der Schrift mit Gebet. In heißem Flehen schüttet er sein Herz vor dem Bundesgott aus und ruft ihn an um Gnade für sein Volk, über welches sein Name genannt ist, um Wiederherstellung des Heiligtums und der Stadt. Es ist
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+das eines jener biblischen Gebete, wo einem das Erklären vergeht, wo man fühlt, die Worte müssen sich selbst erklären in unseren Herzen, wenn man Sinn und Bedeutung derselben fassen will. Daniel, der treue und gerechte Knecht Gottes, geht so ganz ein auf die Schuld und Sünde seines Volkes, sein priesterlicher Dienst identifiziert sich so völlig damit, tut so innig im Namen von ganz Israel Buße, dass wir hier etwas ahnen von dem inneren Hergang der büßenden Stellvertretung und über Daniel hinaus in die Gebetsopfer von Gethsemane und Golgatha hineinschauen. Wie wir also oben im allgemeinen gesehen haben, dass des Propheten eigenes Leben die typische Grundlage zu seiner Prophetie bildet, so geht auch in diesem speziellen Fall der Weissagung von der vollkommenen Buße der Sünde ein Vorbild von ihr voraus. Daniel stellt uns in seinem Bußgebet jenen höchsten Priester typisch dar, welcher, indem er hingerafft wurde (Dan 9.26), die Schlachtopfer und Speiseopfer des alten Bundes aufhören machte (Dan 9:27), weil er selbst die Schuld gesühnt und ewige Gerechtigkeit wiedergebracht hat (Dan 9:24). Für diese Offenbarung des neutestamentlichen Hohenpriestertums musste Daniel eben jetzt, da er selbst Priesteramtes gepflegt hatte, besonders empfänglich sein. Und nun, ist wohl dieses Gebet, das man nicht lesen kann, ohne dass es Mark und Bein durchdringt, in trügerischer Weise fingiert? Es zeugt von dem Mangel unserer Kritik an tieferem ernsterem Sinn für religiöse Wahrheit und Wahrhaftigkeit, dass sie über selche Fragen so leicht hinwegkommt.
  
Und zwar beginnen wir mit Dan 9., weil diese Weissagung eine für uns schon längst vergangene Zeit zum Gegenstand hat, während die des 2. und 7. Kapitels in eine auch für uns noch zukünftige Epoche hinausblickt und sich daher eng mit der neutestamentlichen, johanneischen Apokalypse zusammenschliesst. Es soll nun zunächst eine Entwicklung des Inhalts jener Engelsoffenbarung gegeben werden, sowie derselbe  zwar mit mancherlei Modifikationen im Einzelnen, aber dem Wesen nach zu allen Zeiten gleichmäßig von der Kirche ist aufgefasst worden. Denn einen Überblick über die Geschichte der Auslegung unserer Stelle bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts kann H a v e r n i c k (Kommentar S. 393, 395) mit der Bemerkung schließen: "Dass im L e b e n  C h r i s t i der Zielpunkt der 70 Wochen zu suchen sei, war bei aller Verschiedenheit im Einzelnen doch allgemeines Zugeständnis; und die Verschiedenheit entstand nur teils aus der Verschiedenartigkeit der angenommenen Anfangspunkte, teils aus der Verschiedenartigkeit in der Berechnung des Lebens Jesu, teils aus der auf die manigfaltigste Weise zugrunde gelegten Zählmethode." An die positive Darlegung unserer Absicht wird sich dann eine Kritik der modernen Auffassungen rehen. Da eine sprachliche Detailerklärung außerhalb unserer Aufgabe liegt, so verweisen wir in dieser Hinsicht im Allgemeinen auf H e n g s t e n b e r g s Christologie des A. T., II, S. 401-581, sowie auf H ä v e n i c k s Kommentar.
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Indem wir nun an die Offenbarung heranzutreten wagen, welche dem Propheten auf sein Gebet hin zuteil wird (Dan 9:24-27), müssen wir vor allem daran erinnern, dass es Engelssprache ist, die in diesen vier kurzen Versen geredet wird, der Lapidarstil des oberen Heiligtums. Daher ist das Verständnis für uns unreine Menschen (Jes 6:5) so schwer, und es gibt keine Auslegung, welche alle Dunkelheiten und Schwierigkeiten dieser Engelsworte vollkommen überwunden und ins Klare gesetzt hätte. Indessen wenn die göttliche Antwort auch immer viel weiter greift als die menschliche Frage, wenn Gott über unser Bitten und Verstehen tut: so schließt sich doch begreiflicherweise die Antwort an die Frage und die Erhörung an die Bitte an. Und so müssen wir uns, um die Worte des Engels möglichst zu verstehen, Daniels Gedanken und Gefühle, wie sie seinem Gebet zugrunde liegen, uns lebendig zu vergegenwärtigen suchen.

Version vom 22. Mai 2020, 16:55 Uhr

'Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel vorher:
Charakteristik der Buches Daniels


In Bearbeitung

ZWEITER ABSCHNITT:

Die siebzig Jahrwochen

Dan 9

Wir wenden uns nun zur Einzelbetrachtung derjenigen Kapitel unseres Propheten, an deren Erklärung, wie oben am Schluss der Einleitung gezeigt wurde, die ganze kritische Frage über das Buch Daniels hängt. Gelingt es, die Unhaltbarkeit der modernen Auffassungen dieser Kapitel nachzuweisen, so ist das Buch selber ein so gewaltiges Zeugnis für seine Echtheit, dass die übrigen dagegen vorgebrachten Gründe ihr Gewicht verlieren.

Und zwar beginnen wir mit Dan 9., weil diese Weissagung eine für uns schon längst vergangene Zeit zum Gegenstand hat, während die des 2. und 7. Kapitels in eine auch für uns noch zukünftige Epoche hinausblickt und sich daher eng mit der neutestamentlichen, johanneischen Apokalypse zusammenschliesst. Es soll nun zunächst eine Entwicklung des Inhalts jener Engelsoffenbarung gegeben werden, sowie derselbe zwar mit mancherlei Modifikationen im Einzelnen, aber dem Wesen nach zu allen Zeiten gleichmäßig von der Kirche ist aufgefasst worden. Denn einen Überblick über die Geschichte der Auslegung unserer Stelle bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts kann H a v e r n i c k (Kommentar S. 393, 395) mit der Bemerkung schließen: "Dass im L e b e n C h r i s t i der Zielpunkt der 70 Wochen zu suchen sei, war bei aller Verschiedenheit im Einzelnen doch allgemeines Zugeständnis; und die Verschiedenheit entstand nur teils aus der Verschiedenartigkeit der angenommenen Anfangspunkte, teils aus der Verschiedenartigkeit in der Berechnung des Lebens Jesu, teils aus der auf die manigfaltigste Weise zugrunde gelegten Zählmethode." An die positive Darlegung unserer Absicht wird sich dann eine Kritik der modernen Auffassungen rehen. Da eine sprachliche Detailerklärung außerhalb unserer Aufgabe liegt, so verweisen wir in dieser Hinsicht im Allgemeinen auf H e n g s t e n b e r g s Christologie des A. T., II, S. 401-581, sowie auf H ä v e n i c k s Kommentar.

Erstes Kapitel

Die kirchlich-messianische Auffassung

I. Zusammenhang und Gedankengang der Weissagung

Unser Kapitel versetzt uns in das erste Jahr Darius des Meders. Haben wir unter diesem, wie noch immer das Wahrscheinlichste, Epaxares II. zu verstehen, in dessen Namen sein Neffe, Schwiegersohn und Nachfolger Kyrus als Oberbefehlshaber der gesamten medopersischen Heeresmacht 538 v. Chr. Babylon eroberte: so fällt also das Ereignis unseres Kapitels ins Jahr 537, mithin ein Jahr vor der von Kyrus den Juden gegebenen Erlaubnis zur Rückkehr aus dem Exil und 69 Jahre nach der 606 erfolgten Wegführung Daniels und also auch nach dem Beginn des Exils

Wir begreifen, dass der fromme Israelit, der mit so lauterer Liebe an Jehova und seinem Volke hing, gerade um diese Zeit sich angetrieben fand, die Weissagung Jeremias von den siebzig Jahren, welche über den Trümmern von Jerusalem hingehen sollten, zum Gegenstand seines Forschens und Nachsinnens zu machen. Er forschte aber in der Schrift mit Gebet. In heißem Flehen schüttet er sein Herz vor dem Bundesgott aus und ruft ihn an um Gnade für sein Volk, über welches sein Name genannt ist, um Wiederherstellung des Heiligtums und der Stadt. Es ist +das eines jener biblischen Gebete, wo einem das Erklären vergeht, wo man fühlt, die Worte müssen sich selbst erklären in unseren Herzen, wenn man Sinn und Bedeutung derselben fassen will. Daniel, der treue und gerechte Knecht Gottes, geht so ganz ein auf die Schuld und Sünde seines Volkes, sein priesterlicher Dienst identifiziert sich so völlig damit, tut so innig im Namen von ganz Israel Buße, dass wir hier etwas ahnen von dem inneren Hergang der büßenden Stellvertretung und über Daniel hinaus in die Gebetsopfer von Gethsemane und Golgatha hineinschauen. Wie wir also oben im allgemeinen gesehen haben, dass des Propheten eigenes Leben die typische Grundlage zu seiner Prophetie bildet, so geht auch in diesem speziellen Fall der Weissagung von der vollkommenen Buße der Sünde ein Vorbild von ihr voraus. Daniel stellt uns in seinem Bußgebet jenen höchsten Priester typisch dar, welcher, indem er hingerafft wurde (Dan 9.26), die Schlachtopfer und Speiseopfer des alten Bundes aufhören machte (Dan 9:27), weil er selbst die Schuld gesühnt und ewige Gerechtigkeit wiedergebracht hat (Dan 9:24). Für diese Offenbarung des neutestamentlichen Hohenpriestertums musste Daniel eben jetzt, da er selbst Priesteramtes gepflegt hatte, besonders empfänglich sein. Und nun, ist wohl dieses Gebet, das man nicht lesen kann, ohne dass es Mark und Bein durchdringt, in trügerischer Weise fingiert? Es zeugt von dem Mangel unserer Kritik an tieferem ernsterem Sinn für religiöse Wahrheit und Wahrhaftigkeit, dass sie über selche Fragen so leicht hinwegkommt.

Indem wir nun an die Offenbarung heranzutreten wagen, welche dem Propheten auf sein Gebet hin zuteil wird (Dan 9:24-27), müssen wir vor allem daran erinnern, dass es Engelssprache ist, die in diesen vier kurzen Versen geredet wird, der Lapidarstil des oberen Heiligtums. Daher ist das Verständnis für uns unreine Menschen (Jes 6:5) so schwer, und es gibt keine Auslegung, welche alle Dunkelheiten und Schwierigkeiten dieser Engelsworte vollkommen überwunden und ins Klare gesetzt hätte. Indessen wenn die göttliche Antwort auch immer viel weiter greift als die menschliche Frage, wenn Gott über unser Bitten und Verstehen tut: so schließt sich doch begreiflicherweise die Antwort an die Frage und die Erhörung an die Bitte an. Und so müssen wir uns, um die Worte des Engels möglichst zu verstehen, Daniels Gedanken und Gefühle, wie sie seinem Gebet zugrunde liegen, uns lebendig zu vergegenwärtigen suchen.