Die Tiere und der Mensch: Unterschied zwischen den Versionen

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(Das vierte Weltreich und sein Verhältnis zum messianischen Reich)
(Das vierte Weltreich und sein Verhältnis zum messianischen Reich)
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Da nun so die Gottwidrigkeit und das Weltwesen nach innen und außen und oben auf die höchste Spitze getrieben ist, so wird dem vierten Tier nicht bloß die Herrschaft genommen, wie den drei ersten (V. 12), sondern es erfolgt ein schreckliches Gottesgericht über dasselbe und damit über die Weltmacht überhaupt und für immer (V. 11.26). Dieses Gericht wird mit großer Feierlichkeit als von Gott selbst ausgehend geschildert (V. 9.10), anzuzeigen, dass es sich jetzt nicht mehr nur um politische Ereignisse und Umwälzungen handelt, sondern um das Verhältnis der ganzen Welt- und Völkergeschichte zu dem lebendigen Gott selbst und um das Gesamtergebnis ihrer Entwicklung vor Seinen Augen. Dies ist aber ein solches, dass die Weltmacht in den Brand des Feuers geworfen werden muss (V. 11).
 
Da nun so die Gottwidrigkeit und das Weltwesen nach innen und außen und oben auf die höchste Spitze getrieben ist, so wird dem vierten Tier nicht bloß die Herrschaft genommen, wie den drei ersten (V. 12), sondern es erfolgt ein schreckliches Gottesgericht über dasselbe und damit über die Weltmacht überhaupt und für immer (V. 11.26). Dieses Gericht wird mit großer Feierlichkeit als von Gott selbst ausgehend geschildert (V. 9.10), anzuzeigen, dass es sich jetzt nicht mehr nur um politische Ereignisse und Umwälzungen handelt, sondern um das Verhältnis der ganzen Welt- und Völkergeschichte zu dem lebendigen Gott selbst und um das Gesamtergebnis ihrer Entwicklung vor Seinen Augen. Dies ist aber ein solches, dass die Weltmacht in den Brand des Feuers geworfen werden muss (V. 11).
                         
 
  
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Auch hier tritt die Weissagung wieder in Kontrast mit der unter uns, selbst unter vielen Christen und Theologen gangbaren Art, die christliche Geschichte und die Aufgabe des Christentums in der jetzigen Weltzeit aufzufassen. Hatten wir es in dieser Beziehung im vorigen Abschnitt mit der allgemeinen Weltgeschichte zu tun, so jetzt vorzugsweise mit der Kirchengeschichte, die sich ja ganz innerhalb des vierten Reiches bewegt. Das Eigentümliche und Auffallende an der danielischen Darstellung der vier Weltreiche ist nämlich, dass die erste Erscheinung Christi im Fleisch, seine Kirche und ihre Einfluss auf die Weltentwicklung unberücksichtigt und unerwähnt bleibt. Das vierte Reich, obwohl seit anderthalb Jahrtausenden christianisiert, wird von den früheren heidnischen Reichen als heidnischen, sowie von seiner eigenen heidnischen Vergangenheit nicht unterschieden; es wird im Gegenteil als das schrecklichste und in letzter Instanz als das widergöttlichste aller Reiche dargestellt. Gott redet von dem Weltreich auch in seiner christlichen Periode, ohne seiner Christenheit irgendwie zu gedenken; nur von seiner schließlichen Antichristlichkeit ist die Rede, Warum? Wei Christi Reich, sowie es bei seiner ersten Erscheinung gestiftet wurde, nicht dieser Welt angehört (vgl. Joh 18:36), während es sich bei Daniel bloß um das Schicksal der Weltreiche handelt, so dass auch das Reich Gottes erst an dem Punkt hervorgehoben werden kann, wo es wirklich eine äußere Macht in der Welt wird, nämlich bei der zweiten Ankunft Christi. Was wir hieraus lernen, das ist etwas sehr Wichtiges: nämlich dass auch in der christlichen Periode der Weltgeschichte die alte Weltgestalt ihrem Wesen nach noch fortdauert, dass die äußere Christlichkeit welche seit 1500 Jahren die Reiche dieser Welt angenommen haben, noch lange nicht die wahre Christlichkeit ist, sondern dass das Reich Gottes seinem Wesen n ach so lange ein leidendes und verborgenes bleibt, bis der Herr wiederkommt (Kol 3:3 f.; Röm 8:17; 2Tim 2:11.12). R o o s S. 70: "Das römische Reich war ein Weltreich, da es noch heidnisch war, es ist aber auch ein Weltreich geblieben, da es nach und nach christlich wurde."
  
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Auch hier steht Daniel keineswegs allein, sondern hat das ganze N. T. hinter sich. Hier wird uns nämlich klar, warum die Apostel die Ankunft des Herrn so sehnsüchtig entgegensehen, alles im Blick auf dasselbe tun und das ganze Christenwesen in viel engere Beziehung zu ihr setzen, als wir es gewohnt sind. Auch sie, die noch nach der ersten Erscheinung Christi leben, stellen noch ganz wie Daniel den jetzigen Äon dem künftigen, mit der Parusie Christi beginnenden entgegen als ein arges, dem Wesen nach heidnisches Weltalter, dessen Gott der Teufel ist, und das man nicht liebgewinnen, dem man sich nicht gleichstellen kann, ohne die Sache Christi zu verlassen (Gal 1:4; Eph 2:2; 2Kor 4:4; 2Tim 4:10; Röm 12:2; vgl. 1Kor 1:20; 1Kor 2:6.8; 1Kor 3:18); auch sie wissen, wie Daniel, nur davon, dass das Wesen dieser Welt vergeht; das Christentum hat in ihren Augen nicht die Bestimmung,  jetzt schon die Welt zu verchristlichen, sondern Seelen aus diesem gegenwärtigen argen Weltlauf heraus zu retten, damit sie nicht mit der Welt verdammt werden. So bestimmt den Zweck Christi und des Christentums derselbe Apostel, der das Evangelium am lautesten in seiner unbeschränkten Universalität verkündigt hat (1Kor 7:31; vgl. 1Jo 2:15-17; Gal 1:4; 1Kor 11:32). Der Herrschaft und des Reiches teilhaftig zu sein, ist jetzt noch nicht Sache der Christen und des Christentums, sondern es ist nur erst Gegenstand des Wunsches und der Hoffnung für sie (1Kor 4:8; 2Tim 2:12). In dem gegenwärtigen Äon ist es von dem Herrn noch nicht auf das Ganzem sondern auf das Einzelne, noch nicht auf das Äußere, sondern auf das Innere, noch nicht auf das Große, sondern auf das Geringe und Niedrige, auf Sammlung einer Gemeine abgesehen, die dann im Millenium zur Herrschaft mit ihm berufen wird (Mt 19:28; Mt 5:5; Lk 12:32; Lk 22:28-30; Röm 5:17; 1KOr 6:2; Offb 1:6; Offb 2:26-28; Offb 3:21; Offb 20:4). Dazu sind alle äußeren, christlichen Anstalten, kirchliche und staatliche, nur Mittel, für deren Darreichung  und Erhaltung wir dankbar, für deren Belebung wir wirksam sein sollen, aber ohne zu vergessen, dass das nicht Wesen ist, sondern vorübergehende Form, an deren Stelle der Herr eine viel vollkommenere zu setzen verheißen hat.*)
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:''*) R o o s, indem er das Verhältnis der Kirche zum Staat unter dem vierten Reich überblickt, sagt unter anderem S. 123 f.: "Nach der Reformation zogen die protestantischen Regenten die Kirchenrechte mit gutem Willen der Gemeinen wieder an sich und übten sie durch ihre Consistoria aus, womit denn auch ein jedes Glied der Kirche zu dieser Zeit von Herzen zufrieden sein soll. Aber doch ist diese Einrichtung noch nicht das, was werden soll. Vergeblich sucht man die Rechte, welche die Regenten, solange das vierte Reich steht, in Kirchensachen ausüben, aus der Hl. Schrift zu beweisen; sie haben ihren Grund in dem Notstand der Kirche. Die beste Einrichtung wird aber die Jes 49:7.23; Jes 60:3.10-12 beschriebenes sein. Siehe da wird die Gemeinde der Heiligen frei sein und ihre königlichen Rechte als die Braut des Lammes aus Erden ausüben." Das ist S p e n e r s Hoffnung besserer Zeiten.''
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Die Gemeinde der Gläubigen, die
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Version vom 1. Juni 2020, 16:59 Uhr

Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel vorher:
Die siebzig Jahrwochen


In Bearbeitung

DRITTER ABSCHNITT:

Die vier Tiere und der Menschensohn bei Daniel

Die exegetische Streitfrage über die Weltmonarchien des zweiten und siebten Kapitels im Buch Daniels ist dem Wesen nach die gleiche wie die über die siebzig Jahrwochen. Die moderne Kritik lässt nach einigen älteren Vorgängen, namentlich von Ephräm dem Syrer und Grotius, auch diese Weissagung nur bis auf Antiochus Epiphanes herab reichen; wir dagegen haben uns schon vorläufig zu der kirchlichen Auffassung bekannt, welche in der vierten Monarchie das römische Reich sieht, und von welcher L u t h e r sagen kann, in dieser Deutung und Meinung sei alle Welt einig. (vgl. W i e s e l e r, die 70 Wochen, S. 146ff., der auf die älteste Geschichte der Auslegung eingeht. J o s e p h u s schon versteht das vierte Reich vom römischen). Da das zweite und namentlich das siebte Kapitel von uns im ersten Abschnit ausfürhlicher besprochen wurde, so ist nicht nötig hier auf eine genauere Entwicklung ihres Inhalts einzugehen, sondern wir verweisen für die Gesamtanschauung der Sache auf das dort Gesagte, für die Erklärung des Einzelnen neben H ä v e r n i c k s Kommentar besonders auf die Auslegung H o f m a n n s (Weiss. u. Erf. I, S 278-291), mit welchem wir hier nun zu unserer Freude in allen Hauptsachen Hand in Hand gehen können. Richtige Gesichtspunkte, besonders zur Beurteilung der modernen Auffassung, gibt auch H. L. R e i c h l in seiner kleinen Abhandlung "die vier Weltreiche des Propheten Daniel" (Studien und Kritiken, 1848, IV, S 843-962). Wir werden also diesmal mit der Kritik der gegnerischen Ansichten beginnen und erst, nachdem dieselben beseitigt sind, einige positive Andeutungen zum näheren Verständnis hinzufügen, welche uns dann den Übergang zu den Tieren der Offenbarung Johannis bahnen sollen, deren erstes eine Zusammensetzung der vier danielischen ist.

Erstes Kapitel

I. Der gegenwärtige Stand der Frage

Die Gegner sind nun auch hier unter sich selber nicht einig, sondern gehen in drei Gruppen auseinander, als deren Repräsentanten wird die drei Hauptkommentatoren Daniels, welche die moderne Ansicht vertreten; B e r t h o l d t, v. L e n g e r k e und H i t z i g betrachten können. Da nämlich nach Abzug der römischen Monarchie eigentlich nur drei Reiche übrig bleiben, das babylonische, medopersische und griechische, so handelt es sich für die Gegner darum, aus diesen dreien vier zu machen, und das tun sie auf verschiedene Weise. B e r t h o l d t erklärt die erste Monarchie für die babylonische, die zweite für die medopersische, die Dritte für das Reich Alexanders, die vierte für das seiner Nachfolger. Er hilft sich also dadurch, dass er die dritte in zwei auseinander legt. Er versteht also unter dem ersten Reich das babylonische, unter dem zweiten das medische, unter dem dritten das persische unter dem vierten das Alexanderes und seiner Nachfolger. Gleichsam um die Möglichkeiten zu erschöpfen, schlägt H i t z i g den nun allein noch übrigen Weg ein und teilt die erste Monarchie, so dass ihm das erste Reich dasjenige Nebukadnezars, das zweite das seines Nachfolgers Baltasar (Belsazar), das dritte das medopersische, das vierte das Alexanders und seiner Nachfolger ist. Dies indes nur im zweiten Kapitel; im siebten legt er anders aus. Weil Daniel dieses Gesicht nach Nebukadnezars Tod und unter Belsazars Regierung erhielt, so sei hier unter dem ersten Reich dasjenige Belsazars, unter dem zweiten das medische, unter dem dritten das persische, unter dem vierten das Alexanders und seiner Nachfolger zu verstehen.

Schon J a h n ist Hitzig darin vorangegangen, in den beiden Kapiteln verschieden auszulegen; konnte aber nirgends mit seiner Ansicht durchdringen. Es ist diese Auseinanderreißung der zwei Offenbarungen so ganz gegen den natürlichen Eindruck, den jeder Leser des Propheten empfängt, das wir unsere Leser mit einer Widerlegung der Hitzig'schen Ansicht nicht aufhalten zu dürfen glauben. Sein Auffassung von Kap. 2, schon 1832 in den Heidelberger Jahrbüchern vorgetragen, hat zwar die Zustimmung R e d e p e n n i n g s gefunden (Stud. und Krit. 1833, S 863) beseitigt sich aber durch die einfache schon von v. L e n g e r k e geltend gemachte und von Hitzig S. 33 nicht entkräftete Beobachtung, dass Dan 2. 7. 8 Königreich und König durchweg in der Weise zusammenfallen, dass nie und nirgends mehrere aufeinander folgende Könige desselben Reiches genannt sind, sondern wo ein Herrscher besonders hervortritt wie Dan 2:37.38 Nebukadnezar; Dan 8:5 Alexander, er immer als Repräsentant, als die Personifikaktion dieses gesamten Weltreiches erscheint. Wenn sodann Hitzig im 2. Kap die medopersische Monarchie zusammennimmt, im 7. aber die medische und persische trennt: so können wir hierin nur einen Beweis jener exegetischen Willkür sehen, die dem heiligen Buche von vorn herein keine in sich vernünftige und folgerichtige Anschauung zutraut (vgl. S. 98f.), und der daher keine Inkonsequenz und Unwahrscheinlichkeit der Auslegung zu groß ist, um nur das a priori feststehende Resultat zu gewinnen, dass die Weissagung nicht über Antiochus hinausreiche.

Nach dem allem erscheinen uns die Abweichungen H i t z i g s von v. L e n g e r k e zu unbegründet und unbedeutend, um beide gesondert zu behandeln; in der Hauptsache, dass Alexander und seine Nachfolger zusammen zu nehmen seien und die vierte Monarchie bilden, stimmen beide gegen Bertholdt zusammen. Eben daher darf wohl die Ansicht dieses letzteren Gelehrten jetzt als veraltert angesehen werden, da sie von den neueren Vertretern der modernen Gesamtauffassung, zu denen auch noch E w a l d *) gehört, einstimmig aufgegeben ist. Man fühlt jetzt allgemein, wie textwidrig und unpassende es ist, bei der vierten Monarchie, der schrecklichsten von allen, welche die ganze Erde verschlingt und zertritt und zermalmt (Dan 7:23), an die verhältnismäßig so schwachen und unbedeutenden Reiche der Diadochen zu denken. Eine ausführliche Widerlegung der Bertholdt'schen Meinung hat überdies schon Hengstenberg gegeben (Beitr. 203ff.) Als die herrschende Ansicht der Gegner dürfen wir daher die L e n g e r k e - E w a l d - H i t z i g 'sche bezeichnen,welcher auch D e W e t t e (a.a.D. S 381), L ü c k e (a.a.D S. 45) u. an. sich anschließen, und wonach unter dem ersten Reich das babylonische, unter dem zweiten das medische unter dem dritten das persische, unter dem vierten das Alexanders und seiner Nachfolger zu verstehen ist. Mit dieser Ansicht haben wir es im Folgenden zu tun.

*) Mit einigen geringen Modifikationen s. a.a.d S. 558ff. E w a l d s Hypothese enthält auch hier wieder ein unwillkürliches Zeugnis für die Wahrheit. Er nimmt an, der Verfasser des Buches denke sich unter den vier Reichen das chaldäische, medische, persische und griechische; nun gehöre aber das persische und medische zusammen, wie der Verf. selbst dadurch andeute, dass er Kap 8 beide unter dem Bild eines zweigehörnten Widders zusammen begreife; er müsse also wohl ein Buch benutzt haben, das unter den vier Reichen das a s s y r i s c h e, chaldäische, medopersische und griechische verstand. Damit ist eigentlich zugestanden, es sei im Text außer den drei zuletzt genannten Monarchien noch eine vierte enthalten. Aber um nur nicht über Antiochus herunter gehen zu müssen, greift man lieber rein willkürlich (gegen Dan 2:37.38) über Nebukadnezar zurück und setzt die vierte Monarchie vorn statt hinten an.

Die Bekämpfung derselben ist insofern schwierig, als gerade über die zweite und dritte Monarchie, um welche es sich hier zunächst handelt, der Text in beiden Kapiteln aus früher entwickelten Gründen ziemlich hinweggeht (Dan 2:32.39; Dan 7:5.6.17). Dagegen haben wir auch wieder einen großen Vorteil dadurch, dass der zweite Teil unseres Buches (Dan 8. und Dan 10-12) sich über eben diese Monarchien ausführlich verbreitet. Hier ist ein fester, über allen Streit erhabener Punkt, von welchem aus der Kampf geführt werden kann. Wir beginnen denselben daher mit einem allgemeinen Vergleich der auf die Weltmacht bezüglichen Gesichte des ersten und zweiten Teils.

II. Kritik der modernen Auffassung

Vergleich der Gesichte des 1. und 2. Teils

Die moderne Auffassung des Buches Daniels erkennt den Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil desselben, wie wir ihn oben entwickelt haben, den Unterschied zwischen Weissagungen, welche nur die nähere Zukunft betreffen, nicht an. Nach ihr geht das 2. und 7. Kapitel, wie das 8. und 11. nur auf Antiochus Epiphanes; sie alle sind vaticania post eventum und wiederholen immer dasselbe, nur unter anderen Formen. Es wurde schon in der Einleitung darauf hingewiesen, welche ein geistlose Monotonie dadurch unserm Buch aufgebürdet wird. Und man darf hiergegen nicht etwas einwenden, das 7. Kapitel sei doch jedenfalls eine Wiederholung des 2. und das 11. eine Wiederholung des 8.; denn nicht nur ist immer noch ein großer Unterschied, ob ich etwas zweimal oder ob ich es vier- und fünfmal sage, sondern wir haben auch gesehen, dass das 7. Kap. gegenüber den 2 und das 11. gegenüber dem 8. nicht bloße Wiederholungen enthält, sondern teils andere Seiten, teils nähere Entwicklungen derselben Sache, was z. B. beim 8. Kapitel gegenüber dem 7.. nicht in entsprechender Weise der Fall wäre. Jetzt wird es nun unsere Aufgabe sein, zu zeigen, dass wirklich ein wesentlicher Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil besteht, und ass mithin die gegnerische Ansicht mit dem Text des ersten Teiles unvereinbar ist.

1) Wir wollen mit dem einleuchtendstem Punkt beginnen, mit dem Schluss der Gesichte. Mit 2. und 7. Kapitel erscheint beide Male nach den vier Weltmonarchien und zum Gericht über dieselben das messianische Reich, dort unter dem Bild des Steines, welcher das Metallbild zertrümmert, hier in der Gestalt des Menschensohnes, welchem die Herrschaft über alle Welt gegeben wird. Im 8. und im 11-12. Kapitel findet sich davon nichts. Jenes schließt einfach mit dem Tod des Antiochus (Dan 8:25), und dieser Unterschied des Gesichts von den beiden früheren musste sicher dem Propheten selbst gewaltig auffallen: nach dem Gericht über den Kap. 7 geschilderten Feind des Reiches Gottes erscheint der Messias, um für immer die Weltherrschaft einzunehmen; nach dem Tode des im 8. Kapitel geschilderten Feindes, in welchem alle den Antiochus erkennen, erscheint er noch nicht. Wie können nun die beiden Feinde identisch sein?

Allein man beruft sich auf Dan 12:2.3: da sei ja deutlich nach dem Tode Antiochus und nach der durch diesen König über Israel hereinbrechenden Drangsalszeit (Dan 11.45; Dan 12:1) die Auferstehung und somit der Beginn des messianischen Reiches verheißen. Das ist aber eben das Charakteristische, dass hier nur von der Auferstehung die Rede ist, also von dem, was an den Einzelnen geschehen soll , während das 2. und das 7. Kapitel von dem Sturz der Weltreiche durch das Messiasreich reden. Dort ist etwas Individuelles herausgehoben, und die individuelle Bedeutung der Sache wird ausdrücklich noch durch das רַבִּים betont, womit die Ankündigung der Auferstehung Dan 12:2 beginnt; hier ist ein durchaus universelles Ereignis geweissagt, und zwar Kap. 2 und 7. gleichmäßig, während die Auferstehung nur im 12. nicht aber im 8. Kapitel erwähnt wird. Wenn also auch allerdings, wie wir übrigens erst aus dem N. T. sicher wissen, beide Begebenheiten, die Offenbarung des messianischen Reiches und die Auferstehung, gleichzeitig miteinander sind: so ist es doch einleuchtend, dass der Erwähnung der ersteren Tatsache im 2. und 7. Kapitel eine ganz andere Bedeutung zukommt, als der der letzteren im 12. Kapitel.

Dies wird noch deutlicher, wenn wir das Verhältnis, in welchem die Ankündigung der Auferstehung zu der ihr vorangehenden Gesamtweissagung des 11. Kapitels steht, genauer ins Auge fassen und mit dem Verhältnis vergleichen, welches im 2. und 7. Kapitel zwischen dem Anbruch des messianischen Reiches und den demselben vorangehenden Entwicklungen stattfindet. Die מַּשְׂכִּלִים Dan 12:3 erinnern an die מַשְׂכִּילֵים Dan 11:33.35, die מַצְדִּיקֵי הָֽרַבִּים an יִכָּֽשְׁלוּ לִצְרֹוף Dan 11:33. Daraus ersieht man, warum hier überhaupt die Auferstehung erwähnt wird, und zwar mit ausdrücklicher Unterscheidung der Auferstehung zum ewigen Leben und derjenigen zu ewiger Schmach und Schande. Es soll nicht etwa ein Fortschritt in der Geschichtsentwicklung angegeben, sondern es soll auf die ewige Vergeltung hingewiesen werden, die das Verhalten der Israeliten in der großen Versuchungszeit unter Antiochus nach sich ziehen wird: die Bundesbrüchigen sind ewig verloren, die Getreuen aber und besonders diejenigen, welche auch noch andern zur Stärkung dienen und den Weg des Lebens zeigen, werden ewig selig und herrlich. Wir haben hier also das Nämliche vor uns, wie in den Sendschreiben der Offenbarung, Verheißungen für die Überwinder, Drohungen für die Abfallenden. Es soll lediglich der Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Einzelnen in der Prüfungszeit und ihrem ewigen Los hervorgehoben werden; über das Temporalverhältnis zwischen dieser Prüfungszeit und der Auferstehung ist nicht das Mindeste ausgesagt*)

*) Es ist also im Grunde nicht einmal notwendig, sich mit H e n g s t e n b e r g (Beitr. I, S 197f) und H o f m a n n (W. u. E. I ; S. 314) auf die prophetische Perspektive zu berufen oder mit H ä v e r n i c k und E b r a r d (Offb. Joh. S. 85f) die Dan 12:1 genannte Zeit bis zur Parusie sich ausweiten zu lassen (nach Analogie von Mt 24:21-29).

Man beachte in dieser Beziehung, dass Dan 12:1 zweimal steht "zu dieser Zeit", während V. 2 und 3. jede Zeitbestimmung fehlt. Nachdem der Engel im Bisherigen bloß den Verlauf der Geschichte geweissagt hat ohne irgend eine Paränese, schließt er nun seine Rede mit dem kräftigsten Motiv zum treuen Ausharren, das sich denken lässt. Dieses Motiv musste umso mächtiger wirken, da die Auferstehung, obwohl schon bei früheren Propheten Spuren davon sich finden (Jes 26:19.21; Hes 37), doch noch nie so klar und gewaltig wie hier verkündigt und namentlich noch nicht so mit der Vergeltung verbunden worden war. Wie sehr dieses Wort auch wirklich gefruchtet hat, zeigt jene makkabäische Mutter mit ihren Söhnen, welche mit dem Bekenntnis der Auferstehung auf den Lippen sich hinrichten ließen, und deren Worte an die unseres Verses erinnern (2Makk 14:23). Anders stellt sich die Sache im 2. und 7. Kapitel. Da handelt es sich wirklich um objektiven Geschichtsfortschritt. Da ist nach dem vierten Reich von einem fünften, dem messianischen, die Rede, welches ebenso dem vierten folgt und ein Ende macht, wie dieses dem dritten usw. Man frage sich nur: macht etwa nach Dan 12:2.3 die Auferstehung Antiochus ein Ende, wie die Erscheinung des Steines oder des Menschensohnes den Weltreichen ein Ende macht? so hat man den gewaltigen Unterschied anschaulich vor sich, der sich auch hier zwischen den Offenbarungen des ersten und zweiten Teils findet. Es ist also klar: die Erwähnung der Auferstehung Dan 12:2.3 ist etwas anderes und hat einen andere Bedeutung als das Kommen des messianischen Reiches im 2. und 7. Kapitel; dies darf beides in keinem Sinn auf eine Linie gestellt werden. Die Weissagung des 11.-12. Kapitels ist daher von derselben Art, wie die des 8.

Und somit haben wir das wichtige Resultat: die (hierher gehörigen) Weissagungen des zweiten Teils schließen mit dem Tod des Antiochus, die des ersten mit dem Sturz der Weltmacht durch das Messiasreich. Es findet mithin, was wenigstens den Endpunkt betrifft, ein bedeutender Unterschied zwischen beiden statt. Und zwar reicht der zweite Teil nicht so weit in die Zukunft hinaus wie der erst. Den da der im 7. Kap, geschilderte Feind der letzte ist, nach dessen Sturz das ewige Messiasreich anbricht, so muss der im 8. und 11. Kap. geschilderte notwendig früher sein. Die griechische Monarchie, die in Antiochus gipfelt, muss also der vierten und letzten, den Daniel 7. geschaut hat vorangehen.

2) Aber nicht bloß in Bezug auf den Endpunkt der Gesichte, sondern auch in Bezug auf den Anfangspunkt und die vorgeführten Weltmächte findet ein beträchtlicher Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil unseres Buches statt. Es ist Tatsache, d,ass im 2. und 7. Kapitel je von vier, im 8. und 11. dagegen nur von zwei Weltreichen die Rede ist, nämlich von dem medopersischen und griechischen (Dan 8:20.21; Dan 11:2). Dass der erste Teil auch noch das babylonische Reich hinzunimmt, darüber ist n ach Dan 2:37.38 ebenfalls kein Streit.

Nun ist bei der Ansicht der Gegner überhaupt schon kein vernünftiger Grund einzusehen, warum der makkabäische Verfasser sich so viel Mühe mit den alten, längst untergegangenen Weltreichen gemacht hat. Wenn derselbe mit seiner Schrift eine Aufrichtung seiner duldenden und kämpfenden Volksgenossen beabsichtigte (D e W e t t e, Einl. ins A. T. S. 390), so war es doch ein recht unnützer Aufwand von historischer Gelehrsamkeit, den er seinem Buch niederlegte. Man denke namentlich an das 11. Kap., welches bei der Annahme eines vaticinium post ebentum in Wahrheit noch unerklärlicher wird, als wenn man es nimmt, wie es sich ergibt. Gerade da, wo es auf eine zündende begeisternde Wirkung im Moment ankam, konnte der angebliche Verfasser doch kaum eine unglücklichere Form wählen, als die einer solchen ausführlichen, historischen Entwicklung, die für alle nach der Erfüllung Lebenden so mancherlei Kenntnisse voraussetzt und ein langsames, mühseliges Studium erfordert. Würde er da nicht weit eher die begeisterte Rede der alten Propheten gewählt haben, die ihm doch, wie wir aus dem Gebet des 9. Kap. sehen, auch zu Gebote stand? Wie konnte er überhaupt seinen Landsleuten in einer solchen Zeit den Glauben an eine ganz neue, bisher noch nie dagewesene Art der Weissagung zumuten? Da waren alte, vaterländische Akkorde anzuschlagen! Wie konnte er hoffen, mit solchen Menschensündlein gelehrter Dichtung das Volk Gottes zu begeistern? Wahrlich, wenn die Israeliten damals erst in der Hitze der Verfolgung unser Buch kennenlernen und studieren mussten, wenn es bei ihnen nicht längst in Fleisch und Blut übergegangen war, so hat es ihnen nichts genützt.

Diese ganze Ansicht trägt, wie die entsprechenden Hypothesen neutestamentlicher Kritik, gar zu sehr das Gepräge des Ortes an sich, wo sie entstanden ist. Es fehlt ihr so ganz an natürlicher Frische, an gesunder Farbe und Lebendigkeit der historischen Anschauung. Weil der Kritiker auf der Studierstufe sitzt, so muss auch der Verfasser auf der Studierstufe gesessen haben, unnd das in einer so gewaltig ernsten Zeit, wo es Frevel war, sich nicht an dem heiligen Kampf zu beteiligen. Einem jüdischen Vaterlandsfreund wenigstens, wie man den Verfasser nennt, ist es da gewiss nicht eingefallen, am Schreibpult alte Weissagungen auszusinnen, statt mit dem Schwert oder mit dem Wort des Mundes dreinzuschlagen, gewiss nicht eingefallen, statt bei dem lebendigen Gott bei solchen Künsteleien des eigenen Herzens Heil zu suchen. Wann werden wir doch einmal aufhören, auch den früheren, großen Zeiten des Gedankens Blässe anzukränkeln, an der wir Epigonen selbst zugrunde gehen? Es bestehen solche Ansichten nur durch ihre Negativität; sobald man sie positiv zu fassen, sobald man sie a n s c h a u l i c h zu machen sucht, zerrinnen sie. Auch das lässt sich nicht historisch veranschaulichen, wenn der Verfasser geschrieben haben soll. Schrieb er doch vor dem Tod des Antiochus, woher wusste er denn diesen mit den ihm vorangehenden Umständen so genau, selbst bis auf den Tag hinaus zu weissagen? Schrieb er aber nachher, wie konnte er noch seine messianischen Träume an diesen Tod anknüpfen? Im einen wie im andern Fall aber wurde das buch mit seinen messianischen Weissagungen bald nach seinem Erscheinen Lügen gestraft. Wie hätte es sich nun kanonische Geltung erringen können!

Und wie ungeschickt hätte es nun der Verfasser angegriffen, auch zugegeben, dass er einmal durchaus schriftstellern wollte! Wollte er seinen Landsleuten zu ihrem Trost in der schweren Zeit zeigen, dass die früheren Weltmächte, die das Gottesvolk bedrückten, immer wieder gestraft und gestürzt worden seien, so musste er doch vorzugsweise den Fall derselben hervorheben, um dadurch den nahen Untergang des Antiochus wahrscheinlich zu machen. Dies tut er aber so wenig, dass man es vielmehr auffallend finden konnte (vgl. H i t z i g S. 16), dass nach der Darstellung des 2. und 7.. Kap. die früheren Reiche erst mit dem letzten zerstört zu werden scheinen. (Dan 2:34.35; Dan 7:11.12). Also gerade der Hauptpunkt, auf dessen Hervorhebung es ankam, wäre übergangen. Statt von dem Untergang der früheren Reiche auf den des Antiochus zu schließen, wäre umgekehrt jener in dieser verschlungen, wobei man dann vollends nicht einsieht, was überhaupt die Erwähnung der früheren Reiche für einen Sinn und Zweck haben soll.

Alles soll sich ferner nur auf Antiochus Epiphanes beziehen. warum aber hat dann der Verfasser davon in den sechs ersten Kapiteln gar nichts erwähnt? Warum hat er insbesondere in dem Traum des 2. Kap., der doch anerkanntermaßen der Grundriss sämtlicher Visionen des Buches ist, von Antiochus auch nicht eine Silbe angedeutet?. Das Monarchienbild läuft in zehn Zehen aus; aber von einem letzten König, der hier emporkäme, wie im 7. Kapitel das kleine Horn zwischen den zehn Hörnern herauswächst, findet sich keine Spur. Wie zweckwidrig wäre es nun gewesen, an die spitze der ganzen Reihe von Gesichten ein solches zu stellen, dem gerade die Pointe fehlt,, um derentwillen alles da ist! Das hätte ja auch für die folgenden Gesichte nur irreleiten und die Aufmerksamkeit der Leser von der Hauptsache ablenken können. Hat sich der Vaterlandsfreund überhaupt viel überflüssige Mühe gemacht, indem er sich in einer Zeit, wo das Vaterland in der äußersten Gefahr war, mit so vielen außer vaterländischen, längst zu Grabe gegangenen Reichen beschäftigte: so isst es schlechthin unverzeihlich, an der Hauptstelle, die allem Übrigen zur Einleitung und Grundlage dient, n u r Überflüssiges zu sagen, nur Beiwerk zu geben und darüber die Sache selbst ganz zu vergessen. Da hätte also schon damals der Gelehrte den Vaterlandsfreund und den Menschen, das Wissen hätte nicht nur das Herz, sondern auch den einfachen Verstand völlig überwuchert.

Die Gegner können fürs erste nicht erklären, warum überhaupt ein Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil stattfindet, warum der Verfasser von seinem makkabäischen Standpunkt aus das eine Mal weiter zurückgreift als das andre Mal, im 2. und 7. Kap. bis auf das babylonische, im 8. nur bis auf das medoperische, im 11. gar nur bis auf das persische Reich. Sie können nicht erklären, warum in den beiden erstgenannten Kapiteln vier, in den beiden andern nur zwei Monarchien aufgezählt werden; und damit hängt für sie die weiter unten noch näher zu besprechende Schwierigkeit zusammen, einen vernünftigen Grund dafür aufzubringen, dass im 8. Kap die medopersische Monarchie zusammengenommen, im 2. und 7. nach ihrer Meinung in zwei Reiche auseinander gelegt wird. Nehmen wir das Buch, wie es sich gibt, so erklärt sich das alles ganz einfach teils schon aus der verschiedenen Zeit, in welcher die einzelnen Offenbarungen gegeben wurde, teils aus dem verschiedenen Zweck des ersten und zweiten Teils. Die Offenbarung des 8. Kap. fällt in das dritte Jahr Belsazars, also in eine Zeit, wo es mit dem babylonischen Reich schon so sehr auf die Neige ging, dass dasselbe keine weitere Berücksichtigung mehr erforderte oder verdiente; die Offenbarung des 10.-12. Kapitels aber empfing Daniel im dritten Jahr des Kyrus, wo also nicht nur die Babylonier, sondern auch schon die Meder nicht mehr erwähnt zu werden brauchten: hier ist daher nur noch von Persien und Griechenland die Rede (Dan 10:13.20; Dan 11:2). Von der Verschiedenheit des Zweckes der beiden Teile und der dadurch bedingten Verschiedenheit in der Weite des prophetischen Sehfeldes ist schon früher die Rede gewesen.

Zugegeben aber auch, dass der Verfasser, etwa um eine gewisse Vollständigkeit in Aufzählung der Weltmächte zu erreichen, in den früheren Kapiteln weiter zurückgreifen mochte, als in den späteren, so muss man es dann allerdings, wie E w a l d andeutet, befremdlich finden, dass nicht auch noch das assyrische, vielleicht selbst das ägyptische Reich genannt ist. Blickte man vom makkabäischen Standpunkt aus zurück auf die früheren Leiden, die Israel durch die Weltmächte zu erdulden hatte, so war es ebenso willkürlich, gerade mit dem babylonischen Reich zu beginnen, als es willkürlich war, in den späteren Kapiteln auch noch dieses wegzulassen. Wer sieht aber nicht, dass gerade in dem Umstand, dass das babylonische Reich als das erste genannt ist, wieder ein Hauptbeweis für die Abfassung unseres Buches im babylonischen Exil liegt, und dass so bei der Annahme der Echtheit Daniel eine Menge tatsächlich vorliegender Erscheinungen ihre rationelle Begründung erhalten, welche für die Gegner irrational und unbegreiflich bleiben? In der johanneischen Apokalypse, welche wirklich von einem späteren Standpunkt aus zurückblickt, werden wir Ägypten und Assyrien mit angedeutet finden; schon oben im ersten Abschnitt aber haben wir gesehen, dass es nicht nur einen äußeren, persönlich geschichtlichen, sondern auch einen inneren offenbarungsgeschichtlichen Grund hat, wenn Daniel mit dem babylonischen Reich beginnt. Denn erst mit dem Anfang des babylonischen Exils hört die Existenz einer selbstständigen Theokratie auf Erden auf, und dieselbe ist bis zu dieser Stunde noch nicht wieder hergestellt; die Herrschaft der Weltmächte dauert noch fort.

Dass es dem Verfasser im 2. und 7. Kapitel und eine gewisse Vollständigkeit in Aufzählung der Weltmonarchien zu tun war, müssen auch die Gegner zugeben; aber sie können diesen Gesichtspunkt weit nicht in dem großartigen Umfang und der tief gehenden Bedeutung durchführen, wie der heilige Text es verlangt. Und hier erst tritt die Differenz zwischen unserer und der modernen Auffassung in ihrer ganzen, prinzipiellen Wichtigkeit zutage. Nach der letzteren gibt das Buch Daniels nur ein Stück politischer Geschichte, von Nebudadnezar bis Antiochus Epiphanes; nach der ersteren, d. h. nach seinen eigenen Aussagen will es etwas unendlich Tieferes und Erhabeneres, es will das Verhältnis der zwei Grundpotenzen der Universalgeschichte, des Gottesreiches und der Weltreiche, darstellen, von da na, wo das Gottesreich als selbstständiger Staat zu existieren aufhörte, bis dahin, wo es als ein solcher in Herrlichkeit wieder aufgerichtet werden soll. Dadurch erst wird unser Buch ein wahrhaft prophetisches und somit ein kanonisches, dass es alles Einzelnen in das Licht der Gesamtentwicklung des göttlichen Welt- und Reichsplanes hineinstellt und bis ans Ende der Tage reicht.*) Geht es nur auf Antiochus, so fehlt ihm dieser Stempel des göttlichen Universal- und Fundamentalblickes, und darum fehlt ihm dann auch die kanonische Würde und Autorität. Man sage nicht: die messianischen Stellen des 2. und 7. Kapitels bleiben ja auch bei der modernen Auffassung stehen; denn es wird dadurch alles noch viel schlimmer, weil diese messianischen Erwartungen nicht eingetroffen wären und sich als eitle Träume erwiesen hätten. Man berufe sich auch nicht darauf, dass ja die früheren Propheten das messianische Rech ebenso z. B. nach Babels Fall erwartet haben, wie unser Verfasser nach dem Fall den Antiochus; denn etwas anderes ist die prophetisch perspektivische Anschauung eines wirklich gottbegeisterten Sehers, etwas anderes die historisch chronologische Behauptung eines "jüdischen Vaterlandsfreundes", eines reflektierenden Schriftstellers.

*) Historiae philosophiam vere divinam extremis lineamentis lieber Danielis depingit - heißt eine der von B r u n o B a u e r bei seiner Lizentiatendiffertation in Berlin 1834 aufgestellten Thesen. Vgl. L ü c k e S. 39. Schon R i c h a r d A m m e r (Versuche über die sämtlichen Weissagungen Daniels; aus dem Engl.; Halle 1779) hebt den bezeichneten Gegensatz S. 5 f. treffend hervor: "Nach dem großen I s a a k N e w t o n u. a. sind die Weissagungen Daniels der heilige Kalender und der große Almanach der Weissagung oder mit anderen Worten eine prophetische Zeitrechnung, abgemessen nach der Regierungsfolge von vier Hauptkönigreichen von dem Anfang der israelitischen Gefangenschaft an, bis das Geheimnis Gottes wird vollendigt sein Dagegen sind G r o t i u s und seine Nachfolger nicht imstande, mehr als eine alte Verfolgung der Juden in denselben zu entdecken." Gleichwohl pflichtet A m m e r selbst der letzteren Meinung bei. Freilich erklärt er dann auch (S. 66) die Stelle Dan 12:2.3 von dem Hervorkommen der Juden aus den unterirdischen Höhlen und Löchern, wohin sie sich während der Verfolgung versteckt hatten; und unter dem fünften reich, welches jetzt jedermann vom messianischen deutet, versteht er (S. 93) mit G r o t i u s das römische, das, weil später christlich geworden, ewigen Bestand habe. Der Menschensohn im Gegensatz zu den Tieren bezeichne die römische Republik im Gegensatz zu den Tieren.

Hier gewinnt nun auch die Vollständigkeit in Aufzählung der Weltmonarchien eine ganz andere Bedeutung und der Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil, dass dort je vier, hier nur je zwei Reiche genannt sind, eine ganz andere Begründung. Im zweiten Teil soll dem Daniel, der schon vorher über den Verlauf der Weltmächte im Allgemeinen unterrichtet ist, Aufschluss gegeben werden über die Entwicklung derselben von seiner Gegenwart an bis auf Antiochus: hier kommt es nun auf die Zahl der Reich gar nicht an, wie denn dieselbe auch nirgends hervorgehoben wird, ja wie überhaupt die Zweizahl keine besondere Bedeutung in der Hl. Schrift hat; die Betrachtung ist hier eine rein spezialgeschichtliche. Der erste Teil dagegen hat zu seinem Thema die Gesamtheit der Alleinherrschaft der Weltmächte. Hier handelt es sich also nicht etwa um eine gewisse, sondern um absolute Vollständigkeit in Aufzählung derselben, um einen Vollständigkeit, die bis dahin reicht, wo die Weltmacht überhaupt zu sein aufhört. Hier ist daher die Zahl von Bedeutung, die V i e r z a h l, die denn auch in beiden Kapiteln ausdrücklich und nachdrücklich hervorgehoben wird (Dan 2:39.40; Dan 7:7.17.19.23). Wir haben oben über die Bedeutung der Sieben- und Zehnzahl reden müssen und jene als die Zahl der Offenbarung des Göttlichen, diese als die der Entfaltung des Weltlichen erkannt. Ein ähnliches Verhältnis besteht nun zwischen der Drei- und Vierzahl: Vier und Zehn sind Welt-, Drei und Sieben sind Gotteszahlen; die Vier verhält sich zur Zahn in Bezug auf die Welt, wie sich die Drei zur Sieben in Bezug auf Gott verhält. "Drei ist die Zahl Gottes, sie bedeutet Gott in der einheitlichen Geschlossenheit ihres Bestandes" (H o f m a n n bei Delitzsch, Genesis, S 412) Darum schließt die Weltmacht in einer Vierzahl von Weltreichen ab. Der Grund dieser Bedeutung der Vierzahl liegt, wie wir aus Dan 7:2.3 vgl. Dan 8:8 sehen, in der Vierzahl der winde und Weltgegenden, welche gleichsam den Bestand der Welt nach allen Seiten erschöpfend darstellen. Dass Vier und Zehn eng verwandte Weltzahlen sind, sehen wir auch daraus, dass die dritte Monarchie in vier, die vierte in zehn Königreiche auseinandergeht: sobald das Prinzip der Zerteilung eintritt in den okzidentalischen Reichen, bestimmt sich dieselbe nach diesen beiden Zahlen. In dem vierten Reich ferner fasst sich das gesamte Weltwesen zusammen, und dieses vierte Reich selbst wieder legt sich in zehn Reiche auseinander.

Die vier danielischen Tiere sind so zugleich ein Gegenbild und Zerrbild der vier hesekielischen. Die אַרְבַּע חַיֹּות des Hes (Hes 1:5) nehmen bei Daniel (Dan 7:3) nur die chaldäische, heidnische Form אַרְבַּע חֵיוָן an. Hesekiel hatte sein Gesicht im fünften Jahr der Wegführung des Königs Jojachin (ÖHes 1:2) also 593 v. Chr., Daniel das seinige im ersten Jahr Belsazars (Dan 7:1), also jedenfalls nach dem 563 v. Chr. erfolgten Tod Nebukadnezars, mithin mehr als 30 Jahre nach Hesekiel. In dieser Zeit konnte unser Prophet gar wohl das hesekielische Gesicht gelesen und in sich aufgenommen haben, so wie wir früher umgekehrt sahen, dass Hesekiel von Daniel wusste. Wir blicken also hier in einen schönen Wechselverkehr der Gefangenen und ihrer Propheten hinein. Die vier Tiere oder Cherube Hesekiels nun stellen das Leben der Welt in seiner höchsten, Gott zugekehrten Potenz dar, wo es Offenbarungsorgan Gottes wird; die vier Tiere Daniels sind das Gegenteil, die Karikatur hiervon: sie stellen das von Gott abgekehrte, immer tiefer zerfallende Leben der Welt dar, welches am Ende Offenbarungsorgan des Teufels wird. Die hesekielischen Lebewesen sind zusammengesetzt aus Mensch, Löwe, Stier und Adler; die danielischen sind Löwe mit Adlersflügeln, Bär, Pardel und ein viertes, ungenanntes Tier. In dem ersten der danielischen Tiere, dem edelsten von allen, lässt sich die Anspielung auf Hesekiel kaum verkennen; die übrigen sind der Natur der Sache nach unedlerer Art als die hesekielischen. Wie wir also bei den siebzig Jahrwochen Daniel auf Jeremia fußen sahen, so finden wir hier zwar nicht so ausdrücklich, aber doch kaum weniger deutlich eine Beziehung auf Hesekiel bei ihm; und zwar sind es in beiden Fällen bedeutungsvolle Zahlen, welche diese Beziehungen vermitteln.

Aus dem allem wird nun, um zu unserm eigentlichen Gegenstand zurückzukehren, erst recht klar, wie die vier Weltreiche bei Daniel von vorne herein mit dem Bewusstsein und der Absicht dargestellt werden, dass in ihnen die Totalität der Weltmacht sich abschließt. Und auch hiervon hat die moderne Auffassung kein Verständnis, da sie die Gesichte nach hinten nur bis Antiochus gehen lassen und nach vorne nicht gehörig erklären kann, warum sie gerade mit diesen bestimmten Reichen beginnen. So erweist sich die Nicht-Unterscheidung des ersten und zweiten Teils nach allen Seiten hin, hinsichtlich des Gottesreiches, wie hinsichtlich der Weltreiche im Ganzen und im Einzelnen, als oberflächlich und unstatthaft, als eine Hypothese, die den Text in seiner vorliegenden Gestalt nicht zu erklären versteht noch ihn daher in den wesentlichsten Punkten gegen sich hat. Noch schlagendere Proben hiervon wird uns der spezielle Vergleich des 7. und 8. Kapitels liefern.

Vergleich der Tiere des 7. und 8. Kapitels

Die zweite und dritte Monarchie

Die Gegner berufen sich besonders gerne auf die Verwandtschaft des 7. Kapitels mit dem 8.; in beiden laufe die gesamte Entwicklung der heidnischen Weltmacht auf den feindseligen König hinaus, der als einkleines, aus anderen Hörner hervorwachsendes Horn dargestellt werden; es sei evident, dass das kleine Horn in dem einen Fall dasselbe bedeuten müsse, wie im anderen; mithin könne auch im 7. Kap. nur Antiochus Epiphanes gemeint sein. Diese Argumentation hat auf den ersten Blick, aber freilich auch nur auf den ersten viel Scheinbares. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass vielmehr gerade aus dem Vergleich dieser beiden Kapitel die stärksten gründe gegen die moderne Auffassung und für die unsrige erwachsen. Wir suchen jetzt dies Doppelte nachzuweisen, zuerst das Negative, was gegen die neuere, dann das Positive, was für die altkirchliche Deutung der vier Tiere aus jenem Vergleich folgt.

1) Schon der Umstand selbst, dass beide Kapitel die Entwicklung der Weltmach in einem kleinen Horn gipfeln lassen, scheint uns mehr gegen als für die moderne Ansicht zu sprechen. Denn wer unserm Buch nur einigermaßen höhere Ideen und tiefere Planmäßigkeit zutraut, dem wird eine so simple Wiederholung in demselben von vorn herein nicht wahrscheinlich sein. Doch hierüber mag man etwa streiten. Aber schon ein zweiter Blick zeigt, dass alles, was dem kleinen Horn vorangeht und nachfolgt, im 7. Kap. anders geartet ist als im 8., dass mithin die beiden Hörner nicht identisch sein können. Von dem Nachfolgenden war schon die Rede: es folgt auf den Sturz des kleinen Horns im 7. Kapitel das Messiasreich, im 8. nichts. Das Vorangehende haben wir jetzt näher ins Auge zu fassen, fürs Erste die andern Hörner und sodann die Tiere, aus denen je das kleine Horn aufsteigt.

Im 7. Kapitel sind es zehn Hörner, zwischen denen das kleine Horn hervorkommt, im 8. sind es vier Hörner, aus deren einem das kleine Horn aufwächst. Also nicht nur die Zahl der früheren Hörner ist eine andere, sondern auch das Verhältnis, in welchem das kleine Horn bei ihnen steht: im 7. Kapitel ist es ein selbstständiges, elftes Horn, im 8. ein nicht selbstständiges , fünftes, sondern nur ein neues Ende, welches geweihartig aus einem der vier vorkommenden sich erhebt und also zu diesem gehört. Wir begnügen uns hier, diesen in die Augen fallenden Unterschied hervorzuheben und sehen von der Deutung der Hörner vorläufig noch ab, indem im nächsten Abschnitt derselbe ausführlicher behandelt werden muss.

Wo möglich noch stärker und auffallender ist der Kontrast zwischen den Tieren des 7. und 8. Kapitels, welche die moderne Auffassung identifizieren muss. Der leichte Ziegenbock, der über die Erde hinfliegt, ohne sie zu berühren (Dan 8:5), soll identisch sein mit jenem schrecklichen vierten Tier, das die ganze Erde zertritt und zerstampft, und für dessen ausnehmend fürchterliche Gestalt der Prophet gar kein entsprechende Tier zu finden weiß (Dan 7:7.19.23)? Das glaube, wer da will und kann! Erinnert denn nicht vielmehr dieser Ziegenbock von selbst an den Pardel des 7. Kapitels?

Gehen wir im 8. Kapitel vom Ziegenbock weiter auf den Widder zurück, so wird uns derselbe Dan 8:20 auf des medopersische Reich gedeutet. Was entspricht dem nun im 7. Kapitel? Nach der gegnerischen Ansicht bedeutet der Bär das medische, der Pardel das persische Reich. Es wäre also Kap 8 im Widder zusammengenommen, was Kap. 7 in den Bären und Pardel auseinandergelegt ist. Man wird das an sich schon unwahrscheinlich finden und a priori geneigt sein, einer Erklärung den Vorzug zu geben, welche eine so auffallende Differenz zwischen zwei Nachbarkapiteln vermeidet und nicht in dem einen zu trennen braucht, was im andern zusammengehört. Man wird dieselbe Übereinstimmung, die sich zwischen Kap, 2 und 7 zeigt, auch zwischen Kap. 7 und 8 vermuten und voraussetzen müssen. Verhielte es sich aber je nicht also, so müsste man, da Kap. 8 spezieller ist als das alles umfassende Kap 7, weit eher umgekehrt erwarten, es werde in jenem auseinander gelegt sein, was in diesem noch zusammengefasst ist.

Doch auch abgesehen hiervon, lässt sich zeigen, dass die Trennung des medischen Reiches vom persischen durchaus willkürlich ist, und dass unser Buch von einer besonderen medischen Universalmonarchie so wenig weiß, wie die übrige Geschichte (Vgl. H e n g s t e n b e r g, Beitr. S. 199-201) Die Geschichte weiß von einer solchen nichts, und man bürdet also dem Propheten einen groben, historischen Irrtum auf, indem man ihn von einem medischen Reich reden lässt, das dieselbe unversalgeschichtliche Bedeutung gehabt habe, wie das babylonische, persische, griechische. Allein nicht Daniel hat eine solche Universalmonarchie erfunden, sondern lediglich Exegeten, um sich aus ihrer Verlegenheit herauszuhelfen und ohne das römisch vier Weltreiche zusammen zu bekommen. Der Prophet redet sowohl in den historischen wie prophetischen Abschnitten seines Buches von dem Reich der Meder und Perser als einem Ganzen (Dan 8:20; Dan 5:28; Dan 6:9.13.16); dieses Reich und nicht etwa bloß ein medisches folgt auf das babylonische (Dan 5:28). Der erste König dieses Reiches ist Darius der Meder (Dan 6:1; Dan 9:1; Dan 11:1), der zweite Kores oder Kyrus der Perser (Dan 6:29). Weil nun von Kyrus an lauter persische Regenten auf dem Thron saßen, so ist von ihm an natürlich auch nur noch vom persischen Reich die Rede (Dan 10:1.13.20; Dan 11:2); niemals aber spricht Daniel von einem besonderen medischen Reich, sondern auch unter der Regierung des Darius schon heißt das Reich das der Meder und Perser (Dan 6:9.13.16). Das ist der exegetische Tatbestand, der so klar vorliegt, dass jedes Kind sehen kann, es sei in unserem Propheten weit und breit von keiner medischen Universalmonarchie die Rede. Vielmehr spricht unter den neueren Exegeten nur immer einer dem anderen diese Fiktion nach, weil keiner eine bessere Auskunft finden kann, und so hat dieselbe, weil sie schon durch so viele Bücher hindurchgeschleppt wurde, gleich so manchen anderen modern gelehrten Mythen*) nach und nach historisches Ansehen erlangt.

*) Wie z. B. von dem Einfluss, welchen persische Religionsvorstellungen auf die späteren Bücher des A. T. und so auch auf das unsrige ausgeübt haben sollen. Davon spricht z. B. L ü c k e (S. 55-60) noch ausführlich, ohne irgendeinen wirklich historischen Beweis dafür beizubringen Es gehören diese Dinge zu den traditionellen Fiktionen der Exegese, den "manigfaltigen Gebilden der negativen Voraussetzung, welche sich aus dem Überdrang der kritischen Freiheit erzeugt haben und aus ihrer fließenden, schwebenden Form immer mehr in die Gestalt erstarrter Schulsatzungen überzugehen geneigt sind." J. P. L a n g e, apost. Zeitalter, I, S. 187

Der geschichtliche Sachverhalt, soweit er sich mit Hilfe Xenophons u. a. erschließen lässt, ist wahrscheinlich dieser. Babylon wurde 538 v. Chr. im Namen des medischen Darius erobert von Kyrus, der damals noch untergeordneter König von Persien und Befehlshaber der gesamten medopersischen Heeresmacht war. In dem קַבֵּל מַלְכוּתָא (Dan 6:1, vgl. Dan 7:18) und in dem Hofal הָמְלַךְ Dan 9:1 finden sich Andeutungen, dass Darius nicht durch eigene Tatkraft das Reich gewann, sondern durch eine fremde Waffentat dasselbe "empfing", "zum König gemacht wurde". Darius gab nun dem Kyrus seine Tochter zur Gattin, und da er ohne männliche Nachkommen war, setzte er ihn zu seinem Nachfolger ein. Er starb aber schon, nachdem er kaum zwei Jahre über das ganze Reich, dessen Regierung er erst in seinem 62sten Jahr antrat (Ddan 6:1), geherrscht hatte; und da erm wie aus Kap 6 hervorgeht, ein schwacher Regent war, so scheint Kyrus auch schon während jener zwei Jahre hauptsächlich die Zügel der Regierung in Händen gehabt zu haben, bis er 536 selbst den Thron bestieg. Dieses Verhältnis des persischen Elements zum medischen in der auf die babylonische folgenden Universalmonarchie, wonach das erster von weit überwiegender Bedeutung war, werden wir auch in den Gesichten des 7. und 8. Kapitels dargestellt finden. Aus der Kürze und Bedeutungslosigkeit der Regierung des medischen Darius erklärt es sich nun einfach, warum H e r o d o t und K t e s i a s dieselbe garnicht erwähnen und die Geschichte des Königs in ihren Grundzügen auf seinen Vater Astpages übertragen*), während sie in der Hauptsache mit Daniel übereinstimmen, darin nämlich, dass sie die persische Macht mit der medischen in Zusammenhang bringen und als ihre Fortsetzung darstellen. Von einer besonderen medischen Universalmonarchie zwischen der babylonischen und persischen aber wissen sie so wo möglich noch weniger als der Prophet. X e n o p h o n dagegen kennt Darius den Meder nur unter dem Namen Chaxares II; und was er von diesem in der Chropädie erzählt, stimmt bis auf die Charakterschilderung hinaus mit Daniels Angaben über den medischen Darius überein. (Vgl. H ä v e r n i c k, Kommentar, S. 201-211; S c h u l t z a. a. D. S 682-685 658-660)

*) Vgl. H i t z i g, S. 76f. der nur die Sache auch hier wieder umkehrt. Andere identifizieren daher Darius den Meder mit Astpages, s. W i n e r, Realwörterbuch, u. d. Art. Darius. Noch anders E b r a r d (Offb. Joh. S 44f.), der seine frühere abenteuerliche, dem Herzog von Manchester nachgebildete Hypothese stillschweigend aufgibt, aber nur, um sie mit einer neuen, ebenfalls gewagten, ja unmöglichen zu vertauschen. Denn wenn Daniel, wie oben gezeigt, das Reich der Meder und Perser dem babylonischen gegenüber immer zusammen nimmt, so kann Darius der Meder nicht mit dem letzten babylonischen König, Naboned, identisch sein. Immerhin muss anerkannt werden, dass hier im Einzelnen noch manches dunkel ist. Vielleicht entdecktman noch Inschriften, die auch dieses Dunkel aufhellen. Die Hauptsache aber, dass es keine medische Universalmonarchie gegeben hat, steht sowieso fest.

2) Wir sehen also, die besondere Zählung einer medischen Universalmonarchie neben der persischen, auf welcher die ganze moderne Auslegung des 2. und 7. Kap. beruht, ist in jeder Hinsicht unhaltbar. Sie hat nicht nur die Analogie des 8. Kap. sondern überhaupt das ganze Buch Daniels ebenso wie Geschichte gegen sich. Damit fällt aber die neuere Gesamtauffassung der vier Weltreiche dahin; denn man ist dann durch einfach arithmetische Gründe genötigt, neben der babylonischen, medopersischen und griechischen Monarchie noch nach einer vierten sich umzusehen. Indes lässt uns ein genauer Vergleich des 7. und 8. Kapitels nicht bloß bei diesem negativen Resultat stehen, sondern sie weist uns unzweideutig darauf hin, dass der Widder mit dem Bären und der Ziegenbock mit dem Pardel zu identifizieren ist. Und da nun der Widder ausdrücklich für das medopersische, der Ziegenbock für das griechische Reich erklärt wird (Dan 8:20.21), so wissen wir auch, was wir von Bär und Pardel zu halten haben.

Im allgemeinen schon bemerkt H o f m a n n richtig, Widder und Ziegenbock stellen einen ähnlichen Gegensatz schwerfälliger Festigkeit und gewandter Leichtigkeit dar, wie Bär und Pardel. Es sind aber auch einzelne Züge, in welchen sich die Verwandtschaft beider Paare schlagend herausstellt. Der Widder (Dan 8:3) hat zwei Hörner, das eine höher als das andere, das höher zuletzt aufsteigend. Es ist allgemein anerkannt, dass das niedrigere Horn das medische, das höhere das persische Element des Reiches bezeichnet. Von dem Bären nun heißt es Dan 7:5: Eine Seite erhob er. Die meisten neueren, H ä v e r n i c k, H i t z i g u. a. erklären, nur in verschiedenem Sinn: auf einer Seite stand er. Allein dies ist willkürlich, da das Hifil הֳקִמַת deutlich von dem Hofal הֳקִימַת Dan 7:4 unterschieden ist, das ל in לִשְׂטַר ist chaldäische nota acusativie (Winer, chald. Gramm. §.56,2). Indes ist diese Differenz der Auslegung in letzter Instanz nicht von großer Bedeutung. Es leuchtet ein, dass wir in den beiden Seiten des Bären denselben Gegensatz vor uns haben, wie in den beiden Hörnern des Widders. Die Meder sind die liegende Seite, das Element der trägen Ruhe, die Perser sind aufgehobene Seite, welche vorherrschend die Tätigkeit darstellt, die kriegerische wie die regierende. Man sieht, wie genau dies mit der vorhin gegebenen historischen Charakteristik zusammentrifft. Dürfte man übersetzten: auf einer Seite stand er, so wären die Perser in ähnlichem Sinn als der Stützpunkt des Reiches bezeichnet.

Noch augenfälliger ist der Parallelismus zwischen dem Pardel und Ziegenbock. Dieser fliegt über die Erde hin, ohne sie zu berühren (Dan 8:5); jenem werden ausdrücklich vier Flügel zugeschrieben (Dan 7:6), welche die auf- und hinausstrebende, geschwinde Bewegung darstellen. Ihre Vierzahl mahnt zunächst an die vier Himmelsrichtungen, die Alexanders hochfliegender Geist alle sich unterwerfen wollte. Wie sich aber im Großen die vier Winde (Dan 7:2) zu den vier Tieren (Dan 7:3) verhalten, ähnlich die vier Flügel des Pardels zu seinen vier Köpfen. Indem dieses Reich nach allen vier Seiten hinaus strebt, gehet es in vier Reiche auseinander, die durch die vier Köpfe dargestellt sind. Es ist offenbar eine absichtliche Anspielung hierauf, wenn im 8. Kap. der Ziegenbock, nachdem das große, Alexanders Reich unter seinen Diadochen auseinander gegangen ist (Dan 8:21.22; Dan 11:4). Makedonien und Asien repräsentieren den Gegensatz von West und Ost, Syrien und Ägypten (s. Kap. 11) den von Nord und Süd. Wir haben über die Identität der vier Hörner des Ziegenbocks mit den vier Köpfen des Pardels schon früher gesprochen und darin nur ein Beispiel jenes allgemeinen, unser ganzes Buch beherrschenden Gesetzes gefunden, dass in der späteren Weissagung die frühere wieder aufgenommen und weiter entfaltet wird.

Resultat: Daniel selbst gibt im 8. Kap. nähere Bestimmungen über die zweite und dritte Monarchie und widerlegt damit alle diejenigen Deutungen, welche unter jener nicht das medopersische Reich, unter dieser nicht das Alexanders und seiner Nachfolger mit Einschluss des Antiochus gemäß Dan 8:20 ff. verstehen. Man muss doch eigentlich die Augen absichtlich vor Kap 8 verschließen, wenn man die beiden mittleren Reiche im 7. und somit auch im 2. Kap anders deutet als auf die gezeigte Weise. Eben hiermit sind wir aber hinsichtlich der vierten Monarchie über Antiochus herab auf das römische Reich gewiesen, - ein Ergebnis, das wir früher von einer ganz anderen Seite her auch gefunden haben. Aber auch noch ein dritter Weg führt zu demselben Ziel.

Die vierte Monarchie: die zehn Hörner

Ist man nach dem Bisherigen genötigt, die griechische Monarchie für die dritte zu nehmen, so lässt sich ferner zeigen, dass die vierte nicht die griechische sein kann. Hierfür wäre schon der früher hervorgehobene Kontrast entscheidend, der in der prophetischen Schilderung zwischen dem vierten Tier und dem Ziegenbock stattfindet, welcher letztere ja ausdrücklich als das griechische Reich bezeichnet wird. Neben seiner Schrecklichkeit im Ganzen charakterisiert sich aber das vierte Tier insbesondere durch seine zehn Hörner, von denen durch das elfte, kleine Horn drei ausgerissen werde; und diese sind es, auf welche wir nun noch unser Augenmerk zu richten haben. Die moderne Auffassung weist mit Befriedigung darauf hin, wie gut sich die zehn Könige in der syrischen Geschichte nachweisen lassen, und glaubt hier wieder eine ihrer Hauptstützen zu finden. Allein die nähere Betrachtung wird auch diesmal auf das Gegenteil hinausführen.

C. v. L e n g e r k e zählt (S. 320) nach B e r t h o l d t s Vorgang die zehn syrischen Könige, welche durch die zehn Hörner dargestellt sein sollen, folgendermaßen auf: 1) Seleukus I., Nikator, Stifter des Königreichs Syrien, 2) Antiochus I. Soter, 3) Antiochus II: Theos, 4) Seleukus II. Sallinikus, 5) Seleukus III. Keraunus, 6) Antiochus III. der Große, 7) Seleukus IV Philopator. Die drei folgenden sind nun die ausgerissenen Hörner. Nachdem nämlich Philopator von Heliodor ermordet war, maßte sich 8) Heliodor die Herrschaft an. Zu gleicher Zeit aber erklärte sich eine Partei 9) für Ptolomäus IV. Philometor von Ägypten, welchem seine Mutter Cleopatra zum syrischen Thron helfen w o l l t e. Endlich hätte 10) Demetrius I. Soter, der Sohn des Seleukus Philopator, den Thron besteigen s o l l e n; allein er befand sich gerade als Geisel in Rom und machte seine Ansprüche nicht geltende, so dass Antiochus Epiphanes, zweiter Sohn Antiochus des Großen und Bruder von Seleukus Philopator, friedlich den Thron bestieg. H i t z i g (S. 121f.) gibt wenigstens soviel zu, der ägyptische König Ptolemäus können darum, weil ihm, was erst noch fraglich, seine Mutter den syrischen Thron verschaffen wollte, nicht schon unter den syrischen Königen mitgezählt werden. Dann bekommt er aber bloß neun und hilft sich nun dadurch, dass er vorne Alexander den Großen hinzusetzt. Unter den drei ausgerissenen Hörner versteht er dann neben Heliodor und Demetrius noch den Seleukus Philopator, von dem er zwar selbst zugibt, dass Antiochus Epiphanes mit seiner Ermordung nichts zu schaffen hatte; allein er meint, gegen Antiochus habe der Schein gesprochen, man schreibe die Tat demjenigen zu, dem sie Nutzen bringe, und die öffentliche Meinung Israels habe dem Antiochus gewiss das Schlimmste zugetraut, Geht man so mit der Geschichte um, so lässt sich freilich aus allem alles machen. Hitzig beruft sich denn auch darauf, dass Genaueres nicht bekannt und dieser Teil der syrischen Geschichte überhaupt vielfach unsicher und dunkel sei; vielleicht habe der Verfasser der Dreizahl zuliebe auch einigen Zwang geübt. Der Exeget macht sich's hier wieder dadurch leicht, dass er seinen eigenen Fehler dem Schriftsteller aufbürdet, womit freilich alle Exegese im Prinzip zerstört wäre, in Wahrheit aber nur die vorgetragene Erklärung von sich selbst aufgegeben und das Geständnis abgelegt ist, dass der Text und diese Auffassung desselben nicht anders als durch "Zwang" vereinbar seien. Und derselbe Hitzig macht es dann S. 37 unserer Ansicht, wie sie von Hengstenberg vertreten wird, zum Vorwurf, "dass sie, eine Enderfüllung in der Zukunft noch erwartend, die Erklärung jener Zehnzahl, jener drei Hörner und des elften ganz aufgebe."

Es lässt sich nun leicht6 zeigen, dass diese ganze Auffassung in der einen wie in der andern Gestalt mit dem Text unvereinbar ist, sowohl mit dem Wortlaut des 7. Kap als mit dem Sinn, den wir aus einem Vergleich von Kap. 2, Kap. 8 und der Offenbarung Johannis gewinnen.

1) Im Text des 7. Kapitels sind deutlich zehn Könige einander koordiniert, sowohl der Würde als der Zeit nach. Bei der modernen Ansicht aber haben wir, was die Würde betrifft, nur sieben oder (bei H i t z i g) acht Könige und drei oder zwei anderem, die nicht Könige waren, sondern nur Kronprätendenten teils waren, wie Heliodor, teils nach mütterlicher Absicht hätten werden sollen, wie Ptolomäus, teils hätten werden können, wie Demetrius. Und das soll dann heißen, von zehn nebeneinander stehenden Hörnern seien drei ausgerissen worden! Da hätte Daniel vielmehr höchstens schreiben können, sieben oder acht Hörner seinen nacheinander hervor gewachsen, dann haben drei oder zwei kommen wollen, statt ihrer sei aber ein anderes aufgestiegen. Es ist willkürlich, während der Text von zehn Königen redet, ihn von sieben oder acht Königen und ein paar Kronprätendenten, die erst nicht einmal recht als solche hervortreten, reden zu lassen, und während der Text von der Demütigung dreier Könige spricht, das von dem Nichtemporkommen einiger Prätendenten zu deuten. Was ferner die Zeit betrifft, so müssen natürlich, wie auch H i t z i g hervorhebt, die drei von dem elften gedemütigten König Zeitgenossen desselben und also auch untereinander sein. Wenn aber dies, so müssen auch die sieben anderen gleichzeitig mit jenen und miteinander existieren, denn sie werden ja mit jenen drei ohne irgendwelche chronologische Unterscheidung in der Zehnzahl zusammengefasst. Wo bei den Hörnern etwas Sukzessives bezeichnet werden soll, ist es immer deutlich gesagt; so beim elften Horn und Dan 8:3.8.9. Es ist also willkürlich, anzunehmen, von jenen zehn seien die sieben ersten nacheinander, die drei letzten nebeneinander.

2) Vergleichen wir das 2. Kap., so verliert die Beziehung der zehn Hörner auf syrische Könige und Prätendenten vollends allen Boden. Dort sind ja nur die den zehn Hörnern so handgreiflich entsprechenden zehn Zehen hervorgehoben, also zehn Könige. Von dem elften König, von einem Unterschied zwischen den sieben ersten und den drei letzten steht dort kein Wort. Wie soll man denn nun hier erklären? Soll der Traum Nebukadnezars mit Heliodor oder Demetrius schließen? Was gäbe das für eine Reihe! Allein die moderne Auffassung verwickelt sich hier noch in größere Schwierigkeiten. H i t z i g versteht unter dem Eisen Syrien und unter dem Ton Ägypten: "Von den Zehen sind die einen ganz eisern und gehen Syrien an, während die anderen ganz aus Lehm bestehend nach Ägypten gehören." (S. 35). Hier ist nun der Widerspruch schreiend: dieselbe Zehnzahl, welche im 7. Kap. syrische Könige bezeichnet, soll im 2. ägyptische und syrische bezeichnen. Welche? wird aber wohlweislich nicht näher angegeben. Es verzichten L e n g e r k e (S. 95f.) und H i t z i g (S. 35f) auf eine genauere Deutung der Zehen und maskieren die Verlegenheit mit etlichen allgemeinen, unbestimmten Bemerkungen über Ptlolemäer und Seleukiden u. dgl. Es versteht sich aber von selbst, dass die Unmöglichkeit bestimmter Deutung dann ein wesentlicher Mangel einer Erklärung ist, wenn dieselbe die Weissagung auf schon Vergangenes und geschichtlich Bekanntes bezieht, während es, wenn die Erfüllung erst zukünftig ist, in der Natur der Sache liegt, dass spezielle Deutungen nicht gegeben werden können.

3) Das 8. Kap. sagt uns deutlich, und zwar eben bei der griechischen Monarchie, um welche es sich hier handelt, was wir unter den Hörnern zu verstehen haben,nämlich nicht bloß einzelne Könige, sondern Königreiche und zwar, wenn der Text nicht ausdrücklich anders lautet, gleichzeitige Königreiche. Die Könige sind, wie schon ein Vergleich von Dan 7:17 mit Dan 7:23 zeigen kann, Repräsentanten ihrer Reiche, und wie das vierte Tier an jener Stelle ein König, an dieser ein Reich heißt, so erhalten auch die מַלְכִין Dan 7:24 ihre einfache Erklärung durch die מַלְכֻיֹות Dan 8:22. Einzelne Könige als solche werden, wie schon früher bemerkt, mit Ausnahme der Monarchiengründer Nebukadnezar und Alexander, sowie Antiochus und des Antichrist, in denen allen sich ganze Richtungen zusammenfassen, durch die Tiersymbolik des 7. und 8. Kap. nicht hervorgehen. Hiernach ist es nun unmöglich, im 8. Kap. unter den vier Hörnern vier Reiche zu verstehen, die aus dem Alexanders hervorgingen, im 7. dagegen unter den zehn Hörnern zehn einzelne Könige, die auf ihn folgten, und zwar dort vier nebeneinander existierende Reiche, hier zehn nacheinander auftretende Könige. Es wird hierdurch der exegetische Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Erklärung verletzt.

Vollends unmöglich aber ist es, unter dem vierten Tier, wie unter dem Ziegenbock, das ganze Reich Alexanders und seiner Nachfolger, von da an aber, wo es an die Hörner kommt, auf einmal nur einen Teil desselben, das syrische Reich zu verstehen. Am schreiendsten tritt diese plötzliche Zusammenschrumpfung des griechischen Reiches in das syrische bei H i t z i g hervor, welcher Alexander als ersten syrischen König, als erstes der zehn Hörner zählt. Dies ist doch über alle Maßen willkürlich, zumal wenn man wieder das 8. Kap vergleicht. Derselbe Alexander, der hier als das große Horn den vier anderen, mithin allein allen Reichen seiner Nachfolger zusammen gegenüber gestellt ist, von denen Syrien nur den vierten Teil ausmacht, soll im 7. Kap. den einzelnen syrischen Königen koordiniert und unterschiedslos neben Heliodor und Demetrius gezählt sein! So würde er in dem einen Kap. vierzigmal geringer taxiert als im anderen! Ich gestehe, dass es mir manchmal unbegreiflich ist, wie die neueren Exegeten den Mut haben können,mit solchen Erklärungen vor einen denkenden Leserkreis zu treten. Es begreift sich das nur aus der rationalistischen Befangenheit, der es a priori feststeht, die Weissagung dürfe um keinen Preis über Antiochus hinausgehen, und die dann in den Lesern geduldige Leute voraussetzt, welche in einem Kommentar über Daniel keine unparteiische Erwägung des Textes suchen, sondern nur eine Besprechung und Zurechtlegung desselben nach jenem Vorurteil.

Die Sache ist hier einfach diese: Die vier Hörner des Ziegenbocks sind die vier Teile, in welche das griechische Reich zerfällt; die zehn Hörner des vierten Tieres können daher nichts anderes sein, als zehn Teile, in welche das vierte Reich zerfällt, Dann ist aber klar, dass das vierte Reich nicht das griechische sein kann; denn dieses kann ja nicht zugleich in vier und in zehn Teile zerfallen.

4) Endlich erscheinen die zehn Hörner in der Apokalypse (Offb 13:1; Offb 17:3.12) als noch zukünftige Könige. Nun könnten allerdings die zehn syrischen Könige, wenn es solche gegeben hätte, Typus der Könige der letzten Zeit sein, sowie Antiochus ein Typus des Antichrist ist. Allein die Apokalypse setzt, als ob sie jede Beziehung zur Vergangenheit ausdrücklich abschneiden wollte, hier speziell bei: die zehn Hörner sind zehn König εἶδες βασιλεῖς οἵτινες βασιλείαν (Offb 17:12). Wir sehen, dass Johannes die zehn Könige als zu seiner Zeit noch nicht da gewesen ansah. Wm nun die Autorität der sich selbst auslegenden Offenbarung etwas gilt, der wird hierin einen weiteren Grund anerkennen müssen für die Unmöglichkeit, die zehn Hörner des vierten Tieres auf syrische Könige zu beziehen.

Damit ist nun die ganze moderne Auffassung des vierten Tiers und der vier Tiere überhaupt umgestoßen, ,eben damit die Einschränkung der danielischen Weissagungen auf die Zeit des Antiochus Epiphanes und damit die Hauptinstanz gegen die Echtheit unseres Buches.

III. Die biblisch-prophetische Geschichtsbetrachtung

Wir haben jetzt den einen Teil unserer Aufgabe gelöst, indem aus dem heiligen Text selbst die Unmöglichkeit der modernen, rationalistisch kritischen Auffassung des Buches Daniels nachgewiesen worden ist. Indes sind die kritischen Fragen doch immer nur das Vor- und Außenwerk; die Hauptsache ist das innere, lebendige Verständnis des göttlichen Worts. Zu diesem haben nun allerdings, wie wir hoffen, auch unsere polemischen Erörterungen Beiträge geliefert, jedoch nur durch die Gelegenheit. Ehe wir daher den Propheten verlassen, sei es vergönnt, noch einige friedliche, positive Bemerkungen über die wunderbaren Gesichte des 2. und 7. Kapitels hinzuzufügen, Bemerkungen, welche teils von den Auslegern weniger hervorgehobene Punkte betreffen, teils die Betrachtung der entsprechenden Abschnitte der Offenbarung Joh. vorbereiten und einleiten sollen. Wir reden dabei zuerst von den vier Weltreichen und ihrer Reihenfolge im ganzen, sodann noch insbesondere von dem vierten, da dieses sowohl die meisten Schwierigkeiten als auch das meiste Interesse darbietet, indem es noch in die Gegenwart und Zukunft hineinragt, während die drei ersten längst der Vergangenheit angehören. Es werden sich hierbei einige allgemeine Gesichtspunkte ergeben, welche für die Auslegung der Prophetie, wie für die biblisch prophetische Geschichts- und Zeitbetrachtung von Wichtigkeit sind.

Die vier Weltreiche

Schon oben im ersten Abschnitt bei der allgemeinen Charakteristik des Dan 2 beschriebenen Traumgesichtes musste darauf hingewiesen werden, dass sich hier der Gegensatz der göttlichen und menschlichen Welt- und Geschichtsanschauung auf durchgreifende Weise auspräge.

Dies zeigt sich nicht nur an der Art, wie die Weltmacht im Ganzen taxiert wird, indem sie äußerlich so herrlich und fest erscheint wie Gold, Silber, Eisen usw., in Wahrheit aber so nichtig ist wie Spreu; sondern es zeigt sich auch an der Art, wie durch die Wahl der Metalle und der Körperteile die einzelnen Reiche in ihrer Aufeinanderfolge charakterisiert werden. Offenbar nämlich macht sich eine sukzessive Abnahme des Wertes der Metalle bemerkbar: Gold, Silber, Erz, Eisen, Ton und ebenso geht es am Leib des Bildes in der Stellung und Bedeutung der einzelnen Teile immer mehr abwärts: Kopf, Brust und Arme, Bauch und Lenden, Schenkel und Füße. Es lässt sich nicht leugnen, dass durch beide Züge und zumal durch die Verbindung des ersten mit dem zweiten fortschreitende Verschlimmerung des Weltwesens angedeutet sein soll, wie es denn auch Dan 2:39 gleich von der zweiten Monarchie als Beispiel für die übrigen ausdrücklich heißt: sie sei geringer als die erste. Dass sich dies nicht auf die Abnahme der äußeren Macht bezieht, geht deutlich daraus hervor, dass das vierte Reich im 2. und 7. Kap. übereinstimmende als das gewaltigste geschildert wird. (Dan 2:40; Dan 7:7.19.23); und es haben sich daher die Exegeten dies verkennend und von der Tatsache ausgehend, dass das persische Reich doch eigentlich größer und mächtiger gewesen sei als die babylonische, mit jener Stelle unnötige Schwierigkeiten gemacht, die sie zum Teil durch Künsteleien zu beseitigen suchten (z. B. H e n g s t e n b e r g, Beitr. S. 201f.) Vielmehr ist hier offenbar von einer Abnahme an innerem Wert und Gehalt die Rede. Die Hl. Schrift, indem sie die Weltentwicklung im großen Ganzen überblickt - bei den einzelnen Völkern gibt es natürlich, wie bei den Individuen, eine Zeit des Auf- und Abblühens, - spricht also von einer Bewegung nicht aufwärts, sondern abwärts.

Und mit dieser Anschauung steht nicht etwa Daniel allein, sondern sie liegt dem ganzen Gotteswort des A. und N.B. zugrunde, besonders alle dem, was uns über die Anfänge und über das Ende unseres Geschlechts gesagt wird. An der Spitze der Entwicklung der Menschheit steht nach der Hl. Schrift ein paradiesischer Zustand, ein goldenes Zeitalter, wie es seitdem nie wieder erreicht worden ist. Die Sünde ist ein Gift, welches durch die Jahrtausende hin allmählich sich ausbreitet und in den Organismus der natürlichen Menschheit immer tiefer eindringt, denselben zerfressend und depotenzierend. Nicht steht auf einmal die dichte Finsternis neben dem reinen Licht, sondern auch hier zeigt uns die Bibel einen organischen Prozess, eine stufenweise Entwicklung zwischen den beiden schon oben aufgezeigten Punkten, vom Fall Adams bis zum Antichrist. Der außerparadiesische Zustand vor der Sündflut wird uns zwar nur in spärlichen Andeutungen beschrieben; doch ist man wohl ziemlich allgemein damit einverstanden, dass wir ihn uns nach denselben noch als einen Zustand kräftigeren, markigeren, höheren Lebens zu denken haben, als den nachsündflutlichen: dies geht ja schon aus der damaligen Lebensdauer hervor. Nach der Sündflut bildet der Turmbau zu Babel wieder eine Epoche, von welcher die Menschheit tiefer in Zerrissenheit, Verderben, Heidentum hinein geriet. In demselben Babel gründet Nimrod, der Empörer, das erste Weltreich (1Mo 10:8-12). Von da an lässt nun die Hl. Schrift das Menschengeschlecht im Ganzen seine eigenen Wege gehen und hat es nur mit dem Bundesvolk zu tun.

Aber das Resultat dieser Eigenentwicklung finden wir eben bei Daniel, der uns nach demselben Babel versetzt: sein babylonisches Weltreich nimmt gleichsam den Faden wieder auf, der mit dem Turmbau und Nimrodsreich abgebrochen war. Beim babylonischen Turmbau hat sich die ganze damalige Menschheit wider Gott vereinigt; mit dem babylonischen Reich hat die Zeit der Universalmonarchien begonnen, die abermals noch einer widergöttlichen Bereinigung der gesamten Menschheit trachten. Babel ist seitdem und bis in die Offb. Joh. hinein der stehende Typus des Weltwesens geblieben. Wie sich nun vom babylonischen Reich an die Weltmacht mehr und mehr verschlimmert, bis im Antichrist das widergöttliche Wesen seinen vollendeten Ausdruck gewinnt, das zeigt uns eben unsere Weissagung. Es ist also ein sukzessives Herunterkommen vom Paradies bis zum Gericht. Damit stimmt denn wesentlich überein, wie uns die Bibel allenthalben das Resultat der Entwicklung der Menschheit beschreibt, den Endzustand, mit welchem die Weltgeschichte abschließt. Sie schildert uns einen Zustand des Abfalls, der Unbußfertigkeit, der Sicherheit, der Gottesvergessenheit, welcher das Gericht notwendig herbeizieht (Mt 24:37-39; Lk 18:8; 1Thes 5:3; 2Tim 3:1ff. 2Petr 3:3f. Offb 9:20f.; Offb 16:9.11). Schon der Umstand überhaupt aber, dass die Weltgeschichte mit einem Gericht endet, ist für die biblische Grundanschauung von derselben entscheidend.

Es ist das einer jener Punkte, die auf den ersten Anblick religiös indifferenter Natur scheinen, und wo daher auch redliche Christen oft meinen, mit der Zeitströmung Hand in Hand gehen zu können. Eine tiefere Betrachtung zeigt aber, dass, wer schriftgemäß denken und etwas Ganzes werden will, auch hier durchbrechen muss, und dass, zumal in jetziger Zeit, für die Gesamtheit unserer Weltansicht und daher auch unseres Lebens und Wirkens gar viel darauf ankommt, wie wir in solchen Fragen urteilen. So wenig es für den denkenden Christen gleichgültig ist, ob er eine mechanische oder eine lebensvolle, wunderfähige Naturanschauung hat, so wenig ist es gleichgültig, wie er über die Geschichte philosophiert. Denn Natur, Geschichte und Offenbarung sind die drei großen Gebiete der göttlichen Lebensentfaltung, von welchen das letzte und höchste die beiden anderen zur notwendigen Voraussetzung hat. Darum hat die Bibel ihre eigene Natur- und Geschichtsbetrachtung, und für letztere ist eben Daniel von ganz besonderer Wichtigkeit; sein Buch enthält die göttliche Philosophie der Geschichte im Grundriss.

Hat man dies früher in äußerlicher Weise anerkannt, so hat man es in neuerer Zeit äußerlich und innerlich geleugnet. "Daniel, sagt hierüber B a u m g a r t e n (Apg. II, 1. S. 255.265 f.) hat die von Gott festgesetzten und für die ganze Menschheit bedeutsamen Zeitpunkte und Zeitläufe teils im Allgemeinen, teils auch im Einzelnen bestimmt und dadurch den ganzen Begriff von entscheidenden Zeitpunkten der gesamten Menschheitsentwicklung (Apg 17:26) innerhalb der Offenbarung festgestellt. Die christliche Weltanschauung ging auch ursprünglich auf die darin angedeutete Auffassung der Weltgeschichte ein. Die Darstellung der Weltgeschichte nach den vier Weltmonarchien währte in Deutschland bis G a t t e r e r. Da aber diese Auffassung und Darstellung in ihrer unfreien und unvermittelten Anlehnung an das dem Buch Daniel entnommene Schema die Mannigfaltigkeit und Wirklichkeit der Welt- und Völkerverhältnisse nicht zu ihrem vollen Recht kommen ließ, so t rat auch hier die Periode der Emanzipation von der Bevormundung durch eine geheiligte Autorität ein. Die Geschichtsforschung erging sich in der Auffindung und Darlegung der Einzelheiten dergestalt, dass sie die Einheit und den Gesamtfortschritt völlig vergaß. Es ist gewiss, dass durch diese Richtung sehr Großes geleistet worden ist und fortwährend geleistet wird, und dass damit zu einer vollendeten Auffassung der Geschichte ein bisher fehlender Grund gelegt wird; allein hierin Genüge zu finden, ist doch nur möglich, so lange das Gefühl der Neuheit noch frisch ist. Die Geschichtsforschung und Geschichtsauffassung, welche von dem Impuls der christlichen Weltanschauung ursprünglich ausgegangen ist, wird immer wieder auf die Zusammenfassung der Totalität zurückkommen müssen. Diese Einlenkung von der Richtung auf das Einzelne zu der Aufmerksamkeit auf das Ganze hat auch bereits stattgefunden.; aber wir stehen noch fern vom Ziel. Joh. v. M ü l l e r hat, durch biblische Studien und Reminiszenzen geleitet, manch tieferen Blick in das Innere der geschichtlichen Ereignisse getan, er erhebt sich auch wohl einmal zu einem wahrhaft universalhistorischen Gedanken; aber im Ganzen ist und bleibt er in Hinsicht der Totalanschauung der Geschichte Schüler Gatterers und Schlözers.

Dass in derjenigen Auffassung der Geschichte, welche das Volk Gottes zum Mittelpunkt aller Entwicklung setzt, welche er die theologische Disposition der Geschichte nennt, eine tiefe Wahrheit verborgen sei, hat B. N i e b u h r geahnt, aber vorn dem Respekt vor einer solchen Auffassung bis zur Aneignung und eigentümlichen Durchführung ist natürlich noch ein sehr großer Schritt. H. L e o endlich lag es am nächsten, auf der bezeichneten Bahn der Entwicklung einen wirklichen Anfang zu machen; aber auch er vermag in jener Einteilung der Weltgeschichte in die vier Perioden der Weltmonarchien, indem er die biblische Grundlage mit der mangelhaften Ausführung zusammenwirft, nichts weiter als einen "guten Takt" zu erkennen. Gegenwärtig ist die Universalgeschichte im Wesentlichen über den Standpunkt des Herodot nicht hinausgekommen; denn wenn sie auch größere Gebiete übersieht und höhere Zielpunkte erkennt, der Gesichtskreis bleibt doch immer ein national und individuell beschränkter. Daher ist es auch ganz in Ordnung, dass man Herodot als den Vater der Geschichte bezeichnet, während doch in Wahrheit nicht Herodot, sondern Mose derjenige ist, welcher die ersten universalhistorischen Grundzüge gezeichnet hat." Was aber die Geschichtsschreibung noch nicht geleistet hat, das hat die Philosophie versucht, nicht ohne bedeutenden Einfluss auszuüben, aber in einem nicht bloß Daniel und dem Schriftwort unabhängigen, sondern ihm widerstreitenden Geist. Die gangbare Philosophie der Geschichte, wie sie z. B. von H e g e l systematisch durchgeführt worden ist, aber auch sonst fast allenthalben dem modernen Denken und der modernen Geschichtsschreibung zugrunde liegt, betrachtet den Entwicklungsgang der Menschheit als einen Weg von unten nach oben: sie setzt als den ersten Ausgangspunkt desselben einen rohen, halbtierischen Naturzustand und als das Ziel die allgemeine Humanität, Freiheit und Kultur. Sie muss Daniel als einen banausischen Mann betrachten, wenn er die orientalischen Reiche über die Träger der klassischen Kultur stellt; und vollends eine harte Rede muss es ihr sein, wenn unsere Zeiten mit ihrer Blüte von Bildung und Wissenschaft noch weiter herab zu stehen kommen, unter das vierte Reich und zwar gegen den Schluss desselben, wo das Geheimnis der Bosheit (2Thes 2:7), des gottwidrigen Tierwesens immer stärker sich zu entfalten beginnt.

Aber wie? stehen denn nicht wirklich die Griechen und Römer höher als die Orientalen? und die christlichen Völker höher als beide? Was den letzteren Punkt betrifft, so werden wir später aus Anlass der vierten Monarchie und der Offb. Joh. noch speziell darauf zu reden kommen müssen. Im Allgemeinen ist die Antwort auf jene Frage nicht schlechtweg: Nein; vielmehr muss man natürlich in gewissem Sinn unbedingt: Ja antworten. Es kommt alles auf den Gesichtspunkt an, von welchem man ausgeht. Die moderne Betrachtungsweise geht aus von dem Gegensatz von Natur und Geist, der ihr aber, da sie unter Geist im Wesentlichen nur den Menschengeist versteht, identisch ist mit dem von Natur und Kultur. Auch die Hl. Schrift, können wir sagen, führt die ganze Weltentwicklung auf den Gegensatz von Natur und Geist zurück; nur nimmt sie denselben in anderem Sinn. Und das ist eben ein Hauptübelstand in unsern Tagen, dass man die Worte, besonders solche Grundworte, wie Geist, Licht und dgl. in ganz verschiedenem Sinn braucht, dass man Schriftausdrücken eine profane Bedeutung unterlegt, dass falsche Propheten in Schafskleidern zu uns kommen und so dem Lamme gleichen (Mt 7:15; Offb 13:11): daraus entsteht jene energische Kraft des Irrtums, vermöge welcher man der Lüge glaubt (2Thes 2:11). Die Hl. Schrift, schon dies ist bezeichnend, sagt nicht Natur und Geist, sie sagt Fleisch und Geist; hier ist der Gegensatz zur Natur nicht die Kultur, sondern die Gnade.

Die ganze Geschichtsbewegung aus dem Naturzustand in den Kulturzustand fällt nach der Hl. Schrift noch ins fleischliche Gebiet, ins Leben der natürlichen, unerneuerten Menschheit hinein (Kol 3:11). Geist ist ihr nicht bloßer Menschengeist, sondern der Gottesgeist aus der Höhe, die Gnadengabe der überirdischen Welt. Dieser Geist bringt noch weit mehr zustande als ein bloßes Leben der Kultur und Humanität, das nur verfeinertes, ausgebildetes, aber nicht ungebildetes Fleischesleben ist; er wirkt wesenhafte Geistigkeit d. h. ein pneumatisches Leben aus Gott und in Gott, welches nicht dieser Welt angehört und in letzter Instanz Verklärungsleben, Auferstehungsleben in geistleiblicher Herrlichkeit ist. Verklärung im biblischen Sinne (Röm 8:17.21) ist etwas anderes als Bildung. Und weil die Bibel auf einer so hohen Warte steht, dass sie jene letzten Zielpunkte des ewigen Gottesplanes stets im Auge hat (1Kor 2:7-10; Eph 1:9.10), so denkt sie von unsern Kulturentwicklungen geringer als wir Menschenkinder hier unten im Erdenstaub, von denen es heißt: wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde (Joh 3:31). Das ist die ungeheure Borniertheit und die größte Lüge unseres Geschlechtes, dass man die Kultur für das Höchste nimmt, dass man sie als Surrogat für Gnade, für die Wiedergeburt aus dem Geist des lebendigen Gottes ansieht. Die Kultur ist der Götze der modernen Welt. Dem gegenüber sagt die Schrift: Wird's nicht also kommen vom Herrn Zebaoth: Was die Völker gearbeitet haben, muss mit Feuer verbrennen, und um was die Nationen sich gemüht haben, muss verloren sein? denn die Erde wird vollwerden von Erkenntnis der Herrlichkeit des Herrn, wie die Wasser das Meer überdecken (Hab 2:13.14; vgl. Mt 13:44-46).

Was uns Daniel in seinen vier Weltreichen darstellt, ist im Grunde nichts anderes als jener Fortschritt von der Natur zur Kultur, oder vielmehr, da er lauter Kulturreiche vor sich hat, von der naturwüchsigen zur ausgebildeten Kultur, von einem natürlich kräftigen, soliden Dasein zu einem Leben der Verfeinerung und Intelligenz, welches in den klugen Augen des Antichrists (Dan 7:8) seinen abschließenden Ausdruck gewinnt. Es sind, um mit J. P. L a n g e (Apostol. Zeitalter I, S. 206f.) zu reden, Weltmonarchien und Weltkulturen, die der Prophet uns schildert. Die ersten Metalle, Gold und Silber sind edler, gehaltreicher; aber die letzten, Erz und Eisen, sind für Zivilisation und Bildung unendlich wichtiger, ja sie sind die eigentlichen Träger derselben; mit ihrer Bearbeitung begann die erste Kulturentwicklung der Menschheit (1Mo 4:22). Der Ton aber vollends, der das germanische Wesen darstellt, ist der aller bildsamste und bildungsfähigste Stoff. Die Schrift erkennt also die Nichtigkeit des modernen Prinzips der Geschichtsbetrachtung an, sie fasst die Entwicklung der Menschheit auch als die Bewegung von Natur zur Kultur. Wie könnte sie auch anders, wenn sie von der Geschichte der Staaten und Reiche dieser Welt d. h. überhaupt von der Weltgeschichte redet? Das in Reich und Staat sich zusammenfassende Weltleben, das Leben der Weltgeschichte ist Kulturleben. Staat, Kultur, Geschichte sind eng untereinander zusammenhängende Begriffe. Nur diejenigen Völker sind historische Völker, welche zu irgendwie geordneten Reichen organisiert sind und eben damit, damit, aus dem ganz rohen Naturzustand heraustreten, ein Leben der Kultur begonnen haben. Die Entwicklung der Weltreiche ist also Kulturentwicklung, und diese beschreibt Daniel.

Nur beurteilt und taxiert der Prophet und mit ihm das ganze Gotteswort diese Entwicklung auf eine der herrschenden entgegengesetzte Weise. Die Schrift leugnet nicht, dass die Griechen in kulturgeschichtlicher Beziehung höher stehen als die Perser und Babylonier und die neueren Völker höher als die alten; aber sie leugnet, dass das ein wirkliches Höherstehen sei, ein Höherstehen in dem, was eigentlich das Wesen und die Bestimmung des Menschen ausmacht, die echte, ewige Humanität, wie sie sich in dem Menschensohn ausprägt im Gegensatz zu den vier Tieren. Das Wesen des Menschen liegt in der Gott-Ebenbildlichkeit und Gott-Gemeinschaft; der wahre Menschensohn kann nur vom Himmel kommen (Dan 7:13). Nun ist es aber eine unleugbare Geschichtstatsache, dass die fortschreitende Kultur den Menschen immer mehr von der Gemeinschaft Gottes wegführt. Sie ist Erweiterung des Welt- und Selbstbewusstseins, und da diese seit dem Eintritt der Sünde in die Menschheit nun einmal faktisch dem Gottesbewusstsein entgegenstehen als Weltlust und Selbstsucht, so geschieht ihre Erweiterung im Allgemeinen nur auf Kosten des Gottesbewusstseins. Haben wir es doch vorhin aussprechen müssen, dass in unsern Tagen die Kultur an die Stelle der Gnade gesetzt werde; sie verdrängt das Leben in Gott, weil sie glaubt es überflüssig machen zu können. Und wie es jetzt am Ende ist, so war es schon am Anfang. Es ist eine bedeutungsvolle Tatsache, dass die Anfänge der Kultur im kainitischen Geschlecht sich finden (1Mo 4:17-24); schon damals waren die Kinder dieser Welt klüger als die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht (Lk 16:8). So treibt die Gottentfremdung zu weltlicher Bildung, wie nach den vorigen Bemerkungen diese umgekehrt zu jener; es findet eine Wechselwirkung zwischen beiden statt*)

*) D e l i t z s c h zu 1Mo 4:17ff.: "Die ganze Menschengeschichte bestätigt die Beobachtung, zu welcher dieser urgeschichtliche Anfang uns veranlasst, dass die Kultur sich in dem Maße erweitert und verfeinert, als die Gottentfremdung zunimmt." Dazu N i t z s c h (System d. christl. Lehr §.115)., welcher die umgekehrte Wahrheit hervorhebt: "Die Ansicht ist wahr, welche von jeder Kultur, die auf der bloßen Erregung und Zusammenwirkung der natürlichen Kräfte des adamitischen Geschlechts beruht, im Ganzen genommen eine noch größere Verschlimmerung als Herstellung erwartet."

Nicht als ob die Kultur als solche etwas Böses und Sündhaftes wäre; sie ist für den empirischen, sündigen Zustand des Menschen notwendig und gottgewollt, wie ihr Träger, der Staat; sie kann im Dienste des Reiches Gottes geheiligt werden. Aber während die Kinder des Lichts in Gott leben und diese Welt brauchen, ohne ihr Herz daran zu hängen, weil sie wissen, dass des Wesen derselben vergeht und dass Gott allein ewiges Leben hat (1Kor 7:31); während sie die Segnungen der Kultur zu dem rechnen, was ihnen von selbst zufällt, weil die Gottseligkeit die Verheißung auch dieses Lebens hat, und weil alles ihnen gehört (Mt 6:33; 1Kor 3:21f.; 1tim 4:8): sind dagegen die Kinder dieser Welt eben Weltkinder, sie leben ganz in der Welt der Sinnlichkeit und Sichtbarkeit und suchen nur dieser alles darzubringen, was sie zum Nutzen und Genuss darbietet. Sie trachten dasselbe von untern her zu erreichen, was jene von oben her zu erreichen wissen,nämlich ein wahrhaft menschliches, ein gottähnliches Dasein. Nicht durch eine geistliche Erneuerung aus Gott und Heiligung in Gott, sondern durch Ausbildung und Ausbeutung der natürlichen Kräfte des Menschen und der Welt will man hier, bewusst oder unbewusst, Gott gleich werden.

Es ist dies im Grunde wieder das von der Schlange im Paradies ausgesprochene Prinzip: der Mensch soll von sich aus, ohne und wider Gott, zur höchsten Erkenntnis (Verstandeskultur) und eben damit zur Gottgleichheit gelangen (1Mo 3:5). Dies Prinzip hat im babylonischen Turm einen kolossalen Ausdruck gefunden, der sich also hier von einer neuen Seite uns darstellt, als ein Werk menschlicher Kunst, welches von der Erde bis an den Himmel reichen sollte, und mit welchem das Heidentum beginnt. Vo da an hat sich dasselbe Prinzip weiter entfaltet in den sich selbst überlassenen Völkern und Staaten, in den Weltreichen, von denen Daniel weissagt, und die man ja zum Unterschied von Israel, dem Religionsvolk, als die Kulturvölker zu bezeichnen pflegt. Im Hellenentum hat allerdings diese Ausbildung des natürlichen Menschenwesens und seiner Gaben, die künsterliche "Verklärung" des Fleisches, die Entfaltung der Humanität von unten her ihren vorzüglichen Ausdruck gefunden. Daher erscheinen die Hellenen im N. T. als die Repräsentanten des heidnischen Kulturlebens (Röm 1:14.16; 1Kor 1:22-24) und überhaupt des Heidentums im Gegensatz zu den Juden. Eben daraus erklärt sich auch die Hinneigung unserer modernen Bildung zum Hellenentum, das freilich oft sehr irrtümlich idealisiert wird, wie andererseits die Abneigung derselben Bildung gegen Israel, ihre Verschlossenheit gegen Gesetz und Propheten. Ebendaraus erklärt es sich aber auch, dass aus dem griechischen Reich jener erste Hauptfeind des Reiches Gottes hervorging, den uns Dan 8 und 11 schildert. Indem Antiochus Epiphanes, dieser Fanatiker der hellenischen Kultur*) den Zeus Olympios an die Stelle Jehovas setzen wollte: kam es zum ersten Konflikt zwischen den großen universalhistorischen Prinzipien, zwischen dem, welches von unten her und dem, welches von oben her ist, zwischen heidnischer Kultur und geoffenbarter Religion.

*) Er besaß "außerordentliche Kunstliebe, welche sich in großartigen Bauten, namentlich von Tempeln, kundtat, und einen gewissen Fanatismus für den heidnischen Kultus." W i e s e l e r in Herzogs Realenzyklopädie I, S. 384.

Und wie die hellenische Kultur den ersten, so wird die modern heidnische Kultur den letzten schlimmeren und allgemeineren Antichrist aus sich erzeugen. Er heißt sehr bezeichnend Antichristus; denn um wieder B a u m g a r t e n s Worte zu gebrauchen (Apostelgesch. I, S. 305), "dem Horn werden Augen wie Menschenaugen und ein redender, also gleichfalls menschenähnlicher beigelegt (Dan 7:8). Das Menschenähnliche an einem Gebilde, welches durchaus tierisch ist und eben durch seinen tierischen Charakter die innere Eigentümlichkeit des Weltreiches darstellen will, ist umso bedeutsamer, da das dem Weltreich gegenübergestellte Reich als das menschliche bezeichnet wird (Dan 7:13). Demnach weist das Horn mit Menschenaugen und mit Menschenmund auf eine Gestalt des Weltreiches hin, in welcher es, ohne die Eigentümlichkeit seines Charakters aufzugeben, sich in den Schein des Gottesreiches kleidet." Der Antichrist will und verheißt ganz dasselbe, was Christus bringt, nur auf entgegengesetztem Weg, ohne Kreuz - das ist sein Zauber, womit er nach der Offenbarung Johannis Völker und Könige verführt. Er verheißt Fleischesverklärung ohne Tötung des Fleisches, Weltverklärung ohne Weltgericht. Er ist ein Christus ohne Kreuz und daher in allem das Zerrbild Christi, der Anitmessias, der Pseudmenschensohn, sowie die Menschenvergötterung die Karikatur der Gottebenbildlichkeit des Menschen ist. Er verheißt den Menschen ein wahrhaft menschliches, ein göttergleiches Dasein, den Himmel auf Erden, das tausendjährige Reich.*)

*) "Können wir verkennen, dass die politischen, sozialistischen und kommunistischen Tendenzen der neueren Zeit - diese Ausgeburten des hereinbrechenden Antichristentums - mit dem krassesten Chiliasmus geschwängert sind?" M a r t e n s e n, Dogmatik, S. 533. Vgl. die Tür der Hoffnung (aus dem Englischen, Frankfurt, Herder und Zimmer 1854) S. 42f.: "Die Welt strotz jetzt von falschem Christi, von denen die Menschen wenig ahnen. Denn von allen falschen Christi sind das die ärgsten, die dem Menschen die Befreiung vom Fluch verheißen ohne Bekenntnis und Absehen der Sünde, um deretwillen der Fluch ihn traf."

Aber Fleisch und Welt müssen gerichtet werden, weil der Fluch auf ihnen liegt; und wo man das auf Golgatha über sie ergangene Gericht nicht annehmen und sich nicht in Christi Tod ergeben will, da kommt das äußere Gericht mit seinen Schrecken. Eben jener Gekreuzigte erscheint als der Herr der Herren und der König der Könige, und das herrliche Weltwesen zerstiebt vor ihm wie Spreu von der Tenne. Dann wird das tausendjährige Reich wirklich anbrechen Vgl. Mt 16:21-27.

Von hier aus ist es nun klar, wiefern unsere Weissagung die früheren Weltreiche über die späteren, die orientalischen über die okzidentalischen stellt. In äußerer Bildung, Verfeinerung und Verschönerung des Lebens, in Staatseinrichtungen, Künsten, Wissenschaften, Erfindungen sind freilich die späteren gegen die früheren ungemein fortgeschritten. Aber es gibt noch etwas Höheres als alle diese Lebensgüter, ein Etwas, das freilich nicht unsere moderne Denkweise, das aber die Hl Schrift als die Hauptsache ansieht, und wovon ebenso auch die Erfahrung der Geschichte laut genug verkündigt, dass es in Wahrheit die unsichtbare Lebenswurzel für Völker und Reich, wie für die Individuen ist. Das ist der ursprüngliche, zarte, geheimnisvolle Zusammenhang des Menschen mit Gott im Gewissen, die Pietät, die natürliche und gleichsam instinktartige Scheu vor den göttlichen Grundordnungen des Lebens. "Gerechtigkeit erhöhet ein Volk" (Spr 14:34.27; vgl. Spr 16:12; Jes 33:15-17; Jer 22:3-5). Diese Gerechtigkeit zeigt sich hauptsächlich in der Ehrfurcht der Menschen vor dem Heiligen, im Gehorsam der Untertanen gegen die Obrigkeit, im Respekt der Kinder gegen die Eltern. Das sind Grundmächte des menschlichen Lebens; darauf beruhen Religionen, Staat, Familie, also die wesentlichen Potenzen, durch welche überhaupt ein Zusammenwohnen der Menschen möglich ist. Es sind die Gnadengaben der Schöpfung, welche Gott den Menschen, ganz abgesehen von der Offenbarung überhaupt von einer bestimmten Religion, mitgegeben oder gelassen hat, um ihnen eine geordnete Existenz und Entwicklung möglich zu machen. Wo dieser Lebensfonds der natürlichen Religiösität und Sittlichkeit angetastet oder gar vergeudet und mit Füßen getreten wird, da vermögen Künste und Wissenschaften, da vermag die gesteigerte Bildung ein Volk nicht mehr zu retten, wie die Zeiten des Verfalls von Griechenland und Rom, wie unsere Zeiten zeigen. Ja die höchste Kulturblüte ist eben schon der Anfang des inneren Verfalls, weil von dem klug gewordenen Geschlecht die substanziellen Lebensmächte angenagt, kritisch zersetzt werden.

Das ist das tragische Los der unter dem Bann der Sünde liegenden Menschheit. Jenen ursprünglichen, natürlichen Lebensfonds finden wir nun desto kräftiger, je weiter wir in der Geschichte zurückgehen; er muss namentlich im Orient, dem Mutterschoß der Religionen, kräftiger gewesen sein als im Okzident. Man wird z. B, schwerlich leugnen wollen, dass die babylonische und persische Religion in den Völkern, denen sie entsprossen sind, mehr wirklichen Wahrheitsgehalt, mehr heilige Scheu vor dem Göttlichen, tieferen Ernst im Kampf gegen das Böse voraussetzen, als die hellenische, die so viel reicher und schöner entwickelt ist*); sowie man nicht leugnen kann, dass die älteren Griechen und Römer ein kernhafteres, frömmeres, männlicheres Geschlecht waren als die späteren, hochgebildeten der letzten Jahrhunderte vor Christo, in welchen die Weltherrschaft erst an diese Nationen kam. Während nun wir Menschen nur das sehen und nach dem unser Urteil bilden, was vor Augen ist, sieht Gott, der die Menschen und Völker mit der Waage der Ewigkeit wiegt, und sieht der Geist der Weissagung jenen verborgenen Kern der Dinge, das Herz, an (1Sam 16:7); und darum fällt sein Urteil anders aus als das unsrige.

*) Vgl. z. B. T h i e r s c h, die Kirche im apostol. Zeitalter, S. 12: "Der asketische Ernst des Morgenlandes fasst den sittlichen Zwiespalt im Menschen und den Riss, der in sein ganzes Dasein gekommen ist, mit einer tiefe, von der die griechische Welt nichts wusste." N ä g e l s b a c h, der Gottmensch I, S. 128: "Wiewohl wir in der Kultur von niederen zu höheren Stufen aufsteigen, so doch nicht in der Naturbegabung. Die Kunst nimmt zu, die Natur ab; dies ist das Gesetz der menschlichen Kulturentwicklung."

Auch die Weissagungen des 7. und 8. Kapitels bieten in dieser Beziehung einige charakteristische Züge dar. Von der ersten Monarchie kann Dan 7:4 noch gerühmt werden, dass Nebukadnezar des Menschen Herz erhielt, weil er dem lebendigen Gott die Ehre gab. Denn die Veränderung, die mit dem Löwen vorgeht, ist ohne Zweifel mit R o o s , P r e i s w e r k , H o f m a n n u. an. auf das zu beziehen, was im 4. Kap von Nebukadnezar erzählt wird. Die Adlerflügel des Übermuts, womit er so hoch sich verstieg, wurden dem Nebukadnezar ausgerissen; er demütigt sich vor Gott, und eben damit verliert er seine Tiernatur und wird zur Menschenwürde erhoben. Dem Übermütigen war Dan 4:12 die Strafe angekündigt worden: sein Herz soll anders als menschlich werden, und ein Tierherz soll ihm gegeben werden; von dem Bußfertigen heißt es nun umgekehrt: eines Menschen Herz ward ihm gegeben. Unser ganzes Kapitel wird ja von diesem Gegensatz der Tier- und Menschennatur beherrscht; tierisch ist die gottwidrige Weltmacht, menschlich, wer in Gemeinschaft mit Gott steht. Dies Menschenherz Nebukadnezars steht zugleich in einem merkwürdigen Kontrast (vgl. 1Sam 16:7; Roos S. 146) gegen die Menschenaugen des Anitchrists, des Pseudomenschensohnes, von denen wir schon oben gesehen haben, dass sie Klugheit, intellektuelle Kultur bezeichnen, während Herz und Mund Gott lästern. Wie hoch steht also der erste Weltherrscher in religiöser Beziehung noch über dem letzten! Von der zweiten Monarchie wird schon nichts mehr so Gutes gesagt, wie von der ersten, doch auch noch nichts Schlimmes. Die dritte dagegen bringt bereits einen Widersacher hervor und die vierte dann den ärgsten. - Auch in der äußeren, politischen Entwicklung der einzelnen Reiche stellt sich eine ähnlich Abnahme heraus. Das erste ist noch ein Ganzes; das zweite fängt schon an, sich zu teilen, das medische und persische Element (Dan 8:3); das dritte aber geht gar in vier und das vierte vollends in zehn Reiche auseinander.

Nicht unbemerkt wollen wir lassen, wie die Weissagung auch darin treu und scharf aufzeichnet, dass in allen diesen Beziehungen innerhalb der vier Monarchien wieder der große, welthistorische Unterschied des Abendlandes und Morgenlandes hervortritt, indem die zwei orientalischen und die zwei okzidentalischen Reiche jeweils einander näherstehen. Jene sind durch edle, diese durch unedle Metalle charakterisiert. Das System der Teilung, der Individualisierung ist vorzugsweise den letzteren eigen, wie auch sie es sind, welche die beiden Hauptfeinde des Gottesreiches hervorbringen. Lauter Erscheinungen, die mit dem oben Entwickelten in genauem Zusammenhang stehen und darin ihre Erklärung finden.

Endlich möchten wir noch auf einen Punkt aufmerksam machen, welcher sich aus einem Vergleich der einzelnen Weissagungen untereinander und mit der Erfüllung ergibt. Es ist schon gezeigt: die Weltereignisse werden von Gott und seinem Wort mit einem anderen Maßstab gemessen, als von unserer profanen Gesichtsbetrachtung. Was hier groß erscheint, ist dort klein; und umgekehrt, worüber die Weltgeschichte hinwegsieht, was in den natürlichen Lauf der Dinge von selbst sich einzuordnen scheint, das ist entscheidend. Diese Bemerkung drängt sich uns namentlich in Beziehung auf Antiochus Epiphanes auf. Er war ein syrischer König mitten unter den übrigen; er macht weltgeschichtlich nicht eben Epoche. Auch in der israelitischen Geschichte ist es ähnlich. Die kümmerliche Zeit der 62 Wochen ging nach wie vor ihren Gang; die Bedrängung durch Antiochus schloss sich natürlich an die mancherlei Leiden und Bedrückungen an, welche den Juden aus den immer währenden Kämpfen der Ptolemäer und Seleukiden bis dahin schon erwachsen waren. Und doch stand in jenem kurzen Zeitabschnitt die Existenz des Reiches Gottes in der Welt auf dem Spiel, wie nie zuvor doch wird derselbe aus diesem Grund von der Weissagung so stark hervorgehoben und so genau im voraus beschrieben, wie kaum irgend eine andere Zeit. Wir sehen, es können sich große Ereignisse im Reich Gottes ganz auf dem gewöhnlichen, gemeinen Geschichtsweg anbahnen und zutragen, ohne dass eben viel außerordentliche und wundersame Dinge geschehen. Auch in dieser Beziehung ist Antiochus ein Vorbild des Antichrists. Auch dieser ist ja, wie jener ursprünglich ein kleine Horn, das nur so allmählich emporwächst, bis es größer wird als alle seine Genossen (Dan 7:8.20; Dan 8:9).

Ganz entsprechend schildert das N. T. die der Zukunft Christi vorangehende Zeit. Man isst, man trinkt, man freit, man kauft und verkauft, man baut und pflanzt auch noch; die Weltentwicklung geht ihren geregelten Gang, Wohlstand, Gewerbe, Handel, Bildung sind in der schönsten Blüte, ja man stellt noch eine schönere Zukunft in Aussicht; an spricht: Es ist friede, es hat keine Gefahr (Lk 17:26-30; 1Thes 5:3). Und wenn auch die auffallendsten göttlichen Gerichte kommen, die Augen sind gehalten, dass man sie nicht als Gerichte oder doch nicht als Vorzeichen anerkennt und nicht Buße tut (Offb 16:9.11). Da wird sie das Verderben schnell überfallen, gleichwie der Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen (1Thes 16:9.11). Da wird sie das Verderben schnell überfallen, und sie werden nicht entfliehen (1Thes 5:3). Das bestehende Bild für den tag des Herrn ist daher, dass er kommt, wie ein Dieb in der Nacht: so beschreibt ihn Jesus selbst, so Petrus, so die Apokalypse (Mt 24:43 f.; 1Thes 5:2-4; 2Petr 3:10; Offb 3:3; Offb 16:15). Wie haben gesehen: Israel war in Gottes Augen ein Aas, es war tot und gerichtet Jahrzehnte vor der Zerstörung Jerusalems. In des Volkes eigenen Augen war der Stand der Dinge freilich ein ganz anderer. Es war die Zeit, wo ein falscher Messias um den anderen aufstand, wo das arme, betrogenen Geschlecht von einem neuen,politischem und religiösen Aufschwung, von einer Wiedergeburt der Nation, von dem Morgenrot eines neuen Tages träumte, eine Hoffnung, welche die Zeloten bis in die Flammen des Tempels festhielten.

R o o s, S. 32f.: "Man muss bedenken, dass Vieles in der unsichtbaren Welt und vor Gott eine andere Gestalt, Anfang, Ende und Wert habe als unter und vor den sterblichen Menschen. Dies ist bei dem Lauf Christi von dem Vater und wieder zu dem Vater deutlich wahrzunehmen. Nur der Glaube merkt, wie viel an einem jeden Werke und Leiden Christi gelegen gewesen sei; das natürliche Auge hat es nicht entdecken können. Aber auch andere Werke Gottes geschehen so, dass ihr Wert, Anfang und Ende nur von dem Geist, der alles weiß, genau angezeigt werden kann. Wer sollte z. E. geglaubt haben, dass an der Wallfahrt Abrahams, Isaaks und Jakobs mehr gelegen gewesen als an den Kriegszügen und Taten eines Sesostris oder Semiramis? Und doch ist jene und nicht diese in der Hl. Schrift beschrieben. Die Untertänigkeit Jojakims unter Nebukadnezar (Dan 1:1) schien etwas Geringes zu sein und wäre auch nichts Großes gewesen, wenn sie bald wieder aufgehört hätte. Aber nun ist sie in unsern Augen der wichtige Anfang der Dienstbarkeit des Volkes Gottes. Manche göttliche Hilfe fängt klein an, und doch ist ihr Anfang schon vor Gottes Augen vorhanden, die Menschen mögen ihn bemerken oder nicht. Fällt ein teuflischen Gerüst auf Erden ein, so ist sein erster Hang zum Fall zuerst nicht jedermann bemerkbar, und doch fängt der Fall schon damit an. Schlagen sich zu einer menschlichen Argheit noch besondere satanische Kräfte, so wird solches von den wenigsten Menschen bemerkt und trägt doch etwas Großes, ja etwas Neues aus. Darum treue man den weltlichen Geschichten nicht zu viel zu. Ungeachtet sie die Erfüllung der Weissagungen überhaupt zeigen, so zeigen sie doch dieselbe nicht so pünktlich, als sie am Tag, der alles entdeckt, offenbar sein wird. Die Weissagungen sind das Licht, welches alle Weltgeschichte beleuchtet, und die menschlichen Geschichtsbücher sind, wenn man sie mit jenen vergleicht, sehr unvollkommen, seicht und eitel." - S. 212f.: "Lasset uns um der vorbildlichen Ähnlichkeit willen, welche zwischen dem griechischen und römischen Antichrist vorherrscht, zur Warnung für uns und unsere Nachkommen bemerken, was dasjenige für Übertretungen in Israel gewesen seien, welche dem griechischen Antichrist zu seiner Erhebung und Wüterei Gelegenheit gegeben haben. Es fiel nämlich ein Teil der Juden darauf rein, der Heiden Weise anzunehmen. Die Religion, bei der man eingeschränkt leben und vieles leiden sollte, stand ihnen nicht an; hingegen gefiel ihnen die fleischliche Freiheit, worin die Heiden lebten (1Makk 1:12-14).

Man richtete in Jerusalem heidnische Spielhäuser ein, d. s. Häuser, worin man lustige und üppige Schauspiele und Leibesübungen hielt; da gab's dann viele Zuschauer. Es gab Priester, die das Opfer des Tempels nicht mehr achteten, sondern in das Spielhaus liefen und sahen, wie man den Ball schlug und andere Spiele trieb (2Makk 4:14). Es gab Juden, welche die Beschneidung nicht mehr hielten und vom heiligen Bunde abfielen und sich als Heiden hielten und ganz verstockt wurden, alle Schande und Laster zu treiben. Man denke nicht, dass alle diese Leute den äußerlichen Schein der jüdischen Religion ganz abgelegt haben; denn einige derselben standen selbst in geistlichen Ämtern. Menelaus und Jason waren Hohepriester, Simon ein Vogt im Tempel, andere waren Priester. Diese Leute hatten dann aus der griechischen Philosophie so viel gelernt, dass alle Religionen ein Zaum für den Pöbel seien, und das höchste Wesen weder eine Beschneidung noch andere dergleichen Handlungen begehre. Sie opferten in Jerusalem, weil es da ländlich und sittlich war; sie schickten aber auch Geld, um dem Herkules Opfer zu bringen (2Makk 4:19), um sich dem König gefällig zu machen. Übrigens mögen sie wohl weder an Jehova noch an Herkules im Ernst geglaubt haben: ein König, der sie glücklich machen konnte, war ihr Gott. Dabei haben sie vermutlich weder einen Engel noch sonst einen Geist, weder an eine Auferstehung noch eine Bestrafung oder Belohnung nach dem Tod geglaubt. Diese Sätze der griechischen Weltweisheit standen ihnen bei ihrem ausgelassenen Leben wohl an und wurden nachher von den Sadduzäern fortgepflanzt. Übrigens waren diese starken Geister den gottesfürchtigen Juden, die man als eine besondere Sekte der Frommen nannte, feind (2Makk 14:6). Sie waren auch einander selbst untreu, wie wenn Menelaus den Jason vom Hohenpriestersamt verdrängte (2Makk 4:24f). Das Hohepriestertum wurde von diesen beiden um Geld gekauft und die Schätze des Tempels von Menelaus dem König in die Hände gespielt. Die geringeren Juden, welche nicht Geschick genug hatten, ganze forts esprits zu werden, hängten sich etwa an Menelaus oder Jason oder den König selbst und seine Gewaltigen und rühmten sich, dass sie der Partie dieser weisen Männer und großen Helden zugetan waren und von ihnen gelernt hatten, dass der Tempel zu Jerusalem nicht heiliger als ein anderer Ort und eine Religion so gut wie die andere sei. Siehe, so sah es unter dem Volk Israel aus, als Antiochus der griechische Antichrist, auftrat und wütete. Hieran spiegle sich nun die heutige Welt!

Das vierte Weltreich und sein Verhältnis zum messianischen Reich

Wir haben uns hier zunächst mit denjenigen auseinander zusetzen, welche gleich uns das vierte Reich für das römische nehmen. So wie diese Ansicht gewöhnlich vorgetragen wird, in neuerer Zeit insbesondere von H e n g s t e n b e r g und H ä v e r n i c k, können wir dieselbe nur dem Anfangspunkt, nicht aber dem Schlusspunkt nach für richtig und erschöpfend halten. Es handelt sich nämlich hier darum , klar und einfach zu erkennen und auszusprechen, dass der Anbruch des messianischen Reiches, von welchem Dan 2 und 7 die Rede ist, auf nichts anderes bezogen werden kann, als auf die auch uns noch bevorstehende Ankunft Christi zur Gründung des sogen. tausendjährigen Reiches auf Erden. Dies erweist sich aus folgenden Umständen:

1) Es geht diesem Reichsanbruch Kap. 7. das Gericht über den Antichrist voraus, dessen Erscheinung ja noch zukünftig ist
2) Das anbrechende Reich wird in beiden Kapiteln als ein Reich der Herrlichkeit und der Herrschaft geschildert, ,während bis jetzt das Himmelreich auf Erden bekanntlich noch ein Kreuzesreich ist.
3) Unter dem Volk der Heiligen des Höchsten, welchem nach Dan 7:18.27 alsdann die Herrschaft gegeben werden soll, konnte Daniel offenbar nur das Volk Israel verstehen im Gegensatz zu den heidnischen Völkern und Reiche, die bis dahin herrschen (Dan 2:44); und auch wir dürfen daher mit exegetischem Fug und Recht an nichts anderes, also nicht unmittelbar an die Kirche denken.

Darin sind R o o s (S. 280f.), P r e i s w e r k , H o f m a n n mit H i t z i g, B e r t h o l d t u. a. einverstanden. Es ist hier die Rede von der Wiederaufrichtung des Reiches Israels, nach welcher die Jünger Christum noch unmittelbar vor seiner Himmelfahrt fragen, worauf er ihnen zwar die Offenbarung des Zeitpunkts versagt, aber die Sache selbst nicht verneint, sondern eben hiermit bejaht (Apg 1:6.7). Wir kommen unten auf diesen Punkt zurück. Diese Verheißung ist aber an Israel bis auf diesen Tag nicht erfüllt, sondern wird sich erst im reich der tausend Jahre erfüllen. Man darf nur die Weissagung des 9. Kapitels, wo Christus als der auszurottende Messias beschrieben wird, mit Kap 2 und 7 vergleichen: so wird man sogleich inne, dass die letzteren Stellen mit jener ersten, nun längst hinter uns liegenden Erscheinung des Heilandes nichts mehr zu tun haben, sondern ihn schildern als den König aller Könige und Herrn aller Herren, der das Tier mit seinen zehn Königen überwindet (Offb 17:12-14; Offb 19:16), so dass es dann in voller Wahrheit heißt: Es ist das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offb 11:15).

Ebenso bestimmt, wie die Beziehung auf die erste Erscheinung Christi, die Luther'sche auf seine letzte Erscheinung zum Weltgericht, woran man etwa wegen Dan 7:9.10 denken könnte, abzuweisen. "Dieses Dan 7:9f. erscheinende, himmlische Gericht, sagt Roos S. 176,178, ist mit dem Ende der vier Weltreiche und der Vertilgung des Antichrists verbunden. Hieraus erhellt schon, dass das hier beschriebene Gericht nicht das jüngste Gericht sei; denn wenn dieses gehalten wird, so wird zu gleicher Zeit kein Tier oder Reich, wie auch kein Antichrist mehr auf Erden, sondern Himmel und Erde vergangen sein." Die Parallele mit der Offb. Joh. ist hier entscheidend. Wenn K u r t z (Lehrb. der heil. Gesch., 4. Aufl. S. 271.279f.) nach älteren Vorgängen (vgl. darüber B e n g e l s erklärte Offenb., neue Ausgabe, Stuttg. 1834, S. 663 ff.) den Antichrist nach dem Millenium setzt, so ist das irrig: Gog und Magog sind nicht mit dem Antichrist oder dem Tierwesen zu verwechseln. Gegen die Deutung des danielischen Messiasreichs auf das tausendjährige kann auch nicht eingewendet werden, dass dasselbe Dan 2:44; Dan 7:27 ein ewiges, unzerstörbares Reich heißt. Daniel schaut eben noch die ganze Vollendungszeit zusammen, welche wir jetzt in dem helleren Licht der neutestamentlichen Weissagung in das Reich der tausend Jahre und in die Zeit des neuen Himmels und der neuen Erde auseinander zu legen vermögen. Auch in dieser Hinsicht bemerkt Roos (S. 184) treffend: "Die Herrschaft des Herrn Christi ist eine ewige Herrschaft und sein Königreich ist ein solches, welches nicht zerstört werden wird. Keine weltliche Macht wird es zerstören. Auch der jüngste Tag wird es nicht zerstören, sondern demselben eine neue, herrliche Gestalt geben; denn nach demselben wird das neue Jerusalem vom Himmel herabfahren, und der Thron Gottes und des Lammes wird darinnen sein."

Ist nun also die Erscheinung des Messiasreichs von welcher Dan 2 und 7 handelt, die des tausendjährigen Reichs und mithin eine auch für uns noch zukünftige, so ist klar, dass das vierte Reich, wie wir uns darin schon früher vorläufig überzeugt haben, noch jetzt fortbesteht und alle Entwicklungen der christlichen Weltgeschichte unter sich begreift, dass es also nicht bloß das altrömische Reich, sondern auch die durch die Völkerwanderung in dasselbe eingetretenen Nationen und ihre Geschicke umfasst. Das alles hat schon R o o s mit vollkommener Deutlichkeit erkannt. Aber H e n g s t e n b e r g und seine Nachfolger haben diese Erkenntnis wieder verloren. Sie müssen einerseits anerkennen, dass die zehn Könige (in nachweisbarer Zehnzahl) und der Antichrist noch zukünftig sind (Beitr. S. 211, H ä v. Komm. S. 241; R e i c h e l a. a. D. S. 959f.); andererseits reden sie doch immer von dem Messiasreich als einem schon gekommenen. H e n g s t e n b e r g (S. 212) versteht darunter "das geistige Reich Christi, zusammengenommen jedoch mit seiner dereinstigen Sichtbarwerdung am Ende der Tage", wobei er sich aber ausdrücklich dagegen verwahrt, dass man diese Sichtbarwerdung "nicht etwa mit dem tausendjährigen reich verwechseln müsse"; nach H ä v e r n i c k (S. 561) handelt es sich Dan 2 und 7 gar nur um "Gesamtanschauungen des Lebens und Treibens der alten Welt (S. 560) im Gegensatz zu der neubeginnenden, der Kirche"; R e i c h e l (S. 961) sagt, mit den Waffen des Geistes überwinde das Reich Christi das römische Reich, weswegen er das ganze Monarchienbild "nach und nach" durch den Stein zerschmettert werden lässt, den ausdrücklichen Wortlaut des Textes geradezu umkehrend, welcher Dan 2:35 besagt: "da wurden auf einmal zermalmt Eisen, Ton, Erz, Silber und Gold", und welcher an eine gleichzeitige Existenz des vierten Weltreiches und des Gottesreiches gar nicht denken lässt. Schon die angeführten Proben zeigen, wie wenig hier dem Text Genüge geschieht; und man darf nur die letzte Seite des H ä v e r n i c k'schen Kommentars (S. 569f.) lesen, um sich zu überzeugen, mit welcher Verlegenheit, Unsicherheit und Unklarheit sich die Männer dieses Standpunkts auf dem eschatologischen Boden bewegen. Woran es H e n g s t e n b e r g und seinen Schülern fehlt, das ist - wir sehen es schon hier und werden es von jetzt an noch öfters sehen - ein schriftgemäßer Chiliasmus. Und doch wird es mit jedem Tag klarer, dass ohne einen solchen die prophetische Theologie ein verstümmelter Torso ist:*)

*) Vgl. D e l i t z s c h, die biblisch-prophet. Theologie S. 131-139, wo diese drei eng untereinander zusammenhängenden Ideen, dass Israel bei den Propheten nicht ein bloßer Typus der Kirche sei, dass es noch ein große Zukunft habe, und dass diesseits des jüngsten Tages noch eine Herrlichkeitszeit des Reiches Gottes kommen werde, als ein wesentlicher Fortschritt der biblisch-prophetischen Theologie aufgezeigt werden, als ein Fortschritt, den im vorigen Jahrhundert B e n g e l und seine Schule (Crusius, Roos, Öttinger u. a.) im gegenwärtigen H o f m a n n , B a u m g a r t e n u. a. machten. R o o s sagt (Fußstapfen II, S 297f): "Die Propheten haben häufig und noch häufiger als die Apostel vom Königreich Jesu Christi geredet. Wer davon keine Erkenntnis hat, versteht nichts weder von dem Alten noch von dem Neuen Testament."

Aber auch bei solchen Auslegern, welche mit uns über die Dauer des vierten und über die Auffassung des messianischen Reiches einverstanden sind, haben wir noch ein Missverständnis abzuweisen. Es wollen nämlich einige auch das Papsttum im vierten Reich geweissagt finden. Diese Ansicht liegt insofern nahe, als jenes gleich diesem römisch ist; sie hat mit der vorhin bekämpften das gemein, dass auch sie es nicht verwinden kann, wenn Christentum und Kirche vor dem tausendjährigen Reich garnicht erwähnt sein soll, und dass sie daher Spuren davon zur Zeit des vierten Reiches in der Weissagung glaubt aufsuchen zu müssen. Man kann diese Ansicht vorzugsweise als die e n g l i s c h e und f r a n z ö s i s c h e bezeichnen. G a u s s e n (I, S. 174ff) will schon im 2. Kapitel unter dem Thron das Papsttum verstehen, P r e i s w e r k (Morgenland 1838, S 46f.) wenigstens im 7. Kapitel unter dem kleinen Horn. Es ließe sich gegen beide Meinungen vieles einwenden; wir begnügen us aber, auf den einen Hauptpunkt hinzuweisen, dass das Papsttum, so weltlich es ist, doch nicht als eine Ausgeburt der bloßen, politischen Weltmacht dargestellt werden kann, sondern dass es jedenfalls als verweltlichte Kirche aufgefasst sein müsste. Von der Kirche aber hat Daniel, der Staatsmann und Israelit, nichts geschaut, sondern erst Johannes. Wir kommen daher bei der Apokalypse auf diese Frage zurück und hoffen, was wir über die babylonische Hure zu sagen haben, werde die einfachste Antwort auf dieselbe sein.

Nach diesen Vorbemerkungen schreiten wir zur näheren positiven Betrachtung des vierten Reiches. Die nationalen und politischen Bestandteile desselben sind im 2. Kap. auf eine Weise gezeichnet, welche für alle spätere Geschichtsauffassung normativ geworden ist: zuerst das altrömische Universalreich in seinem durch und durch eisernen Wesen (Dan 2:40), dann seit der Völkerwanderung der bildsame Stoff der germanischen und slawischen Stämme zum römischen Eisen gemischt und endlich die Teilung dieses römisch-germanischen Reiches in einzelne kleinere Reiche, welche zur Zeit des Endes in der Zehnzahl abschließen werden, - das ist ja der Gang der Geschichte im Großen, wie wir ihn jetzt in jedem beliebigen historischen Werk verzeichnet finden. Auch darin,d ass diese ganze, zweitausendjährige Entwicklung, obwohl aus so verschiedenen Elementen bestehend, als ein Ganzes dargestellt wird, erkennen wir die wunderbare Wahrheit dieser Offenbarung. Dass das römische Reich seinem Wesen nach in der Geschichte noch fortbesteht, ist eine Tatsache, die, nach Anleitung unseres Propheten erfasst, ungemein lehrreich wird. Dem alt-römischen Reich ist es nicht eingefallen, sich als eine Fortsetzung der Universalmonarchie Alexanders darzustellen; aber das germanische Reich kannte keine höhere Ehre, als heiliges römische Reich deutscher Nation zu sein. Und schon ehe dieses aufgelöst war, hatte sich Napoleon der Idee des römischen Kaisertums bemächtigt, seine Universalmonarchie war wesentlich und ausgesprochen römischer Art; sein Sohn hieß König von Rom; sein Neffe hat zur Begründung seiner Macht "römische Adler" unter diesem Namen an die französische Armee ausgeteilt. Das römische Reich ist das Ideal, welches noch immer den Herrschern dieser Welt mit verzaubernder Kraft vor der Seele steht, und das sie immer wieder zu realisieren suchen, ohne Zweifel auch noch realisieren werden. Nichts steht vielleicht unter allen Erscheinungen der bisherigen Geschichte dem Wesen des Antichrist näher als dieser dämonische Napoleonismus, und gerade er hat sich von vornherein mit der Idee des römischen Reichs identifiziert.

Ebenso ist es das Ziel der Politik des Ezaren, seinen Thron mit dem Glanze Konstantinopels, des oströmischen Kaisertums zu umgeben. Aber auch noch auf eine tiefere, innerliche Weise wirkt und besteht das römische Wesen fort. Die von den Germanen besiegten Römer sind die Lehrmeister ihrer Sieger, römische Bildung, römische Kirche, römische Sprache, römisches Recht sind die wesentlichen Kulturelemente der germanischen Welt geworden. Die romanischen Völker sind das Denkmal, wie tief dieser Einfluss selbst ins Blut der neuen Menschheit eingedrungen ist; sie sind das Produkt der Vermischung durch Menschensamen (Dan 2:43). Aber "sie werden nicht aneinander halten", das römische Element reagiert immer wieder gegen das germanische. Die Kämpfe der Romanen und Germanen sind das treibende Moment der neueren Geschichte; wir erinnern nur an den Streit zwischen Kaisertum und Papsttum, der das Mittelalter bewegte, sodann an die Reformation samt allen ihren bis auf diesen Tag nachwirkenden Folgen. So hat dieses vierte Reich einerseits eine echt römische Zähigkeit, eine die anderen Reiche übertreffende Kraft und Festigkeit (נִצְבְּתָא דִי פַרְזְלָא V.41, תַקִּיפָה V. 42), andererseits ist es eben seit dem Eindringen der Germanen, seit der Mischung von Eisen mit Ton, vielfach geteilt und zerspalten ( פְלִיגָה V. 41), in seinen einzelnen Bestandteilen sehr wechselnd und zerbrechlich (תְבִירָֽה V. 42). DAs romanische Element strebt, worauf z. B. Gervinus in seiner Einleitung ozur Gesch. des 19. Jahrh. hingewiesen hat, stets zur Universalherrschaft, während das germanische das Prinzip der Individualisierung, der Teilung repräsentiert. Daher immer neue Versuche, die Weltmonarchie herzustellen, sei es geistlicher Gestalt, wie das Papsttum will, das insofern allerdings auch hierher gezogen werden mag oder in weltlicher, wie Carl M. Carl V., Napoleon. Aber "sie werden doch nicht aneinander halten", die Nationalitäten machen immer wieder und immer bestimmter ihre Rechte geltend; romanisches, germanisches, slawisches Element treten einander politisch und religiös gegenüber; es wird sich erheben Volk gegen Volk und Reich gegen Reich (Mt 24:7), bis der Antichrist eine dämonische Einheit zustande zu bringen weiß (Dan 7:20.24; Offb 17:12.13.17).

So lässt sich die Erfüllung der das vierte Reich betreffenden Weissagung schon jetzt ziemlich genau nachweisen. Gleichwohl kann man es auffallend finden, dass während die drei ersten Reiche zusammengenommen kaum einige Jahrhunderte ausfüllen, das vierte allein über Jahrtausende sich erstrecken soll. Es muss mit demselben eine besondere Bewandtnis haben. Die hat es aber auch, wie der Prophet selbst hervorhebt. Schon der Nachdruck und die Ausführlichkeit, womit das vierte Reich zum Unterschied von den drei früheren im 2. und namentlich im 7. Kapitel behandelt wird, ist hier bedeutungsvoll. Im Einzelnen wollen wir kein Gewicht darauf legen, dass an der Statue die ganze untere Hälfte der Körperlänge dem vierten Reich zugeteilt erscheint; wichtiger ist auch in dieser Beziehung der (Dan 2:41-43) so stark betonte Umstand, dass dasselbe aus zwei Stoffen zusammengesetzt ist, während die übrigen nur aus einem bestehen. Besonders aber kommt nun hier das 7. Kap. in Betracht. Da ist es von entscheidender Bedeutung, dass, während die drei ersten Reiche in der Gestalt von bestimmten Tieren, Löwe, Bär, Pardel erscheinen, beim vierten kein solches genannt ist. Das letzte Reich ist zu schrecklich, seine Macht zu gewaltig und umfassend, als dass sie sollte in einem bekannten Tier dargestellt werden können. Was hierin sachlich sich ausprägt, das wird näher in Worten ausgeführt und bekräftigt durch die dreimal wiederholte Äußerung (V. 7.19.23), das vierte Tier sei von allen vor ihm verschieden. Ferner lässt der Prophet die eigentümliche Bedeutung des vierten Tieres dadurch hervortreten, dass er die Beschreibung desselben, V. 7 mit der ausführlichen Formel eröffnet: "Nach diesem schaute ich in den nächtlichen Gesichten und siehe", einer Formel, welche nur noch V. 2 und V. 13 ihre Analogie hat, und durch welche also das ganze Gesicht des 7. Kap. in drei Teile geteilt wird, deren erster die drei ersten Reiche, der zweite das vierte Reich und sein Gericht, der dritte das messianische Reich umfasst.

Der Unterschied zwischen dem vierten Reich und seinen drei Vorgängern liegt, wie aus V. 23 hervorgeht, zunächst in seiner unbeschränkten Universalität. Neben den drei früheren Reichen gab es immer noch selbstständige Weltgeschichte, neben den orientalischen in Griechenland neben dem griechischen in Rom; es waren das noch keine Universalmonarchien im vollen Sinne, indem immer noch andere Völker von frischer Kraft und welthistorischer Zukunft ununterworfen und bald selbst unterwerfend neben ihnen standen. Darum hatten diese Reiche auch nur eine kurze Dauer; und darum konnte in ihnen das widergöttliche Prinzip noch nicht seine volle letzte Entfaltung finden. Das vierte Reich dagegen nimmt die ganze Ökonomie ? in sich auf; alles was weltgeschichtliche Bedeutung hat, konzentriert sich in ihm. Das Bewusstsein hiervon haben schon die alten Schriftsteller selbst So sagt H e r o d i a n (II, 11,7)L "es gab keinen Erdteil und keine Himmelsgegend, wohin die Römer nicht ihre Herrschaft ausdehnten." D o n y s von Halicarnaß vergleicht in einer an unsere Weisssagung auffallend erinnernden Stelle (proem. 9) das römische Reich mit den früheren Weltreichen, dem assyrisch-babylonischen, dem persischen und griechischen und sagt 2dies sind die berühmtesten Reiche bis auf unsere Zeit und dies ihre Dauer und Macht. Das Reich der Römer aber herrscht durch alle Gegenden der Erde, die nicht unzugänglich, sondern von Menschen bewohnt sind; es herrscht auch auf dem ganzen Meere und hat zuerst und allein den Ost und den West zu seinen Grenzen gemacht. Auch hat seine Macht nicht kurze Zeit, sondern länger gedauert als die irgend eines andern Reichs." Dieser Universalismus ist aber dem vierten Reich bis auf den heutigen Tag eigen. Die ganze Weltgeschichte bewegt sich in dem Kreis der romanisch-germanisch-slawischen Völker. Und wir wissen nun aus unserm Propheten, dass vor der nächsten Ankunft Christi auch keine anderen Nationen zu Trägern der Weltgeschichte mehr berufen werden.

Das vierte Reich stellt also denselben Universalismus äußerlich dar, den das Christentum innerlich vertritt; es ist dasselbe von unten her, was das Christentum von oben her ist. Hier kann, hier muss sich daher das Antichristentum gebären, dessen Typen denn die römischen Imperatoren sind: wie beim babylonischen Turmbau kann ich jetzt wieder die ganze Menschheit gegen Gott erheben; Rom ist das vollendete Babel geworden. Das vierte Reich ist die dem Christentum entsprechende, daher auch mit dem Christentum gleichzeitige Weltmacht. Man zählt es mit Recht unter die zu der Fülle der Zeiten, in welcher Gott seinen Sohn senden konnte (Gal 4:4; Mk 1:15), gehörigen Ereignisse, dass das römische Universalreich vorhanden und so der aus den Schranken des israelitischen Volkstums hervortretenden Universalreligion die Möglichkeit gegeben war, die ganze Welt zu ihrem Acker zu machen (Mt 13:38)*)

*) "Lukas hat es sorgfältig angemerkt, dass der Eintritt des himmlischen Königs in die Welt zusammenfällt mit der ersten Ausübung der vollen Herrschergewalt über das jüdische Land von Seite dessen, in welchem die römische Weltmacht zum ersten Mal persönlich Gestalt angenommen hatte (Lk 2:1)". B a u m g a r t e n , Apostelgesch. I, S 279.

Die Stiftung und Ausbreitung des Weltheiles in Christo Jesu hat nun freilich auch dem Weltreich manche Lebenselemente zugeführt, und dies ist der eigentliche Grund, warum dem vierten Reich eine viel längere Dauer zukommt, als den früheren; - das können wir jetzt beiläufig vom Standpunkt der Erfüllung aus hinzufügen, obwohl Daniel selbst weder die lange Dauer als solche noch den Grund davon geschaut hat. Gerade aber der höchsten Offenbarung der Wahrheit gegenüber kann nun auch die Lüge, welcher die Reiche dieser Welt dienen, ihr Wesen ganz entfalten; der Fall des letzten Reiches ist tiefer als der aller andern, sowohl der Abfall und die Sünde, als der Verfall und das Gericht. Das Produkt der Entwicklung dieses Reiches ist der eigentliche Antichrist, in welchem nun alle Weltmacht und Weltbildung vereinigt ist, aber auch alle Feindschaft der Welt wider Gott, sein Volk und seinen Dienst (V. 8.11.20f. 24f.). Drei Merkmale sind es also hauptsächlich, die wir am Antichrist finden:

1.) die höchste Klugheit, Verstandesbildung, Weltkultur
2.) die Vereinigung der ganzen gebildeten Welt unter seiner Herrschaft
3.) den vollendeten Atheismus, Antitheismus und Autotheismus (vgl. 1Jo 2:22).

Da nun so die Gottwidrigkeit und das Weltwesen nach innen und außen und oben auf die höchste Spitze getrieben ist, so wird dem vierten Tier nicht bloß die Herrschaft genommen, wie den drei ersten (V. 12), sondern es erfolgt ein schreckliches Gottesgericht über dasselbe und damit über die Weltmacht überhaupt und für immer (V. 11.26). Dieses Gericht wird mit großer Feierlichkeit als von Gott selbst ausgehend geschildert (V. 9.10), anzuzeigen, dass es sich jetzt nicht mehr nur um politische Ereignisse und Umwälzungen handelt, sondern um das Verhältnis der ganzen Welt- und Völkergeschichte zu dem lebendigen Gott selbst und um das Gesamtergebnis ihrer Entwicklung vor Seinen Augen. Dies ist aber ein solches, dass die Weltmacht in den Brand des Feuers geworfen werden muss (V. 11).

Auch hier tritt die Weissagung wieder in Kontrast mit der unter uns, selbst unter vielen Christen und Theologen gangbaren Art, die christliche Geschichte und die Aufgabe des Christentums in der jetzigen Weltzeit aufzufassen. Hatten wir es in dieser Beziehung im vorigen Abschnitt mit der allgemeinen Weltgeschichte zu tun, so jetzt vorzugsweise mit der Kirchengeschichte, die sich ja ganz innerhalb des vierten Reiches bewegt. Das Eigentümliche und Auffallende an der danielischen Darstellung der vier Weltreiche ist nämlich, dass die erste Erscheinung Christi im Fleisch, seine Kirche und ihre Einfluss auf die Weltentwicklung unberücksichtigt und unerwähnt bleibt. Das vierte Reich, obwohl seit anderthalb Jahrtausenden christianisiert, wird von den früheren heidnischen Reichen als heidnischen, sowie von seiner eigenen heidnischen Vergangenheit nicht unterschieden; es wird im Gegenteil als das schrecklichste und in letzter Instanz als das widergöttlichste aller Reiche dargestellt. Gott redet von dem Weltreich auch in seiner christlichen Periode, ohne seiner Christenheit irgendwie zu gedenken; nur von seiner schließlichen Antichristlichkeit ist die Rede, Warum? Wei Christi Reich, sowie es bei seiner ersten Erscheinung gestiftet wurde, nicht dieser Welt angehört (vgl. Joh 18:36), während es sich bei Daniel bloß um das Schicksal der Weltreiche handelt, so dass auch das Reich Gottes erst an dem Punkt hervorgehoben werden kann, wo es wirklich eine äußere Macht in der Welt wird, nämlich bei der zweiten Ankunft Christi. Was wir hieraus lernen, das ist etwas sehr Wichtiges: nämlich dass auch in der christlichen Periode der Weltgeschichte die alte Weltgestalt ihrem Wesen nach noch fortdauert, dass die äußere Christlichkeit welche seit 1500 Jahren die Reiche dieser Welt angenommen haben, noch lange nicht die wahre Christlichkeit ist, sondern dass das Reich Gottes seinem Wesen n ach so lange ein leidendes und verborgenes bleibt, bis der Herr wiederkommt (Kol 3:3 f.; Röm 8:17; 2Tim 2:11.12). R o o s S. 70: "Das römische Reich war ein Weltreich, da es noch heidnisch war, es ist aber auch ein Weltreich geblieben, da es nach und nach christlich wurde."

Auch hier steht Daniel keineswegs allein, sondern hat das ganze N. T. hinter sich. Hier wird uns nämlich klar, warum die Apostel die Ankunft des Herrn so sehnsüchtig entgegensehen, alles im Blick auf dasselbe tun und das ganze Christenwesen in viel engere Beziehung zu ihr setzen, als wir es gewohnt sind. Auch sie, die noch nach der ersten Erscheinung Christi leben, stellen noch ganz wie Daniel den jetzigen Äon dem künftigen, mit der Parusie Christi beginnenden entgegen als ein arges, dem Wesen nach heidnisches Weltalter, dessen Gott der Teufel ist, und das man nicht liebgewinnen, dem man sich nicht gleichstellen kann, ohne die Sache Christi zu verlassen (Gal 1:4; Eph 2:2; 2Kor 4:4; 2Tim 4:10; Röm 12:2; vgl. 1Kor 1:20; 1Kor 2:6.8; 1Kor 3:18); auch sie wissen, wie Daniel, nur davon, dass das Wesen dieser Welt vergeht; das Christentum hat in ihren Augen nicht die Bestimmung, jetzt schon die Welt zu verchristlichen, sondern Seelen aus diesem gegenwärtigen argen Weltlauf heraus zu retten, damit sie nicht mit der Welt verdammt werden. So bestimmt den Zweck Christi und des Christentums derselbe Apostel, der das Evangelium am lautesten in seiner unbeschränkten Universalität verkündigt hat (1Kor 7:31; vgl. 1Jo 2:15-17; Gal 1:4; 1Kor 11:32). Der Herrschaft und des Reiches teilhaftig zu sein, ist jetzt noch nicht Sache der Christen und des Christentums, sondern es ist nur erst Gegenstand des Wunsches und der Hoffnung für sie (1Kor 4:8; 2Tim 2:12). In dem gegenwärtigen Äon ist es von dem Herrn noch nicht auf das Ganzem sondern auf das Einzelne, noch nicht auf das Äußere, sondern auf das Innere, noch nicht auf das Große, sondern auf das Geringe und Niedrige, auf Sammlung einer Gemeine abgesehen, die dann im Millenium zur Herrschaft mit ihm berufen wird (Mt 19:28; Mt 5:5; Lk 12:32; Lk 22:28-30; Röm 5:17; 1KOr 6:2; Offb 1:6; Offb 2:26-28; Offb 3:21; Offb 20:4). Dazu sind alle äußeren, christlichen Anstalten, kirchliche und staatliche, nur Mittel, für deren Darreichung und Erhaltung wir dankbar, für deren Belebung wir wirksam sein sollen, aber ohne zu vergessen, dass das nicht Wesen ist, sondern vorübergehende Form, an deren Stelle der Herr eine viel vollkommenere zu setzen verheißen hat.*)

*) R o o s, indem er das Verhältnis der Kirche zum Staat unter dem vierten Reich überblickt, sagt unter anderem S. 123 f.: "Nach der Reformation zogen die protestantischen Regenten die Kirchenrechte mit gutem Willen der Gemeinen wieder an sich und übten sie durch ihre Consistoria aus, womit denn auch ein jedes Glied der Kirche zu dieser Zeit von Herzen zufrieden sein soll. Aber doch ist diese Einrichtung noch nicht das, was werden soll. Vergeblich sucht man die Rechte, welche die Regenten, solange das vierte Reich steht, in Kirchensachen ausüben, aus der Hl. Schrift zu beweisen; sie haben ihren Grund in dem Notstand der Kirche. Die beste Einrichtung wird aber die Jes 49:7.23; Jes 60:3.10-12 beschriebenes sein. Siehe da wird die Gemeinde der Heiligen frei sein und ihre königlichen Rechte als die Braut des Lammes aus Erden ausüben." Das ist S p e n e r s Hoffnung besserer Zeiten.

Die Gemeinde der Gläubigen, die