Die Tiere und das Weib in der Offenbarung

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Abschrift des Buches: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
in ihrem gegenseitigen Verhältnis betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert.

Verfasser: Karl August Auberlen (1854)
Verlag: Bachmaier's Buchhandlung, Basel

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel vorher:
Die Tiere und der Mensch


In Bearbeitung

Die Tiere und das Weib in der Offenbarung

Indem wir an die Apokalypse heranzutreten wagen, verhehlen wir nicht, was es heißt, über ein Buch das Wort zu erheben, welches in besonderem Sinn, sich die Offenbarung Jesu Christi nennt, die ihm Gott gegeben hat (Offb 1:1), und welches so reich an Geheimnissen ist, dass die Jahrhunderte und die erleuchtetsten Gottesmänner sich daran zerarbeitet haben. Die folgenden Blätter wollen nicht weiter sein als ein Versuch, den gleich Daniel (Dan 9:2) in der Schrift Forschenden zu Prüfung vorgelegt. Es geht wohl denen, welche die Apokalypse mit Geistesblicken betrachten, fast mit jeder Erklärung derselben so, wie es der Königin von Arabien gegangen ist, mit dem, was sie über Salomo vernommen hatte. Sie müssen denken: Siehe, es ist mir nicht die Hälfte gesagt; du hast mehr Weisheit und gutes, denn das ist, was ich gehört haben; selig sind deine Leute und deine Knechte, die allezeit vor dir stehen und deine Weisheit hören (1Kön 10:7.8). Auch bei unserer Erklärung wird es nicht anders sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass die große Aufgabe nicht von einem Menschen oder Menschenalter gelöst werden kann; denn das buch ist der ganzen Gemeinde der Gläubigen für alle Jahrhunderte bis zur Wiederkunft Christi gegeben; und da erst die Erfüllung die volle Auslegung der Weissagung bringt, so ist es natürlich und notwendig, dass wir immer nur m Begriff einer Annäherung an das volle Verständnis sind. Aber eben weil das Werk so schwierig ist, so dürfen und sollen zur Lösung der heiligen Rätsel immer wieder neue Versuche gemacht werden, welche auf der schon gewonnenen Erkenntnis weiterbauen und das Unrein und Unrichtige der vorhandenen Meinungen ausscheiden. Da es nun unter den jetzt über die Apokalypse herrschenden Ansichten des Auszuscheidenden so viel gibt, dass manchen dadurch der Blick für die göttliche Autorität und Bedeutung des Buches gänzlich geraubt worden ist; so wollen wir einen solchen Versuch wagen. Was uns hierzu den Mut gibt, das ist insbesondere der Umstand, dass wir uns bei unserer Auffassung in Einigkeit wissen mit der übrigen Weissagung der Hl. Schrift, nicht nur mit Daniel und den andern alttestamentlichen Propheten, sondern auch mit den Weissagungen und der gesamten Weltanschauung und Geschichtsbetrachten Christi und der Apostel. Die Schriftanalogie, dieser Hauptgrundsatz der evangelischen Exegese, ist von doppelter Wichtigkeit bei einem Buch, das, wie allgemein anerkannt wird, die abschließende Zusammenfassung alle biblischen Weissagung bildet. Wie wir daher auf den Nachweis derselben schon bei Daniel bedacht gewesen sind, so werden wir diesen Gesichtspunkt noch mehr bei der Apokalypse festhalten, in der Hoffnung, unsere Arbeit werde dadurch an Überzeugungskraft wie an Interesse gewinnen

Zweites Kapitel

Es handelt sich nun hier, wo es die Parallelen mit Daniel gilt, nicht um die ganze Apokalypse, wohl aber um den wichtigsten, für die Gesamtauffassung entscheidenden Teil derselben, um den Abschnitt der mit dem 12. Kapitel beginnt. Denn dass das Verständnis des Buches vorzugsweise von der Erklärung der hier vorkommenden Symbole, des Weibes, der Hure und der beiden Tiere, abhängt, ist wohl keine Frage. Einen solchen einzelnen Teil herauszugreifen ist jetzt auch umso eher möglich geworden, seit die richtige Erkenntnis über die formelle Anordnung des Buches so ziemlich allgemeinen Eingang gefunden hat. Wie wir nämlich bei Daniel gesehen haben, dass im 2. und 7. und dann wieder im 8. und 11. Kapitel derselbe Gegenstand von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, so findet auch in der Apokalypse ähnliches statt. Es sind, abgesehen von den einleitenden und abschließenden Abschnitten, Kap 1-3 und 20-22, welche uns einerseits auf den Standpunkt des Apokalyptikers, andererseits auf den der endlichen Vollendung des ganzen Ratschlusses Gottes stellen, drei Hauptgruppen, welche alle die Zeit zwischen diesen beiden Endpunkten oder, können wir im allgemeinen auch sagen, zwischen der ersten und zweiten Ankunft Christi, nur von verschiedenen Seiten, beleuchten: die sieben Siegel (Offb 4-8:1), die sieben Posaunen (Offb 8-11) und die sieben Zornschalen (Offb 12-19). Jede dieser Gruppen hat ihre eigentümliche Zugabe, welche bei den beiden ersten jeweils zwischen das sechste und siebte Siegen(Kap 78), zwischen die sechste und siebte Posaune (Offb 10:1-11:14) eingeschoben ist, während sie dagegen bei der dritten Gruppe die sieben Zornschalen nicht unterbricht, sondern ihnen teils vorangeht (Offb 12-14), teils nachfolgt (Offb 17-19). Wir haben es hier unserer Aufgabe gemäß nur mit der letzten Gruppe und zwar vorzugsweise mit Offb 12-13; Offb 17-19 zu tun, woran sich noch ein weiterer Blick auf die mit dem Messiasreich Daniels in Parallele stehenden Offb 20ff schließen muss.

Es folge nun, wie oben im zweiten Abschnitt, zuerst unsere eigene Auslegung und dann eine Darstellung und Kritik der abweichenden Hauptauffassung der Apokalypse, welchen gegenwärtig in Betracht kommt.

A. Auslegung von Offb 12ff.

I. Der offenbarungsgeschichtliche Ausgangspunkt

Es ist hier nicht der Ort, die schwierige Frage über die Abfassungszeit der Apokalypse näher zu erörtern. Ohne gerade darüber entscheiden und abschließen zu wollen, schicken wir nur die kurze Bemerkung voran, dass, so schwer allerdings das Zeugnis des Irenäus für die Abfassung unter Domitian wiegt, das Buch selber doch derjenigen Ansicht günstiger zu sein scheint, in welcher G u e r i c k e , T h i e r s c h, L u t t e r b e c k (Die neutestamentl. Lehrbegriffen II, 256) L ü c k e , B a u r u. a. übereinstimmen, dass es nämlich kurz vor Jerusalems Zerstörung geschrieben sei. Es ist bei manchen Unklarheiten im einzelnen doch im ganzen sehr wohlgelungen, was T h i e r s c h über die historische Konstellation sagt, aus welcher dasselbe hervorging (Die Kirche im apostol. Zeitalter, S. 230-253). Indessen werden die folgenden Bemerkungen auch bei der andern Meinung, die in neuerer Zeit von J. Chr. K. H o f m a n n , H e n g s t e n b e r g und E b r a r d vertreten wird, im wesentlichen ihre Geltung behalten.

Die Lage des Reiches Gottes auf Erden, welcher die Offb Joh. ihre Entstehung verdankt, hat mit derjenigen die größte Ähnlichkeit, aus welcher das Buch Daniels hervorgegangen ist. Dort ist die alttestamentliche, hier die neutestamentliche Gemeinde unter die Heiden zerstreut, dort ist Jerusalem durch Nebukadnezar, hier wird es durch Titus zerstört; dort ist die große Frage, was Israel, hier, was die Gemeinde Jesu Christi von den Weltmächten zu erfahren haben wird, in deren Bereich sie nun ganz und gar hineingestellt ist. Beide Apokalyptiker schauen in die Zeiten der Heiden hinaus; aber Daniel sieht in den ersten Jahrhunderten derselben eine nochmalige, wenn auch kümmerliche Wiederaufrichtung Israels und Jerusalems, die freilich mit einer grauenvollen Zerstörung endigen wird (Dan 9:24-27). Eben diese Zerstörung hat nun Johannes unmittelbar vor sich, und so ist jetzt das Reich Gottes vollends ganz ohne äußeren Halt und ohne Heimat auf Erden; es ist durch Paulus schon mitten in die Heidenwelt hineingepflanzt, die Juden stehen ihm bereits mit entschiedener Feindseligkeit gegenüber (Offb 29; Offb 3:9); die sieben kleinasiatischen Gemeinden, an welche die Apokalypse gerichtet ists (Offb 2 u. 3) sind der Hauptsache nach heidenchristliche Gemeinden, und sie repräsentieren die ganze Kirche. Jeder äußere Unterschied zwischen dem Reich Gottes und den Reichen dieser Welt ist mithin gefallen. Hieraus erklärt sich ein charakteristischer Unterschied der apokalyptischen Symbolik von der danielischen. Während beide zusammenstimmen in der Herabkunft des Menschensohnes am Ende der Weltzeit zum Gericht über die antichristliche Macht und zur Aufrichtung seines herrlichen Reiches, finden sich vorher bei Daniel nur Tiere, bei Johannes erblicken wir neben den Tieren auch noch das W e i b, welches nach ziemlich einstimmiger Annahme der Ausleger die Gottesgemeinde darstellt. In den danielischen Gesichten brauchte dieselbe noch nicht besonders symbolisiert zu werden, weil Israel schon durch äußeres nationale Grenzlinien gehörig von der Heidenwelt geschieden ist; jetzt dagegen, wo sich die Gemeinde gleich den Weltmächten im heidnischen Völkergewühl bewegt, wo die äußeren Unterschiede gefallen sind, ist es notwendig, dass sie in der Weissagung deutlich vom Weltwesen geschieden, dass der innere Wesensgegensatz zwischen Gemeinde und Welt ausdrücklich hervorgehoben werde, und so tritt jetzt das Weib dem Tier gegenüber. Eben daher wird, wie wir sehen werden, von dem Weib sogleich seine Übersiedlung aus Israel in die Heidenwelt berichtet.

Bei dieser Lage der Dinge erhebt sich nun die Frage, nicht bloß: wie steht es jetzt mit den Herrlichkeitsverheißungen, welche dem Gottesreich gegeben sind? sondern zuvor noch: in welches Verhältnis werden Gottesreich und Weltreich treten, da jenes in dieses übergegangen ist? Auf diese Frage hat die Gegenwart schon eine doppelte Antwort gegeben, die wir überall in unserm Buch durchklingen hören. Für's Erste dauert die Zeit noch fort, wo auf Erden die Mächte dieser Welt herrschen und das Gottesreich von ihnen niedergehalten und gedrückt wird. (vgl. Offb 1:10.13; Offb 3:10). Wohl thront jetzt Christus in königlicher und richterlicher Herrlichkeit im Himmel als Haupt und Schirmherr seiner Gemeinden (Offb 1:11-20); aber man muss im Geiste sein, um ihn zu schauen (V. 10); denn sein Leben ist noch in Gott verborgen, seine Stunde ist noch nicht gekommen, wo er seine große Kraft annimmt und herrscht und den Lohn gibt seinen Heiligen und verdirbt, die die Erde verderben (Offb 1117.18); noch immer müssen die Märtyrer schreien: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du und rächest nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen! (Offb 6:9.10). Die Kirche ist noch eine leidende und streitende; das hat sie bereits erfahren müssen in der neronischen Verfolgung, wo die Weltmacht ihren ganzen bestialischen Grimm an ihr ausgelassen hat. Indem die Apokalypse auf diesem Hintergrund sich erhebt, wird sie zu einem Trostbuch für die Gemeinde der Gläubigen in allen ihr noch bevorstehenden Kämpfen mit den Mächten dieser Welt. Aber so wenig es Daniel nun mit Nebukadnezar oder auch mit Antiochus Epiphanes zu tun hat, so wenig Johannes nur mit Nero und den römischen Imperatoren: das wäre für die "Offenbarung Jesu Christi" ein viel zu beschränkter Horizont. Wie die Tiere Daniels von universeller Bedeutung sind, so noch mehr das T i e r der Apokalypse.

Doch auch auf eine andere Weise hat es die Kirche bereits erfahren müssen, dass sie noch in der ungöttlichen Welt ist. Nicht bloß von außen her, wird sie gedrückt von dem Reich dieser Welt, sondern auch in ihr eigenes Innere ist das Wesen derselben schon eingedrungen. Davon geben die Sendschreiben ein nur allzu reiches Bild. In dem Geistesleben der Gemeinden selbst ist bereit hin und wieder eine Erschlaffung eingetreten, so dass der Herr mehreren von ihnen das schwere Wort: Ich habe wider dich, zurufen und noch insbesondere bei den einzelnen rügen muss, Ephesus habe die erste Liebe verlassen, Sardes habe nur noch den Namen, dass es leben und sei tot, Laodizea sei weder kalt noch warm und halte sich selbst für eich und satt, statt sein Elend, seine Armut und Blindheit zu erkennen (Offb 2:4.5; Offb 3:1-3.15-19). Doch nicht bloß das: sondern es ist auch vom Heidentum und seiner falschen Gnosis aus Irrlehre und Verführung in die Kirche eingedrungen durch die Nikolaiten, die Anhänger der Lehre Bileams und der f a l s c h e n P r o p h e t i n Isebel, durch welche die Gläubigen zu heidnischer Weltförmigkeit und Zuchtlosigkeit, zur H u r e r e i, verführt werden (Offb 2:6.14.15.20-24).*)

*) Von judaistischer Irrlehre kommen in der Apokalypse keine unzweideutigen Spuren mehr vor. Nur die Lügenapostel (Offb 2:2) sind vielleicht dahin zu zählen. Die, welche sich Juden nennen sind Satans Synagoge (Offb 2:9; Offb 3:9), sind wirkliche, der Christengemeinde feindliche Juden. Vgl. d e W e t t e und H e n g s t e n b e r g zu diesen Stellen.

Diese inneren Zustände der Kirche zur Zeit des Johannes haben wir, wenn es sich um den historischen Hintergrund und Ausgangspunkt der Apokalypse handelt, so gut ins Auge zu fassen wie die Verfolgung von außen. Wie Paulus und Petrus (1Tim 4:1ff.; 2Tim 3:1ff; 2Petr 2:1ff.; 2Petr 3:3), so sieht auch Johannes die weitere Entwicklung dieses innerkirchlichen Verderbens voraus; daraus geht hervor, was er über die Hure und den falschen Propheten weissagt, und woran sich in seinem ersten Brief die Stellen Offb 2:18.22; Offb 4:3 in seinem zweiten V. 7 f. schließen. IN dieser Beziehung ist die Apokalypse ein Warnungsbuch für die Gläubigen wider weltförmiges Wesen in der Kirche und wider falsche Lehre. Auch bei Daniel findet sich in dieser Hinsicht eine Analogie, in dem Abfall mancher Israeliten vom Bunde Gottes, den er zur Zeit des Antiochus kommen sieht (Dan 11:30-32; Dan 12:10) und in dem noch stärkeren Abfall des ganzen Volkes bei der ersten Erscheinung des Messias (Dan 9:26.27). Doch tritt diese Stelle bei ihm natürlich weniger hervor: da er das Weib nicht ht, kann er auch die Hure nicht haben. Zu dem Pseudopropheten werden wir bei ihm in den klugen Augen des Antichrists die vorbereitende Analogie finden.

Das sind die drei Punkte in der Gegenwart des Johannes, an welche der Geist der Weissagung oder vielmehr Jesus Christus selbst, der zur Rechten Gottes erhöhte Heiland, seine Offenbarungen anknüpft: 1.) die Kirche ist in die Heidenwelt eingetreten und dringt immer weiter in sie ein. Aber indes sie dies tut, wird sie 2.) verfolgt und 3.) verführt, da das Heidentum in sie eindringt. Aus diesen Grundanschauungen hat sich uns schon ein vorläufiges, allgemeines Verständnis der Hauptgestalten unseres Buches, des Weibs, des Tiers, der Hure, des falschen Propheten angebahnt. Es ist nun zu zeigen, wie die Weissagung von hier aus die zukünftige Entwicklung der Welt und der Kirche schildert.

II. Die kirchen- und weltgeschichtliche Entwicklung

1. Kirche und Weltmacht

Das 12. und 13. Kapitel enthalten die Charakteristik der kämpfenden Mächte: sie beschreiben das Weib auf der einen Seite, den Drachen, das Tier und den falschen Propheten auf der andern. Alle diese Potenzen werden in neutestamentlich universellem Blick ihrem ganzen Dasein in der Welt- und Reichsgeschichte nach geschildert: das Gesicht geht nicht bloß in die Zukunft hinaus, sondern umfasst, zugleich um der Deutlichkeit und Charakteristik willen, je nach Umständen auch die Gegenwart und Vergangenheit (Vgl. Offb 17:10 ἔπεσαν, ἦλθεν ,οὔπω, ἦλθεν ). Zuerst schaut Johannes das Weib (Offb 12), und dieses haben wir daher vor allem ins Auge zu fassen.

Das Weib und der Drache

Weib und Tier bilden offenbar den nämlichen Gegensatz, wie bei Daniel der Menschensohn und die Tiere. Darauf deutet schon die Örtlichkeit hin, wo die beiden Seher diese Gestalten schauen. Wie der Menschensohn Daniels vom Himmel kommt, so sieht Johannes das Weib (Offb 12:1) im Himmel; und wie die danielischen Tiere aus dem Meer aufsteigen, ebenso das Tier der Offenbarung (Offb 13:1). Beide Male tritt ferner das menschliche Wesen dem tierischen entgegen, nur bei Daniel in männlichere, bei Johannes in weiblicher Gestalt. Dass hiermit der Gegensatz des Gottes- und des Weltreiches bezeichnet ist, wissen wir. Daniel schaut aber den Messias, den Bräutigam oder Mann, weil er in jene Zeit hinausblickt, wo Christus sichtbar wiederkommen und sein Reich auf Erden errichten wird; Johannes, bei welchem hier jedenfalls, um vorläufig noch ganz allgemein zu sprechen, die Zeit vor der Parusie im Blickfeld steht, schaut das Weib, die Braut, die Gemeinde Gottes in der Welt. Wenn er diese in Gestalt eines W e i b e s schaut, so steht ja damit die Apokalypse nicht allein, sagt nichts Neues aus, sondern sie fasst nur den ganzen Sprachgebrauch des A. und N. T. zusammen. Derselbe beginnt schon im Pentateuch damit, dass der Abfall des Volkes Israel von Gott zu den Götzen als Hurerei bezeichnet wird und der heilige Ernst Gottes dagegen als Eifersucht, Ausdrücke, die zu ihrer Grundlage die Anschauung eines Ehebundes zwischen Gott und Israel haben, in welchem jener der Mann, dieses das Weib ist. (z. B. 2Mo 34:15.16; 3Mo 17:7: 3Mo 20:5.6: 4Mo 1433; 4Mo 15:39; 5Mo 31:16; 5Mo 32:16.21). Bei den Propheten findet sich diese Grundanschauung weiter ausgebildet und in manigfaltigster Anwendung durchgeführt: Brautwerbung, Ehestand, Ehebruch, Scheidung, Witwenschaft usw. (Jes 1:21; Je 50:1; Jes 54:1ff.; Jer 2:2.20.23-25; Jer 3:1ff.; Hes 16 u. 23; Hos 1-3 u.ä.) Im N. T. nimmt sogleich der Täufer den Ausdruck wieder auf, indem er Jesus, den Messias, als den Bräutigam bezeichnet, der die Braut hat (Joh 3:29). Hier tritt also von vornherein Christus an Jehovas Stelle: in der Zeit der Erfüllung ist Jehova Jesus Christus geworden, wie sich das in seinem Namen κύριος (der Herr) ausprägt. Er selbst nennt sich den Bräutigam (Mt 9:15) und hat in seinen Gleichnissen von den zehn Jungfrauen, von der königlichen Hochzeit und verwandten Aussprüchen dieselbe Anschauung weiter ausgeführt.

In den apostolischen Schriften begegnet sie uns ebenso: Paulus hat sie Eph 5:23-32 aufs Tiefste begründet und entwickelt, wobei er nachweist, wie auch wirklich schon die ursprüngliche Stiftung der Ehe im Paradis (1Mo 2) ein Typus auf Christentum und Gemeinde gewesen (Vgl. D e l i t z s c h , Hoheslied, S. 186 ff.) Allee das fasst die Apokalypse in das eine Wort Weib (Offb 12:1) zusammen. Das Wesen des Weibes gegenüber dem Mann ist das Untertansein (Eph 5:22-24), das sich Hingeben, das Empfangen. Eben dies ist auch das Wesen des Menschen gegenüber Gott: er kann sich, wenn er seinem eigenen Wesen entsprechen will, lediglich untertänig und empfangend Gott gegenüber verhalten. Alle Autonomie des Menschengeistes ist prinzipielle Verkehrung seines Verhältnisses zu Gott. Dieses weibliche Verhalten des Menschen gegen Gott und göttliche Dinge ist es, was die Schrift Glauben nennt, und wovon sie das Empfangen der göttlichen Lebenskräfte abhängig macht. Auch ein kindliches Verhalten ist der Glaube: wir sind durch ihn Kinder Gottes (Gal 3:26). Was der Herr vom Wieder-Kind-werden sagt, was das ganze N. T. von der Gotteskindschaft lehrt, gehört auch wesentlich hierher. Die einzelne Seele ist Kind Gottes; die Gesamtheit der Kinder ist im Weibe eingeschlossen (vgl. Jes 54:1.3; Hes 16:20). So schließt der Ausdruck Weib nicht nur den unmittelbar verwandten Sprachgebrauch, sondern überhaupt alles in sich zusammen, was die Schrift über die Grundbeziehungen des Menschen zu Gott lehrt. Das Weib ist die Menschheit, sofern und soweit sie Gott zugehört. Darum wird von Christo, dem Sohne des Weibes, Offb 12:5 hervorgehoben, dass er ein m ä n n l i c h e r Sohn sei. Er ist wohl vom Weibe geboren und unter das Gesetz getan (Gal 4:4), er ist das eigentliche Resultat und Erzeugnis der alttestamentlichen Gemeinde, daher auch unter ihre Lebensordnungen gestellt; aber er ist dabei Gottes Sohn und steht als solcher der Gemeinde gegenüber wie der Mann dem Weibe. Der Mann, sagt Paulus 1Kor 11:7, ist Gottes Ebenbild und Herrlichkeit, das Weib aber ist des Mannes Herrlichkeit. Darum ist das weitere Kennzeichen des männlichen Sohnes, dass er mit eisernem Zepter weidet: er ist Herrscher und Hirte gegenüber der Herde, ebenso wie er männlich ist gegenüber dem Weibe. Dies ist der einfache Sinn des scheinbar pleonastischen Zusatzes "männliche" zu "Sohn".

Als Sohn des Weibes ist er, wie er sich selbst nennt, des Menschen Sohn; als männlich ist er der Sohn des lebendigen Gottes, der selbst im Namen Gottes Bräutigam und Mann der Gemeinde wird, weil er vom Vater das Leben in sich selber hat (Joh 5:26). Außer ihm darf kein Mensch sich männlich nennen. Wenn die Menschen das Leben ins sich selbst zu haben wähnen, wenn sie von Gott sich losreißen, ihm trotzen, in Eigenmacht wider ihn sich erheben: so werden sie zum unvernünftigen T i e r e. Die stolze Naturkraft des Menschen ist nicht männlicher, sonder tierischer Art; es ist nichts anderes als die brutale Gewalt der Bestie. Das haben wir schon oben bei den danielischen Tieren gesehen. So ist also in dem Gegensatz zum Tier und Weib nicht etwa dies oder jenes Einzeln und Zufällige ausgesagt, sondern es sin die beiden Grundrichtungen der Menschheit, die Kinder des Lichts und die Kinder dieser Welt. Es gibt ein drittes: jeder muss entweder zum Weib oder zum Tier gehören. Derselbe Gegensatz, dem wir überall im Evangelium und in den Briefen des Johannes begegnen, Gott und Welt, Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Leben und Tod, findet sich also auch in der Apokalypse, nur symbolisch eingehüllt in den Gegensatz von Weib und Tier: jenes ist, wie wir sehen werden, mit Gottes Sonne bekleidet, dieses ein Abbild des Teufels; dadurch wird die Parallele noch deutlicher. Und auch die Wahl der Symbole hat nichts Zufälliges oder Willkürliches, sondern gründet sich auf das innerste Wesen der weiblichen und tierischen Natur.

Der männliche Sohn

Ist dem also, so werden wir nun im voraus erwarten, dass Weib und Tier das Gottes- und Weltreich nicht bloß in dieser oder jener Periode ihrer zeitlichen Entwicklung, sondern in völliger Allgemeinheit bezeichnen. Und wir werden das zumal dem Standpunkt der neutestamentlichen Apokalyptik gemäß finden, welcher nun durch Christum das ganze Geheimnis des göttlichen Liebesrates, die volle Universalität des Rückblicks und Vorbilds erschlossen ist, wie Paulus sagt, das Geheimnis Christi sei nunmehr völliger als in den Zeiten geoffenbart (?) seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geist (Eph 3:5). Man wird daher zurückgehen müssen bis auf die Zeit, wo überhaupt der Gegensatz des Gottes- und Weltreiches in der Geschichte Gestalt zu gewinnen anfängt, wo also Israel und die Völkerwelt ausgesondert wird. Dass das Weib in dieser Allgemeinheit verstanden sein will, deutet auch der Text klar genug an. Es lässt sich nämlich unter der G e b u r t des m ä n n l i c h e n S o h n e s auf ungezwungene Weise nichts anderes verstehen, als einfach das historische Faktum der Geburt Jesu Christi von Maria: nur er kann, wie wir gesehen, das Prädikat männlich für sich in Anspruch nehmen. Dafür spricht auch klar die unzweideutige Hervorhebung der beiden Umstände, von welchen das irdische Leben Jesu eingeschlossen ist, der Geburt samt den auf sie sich anschließenden teuflischen Mordanschlägen auf das neugeborene Kind des Herodes (V. 4) und sodann der Himmelfahrt samt dem Sitzen auf dem Thron Gottes (Offb 12:5, vergl. Offb 3:21). Es ist ein großartiger Kontrast, der hierin liegt: statt vom Teufel gefressen zu werden, wird das Kind auf Gottes Thron erhoben. Man ahnt, wie sich hierin der Sieg über Teufel begründet, von welcher V. 7ff. ausführlicher die Rede ist.

Unter dem Weibe aber, die Jesum gebiert, ist nun natürlich die G o t t e s g e m e i n d e in ihrer alttestamentlichen G e s t a l t zu verstehen. Und wie könnte diese auch treffender bezeichnet werden als durch das Bild eines schwangeren, der Geburt mit Sehnsucht entgegen harrenden Weibes (V. 2)! Was der alten Väterschar höchster Wunsch und Sehnen war, was im alten Bunde verborgen lag als der immer mehr sich entfaltende, der Gemeine der Gläubigen immer heller zum Bewussstsein kommende Keim eines höheren, männlichen, göttlichen Lebens, worauf alles angelegt war und hinstrebte, das ist jenes jesajanische: Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter, und er heißet Wunderrat, starker Gott, Ewig-Vater, Friedefürst. Hat doch auch mich schon die Tochter Zion als Gebärerin in Kindesnöten geschaut (Mi 4:9.10; Mi 5:2). Auf die alttestamentliche Gemeinde zunächst weisen endlich auch die Embleme hin, die wir V.1 an dem Weib finden: sie ist mit der Sonne bekleidet, hat den Mond unter ihren Füßen und einen Kranz von zwölf Sternen um ihr Haupt. Denn diese drei Stücke erinnern an den Traum Josephs 1Mo 37:9.10. Dort deutet sie Jakob selbst auf sich, sein Weib und seine Söhne, also auf die alttestamentliche Gemeinde in ihrer damaligen Grundgestalt, wie dieselbe dem Zwölfstämmevolk sich für immer eingedrückt hat.

Sonne, Mond und Sterne

Aber damit ist freilich die Deutung dieser Embleme noch nicht erschöpft, es ist das nur der geschichtliche Anknüpfungspunkt für ihre Wahl. Warum das Weib gerade mit der Sonne bekleidet ist, warum sie gerade den Mond unter ihren Füßen hat und die Sterne auf ihrem Haupt, das ist nun erst zu untersuchen. Offenbar haben hier Sonne, Mond und Sterne eine symbolische Bedeutung. Die S o n n e ist das überirdische Licht, welches die Finsternis dieser Welt überwindet. Wie daher Gott selber Sonne heißt (Ps 84:12) und Christi Angesicht gleich der Sonne leuchtet (Offb 1:16): so heißt es auch von denen,welche den Herrn lieben schon Ri 5:31: sie seien wie der Aufgang der Sonne in ihrer Kraft, und Jesus verheißt den Gerechten, sie werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich (Mt 13:43). Die Bekleidung mit der Sonne bezeichnet also die Gemeinde als Trägerin des überirdischen, göttlichen Lichtes in der Welt; es isst dasselbe wie wenn Offb 1:20 die Gemeinden als Leuchter, Lichtträger erscheinen: die sieben Gemeinden repräsentieren ja die Gesamtgemeinde, das Weib. Heißt es von Gott selber, er hülle sich in Licht wie in sein Kleid (Ps 104:2), so gilt dies in abgeleiteter Weise auch von dem Weib, welches gleich Christo das Licht der Welt genannt wird (Mt 5:14; Joh 8:12). Der M o n d dagegen ist ein bloß irdisches Licht, welches in der Finsternis leuchtet, ohne sie überwinden zu können. Die Verwandtschaft, welche kosmologisch zwischen Erde und Mond besteht, ist allenthalben im Altertum anerkannt, auch in den Mythologien, wo gewöhnlich dem männlichen Prinzip des Himmels, dem Sonnengott, ein weiblichen gegenübersteht, welches Mond- oder Erdgöttin zugleich ist (Vgl. K ö s t e r, Nachweis der Spuren der Trinitätslehre vor Christo S. 7). In der Apokalypse wird im Gegensatz zum Wesen des Gottesreiches, des Himmels, der sonne, das weltliche Wesen bezeichnet durch die drei Begriffe Meer, Erde, Mond. Wie Meer und Erde dem Himmel (Offb 12:12, Joh 3:12.31). so steht der Mond der Sonne gegenüber. Das M e e r ist das unruhige, mächtige Völkergewoge (Völker und Scharen und Heiden und Sprachen Offb 17:15; vgl. Ps 65:8; Ps 89:10.11; Jes 8:7-9): aus ihm steigt das Tier hervor. (Offb 13:1; Dan 7:3). Die E r d e ist die schon befestigte, geordnete Völkerwelt mit ihrer Kultur und Weisheit: sie erzeugt den falschen Propheten (Offb 13:11), dessen Weisheit im Gegensatz zu der von oben herabkommenden irdisch ist ( σοφία σοφία Jak 3:15).

Der M o n d steht höher als Meer und Erde, er ist ein Licht am Himmel; aber er gehört doch ganz zur Erde, gehört noch dem Erdenwesen an, er vermag die Finsternis nicht wirklich zu durchbrechen und in Tag zu verwandeln. So stellt er wohl die Beziehungen des Weltwesens zur überirdischen Welt, die kosmische Religion, das Heidentum dar. Also die Welt mit ihrer physischen Macht, mit ihrer Kultur, mit ihrer Religion wird durch die drei Symbole Meer, Erde, Mond dargestellt. Wenn nun das Weib mit der Sonne bekleidet ist und den Mond unter seinen Füßen hat: so ist die Gemeinde damit bezeichnet als die Trägerin des wahren, überweltlichen Lichtes, der göttlich geoffenbarten Religion, welche die falsche, weltliche Religion das Heidentum, unter sich hat als besiegt und überwunden, sowie Christo alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden sollen (δεξιῶν μου ποδῶν Ps 110:1; Mt 22:44; 1Kor 15.25 = ὑποκάτω τῶν ποδῶν Offb 12:1; vgl. Röm 16:20: Gott wird den Satan unter eure Füße zertreten): Die S t e r n e endlich sind uns aus der Apokalypse und aus Daniel wohl bekannt als die Träger des göttlichen Lichtes; daher nehmen sie bei dem Weib die dem Mond entgegengesetzte Stelle am Haupt ein, daher ist auch die Tätigkeit des Teufels vor allem gegen die Sterne gerichtet (Offb 12:4). Sterne heißen Offb 1:20 die Gemeindeengel; ewiger Sternenglanz wird Dan 12:3 den Lehrern verheißen, und Dan 8:10 wird Israel, das den Herrn der Heerscharen zu seinem Gott hat, das Sternenheer des Himmels genannt. Die zwölf Stämme dieses Israel sind die zwölf Sterne, deren Kranz das Haupt des Weibes umgibt. Und diese heilige Zwölfzahl wiederholt sich dann in der Zahl der zwölf Apostel, ,welche das Fundament der neutestamentlichen Gemeinde bilden, und welche nicht nur Mt 19:28, sondern auch in der Apokalypse selbst (Offb 21:12-14) zu den zwölf Stämmen des Bundesvolkes in Beziehung gesetzt werden. Dort bezeichnet sie der Herr als die künftigen Herrscher über die zwölf Geschlechter Israels; hier entsprechen den Namen der zwölf Stämme, welche auf den Toren des neuen Jerusalems geschrieben sind, die der zwölf Apostel des Lammes, welche auf den Gründen der Gottesstadt stehen. Diese letztere Stelle kann der unsrigen einfach zur Erklärung dienen. Denn da das neue Jerusalem selbst auch das Weib heißt (Offb 21:2.9.10), so haben wir unter dem Weib mit den zwölf Sternen nichts anderes zu verstehen als unter der Stadt mit ihren zwölf Toren und Gründen: dies ist nur die verklärte Gemeinde, jenes noch die streitende.

Indem wir die zwölf Sterne mit auf die zwölf Apostel beziehen, so ist schon ausgesprochen, dass das Weib die Gemeinde nicht bloß in ihrer alttestamentlichen, sondern a u c h in ihrer n e u t e s t a m e n t l i c h e n Gestalt bezeichnet. So unmöglich es nach dem Bisherigen ist, nur die neutestamentliche Gemeinde oder die Kirche unter dem Weib zu verstehen, ebenso unmöglich ist es, nur an die alttestamentliche oder an Israel dabei zu denken. Denn Israel hat ja, wie wir aus Dan 9 wissen, bald nach Christi Himmelfahrt aufgehört, die Gemeinde Gottes zu sein, und doch ist Offb 12:6.13ff. noch weiter vom Weib die Rede. Der Text bestätigt also wie nach rückwärts, so auch nach vorwärts, was wir oben als im Begriff des Weibes liegend gefunden haben, dass es die Gemeinde Gottes in der Welt in unbeschränkter Allgemeinheit und nicht bloß in dieser oder jener Periode ihrer zeitlichen Entwicklung bezeichne. Was wir nun nach der Himmelfahrt Christi zuerst vom Weib lesen, das ist V. 6, sie sei in die Wüste geflohen. W ü s t e ist hier offenbar wieder ein symbolischer Ausdruck, und wir haben zu untersuchen, was derselbe bedeute. Fragen wir zunächst den Zusammenhang und dann die übrige Schrift! Eine Flucht ist es, durch welche das Weib in die Wüste kommt. Das Woher dieser Flucht kann uns auch einen Wink über das Wohin geben. Sie flieht vor den Nachstellungen des Teufels, welche ihr durch Herodes, überhaupt durch die Juden bereitet werden. Wohin wird sie da fliehen? wohin ist sie bald nach Christi Himmelfahrt geflohen? Von den Juden zu den Heiden. Daher erhält Christus gerade hier das ihm auch sonst zukommende Prädikat (Offb 2:27f.; Offb 19:5; Ps 2:9), dass er alle Heiden weiden solle mit eisernem Zepter. Die Heiden sind ihm jetzt seit seiner Himmelfahrt als Wirkungskreis eröffnet; unter sie flieht seine von den Juden verfolgte Gemeinde (von Apg 8:1 an), da ist ihr von Gott aus ein Ort zur Unterkunft und Pflege bereitet (Offb 12:6.14).

Die Wüste wäre also das Heidenland; im Deutschen ist sogar das Wort dasselbe. Lässt sich nun aber diese vermutungsweise aus dem Zusammenhang gewonnene Bedeutung aus dem prophetischen Sprachgebrauch begründen? Bekanntlich heißt Kanaan als der Sitz alles leiblichen und geistlichen Segens Gottes das Land der Zierde, der Herrlichkeit (Jer 3:19; Hes 20:6.15; Dan 11:16.41; Dan 8:9). Dem gegenüber ist das Heidenland eine Wüste, weil es von der Lebenskraft und Lebensfülle Gottes verlassen ist. Wie im Land der Zierde Gott wohnt und sich offenbart, so hausen in der Wüste die Dämonen (Mt 12:43; Mk 1:13, 3Mo 16:21.22; Jes 34:14), die das Heidentum beherrschen (1Kor 10:20; Offb 9:20). Daher befindet sich Israel, indem es unter die Heiden nach Babel verbannt ist, in der Wüste (Jes 40.3; Jes 41:17-19; Jes 42:10-12; Jes 43:19.20 u. a.) Dieser Sprachgebrauch des zweiten Teiles Jesajas gründet sich auf eine Stelle im ersten Teil, welche auch für uns von hoher Bedeutung ist. Der Ausspruch über Babel, den wir (Jes 21:1-10) lesen, heißt ein Ausspruch über die Wüste des Meeres (vgl. D r e c h s l e r (Jes II, S. 108) und S c h m i e d e r (Propheten I, S. 87) zu Jes 21:1). Das babylonische Weltreich wird also hier Meereswüste oder, gemäß der oben angegebenen symbolischen Bedeutung des Meeres, Völkerwüste genannt. Die heidnische Welt in aller ihrer Pracht und Herrlichkeit ist doch ihrem wahren Wesen nach, weil ohne oder wider Gott, eine Wüste oder Einöde; daher ihr auch nur ihr natürliches, rechtmäßiges Geschick widerfährt, wenn sie wirklich verwüstet wird, was die Propheten oft mit großem Nachdruck hervorheben (Jes 13:19-22; Jes 14:22-23; Jes 34:1-15; Hes 29:3-12; Hes 35:3-15; Mal 1:3.4 u. a.). Die Stelle Jes 21. ist hier um so gewichtiger, weil die Apokalypse auch sonst auf sie zurückgehet, indem sie ihr das Wort entnommen hat: Gefallen, gefallen ist Babel (Offb 14:8K Offb 18:2); ja wir werden sehen, dass eben in der Wüste, in der Heidenwelt das Weib selbst zu Babel, zur Hure wird.

Babel und Ägypten

Also die Flucht des Weibes in die Wüste ist nichts anderes als die Hinwegnahme des Reiches Gottes von den Juden und seine Versetzung unter die Heiden (Mt 8:11.12.22.43; Apg 13:46.47; Apg 28:25-28). Es ist zwischen dem Land der Zierde und zwischen der Wüste ein ganz ähnlicher Gegensatz, wie ihn der Herr ausspricht in den Gleichnissen vom großen Abendmahl und der königlichen Hochzeit, wo die Einladung zuerst an die Angesehenen und auf ihren reichen Landgütern, die Juden, ergeht, dann aber, als diese nicht kommen wollen, an die Armen und Blinden und Lahmen und Krüppel auf den Gassen, ja an die Leute auf den Landstraßen und an den Zäunen draußen d. h. an die Heiden in ihrer Wüste (LK 14:16-24; Mt 22:2-10). Für diese Auffassung spricht endlich auch die Art, wie Offb 12:14 noch einmal von der Versetzung des Weibes in die Wüste die Rede ist. Statt: sie floh in die Wüste heißt es hier: es wurden ihr zwei F l ü g e l des großen A d l e r s gegeben, dass sie flöge in die Wüste. Das erinnert deutlich an 2Mo 19:1-4, wo Jehova zu dem aus Ägypten in die Wüste Sinai geführten Volk Israel sagt: Ihr habt gesehen, was ich Ägypten getan haben, und wie ich euch getragen habe auf Adlers Flügeln und habe euch zu mir gebracht. Der Adlerflug geht also aus Ägypten in die Wüste, an den von Gott bereiteten Ort. Was wir aber in der Apokalypse unter Ägypten zu verstehen haben, das sehen wir aus der Stelle Offb 11:8, der einzigen, wo Ägypten in unserem Buch vorkommt. Dort wird die Stadt, wo der Herr gekreuzigt wurde, also Jerusalem, geistlich Sodom und Ägypten genannt, gerade so wie die untreue Kirche später Babel heißt. Jerusalem selbst also und Israel ist jetzt durch seine Feindschaft wider Christum Ägypten geworden, aus welchem die Gemeinde Gottes ausziehen muss, sowie vor Zeiten die alttestamentliche Gemeinde aus dem wirklichen Ägypten gezogen ist, und wie dereinst an das wahrhaftige Gottesvolk der Ruf ergehen wird, von Babel auszuziehen (Offb 18:4).

Die Flucht oder der Flug der Gemeinde in die Wüste ist also ihre Errettung aus dem abtrünnigen Israel. Denn dass die F l u c h t und der F l u g nicht verschiedene Fakten sin, sondern nur zwei verschiedene Bezeichnung und vielleicht Stufen ein und derselben reichsgeschichtlichen Grundtatsache, geht wohl aus den Worten klar genug hervor. Ort und Zeit sind ja ganz die gleichen: es ist beide Male die Versetzung des Weibs in die Wüste, wo sie 1260 Tage oder 3 1/2 Zeiten (Jahre) an dem ihr von Gott bestimmten Ort genährt wird. Die Aufmerksamkeit des Johannes war durch den inzwischen geschauten und V. 7-13 erzählten Sturz des Drachen von dem Weibe abgelenkt worden und muss umso mehr noch einmal auf die Versetzung desselben in die Wüste zurückgelenkt werden, da der Übergang des Reiches Gottes zu den Heiden eine außerordentliche, gewaltige Tatsache ist. Wenn er nun statt des einfachen "Sie floh" sagt es wurden ihr zwei Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie fliege: so will er durch den Wechsel des Ausdrucks nur noch bestimmter hervorheben, dass dieser tiefe Einschnitt in die ganze Welt- und Reichsgeschichte nicht eine Sache menschlicher Willkür oder gar menschlicher Furcht und Zaghaftigkeit, sondern göttlichen Ratschlusses und göttlicher Veranstaltung gewesen sei (vgl. Apg 9-11). Der erste Ausdruck benutzt als Typus die Flucht der Maria mit dem Jesuskinde nach Ägypten (Mt 2:13), der andere die Ausführung des Volkes Israel aus Ägypten. Wenn es nun aber nicht bloß im allgemeinen heißt, das Weib sei in die Wüste versetzt worden, wenn vielmehr gesagt wird, sie habe in der Wüste einen ihr von G o t t bereiteten O r t, so zeigt dies an, dass zunächst nur ein bestimmter Teil der Heidenwelt zur Aufnahme der Gemeinde bestimmt ist. Welches dieser Ort sei, können wir schon aus Daniel vermuten und erfahren es durch den weiteren Verlauf der Apokalypse. Es ist das vierte Weltreich, das in dem nunmehrigen Babel, in Rom seinen Sitz hat. Einen großartigen Kommentar hierzu gibt die Apostelgeschichte, indem sie die Wanderung der Kirche von Jerusalem nach Rom schildert. Dahin zielte die ganze Wirksamkeit des Apostels Paulus, deren Seele in seinem Brief an die Römer ausgedrückt ist, und welcher selbst für seine Person in der römischen Reichs- und Rechtsordnung Schutz fand. (Vgl. B a u m g a r t e n , Apostelgesch. II, 2 S. 164ff.)

Übrigens sind die Ausdrücke der Apokalypse wohl zu beachten. Die Heidenwelt soll die Gemeinde nicht n ä h r e n: was könnte auch die Wüste für Nahrung darbieten? Sondern die Wüste als soche gewährt nur eine äußere Zuflucht; in Bezug auf die Nahrung aber steht V. 14 unbestimmt das Passiv: ὅπου τρέφεται, V. 6 ἵνα ἐκεῖ τρέφωσιν αὐτὴν. Diese dritte Person des Plural ist uns schon aus Daniel bekannt; wir wissen, dass die himmlischen Mächte als Subjekt zu ergänzen sind. Die Gemeinde führt "ein Leben, von oben her freundlichen gesäugt2; sie lebt in der Wüste gleich Israel von himmlischen Manna und gleich ihrem Meister von dem Wort, das aus Gottes Mund geht. (Mt 4:4, vg. Offb 12:11 διὰ τὸν λόγον τῆς μαρτυρίας αὐτῶν , so dass ihr der Teufel so wenig anhaben kann wie einst Jesus ἀπὸ προσώπου τοῦ ὄφεως V. 14 vgl. V. 11 ἐνίκησαν αὐτὸν) Aber Herberge und Zuflucht findet sie in der Heidenwelt und hat sie gefunden bis auf diesen Tag, "auf dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit" (1Tim 2:2).

Freilich soll die Gemeinde dabei nie vergessen, dass sie noch in der Welt ist, in der ungöttlichen Welt, welche auch ihren feindseligen Sinn gegen sie hervorkehren kann. Dies zunächst ist in der Zeitbestimmung ausgedrückt, welche für den Aufenthalt des Weibes in der Wüste V. 6 und 14. gegeben ist. Die 3 1/2 Zeiten oder 1260 Tage haben ohne Zweifel einen genau zutreffenden, chronologischen sinn; aber es ist unmöglich, diesen jetzt schon zu ermitteln: erst die Erfüllung wird die apokalyptische Zeitrechnung erklären, wie es auch bei den Zeitbestimmungen Daniels der Fall ist. Für jetzt haben wir uns lediglich an die symbolische Dignität der Zahlen in der Offb zu halten. Und diese kennen wir nun für die 3 1/2 Zeiten schon aus Dan 7:25; Dan 12:6.7; Dan 9:27. Es ist die Zeit der Weltmacht, in welcher den irdischen Reichen die Oberhand gegeben ist über das Himmelreich. So wird denn in der Apokalypse diese Zahl wieder aufgenommen, um die Zeiten der Heiden damit zu charakterisieren, in welchen Jerusalem zertreten ist und mithin das Reich Gottes seine äußerlich sichtbare Existenz auf Erden vollends verloren hat, die Zeiten also von der römischen Zerstörung Jerusalems bis zur Wiederkunft Christi. Man vergleiche Lk 21:24 und Offb 11:2, wo beide Male vom Zertreten der heiligen Stadt durch die Heiden die Rede ist, welches so lange dauern soll, bis nach der ersten Stelle die Zeiten der Heiden, nach der zweiten 42 Monate (= 3 1/2 Jahre = 1260 Tage) erfüllt sind. Dieser negativen Bestimmung schließt sich Offb 13:5 die positive an, nach welcher die 42 Monate die Dauer der Gewalt des Tieres, d. h. der Weltmacht bezeichnen. Die einzige, noch übrige Stelle, wo die 1260 Tage in unserem Buch vorkommen Offb 11:3, möchte aus dieser Auffassung die Zahl ebenfalls ihr Licht bekommen, was aber nachzuweisen nicht dieses Orts ist. Also die Gemeinde findet wohl Unterkunft in der Heidenwelt, aber sie ist auch in die Gewalt der Weltmacht dahingegeben; sie steht unter dem Schutz, aber auch unter dem Druck derselben; sie ist eine leidende und streitende Kirche bis auf diesen Tag. Eben dieses Ineinander vom Schutz und Druck ist das Spezifische im Verhältnis der Gemeinde zur Weltmacht während der kirchengeschichtlichen Zeit. IN der einen Periode tritt man das eine, in der andern mehr das andere Moment hervor; am Ende aber wird der Druck und die Feindseligkeit der Welt mit Macht gegen die Gemeinde ausbrechen (vgl. Offb 13:6.7).

Gefahren in der Wüste

2.) Dass dem Weib in ihrer neuen Zufluchtsstätte der Kampf nicht erspart sein soll, das zeigt nun der weitere Verlauf des Gesichts V. 7ff. Wie zu Christo selbst in der Wüste der Teufel als Versucher getreten ist, so tritt er auch zum Weibe. Wir haben bisher die ersten sechs Verse von Offb 2 betrachtet und dabei V. 14 nur um seiner Verwandtschaft mit V. 6 willen vorausgenommen. Das Resultat dieses ersten Teiles des Kapitels ist die gewaltige Veränderung, welche seit Christo mit der Gemeinde Gottes in der Welt vorgegangen ist, ihre Übersiedlung aus Israel zu den Heiden. Aber nicht nur in dem Reiche Gottes auf Erden, sondern auch im Himmel selbst ist durch Christi Himmelfahrt (v. 5 und 10) eine mächtige Veränderung bewirkt worden, welche wiederum für die irdische Gemeinde die größte Bedeutung hat und darum gerade hier eingereiht wird, der S t u r z des T e u f e l s. Wir können nämlich in dem zweiten Teil des Kapitels (V. 7-12), zu dessen Betrachtung wir nunmehr übergehen, nichts anderes geschildert finden als die auch sonst aus dem N. T. und namentlich aus den johanneischen Schriften bekannte Tatsache, dass durch die Vollendung des Versöhnungswerkes Christi der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Der ganze Zweck der Geburt des männlichen Sohnes war nach 1Jo 3:8 die Zerstörung der Werke des Teufels.

Der Kampf Jesu mit dem Fürsten der Finsternis hat drei Stadien. Das erste ist die Versuchung in der Wüste. Als dies mit einer schmählichen Niederlage des Teufels endigte, wich er von Jesu Person eine Zeitlang oder bis zu einer gewissen Zeit (ἄχρι καιροῦ Lk 4:13) und warf sich auf seine Umgebungen, um auf diese Weise seiner Wirksamkeit den Weg zu verlegen. Daher die vielen Besessenen in dieser Zeit und die Teufelsaustreibungen von Seiten des Herrn und seine Jünger, welche das zweite Stadium des Kampfs bezeichnen. Auch hier blieb der männliche Sohn in allen Punkten Sieger und erwies sich als der Stärkere, der über den Starken kam (Lk 11:20-22). Er sprach bei diesem Anlass einmal ein Wort aus, das an unsere apostolische Stelle erinnert, Lk 10:8. Als die siebzig Jünger ihm fröhlich berichteten, auch die Dämonen seien ihnen untertan in seinem Namen, so sagt er: Ich sah wohl den Satanas vom Himmel fallen als einen Blitz. Jene Siege über den Argen ließen ihn bereits den vollen Sieg über denselben im Geiste schauen, ganz nach Art der Propheten, die im Keim schon die Vollendung, mitten in der geschichtlichen Entwicklung das Ziel der Geschichte erkennen. Das dritte Stadium, in welchem der Sieg sich vollendet, ist Jesu Leiden und Tod, Auferstehung und Himmelfahrt. Hier konzentrierte der Teufel alle seine Macht zum Angriff, sowohl auf die Umgebungen als auf die Person Jesu. Dies, sagt der Herr zu seinen Feinden, ist eure Stunde und die Macht der Finsternis (Lk 22:3; Joh 13:2.27). Nur an Jesus selbst, den er jetzt durch die Schrecken, wie früher durch die Luft der Welt versuchte, hatte er nichts (Joh 14:30); vielmehr wird er durch seine Hingabe in den Tod gerichtet und hinausgeworfen (ἐκβληθήσεται ἔξω), wie der Herr mit einem abermals an unsere apokalyptische Stelle erinnernden Ausdruck sagt (Joh 16:11; Joh 12:31; vgl. Hebr 2:14); und seine Auferstehung und Himmelfahrt ist ein öffentlicher, feierlicher Triumph über die Mächte und Gewalten des Todes (Kol 2:15).

Diese letzte Stelle könnte man der unsrigen zum Motto setzen. Was Paulus in heiliger Freude didaktisch ausspricht, das hat Johannes prophetisch geschaut. Der Teufel wird jetzt, nachdem er männliche Sohn auf Gottes Thron erhoben ist (V. 5) aus dem Himmel geworfen. Der Erzengel M i c h a e l ist zum Exekutor des Gerichts bestimmt. Denn er ist nach Dan 10:13.21; Dan 12:1 derjenige unter den hohen Engelfürsten, welcher die Sache der Gemeinde Gottes in der unsichtbaren Geisterwelt gegen die widerstrebenden Kräfte auszufechten hat. Er hat schon einmal mit dem Teufel gekämpft um den Leib des Stifters des alten Bundes (Jud 1:9). Jetzt aber, da der Stifter des neuen Bundes seinen Leib freiwillig in den Tod dahin gegeben und aus demselben wieder an sich genommen hat in der Herrlichkeit des Geistes, kann er den Kampf mit dem alten Feind wieder aufnehmen, und mit noch ganz anderem Erfolg. Diese Kämpfe in der Geisterwelt sind uns schon aus Dan 10 des näheren bekannt. Michael mit seinen Engeln überwindet jetzt den widerstrebenden Teufel mit den Seinigen und wirft die finsteren Mächte und Gewalten aus dem Himmel hinaus auf die Erde (V. 7-9).

Der achte Vers, welcher sagt: ihre Stätte ward nicht mehr (ἔτι) gefunden im Himmel, setzt voraus, dass bis dahin, bis zur Himmelfahrt Christi die D ä m o n e n im H i m m e l waren gleich den anderen Engeln, dass sie, gleich diesen, vom Himmel aus, wo es ja so viele und vielerlei Stätten gibt, über die Erde walteten. Wie vor Christo der Himmel den Menschen noch nicht geöffnet war, so war er den Teufeln noch nicht verschlossen. Und das bestätigt auch die übrige Schrift, zunächst im A. T. Hi 1:6ff.; Hi 2:1ff. sehen wir den Satan unter den übrigen Söhnen Gottes vor Jehovah erscheinen (vgl. 1Kön 22:19-22); ebenso steht er Sach 3:1.2 vor dem Engel Jehovas. Beide Male tritt er als Verkläger der Brüder auf (Offb 12:10). In der zweiten Stelle will er den Hohenpriester Josua samt Jerusalem und Israel verklagen, dass ihre Schulden noch nicht getilgt, und dass sie daher der Gnade, die ihnen der Herr durch ihre Zurückführung aus dem Exil erwiesen, nicht wert seinen (Sach 3:3 - 5:9). In der ersten Stelle klagt er den frommen Hiob an, dass auch er nicht rein sei, und erhält Macht von Gott, denselben bis aufs Äußerste zu versuchen. So lange das Blut der Versühnung noch nicht geflossen war, welches Sach 3:8.9 den Anklagen Satans verheißungsweise entgegen gestellt wird, hatte er noch ein Recht über die Menschen und konnte dieses sein Recht vor Gott geltend machen: er verklagte sie vor ihm Tag und Nacht (Offb 12:10: κατηγορῶν imperf.) Es ist daher ganz folgerichtig, dass er im Himmel erscheint, bis diese seine Gewalt, die als Sünden- und Todesbann auf der Menschheit lastet, zerbrochen ist. Auch das neue Testament bestätigt diese Anschauung. Jenes schon angeführte Wort Jesu, dass er den Satan habe vom Himmel fallen sehen, hat dieselbe zur Voraussetzung. Eben dahin gehört eine Stelle, die den Auslegern viele Mühe gemacht hat, deren Schwierigkeiten aber von diesem Gesichtspunkt aus sich sehr einfach lösen, Kol 1:20.

Der Apostel ist hier beschäftigt, die einzige göttliche Würde Christi den Engeln gegenüber zu erweisen, weil die kolossäischen Irrlehrer durch ihre Aufstellungen über die Geister und Äonenwelt (vgl. Kol 2:10.18) dieselbe beeinträchtigen. Er hat V. 15-17 gezeigt, dass alle Kreaturen, die himmlischen Mächte ebenso wie die Erdenwelt, schon ihr Dasein Christo zu verdanken haben. V. 18-20 redet er nun von der zweiten Haupttätigkeit Christi, der versöhnenden, und zeigt, dass auch in dieser Beziehung das ganze Universum, wieder nach seinen beiden Bestandteilen, Erden- und Himmelswelt, die Herstellung der Harmonie nach dem ausgebrochenen Zwiespalt, und die harmonische Eingliederung in das ursprüngliche Haupt, allein Christo zu danken habe. Die Gegenüberstellung von αὐτὸν und τὰ πάντα, welche Kol 1:16.17 beherrscht hat, tritt auch in V. 20 wieder hervor: δι’ αὐτοῦ ἀποκαταλλάξαι τὰ πάντα, und nach dem Zwischensatz wieder aufnehmend: δι᾽ αὐτοῦ εἴτε τὰ ἐπὶ τῆς γῆς εἴτε τὰ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. Störung und Disharmonie war nicht nur auf Erden ausgebrochen, sondern auch im Himmel durch den Fall der Dämonen.*)

*) Vgl. K u r t z, Bibel und Astronomie, 3. Auflage, S 228: "Durch den Fall der Engel und durch den des Menschen war Fluch und verderben in die irdische Weltregion gekommen, und auch in die himmlischen Welten, in die Wohnungen der heiligen Engel war durch diese doppelte Katastrophe eine zwar nicht positive, aber doch private Störung gekommen, wodurch ihre höchste und absolute Entwicklung, ihre harmonische Gliederung, ihr vollendeter Zusammenschluss aufgehalten wurde."

Und so wenig die Menschen selbst den Frieden auf Erden herstellen konnten, so wenig die Engel im Himmel. Die guten Engel waren nicht imstande, von sich aus die Störenfriede zu überwinden, die Dämonen hinaus zu schaffen; sondern auch für sie gilt das δι᾽ αὐτοῦ: erst das Blut des Kreuzes hat auch im Himmel Frieden hergestellt (εἰρηνοποιήσας διὰ τοῦ αἵματος τοῦ σταυροῦ); erst jetzt, nachdem Christus den Sieg rechtskräftig errungen hat, können Michael und seine Engel den Teufel und die Seinigen aus dem Himmel werfen. Nur bei dieser Auffassung, welche durch die andere, schon angeführte Stelle des Kolosserbriefes Kol 2:15, unterstützt wird, wird die paulinische Argumentation recht schlagend, indem sie zeigt, wie die Engel durchaus von Christo abhängig sind; nur sie tut dem Zusammenhang und insbesondere der Wiederholung des δι᾽ αὐτοῦ ein volles Genüge.

Der Sieg über den Fürsten der Finsternis

Durch das Ereignis, welches wir hier vor uns haben, ist also ein wesentlicher Wendepunkt in der Geschichte des Fürsten und Reiches der Finsternis eingetreten. Denn von einer solchen Geschichte gibt uns die Hl. Schrift und insbesondere die Apokalypse die Grundzüge in die Hand. Sie ist ein immer tieferes Heruntersinken in vier Stufen oder Perioden. Die erste geht bis auf Christum: da herrscht der Teufel nicht nur auf Erden, sondern er ist auch noch im Himmel; seine Macht ist noch ungebrochen, das alttestamentliche Gottesreich ist noch nicht mit reellen Überwindungskräften ausgestattet. Die zweite Periode geht von Christo bis zum Beginn des tausendjährigen Reiches; da ist Satan vom Himmel auf die Erde geworfen, wo er noch immer freien Spielraum hat. Wir haben hierüber gleich näher zu reden. Die dritte Periode umfasst das tausendjährige Reich. Jetzt ist der Feind gebunden, und wie zuvor vom Himmel auf die Erde, so wird er jetzt von der Erde in den Abgrund geworfen und da unschädlich gemacht (Offb 20:1-3) Nachdem er hierauf noch eine kleine Zeit los geworden, so wird er viertens gerichtet und für immer und ewig in den Feuersee gebannt (Offb 20:7-10; Mt 25:41; 1Kor 6:3). Es ist ein fortgehendes Geworfen, Hinabgestürzt werden (βλήθησαν), was die Apokalypse zu berichten hat (Offb 12:9; Offb 20:3.10).

Mit unserem Ereignis beginnt also die zweite Periode in der Geschichte des Teufels. Das Wesen desselben wird von der himmlischen Stimme (Offb 12:10-12) geschildert. Während bisher Satan als der Fürst dieser Welt im unbestrittenen Besitz seiner Macht gewesen war, ist ihm dieselbe jetzt genommen. Sieg (σωτηρία in der Apokalypse, vgl. Offb 7:10; Offb 19:1, wie das hebräische תְּשׁוּעָה, das die LXX mit σωτηρία übersetzt, z. B. 2Sam 23:10.12, und das deutsche Heil, allgemein Glück, Wohlstand, Sieg), K r a f t und R e i c h ist jetzt G o t t e s, die G e w a l t ist C h r i s t i geworden. Christus kann jetzt sagen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden (Mt 28:18 ἐξουσία); und die Christen können sagen: Gott hat uns errettet aus der Gewalt der Finssternis und versetzt in das Reich seines lieben Sohnes (Kol 1:13 ἐξουσία und βασιλεία). Der Teufel hat seinen eigentichen Machtsitz im Himmel verloren und dies vor allem deswegen, weil (ὃς) er nun die Menschen, sondern sie Christis und in ihm Brüder der Himmlischen sind (??), n i c h t mehr v e r k l a g e n kann vor G o t t. Denn jetzt ist Christus im Himmel, unser Fürsprecher, der unsern Verkläger zuschanden macht und ihm das Blut der Versühnung entgegenhält, welches besser redet denn Abels Blut, dieses zum Himmel schreiende Urzeugnis von der menschlichen Sünde (1Jo 2:1.2; Hebr 7:25; Hebr 8:1; Hebr 12:24). So rechtmäßig ist nun der Satan überwunden, dass Paulus uns einführen kann in den himmlischen Gerichtssaal, wo gegen die Auserwählten Gottes keine Beschuldigungen mehr angenommen, sondern von Gott, dem Richter, fort und fort Absolutionsurteile ausgesprochen werden über alle, welche Christum für sich eintreten lassen (Röm 8:33.34). Dies wird denn auch an unserer Stelle V. 11 näher ausgesprochen.

Die Christen haben den Widersacher ü b e r w u n d e n aufgrund (διὰ τὸ αἷμα) des Blutes des Lammes, durch welches der auf der Menschheit lastende Teufelsbann gelöst und der freie Zugang zu Gott eröffnet ist, und auf Grund des Wotes ihres Zeugnisses, durch welches sie sich zu dem erwürgten Lamm frei von aller Welt bekennen. Dieses sieghafte Präteritum finden wir ebenso im ersten Brief des Johannes: unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat (νικήσασα 1Jo 5:4); ihr habt den Bösewicht überwunden (1Jo 2:13.14 vgl. 1Jo 4:4), ohne Zweifel in Erinnerung des Wortes, mit dem Jesus seine Abschiedsreden schloss, und das sich der Seele des Johannes aufs Tiefste einprägen musste: ich habe die Welt überwunden (Joh 16:33). Dieses κόσμον ist überhaupt ein eigentümlich johanneischer Ausdruck, der sich in seinem ersten Brief sechsmal, in der Apokalypse sechzehnmal findet, während er sonst im ganzen N. T. nur in Lk 11:22; Röm 3:4 und Röm 12:21 vorkommt. Es ist das für die Gesamtanschauung unseres Apostels, deren Grundgedanke der Kampf der Gegensätze und der Sieg des Lichts über die Finsternis ist, charakteristisch; denn es ist ja derselbe Kampf und Sieg, welchen das Evangelium Johannes in dem Leben Jesu, die Offenbarung in dem seiner Gemeinde schildert (Vgl. L u t h a r d t , das johann. Evang. I, S. 68f.). Aber zu dieser Überwindung der Welt und ihres Fürsten in der Kraft des Blutes Christi gehört auch, dass wir, gleich diesem, was von uns noch der Welt angehört, unser irdisches Leben dranzugeben willig sind (Joh 12:24f; Mt 10:38f.; Mt 16:24ff.): sie haben ihr L e b e n nicht g e l i e b t bis in den T o d. So steht auch 1Jo 2:15 neben dem: Ihr habt den Bösewicht überwunden, unmittelbar: habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist.

Über diesen Hinauswurf und Überwindung des Bösewichts werden nun die H i m m e l und ihre B e w o h n e r zur F r e u d e aufgerufen Offb 12:12. Zu den letzteren dürfen wir wohl auch die Glieder Christi rechnen, sofern sie eben Brüder der Himmlischen sind, Heimat und Bürgerrecht im Himmel haben, ja selbst Himmlische heißen (Phil 3:20; 1Kor 15:48). Sie freuen sich ja wahrlich mit den Engeln des Himmels über die Verwerfung des Teufels; denn sie sind dem Weltwesen und der Macht des Weltfürsten entnommen, und es gilt ihnen das Wort, mit dem Johannes selbst wieder unsere ganze Stelle erläutert; Wer aus Gott geboren ist, der bewahret sich, und der Arge tastet ihn nicht an (1Joh 5:18). Dagegen w e h e denen, die noch dieser W e l t angehören und auf die Macht oder auch die Bildung derselben (Meer, Erde) sich verlassen! Sie sind jetzt besonders stark der V e r f ü h r u n g des T e u f e l s preisgegeben, denn nur als Verkläger, aber noch nicht als Verführer ist er abgetan, w ü t e n d über seinen Sturz und im Bewusstsein, dass es bald noch tiefer mit ihm hinabgehen wird, nimmt er jetzt alle Kraft zusammen, um noch möglichst viele Seelen zugrunde zu richten. Gerade dem Sieg des Lichts gegenüber steigert sich jetzt auch die Kraftanstrengung der Finsternis, und es wird dem auf die Erde geworfenen Teufel gelingen, die Erdenmächte dereinst so zu erhitzen und zu stärken, dass sie sich zum vollen Antichristentum entwicklen. Satan herrscht jetzt in der irdischen Luftregion (Eph 2:2) und geht umher auf Erden wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge (1Petr 5:8); er ist nach wie vor der Gott dieser Welt (2Kor 4:4), und nur sofern und soweit man in Christo ist, ist man vor ihm gesichert. Es ist aber da keine äußere Abgrenzung der Gebiete; das Christo Angehören ist etwas rein Pneumatisches, Innerliches, Unsichtbares und fällt nicht mit der Zugehörigkeit zu irgend welcher menschlichen Gemeinschaft zusammen. Auch die Christenheit ist noch auf Erden und daher den Angriffen des Teufels ausgesetzt. Er sät Unkraut unter den Weizen (Mt 13:25.38f.). Wer von ihren Gliedern nicht lauter ist, dem Weltwesen wieder Eingang bei sich gestattet, den bringt Satan zu Fall. Daher der Kampf, den auch die Gläubigen fortwährend mit dem Teufel zu bestehen haben (Eph 6:11ff.) Sie haben ihn überwunden; aber gerade aufgrund des erlangten Ursieges gilt es immer neuen Kämpfen und Überwinden, sowie es aufgrund des einmaligen Gestorbenseins ein fortwährendes Töten der Erdenglieder gilt. (Kol 3:3.5; vgl. Röm 6:2-14). Das ist der ungeheure Ernst der Periode des Reiches Gottes, in die wir alle hineingeboren sind.

Der Drache und das Weib

3.) So ist denn in den beiden ersten Teilen unseres Kapitels der neuttestamentliche Stand der Dinge, der Stand der Gegenwart des Johannes sowohl hinsichtlich des Reiches oder der Gemeinde Gottes (Offb 12:1-6) als hinsichtlich des Reiches der Finsternis (Offb 12:7-12) charakterisiert. Der dritte Teil (Offb 1213-17) zeigt nun, wie sich von jetzt an beide Reiche zueinander stellen, was der Drache weiter gegen das Weib unternimmt. Er v e r f o l g t sie (Offb 12:13), und unter dieser Verfolgung haben wir wohl alle die Feindseligkeiten zu verstehen, welche Juden und Heiden sich gegen die junge Kirche haben zuschulden kommen lassen. Ihnen gegenüber gewinnt also das Weib doch mehr und mehr im römischen reich eine sichere und feste S t ä t t e (V. 14): die römische Staats- und Rechtsordnung hat, wie schon dem Apostel, so auch später der Kirche unter alle Verfolgungen hinein immer wieder Schutz gewährt, bis Kaiser und Reich endlich selbst christianisiert wurden. Vielleicht darf man bei dem g r o ß e n A d l e r , namentlich wegen des Beisatzes "groß" nach Hes 17:3.7, wo die Könige von Babel und Ägypten so bezeichnet sind, von denen der erstere auch Dan 7:4 mit Adlersflügeln erscheint an die Weltmacht, an den römischen Adler denken, wie schon B e n g e l darunter "die mächtigste Potenz versteht, von welcher die Kirche Schutz und Förderung genossen hat." Gerade die feindselige Macht musste in Gottes Hand auch wieder zur Schutzmacht werden; denn Christus herrscht mitten unter seinen Feinden (Ps 110:2). Gleichwohl ist die ganze heidenchristliche oder kirchengeschichtliche Periode nach biblisch-prophetischer Anschauung nur eine solche Zwischenzeit, wie Israels vierzigjähriger Aufenthalt in der W ü s t e, ein Zug der Gemeinde durch die Wüste nach dem gelobten Land, wo im tausendjährigen Reich sich erst das volle Leben und die dem Christenstand eigentlich entsprechende Herrlichkeit entfaltet, Die Erlösung ist geschehen, aber Kanaan noch in Feindeshand, das Erbe noch nicht angetreten. Die Wüstenzeit, die Zeit unserer Wallfahrt und Fremdlingschaft (1Petr 1:17; 1Petr 2:11; Hebr 4:9; Hebr 13:14; 2Kor 5:6.7; 1Jo 3:2) hat nur die Bestimmung, eine neue, neugeborene Generation für die Herrlichkeitszeit zu erzeugen.

Daher lässt denn auch die Feindschaft des Teufels nicht ab. Während sich die Gemeinde an dem ihr bestimmten Ort, im römischen Reich, ausbreitet und einwohnt, schießt die Schlange aus ihrem Mund W a s s e r wie einen S t r o m hinter ihr her, ums sie fortzuschwemmen und zu ersäufen (V. 15). Wir werden unter diesem Wasserstrom gemäß der uns bekannten Deutung des Wasser (vgl. Offb 17:15) nichts anderes zu verstehen haben, als die Ströme der Völkerwanderung. Die germanischen Stämme sollten dem römischen Reich und eben damit nach des Teufels Absicht auch dem Christentum ein Ende machen: er führt eine neue Weltmacht gegen die Gemeinde Gottes ins Feld. Aber die E r d e kommt dem W e i b e zu H i l f e; indem sie den Völkerstrom verschlingt (V. 16). Wir wissen, dass die Erde im Gegensatz zum Wasser die Welt als eine schon geordnete, kultivierte bezeichnet. Die gebildete Römerwelt nahm die wilden, germanischen Volksmassen in sich auf, brach und sänftigte ihre Feindseligkeit und befreundete sie auch mit dem Christentum, welches hier, wie wir sehen, zunächst nicht von seiner himmlischen, sondern von seiner irdischen Seite, als Kulturmacht in Betracht kommt. Indem die Germanen sich durch römische Bildung und Kirche zivilisieren ließen, war der Fortbestand der wahren Gottesgemeinde gesichert.*)

*) Ebenso J. P. L a n g e: "Der Teufel schoss nach der Kirche den Strom der zwangsweise bekehrten Völker und der Massen der Völkerwanderung. Aber die Erde, d. h. die befestigte kirchliche und staatliche Ordnung, verschlang den Strom, amalgamierte sich die wilden Völkerhorden" (G e l z e r s protest. Monatsblatt, Aug 1853; S 84).

So ist auch dieser Plan des Teufels gegen das Weib misslungen, und sie hat jetzt einen doppelt gesicherten Stand in der kultivierten Völkerwelt. Er sieht, dass er jetzt einen andern Weg einschlagen muss, dass die Gemeinde im ganzen von den Pforten der Hölle nicht überwältigt werden kann. Daher wendet er sich gegen die Einzelnen, welche von i h r e m S a m e n übrig s i n d, die da Gottes Gebote halten und haben das Zeugnis Jesu (V. 17). Die wahren Christen sind, nachdem er die Ausrottung des Christentums aufgeben musste, der beharrliche Gegenstand seiner Feindschaft und Verfolgung bis auf diesen Tag (Joh 15:18ff.). In dem  ??? liegt wohl eine Andeutung davon, dass je mehr die Kirche sich in die Welt hineinlebt, desto mehr es auch in ihr, wie einst in Israel, nur ein Rest, eine Auswahl sein wird, welche in Wahrheit den Weibessamen bildet, von dem es heißen kann, dass er Gottes Gebote halte und das Zeugnis Jesu habe. Nur solche sind dem Teufel wirklich ein Dorn im Auge; die andern verfolgt er nicht.

Hier bricht nun das Gesicht ab. Johannes soll keine Kirchengeschichte schreiben, sondern nur die Verse Offb 12:13-14.15-16 und 17 hervorgehobenen Haupttatsachen und Grundzüge die Stellung der Gemeinde in der Heidenwelt charakterisieren. Sie besteht einerseits fort unter dem äußeren Schutz der römisch-germanischen Zivilisation und Staatsordnung; andererseits gelingt aber auch der Schlange noch mancher Fersenstich gegen den Weibessamen, und wenn gleich die Massenangriffe (zu denen weiterhin auch der Muhamedanismus gezählt werden kann) fehlschlagen, so sind doch fortwährend die einzelnen Christen, je mehr sie zum echten Weibessamen gehören, desto mehr der Anfeindung Satans ausgesetzt. Die Gemeinde des Herrn darf ihre Hoffnung auf nichts weniger setzen, als auf einen ruhigen äußeren Bestand. Dies ist vielmehr gerade die Hauptgefahr, die ihr droht, dass sie sich durch den Wohlstand in der Welt, zu dem sie nach V. 16 gelangt ist, von ihrem keuschen, geistlichen Pilgersinn abziehen und ins Weltwesen verstricken lasse. Noch steht ihr der Teufel als Versucher gegenüber. Er kann es jetzt, da es ihm mit Gewalt nicht gelungen ist, mit List angreifen, statt mit den Schrecken nun mit der Lust der Welt, so wie er auch Christum in der Wüste versucht hat. Er tut das, und das Weib widersteht der Versuchung nicht. Wir finden sie im 17. Kapitel als Hure wieder.

Das Tier mit sieben Häuptern und zehn Hörnern

Wir kommen nun zu dem Tier, dessen Schilderung sich unmittelbar an die des Weibes anschließt: Offb 12:18 bis Offb 13:10. Diese symbolische Gestalt ist es vor allem, durch welche die Apokalypse mit Daniel zusammenhängt, und es obliegt uns zunächst, den Zusammenhang nachzuweisen. Johannes selbst lässt ihn gleich in den beiden ersten Versen des 13. Kapitels auf dreifache Weise hervortreten. Sein Tier steigt aus dem Meer auf, wie die vier Tiere Daniels; es hat zehn Hörner, wie Daniels viertes Tier zehn Zehen hat; es ist endlich zusammengesetzt aus Löwe, Bär, Pardel, also aus den danielischen Tieren. Das vierte Tier fehlt zwar hier, weil es keinem bestimmten Tier gleicht; aber es ist ja eben durch die zehn Hörner vertreten. So ergibt sich schon aus dieser einfachen Betrachtung, was wir unter dem Tier der Offenbarung zu verstehen haben: es wird darin die Weltmacht im ganzen, welche bei Daniel in vier Tiere auseinander gelegt ist, in eins zusammengefasst. We das Weib das Gottesreich schlechthin ist, so ist das Tier das Weltreich schlechthin, durch alle Zeiten hindurch, ebenfalls nicht bloß in einer einzelnen Periode seiner zeitlichen Entwicklung, sondern von da an, wo es überhaupt einen Gegensatz des Gottes- und Weltreichs auf Erden gegeben hat. So wenig Johannes unter dem Weib bloß die Christengemeinde versteht, so wenig unter dem Tier bloß das Weltreich seiner Zeit, das römische, oder gar irgend eine frühere oder spätere Entwicklungsphase des römischen Reiches. Dagegen und für unsere Auffassung spricht also;

1.) die Beschreibung des Tieres selbst: es schließt ja die früheren Weltmonarchien, L ö w e , B ä r , P a r d e l , ausdrücklich ein, und man kann nicht etwa sagen, Johannes habe sich das vierte, danielische Tier als aus den früheren zusammengesetzt gedacht. Wie das vierte Tier aussah, beschreibt Daniel selbst, und wenn dem Johannes nur dieses wieder mit Ausschluss der früheren gezeigt werden sollte, so konnte doch nicht Ungeschickteres geschehen, als gerade die früheren darin aufzunehmen. Man kann auch nicht sagen, die früheren Reiche sollen als dem römischen einverleibt dargestellt werden; denn so hätte ja auch schon bei Daniel zuerst der Löwe dem Bären, dann beide dem Pardel und endlich alle drei dem vierten Tier einverleibt erscheinen müssen. Vielmehr ist die einzige natürliche Erklärung von Offb 13:2 die, dass das Tier die gesamte Weltmacht nach den verschiedenen, aufeinander folgenden Universalmonarchien bezeichnet, welche wir dann selbstverständlich in den sieben Häuptern zu suchen haben. Eben dafür spricht denn

2.) die Analogie des W e i b e s; wie dieses zurückgreift bis auf Israels Berufung, so auch das Tier. Denn das Geheimnis des Weibes und des Tieres gehören ja zusammen (Offb 17:7). Ist nun beim Weibe das Zurückgreifen der Weissagung in die Vergangenheit Offb 12:1-5 deutlich genug angezeigt, so noch mehr bei dem Tier Offb 17:10, wo es heißt, fünf von den sieben Häuptern des Tieres seien schon gefallen. Dazu kommt endlich

3.) dass das Tier als ein A b b i l d des T e u f e l s erscheint. Dieser wird schon Offb 12:13, wo er zum ersten mal auftritt, beschrieben als ein großer, feuerroter Drache mit sieben gekrönten Häuptern und zehn Hörnern. Wir haben dort absichtlich nicht näher von seiner Gestalt geredet, weil sie offenbar zum Tier in Beziehung steht; denn auch dieses hat ja sieben Häupter und zehn Hörner. Es ist damit symbolisch angedeutet, was Johannes in Worten so erklärt: der Drache gab dem Tier seine Kraft und seinen Thron und große Gewalt (Offb 13:2). Der Teufel ist gleichsam das Urtier, weswegen er hier eben auch in Tiergestalt, als Drache oder Schlange (Offb 12:9) erscheint. Die johanneische Grundidee vom Satan als Fürsten der Welt, in welchem die ganze Welt ihr Wesen und Bestehen, welcher insbesondere auch über die Reiche der Welt zu verfügen hat, ist hier ausgesprochen (Joh 12:31; Joh 14:30; Joh 16:11; 1Jo 5:19; Lk 4:6). Dieses starke Hervortreten des Teufels ist ein allen johanneischen Schriften wieder gemeinsames Element: es wird in ihnen der letzte Hintergrund des Weltwesens aufgeschlossen, sowie sie andererseits auch über das göttliche Wesen die tiefsten Aufschlüsse enthalten. Ist nun aber das Tier das genaue Abbild des Drachen, so ist natürlich, dass es die Weltmacht nicht in dieser oder jener Einzelgestalt, sondern nur in ihrer Gesamtheit bezeichnen kann. Wären z. B. die sieben Häupter des Tiers sieben römische Kaiser, so sähe man nicht ein, warum gerade sie und nur sie am Teufel urbildlich erscheinen, während dies ganz klar ist, wenn sie die Gesamtheit der teuflischen Macht auf Erden darstellen. Die ganze Welt liegt im Argen, sagt Johannes (1Jo 5:19: ἐν τῷ πονηρῷ κεῖται mask. wie V. 18 opp. ἐκ τοῦ Θεοῦ), und das gilt auch hier.

Es findet sich in dieser Darstellung der Weltmacht bei Johannes ein mehrfacher Fortschritt gegenüber Daniel, welcher mit dem Fortschritt des N. T. gegenüber dem A. T. überhaupt zusammenhängt.

1.) Johannes fass in e i n T i e r zusammen, was bei Daniel noch in viere auseinander fällt. Zwar ist schon in dem Metallkoloss Dan 2 die Weltmacht ein Ganzes, aber doch treten auch hier die einzelnen Teile im Grund stärker hervor als die Einheit des Gesamtbildes. Im N. T. ist in die Einheit des Wesens, des Prinzips zusammen gefassst, was im A. T noch mehr äußerlich und vereinzelt hervortritt. So werden dem Johannes die verschiedenen Weltmonarchien nur Evolutionen eine und desselben widergöttlichen Prinzips, welche durch den Sündenfall und näher durch den babylonischen Turmbau in die Welt gekommen ist, Köpfe eines Tieres, das mit seiner brutalen Gewalt zum Weib in demselben Gegensatz steht, wie das Im-Argen-Liegen zu dem Aus-Gott-Sein. Es kommt dem Johannes hierbei mehr auf das Wesen im Ganzen, als auf die Charakteristik der einzelnen Weltmächte an; er begnügt sich, dieselben nach dem Vorgang des vierköpfigen Pardels (Dan 7:6) als Tierköpfe zu bezeichnen. Gehören doch die meisten der Vergangenheit an und sind schon von Daniel und en anderen Propheten des alten Bundes näher beschrieben, während für die allein noch zukünftige Macht, die germanische, wie wir sehen werden, darin eine sehr tiefgreifende Charakteristik gegeben ist, dass sie als ein zu Tode verwundetes, aber wieder geheiltes Haupt erscheint.

2.) Während Daniel nur vier Weltmächte aufzählt, schaut Johannes s i e b e n. Auch dies hat einen tieferen Grund. Vier ist die Zahl der Welt, Sieben die der Offenbarungen Gottes an die Welt. Die vier danielischen Tiere sind, wie wir gesehen haben, Zerrbilder der vier hesekielischen Tiere und Cherube; die sieben apokalyptischen Tierköpfe dagegen sind Zerrbilder der sieben Geister Gottes (Offb 1:4; Offb 4:5; Offb 5:6). "Was die Siebenheit des Geistes auf Seiten Gottes, das sind die Cherubim auf geschöpflicher Seite." (H o f m a n n, Schriftbeweis I, S 355) Johannes blickt also tiefer in das Geheimnis des gottfeindlichen Weltwesens hinein und dasselbe entwickelt sich nun vor seinem Blick bis zur letzten Spitze. Es ist der Geist Gottes selbst, den sich die Weltmacht beilegt, - die Spitze der Selbstvergötterung. Während die vier Tiere doch immer noch das Gefühl eines über ihnen Waltenden und Thronenden haben, erscheint hier Gott ganz in's Weltwesen herabgezogen, und die Welt in ihrer Nachäffung will selbst ganz Gott gleich sein. Dies drückt sich auch darin aus, dass das Gott lästernde Maul und der Krieg mit den Heiligen, welche bei Daniel nur die Sache des antichristlichen Horns sind, jetzt dem armen Tier beigelegt erscheinen (Offb 13:5-7).

3.) Endlich gehört hierher, ,dass nun auch der T e u f e l hervortritt als Urbild und Urheber der Weltmacht, welchen Daniel noch nicht schaute, wie sich denn überhaupt im A. T. noch weniger klare Blicke in die unsichtbare Welt finden. Wir haben freilich bei unserer Darstellung oben diese apokalyptischen Lichter auch schon in den Daniel hineinleuchten lassen. Beides hängt eng miteinander zusammen, dass das Tier ein Abbild des Teufels, und dass seine Entfaltung eine Nachäffung der sieben Geister Gottes sind. Denn der Teufel ist ja selbst der Affe Gottes; seine sieben Häupter sind zuerst die Karikaturen jener Geister, während dagegen in den zehn Hörnern das weltliche Element hervortritt. Es bezeichnet eigentlich den Selbstwiderspruch des Teufels und seines Reiches, dass sie die Sieben- und Zehnzahl zugleich an sich tragen.

Die Zahl des Tieres

Mit welchem Unrecht die Weltmacht durch Usurpation der Siebenzahl ihre Entfaltung zur Gottesoffenbarung stempelt, das wird in der Apokalypse näher auf doppelte Art gezeigt, einmal dadurch, dass sich zu den sieben Köpfen oder Königen noch ein Achter gesellt (Offb 17:11); sodann dadurch, dass die eigentliche Zahl des Tieres nur 666 ist (Offb 13:18). Also die wahre Zahl des Tieres ist nicht 7, sonder 6 und 8: es schweift um das Göttliche herum, streift an dasselbe an, aber ohne es je zu erreichen. Was noch insbesondere die Zahl 666 betrifft, welche an der einzigen Stelle, wo sie vorkommt, als die Z a h l des T i e r e s τὸν ἀριθμὸν bezeichnet wird, so hat sie gewiss, wie alle apokalyptischen Zahlen, ihre ganz speziell zutreffende Bedeutung, über welche aber erst die Enderfüllung Licht geben kann. Für jetzt sind wir auch hier auf die Erforschung der symbolischen Dignität angewiesen (Vgl. L a n g e in Herzogs Realenzyklopädie I. S. 375) und in dieser Beziehung möchten folgende Punkte zu beachten sein, wobei wir gerne weitere Belehrung annehmen. Es kommt auf zweierlei an, auf die Bedeutung der Sechszahl an sich und auf den Grund ihrer Anschwellung durch die Einer, Zehner und Hunderter hindurch. Die Apokalypse selbst legt es uns nahe, die Sechszahl zunächst als Nachbarin der Siebenzahl ins Auge zu fassen, indem sie zwischen dem sechsten und siebten Siegel, sowie zwischen der sechsten und siebten Posaune eine Pause macht. In der Sechszahl vollenden sich hier die Gerichte über die Welt; mit dem Vollwerden der Siebenzahl "ist das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden" (Offb 11:15). Sechs ist also die Zahl der dem Gericht verfallenen Welt. Eben darauf werden wir geführt, sofern 6 die Hälfte von 12 ist, wie 3 1/2 die Hälfte von 7. Zwölf ist nämlich, wie wir von den zwölf Sternen um das Haupt des Weibes, von den zwölf Toren und Gründen des neuen Jerusalems her wissen, die Zahl der Gottesgemeinde; wie nun die 3 1/2 der 7 gegenüber, so bezeichnet die 6 der 12 gegenüber die Gemeinschaft oder das Reich dieser Welt als gebrochen, soliden Grundes entbehrend.

Die dreifache Steigerung der Sechszahl (6+60+600) besagt, dass es das Tier mit aller Steigerung seiner Macht doch zu nichts anderem bringt als zu einer Steigerung des Gerichts. Es steht diese Entfaltung der Sechszahl der Entfaltung der Zwölfzahl gegenüber, die wir in den 144000 Versiegelten finden: die gerichtete Weltmacht der verklärten, dem Gericht entnommenen Gemeinde. Auch zu den 1000 Jahren (Offb 20) findet vielleicht eine Beziehung statt, da 666 zwei Drittel von 1000 ist. Die 1000 bezeichnet die Durchdringung der Welt mit dem Göttlichen, indem die Weltzahl 10 mit der Gotteszahl 3 potenziert ist. Der Antichrist verheißt, wie wir oben gesehen haben, auch diese Seligkeit des tausendjährigen Reichs; aber er bleibt stets in den Brüchen. Das ist das Wesen des apokalyptischen Geistesblicks, dass er die Welt immer schon als gerichtete schaut.

Was bedeuten Häupter und Hörner?

Wir haben uns nun näher nach den s i e b e n H ä u p t e r n und z e h n H ö r n e r n umzusehen. Es tritt in dieser Beziehung ein kleiner Unterschied zwischen dem Urbild und Abbild hervor. Drache und Tier tragen K r o n e n (διαδήματα), aber jener auf den Häuptern, dieses auf den Hörner (Offb 12:3; Offb 13:1). Dies deutet an, dass wir unter den Häuptern sowohl als unter den Hörnern Reiche zu verstehen haben, wie es denn in der erklärenden Stelle Offb 17:7ff von beiden heißt, sie seien Könige (V. 9 u. 12), wobei die Könige, wie bei Daniel, die Reiche, deren persönliche Träger sie sind, bezeichnen. Wenn aber das Urbild die Kronen auf den Häuptern hat, so ist klar, dass auf diesen der wesentliche Nachtdruck ruht, ass sie die Hauptreiche darstellen, wie dies auch schon in dem Unterschied zwischen Haupt und Horn an sich liegt, da die Hörner am Haupt sitzen als ein Teil desselben. Auf diese ungleiche Dignität der Häupter und Hörner weis auch die erklärende Stelle hin, indem sie von dem letzteren sagt, sie seien zehn Könige, von den ersteren aber, sie seien s i e b e n Berge und s i e b e n K ö n i g e. Mag in den sieben Bergen etwa eine Anspielung liegen auf die sieben Hügel Roms, auf denen sich in der Gegenwart des Johannes die Weltmacht konzentrierte: so kann das doch höchstens nur ein beiläufige Anspielung sein, die man nicht zum eigentlichen Sinn der Stelle machen darf. Eine so triviale geographische Notiz würde der Engel wahrhaftig nicht mit den Worten einleiten: hier ist der Sinn, der Weisheit hat; sondern doch diese Worte, wie wir unten sehen werden, ausdrücklich zu mystischer Deutung auf. Auch wäre es gegen alle Analogie, unter den Häuptern des Tieres Berge im eigentlichen Sinn zu verstehen. Endlich würfen ja dann von den Häuptern zwei ganz disparate Deutung in einem Atemzug gegeben: sie wären einerseits sieben Hügel, andererseits sieben Könige. Was haben aber die Könige mit den Hügeln zu schaffen? Es muss offenbar ein Zusammenhang zwischen Bergen und Königen sein, und der wird auch reichlich dargeboten, wenn wir die Bedeutung der Berge in der prophetischen Sprache überhaupt ins Auge fassen. Zunächst ist aber der Zusammenhang zwischen Haupt und Berg deutlich: wie da Haupt eine hervorragende, gebietende Stellung am Leib einnimmt, so der Berg im Land, daher auch die Berge so häufig als Köpfe bezeichnet werden (Katzenkopf, Schneekoppe, Cap, Kuppe usw.)

Hier schließt sich nun der Ausdruck Berg an die uns schon bekannten symbolischen Ausdrücke Meer und Erde an (vgl. Ps 65:7.8; Hab 3:10.12); er dient zur Bezeichnung der hervorragenden Machtstellung in der Welt. Berge sind Machtsitze: darin liegt nun einfach auch ihr Zusammenhang mit den Königen. Die sieben Könige werden hierdurch zum Unterschied von den zehn, durch die Hörner dargestellt, welche nur einfach βασιλεῖς heißen, als besondern gewaltige Könige, als die große Weltmächte bezeichnet. So wird Dan 2 der Stein zum Berg d. h. zu einem an die Stelle der Weltmächte tretenden Universalreich. "Berge, bemerkt S c h m i e d e r zu Jes 2:2, sind in der typischen Sprache überhaupt die Spitze der Götter und Könige, insbesondere der falschen Götter und der ungöttlichen Machthaber, die erniedrigt werden müssen." An sich ist der Ausdruck vox media, Bezeichnung der Macht, sowohl der Gottesmacht (Zion) als der Weltmacht. Nicht selten werden die Weltberge dem Gottesberg gegenüber gestellt z. B. eben Jes 2:2; Ps 68:16.17; Hes 35:1 bis Hes 6:15. So heißt Jer 51:24.25 dem Berg Zion gegenüber Babel, der Sitz der Weltmacht, ein verderblicher Berg, der alle Welt verdirbt. So wird Jes 41:15f. in Ausdrücken, welche an Dan 2:35 erinnern, der Sturz der Weltreiche durch das Gottesreich beschrieben als Zerbrechen und Zermalmen der Berg durch das zum Dreschwagen gemachte Israel. So sind Hab 3:6 die uralten Berge und die Heidenvölker parallel. Es wird also Offb 17:9 das Symbol der Häupter zunächst durch das dem mit der prophetischen Sprache vertrauten bekanntere Symbol der Berge erläutert und sodann beide weiter durch das offene βασιλεῖς. Die Berge verhalten sich zu den Königen gerade so, wie V. 15 die Wasser, auf denen ebenfalls die Hure sitzt, zu den Völkern: so wenig die Wasser buchstäblich zu nehmen sind, ebenso wenig die Berge.

Was nun die genauere Deutung betrifft, so kennen wir die z e h n H ö r n e r aus Daniel schon als die letzte Gestalt der Weltmacht; sie gehören dem letzten Reich an, das ein zehnfach geteiltes ist; und man hat sich dieselben auch in dem siebten Haupt zu denken, was der Engel Offb 17:12 dadurch andeutet, dass er sagt, die zehn Könige haben das Reich noch nicht empfangen, gerade wie er von dem siebten Hauptkönig sagt, er sei noch nicht gekommen. Eine nähere Bezeichnung dieser zehn Königreiche ist also ebenso wenig möglich wie bei Daniel, da sie, in ihrer Zehnzahl wenigstens, auch für uns noch zukünftig sind. Die s i e b e n H ä u p t e r aber lassen sich nennen; sie sind ja die sieben Universalmonarchien, unter deren letzter wir selbst leben. Die Lästernamen an den Häuptern deuten noch ausdrücklich die Gottwidrigkeit an. Zwar bezeichnen die Hörner gleichzeitige Reiche und nach der danielischen Analogie des vierköpfigen Pardels (Dan 7:6) könnten wir dies auch bei den Häuptern erwarten. Dieser Annahme hat aber die Apokalypse selber bestimmt vorgebeugt, indem sie sagt, von den sieben Hauptreichen gehören fünf der Vergangenheit, eines der Gegenwart und eines der Zukunft des Apokalyptikers an (Offb 17:10). Sie will also aufeinander folgende Reiche verstanden wissen. Welches nun diese seien, ist an der Hand Daniels und der übrigen Propheten unschwer zu ermitteln. Es bieten sich zunächst die vier danielischen Monarchien dar, aus denen hier aber fünf werden, weil das gegenwärtige Reich, das römische, von dem künftigen, dem germanischen, unterschieden wird. Zu dieser Unterscheidung bietet Daniel selbst die Hand, da an dem Monarchienbild das vierte reich aus zwei verschiedenen Stoffen, Eisen und Ton, und mithin das ganze Bild aus fünf Stoffen besteht. Wir haben aber schon gesehen, dass die Apokalypse, gleichwie sie weiter hinausschaut als Daniel bis in den neuen Himmel und die neue Erde hinein, so auch weiter zurückgreift, da sie den welthistorischen Konflikt zwischen Weltreich und Gottesreich in seiner ganzen Ausdehnung überblickt, nicht bloß von der Zeit Daniels an, sondern schon von da an, wo überhaupt die beiden Potenzen einander gegenübertreten.

Die erste Weltmach nun, mit der das israelitische Gottesreich in Konflikt kam, zu Abrahams Zeiten schon und dann besonders da, wo es als eigentliches Volk und Reich zu existieren begann, unter Mose, ist Ägypten. An die ägyptische Monarchie schließt sich sodann als Vorgängerin der der babylonischen (Jer 50:17f.) die assyrische an. In die Kämpfe Ägyptens und Assyriens war Israel unter den Königen auf ähnliche Weise verwickelt, wie später in die der Ptolemäer und Seleukiden. Es ist merkwürdig, wie oft aus diesem Grunde Ägypten und Assyrien bei den Propheten zusammen genannt werden, vorzüglich als die Weltmächte, mit denen das Volk Gottes Hurerei getrieben, ja bei den älteren Propheten als die Repräsentanten der Weltmacht überhaupt (1Kön 17:4; Hos 7:11; Mi 7:12; Jes 52:4; Jes 19:23-25; Jer 2:18.36; Sach 10:10). Diesen beiden Monarchien schließt sich dann in den für den Begriff der Hure so wichtigen zwei Kapiteln Hesekiels als dritte Weltmacht, mit welcher Israel gehurt, Chaldäa oder Babel an, wodurch die Verbindung zwischen zwei älteren Reichen und der danielischen Reihe hergestellt wird (Hes 16:26; Hes 23:3.5ff. 14ff.). So sind also die fünf gefallenen Köpfe: Ägypten, Assyrien, Babel, Medopersien, Griechenland, der sechste ist das römische und der siebte das germanisch-slawische Reich.

Was Offb 13:3-10 noch weiter über das Tier gesagt ist, bedarf für uns keines besonderen Kommentars, da es seine Erläuterung in dem findet, was wir bereits aus Daniel über den Tiercharakter wissen. Nachdem Offb 13:1-3a die Gestalt des Tieres beschrieben ist, wird V. 3b-4 der Eindruck geschildert, den seine Erscheinung auf Erden hervorbringt: alle Welt huldigt seiner Macht und eben damit dem Teufel. V. 5-7 entfaltet sodann das Tier sein Wesen in Wort und Tat als Feindschaft wider Gott und seine Heiligen. Mit V. 8 geht die Rede ins Futurum über: Die V. 4 beschriebene Huldigung wird der Macht und dem Wesen dieser Welt auch ferner zuteil werden von allen, welche irdisch gesinnt sind (???? opp. ???? V. 6.12,12), welche nicht zu den Auserwählten gehören als solche, die von dem erwürgten Lamm sich das Leben schenken lassen. V. 9. und 10 schließen sich dann entsprechende Mahnungen und Warnungen an, V. 9 eine allgemeine, V. 10a eine Gerichtsdrohung für die verfolgenden Weltkinder, V. 10b ein Wort für die duldenden Lichteskinder. Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen; das soll die Losung der Auserwählten sein durch diese ganze Weltzeit hindurch.</br></br>

Die Geschichte der Kirche und der Weltmacht

Nachdem Offb 13:11-18 noch das zweite Tier, der falsche Prophet, geschildert ist, von welchem unten die Rede sein soll, werden Offb 14-16 die Vorbereitungen zum messianischen Gericht geschildert, welche wir hier, da sie keine Berührungspunkte mit Daniel darbieten, nur kurz zu überblicken haben. Sie zerfallen in zwei Abteilungen Offb 14. und Offb 14-16. Beide beginnen damit, dass Johannes die vollendeten Gerechten im Himmel schaut, die hundertvierundvierzigtausend aus Israel Offb 14:1-5 (vgl. Offb 7:4-8) und die Überwinder aus den Heiden Offb 15:1-4 (vgl. Offb 7:9-17). Den über die abgefallene Kirche und Welt hereinbrechenden Gerichten werden, wie der Finsternis das Licht und der Erde der Himmel, diejenigen tröstend gegenüber- und vorangestellt, welche als der göttliche Kern der Menschheit, als die positive Frucht der Welt- und Kirchengeschichte aus dem Verderben gerettet und des ewigen Lebens teilhaftig sind: sie singen Loblieder und geben Gott die Ehre über seinen Gerichten. Daran schließen sich nun im 14. Kapitel Gerichtsankündigungen (v. 6-12) und Gerichtsbilder (V. 13-20). Die Gerichtsankündigung ist eine dreifache, zuerst die allgemeine durch den Engel mit der frohen Botschaft vom Anbruch des ewigen Reiches (Dan 7:14) oder mit dem ewigen Evangelium V. 6-7, dann die spezielle über die babylonische Hure, die hier zum ersten Mal erwähnt wird, V. 8 und über das Tier und seine Anbeter V. 9-12. Daran schließt sich das Bild der Ernte, welche die Heimholung der Gläubigen durch den zum Gericht erscheinenden Christus darstellt V. 14-16, weswegen gerade dieser Stelle das herrliche Wort über die schon früher gestorbenen Gläubigen vorangeht V. 13, während das Bild des Herbstes das Zorngericht über die Abgefallenen voranschaulicht V. 17-20. Das 15. und 16. Kapitel sodann enthalten die sieben Zornschalen, welche die unmittelbaren Vorboten, die Geburtswehen des Schlussgerichts über das Tier und die babylonische Hure (Offb 16:19) sind.

Den Abschnitt Kap 17-19 haben wir nun wieder genauer ins Auge zu fassen. Das 17. Kap. schildert die Hure und das Tier, wie sie reif sind zum Gericht, das 18. die Vollziehung des Gerichts an der Hure, das 19. an dem Tier und seinem geistigen Gehilfen, dem falschen Propheten. Die Gestalten, die wir in diesen Kapiteln vor uns haben, zeigen also, wozu die Gestalten des 12. und 13. Kap. mit denen sie identisch sind, im Lauf der Geschichte bis zum Abschluss derselben im messianischen Gericht wurden; sie stellen das Resultat der welt- und kirchengeschichtlichen Entwicklung dar. Sie schließen mithin diese in sich ein; denn jenes Resultat isst die Frucht, welche in den Jahrhunderten nach und nach erwachsen ist. So sind hier die Grundzüge, die Hauptpotenzen der Welt- und Kirchengeschichte gezeichnet, und damit isst der Gemeinde der Gläubigen in der Welt das an die Hand gegeben, was für diese offenbarungslosen Heidenzeiten zu wissen nötig war.

Die große Hure Babylons

Die Hure, die wir im 17. Kapitel auftreten sehen und schon Offb 14.8; Offb 16:19 genannt fanden, ist keine ganz neue Gestalt in unserm Buche. Sie ist identisch mit dem Weib, das uns schon aus Kap. 12 bekannt ist als die symbolische Darstellung der Gemeinde Gottes in der Welt. Dieses Weib ist zur Hure geworden. Die Hure ist also nicht etwa die Stadt Rom; so scheint es nur bei der buchstäblichen Auffassung einiger Stellen, welche aber dem Geiste unseres durch und durch symbolischen Buches widerstrebt. Die Apokalypse hat hier mit einem einzigen Wort selber Bahn gebrochen, und dieses Wort heißt πνευματικῶς Offb 11:8 Jerusalem, die Trägerin der alttestamentlichen Gemeinde heißt g e i s t l i c h, freilich nicht buchstäblich und äußerlich, nach Fleisches- und Menschenurteil, aber πνευματικῶς ἀνακρίνεται (1Kor 2:13-16) mit Geistesaugen gesehen, mit Gottes Maßstab gemessen, Sodom und Ägypten, d. h. sie ist der verworfenen Weltstadt und Weltmacht gleich geworden, weil sie den Herrn verworfen und ans Kreuz gebracht hat. Ebenso trägt nun die neutestamentliche Gemeinde, die Christenheit den Namen der Weltstadt Babel = Rom, weil sie Christum verlassen und diese Welt lieb gewonnen hat. Jenem πνευματικῶς entspricht in dieser Beziehung ein zweites Wort, welches die Hure selbst an der Stirn trägt, das Wort, μυστήριον G e h e i m n i s. Dieses Wort kommt im N. T. nur ein einziges Mal im Munde Jesu vor (Mk 4:11 parall.), sonst nur bei Paulus und in der Apokalypse. Es bezeichnet durchgehend einen Gegenstand, der dem menschlichen Blick und Verstand als solchem verborgen ist und nur durch besondere Offenbarung Gottes erkannt werden kann (vgl. Röm 16:25; 1Kor 2:7-10; eph 3:3.5; Röm 11:25; 1Kor 15:51). So bezeichnet es denn in der Offenbarung im Gegensatz zu dem, was das leibliche Auge sieht (Offb 1:20) oder auch der bloß menschliche Verstand versteht (Offb 10:7), ein tieferes, was Gottes Geist meint, was der göttlich erleuchtet Geistesblick erkennt, zu dessen Verständnis Weisheit von oben erforderlich ist. Daher schließt sich hier als dritter Ausdruck, durch welchen die Apokalypse selbst die mystische, geistliche Deutung ihrer Bilder verlang, an: Hier ist W e i s h e i t (Offb 13:18; Offb 17:9). Auch Paulus verbindet diese drei Begriffe, wenn er 1Kor 2:7.10 sagt:λαλοῦμεν θεοῦ σοφίαν ἐν μυστηρίῳ τὴν ἀποκεκρυμμένην ἣν προώρισεν ὁ θεὸς πρὸ τῶν αἰώνων εἰς δόξαν ἡμῶν, woran sich dann weiter πνεύματος reiht. Wenn also die Hure an ihrer Stirne die Inschrift trägt: Geheimnis, Babylon die Große, die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde, so werden wir durch das erste Wort ausdrücklich vor dem buchstäblichen Verständnis der folgenden Worte gewarnt und zu geistlicher Deutung aufgefordert. Diese ist aber damit noch nicht gefunden, dass wir an die Stelle der Stadt Babel die Stadt Rom setzen; sondern worin sie liegt, das mögen wir von Paulus lernen. Es gilt von der Hure, was dieser vom Weib sagt (Eph 5:31.32): Das Mysterium ist groß, ich meine Christum und die Gemeinde. Die Hure Babylon ist die weltliche Kirche.

Hierfür sprechen im Text selber folgende Gründe:
1.) Johannes wird im Geiste wieder in die W ü s t e versetzt (Offb 17:3, wo er das Weib im 12. Kapitel verlassen hat. Der Ausdruck Wüste (ἔρημος) welcher an unserer Stelle den Auslegern viel unnötige Mühe und Kunst gekostet hat, kommt in der ganzen Apokalypse nur an diesen Stellen vor: Offb 12:6.14 und Offb 17:3. Schon dieser eine Umstand hat etwas ungemein Einleuchtendes und Schlagendes. Johannes hat das Weib in der Wüste verlassen; nun kommt er wieder in die Wüste und trifft hier das Weib wieder: kann man deutlicher die Identität beider Weiber bezeichnen?

2.) Denn nicht nur die Wüste, sonder auch das W e i b wird mit demselben Namen genannt wie in Kap 12. Der Ausdruck Weib (γυνή) hat in der Apokalypse ebenfalls einen ganz feststehenden Gebrauch. Er findet sich Offb 12:17 und dann wieder im 19. und 21. Kapitel, überall als symbolische Bezeichnung der Kirche. Außerdem kommt das Wort in der Apokalypse überhaupt nur noch in Offb 2:20 und im plur. Offb 9:8; Offb 14:4 vor, Stellen, die man nur ansehen muss, um sich zu überzeugen, dass sie nicht hierher gehören. Im 12. Kap. ist das Weib, wie wir wissen die Gemeinde in ihrer Reinheit als göttliche Lichtträgerin, die Gemeinde der Gläubigen des A. und N. Bundes. Im 17. Kap., wo γυνή V. 3.4.6.7.9.18 vorkommt, isst es die abgefallene, ihrem Eheherrn Jehova-Christus untreu gewordene Kirche, die Hure. Endlich Offb 19:7 und Offb 21:9 ist das Weib die himmlisch verklärte Gemeinde, die Braut des Lammes, die nun Hochzeit hält. Weib, Hure, Braut: das sind die drei verschiedenen Seiten, welche die Kirche an sich hat, und welche die evangelische Betrachtungsweise auch immer richtig unterschieden hat. Denn das Weib ist die unsichtbare, die Hure die sichtbare, die Braut die triumphierende Kirche. Die Weissagung hat vorausgeschaut und gesagt, was Jahrhunderte hernach die evangelische Betrachtung der Kirchengeschichte aus den ersten vorhandenen Zuständen abstrahiert hat.

3.) Man ist allgemein einverstanden, dass das Tier des 17. Kap. identisch sei mit dem des 13. Kap. Nun werden aber Tier und Weib im 12. und 13. Kapitel unmittelbar nebeneinander gestellt. Wenn nun das Tier später kein anderes ist als früher, so wird dieselbe Identität auch bei dem Weib stattfinden. Auffallend ist es auf den ersten Blick dass bei allen drei Begriffen, Wüste, Weib und Tier; Offb 17:3, der Artikel fehlt, den man gerade bei der Zurückweisung auf schon Bekanntes erwarten sollte. Allein auch das hat seinen guten Grund. Die drei Begriffe sind identisch und doch auch wieder nicht identisch mit den früheren: die Heidenwelt, Kirche und Weltmacht haben sich, wie wir sehen werden, sehr verändert, so dass sie Johannes zuerst kaum wieder erkennt und nur "ein Tier, ein Weib, eine Wüste" sieht.

4.) Dies drückt sich gerade in Bezug auf das Weib aus durch den Beisatz, den der Seher V. 6 macht, er habe sich sehr v e r w u n d e r t, als er das Weib sah. Ein solcher Ausdruck der eigenen Verwunderung findet sich sonst in der Apokalypse nirgends, und sie fällt daher auch dem Engel V. 7 auf. Sonst verwundern sich nur die Erdenbewohner über das Tier (Offb 13:8 und Offb 13:3). Dass nun das Staunen des Johannes nicht ein solches irdisch gesinntes Staunen über die irdische Größe der Stadt Rom sein kann, auch nicht etwa ein Staunen über die Menge der Sünden, die ja bei einer Weltstadt so natürlich und nicht verwunderlich sind, leuchtet ein. Auch nicht bloß daraus lässt sich das Staunen erklären, dass der Apostel das Bild nicht verstand; denn sonst müsste noch öfter von einem solchen die Rede sein, da er die anderen Bilder ebenso wenig im Augenblick verstanden hat. Es erklärt sich nur aus der ungeheuren Veränderung, die mit dem Weib vorgegangen ist; wir könnten den Eindruck des Johannes in die Worte des Jes 1:21 fassen: Wie ist sie doch zur Hure geworden, die fromme Stadt! Das bewegt ihn tief ins innerste Herz hinein, das kann er kaum fassen (???), dass es mit der Kirche Christi so weit kommen soll. Ebenso sehen wir die Propheten des A. B. tief erstaunt und entrüstet das Unerhörte der Hurerei Israels hervorzuheben. Fraget doch unter den Heiden, ruft Jeremia (Jer 18:13; Jer 2:10.11), wer hat je desgleichen gehört? gar Gräuliches hat die Jungfrau Israels geübt. Hier erinnert die Jungfrau an die Hure, denn das Wort ist mit absichtlicher Ironie zur Hervorhebung des Konstrastes gesetzt; das Gräuliche erinnert an die Gräuel Offb 17:4.5; wie denn שֶׂעריריה z. B. Hos 6:10 von Hurengräueln steht; der emphatische Hinweis auf das Unfassliche, dass Israel unter die Heiden herabgesunken sei, erinnert an das Staunen des Johannes. Ebenso beginnt Jesaja sein ganzes Buch damit, das er Himmel und Erde zu Zeugen anruft über das furchtbar Seltsame, dass die Kinder, welche der Herr aufgezogen, schlimmer geworden sind als Ochsen und Esel (Jes 1:2.3).

5.) Hiermit haben wir schon einen weiteren entscheidenden Grund für unsere Auffassung berührt, der in den Ausdrücken H u r e (Offb 17:1.5.15.16.19.2), h u r e n (Offb 17.2; Offb 18:3.9), H u r e r e i (Offb 14:8; Offb 17:2.4; Offb 18:3; Offb 19:2) liegt. Man könnte allerdings auf den ersten Blick versucht sein, da Babylon so ganz mit weltlichen Farben geschildert wird, nur an das politische Rom dabei zu denken; man könnte für unsere Auffassung bestimmtere kirchliche Attribute verlangen. Allein die beiden Bezeichnung Weib und Hure sagen in dieser Hinsicht für den, der die Sprache unseres Buches und der Prophetie überhaupt kenn, genug. Weib heißt Kirche, Gottesgemeinde; und wenn ich nun sage: die Kirche ist ganz Welt geworden, so wird durch das Prädikat das Subjekt nicht aufgehoben. Hure heißt im ganzen A. und N. T. die abgefallene Gottesgemeinde: sie ist das Subjekt aller der betreffenden Aussagen des 17. und 18. Kapitels, welche allerdings die Weltlichkeit in ungemein starken Farben schildern, aber nur, um den Kontrast zwischen dem, was die Kirche ist, und dem, was sie sein sollte, ernst und einschneidend hervorzuheben. Der Ausdruck Hure erlaubt nämlich gar nicht, an die heidnische Weltstadt zu denken. Nur an zwei Stellen wird im A. T. dieser Ausdruck auch von Weltstädten gebraucht, Jes 23:15-18 von Tyrus, Nah 3:4 von Ninive. Diese beiden Stellen kommen aber nicht in Betracht gegen die zahllose Menge anderer, denen sie nachgebildet sind, wo die Hurerei den Abfall der Gottesgemeinde zur Welt bezeichnet. Es ist natürlich dass die Apokalypse auch auf jene anspielt (Offb 17:1.2; Offb 18:3), eben weil sie einmal das Bild der Weltstadt auf die Kirche anwenden will; aber wäre es an sich schon verkehret, den Sprachgebrauch unseres Buches, in welchem sich doch zugestanderermaßen der der ganzen Prophetie zusammenfasst, nach zwei vereinzelten Stellen bestimmen zu wollen, so wird dies vollends unmöglich durch den nachgewiesenen Zusammenhang der Hure und des Weibes, worin wir alle die prophetischen Stimmen über die zur Hure gewordene alttestamentliche Gemeinde widerhallen hören.

Schon oben, als der Begriff des Weibes entwickelt wurde, hat sich gezeigt, dass der Ausdruck huren der ursprüngliche, pentateuchische ist, aus welchem sich erst nach und nach die Anschauung vom Ehebund zwischen Jehova und seinem Volke und somit auch die Idee des Weibes bildete. Und hier in der Apokalypse sollten Weib und Hure gar nichts miteinander zu schaffen haben? Man darf sich nur solche Grundstellen wie Jer 2 und 3; Hes 16 und 23; Hos 1-3, die in der ganzen Prophetie nachklingen, vergegenwärtigen, um zu sehen, was der prophetische Begriff der Hurerei ist. Diesen Begriff nimmt Jesus selber wieder auf, wenn er das Gott entfremdete Israel ein böses und ehebrecherisches Geschlecht nennt (Mt 12:39; Mt 16:4; Mk 8:38). Vor allem aber ist hier natürlich der Sprachgebrauch der Apokalypse selbst entscheidend. Die Hurerei kommt Offb 2:14.20 in Verbindung mit dem Götzenopferfleisch zunächst wohl im eigentlichen Sinne vor, der aber V. 21 in den geistlichen übergeht, welcher V. 22 offen hervortritt, wo auch z. B. D e W e t t e und H e n g s t e n b e r g, welche unsere Deutung der Hure nicht teilen, das Ehebrechen (??) von dem Bruch des mit Gott in Christo geschlossenen Bundes, von der Verbreitung der Irrlehren erklären. Außerdem werden Offb 14:4 kurz vor erstmaliger Nennung der Hure (V. 8), als sollte die rechte Deutung diese Begriffs absichtlich vorbereitet werden, die 144000 als solche bezeichnet, die sich mit Weiber nicht befleckt haben und Jungfrauen sind. Dieser Ausdruck, der den Auslegern viel zu schaffen gemacht hat, erhält seine einfache Erklärung durch den Gegensatz zu der V. 8 genannten Hurerei Babylons: es wird hier die reine, verklärte Kirche der unreinen, ihrem Gericht entgegengehenden gegenübergestellt als keusche Jungfrau der Hure, ebenso wie Paulus zu den Korinthern sagt, er hoffe sie dereinst als keusche Jungfrau (παρθένον ἁγνὴν) Christo darzustellen (2Kor 11:2; vgl. Eph 5:25-27), oder wie wir vorhin Jeremia die Jungfrauenschaft Israels seinen Hurengräueln gegenüberstellen sahen. Der Ausdruck "Sie sind mit Weibern nicht befleckt" gründet sich auf die auch Offb 2:14 berücksichtigte Grundstelle 4Mo 25:1ff., wo der Zusammenhang der leiblichen und geistlichen Hurerei in den moabitischen Weibern sich darstellt. Sonst redet unser Buch, außer Offb 9:21, niemals von Hurerei; und was es also für einen Begriff von derselben hat, kann nicht zweifelhaft sein.

6.) Damit hänt nun die gegensätzliche Parallele zusammen, in welcher B a b e l und N e u j e r u s a l e m stehen. Beide sind Städte, beide heißen Weib, nur jenes Hure, dieses Braut (Offb 17:1.3.5; Offb 21:9). Ist nun Neujerusalem anerkanntermaßen in erster Linie die verklärte Gemeinde, so muss Babel ebenfalls die Gemeinde sein in ihrer Verweltlichung.

7.) Womöglich noch deutlicher ist die gegensätzliche Beziehung, welche Offb 19:1-9 zwischen der H u r e und dem W e i b des L a m m e s stattfindet. Dieselbe Stimme vielen Volkes im Himmel, welche V. 1-5 Gott preist über dem an der Hure vollzogenen Gericht, frohlockt V. 6-7 darüber, dass nun die Hochzeit des Lammes gekommen sei und sein Weib sich bereitet habe. Nachdem die falsche Kirche in ihrem irdisch prachtvollen Hurenschmuck von Purpur und Scharlach, Gold, Edelsteinen und Perlen (Offb 17:4) gerichtet ist wird der wahren Kirche das weiße Byssusgewand angelegt, welches durch sein Glanz (??) den Triumph der Überwinder (Offb 3:5), durch seine Reinheit (??) ihre Unschuld und Gerechtigkeit darstellt. Das (??) der Hure ist zur (δικαιώματος) des Weibes geworden (vgl. denselben Gegensatz Röm 5:16.18): die Heiligen, die das Gericht über die Hure aussprachen und verlangten (Offb 18:20), die an den Sünden derselben sich nicht beteiligen wollten und dafür ihr Leben ließen (Offb 18:24; Offb 19:2), sind jetzt gerechtfertigt, ihres "bisher verkannten und gekränkten, nun aber offenbar gewordenen guten Rechtes, ihrer von Gott ihnen zuerkannten Gerechtigkeit teilhaftig geworden, jene Krone der Gerechtigkeit, wie Paulus (2Tim 4:8) dieselbe Sache mit einem andern Bild nennt. (Vgl. D e l i t z s c h, Hoheslied, S. 227f.) So lange die falsche Kirche stand, konnte die wahre nicht offenbar werden; jetzt da die Hure gefallen ist, triumphiert das Weib. Man kann nicht klarer sagen, was die Hure sei.

8.) Zu dem allem kommt der oben entwickelte, in dem Wort G e h e i m n i s, das die Hure an der Stirne trägt, liegende Grund.

WAs nun die Sache selbst betrifft, die Weissagung von dem Verderben und der Verweltlichung der Kirche, so findet sie ihre Erklärung in vielen a l t - und n e u t e s t a m e n t l i c h e n A n a l o g i e n. Um mit diesen letzteren zu beginnen, so hat schon Jesus in den auf die Kirchengeschichte hinaus zielenden Gleichnisse (Mt 13) wenigstens so viel angedeutet, dass wenn einmal das Evangelium seiner Bestimmung gemäß die ganze Welt zu seinem Acker mache, wenn das Reich Gottes als Netz in das große Völkermeer geworfen sei, die Kirche keine reine, sondern eine aus Guten und Bösen gemischte sein werde. Die eschatologische Rede Mt 24. ferner, in welcher der Herr die Zerstörung Jerusalems und seine Parusie, also das Gericht über Israel und über die Christenheit zusammen schaut, hat zur Voraussetzung die Grundanschauung, dass die neutestamentliche Gemeinde ebenso zur Hure, zur bösen ehebrecherischen Art werden werde, wie es die alttestamentliche geworden ist, und hebt nun einzelne Kennzeichen diesen Hurenwesens hervor: gegenseitiges Misstrauen, Lieblosigkeit, Verrat ((V. 10.12), Zerklüftung der Parteien (V. 23.26), Irrlehre (V. 11.24). Und daran schließen sich dann die apokalyptischen Blicke in die Zukunft der Kirche. Paulus, Petrus und Johannes sprechen es besonders in ihren späteren Lebensjahren, je mehr sie das heidnische gnostische Verderben in die Kirche eindringen sehen, immer bestimmter aus, dass derselben in den zukünftigen und besonders in den letzten Tagen (ἐν ὑστέροις καιροῖς 2Tim 4:1; 2Petr 2:1-3 ἐν ἐσχάταις ἡμέραις 2Tim 3:1; 2Tim 4:3; 2Petr 3:3 vgl. 1Jo 2:18) schwere Zeiten des Abfalls und der Verführung bevorstehen. Paulus vergleicht die der Wahrheit Widerstrebenden mit den ägyptischen Zauberern Jannes und Jambres (2Tim 3:(), Petrus mit Sodom und dem heidnischen Propheten Bileam (2Petr 2:6.15), und welche die Grundlage dazu bilden, dass die abgefallene Kirche geradezu als Weltstadt erscheint. wir haben auf diese Analogie der anderweitigen apostolischen Weissagung schon oben hingewiesen, als vom geschichtlichen Ausgangspunkt unseres Buches die Rede war, und zugleich gezeigt, wie dieses selbst in seinen Sendschreiben das bereits in die Kirche eingerissene Verderben zeichnet, und zwar mit dem Wort Hurerei und Ehebruch, deren weitere Entwicklung uns nun die babylonische Hure vor Augen stellt.

Ebenso musste bereits hin und wieder auf die a l t t e s t a m e n t l i c h e Antecedention und Analogien hingewiesen werden, worauf auch Petrus aufmerksam macht (2Petr 2:1). Dass Israel; das Weib Jehovas, zur Hure geworden ist, das ist ja eigentlich der Grund, dass es überhaupt Prophetie gibt. Dem Verderben des Volkes werden die Propheten gegenüber gestellt; Bußpredigten, Gerichtsverkündigungen, Heilsweissagungen machen den Inhalt aller Prophetie aus. Darum beginnen die drei großen Propheten, wie das Buch der zwölf kleinen mit Hervorhebung der Hurerei Israels (Jes 1.; Jer 1-3; Hes 2.; Hos 1-3). Aber diese ist doch viel älter als die Prophetie, sie ist eigentlich so alt wie das Volk selbst: schon in der Wüste hat Israel sich an fremde Götter gehängt, und der Ausdruck huren ist, wie gesagt, früher hervorgetreten als der Ausdruck Weib. Es liegt eine so furchtbare Größe der Sünde darin ausgesprochen, dass es nur noch etwas größeres gibt, nämlich Gnade (Röm 5:20), ddie sich gleichwohl zu den Sündern herunterlässt, gleichwohl des eigenen Sohnes nicht verschont. Die Hure ist also im Grunde so alt wie das Weib, sowie die sichtbare und die unsichtbare Kirche kaum jemals schlechthin identisch waren. Es gab eine Zeit der ersten, bräutlichen Liebe für Israel, von der z. B. Jeremia (Jer 2:2.3) zu sagen weiß, die Zeit des Auszugs aus Ägypten und der Beginn der ersten Liebe für die christliche Kirche (Offb 2:4), die apostolische, zumal in ihren früheren Jahrzehnten, welche auch die ägyptischen und die ersten Wüstenzeiten sind nach Offb 11:8, Offb 12:6.14. Aber bald, bald fing das Hurenwesen an. Israel als Volk im Großen wurde abtrünnig, Hure, und das Häuflein der echten, gläubigen Israeliten, da Weib, war jederzeit nur wie der Kern in der Schale verborgen. Dies deutet auch die Apokalypse selbst an, indem sie Offb 17:9 die Hure auf allen sieben Weltreichen sitzen lässt, also der Begriff derselben ebenso wie den des Weibes auf das A. T. ausdehnt. Die Propheten beschreiben uns an den angeführten Stellen, namentlich Hes 16 und 23, wie Israel schon mit den ältesten Weltreichen Ägypten, Assyrien, Babel, schändlich gehurt haben. Ähnlich ging es im Neuen Bund. Offb 12 ist die christliche Urzeit geschildert, wo das abgefallene Israel noch die Hure und die junge Christengemeinde das Weib war, jene Zeit der ersten Liebe unter den Christen, wo noch so ziemlich die ganze Kirche dem Herrn treu anhing. Bald aber drang das Hurenwesen in die christliche Kirche selbst ein, so dass diese im Ganzen nun Kap. 17 nicht mehr den Anblick des Weibes, sondern der Hure, der großen Babylon darbietet, in welcher das Volk oder Weib des Herrn verborgen ist (Offb 18:4).

Staat und Kirche

Es tritt uns hier ein b i b l i s c h e r G r u n d g e d a n k e entgegen, den wir schon an einem früheren Ort angedeutet haben, und der zum Verständnis der Prophetie und Geschichte von Wichtigkeit ist. Gott hat der Menschheit im Großen für ihre Entwicklung die beiden wesentlichen Gemeinschaftsformen des Staates und der Kirche angewiesen, letztere in zweifacher Form, zuerst noch in der alttestamentlichen, mit Volk und Staat verbunden, dann in der neutestamentlichen, geistesfreien. Staat und Kirche sind edle Gottesgaben, jene eine Natur- und Schöpfungsgabe, die andere eine Offenbarungsgabe. Aber diese Gottesordnungen erreichen nur an einer kleinen Zahl von Menschen ihre ursprüngliche Absicht; im ganzen werden sie durch die Sünde entweiht und entstellt: die Staaten fallen dem Tier, die Kirche fällt dem Hurenwesen anheim. Dennoch bestehen sie fort unter der göttlichen Geduld bis ihre Aufgabe erfüllt ist, dass unter dem Schutz des Staates unter der Pflege der Kirche, aber auch unter dem Druck ihrer schlechten Verwalter die Gemeinde der Auserwählten, das echte, keusche Weib Christi gesammelt werde. Diesem Kern dienen Tier und Hure als Schale, diesem Tempel Gottes als Baugerüst. Wenn aber der Kern ausgewachsen und der Bau fertig ist, dann wird die Schale zerschlagen und das Gerüst zertrümmert; und wer nicht zum Tempel gehört, kommt unter dem zusammenbrechenden Gerüst um. So wird es einst, wenn das Gericht über Babel kommt, heißen: Gehet aus von ihr mein Volk (Offb 18:4)!

So trat, als das alttestamentliche Bundesvolk gerichtet wurde, aus den Trümmern Israels und Jerusalems die junge Christengemeinde hervor (vgl. Mt 24:15ff.) Wir können denselben Gesichtspunkt noch weiter zurück verfolgen. Der Gegensatz von Gottes- und Weltreich existierte auch schon in der alten vorsintflutlichen Welt, nur in anderer Form. Es stand weder die Kirche, wie im Neuen Bund, noch die der Gottesstaat, wie im Alten Bund, der Welt gegenüber, sondern es stand Familie gegen Familie. Die Kainiten waren das Tier, die Setiten das Weib. Aber auch das setitische Geschlecht wurde zur Hure, und nach Noah mit seinem Haus war ein frommer Mann von gutem Wandel und führte ein göttliches Leben zu seinen Zeiten. Daher brach das Gericht über Setiten und Kainiten zugleich herein, und nur Noah mit den Seinen wurde gerettet. Der gerettete Rest ist dann aber zugleich der Same für eine neue Zeit und Welt: so Noah für die Weltgeschichte, die Judenchristen mit den Aposteln an der Spitze für die Kirchengeschichte, die einst aus Babel ausgehende Brautgemeinde für das tausendjährige Reich (Offb 20:4). Nur sind es immer höhere Entwicklungsstufen des Menschendaseins, welche so aus den Gerichten hervorgehen: im ersten Fall ist es die natürliche, im zweiten die geistliche, im dritten die verklärte Menschheit. Dies ist der reichsgeschichtliche Grundgedanke, den z. B. Petrus ausführt (2Petr 2:5), wobei er dem Noah noch Lot beigesellt, bei dessen Ausgang aus Sodom sich dasselbe Grundgesetz im Kleinen verwirklichte, wie auch der Herr selbst (Lk 17:26ff.) Noah und Lot in ähnlicher Weise zusammenstellt. Es ist der gleiche Grundgedanke, den die Prophetie ausspricht mit ihrem Schear jaschub (Jes 7:3; Jes 10:20-23; Jes 6:10-13; Jes 1:9; Zeph 3:12.13), und den Paulus wieder aufnimmt (Röm 9:27-29; Röm 11:1-10), wenn er von dem Samen und Rest nach der Wahl der Gnade redet, welcher allein gerettet werden soll, wäre auch Israel so zahlreich, wie der Sand am Meer; der gleiche Grundgedanke mit welchem wir da A.T. schließen und das N.T. beginnen (Mal 3:16-21; Mt 3:12): die Spreu, die um den Weizen herum war, wird mit Feuer verbrannt, aber der Weizen, der Kraft und Leben in sich hat, in Gottes Scheunen gesammelt.

Nach diesen Betrachtungen werden wir nun die Schilderungen, welle die Offb 17. und 18 von der abgefallenen Kirche macht, verstehen können. Es ist dabei nur stets im Auge zu behalten, dass es sich von vorn herein um das G e r i c h t des lebendigen, heiligen Gottes über dieselbe handelt (Offb 17:1; Offb 18:2.6.20.21); dieses Gericht geht aber nicht nach menschlichen Maßstäben, sondern nach göttlichen, welche so hoch über den menschlichen sind wie der Himmel über die Erde (Jes 55:8.9; Röm 11:33). Geistlich geht es zu in diesem Gericht πνευματικὸς (1Kor 2:13-15); was in geistlichem Sinne zu Sodom, Ägypten oder Babel gehört, das wird verurteilt. Gott, der seine ganze Gnade, der das Blut seines Sohnes an die Kirche verwendet hat, kann und muss auch von ihr wiederum eine reine, völlige Hingabe verlangen, eine durchgängige Verleugnung der Welt (vgl. Hebr 11:7 δι’ ἧς κατέκρινεν τὸν κόσμον καὶ τῆς κατὰ πίστιν). Darum ebenso groß wie seine Liebe war, so groß ist nun sein Zorn; so freigebig er mit seinen Erbarmungen war, so genau nimmt er's nun im Gericht. Diese absolute Scheidung von Licht und Finsternis, von Reich Gottes und Welt, von Weib und Tier, welche der Heilige macht, ist uns fremd, zumal in der gegenwärtigen Zeit. Darum ist für uns das Verständnis der Apokalypse so schwer.

Der Schlüssel zu derselben ist nach Offb 5:9 das Kreuz, - durch welches mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt (Gal 6:14). Der Grundfehler unserer christlichen Theorie und Praxis aber ist die Vermischung von Reich Gottes und Welt, welche die Hl. Schrift Hurerei nennt. Deswegen verstehen wir den göttlichen Eier wider dieselbe nicht. es fehlt uns der schärfte Geistesblick für die Kirchen- und Christensünden, für unsere eigenen Sünden. Daher meinen wir, die Donnerworte des 17. und 18 Kapitels können nicht auf die Kirche, sie müssen auf die Weltstadt gehen. Ach, dass uns der Blick geschenkt würde, mit welchem die Propheten, die Apostel und Jesus, der Sünderfreund, selber die Kirche ihrer Zeit betrachteten! Die Pharisäer waren bekanntlich keine gar so schlimmen Leute Leute, sie hatten in ihrer Art einen Eifer für göttliche Dinge, und doch,mit welch furchtbarem Ernst straft sie der Herr! Die Propheten traten zum großen Teil unter so trefflichen Königen auf wie Hiskia und Josia, und doch, welche gewaltigen Buß- und Gerichtspredigten vernehmen wir aus ihrem Munde! Die Irrlehrer und Verführer, mit denen es die Apostel zu tun hatten, waren weit nicht so gefährlicher, schwerster Art wie unsere heutigen, und doch, in welchen Worten zeugen Paulus und Johannes, Petrus und Judas wider sie! Die Sünde ist in Gottes Augen viel ärger als in der Menschen Augen. Am ärgsten aber ist die Sünde derer, an die Gott seine besondere Gnade gewendet hat, die Gottes Wort haben und wissen, die ihm zu dienen berufen sind (Lk 12:47.48). Das weltliche Treiben der Kirche ist das aller Weltlichste und profanste. Darum vereinigt die Apokalypse in ihrer Beschreibung Babylons nicht nur die Hauptzüge der Sünden Israels, sondern auch der Heiden, wie sie sich bei den Propheten finden. Darum verweilt sie ausführlicher bei der Schilderung der Gräuel und des Gerichts der Hure als des Tiers. Darum wird der ganze, mit Offb 17:1 beginnende Abschnitt unter den Gesichtspunkt des Gerichts der großen Hure gestellt. Darum ist endlich im Himmel auch eine ganz besondere Freude über ihren Fall, mehr als über den der beiden Tiere (s. Offb 18:20 - Offb 19:5).

Die falsche Kirche und Christenheit

Die Grundsiganatur der falschen Kirche liegt in dem Wort H u r e (Offb 17:1). Sie behält ihre menschliche, ihre weibliche Gestalt, sie wird nicht Tier; sie bewahrt die Form der Gottseligkeit, aber die Kraft verleugnet sie (2Tim 3:5). Ihr rechtmäßiger Eheherr, Jehova-Christus, und die Freuden und Güter seines Hauses, die unsichtbaren und zukünftigen, sind ihr nicht mehr ihr Ein und Alles, sondern sie läuft dem sichtbaren und eitlen Weltwesen in seinen manigfaltigen Formen nach. Gröber tritt die Hurerei hervor, wo die Kirche selbst eine weltliche Macht sein will, Politik und Diplomatie tritt, sich unheiliger Mittel für heilige Zwecke bedient, Fleisch zu ihrem Arm macht, mit Schwert oder Geld missioniert, durch sinnlichen Kultus die Gemüter fesseln will, sich von den Großen der Erde als Zeremonienmeisterin brauchen lässt, den Fürsten oder dem Volk, den Toten oder den Lebenden schmeichelt, kurz, wo die Kirche, gleich Israel, immer bei einer weltlichen Macht gegen die andere Hilfe sucht. Das Huren braucht jedoch nicht immer auf diese gröbere Weise zu geschehen, sondern es gilt auch hier, was der Herr sagt: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen (Mt 5:28). Sobald die Kirche vergisst, dass sie in der Welt sein soll, wie Christus in der Welt war, als Kreuzträgerin und Pilgerin, sobald sie vergisst, dass die Welt für sie gekreuzigt und gerichtet ist, sobald sie derselben in ihrem Herzen wieder Realität zugesteht, sie als eine Macht anerkennt, vor deren Zorn sie sich fürchtet, um deren Beifall sie buhlt, mit der sie eine Vermittlung anstrebt, deren Ehre und Gut, deren Genüsse, deren angenehme Existenz ihr wünschenswert erscheinen, mit deren Weisheit, Bildung, Wissenschaft Geist sie dem Wort der Wahrheit gegenüber kokettiert: sodann ist schon der Ehebruch geschehen.

Dieses sich Einlassen mit der Welt, sich Einleben in die Welt, sich Tragenlassen von der Welt macht das Wesen der Hurerei aus. Daher dasselbe gar nicht besser bezeichnet werden konnte als dadurch, dass das W e i b auf dem T i e r sitzt (Offb 17:3.7.9). Als das mit der Sonne bekleidete Weib soll die Kirche ihr Licht, das ja von selber leuchtet, in der Finsternis scheinen lassen; einem Sauerteig gleich soll sie die Menschheit von innen heraus durchdringen; nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht der Herr Zebaoth (Mal 4:6): das ist ihre Losung. Die Hure ist hiervon das Gegenteil. Statt an Christo, ihrem königlichen Haupt, allein zu hängen, stützt sie sich auf die Häupter des Tieres (Offb 17:9); statt mit dem himmlischen Glanz der Sonne, hat sie sich nun mit dem irdischen Purpur und Scharlach, von Gold und Edelsteinen und Perlen geschmückt (Offb 17:4); statt den Leidenskelch ihres Herrn zu trinken, hat sie einen goldenen Taumelkelch voll Gräuel und Unreinigkeiten in ihrer Hand (V. 4). Wer sich daher über eine solche Kirche freut und über ihren Untergang in Klagen ausbricht, das sind nicht etwa die lebendigen Christen, die Heiligen, sondern es sind die Großen und Reichen dieser Welt, die K ö n i g e , die mit ihr Hurerei getrieben haben, die K a u f l e u t e und S c h i f f s h e r r e n, die von der Kraft ihrer Geilheit reich geworden sind (Offb 17:2; Offb 18:3:9-19). Welch ein Kontrast gegen das: Sehe an, liebe Brüder, euren Beruf: nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Gewaltige, nicht viel Edler sind berufen; hat nicht Gott erwählet die Armen auf dieser Welt? (1Kor 1:26; Jak 2:5). Welch ein Kontrast auch zwischen der Wehklage der Welt beim Fall der Hure und zwischen ihrer Freude beim Tod der zwei Zeugen, wovon es Offb 11:10 heißt: Und die auf Erden wohnen, werden sich freuen über ihnen und frohlocken und einander Geschenke senden; denn diese zwei Propheten quälten die auf Erden wohnen.

Die Hurenkirche hat den Königen und Machthabern dieser Welt nicht weh getan, hat sie nicht gestraft für ihre Sünden, sondern ihnen den Weg in den Himmel leicht und bequem gemacht; sie hat ihnen als Zaum gedient zur Niederhaltung der Völker, hat sich als Mittel zur Herstellung der Autorität, der Ruhe und Ordnung ihnen empfohlen und von ihnen brauchen lassen. Kein Wunder, dass die Könige klagen über ihren Fall. (Offb 18:9.10). Den Kauf- und Schiffsherren war die Kirche ebenfalls bequem als Erhalterin des Friedens, unter dessen Schutz Handel und Wandel gedieh und sich Geld im Vollauf verdienen ließ (Offb 18:11-13). Doch nicht nur das, sondern sie hat auch gegen den irdischen Sinn, gegen das Wohlleben und den Luxus, aus dem die Handelsleute ihren Gewinn ziehen, nicht laut genug ihre Zeugenstimme erhoben, vielmehr hat sie es sich selbst wohl sein lassen in dieser Welt und ihren Freuden und Genüssen; statt der Schafe hat sie die Wolle gesucht; statt angetan zu sein mit Geist und Kraft aus der Höhe und stets auf das himmlische Kleinod hinzuweisen und auf die zukünftige Stadt, die wir suchen, hat sie das Fleisch gepflegt und in ihrem Hurenputz sich gefallen; sie hat durch ihre Salzlosigkeit und durch ihren eigenen Erdensinn das Sündenleben und die Fäulnis der Welt gemehrt und gefördert, statt ihnen entgegen zu wirken (Offb 18:14-19; Offb 19:2 ἔφθειρεν τὴν γῆν).

Die H e i l i g e n dagegen, die wahren Zeugen Jesu, die Apostel und Propheten samt dem ganzen Himmel freuen sich über den Fall Babels; sie selbst haben dieses Gericht längst von Gott erfleht; denn von i h r e m B l u t e ist die H u r e trunken (Offb 17:6: Offb 18:20.24; Offb 19:2). Die Hure im N. B.. hat dieselben Blutschulden auf sich wie die im A.B.; denn auch Jerusalem hat ja die Propheten getötet und die Gesandten Gottes gesteinigt, auch die Juden haben Christum und seine Jünger in den Bann getan und ermordet, in der Meinung, sie tun Gott einen Dienst damit (Mt 23:29-37; Mt 21;35-39; Joh 16:1-4). Wir dürfen hier nicht bloß an einen Huss denken, an die Waldenser, die englischen Märtyrer und dgl. auch nicht bloß an das, was noch kommen kann; sondern es gilt hier auch das Wort: Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger (1Jo 3:15). Wo irgend lebendige Christen von den Leitern der Kirche aus geheimer oder offener Abneigung gegen die Wahrheit zurückgesetzt und gedrückt werden, wo eine falsche Theologie den Glauben aus den Herzen der Jugend reißt, wo ein Seelsorger im Stillen im Lande aus Widerstreben gegen ihre Kreuzgestalt preisgibt und zurückstößt, wo wir irgend uns sträuben oder schämen, die Schmach der Knechte Christi mitzutragen: da ist ein Mord an den Heiligen Gottes geschehen.

Dies ist der Charakter der Hure; und so ist die Kirche nicht etwa nur da und dort in vereinzelten Erscheinungen, sondern so ist sie allenthalben in der Welt, es isst damit die ganze Christenheit gemeint, sowie einst ganz Israel zur Hure geworden war. Die wahren Gläubigen sind als unsichtbare Kirche in ihr verborgen und zerstreut. Man kann nicht sagen: da und da ist die Hure, da und da nicht; so wenig man sagen kann: Siehe, hier ist Christus oder da (Mt 24.23). Die Grenzen zwischen Hure und Weib sind keine lokalen, auch keine konfessionellen, überhaupt keine äußerlich zu ziehenden; sondern es muss geistlich geschieden und gerichtet werden. Den Weizen von der Spreu auch äußerlich loszumachen, das wird erst Sache des richtenden Gottes sein. Diese Allgemeinheit des Hurenwesens deutet die Apokalypse an, wenn sie sagt: die Hure s i t z e auf den v i e l e n W a s s e r n, welche Völker und Scharen und Heiden und Sprachen bedeuten; oder auch: es seien alle Erdenbewohner, alle Völker von dem Wein ihrer Hurerei verdorben (Offb 17:1.15.2; Offb 14:3; Offb 19:2) Diese äußere Ausdehnung über die ganze Welt und jene innere Gleichstellung mit der Welt, die Weltlichkeit der Kirche nach Umfang und nach Inhalt fasst alle darin zusammen, dass sie den Namen der Weltstadt B a b y l o n trägt. Es ist der Wille des Herrn, dass die ganze Welt mit dem Samen seines Wortes bestreut, dass alle Völker zu Jüngern gemacht werden durch Taufe und Predigt (Mt 13:38; Mt 28:19): wie die Sonne die ganze Erde beleuchtet, so soll auch das mit der Sonne bekleidete Weib, ihr Licht und Leben überall hinbringen.

Johannes schaut auch, wie wir gesehen haben und noch ferner sehen werden, sehr bestimmt die äußere Christianisierung der Könige und Nationen. Aber dass diese Christianisierung eben nur eine äußerliche ist, dass das Weib, indem sie die Welt umfasst, sich auch wieder buhlerisch von ihr umfassen lässt, das macht, dass ihre Universalität oder Katholizität nicht die von Jerusalem ist, die wir nach der Weissagung (z. B. Jes 2:2-4) zu hoffen haben, sondern die Universalität Babels. Jerusalem und Babel, über welches letztere namentlich auch Jer 50 und 51 zu vergleichen, sind die beiden großen, welthistorischen Gegensätze, die in den Städten ihren konkreten Ausdruck finden. Wir haben hierüber schon oben geredet, wo aus Anlass von Dan 9:25 die Bedeutung Jerusalems entwickelt werden musste. Auch in der Offb steht Babel Jerusalem gegenüber, nur nicht dem irdischen, sondern den neuen, himmlisch verklärten Jerusalem. Das Weib hat in den Zeiten des Neuen Bundes keine Stadt auf Erden, weil es eben die zukünftige sucht (Hebr 13:14); es hat nur einen Ort in der Wüste (Offb 12:6.14). Die Hure aber hat sich, gleich Kain der die erste Stadt erbaute (1Mo 4:18) behaglich und sicher auf Erden niedergelassen; und nicht nur diese oder jene Stadt, sondern geradezu die Weltstadt hat sie für sich in Besitz genommen. Indem die Kirche immer tiefer in die Heidenwelt eindrang bis ins Herz derselben, ist sie selbst heidnisch geworden; sie hat die Welt nicht mehr überwunden (1Jo 5:4), sondern sich von ihr überwinden lassen; statt dieselbe auf ihre göttliche Höhe emporzuheben, ist sie selbst ins weltliche, fleischliche, irdische Wesen herabgesunken; wie die heidnischen Volksmassen, so drang auch der heidnische Weltgeist unbekehrt, ohne durch den Kreuzestod hindurchgedrungen zu sein, in die Kirche ein.

So hat einst die heidnische Isebel und der Heide Bileam, statt sich zu dem Gott Israels zu bekehren, vielmehr das heilige Volk zum Götzendienst verführt. Indem dies in den Sendschreiben, der Apokalypse auf die Kirche angewendet wird (Offb 2:4.20), bereitet sich hierin wie der Ausdruck Hure, so auch schon der Ausdruck Babylon vor. Weiter dient zur Anbahnung dieses Ausdrucks namentlich die bereits betrachtete Stelle Offb 11:8, wo Jerusalem geistlich Sodom und Ägypten heißt. Dem entspricht, wie wir wissen, bei Paulus der Vergleich der Verführer Jannes und Jambres, bei Petrus ebenfalls mit Sodom und Bileam, - lauter Ausdrücke, welche das Herabsinken des Christlichen ins Heidnische darstellen. Eben dahin gehört es, wenn der Herr selbst und die Propheten des A. B. dem Volk Israel wiederholt vorhalten, es sei so schlimm, ja noch schlimmer geworden als die Heiden, als die Weltstädte Tyrus und Sidon, Ninive, Sodom und Gomorra (Mt 11:20-24; Mt 24:41; Jes 1:10; Jer 2:10; Jer 18:18; Hes 5:5-7; Hes 16:45-52). Hierdurch verliert nun vollends der Grund sein Gewicht, welchen man gegen unsere Auffassung der Hure von dem oben erwähnten Umstand hernehmen könnte, dass auch Tyrus und Ninive ausnahmsweise einem diesen Namen erhalten. In dem zuletzt angeführten Kapitel Hesekiels, das wir schon für den Begriff der Hure so wichtig gefunden haben, findet sich auch für die Benennung Babylons die stärkste Analogie, wenn es V. 3 von Jerusalem heißt: Dein Ursprung und deine Geburt ist aus der Kanaaniter Lande, den Vater ein Amoriter und deine Mutter eine Hetiterin. Nach dem allem werden wir es vollkommen begreifen, dass die abgefallene Kirche den Namen der Weltstadt trägt.

Fragt man nun nach der kirchengeschichtlichen Erfüllung des Gesichts von der babylonischen Hure, so ist dieselbe also weder bloß in der katholischen Kirche noch bloß in der Staats- und Massenkirche zu suchen, wie jenes von einseitig protestantischem, dies von separatistisch-sektiererischem Standpunkt aus geschieht. Wir Protestanten haben wahrlich Ursache genug an unsere eigene Brust zu schlagen; darum verlassen wir aber doch unsere Kirche nicht in voreiliger und eigenmächtiger Herbeiziehung des Wortes Offb 18:4: Gehet aus von ihr, mein Volk, wo wenig Jesus die israelitische Kirche seiner Zeit verlassen hat; denn auch die kleinste Sekte ist vom Hurenwesen auf Dauer nicht frei. Die ganze Christenheit in der Mannigfaltigkeit ihrer Kirchen und Sekten bildet die Hure; und es gilt da eben nur wieder das apokalyptische Grundwort recht zu fassen: Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen. "Die Hure ist nicht die Stadt Rom allein, auch nicht allein die katholische Religion, auch nicht eine andere mit Ausschluss der anderen; sondern alle zusammengenommen, auch die unseres, kurz die ganze geistlose und des Lebens Jesu leere Christenheit, die sich Christin nennt und hat weder Christi Sinn noch Geist. Sie heißt Babel d. .i. ein Verwirrung; denn die falsche Christenheit, zerteilt in sehr viele Religionen und Sekten, ist eine wahre und eigentliche Verwirrerin; aber in allen Religionen, Parteien und Sekten der ganzen Christenheit lebt und steckt die wahre Jesusgemeinde, welche das mit der Sonne bekleidete Weib ist. Die verdorbene, ausgeartete Christenheit ist eine Hure, die ihre Sache nur für das Fleisch, für das Wohlergehen des tiersinnlichen Menschen einrichtet, die allen falschen Geistern und Geisteseinflüssen offen steht und sich preisgibt, die es mit dem Natur- und Weltgeist hält." (Joh. Mich. H a h n; Briefe und Lieder über die Offb in seinen Schriften, 5 Bd. Tüb 1820; S 182ff.)

Darum bleibt es aber doch wahr, dass die katholische d. h. die römische und griechische Kirche noch in einem viel tieferen Sinne Hure ist als die evangelische. Babylon ist zu den Zeiten des Johannes in R o m geworden; dass es so verstanden sein will, isst wohl nach Offb 17:18 klar. Nun ist freilich Rom nicht gemeint im äußerlichen, geschichtlich-geographischen Sinn, sondern wie eben der mystische Name Babel andeutet, im prophetischen Sinn als Zentralpunkt der Weltmacht, als Trägerin des Weltgeistes. Aber gerade dieser Geist des römischen Weltreiches ist in die Kirche eingedrungen und hat aus ihr im Okzident von Rom aus einen nach falscher Weltherrschaft trachtenden Kirchenstaat gemacht, im Orient von Byzanz aus eine unter die Weltmacht geknechtete Staatskirche, an beiden Orten ein von dem unsichtbaren Geisteswesen des Evangeliums abgefallene und in die Elemente des Weltwesens (Gal 4:4; Kol 2:2.20) zurückgesunkene Weltkirche. Die katholische Kirche ist daher nicht bloß ihrem Versand, sondern auch ihrem Prinzip nach hurerisch; sie hat den traurigen Vorzug, die Hure, die Metropole der Hurerei, die Mutter der Huren (Offb 17:5) zu sein.; sie ist es auch, die vorzugsweise sich rühmt: Ich sitze als eine Königin und bin keine Witwe und Leid werde ich nicht sehen (Offb 18:7). Die evangelische Kirche dagegen ist ihrem Prinzip, ihren Glaubensgrund nach ein keusches Weib; die Reformation war eine Reaktion des Weibes gegen die Hure.*)

*) Vielleicht sucht mancher evangelisch Denkende, der sich der göttlichen Wahrheit seines Bekenntnisses freut, in der Apokalypse eine Andeutung der Reformation. Eine solche findet sich auf direkte Weise nicht; denn Johannes hat keine Kirchengeschichte zu schreiben, sondern die sie beherrschenden Faktoren und Grundrichtungen zu zeichnen. Aber indem wir uns überall hingewiesen sehen auf die Parallele der neutestamentlichen Entwicklung des Gottesreiches mit der alttestestamentlichen, können wir uns auf dem Wege der Analogie über die Stellung und Bedeutung der Reformation im Ganzen dieser Entwicklung einigermaßen orientieren. Sie entspricht wohl der nachexilischen Reformation Israels unter Serubabel und Josua, unter Esra und Nehemia. Vor dem Exil war das Volk Gottes der Hurerei anheim gefallen und dafür in die Gefangenschaft dahingegeben worden, Ebenso die mittelalterliche Kirche; spircht man doch selbst von einer babylonische Gefangenschaft der Päpste, und hat Luther über die babylonische Gefangenschaft der Kirche geschrieben. Nach dem Exil stellt Esra das Gesetz wieder her; es war nicht sowohl eine neue, originelle Offenbarung, was jetzt hervortrat, als ein Zurückgehen auf das ursprüngliche, mosaische Gotteswort. Ebenso ging die Reformation auf da N. T. und die Urkirche zurück. Die israelitische Reformation wurde aufgehalten und angefeindet durch die früheren, aus jüdischem und heidnischem Blut gemischte Bevölkerung des Landes, durch die Samariter. Wer sieht nicht in ihrem Bild der die Reformation bekämpfende, katholische Kirche? Gleichwohl kam die Reformation unter dem Schutz der Weltmacht zustande, die Juden hatten das reine volle Gotteswort, sie waren die Träger der göttlichen Wahrheit in dieser Zeit, und es gab in Kraft derselben immer gläubige Seelen, die treu das Gesetz hielten und auf den Trost Israels warteten; aber im Ganzen waren es dennoch kümmerliche Jahrhunderte bis zur Erscheinung des Herrn hin, die geistigen Leiter des Volkes spalteten sich in die Parteien der buchstäblichen Pharisäer und der rationalistischen Sadduzäer, und in der großen Mehrheit der Nation war kein relig�iöses Leben. Ist das nicht ein Bild der evangelischen Kirche? Die Samariter mit ihrer Vermischung des Jüdischen und Heidnischen, Göttlichen und Menschlichen, mit ihrem Zurückbleiben in geistiger und geistlicher Hinsicht (Vgl. Joh 4:22) bilden zu den Juden einen ähnlichen Gegensatz wie früher das Reich Israel zum Reich Juda, und wie jetzt die Katholiken zu den Protestanten. Am Hurenwesen aber hatten beide Anteil, und in das hereinbrechende Gericht wurden beide gleichmäßig hineingezogen. Denn dass es da nicht auf die Reinheit der Lehre und des Bekenntnisses bloß ankommt, das zeigen die Pharisäer, denen der Herr so sehr das Zeugnis reiner Lehre gibt, dass er von ihnen zum Volk zu seinen Jüngern spricht: Alles, was sie euch sagen, dass ihr halten solltet, das haltet und tut's (Mt 23:3), ,woran er dann aber die ernsteste Strafpredigt wider sie knüpft. - Auch in der vorsindflutlichen Urzeit finden wir einen ähnlichen Wendepunkt, welche Henoch bezeichnet, der siebte unter den zehn von Adam bis Noah herab reichenden Erzvätern. Ohne Träger einer neuen Offenbarung zu sein, betritt er auf exemplarische Weise den Weg des Heils und wird ein ernster Prediger der Wahrheit. (1Mo 5:21-24; Jud 1:14.15).

Noch ist das Geheimnis Babylons nicht völlig ausgetragen, und wir wissen nicht, welche Entwicklungen das falsche Kirchentum noch nehmen wird, bis es den Kulminationspunkt erreicht hat, der es reif zum Gericht macht. Aber B e n g e l , dem bei allen Fehlgriffen seiner Auslegung im Einzelnen doch eine tiefe am prophetischen Wort geschärfte Ahnungsgabe verliehen war, hat vielleicht nicht Unrecht gehabt, wenn er meinte, Rom werde noch einmal emporkommen. Auch der griechisch-russische Katholizismus wird wohl noch ein Wort mitzureden haben. Die hurerischen, weltförmigen Elemente in allen Kirchen und Sekten streben dem Katholizismus zu und machen ihm Bahn. So mag er noch einmal zur Macht gelangen. Aber auch sonst gilt es, auf alle Zeichen der Zeit zur achten, die eine Vermischung der Wahrheit und Lüge, des Weltlichen und Christlichen in irgendeiner Weise bekunden, und sich davor zu hüten. So viel ist jedenfalls gewiss: im Moment des Triumphs brechen die weltlichen und weltfreundlichen Mächte zusammen, während das Volk Gottes im Moment ihres Erliegens zur Rettung und Sieg erhoben wird. Dafür ist Christi Kreuz und Auferstehung Bürge.

Die geheilte Todeswunde und Rückkehr des Tieres

Wie das Weib, so erscheint auch das Tier im 17. Kap in veränderter Gestalt, und wir haben es deswegen hier auch noch einmal ins Auge zu fassen. Dasselbe hat ebenfalls in der christlichen Zeit eine Entwicklung durchgemacht und ist jetzt zum Gericht reif. Sehen wir zunächst zu, ob unsere Weissagung von jener Entwicklung etwas andeutet. In dieser Beziehung muss hier noch einmal ins 13. Kapitel zurückgegriffen werden, wie zur Deutung der Tierhäupter früher aus dem 13. ins 17. Kapitel vorgegriffen werden musste. Da findet sich zugleich eine Antwort auf die Frage, die uns bei Daniel übrig blieb, ob denn die Weissagung der Christianisierung der Weltmacht, wie wir sie tatsächlich im römisch-deutschen Reich finden, gar keine Erwähnung finde.

Wir haben nämlich bis jetzt absichtlich einen Zug in dem Bild der Weltmacht übergangen, welcher im 13. Kapitel wiederholt und nachdrücklich hervorgehoben wird. Johannes sieht eines von den H ä u p t e r n des T i e r e s wie g e s c h l a c h t e t zum T o d e, aber seine T o d e s w u n d e ward g e h e i l t (Offb 13:3.12.14). Diese einem der Weltreiche beigebrachte Todeswunde erinnert an das, was Daniel (Dan 7:4) in Bezug auf den König von Babel schaute: da wurden dem Löwen die Flügel ausgerissen und er empfing die aufrechte Stellung und das Herz eines Menschen. Wir wissen, dass hiermit die Demütigung des hochfliegenden Stolzes Nebukadnezars und seine Bekehrung zu dem lebendigen Gott dargestellt ist. Eine ähnliche Veränderung geht nun mit einem der apokalyptischen Tierköpfe vor sich. Zwar wird er nicht etwa in ein Menschenhaupt verwandelt, doch wird er tödlich verwundet und also unschädlich gemacht. Das Weltreich, welches unter diesem Kopf gemeint ist, bekehrt sich nicht wirklich zu dem lebendigen Gott, so dass es menschlichere Art bekäme, wie Nebukadnezar; aber es entfaltet auch seinen tierisch brutalen, widergöttlichen Charakter nicht so wie die sechs anderen, es lebt sein antichristliches Wesen vorübergehend ab. Es scheint wie geschlachtet zum Tode, und man macht mit Recht darauf aufmerksam, dass dieser Ausdruck ohne Zweifel absichtlich gewählt sei, um das Tier in äußere Ähnlichkeit mit dem Lamme zu stellen, welches Johannes (Offb 5:6) ebenfalls sieht. Wie das zweite Tier durch seine Hörner (Offb 13:11), so gleicht das erste durch seine Todeswunde dem Lamme. Man darf also selbst vom Tierwesen, von der eigentlichen Weltmacht nicht erwarten, dass es sich in bloß heidnischer Weise fortentwickeln werde bis ans Ende, sonder es wird ein Christo ähnliches Aussehen gewinnen, es wird äußerlich christianisiert werden; ja es wird zeitweise ganz getötet, gar nicht mehr vorhanden zu sein scheinen, ohne dass es doch zu sein und Tier Tier zu sein aufgehört hat.

Welches Weltreich nun hier gemeint sei, lässt sich unschwer erraten. Wir haben hier dieselbe Grundtatsache der christlichen Geschichte von Seiten des Tieres dargestellt, welche Johannes Offb 12:15.16 von Seiten des Weibes aus schaute. Der Teufel führt in den Stämmen der Völkerwanderung eine neue Weltmacht gegen die Gottesgemeinde ins Feld; aber bald wurden die undisziplinierten Horden an christliche Zucht und Ordnung, Bildung und Sitte gewähnt und legten damit ihren antichristlichen Charakter ab; die Erde half dem Weibe, indem sie den Wasserstrom verschlang; das siebente Haupt des Tieres empfing die Todeswunde. Die sechs ersten Weltreiche waren heidnisch gewesen; und wenn auch das römische noch am Abend seines Bestehens das Christentum annahm, so konnte das doch die hereinbrechende Macht nicht aufhalten: was seit Konstantin geschah, hatte nur den Zweck, die Christianisierung der germanischen Welt zu ermöglichen und anzubahnen, der Erde den Mund zu öffnen, dass sie den Wasserstrom verschlingen konnte. Erst das siebte Reich also ist ein christliches Weltreich geworden; und das ist der Sinn der Todeswunde, durch welche dem Tier in diesem Stadium seiner Entwicklung seine tierische Macht genommen wird, dass es nicht mehr ist. Denn es leuchtet ein, dass das Geschlachtetsein zum Tode und das N i c h t s e i n des Tieres, von welchem (Offb 17:8.11) der Engel spricht, identische Begriffe sind; jeder Kopf bezeichnet ja das ganze Sein des Tieres zu einer bestimmten Zeit. Eben hieraus geht aber auch hervor, dass unter dem verwundeten Haupt kein anderes verstanden werden kann als das siebte. Denn auf da Nichtsein des Tieres folgt nichtsmehr als sein Wiederkehr aus dem Abgrund, welche der Heilung der Wunde entspricht, und dann sogleich der Gang ins Verderben, das Gericht (Offb 17:8); folglich ist es unmöglich, dass auf den verwundeten und wieder geheilten Kopf noch andere Köpfe folgen können, und mithin muss derselbe der letzte, siebte sein. Eben hierfür spricht auch die auf den siebten Kopf bezogene Bemerkung Offb 17:10: wenn er kommt, so muss er eine k l e i n e Z e i t bleiben. Man könnte dies zwar nach Analogie der Stellen Offb 12:12 (er hat wenig Zeit) Offb 22:7.20 (ich komme bald), aus der Nähe der Parusie Christi erklären und von der ganzen Dauer des siebten Reiches verstehen; aber einfacher ist es, das "eine kleine Zeit bleiben" mit der Todeswunde zu kombinieren und daran zu denken, dass die germanischen Völker als heidnische, tierische, antichristliche nur kurz bleiben sollen, dass der siebte Kopf bald seine Wunde erhalten soll. Der zum Tode verwundete Tierkopf also ist der christliche Staat samt der christlichen Kultur.

Mit diesem einen Zug ist der Grundcharakter der Weltentwicklung in der christlichen Zeit ebenso in seinem innersten Wesen gezeichnet, wie der der Kirchenentwicklung damit, dass das Weib zur Hure wird. Beide Entwicklungen entsprechen einander genau*) Die Weltmacht legt ihr Feindseligkeit ab und nimmt äußerlich das Christentum an; aber wie das Tier sein Gott widriges Wesen aufgibt, so umgekehrt das Weib sein göttliches. Es wird von beiden Seiten dem Gegensatz die Spitze abgebrochen, Welt und Kirche machen sich gegenseitig Konzessionen, das Tier trägt die Hure (Offb 17:3.7). Verweltlichtes Christentum einerseits und verchristlichte Welt andererseits ist der Grundtypus der christlichen Jahrhunderte. Wer hierbei gewinnt, da ist freilich in letzter Instanz nur die Welt; denn die Kirche, die ihr Leben aus Gott und Christo hat kann bloß verlieren, wenn sie sich mit der Welt vermischt. So befriedigend daher auch die christlichen Weltzustände in Menschenaugen etwa scheinen mögen, vor Gottes Augen ist diese Durchdringung der Welt mit dem Christentum noch lange nicht die echte: wenn wirklich die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus werden sollen, so muss zuvor der Herr selbst ein ganz Neues schaffen. Die Schrift erkennt der christlichen Politik und Kultur, indem sie sie als tödliche Verwundung des Tiers charakterisiert, nur eine negative, nicht eine positive Bedeutung zu: die vorübergehende Niederhaltung und Überwältigung des Antichristentums, nicht die wirkliche Überwindung und geistliche Verklärung der Welt ist ihre Sache Die Weltgeschichte für sich allein ist so wenig die Weltverklärung wie das Weltgericht.

*) Vgl. die Bemerkungen über Staat, Gemeinde und die durch Verweltlichung der Gemeinde und Verchristlichung der Welt entstandene Staatskirche als die drei Faktoren der christlichen Geschichte, welche der Historiker nach dem prophetischen Wort ins Auge zu fassen habe, in d e L i e f d e s allgem. Geschichte für das Volk (Neue reformierte Kirchenzeitung, März 1854, S. 72-74)

Immerhin aber ist auch schon dieses zwischeneingekommene Nichtsein des Tiers ein Großes, wofür wir dankbar zu sein, um dessen Erhaltung wir zu ringen haben. Nur dürfen wir nicht meinen, dass wir des Tieres Wiederkehr verhindern können. Das Weltwesen ist wahrlich jetzt noch nicht gar abgetan und noch viel weniger positiv durchdrungen mit den himmlischen Kräften des heiligen Geistes; sondern es besteht noch und hat seinen antichristlichen Charakter nur eine Zeit lang und äußerlich abgelegt, bricht aber wieder in seiner alten, ja in verstärkter Gewalt hervor. Darum hat Daniel an der Weltmacht gar keine durch das Christentum bewirkte Veränderung wahrgenommen; Johannes sieht eine solche, aber er sieht zugleich, dass es nur ein vorübergehende, unwesentliche Veränderung ist. So widerspricht der neutestamentliche Sehe dem alttestamentlichen nicht, sondern er ergänzt ihn nur und bestimmt seine Weissagung näher, wie es seines Amtes ist. Die Todeswunde wird immer nur zugleich mit ihrer Heilung, das Nichtsein des Tieres zugleich mit seinem wieder Sein erwähnt.

Also die Todeswunde wird wieder g e h e i l t; das Tier, dem sie beigebracht war, lebt wieder auf und kehrt zurück, aber jetzt nicht mehr bloß aus dem Meer, sondern a u s dem A b g r u n d, wo es neue, antichristliche Höllenkraft geholt hat (Offb 13:3; Offb 12:14; Offb 17:8; Offb 11:7). Es ist dasselbe, was Jesus ausspricht Mt 24:43-45. Die christlich-germanische Welt fällt wieder vom Christentum ab, das alte widergöttliche und widerchristliche Tierwesen gelangt aufs Neue zu Kraft und Bestand, ein modernes Heidentum bricht über die christliche Welt herein. Und dieses ist noch viel schlimmer, abgrundmäßiger, dämonischer als das alte. Denn das alte Heidentum, wie es die ersten Tierhäupter vertraten, war nur ein Abfall von der allgemeinen Natur- und Gewissensoffenbarung (Röm 1 und Röm 2:14ff.), das neue aber ist der Abfall von der vollen Gnadenoffenbarung Gottes in seinem Sohn (vgl. Mt 12:41-42); es ist das raffinierte, potenzierte Heidentum, zu welchem einmal gesagt werden wird: Gedenke, wovon du abgefallen bist! (Offb 2:5). Auch mit dieser Weissagung steht die Apokalypse nicht alleiN; es ist dies derselbe Abfall, welchen Paulus 2Thes 2:3ff. vorausschaut, und welchen er im Antichrist, in dem Menschen der Sünde und dem Kind des Verderbens kulminieren sieht. Auch Paulus, indem er die bösen Zeiten der letzten Tage schildert 2Tim 3:1ff., beschreibt den Charakter der dann lebenden Menschen auf eine Weisem welche ganz an die Charakteristik der Heiden Röm 1:29ff. erinnert; auch er sieht also ein neues Heidentum in der Christenheit voraus.

Denn dass er von der letzteren redet, beweisen ja eben die Ausdrücke Abfall (2Thes 2:3), es werden etliche vom Glauben abfallen (1Tim 4:1; vgl. 2 Tim 3:5ff. 2Tim 4:3f). Der Apokalypse eigentümlich ist aber die klare Auseinandersetzung der Hure und des wiederkehrenden Tiers. Jesus (Mt 24:4.5.11.23-26) und die Apostel sprechen von Irrlehre, Verführung, Abfall mehr im Allgemeinen; unser Buch dagegen unterscheidet deutlich die zwei arten desselben, die jüdische und heidnische, die kirchliche und weltliche, das Pseudchristentum der Hure und das Antichristentum des wiederkehrenden Tiers. Dieses ist die entchristlichte Welt, jene die verchristlichte Welt oder das verweltlichte Christentum. Beides widerstrebt dem wahren Wesen des Christentums, der Keuschheit des Weibes aufs tiefste; nur sind die hurerischen Verwirrungen fast noch gefährlicher, weil sie sich mit Form und Schein des Göttlichen, Christlichen umgeben. In unseren Tagen sehen die einen alle Gefahr in Rom, die anderen sehen sie nur mim Unglauben und Radikalismus. Das eine ist so irrig wie das andere, wir sind rechts und links von Feinden umgeben, denen wir unterliegen, über die wir aber am Ende herrlich triumphieren werden. Den hier auf Erden rechts Stehenden als solchen gehört das Reich ebenso wenig wie den links Stehenden, sondern es gehört der kleinen Herde. "Und soll geschehen im ganzen Lande, spricht der Herr, zwei Teile darin sollen ausgerottet werden und untergehen, und das dritte Teil darin soll überbleiben. Und will dasselbe dritte Teil durch Feuer führen und läutern, wie man Silber läutert, und fegen, wie man Gold fegt. Die werden dann meinen Namen anrufen, ich will sie erhören. Ich will sagen: Es ist mein Volk und sie werden sagen: Herr, mein Gott!" (Sach 13:8.9).

Fassen wir nun das w i e d e r k e h r e n d e T i e r näher ins Auge! Wenn dasselbe aus dem Abgrund aufsteigt, so werden ihm alle Kinder dieser Welt ihre huldigende Bewunderung zollen (Offb 17:8 θαυμάσονται vgl. Offb 13:3.4 ἐσφαγμένην εἰς θάνατον); sie freuen sich, dass endlich die Fesseln des Christentums abgeworfen werden, und dass die reine Macht dieser Welt, deren Sieg kaum mehr zu hoffen war, die schon ganz unterlegen schien, in voller Glorie triumphieren wird (????? S.305)*). Das Tier selbst erscheint in mehrfacher Hinsicht verändert gegen früher. es isst scharlachrot zum Zeichen der Blutgier, der Mord und Verfolgungslust; die Lästernamen, die früher nur an den Häuptern waren (Offb 13:1), bedecken jetzt seinen ganzen Leib, zum Zeichen, dass das gottwidrige Wesen nun zum vollendeten Ausbruch kommt.

Die Kronen, welche früher die zehn Hörner trugen, fehlen jetzt (Offb 17:3): sollte dieser Umstand eine Andeutung sein, dass die zehn Reiche, in welche die germanisch-slawische Welt zerfällt, am Ende ihre monarchische Gestalt verlieren? Auch das "w i e Könige" v. 12, wo von der Macht die Rede ist, welche dieselben in der letzten Stunde (??) mit dem Tier bekommen werden, scheint derartiges anzudeuten. Am Anfang der messianischen Geburtswehen, der die παλιγγενεσίᾳ (Mt 19:28) anbahnenden δόξης gehören wenigstens neben Kriegen, Erdbeben, und Teuerungen auch ἀκαταστασίας und ταραχαί, Unruhen, Aufruhre, Revolutionen (Lk 21:9; Mk 13:8). So wird das Antichristentum zur Herrschaft gelangen. Weil es aber nicht bloß die einfache Heilung des verwundeten Hauptes ist, was wir hier vor uns haben, nicht bloß die Wiederherstellung der Weltmacht nach Art der früheren Häupter, sondern ein neues Reich, in dem sich alle Gottwidrigkeit des Tieres konzentriert und potenziert auf eine noch nie dagewesene Weise: so lesen wir von einem A c h t e n, der aus den S i e b e n hervorgeht und das ganze Tierwesen in sich zur vollendeten Erscheinung bringt. (τὸ θηρίον καὶ αὐτὸς ὄγδοός -  ? - ἑπτά ἐστιν καὶ εἰς ἀπώλειαν Offb 17:11). Wie bei Daniel aus dem vierten Tier noch ein besonderes Horn herauswächst, welches den Antichrist und sein Reich darstellt, so geht in der Offbarung das siebte Reich noch in ein achtes über, welches nicht bloß eines aus den sieben ist, sondern aus ihnen stammt und hervorgeht als der Inbegriff aller, als das Tier auf dem Kulminationspunkt seiner Entfaltung. Dies ist das eigentliche a n t i c h r i s t l i c h e R e i c h, dem sich nun die einzelnen kleinen Reiche, die zehn Hörner, unterwerfen (Offb 17:12.13.17). Dass dabei drei von ihnen gedemütigt werden, wird aus Dan 7 nicht wiederholt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Der 14. Vers enthält sodann eine einfache Zeichnung des widerchristlichen Charakters dieses Zehnhörnerreichs, indem vorläufig auf seinen Kampf mit dem Lamme hingewiesen wird, welcher mit seiner völligen Niederlage endet. Zuvor aber sind die antichristlichen Könige berufen, das Gericht an der Hure zu vollziehen (V. 15ff.), welches dann im 18. Kapitel beschrieben, und von welchem unten weiter die Rede sein wir.

Dass ein p e r s ö n l i c h e r A n t i c h r i s t als Weltherrscher an der Spitze des antichristlichen Reiches steht, lässt sich zwar aus der Apokalypse nicht mit völliger Sicherheit erweisen, indem der Achte, gleich den sieben Häuptern, auch bloß ein Reich, eine Macht bezeichnen könnte; und das Nämliche wäre an sich bei dem antichristlichen Horn Daniels möglich, wenn wir es mit den zehn Hörner vergleichen. Aber entscheidend ist hier doch der Typus des Antiochus Epiphanes; denn dieser persönliche Feind des Gottesreiches wird ja Dan 8 ganz ebenso als kleines, allmählich erstarkendes Hornbeschrieben, wie in Dan 7 der Antichrist. Und das bestätigt Paulus 2Thes 2; indem er den Antichrist V. 4 mit Farben schildert, welche von dem danielischen Bild des Antiochus entlehnt sind, und ihn V. 3 als Menschen der Sünde, den Sohn des Verderbens nennt, was ungezwungen doch nur von einer individuellen Person verstanden werden kann; vgl. Joh 17:12, wo derselbe Ausdruck ὁ υἱὸς τῆς ἀπωλείας von Judas gebraucht ist. Dafür sprechen auch die welthistorischen Analogien; auch die früheren Reiche hatten ja gewaltige Persönlichkeiten, wie Nebukadnezar, Kyrus, Alexander, an ihrer Spitze. "Die Geistlichkeit und Allgemeinheit einer Richtung schließt ihre individuellen Gestaltungen nicht aus. Jede Geistesrichtung hat ihre hervorragenden Träger, und jede Vollendung einer Geistesrichtung hat ihren Repräsentanten. Demzufolge erscheint denn auch die Blüte des Antichristianismus in einzelnen Antichristen, und es ist eine ganz historische Anschauung, wenn das Christentum verkündigt, diese einzelnen Antichristen werden einmal in einem über alle seine Vorläufer hervorragenden Genie des Bösen ihren Abschluss finden. Nicht unbeachtet wollen wir schließlich lassen, wie Paulus und Johannes übereinstimmend an dem Antichrist seinen Untergang hervorheben (Vgl. 2Petr 2:1.3). Sein Triumph ist ein kurzer das Gericht ereilt ihn rasch. Der Mensch der Sünde ist notwendig und zugleich das Kind des Todes, der Sohn des Verderbens; indem Johannes vom Wiederemporkommen des Tieres redet, versäumt er nicht, sogleich hinzuzufügen, dass es ins Verderben hineinläuft (Offb 17:8.11).

Was nun die Erfüllung betrifft, so umfasst das Nichtsein des Tieres, wie schon angedeutet, die ganze christlich-germanische Zeit. Wer wollte aber verkennen, das bereits die Heilung der Wunde begonnen hat? Die Wiederkehr des Tieres wird sich wohl darstellen oder noch anbahnen in jenem Prinzip, das seit 1789 in wiederholten bestialischen Ausbrüchen sich manifestiert und immer weiter entwickelt und ausgebreitet hat. Die Revolution, der dieselbe sanktionierende napoleanische Despotismus, welcher zugleich den Beweis liefert, dass das Tier auch in dieser Gestalt noch die Hure tragen kann, der Sozialismus und Kommunismus sind Erscheinungsformen dieser Richtung, deren weitere Entfaltung wir zu gewärtigen haben. Noch sind Staaten und Kirchen bemüht das Ungeheuer niederzuhalten; aber es hat schon mehr als einmal seine fletschenden Zähne gezeigt und bewiesen, dass ihm das Leben zurückkehrt. Wie lange seine Entwicklung währen oder wie rasch sie sich vollziehen, welche Formen sie noch durchlaufen, wann das siebte Reich ins achte übergehen wird, das weiß kein Mensch, Gott weiß es. Uns gebührt es nicht, zu wissen Zeit und Stund, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat (Apg 1:7); wohl aber gebührt uns, das Wort unseres Herrn zu beherzigen: Könnt ihr denn nicht die Zeichen der Zeiten beurteilen(Mt 16:3)?

Das andere Tier, der falsche Prophet

Das Tier hat einen geistigen Bundesgenossen an einem zweiten Tier, dessen Beschreibung sich Offb 13:11-18 unmittelbar an die des ersten anreiht, das auch Offb 16:13 in Verbindung mit ihm und dem Drachen vorkommt, und am Ende (Offb 19:20; Offb 20:10) sein fürchterliches Schicksal teilt. An den drei letzten Stellen kommt dieses zweite Tier nur unter dem Namen Pseudoprophet vor, welcher im 13. Kapitel nicht steht; dass aber derselbe identisch sei mit dem zweiten Tier, wird aus einem Vergleich von Offb 19:20 mit Offb 13:13f. sogleich klar. Wenn wir erst jetzt von dem falschen Propheten reden, so geschieht das deswegen, weil seine Wirksamkeit ausdrücklich in die Zeit verlegt wird, wo die Todeswunde des Tieres geheilt und dasselbe wieder aufgelebt ist (Offb 13:12.14). Wohl gab es auch schon in den frühesten Zeiten der Kirche falsche Propheten und Lehrer (1Jo 4:1 πολλοὶ ψευδοπροφῆται ἐξεληλύθασιν εἰς τὸν κόσμον, vgl. Offb 2:20: Ἰεζάβελ ἡ λέγουσα ἑαυτὴν προφῆτιν καὶ διδάσκει καὶ πλανᾷ τοὺς ἐμοὺς δούλους, und 2Petr 2:1); aber wie wir gesehen haben, dass Petrus, Paulus und Johannes in den gnostischen Irrlehrern ihrer Zeit Vorbilder und Vorläufer der gefährlichsten Entfaltung des Irrtums und der Verführung in der letzten Zeit sahen, so weissagt die Apokalypse die Wirksamkeit des falschen Propheten auf die ?? die Tage der Wiederkehr des Tiers, ganz übereinstimmt auch mit dem Herrn selbst, der auf die Zeit der letzten Trübsal dieselbe Erscheinung in Aussicht stellt, die er nur ihrer Mannigfaltigkeit nach im Plural bezeichnet (πολλοὶ ψευδοπροφῆται ἐγερθήσονται Mt 24:11.24).

Daniel, dessen vier Tiere wir in dem ersten apokalyptischen zusammengefasst fanden, hat eine Tiergestalt, die dem Pseudopropheten entspräche, nicht. Dagegen schreibt er seinem antichristlichen Horn neben dem Lästermaul, das wir an dem ersten Tier der Apokalypse wiederfinden, auch noch Menschenaugen zu, denen an diesem ersten Tier nichts entspricht. Vielmehr ist, was durch sie angedeutet wird, Klugheit, Erkenntnis, Verstandeskultur, in der Offenbarung durch den Pseudopropheten ausgedrückt. Man sieht hieraus, wie recht wir hatten, dieses Moment oben stark zu betonen: in der Offenbarung Jesu Christi selbst erscheint es so wichtig, dass ihm eine eigene, zweite Tiergestalt gewidmet wird. Das erste Tier ist also ein physische, politische, das zweite eine geistige Macht, die der Lehre, der Bildung und Erkenntnis, der Ideen. Dies geht neben dem Namen (vgl. 2Petr 2:1 ψευδοπροφῆται) schon daraus hervor, dass das erste Tier aus dem wogenden Meer aufsteigt, das zweite a u s der E r d e, welche, wie wir wissen, die schon geordnete kultivierte Welt bezeichnet. Beide aber sind von unter her, beide sind T i e r e, darum halten sie so getreulich zusammen: es ist die weltliche, widerchristliche Weisheit im Dienst der weltlichen, widerchristlichen Macht. Wie Jesus die Wahrheit und das Leben ist, so ist Satan Mörder und Lügner zugleich (Joh 8:44), der Drache ist sowohl Löwe als Schlange, seine Rüstung große Macht und viel List.

Das zweite Tier hat zwar z w e i H ö r n e r gleich dem L a m m e, d. h. zwei Hörner, welche ihrer Gestalt nach den sieben Hörnern des Lammes (Offb 5:6) gleichen, also von den zehn Hörnern des ersten Tieres verschieden sind; aber es r e d e t gleich dem D r a c h e n. Das ist ein Zug, der auffallend an die Schilderung erinnert, welche der Herr in der Bergpredigt schon von den falschen Propheten macht; sie kommen in Schafskleidern, inwendig aber sind sie reißende Wölfe (Mt 7.15). Der allgemeine Gegensatz von Schaf und Wolf wird in der Offenbarung nur näher bestimmt; denn das Lamm im Gegensatz zum Drachen ist Christus im Gegensatz zum Teufel. Das macht die antichristliche Weisheit so gefährlich, dass sie im Namen des Christentums auftritt: sie gibt sich als zeitgemäße Stütze desselben aus, sie behauptet es auf seinen vernünftigen, geistigen Ausdruck zu bringen, sie will selbst das geläuterte, reinere Christentum sein. Das gibt ein Irrwesen (?? V. 14) ein Durcheinander von Standpunkte, Meinungen, Richtungen, dass viele garnicht mehr wissen, woran sie sind, und woran sie sich zu halten haben.*)

*) Chr. H. Z e l l e r im Monatsblatt von Beuggen, 1846; S. 6 "Der Abfall wird für die meisten unmerklich anfangen, wie eine Saat, anfangs einen christlichen Schein haben und dem Christentum ähnlich sehen, wie der Lolch dem Weizen, ja sich wohl gar für das reine oder allein wahre Christentum ausgeben, aber nach und nach, und je mehr es sich ausbreitet, sonderlich je mehr er an Massen und weltlicher Macht zunimmt, dem wahren Christentum immer unähnlicher sich enthüllen, ja zuletzt dasselbe verkaufen, verraten, bekämpfen und verfolgen, und endlich sich ganz von demselben lossagen und es verwerfen."

Der Pseudoprophet hat eine gewisse Verwandtschaft mit der Hure: wie er von unten her, von seinem durch und durch weltlichen Standpunkt aus, als Tier, doch göttliche Lammesart an sich haben will, so sinkt die Hure, obwohl sie ihrer ursprünglichen Natur nach Weib ist, also Gott angehört, ins Weltwesen herunter. Es ist beide Male eine Vermischung von Weltlichem und Göttlichem, aber auf entgegengesetzte Art. Die Hure geht vom Göttlichen, Christlichen aus und eifert für dasselbe, aber weil sie daneben nach dieser Welt trachtet, so wird ihr das Heilige und Ewige am Ende zum bloßen Mittel, zum leeren Buchstaben, zur äußeren Verbrämung; sie hat christliche Formen, christliche Lehre, christliche Namen, aber Kraft und Zucht, Geist und Wesen verleugnet sie. Umgekehrt ist und bleibt der falsche Prophet ein Tier, der Boden und Ausgangspunkt seiner ganzen Denkart ist widergöttlich, irdisch, psychisch, teuflisch (Jak 3:15). Darum behauptet er, an den Formen und Dogmen des Christentums sei nichts gelegen, nur auf die Grundideen komme es an. Unter diesem Vorwand aber beseitigt er alles am Christentum, was nicht dieser Welt angehört, die wunderbaren Heilstatsachen, die überirdischen Lebenswurzeln und Ziele, kurz gerade das Wesen. Er zieht das Göttliche ganz ins Weltliche herab, während die Hure das Weltliche mit dem zu Schein und Lüge gewordenen Göttlichen umgibt und verbrämt. Beide Formen des Abfalls können sich unter Umständen nahe berühren, aber dem Wesen nach sind sie ebenso verschieden, wie etwa das Pfaffentum und der dasselbe verspottende Voltaire. Auch hier ist wieder darauf hinzuweisen, dass die Apokalypse unterscheidet, was die übrigen Weissagungen des N. T. noch zusammen schauen. Dies Zusammenschauen war auf dem Standpunkt der Apostel sehr natürlich; denn die judaistischen Gnostiker, wie sie z. B. Paulus in seinen späteren Jahren vor sich hatte, vereinigten wirklich noch beide Elemente in sich. Ihr Judaismus mit seinem äußerlichen Formen- und Satzungswesen war ein Vorbild der Hure, hat man doch oft und viel in den Ehe- und Speiseverboten, die der Apostel von Seiten der Irrlehrer in Aussicht stellt, eine Weissagung auf den Katholizismus gefunden (1Tim 4:1-3; Kol 2:16.17.30-23); ihr Gnostizismus dagegen mit seiner spirituellen und idealistischen Verflüchtigung des Christentums, welche der einzigen, gottmenschlichen Würde Christi im ebionitischen oder doketischem Sinn Eintrag tat, die Auferstehung als schon geschehen behauptete und dgl., ist ein deutlicher Vorläufer des Pseudopropheten in seiner modernen Gestalt (Kol 2:8-10.18.19; 1tim 6:20.21; 2Tim 2:16-18; 1Jo 4:1-3)*) So wichtig es aber ist, dass wir hier in die gemeinsame Wurzel aller Formen des Abfalls hineinsehen so wollte doch der Herr seiner Gemeinde noch bestimmtere Aufschlüsse darüber geben, dass ihr von verschiedenen, ja entgegengesetzten Seiten her Gefahren drohen und das ist in der Offb. Joh. geschehen.

*) Wie B a u r gezeigt hat, indem er in seiner "christlichen Gnosis" die Parallelen zwischen den alten, gnostischen und den modern spekulativen Systemen nachwies, eine Idee, welche T h i e r s c h in seinem "Versuch zur Herstellung des historischen Standpunkts" nur weiter verfolgte und anwendete.

Betrachten wir nun näher die Wirksamkeit des zweiten Tieres, so finden wir es durchaus im Gefolge des ersten und darauf bedacht, auf geistigem Weg die Vergötterung und Anbetung desselben unter den Menschen zu wirken. Dem ersten Tier hat der Drache seine äußere Macht gegeben (Offb 13:2), dem zweiten gibt er seinen Geist, dass es aus diesem Geist heraus r e d e t wie der D r a c h e (V. 11). Eine Drachensaat also ist es, die hier ausgestreut wird; und der Teufel hat sein Werk in allen Kindern des Unglaubens, welche dieser falschen Weisheit huldigen (vgl. Offb 12:12; Eph 2:2). Eben darum tritt der Pseudoprophet besonders da hervor, wo die Weltmacht ihr höchste, dämonische Steigerung beginnt, beim Wiederaufleben des Tiers in der letzten Zeit. Da v e r f ü h r t er a l l e, die i r d i s c h gesinnt sind, τοὺς κατοικοῦντας ἐπὶ τῆς γῆς wie es Offb 13:12.14 wiederholt heißt mit einem in der Apokalypse häufigen, charakteristischen Ausdruck, welcher das Eingewöhnt-, Eingebürgertsein auf Erden, seine Heimat hier untern haben bezeichnet, was sonst Johannes von der Erde, von untern her, von dieser Welt sein nennt. (Joh 3:31; Joh 8:23; 1Joh 4:5) im Gegensatz zu dem von oben geboren und in den Himmeln heimisch sein (Joh 3:7; Offb 12:12; Offb 13:6). Der falsche Prophet verführt die Erdenbewohner zur A n b e t u n g des T i e r s, und seine Verführung gelingt ihm wirklich bei der großen Mehrzahl. (V. 12.14). Das B i l d, das dem Tier auf seinen Antrieb gemacht wird (V. 14), und wozu ohne Zweifel die Bildsäulen der römischen Kaiser, denen man göttliche Verehrung erwies, die historische Unterlage sind, bezeichnet die Vergötterung der Welt und Weltmacht. Der Kultus des Genius wird dann seine abschließende Spitze erreichen.

Und wenn der Pseudoprophet diesem Bild Geist einhaucht, dass es redet (V. 15), so ist das eine äußerst treffende Bezeichnung dafür, wie die falsche Lehre dem törichten Götzendienst der Kreaturvergötterung ein geistiges, vernünftiges, philosophisches Gepräge zu geben weiß: der Weltgeist mit seinen Offenbarungen ist dieser tote und doch wieder Leben atmende Götze, vor dem alle Welt sich beugt, und als dessen Personifikation der Antichrist gelten wird. Es ist das neue, in Natur- und Menschenvergötterung zurücksinkende Heidentum, von welchem nicht vorauszusagen ist, welche Formen der Torheit und Tierheit (Röm 1:22f.) es noch annehmen wird. Auch W u n d e r k r ä f t e werden ihm zu Gebote stehen, wie das gleichermaßen Jesus und Paulus bezeugen (Mt 24:24; 2Thes 2:9). Es bezieht sich das nicht bloß auf die Wunder der Naturbeherrschung, die dem Menschengeist gelungen sind, weil er sich selbst die Ehre davon nimmt: sondern wir haben wohl auch allerlei dämonische Wunder zu erwarten, außerordentliche, geheimnisvolle Wirkungen der Lügenkräfte, wie sie z. B. auch den ägyptischen Zauberern zu Gebote standen.

Ist schon hierdurch die Verführung eine sehr gefährliche, so kommt dazu noch der äußere Zwang, der auch in den ersten Christenverfolgungen sein Vorbild hat, und der darin besteht, dass aller öffentliche Verkehr durch die Annahme des M a l z e i c h e n s des T i e r e s bedingt sein wird, ja dass alle, welche nicht der antichristlichen Weltmacht huldigen, werden getötet werden (V. 15-17) Hiermit ist also deutlich eine Verfolgung aller wahren Gläubigen in der letzten Zeit geweissagt, und zwar in der Weise, dass sie wirklich in die Hand des Antichrists dahingegeben werden, wie das auch schon Daniel (Dan 7:21.25) und Jesus selber (Mt 24:9) bezeugt haben. Wenn einmal die Entchristianisierung der Reiche dieser Welt weiter vorgeschritten ist, wird die Gemeinde Gottes wieder in einen Zustand kommen, wie er in den drei ersten Jahrhunderten stattfand, als das Weltreich noch heidnisch war. Es wird eine freie, aber zugleich eine vogelfreie Kirche werden. Nur wird die Feindschaft raffinierter sein als in jenen ersten Zeiten: es sind unverkennbar die Züge des Fanatismus, die wir an dem Pseudopropheten wahrnehmen (V. 12ff.) Die Träger der gottfeindlichen Ideen werden sich freuen, dass sie endlich ihren Mut zeigen können an den Christen, die ihnen so lang im Weg standen und sie quälten (Offb 11:10). Für die Gemeinde aber ist das die letzte Erprobung: sie muss, gleich ihrem Herrn und Meister, durch Leiden vollendet, sie muss aufs Tiefste erniedrigt werden, muss ihr Blut und Leben lassen; dann aber wird auf ihre Passionszeit ein überaus herrliches Ostern folgen.

Niemand, der mit erleuchtetem Auge in die zuletzt verflossenen beiden Jahrhunderte hineinblickt, wird leugnen, dass auch die Weissagung vom Pseudopropheten sich schon mächtig zu erfüllen begonnen hat. Als in den ersten Jahrhunderten nach Christo allmählich immer mehr unbekehrtes Heidentum in die Kirche eindrang, war das nächste Produkt dieser Vermischung von Christlichem und Heidnischem der Katholizismus. Als nun die Reformation das Band löste und das reine Christentum wiederherstellte, so war es natürlich, dass in den folgenden Jahrhunderten auch das Heidentum immer reiner, nackter und unverhüllter hervortrat und das Christentum aufs neue, nur jetzt zunächst mit geistigen Waffen bekämpfte. Das unchristliche Wesen,das früher äußerlich christianisiert war, trat und tritt jetzt immer mehr n seinem antichristlichen Charakter hervor, und zwar eben als Pseudoprophetentum, als Irrlehre, als die geistige Macht verführender Ideen, die auf einer im Prinzip falschen und widergöttlichen Weltanschauung ruhen, aber unter dem Namen der Philosophie, der Aufklärung und Kultur um sich fressen wie der Krebs (2Tim 2:17). Es ist Tatsache, dass das Wiederaufleben und die neue Macht des Tieres, wovon oben die Rede war, hervorgerufen, begleitet und getragen ist von der Wirksamkeit des falschen Propheten, ganz wie es Offb 13:12ff geschildert wird. Es ist offenkundig, dass das philosophische Prinzip der Autonomie des Menschengeistes und das entsprechende theologische Prinzip des Nationalismus, dass Idealismus und Materialismus, Deismus, Pantheismus und Atheismus nichts anderes sind als Ausgeburten eines Geistes, dessen Wesen ist Abfall von den ersten Prinzipien des Christentums, Lossagung von dem lebendigen, heiligen Gott, Vergötterung der Kreatur d. h. genau das, was die Apokalypse die Anbetung des Tieres nennt. Ist doch vielfach selbst im buchstäblichen Sinne "jetzt Bestialität das Ideal der Denker."

Aber auch, wo es nicht zu diesem Äußersten kommt, ist das Pseudoprophetentum mächtig genug. Was heutzutage Tausende vom Christentum abhält und andere Tausende nicht zum vollen, ganzen Christentum durchbrechen lässt, das ist der Respekt vor den geistigen Mächten, welche die Zeit beherrschen vor der modernen Wissenschaft und Bildung. Das Übelste jedoch ist, dass kaum jemand den Schaden in seiner ganzen Tiefe erkennt. Denn darin bestand schon im A. B. die Haupttätigkeit der falschen Propheten, dass sie das Volk glauben machten, es stehe nicht so schlimm, die Gerichte Gottes seien noch nicht so nahe. Der oft wiederholte Grundvorwurf gegen sie ist: "sie heilen den Schaden der Tochter meines Volkes leichthin und sprechen: Friede, Friede, und ist doch kein Friede!" Darum hat besonders Jeremia der das hereinbrechende Gericht über Jerusalem erlebte, wider das falsche Prophetentum zu kämpfen (s. Jer 4:9; Jer 6:13-15; Jer 8:10ff.; Jer 14:13ff. Jer 23:9-40; vgl. auch Hes 13). Es ist nicht gut, dass unsere Theologie es fast ganz versäumt, die gegenwärtige Zeit unter die Gesichtspunkte der Weissagung zu stellen, dass, während in allen Zeitbetrachtungen und Geschichtswerken von dem modernen Antichristianismus die Rede ist, man es dem Laienverstand überlässt, dabei an den Antichrist und überhaupt an das prophetische Wort zu denken. die Apostel wenigstens sind hierin ganz anders verfahren. Aber jetzt gilt es als unwissenschaftlich, den vorliegenden Tatbestand beim rechten Namen zu nennen; für wissenschaftlich dagegen, mit den pseudoprophetischen Ideen einen Bund zu schließen. Man gesteht Vielem kühl und ruhig eine wenigstens theoretische Berechtigung zu, wogegen Apostel und Propheten ihre Zeugenstimme nicht laut genug zu erheben gewusst hätten.

Wer fühlt es doch nur tief genug, welche Verkommenheit und Torheit der Pantheismus voraussetzt, wie tief ein Zeitalter herabgesunken sein muss, dem das als die höchste Weisheit, als das Resultat der ganzen Weltgeschichte geboten werden darf! Auch bei den besser Gesinnten hat sich gar manches von dem pseudoprophetischen Geist eingeschlichen und eingenistet. Viele seiner Ideen sind auf den verschiedensten Gebieten des Lebens und Wissens schon fast zu Axiomen geworden, so dass es oft schwer, ja fast unmöglich ist, dem Irrtum auf die Wurzel zu kommen, Wahrheit und Lüge zu scheiden. Besonders fehlt es am Anfang der Weisheit, an der Furcht Gottes und an der Furcht vor seinem Wort (Jes 66:2). Damit geht naturgemäß die innere Zerstörung der zartesten und ursprünglichsten Gewissenstriebe Hand in Hand. Man wird gegen die dem Allerhöchsten zugefügten Majestätsbeleidigungen, die Er furchtbar rächen will, abgestumpft, und dadurch verliert auch das moralische Urteil seine Schärfe und Kraft. Auch die Christen selbst machen so einfach Nebensachen zur Hauptsache und meinen das Unkraut mit der Wurzel ausgerottet zu haben, wenn ihm die Schösslinge abgeschnitten sind. Wir leben alle in einer vergifteten Luft. Es kann auch ein ganzes Geschlecht mit Blindheit geschlagen werden. Die Propheten reden von einem Geist des Schlafes und der Betäubung, der über das gesamte Israel, auch über Propheten, Fürsten und Sehe, ausgegossen sei, und zwar als Strafverhängnis von Gott (Jes 29:10). Ebenso weissagen Jesus und Paulus kräftige Irrtümer, die Gott denen senden werde, welche die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, und durch die, wo es möglich wäre, auch die Auserwählten verführt werden (Mt 24:24; 2Thes 2:10-12). Darum gilt es, dem zweiten Tier Weisheit entgegen zu stellen, wie dem ersten Geduld und Glauben (Offb 13:18.10).

Das Gericht der Kirche und Welt

Das ist also nach der Offenbarung, welche Jesus Christus selbst von seinem himmlischen Thron herab dem Apostel Johannes gegeben hat, das furchtbar düstere Resultat der Kirchen- und Weltgeschichte, dass die Kirche zur Hure, die politische Kirchen- und Weltmacht zum antichristlichen Tier, die Weltweisheit und Weltbildung zum falschen Propheten geworden ist. Dieses Resultat ist uns freilich eine harte Rede, es geht streng an den Mann; aber es ist so, und es hilft nichts, wenn wir uns dagegen auf unsere weniger finstere Weltbetrachtung berufen. Das Büchlein soll und will uns, wie den Johannes, im Bauch grimmen (Offb 11:9.10). In dreifacher Gestalt, in der Verkehrung der drei Ämter Christi stellt sich das Antichristentum dar; denn unschwer erkennt man wie im zweiten Tier das falsche Königtum und in der Hure das falsche Priestertum. Das Tier, können wir auch sagen, ist die leibliche, der falsche Prophet die seelische oder die sogenannte geistige, die Hure die geistliche Macht des Widerchristentums. So ist nichts Zufälliges in der Weissagung, sondern es sind die wesentlichen und notwendigen Grundformen des Abfalls, welche uns die Apokalypse vorführt, und eben hierin erweist sie sich in ihrer göttlichen Wahrheit. Auch für die Geschichtsbetrachtung bietet dieses Wort der Offenbarung immer neue Aufschlüsse und Gesichtspunkte dar. Die antichristlichen Mächte treten nacheinander hervor, und das Vorherrschen je einer derselben charakterisiert die verschiedenen Hauptperioden der Kirchengeschichte. Die alte Kirche steht noch unter der Herrschaft der Tieres, der heidnischen Weltmacht, die mittlere Zeit ist von der Hure, die neuere vom falschen Propheten beherrscht. Aber das Wesen der letzten Zeit ist es, dass alle diese gottwidrigen Mächte, welche nacheinander hervorgetreten sind, zusammen wirken und sich gegenseitig zur höchsten, fürchterlichsten Entfaltung ihres Wesens steigern: der falsche Prophet bewirkt die Anbetung des Tieres, und das Tier trägt die Hure.

Tritt also das Antichristentum in dreifacher Gestalt: so ist es auf der anderen Seite ein ebenso lichtreicher Blick in das Wesen der die Geschichte bewegenden Mächte, dass die drei Grundformen des Abfalls auch wieder auf zwei reduziert sind. Denn der falsche Prophet ist ja auch ein Tier, und die beiden Tiere stehen gemeinsam, als die verschiedenen Äußerungen eines Prinzips, die tierischen, der Hure gegenüber. Es ist der alte, danielische Gegensatz von Tier und Mensch, von Weltreich und Gottesreich. Auch das Gottesreich, die Kirche isst verweltlicht, das Weib ist Hure geworden. Die Tiere aber sehen ihrer Natur nach zur Erde nieder, ihr Gott ist die Welt; von diesem reinen Weltprinzip repräsentiert das erste Tier die äußere, physische, das zweite die innere, geistige Seite. Beide gehören so wesentlich zusammen, wie Leib und Seele; beide werden daher auch immer miteinander genannt und schließlich miteinander gerichtet, während über die Hure ein besonderes Gericht ergeht. So führt also der Abfall in letzter Instanz auf zwei Prinzipien zurück, das Hurenwesen und das Tierwesen, die abgefallene Kirche und die abgefallene Welt, Pseudochristentum und Antichristentum.

Hier findet also auch der alte Streit, ob der Abfall in seiner letzten Gestalt mehr pseudochristlicher oder antichristlicher Art sein werde, (vgl. L ü c k e . Kommentar über die Briefe des Johannes, S. 190ff.) eine einfache Lösung. Er wird in der Vereinigung des Pseudochristentums mit dem Antichristentum bestehen, welche die Apokalypse durch das Sitzen der Hure auf dem Tier ausdrückt. Das Resultat der christlichen Geschichte ist ein Zustand dieser Unwahrheit und Lüge. Die Völker sind innerlich vom Christentum abgefallen, aber die Kirche hat sich äußere Anerkennung zu verschaffen gewusst und beherrscht dieselben noch, gestützt auf die weltliche Macht, welche wiederum die Kirche als Mittel für ihre Zwecke braucht. Das ist das Bild der ihrem Gericht entgegengehenden Christenheit, wie uns Offb 17:3 vor die Augen gemalt wird. Das heutige, napoleonische Frankreich z. B. ist geeignet, uns die Möglichkeit dieses unmöglich Scheinenden anschaulich zu machen. Nur dürfen wir uns dies Lügenwesen nicht bloß so in seiner äußerlichen, kirchlich-politischen Gestaltung denken, wo es ziemlich groß hervortritt; sondern vorzüglich auf feinere, geistige Weise mischt sich auf allen Lebensgebieten Scheinchristentum und Widerchristentum, Aberglaube und Unglaube ineinander und verstellt sich der Satan zum Engel des Lichts ("Kor 11:13.14). Dieser Bund der Hure und des Tiers ist nichts Neues. Er tritt am Ende der neutestamentlichen Zeit nur ebenso hervor, wie er am Ende der alttestamentlichen hervorgetreten ist. Das abgefallene Israel, welches dazumal die Hure war, verbündete sich, seinen Unglauben in heiligen Eifer kleidend, mit der heidnischen Weltmacht wider Jesum und seine Apostel. "Auf den Tag wurden Pilatus und Herodes Freunde miteinander; denn zuvor waren sie einander feind" (Lk 23:12).

Paulus musste in Thessalonich die Gemeinde der Gläubigen ebenfalls von den Juden an die Heiden verraten sehen (Apg 17:5-9), und es geschieht wohl mit aufgrund dieser Tatsache, in welcher das Sitzen der Hure auf dem Tier so augenscheinlich sich ausprägt, dass er nach der bekannten Stelle des zweiten Thessalonicherbriefs (2Thes 2:7) bereits das Geheimnis der Bosheit sich regen sieht, von dem er also ganz dieselbe Anschauung hat wie die Apokalypse.*) Es zogen auch diese Gräuel der Juden die römische Zerstörung Jerusalems, d.h. das Gericht der Hure durch das Tier herbei (Dan 9:26.27), sowie jetzt wiederum am Ende der neutestamentlichen Zeit die Hure durch das Tier gerichtet werden soll.

*) Vgl. B a u m g a r t e n, Apostelgesch. II, 1, 311ff. Merkwürdig ist in dieser Beziehung ein Vergleich der T h e s s a l o n i c h e r - und der P a s t o r a l b r i e f e, der ersten und letzten Sendschreiben des Apostels, welche beide für die Eschatologie in den Beziehungen, um welche es sich hier für uns handelt, von besonderer Bedeutung sind. Beide stimmen in ihren Aussagen von dem der Gemeinde Gottes selbst bevorstehenden Abfalle ganz überein ( ἀποστασία, 2Thes 2:3 ἀποστήσονταί 1Tim 4:1) Aber in den Thessalonicherbriefen, welche einer früheren Zeit angehören, ,wo das Verderben in die christliche Kirche selbst noch nicht eigentlich eingedrungen war, ist der geschichtliche Hintergrund, auf welchem jene Weissagung sich erhebt, die Wahrnehmung des Unglaubens und Abfalls der alttestamentlichen Gottesgemeinde (1Thes 2:14-16). In den Pastoralbriefen dagegen knüpft sich die Weissagung an die gnostische Verführung an, welche unterdessen in der neutestamentlichen Gemeinde selbst Eingang gefunden hat.

Dann treten wir nun der Beschreibung des Gerichtes (Offb 17-19) näher, so fällt auf den ersten Blick der Unterschied auf, dass zuerst die Hure gerichtet wird, und zwar durch das Tier mit seinen Königen, dann erst die Tiere mit ihrem Anhang durch die Parusie Christi selbst. Es ist vorzüglich unsere Aufgabe, die hierin sich ausdrückenden Grundideen hervorzuheben; über das Einzelne wird wenig zu sagen sein, da es teils im Bisherigen schon seine Erklärung gefunden hat, teils als der Zukunft angehörig seiner näheren Erklärung überhaupt noch warten muss.

1.) Dass die H u r e zuerst g e r i c h t e t wird, ist nicht nur dem allgemeinen Grundsatz gemäß, dass das Gericht anfangen soll am Hause Gottes (Hes 9:6; 1Petr 4:17); sondern es handelt sich dabei zugleich einfach um die Herstellung der tatsächlichen Wahrheit. Was nämlich dann im Grunde allein noch existiert, als existieren anerkannt wird, das ist die Welt; denn auch die Kirche buhlt ja nur noch um ihre Gunst, auch für die Kirche ist sie die einzige Realität . Darum hat die Kirche als Kirche kein Recht mehr zu existieren; es muss ihrem Heuchel- und Lügenwesen ein Ende gemacht werden. Gegen eine solche Kirche muss die Welt recht behalten. Darum wird die Hure nicht durch den Herrn selbst, sondern durch das Tier und seine Könige gerichtet (Offb 17:13.16.17). Dies geschieht ganz nach demselben Reichsgrundgesetz Gottes, welches wir schon im A. T. überall hervortreten sehen, dass nämlich die hurerische Gemeinde eben in die Hände der Weltmacht hingegeben wird, mit welcher sie gebuhlt hat. Ägypten ist dem Haus Israel ein Rohrstab, welcher, wenn sie ihn in die Hand fassen, so bricht er und schlitzt ihnen die ganze Schulter, wenn sie sich aber darauf lehnen, so zerbricht er und spießt ihnen die ganzen Lenden (Hes 29:5.6; Jes 36:6). So ist Israel für seine Hurerei mit Assur und Babel ins assyrische und babylonische Exil gewandert; für seine Hurerei mit den Römern ist Jerusalem von Titus zerstört und das Volk abermals unter die Heiden zerstreut worden. Ebenso wird nun die Kirche, weil sie mit der Weltmacht, auch noch mit der abgefallenen, gehurt hat, statt wider sie zu zeugen, von eben dieser Weltmacht gerichtet. Es wird die Zeit kommen, wo die irdischen Machthaber die Kirche als Mittel für ihre Zwecke nicht mehr zu bedürfen glauben; dann werden sie das heuchlerisch getragene Joch derselben abschütteln und ihrem Hass freien Lauf lassen und werden die Hure wüst machen und nackt und werden ihr Fleisch (τὰς σάρκας αὐτῆς plur. zur Bezeichnung der Fülle fleischlichen Wesens, darin die Kirche versunken war) essen und sie selbst werden sie mit Feuer verbrennen (Offb 17:16). Dieses Gericht über die Hure wird nun nach seinen verschiedenen Seiten Offb 18:1 - Offb 19:5 näher beschrieben, zuerst durch einen mächtigen Engel (Offb 18:1-3, dann durch eine andere Stimme von Himmel V. 4-10; hierauf noch einmal durch einen starken Engel V. 21-24, woran sich Offb 19:1-5 wieder himmlische Stimmen schließen, welche gott für das vollbrachte Gericht preisen. Über die näheren Hergänge desselben etwas zu bestimmen, ist jetzt noch unmöglich.

Die Hochzeit des Lammes

Der schon früher betrachtete Abschnitt Offb 19:6-10, welcher schildert, wie durch die Vernichtung der Hure nunmehr der E h r e n t a g des W e i b e s, seine R e c h t f e r t i g u n g und seine H o c h z e i t gekommen sei, bildet den Übergang zum Folgenden. Denn mit dem Gericht über den Antichrist (V. 11-21) und dem Anbruch des tausendjährigen Reiches (Offb 20:1ff.) beginnt das Hochzeitsmahl des Lammes (Offb 19:9), an welchem der Herr mit seiner Gemeinde sich völlig vermählt, jenes selige Ereignis, von welchem er selbst in seinen Fleischestagen schon so oft geredet hat (vgl. Mt 22:2; Mt 25:10; Lk 14:16; Lk 22:18.30). Als Johannes diese herrliche Verheißung für die Gemeinde der Gläubigen vernimmt, will er sich, hingenommen von dankbarer, anbetender Freue über diese entzückenden Aussichten, d e m E n g e l, der mit ihm redet, zu F ü ß e n werfen (Offb 19:10). Dasselbe wiederholt sich später unter ganz ähnlichen Umständen, nachdem ihm das neue Jerusalem und damit die ewige Herrlichkeit der Gemeinde gezeigt worden ist (Offb 22:8f.). Beide Male geht also dem anbetenden Niederfallen des Apostels eine herrliche Verheißung für die Gemeinde voran, welche beide Male durch die Versicherung, diese Worte seien wahrhaftig, und durch die Seligpreisung derer, die sich daran halten, bekräftigt wird (Offb 19:9: Offb 22:6.7). So bildet diese Äußerung einer tiefen Gemütsbewegung bei Johannes einen charakteristischen Gegensatz zu jener oben besprochenen gewaltigen Verwunderung (Offb 17:6): da, wo es sich um das Schicksal der Gemeinde handelt, kann der Sehe seine innige Teilnahme nicht zurückhalten; er staunt beim Anblick ihres tiefen Falles, er betet an bei der Wahrnehmung ihrer hohen, künftigen Herrlichkeit.

2.) Ein zweites Regierungsgesetz Gottes, das wir schon bei den Propheten überall finden, ist nun aber, dass auch die Weltmacht, deren sich Gott als Zuchtrute wider seine abgefallene Gemeinde bedient hat, gerichtet wird. So weissagt z. B. Zephania, der in seiner kleinen Schrift den ganzen göttlichen Reichsgang überschaut, im 1. Kap den Tag des Zorns über Juda und Jerusalem, im 2. die Bestrafung der Heiden, der Feinde und des Volkes Gottes. So schließt Jeremia sein Buch, dessen Hauptinhalt das durch Babel an Jerusalem zu vollstreckende Gericht bildet, mit jener majestätischen Verkündigung des Falles Babels selbst, welche Kap 50 und 51 zu lesen ist. Ebenso finden wir nun in der Apokalypse an das Gericht über die Hure Offb 19:11ff. das über die antichristliche Weltmach angeknüpft.

Indessen tritt die Herabkunft Christi zum Gericht ber den Antichrist und zur Verherrlichung seiner Gemeinde zeitlich wohl nicht unmittelbar nach der Vollziehung des Gerichts über die Hure ein, sondern es folgt noch eine kurze Zwischenperiode, die eigentliche T r i u m p h z e i t des a n t i c h r i s t l i c h e n R e i c h e s, jene Zeit, in welcher Wohlleben, der Erdensinn und die Sicherheit aufs Höchste steigen, und welche Jesus und die Apostel so oft als der Zukunft des Herrn unmittelbar vorangehend schildern. Hier schließt sich nun auch wieder Daniel unmittelbar an die Offb. Joh. an; denn mit der Beseitigung der Hure und der darin sich manifestierenden völligen Heilung der Todeswunde des Tieres ist das Mittelstück zu Ende, welche die neutestamentliche Apokalypse vor der alttestamentlichen voraus hat. Auch Daniel schaut diese letzte Steigerung der antichristlichen Macht: es sind die 3 1/2 Zeiten, von denen er Dan 7:24.25 redet, und die wir vielleicht mit den 3 1/2 Tagen, wo die zwei Zeugen in den Tod dahin gegeben sind (Offb 119), identifizieren dürfen.

Es ist nämlich diese letzte Zeit zugleich die Zeit der heftigsten C h r i s t e n v e r f o l g u n g (Offb 13:15-17). Das wahre Volk Gottes, das Weib ist ja nicht mit der Hure zugrunde gegangen, sondern es hat zuvor den Befehl erhalten, bei den hereinbrechenden Gerichten von Babel auszugehen, damit es nicht durch die letzte Steigerung der babylonischen Sündengräuel noch mit befleckt und so auch mit ins Verderben hineingezogen werde (Offb 18:4); ganz so, wie einst der Herr seinen Jüngern befohlen hatte, zu fliehen, wenn in Jerusalem und im Tempel der Verwüstungsgräuel zu sehen sei (Mt 24:15.16). Das ist also die erste Rechtfertigung des Weibes gegenüber von der Hure, dass es nicht mit ihr gerichtet wird. Aber dies isst nur eine negative Rechtfertigung; die positive, die wirkliche Verherrlichung, muss noch in einem heißen Kampf erstritten, der eigentliche Eingang ins Reich Gottes kann nicht ohne diese Trübsale erlangt werden. Diese letzte und schwerste Not ist also für die Brautgemeinde nicht ein Gericht, wie solches über die Hure hereinbrach, sondern eine Läuterungszeit, durch welche ihr vollends alles abgestreift wird, was ihr noch von irdischem Wesen anhing. Sie lernt jetzt, wo alle Macht der Sichtbarkeit wider sie ist, ihre Hoffnung im vollen Sinne allein auf ihren unsichtbaren Herrn setzen, sie wird ganz Gebet um sein Kommen, und so ist sie im Tiegel der Trübsal innerlich vollbereitet für die jetzt hereinbrechende Herrlichkeit. Das Martyrium der letzten Zeit ist der Weg zur Verklärung, ja die schon beginnende Verklärung selbst (Offb 20:4). Ganz das Nämliche, was Jesus im johanneischen Evangelium von seinem eigenen Verklärtwerden und Hingehen zum Vater bezeugt, das bezeugt er in der Apokalypse von seiner Gemeinde und für dieselbe. Sie darf in der letzten Leidenszeit, wie ihr Meister in seinen Abschiedsreden, aufsehen und das Haupt emporheben, darum dass sich ihre Erlösung nahet (Lk 21:28).

Aber nicht bloß die Christen werden in dieser Zeit verfolgt, sondern auch d i e J u d e n. Denn diese haben wir ja, wie früher gezeigt, Dan 7:21.25 unter den Heiligen des Höchsten zu verstehen, die der Antichrist aufreibt, und denen er Festzeiten und Gesetz ändert. Es ist auch ganz natürlich, dass ein echter Israelit, welcher treu am Glauben seiner Väter festhält, den Götzendienst der Tieranbetung nicht mitmachen kann, und dass darum die wahren Israeliten so gut der antichristlichen Ächtung verfallen wie die wahren Christen. Dem neuen Heidentum gegenüber ist das alttestamentliche Gottesvolk wieder auf einen gemeinsamen Boden gestellt; die gemeinsame Not wird sie einander näher bringen und Israels Herz aufschließen. Das ist für die Christen eine große Freude und ein großer Trost, nicht nur, weil sie das Volk lieb haben, dem sie ihr Heil verdanken, sondern auch, weil das neue Leben, das unter Israel sich zu regen beginnt, eine weitere Bürgschaft für die nahe bevorstehende Erfüllung der Weissagungen ist. Es wird nämlich durch diese Vorgänge zwar die Bekehrung Israels, welche der Heidenapostel selbst (Röm 11.) so klar in Aussicht stellt, noch nicht unmittelbar bewirkt, aber sie wird doch angebahnt. Es ist jene tiefste Erniedrigung Israel, jene vollendete Zerbruch der natürlichen Kraft des heiligen Volkes (Dan 12:7), welche nach allen Propheten der Erhöhung desselben vorangehen muss, ja welche bei Israel ganz ähnlich wie bei den Christen schon der erste Schritt der Erhöhung selber ist. Denn in dieser tiefen Not lernen sie wieder ernstlich nach ihrem Gott und nach ihrem Messias zu fragen; und wenn sie ihn dann kommen sehen in den Wolken des Himmels, so begrüßen sie ihn auch als i h r e n Heiland und sprechen: Gelobt, sei, der da kommt im Namen des Herrn! (Mt 23:39). Wir werden unten hierüber noch näher zu reden haben.

Die Parusie Jesu Christi

3.) Wenn die Sicherheit der triumphierenden Weltmacht und die Not des Gottesvolkes aufs Höchste gestiegen ist: dann wird, wie ein Dieb in der Nacht, der H e r r J e s u s C h r i s t u s vom H i m m e l e r s c h e i n e n, dem ganzen bisherigen Weltlauf ein Ende machen und sein Reich der Herrlichkeit auf Erden errichten. Diese Erscheinung Christi ist also von der zum jüngsten Gericht wohl zu unterscheiden; sie ist es, welche uns die Apokalypse (Offb 19:11-21) und Daniel (Dan 2:34f., Dan 2:44f., Dan 7:9-14.26-27) einstimmig schildern; sie ist es, durch welche sich all das erfüllen wird, was die Propheten des A. B. von der messianischen Zeit des Friedens und Glückes weissagen; sie ist es, auf welche Jesus Mt 24:29ff. zum Unterschied von Mt 25:31ff. hinausschaut; sie ist es, welche die Apostel allezeit im Blick haben und in sehnsüchtiger Hoffnung erwarten. Der Ausdruck Parusie Christi*) bezeichnet im N. T. stets nur diese Zukunft, welche samt dem durch sie begründeten Reich Christi auf Erden (dem tausendjährigen) in der gesamten biblischen Denkweise eine viel größere Bedeutung hat als in der kirchlichen und modernen. Dass diese Erscheinung des Herrn eine sichtbare sein wird, ist nicht nur nach ausdrücklichen Stellen, wie Mt 24:27-31; Apg 1:11; Offb 1:7 kaum zu bezweifeln, sonder wird auch aus den großen, jedenfalls höchst sichtbaren Veränderungen wahrscheinlich, welche die ganze Weltgestalt durch sie erleiden wird; ja das Offenbar- und Sichtbarwerden Christi und seiner Gemeinde im Gegensatz zu ihrer bisherigen Verborgenheit in Gott ist geradezu die Grundbedeutung dieser Zukunft, wie sie Paulus Kol 3:3.4 ausspricht. Dieselbe hat einen doppelten Zweck: der Weltmacht bringt sie das Gericht, der Gemeinde die Erlösung, die Verklärung, die Weltherrschaft. Mit dem Gericht haben wir es hier zu tun, mit der anderen, positiven Seite im folgenden, vom tausendjährigen Reich handelnden Abschnitt.

*) In der Apokalypse kommt das Wort Wort παρουσία garnicht vor, in den Evangelien nur Mt 24:e in der Frage der Jünger und in der Antwort des Herrn (Mt 24:27.37.39), welcher immer den gen. τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου hinzufügt. Dagegen kommt das Wort in den Briefen sämtlicher Apostel außer Judas vor, meist mit dem gen. τοῦ υἱοῦ τοῦ: bei Paulus außer 1Kor 1:8.15.23, wo die Parusie ausdrücklich von dem mit dem dem Weltgericht anhebenden .. unterschieden ist, nur in den Thessalonicherbriefen (1Thes 2:19; 1Thes 3:13; 1Thes 4:15; 1Thes 5:23; 2Thes 2:1.8); sodann Jak 5:7.8; 2Petr 3:4.12; 1Jo 2:28.

Christus erscheint als der das Wort der Weissagung treu und wahrhaftig erfüllender Richter und König an der Spitze seines himmlischen Heeres, und nachdem Offb 19:11-16 diese Erscheinung, welche von entsprechenden, gewaltigen Naturereignissen begleitet sein wird (Offb 6:12ff; Offb 11:19; Mt 24:29f. Jes 13:6; Joe 3:3f.; Hag 2:7f.; Sach 14:5ff.), geschildert ist, wird nun V. 17-21 die V e r n i c h t u n g der a n t i c h r i s t l i c h e n Mächte, des T i e r s und des f a l s c h en P r o p h e t e n, beschrieben. Die höchste Spannung der Gegensätze in der letzten Zeit hat wie die Gemeinde für ihre Verherrlichung, so auch die antichristliche Welt für ihr Verderben ausgereift. Bei jener wird der Tod des Fleisches der Weg zur Geistesherrlichkeit, bei dieser bringt die Blüte des Fleisches ihre Frucht, den Tod: das Tier geht ins Verderben (Offb 17:8.11; Gal 6:8). Das widergöttliche Wesen ist gerade in seiner höchsten Steigerung, auf der Spitze seiner materiellen und geistigen Machtentfaltung doch nur eine ausgeputzte Leiche, ein faulendes Aas, um welches sich die Adler sammeln müssen, und zu dessen Verzehrung denn jetzt auch vor allen Dingen die Vögel des Himmels feierlich eingeladen werden (Offb 19:17f. Mt 24:18). Sehr bezeichnend ist, dass der Antichrist und seine Könige in ihrer Verblendung wähnen, es lasse sich mit irdischer Heeresmacht gegen den himmlischen König streiten (V. 19). Das ist die Spitze der alten babylonischen Torheit, die da meint, Welt und Fleisch sei etwas. So fahren sie in ihrer tollen Vermessenheit dahin, Christus erscheint mit den Seinigen, aber von einer Schlacht zwischen beiden Heeren ist weit und breit nicht die Rede; sondern der bloße Anblick des Herrn der Herrlichkeit genügt, um den Antichrist die völlige Nichtigkeit aufzuzeigen: er wird ihm ein Ende machen durch die (einfache) Erscheinung seiner Zukunft (2Thes 2:8). So stürzen einst nach der Erzählung desselben Johannes vor dem, der da sagte: Ich bin's seine Feinde zu Boden (Joh 18:6). Von tödlichem Schrecken gelähmt, werden das Tier und der falsche Prophet oder, wie Ö t i n g e r sagt, der Antichrist und seine Philosophen an der Spitze ihrer Scharen ohne Widerrede ergriffen und lebendig in den Feuersee, in die Hölle geworfen (V. 30).

Dagegen wird ihr Anhang, die Könige, die Hauptleute, die Gewaltigen samt ihren Untergebenen nur getötet durch das scharfe Schwert, das aus Christi Mund geht, d. h. durch seinen Hauch, sein Richterwort (Offb 21:15; 2Thes 2:8; Hebr 4:12). Es scheint also ein Unterschied gemacht zu sein zwischen Verführern und Verführten; und so schwer die Strafe auch der letzteren ist (vgl. Offb 14:9-11), so werden doch die ersten noch besonders exemplarisch gestraft, wie wir solche Abstufungen der genau abmessenden Vergeltung, solche verschiedene Grade der Verdammnis auch sonst angedeutet finden (Mt 11:22.24; Lk 12:47.48; Joh 19:11).

Ganz entsprechend, wenn auch nicht so speziell, beschreibt Paulus das Gericht über den Antichrist in der Stelle, die uns schon so vielfache Parallelen bot 2Thes 2:8. Hiermit ist nun das Tierwesen ein für allemal abgetan und von der Erde ausgemerzt, die Weltreiche in ihrer bisherigen Gestalt hören auf, die Weltgeschichte nimmt einen von dem bisherigen total verschiedenen Charakter an. An die Stelle des Tierreiches tritt das Reich des Menschensohnes und seiner Heiligen.

III. Das tausendjährige Reich

Daniel und Johannes beschreiben beide das tausendjährige Reich, aber in verschiedener Weise, weil von verschiedenen Standpunkten aus. Das alttestamentliche Prophetenwort schildert dem ganzen Standpunkt des A. B. gemäß vorzugsweise die irdische, das neutestamentliche die überirdische Seite der Zukunft des Reiches Gottes. Und wie wir schon oben gesehen haben, dass beide Apokalypsen Zusammenfassungen der gesamten Weissagung ihrer Testamente sind, so ist es auch hier: Dan 2:35.44; Dan 7:13f.; Dan 7:27 ist der kurze Inbegriff aller alttestamentlichen, Offb 20:1-6, aller neutestamentlichen Weissagung über das Reich der Herrlichkeit auf Erden. Eine große Menge prophetischer, eine schöne Anzahl evangelischer und apostolischer Stellen dienen dazu, diese allgemeinen Umrisse reicher auszufüllen. Endlich fehlt es im N. T. auch nicht an solchen Aussprüchen, welche die Brücke schlagen zwischen irdischen und der überirdischen Seite der Betrachtung.

Es wird dienlich sein auf alle diese Punkte etwas genauer einzugehen, da die Lehre vom tausendjährigen Reich so viel verkannt und vernachlässigt ist. Freilich sehr zu Unrecht. Denn es beruht diese Lehre nicht bloß, wie man es so oft sieht, auf einer vereinzelten, apokalyptischen stelle, sondern die ganze Prophetie des A. B. kann ohne dieselbe garnicht wahrhaft verstanden werden. Und was das N. T. betrifft, so weißt der Grundbegriff der Lehre Jesu, in welchem er die Hauptsumme der messianischen Weissagungen zusammenfasst, der Begriff des Reiches Gottes, schon durch seinen Namen auf die Verwandtschaft mit unserer Lehre hin. Gewöhnlich fasst man die Sache so auf, als habe Jesus den äußerlichen, fleischlichen Messiaserwartungen des jüdischen Volks gegenüber ein rein innerliches, sittliches geistiges Gottesreich gepredigt. Dies ist aber zu der materialistischen Auffassung der damaligen Juden nur das andere, spiritualistischen Extrem. Freilich musste der Herr dem Fleischessinn seines Volkes gegenüber auf die inneren Bedingungen für die Teilnahme am Reich, auf Buße und Glauben, mit doppeltem Nachdruck dringen. Aber darum lässt er das Reich nicht in dieser Innerlichkeit aufgehen, sonder es ist ihm "die göttliche Ordnung der Dinge, welche durch ihn, de Messias, verwirklicht wird als eine von innen nach außen sich entfaltende." (Chr. Fr. S c h m i d, bibl. Theol. des N. T. I, S. 325.)

So hat das Reich Gottes verschiedene Perioden; es ist erschienen in Christo (Mt 12:28), es breitet sich in der Welt aus auf inwendigem, verborgenen Geisteswegen (Mt 13:33); aber eigentlich als Reich in königlicher Herrlichkeit kommt es doch erst bei der Parusie (Lk 19:11.12.15), wie uns denn der Herr noch fort und fort um das Kommen des Reiches beten heißt (Mt 6:10). Und das ist nun nicht nur die ewige Seligkeit nach dem jüngsten Gericht, welche allerdings die letzte Reichsvollendung ausmacht (Mt 25:34), sondern es ist schon vorher ein irdisches, israelitisches, aber freilich nicht fleischloses Reich der Herrlichkeit, wie es die Propheten geschildert haben, denen Jesus in seinem Stück widerspricht, sondern deren Weissagungen anknüpfend voraussetzt (Mt 19:28; Apg 1:6-8). Jesus war also, wie alle Propheten und Apostel, ein Chiliast. Von Paulus bemerkt in dieser Beziehung der nüchterne L e c h n e r: (Das apostol. und nachapostl. Zeitalter, S 82) "Auf das irdische Reich der Herrlichkeit deuten, wenn man ein offenes Auge dafür hat, eine Menge Äußerungen in den Briefen des Apostels, und dies ist zugleich derjenige eschatologische Punkt, in welchem alle Briefe am meisten harmonisieren."

So sehr man sich nun hüten muss, die Zustände des kommenden Reiches über die Keuschheit des Schriftwortes hinaus bis ins Detail auszumalen, welcher der Vater seiner Macht vorbehalten hat, so wenig ist man andererseits berechtigt, die zahlreichen hierher gehörenden Worte Jesu und seiner Propheten und Apostel spirituell zu verflüchtigen oder umzudeuten. Und der letztere Fehler ist, auch bei der gläubigen Schriftauslegung, noch immer der vorherrschende. Nicht bloß der Rationalismus, sondern längst vor ihm die Kirche selbst hat das Verständnis des großen, göttlichen Reichsgangs verloren. Es ist uns Heidenchristen wirklich begegnet, wovor und Paulus so nachdrücklich warnt (Röm 11:17ff.): wir haben vergessen, dass wir als wilde Zweige in den edlen Ölbaum Israels eingepfropft sind, wir sind sicher geworden in der schriftwidrigen Meinung, das Christentum sei nur für uns, für Weltverhältnisse, wie die unsrigen, da; wir zucken die Achseln über das Volk der Wahl und seine Zukunft, daher auch über den Chiliasmus; unsere eschatologischen Ideen beschränken sich auf die himmlische Seligkeit, und nur in äußerlicher, unvermittelter Weise denken wir uns das jüngste Gericht als Abschluss im fernen Hintergrund. Und doch hätte eigentlich bloß der Katholizismus Anlass, gegen eine solche Auffassung des Verhältnisses von Welt und Reich Gottes, wie wir sie im Bisherigen anhand der Schrift dargelegt haben, sich zu sträuben. Er ist seinem innersten Wesen nach eine falsche Antizipation des tausendjährigen Reiches in der kirchengeschichtlichen Zeit, eine Vermischung von Kirche und Reich: "Die Rechte, deren sich Rom als eine Hure vorher angemaßt hatte, wird alsdann die Braut des Lammes heiligmäßig ausüben." (R o o s S. 121.125).

Die Reformation, die uns wider auf's Glauben allein hingewiesen hat, sollte und geheilt haben von ähnlichen, im jetzigen Protestantismus gangbaren, kräftigen Irrtümern, wonach mann, statt zu glauben, sehen und Werke tun will. Das evangelische Glaubensprinzip vollendet sich erst in der biblischen Grundanschauung vom göttlichen Reichsgang. Ihn anhand des prophetischen Wortes verstehen zu lernen, ist Aufgabe jetziger Theologie. Und der Herr bieten eben jetzt seiner Gemeinde dies Verständnis von verschiedenen Seiten dar, weil sie desselben für ihre bevorstehenden Kämpfe bedarf. "Von der Bekehrung der Juden, sagt schon Ö t i n g e r, reden die Theologen nur exegetisch, ja problematisch, noch viel mehr vom tausendjährigen Reiche. Warum? Weil das den früheren Zeiten verliehene Erkenntnismaß diese Lehren noch nicht fassen konnte. In unserer Zeit aber entwickelt sich einen hellere Erkenntnis.. Der Zusammenhang der Glaubensartikel mit den letzten Dingen tritt bereits klarer hervor.*)

*) Vgl. meine Schrift "Die Theosophie Ötingers", S. 594. Die geistvollen Blicke dieses tiefen Denkers in die güldene Zeit, wie er das tausendjährige Reich nennt, s. ebenda: S 592ff.



Aussagen der Offenbarung und des Neuen Testaments

Die Zahl der t a u s e n d J a h r e für die Dauer des Reiches ist der Apokalypse eigentümlich. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass auch sie zunächst in ihrer symbolischen Bedeutung zu fassen ist. Die Zehn, die Zahl der Vollständigkeit, erscheint hier mit der Gotteszahl Drei potenziert, also die Welt jetzt wirklich vom Göttlichen durchdrungen. Dahingestellt muss es bleiben, ob die Zahl auch mit chronologischer Genauigkeit die Dauer des Reiches bezeichnen will. Wenn B e n g e l und seine Nachfolger zwei Jahrtausende annehmen, so beruht dies, wie wir unten sehen werden, auf einem exegetischen Missverständnis.

Das erste nun, was die Apokalypse vom Wesen des tausendjährigen Reiches berichtet, ist die B i n d u n g des S a t a n s, sein Verschließen im Abgrund (Offb 20:1-3). Nicht umsonst wird diese zuerst genannt; denn sie schließt sich mit organischer Notwendigkeit an das Vorhergehende (Offb 19:20f.) an. Wie der Sturz des Teufels aus dem Himmel (Offb 12:7ff.) nicht ein Akt willkürlicher Gewalt war, sondern die rechtmäßige Exekution des über ihn durch Christi Tod, Auferstehung und Himmelfahrt ergangenen Gerichts: so ist es auch hier mit seiner Bindung. Es war ihm alle Zeit gelassen, seine Macht und List auf Erden auszuüben, und es ist ihm auch gelungen, das Huren- und das Tierwesen zur Herrschaft zu bringen; alle seine Macht hat er am Ende im Antichrist konzentriert. Aber auch hier verlor er wieder das Spiel, eben indem er es zu gewinnen meinte. Nachdem das antichristliche Reich vor der bloßen Erscheinung des Herrn der Herrlichkeit schmählich zusammengebrochen ist, hat es mit der Gewalt des Satans auf Erden, wie früher im Himmel, von selbst ein Ende. Auf Golgatha meinte er den Sohn Gottes zu beseitigen und so seine Macht für immer zu befestigen, aber gerade der Tod Christi war der Weg, auf welchem dieser, statt besiegt zu werden, auf den Thron Gottes emporstieg und den Satan aus dem Himmel warf. Durch die antichristliche Verfolgung meinte er das Volk Gottes von der Erde zu vertilgen und so zu unumschränkter Herrschaft auf derselben zu gelangen, aber eben diese Verfolgung ist die Ausreifung der Gemeinde für die Herrlichkeit; statt von der Erde verdrängt zu werden, gelangt sie zur Herrschaft über dieselbe, und der Satan wird in dem Abgrund verschlossen. Es geschieht ihm hierbei nie die Ehre, dass der Herr selber sich mit ihm einlässt, der doch zur Vertilgung des Antichrists erscheint; die Bestrafung des Teufels haben immer nur dienstbare Geister zu besorgen; Offb 12:7 ist es noch der Erzengel Michael, Offb 20:1 wird einfach ein Engel genannt, V. 10 ist gar kein Exekutor mehr angegeben, da ist ihm dann wohl ein Kind gewachsen, dem Gott der Welt. Wir erinnern hier an das, was oben aus Anlass von Offb 12:7ff. über die Geschichte des Teufels bemerkt wurde.

Kann er schon jetzt alle, die durch Christi Blut gerecht geworden sind, nicht mehr im Himmel verklagen, wohl aber auf Erden ihnen noch die heißesten Kämpfe be reiten, so wird in den tausend Jahren auch das Letztere aufhören. Da hat nicht nur sein Verklagen, sondern auch sein Verführen ein Ende, und hiermit isst ein schrecklicher Bann von der Menschen- und auch Naturwelt genommen. So lang der Teufel noch in der Finsternis dieser Welt herrscht, leben wir alle in einer vergifteten, mit tödlichen Stoffen geschwängerten Luft (Eph 2:2; Eph 6:12). Durch Christi Zukunft wird eine gewaltige Luftreinigung geschehen. Und wenn man bedenkt, was die Luft für unser Leben zu bedeuten hat, so lässt sich ermessen, welch ein totaler Umschwung schon durch dies eine Ereignis eintreten muss. Es wird wie ein Alp von der Menschheit genommen sein. Das Gute jeglicher Art wird sich frei entfalten können, und wenn auch die Sünde noch nicht schlechthin abgetan ist, ,weil die Menschen auf Erden noch im Fleisch leben: so ist sie doch jetzt keine Universalmacht mehr, die Individuen stehen mit ihr vereinzelt da, und auch in ihnen muss sie sehr an Mächtigkeit verlieren, wenn das Fleisch nicht mehr von teuflischen Kräften verführt und unterstützt wird. Während gegenwärtig Satan noch der Gott und Fürst, die herrschende Macht der Welt ist, und die Geistesmenschen vereinzelte Erscheinungen sind: ist alsdann das Verhältnis umgekehrt, das Menschheitsleben im Großen wird geistlich regiert, die Welt hat aufgehört im Argen zu liegen, und das Fleisch wird immer mehr vereinzelt und überwunden. Das ist der Unterschied des Reichs dieser Welt und des Reiches Gottes: in diesem Äon regiert noch der Teufel auf Erden (2Kor 4:4), im künftigen regieren Christus und seine Heiligen.

Denn dies ist nun das Zweite, was die Apokalypse (V. 4-6) als charakteristischen Zug des tausendjährigen Reiches hervorhebt, das die E r d e (Offb 5:10; Mt 5:5) von C h r i s t o und seiner verklärten G e m e i n d e regiert wird. Die Bindung des Satans ist gleich den tausend Jahren ein unserem Buch eigentümliches Moment, obwohl schon Jesaja im Grunde von ihr redet, wenn er (Jes 24:21f.) sagt: Zu der Zeit wird der Herr heimsuchen das Heer der Höhe in der Höhe und die Könige der Erde auf Erden, und sie werden versammelt zuhauf, gefangen in der Grube und werden verschlossen im Verschluss, und nach langer Zeit werden sie heimgesucht; womit auch Stellen, die von der Wegschaffung der Sünde und Unreinigkeit handeln, wie Jes 4:3f. Jes 11:9; Jes 35:8, zu vergleichen sind. Von der Teilnahme der Gläubigen aber an Christi Herrlichkeit und Herrschaft redet das ganze Neue Testament oft und viel συνδοξασθῶμεν Röm 8:17; συμβασιλεύσομεν 2Tim 2:12; 1Kor 4:8; Röm 5:17; Lk 12:32; Lk 22:29. Dahin gehören auch die Aussprüche über das Erbe der Kinder Gottes, über das Ererben des Reiches, wie namentlich Röm 8:17 zeigt; vgl. Mt 5:5; Apg 20:32; 1Kor 6.9.10; 1Kor 15:50; Gal 5:21; Eph 1:14.18; Eph 5:5; Kol 3:23; Jak 2:5.

Als die Subjekte, welche mit Christo zur Herrschaft berufen sind, werden Offb 20:4 vor allem die Märtyrer alter und neuer Zeit genannt; diese sind Jesu im Tod am ähnlichsten geworden, sie werden ihm nun auch die Nächsten im Leben und Herrschen sein. Denn wie in der Bestrafung, so gibt es auch in der Belohnung verschiedene Stufen. Der Herr leugnet es a nicht nur nicht, sondern er behauptet es indirekt in jenem Gespräch mit der Mutter der Söhne des Zebedäus, dass es in seinem Reich Ehrenplätze gebe zu seiner Rechten und Linken, deren Erlangung eben davon abhängig sei, dass man seinen Kelch trinke und mit seiner Taufe sich taufen lasse (Mt 20:20ff.); und er lehrt ausdrücklich, dass er bei seiner Wiederkunft als König des Reiches den einen seiner Knechte über zehn, den anderen über fünf Städte setzen werde, je nach dem bewiesenen Maß der Treue (Lk 19:11ff.). Nach den Märtyrern werden überhaupt alle genannt, welche dem Tier nicht gehuldigt haben, sei es nun schon in früheren Zeiten oder in der letzten Zeit, auf welche nach Offb 13:14-17 die Erwähnung des Tierbildes und Malzeichens hindeutet. Denn Tieranbeter sind ja alle die, welche die Macht dieser Welt für das Reelle genommen und ihr gedient haben, statt auf das Unsichtbare und Zukünftige zu sehen (2Kor 4:17.18). Es hat sich schon oben schon gezeigt, dass jeder in letzter Instanz nur die Wahl hat, entweder dem Tier anzuhangen oder zum Weibe zugehören. Gemeint ist also hier die ganze Gemeinde der Gläubigen, der aus Gott Geborenen, der Kinder Gottes (Röm 8:17), gesammelt aus Juden und Heiden, in sich vereinigend die 144000 aus den zwölf Stämmen Israels und die große Schar aus den Nationen, die Johannes schon Offb 7 geschaut hat.

Die erste Auferstehung

Diese waren schon bisher bei Christo im Himmel und treten nun mit ihm aus der Unsichtbarkeit hervor (2Thes 1:7-10; Offb 17:14). Um aber dies zu können, werden sie im Moment ihres Erscheinens mit ihren Leibern bekleidet, und weil diese von der himmlischen Geistes- und Lebenskraft durchströmt und selbst auch vergeistigt werden, so ist nun der ganze Mensch in das vollendete Leben der Verklärung eingegangen. Das ist die e r s t e A u f e r s t e h u n g (Offb 20:4-6), zum Unterschied von der zweiten allgemeinen, von welcher V. 12.13 die Rede ist. Von jener ersten Auferstehung spricht auch Jesus Lk 14:14, in dem er sie als die Auferstehung der Gerechten bezeichnet, und Pauls 1Kor 15:23f., wo er deutlich drei Stufen der Auferstehung unterscheidet: als der Erstling erstand Christus, danach die, welche ihm angehören bei seiner Parusie, und wieder einen beträchtlichen Zwischenraum setzend - das Ende, nämlich die allgemeine Auferstehung, Weltgericht, Ausscheidung der Bösen, wo dann Christus das Reich dem Vater übergibt und Gott alles in Allen ist. Eben dahin gehört 1Thes 4:16, wo ganz entsprechend der vorigen Stelle nur von der Auferstehung der in Christo Verstorbenen die Rede ist - hat man doch sogar behauptet, Paulus wisse überhaupt bloß von dieser, wogegen schon Apg 24:15 zeugt; - ferner Phil 3.20.21, wo die leibliche Verklärung derer als mit der Parusie verbunden gelehrt wird, welche jetzt bereits ihren Wandel im Himmel haben, und im nämlichen Kapitel V. 11 wo der Ausdruck ἐξανάστασιν τὴν ἐκ νεκρῶν zu beachten ist, welcher die Auferstehung aus den Toten heraus, wie schon Theophylekt und Oekumenius sachen, von der allgemeinen Auferstehung der Toten unterscheidet.

Derselbe Apostel vervollständigt die Lehre von der ersten Auferstehung nach einer andern Seite hin. Die Apokalypse. welche die Parusie schon mehr in die Ferne gerückt weiß, redet nur von der Auferstehung; Paulus der dieselbe möglicherweise noch zu erleben hofft, gibt uns auch Aufschluss über das Schicksal der alsdann noch Lebenden, also der Heiligen, welche in der letzten Verfolgung nicht mehr umgekommen sind: sie werden v e r w a n d e l t, in der Weise, dass der alte Fleischesleib ohne Tod in den neuen Verklärungsleib übergeht, dass sie nicht entkleidet, sondern überkleidet werden, indem das Sterbliche vom Leben verschlungen wird (1Kor 15:51-553; 2Kor 5:4). Dass die Verwandlung nicht etwa erst ans Ende verlegt und mit der allgemeinen Auferstehung eintretend gedacht werden darf, geht aus dieser letzteren Stelle klar hervor; denn Paulus wünscht ja dieselbe für seine eigene Person anstatt des Todes. An die Auferstehung der Toten schließt sich unmittelbar die Verwandlung der Lebenden; und diese können nun, der schweren, irdischen Stofflichkeit entnommen und in das freie Wesen des Geistes versetzt, ähnlich wie der auferstandene Christus gen Himmel fuhr, dem wiederkommenden e n t g e g e n g e r ü c k t werden in die L u f t (1Thes 4:17; vgl. Offb 11:11f, wo es von den zwei Zeugen heißt: sie stiegen in der Wolke auf in den Himmel).

In der Auferstehung und Verwandlung stellt es sich dar, dass die Welt in Wahrheit keine Macht hat über die Gemeinde, sondern vielmehr diese über jene. Dem Weltwesen völlig, auch äußerlich entnommen und in den Stadt des himmlischen Daseins der göttlichen Herrlichkeit versetzt, ist sie jetzt auch positiv vor der Welt gerechtfertigt, vgl. Offb 11:12: und es sahen sie ihre Feinde. Das trotzig gewaltige Tier samt seinem falschen Weib ist zur Majestät nicht bloß eines irdischen, sondern des göttlichen Thrones erhoben (Offb 3:21; Offb 2:26-28). und genießt nun der ewigen Wonne der ehelichen Vereinigung mit Christo (Offb 19:7). Daher hebt es Paulus als besonderen Gegenstand der freudigen Christenhoffnung hervor: wir werden von da an mit dem Herrn sein allezeit, mit seiner Parusie sei unsere Sammlung zu ihm verbunden (1Thes 4:17; 2Thes 2:1). Eben davon redet auch Jesus mit demselben Worte (ἐπισυνάξουσιν): die Auserwählten, bis dahin in allen Weltgegenden zerstreut, vereinzelt, unterdrückt, werden jetzt von den Engeln zusammengebracht und leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich (Mt 24:31; Mt 13:43). Die himmlisch gesinnten Menschen, welche in dieser Welt Christo sein Kreuz nachgetragen und seine Schmach für größeren Reichtum geachtet haben als die Schätze Ägyptens, sind nun öffentlich erwiesen als die Erstlinge der Geschöpfe Gottes (Mt 16:24; Hebr 11:26; Jak 1:18); sie sind fürs andere unter sich jetzt auch äußerlich vereinigt auf immer und auf's Tiefste, da keinerlei trennende Fleischesschranke mehr zwischen den einzelnen steht; sie sind endlich mit Christo und mit Gott in eine Einheit des verklärten Lebens eingetreten, wie sie keiner Kreatur in alle Ewigkeit auf vollendetere Weise möglich ist.

Aber mit dem allem ist ihre Seligkeit noch nicht zu Ende; sie sind auch zu einem Segen bestimmt für ihre Brüder, die noch im Fleisch wallen. Sie leben nicht bloß im höchsten Sinn des Wortes, sondern sie r e g i e r e n auch mit Christo die tausend Jahre (Offb 20:4; Röm 5:17). Christus geht, nachdem er seine Gemeinde zu sich gesammelt, seine Braut heimgeholt hat, mit ihr in den Himmel zurück. Die noch unverklärte Erde kann ja nicht der Ort der verklärten Gemeinde sein. Aber vom Himmel herab regieren nun die Heiligen über die Erde, und es wird wohl auch zu den Herrlichkeit dieser Zeit gehören, dass dann die Kommunikation der himmlischen und irdischen Gemeinde und überhaupt der oberen und unteren Welt eine viel lebendigere und freiere sein wird, wie sie in den Erscheinungen des auferstandenen Christus während der vierzig Tage vorgebildet ist. Wird nicht nach Beseitigung des Fürsten der Finsternis, der in der Luft herrschte, und die Menschen verblendete (Eph 2:2; 2Kor 4:4), die Klarheit des Himmels voller auf die Erde herab strahlen, der Blick der Erdenbewohner sich lichter zum Himmel erheben können? Wir haben in dieser Hinsicht das tausendjährige Reich als eine Zeit neuer, göttlicher Offenbarungen anzusehen, ,welche jetzt wieder hervortreten, nachdem sie in der kirchengeschichtlichen Zeit lange ganz verstummt waren. "Es beginnt jetzt eine Selbstbestätigung des dreieinigen Gottes durch die vollendete Gemeinde, also der er vollendeten Gemeinde an der Menschheit außer ihr, durch welche das Gemeinleben der Menschheit, mit Ausschließung aller gemeinschaftsbildenden Machtübung des gottfeindlichen Willens, zum Gehorsam gegen die in der vollendeten Gemeinde sich bestätigende Gottesmacht bestimmt wird." (H o f m a n n, Schriftbeweis I, S. 54. vgl. Weiss. und Erfahr. II, S 285-88) Nicht bloß hört also die bösgeistige Einwirkung des bisherigen Weltfürsten auf die Menschheit auf, sondern es tritt an ihre Stelle die segensreiche Regierung der verklärten Gotteskinder, welche keine höhere Aufgabe kennen, als ihr Brüder alle zu dem gleichen Heil zu führen, dessen sie teilhaftig geworden sind.

Daher gründet sich ihr Königtum auch auf ihr P r i e s t e r t u m, (v. 6 vgl. Offb 1:6; Offb 5:10), dieses ist die fortwährende Legitimation von jenem: den Menschen gegenüber Priesterpflichten erfüllen, d. h. ihm Tag und Nacht in seinem Tempel dienen (Offb 7:15). Und so wird auch das Regieren der Gemeinde ein durchaus priesterliches sein. Man darf nicht wähnen, als trete im tausendjährigen Reich an die Stelle der inwendigen, pneumatischen Heilsvermittlung eine äußerliche, auf dem Wege der Macht s t a t t der Gnade wirkende. Wie wir jetzt schon die Einheit von Gnade und Gerechtigkeit im göttlichen Heilswerk erkennen, so werden wir dann die Einheit von Gnade, Gerechtigkeit und Macht schauen. Der Weg des Herrn ist und bleibt heilig. Es ist ein Reich der Geistesherrlichkeit, nicht der Fleischesherrlichkeit, wie Juden und Wiedertäufer meinen. An die Stelle der satanischen Weltherrschaft tritt eine Weltherrschaft nicht von Menschen, die noch im Fleisch leben und eine Befriedigung ihrer Lüste suchen könnten, auch nicht etwa von guten Engeln, die auf die bloße Machtausübung angewiesen wären, sondern von verklärten Menschen, die selbst nur in der Kraft der Erlösung geworden sind, was sie sind. An ihnen wird es kund, was Christus mit seiner Gnade an den Menschen ausrichten kann und will. Denselben Reiz, den jetzt Gut und Macht und Lust dieser Welt auf die Gemüter ausübt, wird dann die Herrlichkeit der verklärten Gemeinde ausüben; man wird mit wahrer Lust den Priesterkönigen und ihrem Haupt Christo untertan sein. Ganz Willigkeit ist das Volk des Herrn an seinem Krafttag, und die Erde ist voll von der Erkenntnis seiner Herrlichkeit, wie Wasser das Meer bedecken (Ps 110;3; Hab 2:14).

So ist das Reich der tausend Jahre allerdings ein gewaltiger aber kein gewaltsamer Fortschritt; es ist ein neuer Lebensansatz in dem Weltüberwindungssgang des christlichen Prinzips, des Reiches Gottes. Der Herr hat anfangs die alte Weltgestalt noch fortbestehen lassen; er hat sich begnügt, bloße Zeugen seines Heils, Propheten, Weise und Schriftgelehrte ohne alle äußere Macht, in Armut und Kreuzgestalt auszusenden (Lk 24:18; Mt 23:34; Mt 10:9ff.). Die Welt hat volle Freiheit gehabt, dem Zeugnis von Christo nicht nur ein falsches Prophetentum, sondern selbst ein falsches Priestertum und Königtum gegenüber zu stellen. Jetzt sind diese dem Gericht und Verderben überantwortet, und damit fällt neben dem bisherigen Zeugen- und Prophetentum (δυσὶν μάρτυσίν = δῶρα πέμψουσιν Offb 11:3.10) auch das Priestertum und Königtum in aller Form rechtens der Gemeinde Gottes zu. So ist es jetzt also nicht mehr das bloße Wort, was da wirkt, sondern es kann eine neuer Erziehungsweise Gottes in Anwendung kommen." Faktisch vorhanden ist jetzt eine von Menschen allzeit dargebrachte gottesdienstliche Feier in der Reinheit und Seligkeit des vollendeten Geistwesens, und man sieht, dass denen, die also zu Gott nahen und ihm dienen, die ganze Welt gehört. So herrschen die Priesterkönige einfach schon durch das, was sie sind. Das ist keine äußerlich wirkende Macht, aber eine Kraft ist es allerdings, ein durchdringende Kraft der Anziehung, Überzeugung, Herzensüberwindung. Und behalten wir dabei stets im Auge, dass kein Teufel und kein Tier mehr entgegenwirkt: o, was wird das für eine herrliche Entfaltung des Reiches Gottes auch auf Erden geben, wenn alle Hindernisse und Widerstände beseitig sind und durch Christum und seine Heiligen alle äußeren Verhältnisse und Umstände geistlich gelenkt werden!

Jetzt wird das Christentum im Geist und in der Wahrheit die Welt und alle Lebensverhältnisse durchdringen; die Einheit von Priestertum und Königtum in den Regierenden wird sich auch in ihrem Reich auf Erden widerspiegeln als Einheit von Kirche und Staat, da. h. eben als R e i c h G o t t e s im Unterschied von der bloßen Kirche, welche gegenwärtig noch die Existenzform des Christentums ist. Das Reich liegt im Königtum, das Gottes- oder Himmelreich im Priestertum der Gemeinde. Es wird d a n n offenbar, dass wie R o t h e sagt, Christus nicht bloß ein Kleriker oder Pfarrer ist, sondern ein hohepriesterlicher König. Da wird die geistliche Gesinnung allenthalben ihre entsprechende, ungehemmte äußere Darstellung finden. Da wird weltliches und geistliches Gebiet nicht mehr geschieden, kein Gegensatz zwischen Weib und Tier mehr sein; da wird man in Gott der Welt sich freuen, alle Poesie, alle Kunst, alle Wissenschaft, alle Geselligkeit wird christlich und weltlich zugleich sein; denn es isst jetzt das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden, es ist die Theokratie als Christokratie, nicht mehr im Wesen des Buchstabens, sondern des Geistes, wiederhergestellt (Offb 11:15). Es muss aber auf dieser jetzigen Erde noch einmal kundwerden, dass der Teufel, der sich die Herrschaft darauf anmaßte, nur ein Usurpator war; es muss der Mensch, ursprünglich zum Herrscher über die Erde bestimmt (1Mo 1:26), sich noch einmal seiner Welt erfreuen können mit voller, ungeteilter heiliger Freude. Da wird jedes berechtigte Ideal Realität gewinnen.

Damit aber sind dann auch die göttlichen Wege der Gnade und Geduld erschöpft. Nicht nur die auf Erden lebenden Menschen, sondern auch die noch nicht wieder auferstandenen Toten (Offb 20:5.12) haben an der verklärten Gemeinde eben als verklärter sehen können, welch eine Herrlichkeit für Menschen in Christo Jesu ist. Wer nun auch jetzt noch im Widerstsreben gegen Christum ausharrt, der ist dem ewigen Gericht verfallen; wer aber das Heil ergreift, der wird am jüngsten Tag und bei der allgemeinen Auferstehung noch eingebunden in's Bündlein der Lebendigen.

Aussagen Daniels und des Alten Testaments

Eröffnet uns die Apokalypse dem Wesen dem N. T. gemäß vor allem einen Blick in den überirdischen Geisterhintergrund des tausendjährigen Reiches, so hat es dagegen Daniel und das A. T. vorzügliche mit der irdischen Seite desselben zu tun. Aus der einen Quelle erfahren wir, dass an die Stelle der Weltherrschaft des Teufels die der verklärten Gemeinde, aus der andern, dass an die stelle der Weltherrschaft des heidnischen Tierwesens die des heiligen Volkes Israel treten soll. Beide stimmen in der Hauptsache überein, dass Christus, der Menschensohn es ist, welcher die Menschheit regiert, wie durch seine verklärte Gemeinde im Himmel, so durch sein Volk Israel auf Erden. Es kann die Frage entstehen, warum nicht auch Johannes noch einmal die Zukunft Israels geweissagt habe. Dieselbe beantwortet sich aber leicht. Die Apokalypse ist für die heidenchristliche Zeit bestimmt; der neuttestamentlichen, vorzugsweise aus den Heiden gesammelten Gemeinde hat sie mitzuteilen, was ihr auf ihrer Pilgerfahrt durch die Wüste zu wissen not tut, für sie ist sie das Reisehandbuch, ihre Schicksale zu beschreiben.*)

*) Mit welchen Recht man sie in neuerer Zeit für ein judaistisches Produkt erklärt hat, darüber ergibt sich nach allem Bisherigen das Urteil von selbst. Sie ist israelitisch, sowie es die ganze Bibel ist. Paulus ist wo möglich noch israelitischer als sie. Die prophetische Form hat mit dem Judaismus nichts zu schaffen.

Israel als Volk kann hier nicht in Betracht kommen. Es hat ja auch schon seine Apokalypse an Daniel, es hat sonst seine Propheten, und die noch unerfüllten Weissagungen derselben behalten ihre Geltung und finden ihre Erfüllung, so wahr sie das Wort des lebendigen Gottes sind. Die Offb. Joh. brauch sie nicht alle zu wiederholen, sondern nur das neutestamentliche Licht, das aus dem jetzt geöffneten Himmel hernieder scheint, über sie auszugießen. Sie enthält übrigens eine ausdrückliche Generalbestätigung des gesamten alttestamentlich prophetischen Worts (Offb 10:7: In den Tagen der Stimme des siebten Engels, wenn er posaunen wird, so ist vollbracht das Geheimnis Gottes, wie er es verheißen seinen Knechten, den Propheten. Und dass sich dies speziell auf das tausendjährige Reich bezieht, sehen wir aus Offb 11:15, wo der siebte Engel posaunt und dabei verkündigt wird, das Reich der Welt sei jetzt Gottes und Christi geworden.

Die Parusie Christi geschah zum Gericht über die abgefallene Christenheit, die nun vernichtet, und zur Rettung der gläubigen Gemeinde, die nun mit ihm in den Himmel entrückt ist. Aber die Mehrzahl der Menschen gehört weder zu der einen noch zu der andern Klasse und ist nun noch auf Erden zurück, die Juden und die Heiden. Wir sahen die Hure dem pharisäisichen Judentum entsprechen, die beiden Tiere in ein neues Heidentum versunken. So haben sich die vorchristlichen religiösen Standpunkte als falsche auch in's Christentum hereingedrängt, und als solche sind sie jetzt gerichtet. Dagegen existiert das Judentum und Heidentum auch noch für sich in seiner alten, außerchristlichen Gestalt, und hier ist es relativ unschuldiger, weil es noch nicht mit der Gnade des Evangeliums in so durchgehende Berührung gekommen ist und also dieselbe auch noch nicht so verscherzt und mit Füßen getreten hat. Nur der ungläubigen Zurückweisung des Wortes von Christo liegt ja die volle, zum Gericht reife Sünde (Mk 16:16; Joh 3:18.36). Darum sind das eigentliche Judentum und Heidentum, d.h. Israel und die Heiden, welche zur Zeit der Parusie auf Erden leben, noch die relativ gesunden Elemente, welche in's tausendjährige Reich hineingerettet werden, der neue Boden für die neue Geschichte. Es gehört wesentlich mit zur Demütigung der jetzigen christlichen Kulturvölker, dass die von ihnen verachtetsten Nationen, Juden und unzivilisierte Barbaren, vorzugsweise vielleicht auch die Neger Afrikas, die um des noachitischen Fluches willen am längsten zurückgestellten Hamiten, Kusch, Seba usw. (Ps 68:30; Ps 72:10) nach ihnen und in viel herrlicherer Weise als sie Träger der Weltgeschichte sein werden. So wiederholt sich hier das alte Reichsgesetz; sie haben meine Eifersucht gereizt durch Nicht-Götter und mich erzürnt durch ihre Eitelkeiten; so will auch ich ihre Eifersucht reizen durch ein Nichtvolk und durch eine törichte Nation sie erzürnen (5Mo 32:21; Röm 10:19). Wie es den Juden ergangen ist in Bezug auf die Heiden, ebenso geht es jetzt den Heidenchristen in Bezug auf die Juden, ganz wie es Paulus Röm 11:20ff. im Voraus warnend beschrieben hat.

Die Menschheit ist jetzt beim Beginn des tausendjährigen Reiches in einem ähnlichen Zustand, wie beim Beginn der Kirchenzeit nach der Himmelfahrt Christi. Wieder stehen Israel und die Heiden als Träger der Geschichte da, und ihnen gegenüber eine Christengemeinde, die sie christianisieren will. Aber alles jetzt auf einer höheren Entwicklungsstufe. Nicht nur ist schon vor der Parusie unter Juden und Heiden durch die Predigt des Evangeliums vom Reich dem Licht Bahn gemacht worden (Mt 24:14), damit sie bei der Erscheinung des Herrn doch merken konnten, was es mit diesen gewaltigen Ereignissen auf sich habe*); sondern die Ereignisse selbst, das Kommen Christi in Herrlichkeit, die Vernichtung der antichristlichen Macht, die Verklärung der Gemeinde, das Aufhören der satanischen Einflüsse müssen auch einen unaussprechlich tiefen Eindruck auf die Nationen gemacht haben. Es ist jetzt die Decke Mosis von Israel und die Hüllen, womit alle Völker verhüllt sind, von den Heiden weggetan (2Kor 3:14-16; Jes 25:7), während damals Israel der Verstockung und dem Gericht entgegenging, und die Heidenwelt für die Kirche zwar viele heilsbegierige Seelen, aber auch viele Versuchungen in ihrem dunklen Schoße barg. Hat sich so in dem Teil der Menschheit, welcher sich empfangend verhält, alles umgestaltet, so noch weit mehr in dem, welchen der Herr zum Organ seiner Wirksamkeit gemacht hat, in der Gemeinde. Diese besteht jetzt nicht mehr in einem armen Zeugenhäuflein, das seinen Schatz noch in irdenen Gefäßen trägt (2Kor 4:7), sondern sie besteht in einer Wolke von verklärten Priesterkönigen, welche die Erde beherrschen. Damals begann die Kirche, jetzt beginnt das Reich.

*) Daher S t i e r zu Mt 24:14 (Reden Jesu II; S. 545) "Wenn die zwei verbundenen Vorzeichen in ihrem wunderbar widersprechenden Zusammentreffen am völligsten vorhanden sind, Verfall der Christenheit und Ausbreitung der Mission, dann kommt das Ende."

Wenn nun Israel wieder an die Spitze der ganzen Menschheit treten soll, so ist das allerdings ein Gedanke, mit welchem wir uns von unserem einseitig heidenchristlichen Standpunkt aus erst wieder vertraut zu machen haben. Aber obgleich derselbe der Kirche abhanden gekommen war, so ist er doch in der Schrift von so durchgreifender Bedeutung, dass man ihn geradezu als einen Hauptschlüssen zum Verständnis des prophetischen Worts bezeichnen muss.*) Den Schein des Zufälligen und Willkürlichen, der ihr auf den ersten Blick anhängen mag, verliert auch diese Wahrheit, wenn wir sie nur in ihrem biblischen Zusammenhang auffassen. Die Hl. Schrift betrachtet unser Geschlecht nicht als ein Aggregat von Individuen oder Nationalitäten, sondern sie hat von Welt und Menschheit eine durchaus organische Anschauung, welche auf ihren ersten Blättern ein für alle Mal niedergelegt ist. Die Natur ist ein großer Organismus, der in seinen verschiedenen, nach und nach erschaffenen Abstufungen auf den Menschen hinstrebt als sein Haupt: an diesem ihren Herrscher hängt die ganze vernunftlose Kreatur (1Mo 1:1). Mit der Erschaffung des Menschen beginnt über den Naturleben ein höheres, auf der freien, Gott ebenbildlichen Persönlichkeit ruhend, das Geschichtsleben. Der geistige Adel der Menschheit drückt sich vor allem in ihrer Einheit aus: die Naturunterschiede sind hier von untergeordneter Bedeutung, alles stammen von einem Blut und haben eine Begabung und Bestimmung. Gleichwohl soll das Geschichtsleben kein monotones Einerlei sein; auch dem Menschengeschlecht kommt daher eine organische Gliederung zu. Hamiten, Japhetiten und Semiten sind nach 1Mo 9 und 10 die drei großen Völkergruppen der Menschheit, welche ein alter Vergleicht mit den drei Grundelementen im Wesen des einzelnen Menschen, Leib, Seele und Geist, parallelisiert. Auch dann an der Spitze der einzelnen Völker und Völkergruppen, wie an der des gesamten Geschlechts, persönlicher Stammväter stehen, welche der Nachkommenschaft ihr geistig-leibliches Gepräge aufdrücken, gehört zu den lebensvollen, konkreten Grundanschauungen der Schrift, welche noch nicht gehörig gewürdigt sind.

*) Die Verkennung der Bedeutung Israels von Seiten der traditionellen Theologie hat sich in der modernen Herabsetzung des A. T. und zuletzt auch in der Auflösung des N. T. durch die moderne Kritik gerächt. Die letztere geht von der richtigen Wahrnehmung aus, dass das ursprüngliche Christentum viel israelitischer dachte als das kirchliche, dass im N. T. leine Menge von Stellen und Anschauungen sind, welche für unsern abstrakt heidenchristlichen Standpunkt etwas Irrationales, Unfassbares haben. Es war nun für eine Richtung, welche dem Geiste der Offenbarung überhaupt entfremdet ist, und welcher namentlich das lebendige Verständnis des A. T. fehlte, ein Leichtes, jenes ursprüngliche Christentum in Widersprüche mit dem späteren zu verwickeln und als schwache und dürftige, ebionitische Anfänge hinzustellen. Auch dieser Abweg enthält also für die Kirche und Theologie einen Hinweis auf eine große, bisher verkannte Wahrheit. Scholastische und orthodoxe Spiritualismen, Abstraktionen und Geschichtslosigkeiten haben auch hier dem Rationalismus vorgearbeitet. Ist es für das lebendige Verständnis in die morgenländische Anschauungsfülle zu versetzen, so ist die geistliche Seite dieser natürlichen Forderung die, statt der heidnischen Denkweise sich mit der israelitischen Intuition vertraut zu machen, d. h. mit derjenigen, welche sämtlichen Verfassern der alt- und neutestamentlichen Schriften unter Leitung des heiligen Geistes eigen war.


Das Volk der Verheißung

Sem nun ist schon durch Noahs Segenswort (1Mo 9:26f.) zum vorzugsweisen Träger des pneumatischen Lebens, zum Vermittler der Grundbeziehungen der Menschheit zu Gott erkoren. Die Blüte Sems aber ist Israel (1Mo 11), wie die Blüte Israels derjenige ist, in welchem dann wider das ganze Geschlecht als in dem zweiten Adam, dem geistlichen Haupte zusammengefasst werden soll. (vgl. 1Mo 12:1-3). So kommt dem Volk Israel ein für alle Mal die Bestimmung zu, Empfänger und Vermittler der göttlichen Offenbarungen zusein. Da wo es zum ersten Mal in Ägypten als Volk auftritt, lässt Gott dem Pharao sagen: Israel ist mein erstgeborener Sohn (2Mo 4:22). Und am Sinai unmittelbar vor der Gesetzgebung spricht er: Werdet ihr meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern, denn die ganze Erde ist mein, und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein (2Mo 19:5.6). Wie sich also der Priester zum Volk verhält, so verhält sich das Volk Israel zur Menschheit: es vermittelt ihre Beziehungen zu Gott (πᾶς γὰρ ἀρχιερεὺς ἐξ ἀνθρώπων λαμβανόμενος ὑπὲρ ἀνθρώπων καθίσταται τὰ πρὸς τὸν θεόν Hebr 5:1). Damit isst sein Verhältnis zu den Völkern nicht bloß für die Zeiten des A. B., in welchen ja Israel seines Priesteramtes an den Heiden noch garnicht pflegte, sondern für immer festgestellt. Denn Gottes Gaben und Berufung mögen ihn nicht gereuen (Röm 11:29). Es ist merkwürdig, dass derselbe Apostel, welcher überall so laut predigt, in Christo sei der Unterschied von Juden und Heiden aufgehoben, in ihm seinen Beschneidung und Vorhaut schlechthin einander gleich (Röm 3:29f.; Gal 3:28; Gal 6:15; Eph 2:13-18; Kol 3:11), doch wieder den Juden einen eigentümlichen Vorzug zuerkennt, wenn er den edlen Ölbaum des Reiches Gottes als den ihnen eigentlich und eigentümlich gehörenden (ἰδίᾳ Röm 11:24) und selbst die ungläubigen und verworfenen Juden als die natürlichen Zweige bezeichnet (κατὰ φύσιν ἀγριελαίου V. 21:24), dagegen die gläubigen Heiden nur als die wider ihren ursprüngliche Natur (κατὰ φύσιν V. 24) eingepfropften. Wie löst sich dieser Widerspruch? Einfach dadurch, dass wir die verschiedenen Gesichtspunkte ins Auge fassen, von welchen die Schrift bei diesen verschiedenen Stellen und Betrachtungsweisen ausgeht.

Vom religiösen Standpunkt aus betrachtet, sofern die Menschen Gott in Christo als heilsbedürftig gegenüberstehen, sind die Heiden und Juden vollkommen gleich; sie haben ganz denselben Anteil an Christo und durch ihn alle beide den Zugang in einem Geist zum Vater; es ist dieselbe Gerechtigkeit, dieselbe Herrlichkeit, die beiden geschenkt wird. Das sehen wir ja auch an der verklärten Gemeinde, die aus Juden und Heiden zusammengesetzt ist. Aber von offenbarungsgeschichtlichem Standpunkt aus betrachtet, sofern Gott die Menschen als Werkzeuge für die Zwecke seines Reiches braucht, stellt sich die Sache anders, da ist und bleibt Israel das auserwählte Volk, durch welches Gott seine Absichten an der Menschheit vollführt. Es ist hier mit dem Verhältnis von Juden und Heiden ein ähnlicher Fall, wie mit dem von Mann und Weib. Der letzter Unterschied hört in Christo so gut auf wie der erstere, wie wenn Paulus Gal 3:28 beide ausdrücklich nebeneinander stellt. So sehr aber Mann und Weib einander in Christo und vor Gott gleichstellen, so sehr sie dieselben Gnadenrechte haben, so bleibt das Weib dem Manne doch nicht bloß im Haus, sondern auch in der Gemeinde wesentlich untergeordnet. (1Kor 14:34; 1Tim 2:11ff.): sie soll selber nicht lehren wollen, sondern sich Belehrung von ihrem Mann erbitten. So sind die Juden unsere Lehre in göttlichen Dingen. Sie sind es auch noch im Neuen Bund. Seit sie verworfen sind, isst die göttliche Offenbarung verstummt. Wollen wir aber in diesen offenbarungslosen Zeiten Gottes Wort hören, so müssen wir uns gleichwohl an Juden wenden, denn die ganze Bibel, auch das N. T. ist von Juden geschrieben. Jesus und seine Apostel waren Juden. Soll daher im tausendjährigen Reich die Offenbarung wieder beginnen, so muss das bekehrt Israel an der Spitze die Menschheit treten. Was die verklärten Priesterkönige im Himmel sind, das ist dann das israelitische Priesterkönigtum auf Eren. Es ist eine selige Kette des Empfangens und Gebens: Gott, Christus, die verklärte Brautgemeinde, Israel, die Völkerwelt; ähnlich wie es 2Kor 11:3 heißt: der Mann ist des Weibes Haupt, Christus des Mannes Haupt, Gott aber Christi Haupt.

Die Zukunft Israels

Es kann nun hier nicht unsere Aufgabe sein, eine ausführliche Darstellung der gesamten prophetischen Lehre von der Zukunft Israels zu geben. Nur um Hervorhebung der Hauptgesichtspunkte handelt es sich. Das ganze A. T. ist dieser Weissagungen voll; sie beginnen mit Mose und schließen mit den letzten Propheten. Was 3Mo 26:31-45; 5Mo 28:62-68; 5Mo 29:22 - 30:14; 5Mo 32:15-43 von Israels Abfall und Zerstreuung unter die Heiden, dann von seiner Bekehrung und herrlichen Wiedereinsetzung ins gelobte Land geschrieben steht, das hat sich in den kurzen Jahrzehnten des assyrischen und babylonischen Exils und in den kümmerlichen Jahrhunderten der darauf folgenden Wiederherstellung nicht völlig erfüllt, sondern der Fluch liegt heute noch auf dem Volk und der verheißene Wiederbringungssegen harrt noch seiner Realisierung. Man darf die Worte nur lesen, um sich davon zu überzeugen, sofern man überhaupt an die Erfüllung der Weissagungen glaubt. Das Wunder der Erhaltung Israels bis auf diese Stunde, während alle andern antiken Nationalitäten vernichtet oder doch durch Vermischung mit fremdem Blut bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind, dieses doppelte Wunder, da die anderen Völker an ihren Wohnsitzen blieben, während Israel in aller Welt zerstreut wurde, ist der große Kommentar der Geschichte zur Offenbarung. "Auch wenn sie schon im Land ihrer Feinde sind, - so schließt die Weissagung 3Mo 26:44.45, - habe ich sie gleichwohl nicht verworfen und ekelt mich ihren nicht, so dass ich sie vernichtete und meinen Bund mit ihnen bräche; denn ich bin der Herr, ihr Gott, und ich gedenke meines Bundes mit den Vorfahren, die ich aus Ägypterland führte vor den Augen der Heiden, dass ich ihr Gott wäre, ich der Herr." Diese mosaischen Stellen sind das Grundschema der ganzen Prophetie. Die messianischen Psalmen, der theokratischen Blütezeit unter David und Salomo entstammend, heben dem Charakter dieser Periode gemäß nicht sowohl die negative Seite hervor, Abfall, Demütigung und Wiederkehr des Volkes, als vielmehr die positive, die künftige Herrlichkeit, die sich einerseits im Gericht über die feindlichen Könige und Nationen (Ps 2:10), andererseits in der Anziehungskraft äußert, welche Israels Gott und König und Gottesdienst auf die Heiden ausübt (Ps 72; Ps 68:29ff. Ps 22:28ff u. ä.)

Während jene pentateuchischen Stellen nur vom Volk handeln, bringen die Psalmen ferner das bestimmt ausgeprägte Bild des messianischen Königs, Priesterkönigs (Ps 110:4) hinzu. Mit diesem Doppelerbe Mose und Davids beginnt dann die Prophetie ihren Lauf. Für das Verständnis derselben war es vom größten Nachteil, dass die ältere, rechtgläubige Exegese bei den messianischen Weissagungen fast nur die Person Christi im Auge hatte und Volk und reich Gottes nicht zu würdigen wusste, während doch der erschienene Messias selbst mit seinem Grundwort "das Reich Gottes" auf ganz andere Bahnen hätte leiten sollen. Man zwang allem, was von dem Reich Israels gesagt ist, eine fälschlich sogenannte geistliche, eine spiritualistische Deutung auf die Kirche auf, was nicht ohne die gewaltsamste Entleerung und Umdeutung der heiligen Worte geschehen konnte, und wobei stets der Eindruck blieb, die Propheten hätten doch eigentlich ganz anders reden müssen, wenn sie wirklich von Jesus und seiner Kirche weissagen wollten: sie sprechen immer von einem sieghaften König und einem Reich der Herrlichkeit, statt von Christi Leiden und Sterben, von der Versöhnung und Rechtfertigung aller Menschen durch sein Blut zu weissagen. Jes 53. aus dem Zusammenhang gerissen, wurde daher das Lieblingsstück alttestamentlicher Exegese, woran sich etwa noch Dan 9 und einige Stellen Sacharjas schlossen, außerdem die Weinachtstexte Jes 7:14 und Jes 9:6, ebenfalls nicht sehr tief in ihrem schwierigen Zusammenhang erfasst.

An einem lebendig geschichtlichen Verständnis der Prophetie fehlte es und fehlt es eigentlich noch gar sehr. Die rationalistische Exegese macht mit vielem Schein gegen jene falsch geistliche Deutung den Buchstaben geltend; sie zeigt, dass die Propheten von einem israelitischen Reich weissagen, und zieht dann den Schluss, dieselben haben sich geirrt, weil sie natürlich mit der Orthodoxie darin einverstanden ist, dass wir ein solches Reich nicht mehr zu erwarten haben. Die Lehre von der herrlichen Wiederherstellung Israels in Kanaan nach schwerer Züchtigung und Demütigung, ist ein so wesentlicher Grundgedanke aller Prophetie, dass man nicht sowohl in Verlegenheit ist, Stellen dafür zu finden, als vielmehr, solche auszuwählen. Beispielsweise sei hingedeutet auf Jes 2:2-4; Jes 4:2-6; Jes 9:1-6; Jes 11-12; namentlich Jes 11:11ff.; Jes 24ff. Jes 60ff.; Jer 30-33; Hes 34:23-31; Hes 36-37; Hos 2:16-25; Hos 3:4.5; Ob 1:17-21; Mi 3:1-2; Mi 4-5; Mi 7:11-20; Zeph 3:14-20; Sach 2;4ff. Sach 8:7ff. Sach 9:9ff. Sach 10:8-121; Sach 12:2-13:6; Sach 14:8ff. Auch der nachexilische Sacharja weiß noch von einer ganz andern Sammlung und Verherrlichung des Volkes, als die ist, die er jetzt miterlebt. Schon oben war Gelegenheit zu bemerken, dass dieser zusammenfassende und abschließende Prophet die erste und zweite Zukunft des Messias, seine Verwerfung und seine spätere Anerkennung durch Israel am deutlichsten unterscheidet.

Er ist es daher auch, der die Bekehrung des Volkes, welche die Bedingung seiner Wiederherstellung ist, ausdrücklich als Buße über die Verwerfung und Tötung des Messias fasst: "Über das Haus David und über die Bürger zu Jerusalem will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets; und sie werden mich ansehen, welchen sie durchstochen haben; und werden über ihn klagen, wie man klagt über ein einiges Kind, und werden sich um ihn betrüben, wie man sich betrübt um einen Erstgeborenen. Das Land wird klagen, ein jegliches Geschlecht besonders, das Geschlecht Davids, Nathans, Levis, Simeis usw. Zu der Zeit wird das Haus David und die Bürger zu Jerusalem einen offenen Born haben wider die Sünde und Unreinigkeit. Und zu der Zeit, spricht der Herr Zebaoth, will ich der Götzen Namen ausrotten aus dem Land, dass man ihrer nicht mehr gedenken soll; dazu will ich auch die (falschen) Propheten und unreinen Geister aus dem Lande treiben." (Sach 12:10-13:2). Wir haben gesehen, wie die Trübsal der letzten Zeit diese durchgreifende Sinnesänderung in Israel vorbereitet; hier finden wir sie nun beschrieben, und daran schließt sich dann, was Jesus selber weissagt, die Bürger von Jerusalem werden ihn einst, wenn sie ihn wieder sehen, zurufen: Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Mt 23:39.

Die nähere Schilderung nun, welche die Propheten in den angeführten Stellen von dem Glück und der Herrlichkeit der "messianischen Zeit" machen, schließt sich trefflich an das an, was wir oben aus den neutestamentlichen Stellen gewonnen haben, Israel, in sein Land zurückgebracht, wird das Volk Gottes in einem viel höheren und innigeren Sinne als früher, indem der Sünde gesteuert wird, die Erdkenntnis Gottes das ganze Land erfüllt und der Herr wieder unter seinem Volk in Jerusalem wohnt. Es beginnt also eine neue Offenbarungszeit, der Geist Gottes ist reichlich ausgegossen und damit eine Fülle von Gnadengaben, wie die apostolische Kirche sie vorbildlicherweise besaß. Dies reiche Geistesleben findet nun aber auch seine vollendetet Darstellung nach außen, sowohl in priesterlicher als in königlicher Weise. Das Priesteramt Israels hat besonders der Priestersohn Hesekiel geschaut in jener geheimnisreichen Vision Hes 40-48, das Königtum der Staatsmann Daniel, beides vereinigt z. B. Jeremia (Jer 33:17-22). Was zu den Zeiten des A. Bundes nur auf äußerliche Weise, im Buchstaben, geschah, was in der Kirchenzeit umgekehrt sich in das inwendige, verborgene Geisteswesen zurückzog, das wird dann auf pneumatische Weise sich auch äußerlich darstellen und ausgestalten. Im A. B. war das ganze israelitische Volksleben in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, Haus- und Staatswesen, Arbeit und Kunst, Literatur und Kultur religiös bestimmt, aber nur erst auf äußerlich gesetzliche Art; die Kirche hat vor allem auf Herzenserneuerung zu dringen und muss jene äußeren Lebensgestaltungen freigeben, es dem Gewissen der Einzelnen anbefehlend, auch hierin Christum zu verherrlichen; im tausendjährigen Reich werden alle diese Lebensgebiete von innen heraus wahrhaft christianisiert werden. So angesehen, wird es nun auch nichts Anstößiges mehr haben, wenn wir daran erinnern, dass dem Priestertum Israels das mosaische Zeremonialgesetz und dem Königtum das bürgerliche Gesetz entspricht. Die Heidenkirche hat nur das Moralgesetz adoptieren können, so gewiss sie lediglich auf die innerlich wirkenden Mittel des Wortes, des Prophetentums angewiesen ist. Wenn aber einmal Priestertum und Königtum wieder erstehen, dann wird, unbeschadet des Hebräerbriefs, auch das zeremoniale und bürgerliche Gesetz Moses seine geistlichen Tiefen entfalten im Kultus und in der Verfassung des tausendjährigen Reichs. Nur von diesem Gesichtspunkt aus kann wohl die Äußerung Christi Mt 5:17-19, die sonst immer noch einen irrationalen Rest behält ganz gewürdigt werden*).

*)"Himmel und Erde dürfen nicht vergehen, bis dass alle Vorbilder und Verheißungen des Reiches Gottes erfüllt werden. Dieses teure Verheißungswort Jesu ist uns Bürge, dass die Erwartungen aller dieser großen Dinge gewiss erfüllt werden, und zwar zur Freude aller Gerechten". C. H. Z e l l e r im Monatsblatt von Beuggen, März 1854, S. 21f.

Die Zukunft der Völker und der Schöpfung

Jetzt ist noch die Zeit der Predigt, dann wird die Zeit der Liturgie gekommen sein, welche lauter bekehrte Leute voraussetzt; jetzt wird unsere Kirchenverfassung immerzu Stückwerk bleiben, dann werden auf beiden Gebieten die rechten Formen in großer Kraft und Schönheit sich finden. Und mit der Heiligkeit und Herrlichkeit des Gottesdienstes wird eine entsprechende Weltbeherrschung sich verbinden, eine Fülle von Segen und ungetrübter Lebensfreude. Wenn Israel so seinen Gott verherrlicht und von ihm wiederum verherrlicht wird: so verfehlt das seine tiefgehende Wirkung auf die Völkerwelt nicht. Man braucht den Heiden jetzt nicht mehr mühsam nachzugehen; sie kommen von selbst herzu, angezogen von den reichen Gnadengütern der Gottesoffenbarung, die sie vor sich sehen. Es ist ihnen eine Lust, diesem Gott zu dienen und ihr Edelstes darzubringen. Während also in der alttestamentlichen Zeit die Juden allein und in der kirchengeschichtlichen Zeit die Heiden allein den Segen und das Heil der Offenbarung genossen, mithin in beiden Fällen die Menschheit eine geteilte war: werden dann Juden und Heiden vereint, wird die ganze jetzt unter dem erstgeborenen Bruder organisierte Menschheitleben sein (vgl. Röm 11:30-32). So hören dann von selbst auch alle Gräuel auf, mit welchem das Völkerleben offen und insgeheim bis zur Zukunft Christi hin befleckt war; der Krieg vor allem, diese Zuchtrute, mit welcher die Menschen in ihrer Torheit einander selbst aufs Empfindlichste schlagen müssen, wird dann (aber nicht früher) beseitigt sein; ein allgemeiner Friede breitet sich segensvoll über die Völker aus.

Selbst die Natur wird in diesen Segen des allgemeinen Heiles hineingezogen, der Boden mit unerschöpflicher und veredelter Fruchtbarkeit begabt, alle Feindseligkeit und Mordgier von der Tierwelt genommen, ja der Himmel mit der Erde in entsprechender Harmonie verbunden. Sollte nicht das alles eine sich von selbst ergebende Folge davon sein, dass die Welt, auch die Naturwelt vom Banne des Teufels befreit sein wird? Wir finden uns hier an frühere Zeiten erinnert, an die noch naturkräftigere vorsündflutliche Welt, wovon Petrus spricht (2Petr 3:4ff.): wie es einst anders werden werde in der Welt als jetzt, so sei es auch schon einmal anders gewesen. Eben dahin weist ein Umstand, en man aus einer Andeutung Jesajas erschließen kann (Jes 65:20-22): hundertjährige Leute heißen Knaben, die Menschen sollen wieder so alt werden wie Bäume und, ein besonders schöner Zug, ihr Lebenswerk nicht unvollendet und ungenossen hinterlassen. Wo die Sünde weniger Macht hat, da hat auch der Tod weniger Macht: so war es bei den ersten Menschen auf Erden, so wird es wieder bei den letzten sein, bis in einer noch späteren Zeit der Tod als der letzte Feind völlig überwunden ist.

III. Zusammenfassende Stellen

Diese prophetischen Grundgedanken vom Reich Israels finden nun im N.T. ausdrückliche, mehrfache Bestätigung, und zwar nicht etwa vorzüglich bei den Judenaposteln Jakobus und Petrus, auch ihrer israelitischen Seite nach nicht in der Apokalypse, sondern hauptsächlich bei Paulus und in Aussprüchen Christi, wie sie neben Matthäus der Pauliner Lukas uns aufbewahrt hat.

Das 11. Kapitel des Römerbriefs ist in dieser Beziehung der neutestamentliche Schlüsse zum Verständnis der Propheten. Wie der Apostel im ersten Teil dieses Briefes auf die Patriarchenzeit zurückgeht und am Beispiel Abrahams die Einheit von Juden und Heiden im Wesen des rechtfertigenden Glaubens aufzeigt, wie er im zweiten Teil (von Röm 5:12 an) zur Aufzeigung der Bedeutung des Gesetzes fortschreitet: so ist der dritte Teil (Röm 9-11) von lauter Beziehungen auf die dritte Stufe der alttestamentlichen Offenbarung, auf die Prophetie, durchflochten, weil Paulus in ihr die ganze Entwicklung des Reiches Gottes auf Erden, wie sie zwischen Israel und den Heiden verläuft, dargestellt sieht. Indem so der Apostel seine eigenen Aussagen über Verwerfung und Wiederannahme Israels auf das prophetische Wort gründet, werden dieselben für uns zugleich umgekehrt zu einem Licht, welches hell in das A. T. zurückstrahlt und die uns Heidenchristen vielfach so dunklen Worte der Propheten beleuchtet. Wir wissen nun bestimmt durch Paulus, dass die alttestamentlichen Weissagungen von Israels Bekehrung und Wiederbringung weder durch die Rückkehr aus dem Exil, noch durch die Gründung der Kirche ihre völlige Erfüllung gefunden haben, sondern derselben noch harren. Wenn die Fülle der Heiden eingegangen ist und somit die Heidenzeit (Lk 21:24), die Zeit der heidenchristlichen Kirche abgelaufen ist, so wird Israel als Volk (πᾶς Ἰσραὴλ Röm 11:25.26) gerettet und selig werden. Und das kommt dann nicht bloß ihm selbst zugute, sondern auch der dann lebenden, bis dahin unbekehrten Heidenwelt. "Denn so ihr Fall der Welt Reichtum war und ihr Schaden der Heiden Reichtum, wieviel mehr ihre Fülle! Denn so ihre Verwerfung der Welt Versöhnung war, was wird ihre Annahme anders sein als Leben aus den Toten?" (Röm 11:12:15). Der Apostel, bei welchem sich die Liebe zu seinem Volk und die Vertiefung in die Reichswege Gottes die Hand reichen, eilt über die Zeiten der Heiden, wie kurz aber wie lang sie dauern mögen, hinweg auf die Zeit hin, wo Israel in den Vollbesitz des Heils gelangen wird.

Er selbst ist der Apostel der Heiden und hat sein ganzes Leben an ihre Bekehrung gesetzt; dennoch ist ihm die Zeit, wo sie das herrschende Element im Reich Gottes sind und Israel davon ausgeschlossen isst, ein bloßer Zwischenakt in der göttlichen Reichsentwicklung; er weiß und spricht es hier mit voller Selbstverleugnung aus, dass auch für die Heiden der volle Segen erst dann kommen kann, wenn Israel wieder an der Spitze des Reiches Gottes steht. Bei dem Ausdruck: Leben aus den Toten" mit d e W e t t e u. a. geradezu an die Auferstehung zu denken, darauf führt nichts im Zusammenhang, und auch das Wort selbst enthält keine Nötigung dazu. Allerdings aber können wir den Ausdruck nur dann in seiner Fülle und namentlich in seinem Unterschied von"Versöhnung" verstehen, wenn wir bedenken, dass die Bekehrung Israels mit der Parusie Christi zeitlich und ursächlich zusammenhängt und einen neuen Weltzustand in ihrem Gefolge hat, wo sich von dem Volk Gottes aus auf die Völkerwelt ein neues Leben in höherer, charismatischer Geistesfülle verbreiten wird, gegen welches das Völkerleben der vorangegangenen Zeiten ein totes heißen muss. Der Apostel bezeichnet diesen neuen Weltzustand mit demselben Ausdruck, welchen er Röm 6:13 (vgl. Eph 2:5; Kol 2:13) für die Wiedergeburt des Individuums gebraucht hat, Leben aus den Toten: es wird alsdann ein wiedergeborenes Volks- und Völkerleben, eine Weltwiedergeburt geben, wie es jetzt eine Wiedergeburt der Einzelnen gibt. Ganz entsprechend nennt Jesus diesen neuen Äon die Palingenesie (Mt 19:28) und Petrus die Zeiten der Erquickung und der Herstellung alles dessen, was Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten geredet hat, wobei der den Eintritt derselben mit der Parusie Christi ausdrücklich gleichzeitig setzt und von der Buße und Bekehrung Israels abhängig macht (Apg 3:19-21), was wir nun alles aus dem Bisherigen einfach und deutlich verstehen.

Wiederherstellung des Reiches

Hebt Paulus vorzugsweise die innere Seite der Wiederbringung Israels hervor, weil ihn der ganze Zusammenhang des Römerbriefs auf diese führt: so hat Petrus mit seiner "Herstellung alles dessen, was Gott durch den Mund der Propheten geredet hat", zugleich auch die äußere Reichsherrlichkeit Israels im Auge, und für diese finden wir nun in der feierlichen Abschiedsstunde, in welcher Christus die Erde verlässt, noch ein merkwürdiges Zeugnis. Die Apostel haben an ihren scheidenden Herrn keine dringendere Frage als die: Wirst du in dieser Zeit dem Volk Israel das Reich herstellen (ἀποκαθιστάνεις τὴν βασιλείαν τῷ Ἰσραήλ Apg 1:6, es ist dasselbe Wort wie ἀποκαταστάσεως Apg 3:31)? Sollen wir nun etwa annehmen, die JÜnger seien hier noch in jüdischen Äußerlichkeiten befangen gewesen? Dagegen sprich im Text selbst das Vorhergehende wie das Nachfolgende. Während der vierzig Tage nach der Auferstehung hatte Jesus mit ihnen die Dinge des Reiches Gottes nach Maßgabe des prophetischen Wortes besprochen (Apg 1:3; Lk 24:44.45); und wie könnten wir glauben, dass sie ihn auch in diesen letzten Zeiten noch missverstanden haben? Vielmehr geht aus der apostolischen Frage hervor, dass in den Belehrungen des Herrn selbst die beiden Begriffe Reich Gottes und Reich Israels nicht so weit auseinander gelegen haben müssen, dass ihnen der Herr vom Kommen des israelitischen Gottesreiches gesprochen und nur über den Zeitpunkt seines Erscheinens sich nicht geäußert haben muss; denn aller Nachdruck der Frage liegt auf dem: in dieser Zeit; die Sache selbst setzen sie als bekannt und anerkannt voraus. Eben darauf weist nun auch die Antwort hin, welche Jesus Apg 1:7 gibt. Dieselbe enthält eine unzweideutige Bestätigung davon, dass Israel das Reich noch einmal erhalten soll, indem sie nur die Bestimmung des näheren Zeitpunktes für den Eintritt dieses Ereignisses ablehnt. Weiter weist dann der Herr Apg 1:8 die Jünger vom Reich hinweg auf die Kirche, deren Zeit jetzt bevorstehe; denn der heilige Geist mit seinen inwendigen Wirkungen steht der äußeren Herrlichkeit und das apostolische Zeugenamt steht dem Königtum (βασιλείαν) wonach sie fragen, gegenüber. Der Herr sagt also seinen Jüngern beim Scheiden: Zuerst die Kirche, dann das Reich. Dass aber das letztere nicht ausbleiben wird, müssen noch ausdrücklich die Engel bestätigen, welche nach der Himmelfahrt Apg 1:11 bezeugen: "Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wir so kommen, wie (οὕτως, ὃν τρόπον) ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren."

Dass aber Israel fortbestehen wird durch die ganze Kirchenzeit hindurch, während welcher da Zeugnis von Christo bis ans Ende der Erde (Apg 1:8), also unter die Heiden dringt, das hat Jesus selber vorausgesagt Mt 24:34: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe. Das vielumstrittene "dies Geschlecht" heißt hier wirklich nicht die gegenwärtige Generation, sonder ungläubige Judenvolk. Nicht nur hat D o r n e r in seiner dissertatio de oratione Christ eschalologica mit vieler Gelehrsamkeit nachgewiesen, das γενεὰ auch Volk heißen könne, sondern man kann bei der allgemeinen Bedeutung Geschlecht mit tadelndem Nebenbegriff, wie es Jesus gewöhnlich braucht (z. B. Mt 12:45; Lk 17:25), stehen bleiben. An die Bedeutung Generation, Menschenalter zu denken, geht deswegen nicht an, weil Lukas unsern Ausspruch auch hat (Lk 21:32), während er doch kurz zuvor die Zeiten der Heiden erwähnt (Lk 21:24), die, wie schon aus dem Plural hervorgeht, jedenfalls länger sind als eine Generation. Vielmehr ist der Sinn unserer Stelle dieser. Jesus ist dem Zusammenhang nach durch den Feigenbaum (Mt 24:32.33), den er ja mehrmals früher als Bild für das jüdische Volk gebraucht hat, an dieses letztere erinnert worden, und indem er nun einen Beweis für die unvergängliche Geltung seiner Worte (Lk 21:35) anführen will, weissagt er den unvergänglichen Fortbestand dieses ungläubigen Geschlechts trotz seiner Zerstreuung unter die Heiden, auch durch die Heidenzeiten hindurch (Lk 21:24). So wenig bei Israel von einem Vergehen (beide Male παρέλθῃ) die Rede sein wird, ebensowenig bei seinen Worten: Israels Fortbestand ist ein lebendiger Beweis für die Wahrheit der Weissagung, eine tatsächliche Bürgschaft für ihre einstige Erfüllung.

Endlich ist noch eine Verheißung zu erwähnen, welche der Herr seinen zwölf Jüngern wiederholt gegeben hat: sie werden in der Wiedergeburt, wenn des Menschen Sohn sein Herrlichkeitsreich einnehmen werde, die Regierung der zwölf Stämme Israels zur Belohnung für ihre treue, selbstverleugnende Nachfolge erhalten (Mt 19:28; Lk 22:28-30). Wir haben diese Stelle bis zuletzt aufgespart, weil sie am geeignetsten ist, den Zusammenhang zwischen den alt- und neutestamentlichen Aussagen über das tausendjährige Reich abschließend zu veranschaulichen. Die zwölf Apostel gehören natürlich der verklärten Gemeinde an, die zwölf Stämme Israels sind noch auf Erden; und so stellt sich hier die Verbindung des irdischen Reiches mit dem überirdischen, die Abhängigkeit des ersteren vom letzteren deutlich heraus. Zwölf als das Produkt der Gotteszahl Drei und der Weltzahl Vier ist die Signatur der Gemeinde, welche sich im A. T. in den zwölf Stämmen, im N. T. in den zwölf Aposteln ausprägt. Beide entsprechen also einander, und ihre Bedeutung reicht hinein ins neue Jerusalem, welches die Namen der zwölf Apostel auf seinen Gründen und die der zwölf Stämme auf seinen Toren geschrieben hat. Eben dahin gehören die zweimal zwölf Ältesten vor dem Thron des Lammes und die zwölfmal zwölftausend Versiegelten aus Israel. Sie bilden den Grundriss der verklärten Menschheit, in welchen die Heiden eingefügt werden. So gehört während der tausend Jahre im Himmel die unzählbare Schar aus allen Nationen (Offb 7:9) zu den 144000 Versiegelten aus den zwölf Stämmen, und auf Erden gehört die Völkerwelt zum Reich Israels; an der Spitze des Ganzen aber stehen die Apostel. Die obere und die untere Gemeinde sind noch voneinander getrennt, aber doch miteinander in Verbindung, worauf eben jene Verheißung des Herrn an seine Jünger hinweist. In noch späterer Zeit aber, nach dem Weltgericht, wenn Himmel und erde erneuert und das neue Jerusalem vom Himmel herabgekommen sein wird, da wird vollends jede Schranke gefallen sein.

In diese Zeit schaut Johannes Offb 21 uns 22 hinaus. Der alttestamentliche Seherblick reicht noch nicht deutlich so weit; wenigstens unterscheiden die Propheten noch nicht, wie Johannes, zwischen dem tausendjährigen Reich und der Vollendungszeit nach dem Weltgericht. Jesaja zwar spricht auch bereits von einem neuen Himmel und einer neuen Erde (Jes 6517; Jes 66:22), es ist aber darunter nach dem ganzen Zusammenhang der Zustand des tausendjährigen Reiches zu verstehen, in welchem nur vielleicht einige Lichtstrahlen von der noch weiter hinausliegenden Vollendungszeit hereinfallen. Ebenso verhält es sich mit dem ewigen Reich des Menschensohnes und der Heiligen, welches Daniel geschaut hat. Daher liegt es hier nicht in unserer Aufgabe, die Gesichte des Johannes weiter zu verfolgen und auch noch die völlige Welterneuerung, die sich ebenfalls wieder durch Abfall und Gericht anbahnt (Offb 20:7-15), ins Auge zu fassen. Es seien hier nur noch einige allgemeine Gesichtspunkte zu abschließender Verständigung hervorgehoben.

Perioden der Gottesoffenbarung

Auch das tausendjährige Reich ist noch nicht das letzte Ziel der göttlichen Reichsentwicklung. Denn es ist immer noch eine Scheidung zwischen Erde und Himmel, zwischen verklärter und im Fleisch lebender Menschheit vorhanden, daher auch am Ende noch ein Abfall möglich. Das Reich ist herrlicher als die Kirche, aber es ist noch nicht die neue Welt. Es ist nach der Zeit des Kampfes eine Zeit der Erquickung, aber noch nicht die eigentliche Vollendungszeit. Eine allgemeinere Betrachtung mag uns dies Verhältnis veranschaulichen. Natur, Geschichte, Offenbarung sind die drei großen Gebiete göttlicher Manifestation. Das höchste derselben nimmt die beiden niedrigeren in sich auf. Denn die Offenbarung, zu den Menschen wie zu Kindern sich herablassend, bedient sich zuerst der sie umgebenden Sichtbarkeit: die Natur macht Gott in der Urzeit in dreifacher Abstufung zum Vehikel seiner Offenbarung, erst die paradiesische, dann die mit dem Fluch beladene, dann die durch die Sündflut zerstörte Natur. An eine Baumfrucht knüpft sich die moralische Erprobung; als Zertretung der Schlange erscheint die Erlösung; die Strafe der Sünde wird auf die beiden Prozesse gelegt, welche die physische Existenz der Menschheit bedingen, auf den Fortpflanzungsprozess für das Weib, auf den Ernährungsprozess für den Mann; als Zeichen der göttlichen Huld stellt der Regenbogen sich dar. Da aber die Menschen, statt sich durch sichtbare Natur zu dem unsichtbaren Gott führen zu lassen, die Natur selbst vergötterten und so ins Heidentum verfielen: so begann Gott mit Abraham eine neue, höhere Reihe von Offenbarungen, zu deren Vehikel er die Geschichte wählte Die Uroffenbarung war noch allen Menschen gemeinsam, sowie an der Natur alle teilhaben; in der Geschichte dagegen scheiden sich die einzelnen Völker, jedes hat seine besondere Geschichte.

So wählt denn Gott jetzt aus den Völkern eines, das israelitische, aus und nimmt die ganze Entstehung und Entwicklung desselben in seine Hand, so dass die Geschichte Israels die zweite Periode der Offenbarung ausmacht. Die Grundelemente geschichtlichen Lebens werden denn in Israel religiös bestimmt: der Staat wird zur Theokratie, die Kunst geht im Kultus, die Literatur in heiliger Schrift auf. So kommt es hier zu einer äußeren Heiligung und Zucht des Lebens, aber noch nicht eigentlich zu einer inneren pneumatischen Wiedergeburt aus Gott. Diese ist erst möglich auf der dritten Stufe, welche wir als die Offenbarung der Offenbarung bezeichnen könnten, wo Gott seine Offenbarung von den natürlichen und geschichtlichen Vehikeln und Außenwerken befreit und selbst unmittelbar in die Menschheit hereintritt in der Person des Gottmenschen Jesus Christus. In ihm ist das Leben Gottes der Welt auf wesenhafte Weise eingepflanzt, und darum hat die Offenbarung in ihm ihren Abschluss gefunden. Es handelt sich nun nur darum, dass das Gottesleben von Christo aus und durch ihn auch der ganzen Welt mitgeteilt werde, bis Gott alles in Allem ist. Dies geschieht wieder sukzessiv in drei Perioden, welche den bisher betrachteten Offenbarungsperioden in umgekehrter Ordnung entsprechen. Wie das Leben des Gottmenschen selber äußerlich das Gepräge unscheinbaren Privatcharakters trägt und sich in dieser Beziehung nicht vergleichen lässt mit dem Donnergang der israelitischen Geschichte oder gar den gewaltigen Naturereignissen der Urzeit: so ist die erste Periode der Ausbreitung des göttlichen Lebens die der inwendigen, geistlichen Verborgenheit in der Kirchenzeit, während welcher nicht bloß die Natur, sondern auch die Geschichte im Wesentlichen noch den alten ungeistlichen Gang geht.

Dann aber bricht das Leben Christi aus der Verborgenheit hervor (Kol 3:3.4) und durchdringt mit Macht die ganze Geschichtswelt mit ihren Grundelementen Staat, Kunst, Bildung usw. in der Zeit des tausendjährigen Reiches; ja es wird endlich auch zur Macht der Naturverklärung, der universellen Weltverklärung in der Zeit des neuen Himmels und der neuen Erde. Wir sehen hier aufs Neue, wie das tausendjährige Reich der israelitischen Offenbarungsperiode entspricht, wie dort im Geiste, und darum auch in universeller, freilich nicht in abstrakt, sondern in organisch universeller Weise geschehen wird, ,was hier im Buchstaben und daher in nationaler Einschränkung geschah. Daraus erklärt es sich auch, warum gerade in dieser Zeit Israel an der Spitze der Menschheit stehen soll, und warum die Propheten des A.B. vorzüglich auf sie hinausgeschaut und meist über die Kirchenzeit weggesehen haben. Sie sind Propheten Israels, und für Israel kommt die kirchengeschichtliche Periode nur als die Zeit seiner Zerstreuung unter die Heiden in Betracht. Hiermit ist nun wohl auch Dan 2 und 7 nach allen Seiten hin zu anschaulichem Verständnis gelangt.

Lies weiter:
B. Die neueren Auffassungen der Offenbarung Johannis