Die Apokalypse: Einleitung

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'Abschrift des Buches: Die Apokalypse oder der Tag des Herrn
Verfasser: E. W. Bullinger (1902)
(erschienen mit dem Titel: "Commentary Revelation Apocalypse"
Verlag: MARTINO FINE BOOKS - 6. Dezember 2012)

Inhaltsverzeichnis
Vorwort

In Bearbeitung

Einleitung

Viele Bibelleser behandeln die Heilige Schrift, als wäre sie ein Fixierbild, auf dem es ein Gesicht, einen Mann oder sonst etwas zu suchen gibt. Welchen Teil der Bibel sie auch lesen mögen, immer heißt es: Wo ist die Gemeinde? Denn da das "Wort der Wahrheit" nicht mehr recht geteilt, oder überhaupt nicht geteilt wird, so setzen sie voraus, die ganze Bibel handele von jedermann, in jedem ihrer Teile und in jedem Zeitabschnitt. Und die Gemeinde ist ihnen überall die Voraussetzung.

Das kommt her von der uns angeborenen Selbstsucht. "Wir" gehören zur Gemeinde, und darum nehmen "wir" alles, was "wir" lesen, für uns in Anspruch und zögern nicht, andern zu rauben, was ihnen zukommt.

Schlägt man z.B. die Bibel, den Propheten Jesaja, auf, so liest man in den Überschriften der Seiten bei Jes 29 und Jes 30: "Gericht über Jerusalem" und "Gottes Gnade über Seine Gemeinde. (So heißt es in der englischen Bibelübersetzung, nicht in der deutschen.) Das ist in der Tat ein Teilen des Wortes nach Menschenart. Aber ob das Wort so "recht geteilt" ist? Das Buch soll "das Gesicht Jesajas sein,"welches er sah von Juda und Jerusalem". Und doch wird trotzdem der Segen von Juda und Jerusalem fortgenommen und der Gemeinde gegeben, während Flüche und Gericht freundlich "Juda und Jerusalem" überlassen bleiben.

Nach diesem Auslegungssystem ist die Bibel wertlos für die Zwecke der göttlichen Offenbarung. Sie wird zum Spott ihrer Feinde, zum Schauplatz für die Angriffe der Ungläubigen, ein Stein des Anstoßes sogar für ihre Freunde. Und doch wird die Apokalypse gewöhnlich nach demselben Grundsatz behandelt. Überall wird die Gemeinde hereingezogen: Johannes (Offb 4:1) stellt die Gemeinde dar; die Lebewesen oder Cherubim (Offb 4) sind die Gemeinde; die vierundzwanzig Ältesten (Offb 4:5) sind die Gemeinde; die 144 000 (Offb 7) sind die Gemeinde. (Obwohl ausdrücklich gesagt wird, dass sie "von allen Geschlechtern der Kinder Israels" sind. Wären sie zum Gericht versiegelt worden, so hätte man wohl niemals behauptet, dass "die Kirche" damit gemeint wäre.) Die große Schar (Offb 7.) ist die Gemeinde; "das Weib mit der Sonne bekleidet" (Offb 12) ist die Gemeinde; das Knäblein (Offb 12) ist die Gemeinde; die Braut (Offb 19) ist die Gemeinde; das "neue Jerusalem" (Offb 21) ist die Gemeinde; die "sieben Gemeinden" sind auch Gemeinde. - So treiben sie es weiter, bis der Leser des Buches ganz verwirrt und entmutigt ist. Da ist es kein Wunder, dass das Buch nicht viel gelesen wird. Man müsste sich vielmehr wundern, wenn es anders wäre.

Der Zweck unserer Auslegung soll es nun sein, alle, die dieses Weissagungsbuch verstehen möchten, aus dem Sumpf der Überlieferung emporzuheben.

Wir glauben unser Ziel am besten zu erreichen, wenn wir von der üblichen Weise der Auslegung abgehen, und die Auslegung der Worte, Sätze und Verse so lange anstehen lassen, bis wir den Zweck des Buches kennen gelernt haben und über den großen Grundgedanken gewiss geworden sind, auf dem sich die ganze Auslegung aufbauen muss.

Vor allem glauben wir, und müssen wir glauben, 1. dass Gott das wirklich meint, was Er sagt, und 2. dass jedes Wort, das Er spricht, seine Bedeutung hat. Alle Seine Werke und alle Seine Worte sind vollkommen in ihrer Wahl, Anordnung und Stellung, so vollkommen, dass, wenn Er ein Wort oder eine Wendung gebraucht, auch ein Grund vorhanden ist, warum andere nicht gepasst haben würden.

Auf diesem Grunde werden wir unsere Thesen oder Behauptungen aufstellen und bitten unsere Leser, sich nicht durch die bloße Angabe derselben schon stutzig machen zu lassen, sondern mit betendem Sinn unsere Gründe zu prüfen. Auch mögen unsere Leser bedenken, dass, wenn auch einige Gründe an sich selbst schon genügen, um unsere Stellung zu befestigen, doch die durchleuchtende Klarheit von dem Gesamteindruck abhängt. Unser großer Fundamentalgrundsatz lautet:

Die Gemeinde ist nicht Gegenstand der Apokalypse.

Wie überraschend das auch manchem unserer Leser klingen mag, wir bitten dringend, diese Behauptung nicht zu verwerfen, sondern die Gründe zu prüfen, die wir aus Gottes Wort selbst dafür geben werden, und sie abzuwägen auf der Waage des Heiligtums. Man suche alles durch die Tradition Angenommene zu vergessen und frage sich, von wem man dieses oder jenes gelernt hat. Man sei bereit, alles von Menschen Erlernte zu vergessen und frisch aus dem Wort Gottes selbst zu schöpfen.

Unser erster Punkt zum Beweis unserer großen Behauptung:

Die Dreiteilung der Bibel

Die ganze Bibel ist in drei große Teile geteilt, von denen jeder durch seinen Gegenstand bestimmt wird.

  1. Das Alte Testament hat zum Gegenstand den König und Sein kommendes reich in Verheißung und Prophezeiung.
  2. Die vier Evangelien und die den Übergang bildende Apostelgeschichte setzen dasselbe Thema fort und zeigen die Darstellung des Königs und des Reiches und die Verwerfung beider.
  3. Die Apokalypse nimmt wieder denselben Gegenstand auf und offenbart uns das Kommen des Königs und die Gründung des Reiches im Gericht mit Macht und großer Herrlichkeit.

Zwischen der Apostelgeschichte und der Offenbarung haben wir die Epistel, die sich auf das Mysterium - die christliche Kirche - beziehen in der gegenwärtigen Zwischenzeit, während der König im Himmel weilt und Sein Reich verwaist ist, und während die Predigt von dem "Evangelium vom Reich " unterbrochen und das "Evangelium von der Gnade Gottes" verkündigt wird. Wenn kein Unterschied wäre zwischen diesen beiden Stücken der "frohen Botschaft", und das Reich dasselbe bedeuten sollte wie die Kirche oder der Leib Christi, dann wäre alles umsonst, nicht nur unsere Aufgabe, sondern selbst die Bibel. Soll ein Wort nicht bedeuten, was es sagt, wenn es von einer so einfachen, buchstäblich zu nehmenden Tatsache gebraucht ist, dann sind Worte für die Zwecke der Offenbarung überhaupt wertlos. wir haben dann Verhüllung und Verwirrung statt Offenbarung, Apokryphen statt Apokalypse.

Glauben wir aber an die Vollkommenheit von Gottes Worten, nicht allein Seines Wortes, so unterwerfen wir uns der Tatsache, dass hier eine erste große Begründung unserer Behauptung liegt, dass die Kirche (der Leib Christi) nicht der Gegenstand der Apokalypse ist.

Man wird sich noch leichter hiervon überzeugen, wenn wir die ganze Fülle der Beweise dargeboten haben. Wir stellen diesen ersten Grund auf, indem wir unsere Leser einfach bitten, das, was Gott sagt, zu glauben.

Der hebräische Charakter des Buches

Obwohl manche diesen Punkt für unwichtig halten mögen, ist er doch so wichtig, dass wir nicht darüber hinweggehen können. Die meisten kritischen Ausleger haben damit zu tun; denn von den frühesten Zeiten an haben die Feinde des Buches dies unbestreitbare Tatsache benutzt, um dadurch zu beweisen, dass es kein Reicht habe, in den Kanon mit den übrigen griechischen Büchern des Neuen Testaments eingereiht zu werden.

Der hebräische Charakter des Buches zeigt sich in dem Gebrauch von Idiomen, Ausdrücken Wörtern und Sätzen die nicht griechisch genannt werden können und tatsächlich von manchen als "schlechtes Griechisch" bezeichnet worden sind.

Professor Godet sagt in seinen "Bibelstudien zum Neuen Testament" auf Seite 239: "Die einzige erhebliche Einwurf gegen die Echtheit der Apokalypse ist der Unterschied im Stil dieser Schrift von dem des vierten Evangeliums. Dieses ist frei von Aramäismen, jene ist ganz voll davon." Und auf Seite 253 heißt es: "Die Offenbarung hat von Anfang bis zu Ende den Charakter einer hebräischen Weissagung".

Die Schlüsse, welche die Gegner der Apokalypse aus dieser Tatsache ziehen, werden von den Gelehrten auf verschiedene Weise beurteilt. Aber der Gegenstand ist nicht derart, dass er für unsere Leser von allgemeinem Interesse sein könnte, da er sich gänzlich auf grammatische Fragen beschränkt.

Es gibt indessen noch eine andere Seite der Frage: Während die Gegner die Tatsache gegen das Buch selbst gebrauchen benutzen wir sie gegen die üblichen Auslegungen. Obwohl die Sprache Griechisch ist, sind die Gedanken und Idiome hebräisch, und dieser Umstand verknüpft das Buch nicht mit den Paulinischen Episteln, sondern mit dem Alten Testament und zeigt, dass sein großer Gegenstand Gottes letztes Tun mit Juden und Nationen ist, und nicht die christliche Kirche.

Mit dieser Tatsache ist eine andere verbunden, welche die erste in bemerkenswerter Weise verstärkt. Das buch hat nicht nur hebräischen Charakter in Bezug auf seine sprachlichen Eigentümlichkeiten, sondern hauptsächlich in seiner Verwendung des Alten Testaments. Nur wer mit dem Alten Testament ganz vertraut ist, kann die Apokalypse richtig verstehen. Aber jeder, der von der alttestamentlichen Geschichte etwas versteht, muss die fast beständige Bezugnahme darauf entdecken.

Als das Bildwerk - der Tempel, die Stiftshütte, die Bundeslade, der Altar, der Weihrauch, die Häupter der vierundzwanzig Priesterordnungen (das Vorbild, das David nachahmte, 1Chr 28:19; siehe 1Chr 25. und vergleiche Hebr 9:23), das alles gehört in besonderer Weise Israel.

Dasselbe gilt von den Strafgerichten, die in gleicher Weise wie die ägyptischen Plagen kommen werden udn darum auch gerade so wirklich sein werden; sie werden sogar jene beim Auszug aus Ägypten in erschreckender Wirklichkeit übertreffen. Denn es steht geschrieben (2Mo 34:10): "Und Er sprach: Siehe, Ich will einen Bund machen vor allem deinem Volk und will Wunder tun, dergleichen nicht geschaffen sind in allen Landen und unter allen Völkern; denn Wunderbares soll's sein, das Ich bei dir tun werde." Eben die Erfüllung dieses Bundes mit Israel ist der große Vorwurf der Apokalypse.

Wenn wir aber auf die literarische Beziehung zwischen Altem Testament und Apokalypse unser Augenmerk richten, so finden wir höchst auffallende Tatsachen.

Zählt man die Stellen aus dem Alten Testament zusammen, die im Neuen Testament angeführt werden, oder auf die hingewiesen wird, so findet man, dass das Matthäus-Evangelium eine sehr große Anzahl derselben enthält, nämlich 92. Im Hebräerbrief sind sogar 102. Beide Bücher nun stehen in besonderer Weise in Beziehung zu Israel. Das Matthäus-Evangelium, wie allgemein bekannt ist, zeichnet sich unter den vier Evangelien durch seinen ausgesprochen jüdischen Charakter aus. Und der Hebräerbrief ist ausdrücklich an die Hebräer geschrieben, und sie werden als solche bezeichnet.

Was finden wir, wenn wir uns nun zur Apokalypse wenden? Das Ergebnis ist überwältigend: nicht weniger als 285 Bezugnahmen auf das Alte Testament, mehr als dreimal so viel wie im Matthäus -Evangelium und fast dreimal so viel wie im Hebräerbrief.

Da fragen wir, ob das nicht dem Buch der Offenbarung eine ganz besondere Beziehung zum Alten Testament und zur Israel gibt? Es ist ohne Zweifel über das Volk des alten Bundes geschrieben, die Israeliten sind der Gegenstand seiner Geschichte. Sie werden es verstehen, wie es für Nationenchristen niemals möglich sein wird. (Es ist höchst bemerkenswert, dass in unserer Zeit, im Jahre 1900, in Palästina eine Bewegung begonnen hat, um die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich aus der Sprachverschiedenheit der palästinensischen Juden ergeben. Das Hebräische soll zur Landessprache gemacht werden! Es soll nicht bloß in allen jüdischen Schulen gelehrt werden, sondern in allen übrigen Fächern soll auch in hebräischer Sprache unterrichtet werden. Mit dieser Tatsache ist eine andere zu erwähnen, nämlich die neuerdings stattfindende große Verbreitung des hebräischen Neuen Testaments von Salkinson-Ginsburg durch Trinitarian Bible Society und die Mildmay Mission unter den Juden: dreivierte Million Exemplare wurden verbreitet.)

Die Gemeinde ist nicht Gegenstand alttestamentlicher Weissagung

Mit dem vorhergehenden Punkt, dass das Buch hebräischen Charakter hat und insbesondere an Hebräer gerichtet ist, ist die andere unumstößliche Tatsache eng verbunden, dass die christliche Kirche nicht der Gegenstand des Alten Testamentes ist, weder in Geschichte, Vorbild noch Weissagung.

Es finden sich im Alten Testament Stellen, die zur Veranschaulichung dessen gebraucht werden können, was später offenbart worden ist; aber nur als Anwendung, nicht als Lehre oder Auslegung, sind sie zu benutzen

Von dem "Mysterium" oder dem Geheimnis, die Gemeinde betreffend, wird uns gesagt, dass es "vor der Welt verschwiegen gewesen ist" (Röm 16:25), dass es "nicht kundgetan ist in den vorherigen Zeiten den Menschenkindern" (Eph 3:5), dass es "vor den Zeitaltern in Gott verborgen gewesen ist" (Eph 3:9), dass es "verborgen gewesen ist vor den Menschen von den Weltzeiten her, nun aber ist es offenbart Seinen Heiligen" (Kol 1:26).

Diese Angaben sind "wahrhaftige Worte Gottes" und nicht unsere eigenen. Wir können nicht anders als glauben, was Gott sagt. Wenn jemand daran festhalten will, dass trotz alledem die Gemeinde nicht "in Gott verborgen" sondern Gegenstand alttestamentlicher Weissagung war, dann haben wir ihm nichts mehr zu sagen, denn wenn er Gott nicht glauben will, so wird er uns auch nicht glauben.

Im Glauben an Gottes Wort aber fragen wir, ob die Gemeinde wohl der Gegenstand der Weissagung in der Apokalypse sein kann, besonders da ihre Zukunft in den Briefen, welche die Offenbarung des Geheimnisses enthalten, klar vorausgesagt ist? Dort erfahren wir, was Zukunft und Ende des Leibes Christi sein wird. Die Glieder des Leibes warten nur darauf, "in die Herrlichkeit aufgenommen" zu werden (1Tim 3:16). "Sie warten auf den Sohn aus den Himmeln" (1Thes 1:10), "auf ihre Vereinigung mit ihm" (2Thes 2:1), auf den Herrn selbst, dem sie entgegen entrückt werden in die Wolken, um also bei dem Herrn zu sein allezeit (1Thes 4:17).

Aber die Entrückung der Gemeinde trifft ein, bevor die Apokalypse beginnt. Dort erwarten wir nicht das Kommen des Herrn, um Seine Gemeinde hinweg zu nehmen, sondern die Offenbarung dessen, was geschehen wird, nachdem die Gemeinde "aufgenommen ist in die Herrlichkeit". Die Ereignisse der Offenbarung werden am "Tage des Herrn" stattfinden, wenn Er kommen wird, nicht in Gnade, sondern zum Gericht, nicht in Barmherzigkeit, sondern im Zorn. Das bringt uns zu unserem vierten Punkt. Was bedeutet "der Tag des Herr" In Offb 1:10?

Der Tag des Herrn