Der Heilsprozess: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 19. September 2020, 16:40 Uhr

Michael Hahn

Einführung in seine Gedankenwelt
mit einer Auswahl aus seinen Werken

Von Gottlob Lang (1921)
Quellverlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis des Buches
Kapitel davor:
Des Menschen Würde und Fall

Der Heilsprozess

Nach früheren Texten

Der Einsatzpunkt für das religiöse Bedürfnis ist für Hahn ein tiefes Gefühl der Armut. Die Seele, die in ihrem natürlichen Stammvater jenen einzigartigen Verlust erlitten hat, hat in diesem Mangel eine unbewusste Erinnerung an den einzigartigen Besitz.

In dieser Armut ist aber der Mensch schon umgeben und geleitet von einer höheren Macht. Schon auf dieser Stufe redet Hahn von ihr als von Jesus, dem in den Geist erhöhten; so namentlich, wenn er sich betend zu ihr wendet. Er nennt sie aber mit Vorliebe unpersönlich: Herrlichkeit Gottes, Weisheit. Wir kennen ja die Weisheit von der Schilderung des göttlichen Geburtsprozesses, als die die Urkräfte umspielende und auslösende Wesenheit (das U im A und O) (Ausführungen wie in VIII, 3.Abt, S.559 über Brief. Weisheit 8 legen den Vergleich mit der Muse eines Künstlers nahe). Sie umspielt auch das Abbild Gottes, die Menschenseele. Zwischen beiden Benennungen: der erhöhte Herr und: die göttliche Herrlichkeit, die Weisheit – zu wechseln, macht ihm deswegen keine Schwierigkeit, weil Jesus für ihn die konzentrierte göttliche Herrlichkeit ist, die ins Fleisch kam – wie auch in 1Mo 1 das Licht, das noch ungefasst durch das All strömt, am 4. Schöpfungstag in der Sonne konzentriert wurde. Eingeschränkt aber ist die göttliche Weisheit durch die Offenbarung in Jesus Christus in keiner Weise.

Die den gefallenen, zerteilten Menschen umspielende Weisheit kann zunächst in ihm nur das Gefühl seiner Armut wecken und vertiefen; zugleich will sie ihm unsichtbare Schranken setzen, wenn er sich nach den Kreaturen auskehren will, um vor jeder groben Versündigung ihn zu bewahren. Ihre Absicht geht aber auf Vereinigung; ihr Umspielen und Locken hat im zartesten und feurigsten Liebeserwerben sein Gleichnis, „sie sucht ein männliches, ihr Eigentum“. Dies Werben aber bringt in der Seele Kampf: alles Widergöttliche, Sündliche wehrt sich gegen die Beeinflussung von oben und schäumt empor, während die Lichts-Liebe sich sehnsuchtsvoll nach der Unerreichbaren ausstreckt. So machen die verschiedenen Welten, die im Menschen verkörpert sind, ihr Recht an ihn in diesem Zeitpunkt besonders geltend, und es geht durch eine Hölle von Qual und Zerrissenheit. Denn so wichtig der Weisheit jede Menschenseele ist, so wenig lässt sie sich von einem ungereinigten Verlangen erobern.

Hat aber die Berührung mit der göttlichen Weisheit stattgefunden – ein Vorgang, der seinem Wesen nach für jedes System Geheimnis bleibt – dann ist der Mensch nicht etwa momentan ergänzt und damit befriedigt, sondern er hat einen Keim empfangen, der ausreift, einen geistlichen Stoff, der Auferstehung und Jesusähnlichkeit wirkt, ein Wiedergeburtsleben oder Geistgesetz im Sinn eines gestaltenden Prinzips. Mit dem neuen Gesichtspunkt wechselt auch kühn das Gleichnis: nun ist auf einmal die Seele die Braut, die Jungfrau, die einen Herrlichkeitssamen erhält (oder aber das neugeborene pflegebedürftige und wachstumsfähige Kind der oberen Mutter). Ob und wie rasch oder langsam der Same sich entwickelt, kommt auf das Verhalten des Menschen zum Licht an. Mit der Bekehrung ist für Hahn durchaus nicht alles Wesentliche geschehen.

Charakteristisch ist ein starker aristokratischer Zug, der sich durch diesen Ansatz zieht. Die göttliche Weisheit hält eine strenge Auslese. Nur die, die von Anfang sich ihr hingaben, ehe der Widerstand zu einer Verfestigung und Verhärtung kommt – die eben bei Hahn substantielle Folgen hat – die in völliger Konzentration sich ihr hingeben, kann sie brauchen. Nur sie werden des vollen Genusses teilhaftig. Die andren sind keine Erstlinge, sind ihr (zwar) „lieb, aber nicht wichtig“; sie sind bei den Heilswahrheiten und -gütern auf die Vermittlung andrer angewiesen.

Wir geben diesen Heilsprozess wieder mit einem Zyklus von Liedern aus früherer Zeit. Sie heißen „Weisheitslieder“ (I, Lied 274ff. Hier in der Bearbeitung um ein Drittel gekürzt (das Ganze hat 208 Verse) und unter Gesichtspunkten geordnet, die aber streng dem Zusammenhang Hahns entnommen wurden); ihrem Inhalt nach möchte ich sie nennen:

[Vom Suchen und Finden des religiös idealen Menschen] (Weisheitslieder)

1. Die Not des Menschen ohne die Weisheit

(I, Lied 274)

Die menschliche Seele ist schrecklich verarmet,
Dass, wer sich nicht über dieselbe erbarmet,
Der siehet auch gar ihren Mangel nicht ein;
Sonst würde er voller Erbarmungen sein.
Sie ist ein verarmter Halbgott auf Erden,
Kann mit nichts gestillt und befriediget werden,
Lebt unter Verdrießlichkeit Qual und Beschwerden.
Worinnen bestehet es denn, sein Verarmen?
Wer kann sich, wer soll sich, wer muss sich erbarmen?
Wer hat denn den Halbgott bestohlen, beraubt?
Tat er es nicht selber? so hab ich geglaubt.
Ach freilich, er hat es, das Beste, verscherzet,
Und das ist es freilich, was ihn jetzo schmerzet;
Denn alles das schmerzet, was vorher geherzet.
Die göttliche Herrlichkeit ist ihm genommen;
Er ist um das göttliche Ebenbild kommen;
Sein liebster, sein treuster, sein seligster Schatz.
Im Seelengrund hat er den leeresten Platz,
Den kann keine Zeit mehr ergründen, erfüllen;
Derselbige Leer-Raum ist nimmer zu stillen,
Er hegt einen andren allmächtigen Willen.
Sein Schatz war die Tochter vom höchsten Allvater;
Seitdem sie ihm mangelt, seitdem hat er Marter;
Es gibt für den armen Gott sonst keine Braut;
Für ihn taugt ja keine in irdischer Haut.
Er hätte sich hiermit nicht sollen betrügen,
Durch heftiges Suchen, durch Wollen und Ziegen,
Durch irdisches Denken und schattichtes Kriegen.
Dies heißet sich selbst für den Narren gehalten;
Dem Schatten nachhaschen, von innen erkalten,
Den Körper verlieren, der doch voller Kraft,
Der mehr als doch alles die Seele voll macht.
Das heißt ja: verarmen, verhungern, verlieren;
Das heißet sich selber betrügen, verführen,
Den Allvater lassen und suchen bei Tieren.
Die Herrlichkeit Gottes, die göttliche Dirne,
Die hat er verloren, der Halbgott, ich zürne!
Ich fühle den Mangel auch selber in mir:
Es fehlet mir selber die selbige Zier.
Wir Menschen sind alle im Halb-Gott verstanden,
Soviel als von uns auf der Erde vorhanden,
Wir finden uns alle in Spott und in Schanden.

(Die Seele hat das Licht des Lebens verloren, also ein stark magisches Leben behalten, und das ist ein qualvolles Leben.)

Nur lasset uns vorher beim Halbgott verbleiben,
Noch mehr seinen Abfall und Armut beschreiben;
So wird das Erbarmen im Herzen recht reg,
Und dieses nimmt zu uns den heiligsten Weg;
Es kommt durch die stilleste Ewigkeit wieder,
Und lässt sich im innersten Seelenpunkt nieder,
Und lockt uns zum Leben, merkt doch, lieben Brüder!
Die Welt läuft jetzt voll der verarmten Halbgötter;
Du selbst bist auch einer, du fleischlicher Spötter!
Dies klinget dir seltsam im irdischen Ohr;
Das zeiget: du bist ein wahrhaftiger Tor;
Du weißt nicht wer du bist und wer du gewesen;
Du magst nicht und willst nicht zum Himmel genesen;
Du magst von der Armut nichts hören und lesen.
Der Halbgott ist gierig und will gerne magieren*
Empfindet wohl etwas von seinem Verlieren;
Er suchet und scharret, sein Herz ist so leer;
Und hätte er alles, er wollte noch mehr.
Dies zeuget von einem gewaltigen Schlunde,
Von einem erstaunlichen hungrigen Grunde,
Von einem unmenschlichen, groß‘ Götter-Munde.
  • (übernatürliche Kräfte durch seinen Willen heranziehen und dienstbar machen, vgl. XII. Band, 10.Brief: über Magie und Sympathie)

[Die so wichtig genommenen Unterschiede des Eigentums und der sozialen Stellung machen in Beziehung zum „Hungergrund“ keinen Unterschied aus. Beim Lichts-Geschlecht begibt man sich ohnedies freiwillig der natürlichen Rechte, „da hat man alleine die heiligsten Rechte, dass einer dem andern sich mache zum Knechte“. Die Unterschiede der Begabungen sind einschneidender, dürfen aber umso weniger dazu missbraucht werden, dass sich einer zum Selbstgott erhebt.]

Doch eins muss man merken, begabete Seelen,
Die freilich am meisten sich können verfehlen,
Die fühlen doch meistens ihr Arm-sein zuerst;
Sie finden und sehen: das was du begehrst,
Ist nicht auf dem irdischen Welt-Ball zu finden,
Denn er muss wie Schatten vergehen, verschwinden,
Wie wird es dir gehen? Dann bleibst du dahinten!
Dies sind die begabten, zartfühlenden Seelen,
Die spüren es freilich, ein heimliches Quälen;
Der Herrlichkeitsmangel ist ihnen so nah;
Sie seh‘n sich als arme nur Halbgötter da,
Und wissen die Sache doch noch nicht zu legen;
Sie können sich nicht nach Verlangen bewegen;
Sie fühlen sie immer, die Sünde, sich regen.
Und diese zartfühlenden Adel-Gemüter
Empfinden oft nahe das gut aller Güter,
Und sind doch mit diesem noch gar nicht gemein;
Es ist noch verdecket und weckt nur die Pein.
Das magische Wollen wird dann wie entzündet,
Das sich wieder mutlos in Hunger-Grund wendet,
Weil es das Verlangte auf Erden nicht findet.
Hier wird sich’s entscheiden, welch Wesen im Grunde;
Denn hier ist der Scheid-Punkt: fast oben im Schlunde*
Ist Finsternis-Liebe und teuflischer Sinn
Im Herzen verborgen, und also darin,
So werden die Gaben der Seele sich neigen
Zum Baume des Todes, bedecket mit Feigen,
Die werden dann alles nur unter sich beugen.
  • (Wenn oben im Schlund Finsternis-Liebe ist, so...)
Ist aber im Grunde viel Samen des Lichtes,
So geht es, kraft göttlichen Bibel-Berichtes,
Von nun an auf Gutes, Wahrhaftiges los;
Das Geistesverlangen wird herrschend und groß.
Die Seele flieht alle vergänglichen Wesen,
So wie sie die dieselbe Erfahrung lässt lesen*;
Sie wünschet alleine in Gott zu genesen.
  • (nämlich eben ihre Vergänglichkeit und Nichtigkeit)
Jetzt merkt sie in etwas des Hungers verlangen
Und fühlt, was sie eigentlich sollte empfangen;
Denn hier hat sie freilich zu allem kein Recht,
Und was sie betrachtet, ist alles zu schlecht.
Sie fühlet sich ewig, das Eitle verdächtig;
Ach! denkt sie, ach wär ich meiner doch mächtig!
Ich wollte Gott suchen recht sehnlich und heftig.
Die Herrlichkeit Gottes, das Gut wahrer Güter,
Ist gleichsam um solche erwachten Gemüter,
Sie spielt wie verborgen oft um sie herum
Und merket, wie dass sie dieselben bekomm.
Sie sehen ihr Spielen und fühlen ihr Wesen
Und möchten es gerne noch deutlicher lesen;
Sie merken, dann könnten sie ewig genesen.
Zum Licht steigt die Neigung in ihnen beständig;
Sie fühlen ein Etwas im Grunde inwendig;
Das wieder die Herrlichkeit Gottes verlangt,
Und das an derselben noch sehnsuchtsvoll hangt;
Dies Etwas wird freilich gar öfters gehemmt
Und wieder mit allerlei Anfall beklemmet,
So, dass sich die Seele oft quälet und grimmet.
Das Licht kann nicht wirken, mit kräftigen Strahlen
Und herrlichen Kräften sich noch nicht abmalen;
Es ist ja der Seele noch nicht konzentriert,
Noch nicht in ein Brennpunkt zusammengeführt;
Sie kennt noch nicht Jesus, des Allvaters Sonne,
In welchem sie fasslich, die göttliche Wonne,
Voll Leben und Klarheit auf herrlichem Throne.
Die finstre Welt will sie nicht gerne entlassen;
Sie suchet dieselbe stets wieder zu fassen
Und greift sie noch stärker und heftiger an,
Dass sie es fast selber nicht mehr fassen kann;
Die Sünde lässt all ihre Süßigkeit spüren,
Damit sie die Seele nur möge drein führen,
Sie will sie, die Seele, nicht gerne verlieren.
Du aber, Herr Jesus bemühst dich desgleichen:
Auch du willst die Seele im Lichte erreichen;
Dir soll es gelingen, denn das ist ihr Glück.
Ach lasse dich nimmermehr treiben zurück!
Es müsse dir freilich mit all solchen Seelen
In Ewigkeit nimmer und nimmermehr fehlen.
So werden sie dorten von Wundern erzählen.

2. Das Werben der Weisheit um die ihr gehörigen Seelen

(I, Lied 275, 1ff)

Verarmt ist sie also, die Seele des Menschen
Und hat ein erschreckliches Hungern und Wünschen;
Dieweil seine Ewigkeit arm ist und leer.
Erbärmlicher Halbgott, du hungerst zu sehr!
Du weißt es fast selber nicht, was du begehrest;
Doch wenn du mit etwas gesättiget wärest,
Dann hättest du, was du nicht wieder verzehrest.
Furcht Gottes ist ja dir nebst allem Verderben
Ein Etwas, das scheuet ein ewiges Sterben;
Dies macht dir verdächtig das Sündengefühl
Und gibt dir viel Unruh nach sinnlichem Spiel.
Was meinst du, wie heißt es, wie soll man es nennen?
Wie ist es zu finden, woran soll man’s kennen?
Wer gibt uns so geistliche, himmlische Sinnen?
Die Weisheit des Höchsten berührt deine Seele;
Sie grenzet an diese lebendige Quelle,
Umgiebet dieselbe, ist um sie herum;
Denn sie hat ein männliches, ihr Eigentum.
Dies will sie, sie möchte sich damit vermählen,
Drum regt sich ein Etwas tief in deiner Seelen,
Dies wird sie erlangen, dies wird sie erwählen.
Wenn also die Seele sie merket und fühlet,
So wie sie in allem vor ihrem Aug spielet,
So wird ein zentralischer Lichtpunkt erweckt,
Und das ist es freilich, was fühlet und schmeckt.
Dies Licht steigt im Grunde und sucht ihres Gleichen.
Ich meine, es suchet und kann nicht erreichen;
Die Weisheit scheint hier vor der Seele zu weichen.
Der Halbgott, verarmt und fast gänzlich verdorben,
Ist allzu-hasch um diesen Brautschatz beworben
Und kennet denselbigen immer noch nicht;
Doch fühlet er wohl, dass ihm dieses gebricht.
Da aber nicht rein genug dies sein Verlangen,
So kann er für diesmal es noch nicht empfangen
Und bleibet noch mehr in dem Finstern gefangen.
Jetzt lässet die Seele den Mut fast ersinken
Und fühlet ein quälendes, schreckliches Kränken;
Die Finsternis-Liebe setzt wiederum an
Und forschet, ob sie ihr nichts abzwingen kann:
Und siehe, die Seele schaut wieder dahinter,
Die Sünde gefällt ihr nun immer noch minder,
Und dennoch denkt sie sich als den größten Sünder.
Nun wird ihre Bangigkeit höher noch steigen;
Die Sünde wird sie unter Satane beugen;
Sie sieht ihre Armut und fühlet sie sehr,
Als wenn es ihr ewig zu helfen nicht wär.
Sie sinket in Angst und in Traurigkeit nieder
Und ging ins Non-esse (nicht sein), ach könnt sie nur, wieder.
Das heißet recht arm sein, geliebteste Brüder.
Nun steigt die Tinktur nicht im Eigenheits-Feuer;
Sie ist wie umstellet mit Angst-Ungeheuer;
Die Weisheit ist aber zugleich um sie her,
Als wenn sie zur Wächterin aufgestellt wär.
Indessen umschweben die Seele die Kräften,
Die sie nach Verlangen des Herrn stellen möchten,
Frei machen von allem Vergänglichen, Schlechten.
Weil also die Seele genug vorbereitet,
Indem sie der Schöpfungs-Geist hat ausgebrütet,
So geht ein jungfräulich Verlangen herfür
Im Lichte des Lebens und öffnet die Tür.
Dies steiget subtil und in reinem Verlangen,
Es weiß nichts und will nichts und kann nichts verfangen;
Das spielende Etwas, das möcht es empfangen.
Das Licht ist der Seele unfasslich, ungreiflich;
Es freuet sich freilich schon recht unvergleichlich;
Doch ist’s noch nicht kommen zu einem Genuss,
Und das bringt der Seele noch etwas Verdruss.
Denn was sie gesehen, das will sie genießen;
Dies könnt sie erfüllen, sollt es ihr einfließen;
Dies könnt ihren Hunger auf ewig durchsüßen.
Nun kommt ihr die Herrlichkeit Gottes entgegen,
Begegnet der Seele auf solcherlei Wegen;
Nun wird sie in selige Wonne gesetzt;
Hier sieht sie auf einmal, was ewig ergötzt.
Nun kann sie nicht halten ihr zartes Verlangen;
Es will sie umfassen und wird doch umgangen
Und kann nun auf einmal fast alles empfangen.
Nun hat sie die liebvolle Herrlichkeit wieder;
Sie denket noch gar keiner Schwestern und Brüder;
Sie stehet in Einfalt; die Lichtes-Tinktur
Will Jesus alleine in Gottes Natur.
Und so kann sie freilich den Ausfluss erreichen;
Es macht sie, die liebliche Sonne, nichts weichen;
Nichts ist mit einfältiger Sehnsucht zu gleichen.

3. Der Kampf der Seele um die Weisheit

(I, Lied 277, V. 18ff)

Nein, freudiger gibt es nicht Seelen zu finden,
Als solche, die sich mit der Weisheit verbinden;
Sobald sie derselbigen ganz zugetan,
Dann erst geht dieselbige Freudigkeit an.
Vorher da war freilich viel Trauern und Klagen,
Das hörte man freilich ja vorne schon sagen;
Denn Sündenlust lässt sich so leicht nicht verjagen.
Der Weisheit-Liebhaber der schreit im Gedränge,
Wenn er sich gepresst find’t vom finstern Gemenge;
Er schreit aus der tiefesten Tiefe hervor,
Eh als es sich öffnet, der Weisheit ihr Tor.
Er hat vor demselben schon lange geharret;
Die Sünde, die hätte ihn gerne genarret.
Er ist in der Kälte fast vielmal erstarret.
Dies ließ der Liebhaber sich gar nicht verdrießen;
Er glaubte ein Anblick kann alles versüßen.
So hielt er die Weisheit so köstlich, so wert;
Und das heißt sie lauter und herzlich begehrt.
So will sie Tinkturen, so suchet sie Seelen;
Mit solchen begehrt sie sich bald zu vermählen;
Und diesen kann freilich ihr Suchen nicht fehlen.
Die haben sie freilich durch Reize erblicket,
Dass sie sie in kurzem so herzlich erquicket,
Dass ewiger Eindruck in ihnen verblieb,
Der innig sie dringet und stetig sie trieb,
Nur diesen Schatz wieder zu sehen, zu finden;
Hierzu treibt sie gar auch der Anfall von Sünden,
Derweil sie darinnen schon Hölle empfinden.
Dies heißet vorm Spiegel der Weisheit fest stehen,
Und seine und ihre Gestalt recht besehen,
Dass beiderlei Eindruck im Herzen verbleibt;
Dass eine die andere völlig austreibt;
Auf dies folgt ein schreckliches Ängsten und Quälen
Im innersten Grude des Lebens der Seelen;
Die Finsternis kerkert das Lichtes-Erwählen.
Da aber die Lichtlust nicht wohl einzuschränken,
So muss sich dieselbe bald unter sich senken
Und kann doch die Marter nicht länger austehn;
Jetzt wird sie auf einmal der Weisheit Bild sehn.
Das zieht sie, das macht einen Quer-Blitz von innen,
Denn jetzt kann die Lichts-Lust dem Finstern entrinnen,
Und nun zeigen sich alsbald die reineren Sinnen.
Jetzt wird die Tinktur-Kraft vom Seelenverlangen,
Von göttlicher Weisheit, mit Klarheit empfangen,
Vom Urquell der Weisheit erkannt und erquickt,
Und wie in dem Lichts-Punkt des Lebens entzückt:
Allda wird die Fülle der Gottheit empfangen;
Hier kann man die Gnade um Gnade erlangen.
Ach, hier ist es selig und recht zugegangen.
Nun wird er, der Seelengeist, fast wie verschlungen,
Verwandelt, verändert und gänzlich durchdrungen;
Der Herrlichkeits-Same wird ihm mitgeteilt;
Hier wird er, der Halb-Mensch, vollkommen geheilt.
Jetzt hat er die Herrlichkeit Gottes gesehen,
Und durfte ins Braut-Gemach mit ihr eingehen
Und freilich in Jungfrauschaft brautartig stehen.
Hier hat sie ihn freilich, den Samen, empfangen,
Der wird es wohl sein, was die Seelen verlangen;
Wenn dieser sich einmal entwickelt im Grund,
So ist er derselbe der mit Gott im Bund;
Er kann sich zur Ähnlichkeit Jesu enthüllen.,
Zusammen sich ziehen und wieder erfüllen,
Und alles nach seiner Pracht-Mutter Licht-Willen.
Er ist ja ein Ganzes, ein Kleines vom Großen,
Vom ewigen Lichtquell in Seelen ergossen;
Dies ist jetzt die herrliche Neu-Kreatur.
Sie hat sie erhalten, die laut‘re Tinktur.

4. Die Bedingungen des Erlangens der Weisheit

(Aus I, 277, 275, 279; frühes Suchen)

Nachdenkliche Seelen sind ihre Gesellen,
Nein diese sie laufen nicht blind nach der Höllen;
Sie merken und denken was schädlich und nütz‘,
Und also sie haben und wählen den Witz.
Sag ob denn ein anderer dieses nicht könnte,
Wenn er es verlangte und sich’s angewöhnte,
Wenn er sich nach Wahrheit und Weisheit auch sehnte?
Sie hätte uns gern in den jüngeren Jahren,
Eh uns noch die edelsten Kräfte entfahren,
Denn wen sie zum Werkzeug erwählet und macht,
Der muss um die Kräfte noch nicht sein gebracht.
Sie sucht unverdorbene Menschen-Naturen,
Recht laut‘re und lichthelle Lebens-Tinkturen,
Nicht solche, die Leben und Kräfte verhuren.
Die Schuld, dass so viele der Weisheit nicht leben,
Die Schuld kann man freilich der Weisheit nicht geben;
Sie wirbt ja um alle, hat alle erlöst;
Doch wenn sie die Seele verachtet, verstößt,
So findet sie freilich die Seele nicht teuer,
Und flieht vor derselben grobartigen Feuer
Und sehnt sich nach solchen, die ihr sind getreuer.
Sie hat auch sogar mit Verächtern Erbarmen
Und denkt: o bedächtet ihr doch auch, ihr Armen!
Zu dieser nur jetzig euch eigener Zeit:
Was euch wär mit all meinen Schätzen bereit.
Alleine ich kann euch und will euch nicht zwingen,
Ich will mich drum niemand gewaltsam aufdringen,
Es möchte mit solchen mir gar nicht gelingen.
Sie denket: Doch endlich wird mancher noch kommen,
Wenn er von der Sünde zuvor übernommen;
Wenn er durch den eigenen Schaden ist klug,
Und wenn er erkennet der Sünde Betrug.
Dann ist er mir freilich zwar lieb, doch nicht wichtig,
Er ist mir zu manchem nun nimmer so tüchtig,
Denn Kindheit und Jugend sind eitel und flüchtig.

[Nachdenkendes Forschen]

Nichts haben die Menschen, das sie nicht empfangen,
Auch die, die zur göttlichen Weisheit gelangen;
Auch diese empfangen nicht einen Voraus,
Und haben doch etwas besonders im Haus.
Ihr Vorteil ist, dass sie ob allem nachdenken,
Und also zu Weisheit sich kehren und lenken,
Dann kann ihnen Gott das besondere schenken.
Das glaub ich, so fragst du: wer gibt ihnen Denken?
Und meinest, du könntest nun billig dich kränken.
Nein Bruder, das Denken ist nicht angebor’n;
Wer’s liebet der hat es erst wieder erkor’n,
Auch du könntest denken und auf alles kommen;
Hier lässt man nicht gelten dein Murren und Brummen,
Du hast nur die Sache zu spät wahrgenommen.
Auch du hättest können die Weisheit erwählen;
Gott wirkte auch Unruh‘ dir in deiner Seelen,
Doch aber die Sünde hat dich überditzt (überlistet);
Du hast nicht erwogen, was schadet, was nützt.
Das heißet den ersten Grad Weisheit verfehlen;
Hier mangelt der Witz, der bei denkenden Seelen
Bei aller Versuchung das Beste wird wählen.
Sie haben es Gottes Bewahrung zu danken,
Denn diese erhielt sie in göttlichen Schranken.
Hat aber dies alles Gott gar nicht begehrt
Mit dir, wenn er dir hat das Böse verwehrt?
Du aber hast ihn nicht gefürchtet, gescheuet;
Du hast dich zum Unglück gleich wieder zerstreuet,

Und nicht in Gedanken des Lichts dich erfreuet. (In der Fortsetzung (277,16) heißt es: Flatternde Geister hasst die Weisheit, denen alles Genießen wahllos gleich süß ist, ob geistlich oder weltlich.)

[Konzentration]

Du könntest, o Seele! auch fassen und nehmen,
Wenn nur nicht viel Dinge dazwischen dir kämen,
Das immer dir wieder die Sonne verdeckt.
Verlangen wir öfters auch in dir geweckt.
Es steiget dir immer etwas mit im Willen;
Gott kann dein Verlangen nicht hören und stillen;
Er sieht, dass die Augen nach allerlei schielen.
Du denkest in Vielfalt an viel Kreaturen,
Sobald sie sich neiget der Lebens-Tinkturen,
Die Herrlichkeit Gottes mit göttlichem Glanz;
Sie hat also selbe Tinktur-Kraft nicht ganz.
Dies macht sie sogleich von den Seelen abkehren.
Wer sie will, muss gar nichts mehr wollen, begehren,
Sonst wird sie sich freilich niemalen verklären.
Lass also die Herrlichkeit Gottes auf Erden,
Armseliges Menschenkind! alles dir werden;
Sonst bleibest du immer sehr arm und geschwächt.
Nur dies musst du haben, hier hast du das Recht.
Wirst du etwas anders verlangen, bekommen,
Dir wird es im Tode doch wieder genommen,
Und gingest du lebenslang hier mit den Frommen.

(Zu beachten ist, wie sich Hahn so gar nicht durch den äußeren Anschluss an Fromme in Kirche, Gemeinschaft, usw. imponieren lässt.)

[Standhaftigkeit, Lauterkeit]

Du denkest: Was soll dies und jenes dann schaden?
Ich habe mich ja nicht mit Lastern beladen!
Das lässt man ja gelten und glaubet es dir;
Doch wisse, es hindert ein kleines allhier,
Die Weisheit von oben, denn sie ist gar reine,
Und liebet die Lauterkeit freilich alleine.
Ist diese nicht in dir, so wird sie nicht deine.
Und wenn man dir gäbe viel Erden und Welten:
Sie sollen dir alle nichts heißen und gelten!
Die Weisheit muss teurer und edler dir sein,
Sonst ist deine Seele zu eitel und klein.
Der Ewigkeitshunger ist noch nicht erwachet,
Auch hat es in dir nicht geblitzt und gekrachet;
Der Tod und die Höll‘ hat nicht deiner gelachet.
Du musst in die Presse viel ärger noch kommen,
Bis alles Vergängliche dir abgenommen,
Bis es dir entleidet durch innere Qual,
Bis dass du geschieden von diesem Erdball...
Was braucht es denn aber ein ewig‘ Bedenken,
Wenn sie dir die Krone des Lebens soll schenken!
Entschließe dich ganz ihr zu werden getreu!
In zwei und drei Tagen ist’s noch nicht vorbei;
Lass dich einmal etliche Jahre probieren;
Du wirst ja nicht Leib und auch Seele verlieren:
Und ob du auch glaubtest, lass dich nicht verführen.
Du willst doch, das weiß ich, im Tierstand nicht bleiben,
Man merkt es an deinem gewaltigen Treiben;
Es ist doch ein Hunger-Grund in dir erwacht,
Der hat dir schon sehr viele Qualen gemacht;
Das wird doch nicht sollen umsonst sein gewesen;
Du wird doch auch wollen wahrhaftig genesen;
Man kann’s dir ja fast von der Stirne ablesen.
Zitiere die Dinge zumal vors Gerichte
Im innersten Grunde vor ‘m göttlichen Lichte,
Die immer der Weisheit im Wege noch sein,
Die immer und bisher zur Hinderung dein!
Und wenn’s der Müh‘ wert ist, sie heben und haben
Noch mehr, als die Weisheit mit all ihren Gaben,
So sollst du die Unruh im Herzen vergraben.
Komm herrliche Schöne, was stehest du draußen!
Die Sünde ist billig vom Herzen ganz haußen:
Ich will, es soll keine mehr in mir noch sein,
Und muss ich sie fühlen, so habe ich Pein.
Komm, Liebste, dein Lebens-Licht soll mich erfreuen;
Es kann mich zu deinem Bild herrlich erneuen.
Du woll‘st mir doch nur deine Perle verleihen!

5. Unmittelbares und mittelbares Erleben der Weisheit

(Aus I, 275, 276)

...Sie* mögen durch Mittel erst werden gefangen
Und dieses Licht erst durch dieselben erlangen
Die alles unmittelbar also empfangen.
  • (Die weltliebenden Seelen, die jene Bedingungen nicht oder ungenügend erfüllen)
Sie haben nicht also gesetzte Tinkturen
In ihren leibhaftigen Menschen-Naturen;
Es ist gar zu wenig Jungfräulich‘s darin;
Zu flüchtig ist beides, die Seele der Sinn.
Denn Nacht ist die Sonne, so steigen die Geister*
Und dann ist die Seele ihr selber nicht Meister.
Hier bin ich ihr freilich ein leidiger Tröster.
  • (Wenn die Sonne der Lichtwelt untergeht, steigen die Geister von unten empor.)
Der, welcher nicht eben zentralisch erkennet,
Und dennoch in göttlicher Liebe auch brennet,
Der hat nicht zu klagen, denn was ihm gebricht,
Ich meine das Schauen, das könnte auch nicht
Die göttliche Weisheit ihm also zusenden;
Er wird sie durch Mittel schon haben und finden:
Es wird ihm ein andrer schon gerne auch zünden.
Die Herrlichkeit Gottes, so herzlich erfahren,
Begehrte Gott freilich so sehr nicht zu sparen.
Ach schickten sich viele nur recht dazu an!
So würde geschehen, was alsdann wohl kann.
Ach aber, wie viele sind lässig im Denken;
Sie mögen sich freilich so tief nicht ersenken;
Sie tun sich zu bald und zu jämmerlich kränken.
Man möchte sie freilich recht herzlich gern sehen
So lichtvoll im Herzen aufblühen, aufgehen
Die Herrlichkeit Gottes, die liebliche Braut;
Denn so gibt es keine in menschlicher Haut.
Da aber die Seele so hart wird probieret,
Eh als sie dieselbe ins Braut-Gemach führet,
So wird es von vielen nicht drauf angespielet.

6. Wege der Weisheit im Leben des Schreibenden

(I, 276).
Die Weisheit spielt freilich um die, die sie lieben,
Und die sie mit Vorsatz niemalen betrüben;
Die vielmehr getreu sind derselbigen Zucht,
Damit sie auch finden derselbigen Frucht,
Die fühlen sie immerdar in ihrer Nähe
Und glauben, dass etwas sie merke und sehe;
Es wird ihnen freilich oft bange und wehe.
So sind sie, die Seelen, vor ihrer Bekehrung;
Sie haben schon innere Gottes-Belehrung,
Und die hält von vielen Verderben sie ab;
Wie ich bei mir selber gefunden wohl hab.
Ich wurde belehret in jüngeren Jahren,
Die blühenden Kräfte der Jugend zu sparen,
Und wusste noch nicht, wem dieselben bewahren.
Schön blühend und stark sein hat mir mehr gefallen,
Nebst andern Absichten, nur diese vor allen:
Dies war mir noch lieber, als sündliche Lust,
Ob sie sich gleich regte gar oft in der Brust.
Mir war es erschrecklich, sich schändlich zurichten;
Die Liebe zu mir ließ geschehen mitnichten,
Ein Werk in der Finsternis üben und dichten.
Furcht Gottes und Liebe zur schöpf’rischen Bildung
Gestattete mir freilich keine Verbildung,
Obschon mich die Sünde im Herzen auch trieb;
Ein schöner gesunder Leib war mir mehr lieb,
Nebst einer gar heimlichen Neigung zur Keuschheit;
Dies war von der Nähe der göttlichen Weisheit.
Ich hatte nur dunkle Begriffe der Wahrheit.
Die eigene Schönheit, wer will mit mir zürnen,
Gefiel mir noch besser, als jene der Dirnen;
Und diese erhalten, drauf war ich bedacht;
Dazu nahm ich innere Ahndung in Acht.
Ob diese nun gleich Eigenliebe zu heißen,
So kann man doch gleichsam dies auch noch beweisen:
So hat mir die Weisheit es wollen anpreisen*.
  • (Schon diesem gesunden Selbsterhaltungstrieb lag ein unbewusstes religiöses Motiv zugrunde.)
Ich fühlte auch grausames Schämen und Scheuen,
war dieses ein Fehler, woll‘ Gott mir’s verzeihen.
Ich kam mir erwachsen zu kindisch stets vor;
Wer etwas mir sagte, der war mir ein Tor.
Ich schämte vor Menschen, vor Gott hatt‘ ich Scheue;
Und dachte oft, was denn auch wohl um mich seie;
Und wollte ich etwas, ich war nicht so freie.
Fast wo ich gegangen, gestanden, gesessen,
(Das darf ich, das soll ich zugleich nicht vergessen)
Da redete etwas von innen mit mir,
Und sagte nebst andern: Der Mensch ist kein Tier.
Es war ein beständiges Denken und Fragen,
Und wer hat mir etwas hiervon wollen sagen?
Ich konnte es keinem, nicht einem vortragen.
Wann ich nur ein Wörtlein von Geistlichkeit hörte,
Wenn jemand ein Wörtlein von Jungfrauschaft lehrte,
(Ich meine von Keuschheit und ledigem Stand,
Wiewohl auch das alles war sehr unbekannt;)
So hüpfte mir freilich die Seele im Leibe,
Ich dachte mit Vorsatz: dass ich also bleibe;
Mir ekelte freilich vorm fleischlichen Weibe.
Doch dass ich das mir wieder selber ausstreiche,
In mir war noch etwas, mit was ich es gleiche,
So reicht es noch immer nicht vollkommen zu,
Das hatte Verlangen und ließ mir nicht Ruh.
Bis dass ich mich immer noch fester entschlossen,
Die fleischlich Wollust noch niemals genossen,
Auf ewig zu meiden und ganz zu verstoßen.
Die Weisheit, so glaub ich, mir wird man’s nicht nehmen,
Sie suchte mich freilich also einzunehmen;
Denn sie sprach aus allem, durch alles mit mir,
Und hören war dann meine Sache allhier.
Ich hörte sie immer auf Wegen und Straßen,
In Feldern, in Wäldern in Häusern, auf Gassen,
Und konnte doch keines verstehen und fassen.
Wie, wo und was Gott sei, das konnt‘ ich nicht fassen;
Sein Sehen, sein Hören, das wollt‘ mir nicht passen,
Ich dachte mir immer den herrlichsten Mann;
Der, ob er behende, nicht überall kann.
Denn so war ich eben belehrt und berichtet;
Dann hab‘ ich, von innen gedrungen, gedichtet,
Hab aber gar lange nicht viel ausgeschlichtet.
Ich sahe die vielerlei Wesen der Dinge;
Es war mir die ganze Welt öfters zu enge.
Ich wollte verstehen, warum es so sei;
Ich dachte, und dachte verborgen, nicht frei.
Ich sah viele Farben aus einerlei Boden,
Ich dachte vom Adler, bis auch auf die Motten.
Ich dachte vom Zeder bis auf den Ysopen.
(Wie Salomo, 1Kö 5:13)
Und da ich der keines nicht konnte begreifen,
Fiel auf mich der Schnee, denn ich scheute den Reifen;
Es wirkte ein kohlschwarzer Unglaub‘ in mir;
Ich fiel an den Zweifel in allem allhier.
Ich glaubte das nimmer, was ich hab gesehen;
Ich dachte: Dir träumt es, dass du wirst bestehen;
Du selbst wirst mit allem wie Traumbild vergehen.
Bis dass ich drauf kam, mir könnte nicht träumen,
Wenn ich gar nicht wäre, das sollte ich reimen.
Dann dachte ich wieder in alles hinein;
Wenn eines ist, muss auch das andere sein*;
Und so war dann alles, und Bibel war Wahrheit,
Ob ich schon nicht hatte ihr** Licht, ihre Klarheit,
So war mir das Zweifeln doch Narrheit und Torheit.
  • (Genau wie der Philosoph Cartesius im siebzehnten Jahrhundert den Zweifel an allem abschließt: aber ich denke, also bin ich (cogito, ergo sum).
    • (Anmerkung Hahns: „Dass dieses ein Stück von meinem Lauf vor der Bekehrung sei, wird hoffentlich ein jeder selbst begreifen und einsehen.“)
Nun dachte ich: das wolltest du dann auf Erden,
Was möchtest du sein oder wünschtest zu werden:
Ich habe an allerlei Stände gedacht,
Und eh ich es wollte, war Unlust erwacht.
Gleich sahe ich hinter die Sache dahinter;
Ich sahe: die Sachen sind allesamt minder,
Als sie es betrachten, die meisten Weltkinder.
Es war mir der Kaiser-Stand zu unvollkommen;
Ich hätte ihn damals schon nicht angenommen;
Ein‘ einzige Krankheit vereitelt die Sach,
Und wieviel kann kommen! so dachte ich nach.
So war es mit allerlei Lust, Glück und Ehre,
Ich fühlte bei allem die schreckliche Leere
Im eigenen Herzen, und dacht‘: was das wäre*
  • (Anmerkung Hahns: „Ich wusste nicht, dass Gott dem Menschen die Ewigkeit ins Herz gegeben habe, und fühlte sie doch (Pred 3:11). Mir war alles gleich verleidet. Am längsten hielt mich die Narrheit, ein schöner Husar zu werden. O Eitelkeit!“)
Bei alledem regte die Sünde sich stärker:
Ich dachte dahero: du wirst immer ärger;
Du musst dich bekehren! und wusste nicht wie.
Ich dachte und suchte bald dort und bald hie.
Die Menschen, die man als Bekehrte mir sagte,
Die waren es nicht, wenn ich andere fragte,
Dieweil man so mancherlei über sie klagte.
Ich dachte sie mir wie die Frommen der Bibel;
Ich aber bemerkte am jedem ein Übel
Und dachte: so bist du schon lange bekehrt,
Du möchtest nur wissen, was dann Gott begehrt.
Dann dacht‘ ich, von innen sind anders die Menschen;
Sie sind vielleicht innig, wie du dich tust wünschen,
Und konnte doch keine Gewissheit erwischen.
Kurz endlich, so kam ich dann mehr in die Enge,
Und immer noch ärger ins Jammer-Gemenge,
Nebst vielem, was ich noch daneben gedacht,
Ist immer mehr Unruh und Sünde erwacht;
Und das gab ein heftiges schreckliches Streiten
Oft mehr und oft minder in einerlei Zeiten;
Und war doch verborgen der Welt voller Leuten.
Nun dachte ich endlich: jetzt bist du verstocket;
Gott hat dich schon lange gesucht und gelocket,
Nun aber verlangt er es gar nimmer mehr,
Dass sich deine Seele auch zu ihm bekehr‘.
Nun wolltest du gerne, doch jetzt kannst du nimmer,
Vorher hat Gott wollen, und reizte dich immer,
O wärst du gegangen! Denn jetzt bist du schlimmer.
...Als nun meine Bangigkeit wie übertrieben,
Und mir nichts mehr ist aus der Presse geblieben,
War auch meine Angst auf dem höhesten Grad;
Nun zeigte sich etwas wie aufwärts von Gnad,
Und nun brach entzwei, was mich grausam gehalten;
Nun sah ich auf einem Thron jenen, den Alten,
Den wir nun als unsern Gott jetzt lassen walten.
Was allda noch weiter vorgangen, geschehen,
Was ich dann erblickte und weiter gesehen,
Das sag ich vor diesmal wie vom dritten Mann,
Dieweil ich es anders nicht mag und nicht kann.
Wer aus dem bisherigen hat eingesehen,
Dass also die Weisheit mit mir wollte gehen,
Dem ist es mit Wahrheit recht eben geschehen.
Herzliebster Herr Jesu! ich hab dich gefunden,
Ich denke noch immer der seligen Stunden,
Da ich dich zum ersten Mal habe erblickt;
Ich wurde so selig und herrlich erquickt.
Ach lass dich stets wieder und wieder genießen!
Ach lass dich erkennen, erfahren und wissen,
So laufen wir freilich auf eigenen Füßen.

7. Erfüllung der Sehnsucht durch die Verbindung mit der Weisheit

(I, 278, 29ff)

Ich will mir die Weisheit zur Braut nur erwählen;
Ich weiß, sie kann stillen die menschliche Seelen;
Es ist so gar lieblich, mit ihr umzugehn;
Sie bleibt in dem edelsten Zustande stehn;
Sie kann nicht veralten, sie kann sich nicht ändern;
Es kann ihren Umgang nichts schwächen, nichts hindern;
Sie ist gar erfreulich den edlen Lichts-Kindern.
Liebt einer den Reichtum, den Weisheit kann geben,
Die nützlichsten Dinge für dies arme Leben:
Sie zeiget den ihren das fünft‘ Element,
Das man in den vieren fast überall find‘t,
Dies ist also größer als alles auf Erden;
Wer sollte nicht gerne ihr Schüler auch werden!
Es ist bei ihr gar nicht, das machte Beschwerden.
Liebt einer auch Wissenschaft Gaben und Künste,
Wer kann es so geben als eben die Schönste,
Ich meine die Weisheit! von ihr kommt es her,
Wenn anders die Wissenschaft Wahrheit noch wär.
Man hole doch also die Sach‘ an der Quelle;
Da ist sie noch edel, noch lauter und helle;
Da suche doch alles, geliebteste Seele!
Liebt einer die Ehre und will etwas werden,
Was adelt und ehret die Menschen auf Erden
So hoch als die Weisheit! Denn der, der sie hat,
Ist ja doch ein Wunder dem Land und der Stadt;
Man wollte ihn gerne zu allem erheben;
Er nimmt es nicht an in dem menschlichen Leben;
Man sollt es probieren, er wird widerstreben.
Liebt einer Gesellschaft im menschlichen Leben;
Die Weisheit kann diese am edelsten geben;
Ihr Umgang ist selig und gar kein Verdruss;
Man darf bei ihr bleiben, es ist nicht man Muss.
Wer einmal zu ihr ist gekommen, bleibt gerne,
Dass er bei ihr alles erkenne und lerne;
Er bleibet nicht gern einen Augenblick fern.
Liebt einer die Wollust, so liebt er das Sterben,
Und fleischliche Wollust bringt freilich verderben.
Die Weisheit hat eine Lust, welche erhält;
So ist kein Vergnügen in unserer Welt.
Sie sollte man einmal erkennen im Grunde;
Man hasste und ließe die Sünde zur Stunde
Und flöhe vom garstigen, höllischen Schlunde.

8. Gefahren nach Erlangung der Weisheit

(I, 280, V. 3ff)

Zuerst kriegt man Blicke; dann werden es Blitze,
Wenn man es recht brauchet und weiß, wie es nütze;
Wenn man nicht in Eigenheit aufbraust und wirkt;
Wenn man auf die Weisheit beim Einfluss noch merkt.
Wird aber das eigene Feuer entbrennen,
So weicht sie zurücke im Grunde von innen
Und lässt sich von Seelen also nicht erkennen.
Find‘t sie eine Seele bei lichthellen Blitzen
Gelassen und stille ganz ehrfurchtsvoll sitzen.
In Einfalt und Demut im reinesten Grund,
Als wäre ihr nichts als die Weisheit nur kund;
So wird sie anhaltender in ihr verbleiben
Und länger ihr Spiel in dem Lebens-Grund treiben;
Das darf man mit Wahrheit zum Singen aufschreiben.
Ein Geist, der jungfräulich, der ist nicht zu flüchtig;
Es ist ihm das Wirken nicht halben so wichtig,
Als eben genießen, empfangen im Grund;
Und das ist so herrlich, so gut und gesund.
Hier findet die Weisheit die richtigen Seelen;
Mit solchen will sie sich gar gerne vermählen,
Weil diese die Einzig-Alleine erwählen.
Wer höher von ihr hält, als von ihren Gaben,
den wird sie von Herzen hinwieder lieb haben:
Ein solcher läuft nicht mit denselben davon,
Als hätte er alles und alles nun schon.
Wer bei der Erleuchtung an Menschen schon denket,
Dem wird auch auf diesmal nicht weiter geschenket:
Es wär in den löchrigen Beutel gesenket.
Komm doch und verdränge die viel Hindernissen.
Dein Licht kann besiegen die viel Finsternissen.
Denn Bosheit muss weichen, wo du bist zu Haus;
Ach treibe sie gänzlich doch von mir auch aus!
Ich will dich alleine, nicht nur deine Gaben,
Ich muss dich auch selber, dich selber ganz haben,
Sonst bleib ich in Qual und in Jammer begraben.

9. Die Weisheit als Ausfluss Gottes

(Aus 278 und 275, 17ff)

Dort wo keine Nächte und Tage sich finden,
Wo keine Geschöpfe sich mögen hinwenden,
Im göttlichen Licht-Raum steht diese Kraft-Blum‘;
Derselben sei Herzlichkeit, Herrlichkeit, Ruhm.
Dort ist sie betrachtet als Ursprung und Anfang;
Durch sie hat die Schöpfung den herrlichsten Kraft-Gang;
Durch sie hat die Schöpfung den Anfang und Ausgang.
Sie ist der gebor‘ne Gott in den Schoss-Kräften
Voll Feuer und Leben und heiligen Säften,
Auch Kreatur-Mutter und Ur-Kreatur
In göttlich und menschlicher Leben Tinktur.
Nach ihr ist die Menschheit geschaffen, gebildet,
Eh sie durch die Sünde so schrecklich verwildet,
So wie sie dem Tode jetzt zinset und giltet.
Die Kreatur-Mutter, im Innern vorhanden,
In ihr ist ja alles zusammen bestanden.
Sie war ja der Kreatur Anfang zugleich,
Und hat als derselbe jetzt Krone und Reich.
In Christus, noch eh er auf Erden geboren,
Sind wir schon zu Kindern und Erben erkoren,
Und er wiederbringet, was Adam verloren.
Gott hatte beschlossen in vielerlei Räumen
(Wir haben’s gesehen und wollen nicht träumen),
Sie selbst zu begrenzen, und das ist gescheh‘n,
Bis man ihn mit Leiblichkeit hier hat geseh‘n.
Nun ist dieser All-Herr ob alles erhoben,
Im Höchsten, im Innersten herrschet er oben;
Da sollen ihn alle anbeten und loben.
Was sichtbar und unsichtbar immer zu nennen,
Es sei gleich von außen, es sei gleich von innen,
Ist um seinetwillen alleine gemacht,
Formiert und gebildet, ins Werden gebracht.
Denn Weisheit ist Ursach‘ der Gottes-Bewegung
Und also die Ursach‘ der gänzlichen Schöpfung,
Ja selbst der Dreieinigen Kraft-Offenbarung.
Aus ihr ist ja alles ins Werden gekommen,
Und hat eine Form und ein Bild angenommen,
Nach ihren Gedanken ist alles gemacht,
Und sie hat sich selber in alles gebracht;
Denn sie ist die Einheit, wir Nullen zu nennen:
Ist sie weg, wer wollt uns als etwas erkennen?
Wir wären nicht Geister, nicht Leiber, nicht Sinnen.
Lass Nullen von hier bis zum Sirius machen
(Du sollst des nicht spotten, du sollst des nicht lachen),
Ein einziges Eins macht aus allen etwas;
Und was sind sie alle, ich meine ohn‘ das?
Das Eins, Gottes Einheit macht alle bestehen;
Ohn dies müssten alle und würden vergehen;
Doch ist keine Trennung im Grunde zu sehen.
Es hat sich die Kreatur freilich getrennet;
Doch nicht nach der Wurzel, so wie man erkennet.
Es könnte kein Satan nicht Kreatur sein,
Ging nicht seine Wurzel ins ewig‘ Wort ein.
Es hält ja und träget das Welt-All im Wesen;
Durch Wort und durch Weisheit wird alles genesen;
Das kann man im heiligen Bibelbuch lesen.
Durch Weisheit ist alles ins Wesen getreten;
Lasst uns diese Herrlichkeit Gottes anbeten!
Denn sie ist der Kraft-Leib des Gottes, der schafft,
Gebäret und formet und wirket und macht.
Es haben ja allerlei Leiber-Naturen
Die Arten und Formen der vielen Tinkturen
Zusammengenommen der Ur-Vater Spuren*
  • (Die weitere Ausführung 278, 12ff. sagt etwa: Seit Jesus, die Herrlichkeitsmutter, auf dem Thron der Majestät ist, ist alle Weisheitswirkung von ihm beseelt, belebt, sozusagen durchblutet. Wir schließen uns der einfachen Ausführung 275, 17ff. an.)
Die Herrlichkeit Gottes war noch nicht erschienen;
Sie machte die Pflanzen nicht blühen und grünen:
Am vierten Tag wurde die Sonne gemacht,
Und Herrlichkeit Gottes ward zu uns gebracht;
Als Jesus ins Fleisch zu uns Menschen gekommen,
Dann wurde erst Gnade um Gnade genommen;
Dann wirkte sie stärker auf gläubige Frommen.
Als Herrlichkeit Gottes sich erst konzentrierte,
Und also in menschliche Seel‘ sich einführte,
So wurde sie gleichsam im Fleisch-Leib begrenzt;
Da wurde die Menschheit dann wieder ergänzt.
Wer Jesus nun siehet und wer ihn erkennet,
Auf einmal das wieder erhält und gewinnet,
Was uns schon im Garten in Adam entrinnet.
Herr Jesu, du herrliche Seligkeits-Sonne!
Ach strahle mit Klarheit und göttlicher Wonne
In alle noch finsteren Seelen hinein;
Sie sind dir ja eigen und sollen dir sein.
Vertreibe aus allen die Finsternis-Liebe,
Und lege in alle geheiligte Triebe,
Dass jeder das Gute und Wahre nur übe.
Lass dich, liebste Herrlichkeit! wieder erlangen;
Du siehest, wie sehr wir im Tode gefangen;
Du Lebens-Licht treibe die Finsternis aus!
Du bist ja das Licht in des All-Vaters Haus.
Du machst sie alleine, die Seele, vollkommen;
Wir können nicht leben, wenn du uns genommen;
Wir brauchen dich alle zu unserem Frommen.
Nur Gnade und Wahrheit kannst du von dir strahlen;
Du kannst dich den Seelen am besten abmalen.
Du Göttliche Weisheit besitzest die Kraft;
Durch dich wird die Seele her wieder gebracht!
Es müsse dir also mit allen gelingen;
Du kannst es vollführen und alles bezwingen;
Du woll‘st uns im Herzen selbst treiben und dringen.
Nur Gnade und Wahrheit strahlt aus den Tinkturen
Der in dir vereinten Gott-Menschen-Naturen;
Zumal da du jetzt in den Geist bist erhöht,
Und dein Geist die Lande der Erde durchgeht.
Du hüllest die Geister in Blut voller Leben,
Das können sie alsdann den Gläubigen geben,
Dass sie in denselbigen wirken und leben.
Nun Jesu, ich bleibe mit Lust an die hangen;
Ich will sonst nichts haben und sonst nichts verlangen;
Ich habe ja an dir den seligsten Schatz;
Es hat ja sonst keiner mehr neben dir Platz.
Ach lass dich stets wirksamer in mir empfinden!
Vertilge, vertreibe sie ganz alle Sünden!
Ich bitte dich Jesu! du kannst mich vollenden.

In diesen Weisheitsliedern hat Hahn einen großartigen Wurf getan, das erste namentlich kommt wie aus einem glühenden Krater herauf. Auch wenn es nicht das biographische Mittelstück verriete, spürten wir, dass es sein eigenes Erleben ist, das er wiedergibt. Die Lieder stammen aus einer Zeit, in der Hahn nach dem Urteil K.H. Riegers, sich noch nicht vollständig der Bibelsprache zu bedienen wusste; das gibt manche Schwierigkeit und Dunkelheit, gibt ihnen aber auch einen allgemein menschlichen Zug, den der Moderne nachempfinden kann. Wir fühlen, wenn er der Seele, dem angeredeten Du zuruft: „erbärmlicher Halbgott, du hungerst zu sehr – und hätte er alles, er wollte noch mehr“: dass er nicht einen Durchschnittsmenschen anredet, der sich mit seinem Anteil am Leben zufrieden gibt, sondern einen drängenden Titanen, der das Leben ganz durchfühlen, seine angelegte Bestimmung vollkommen erfüllen, eine Welt von innen her schauend erkennen will. Unwillkürlich fällt uns nochmals die Gestalt ein, auf die das alles besonders passt: Goethes Faust. Auch dort die Spannung, die Hahn mit dem Wort „verarmter Halbgott“ meint:

„Ich Ebenbild der Gottheit, das sich schon
Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew‘ger Wahrheit
Sein selbst genoss, in Himmelsglanz und Klarheit
Und abgestreift den Erdensohn.
...Den Göttern gleich ich nicht! Zu tief ist es gefühlt!
Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt.“
„Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist,
Der Menschheit Krone zu erringen,
Nach der sich alle Sinne dringen?“

Um zu sehen, ob es gerechtfertigt ist, Hahns Gedanken über Menschenwürde, Menschenelend, Menschenziel in solche Nähe zu rücken, mache man ein Experiment: Man denke sich in den ersten Monologen Fausts, ehe Mephisto auftritt, wo er ein Suchender ist, neben Wagner, den Philister, der ihn auf sein Niveau herabziehen will, einer höheren Erfüllung entgegen: sie könnte dem Gedankengehalt nach nichts sprechen, was nicht in den schönsten dieser Hahnschen Verse enthalten ist. Noch eine Parallele drängt sich auf: Goethe führt Faust zu Gretchen – Hahn lässt uns nicht im Unklaren, dass für den titanischen Weisheitssucher, der Weg zur Ergänzung seines Mangels durch das andere Geschlecht ein Irrweg, ja der Abweg ist. Das klingt herb, asketisch, aber eigentlich gibt ihm Goethe recht, lässt er doch Faust an Gretchen nicht glücklich, sondern schuldig werden. –

Lies weiter:
Nach späteren Texten: Was ist Glaube?