Das Vorbildliche an der Haltung Daniels

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Abschrift des Buches: Zeitenwende
Eine Bibelhilfe aus dem Danielbuch

Verfasser: Georg Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach)
Verlag: Wilhelm Fehrholz Baden-Baden (1947)

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Inhaltsverzeichnis
Einführung
I. Die Wende zur Zeit Daniels

II. Das Vorbildliche an der Haltung Daniels

Daniels Haltung ist nicht nur aus den Geschichten ersichtlich, in denen von ihm die Rede ist (Dan 1-6). Ebenso aufschlussreich ist, was er bei der Aufzeichnung seiner Gesichte (Dan 7-12) von sich berichtet hat. Sieht man nur auf die Geschichten, dann könnte man das Charaktervolle, Unerschrockene und Tapfere als den Grundzug seines Wesens vermuten, all das allerdings auf dem Grund des Glaubens und der Gottesfurcht. Die Kapitel Dan 7-12 lassen aber an ihm noch einige andere Züge erkennen, die für seine Haltung nicht weniger wesentlich und wichtig sind, Züge, aus denen das Männliche seines Charakters erst in das rechte Licht tritt. Den wichtigsten Aufschluss hierüber gibt Dan 9. Der hervorstechendste Zug seines Charakters ist das, dass er ein in der Buße hinabgebeugter Mann war.*

Anmerkung 12:

Die Art der Buße Daniels
*Muss erst noch die Bitte ausgesprochen werden, der Leser möge sich am Wort „Buße“ nicht stoßen? Gewiss sind „Buße“ und „Büßen“ sprachverwandt. Auch könnte das Wort zu dem Missverständnis Anlass geben, als könne man eine leidige Sache, durch die man schuldig geworden ist, mit starken Gefühlen, mit Übungen und Gegenleistungen abgelten. Aber es wird bekannt sein, dass das alles den Sinn der b i b l i s c h e n Buße nicht trifft. Was Buße ist, ist an Daniels Bußgebet (Dan 9) ersichtlich. Es ist ein Herzutreten zum heiligen Gott, nicht eine Flucht vor ihm. Ein Schuldbekenntnis vor ihm, nicht ein Ableugnen, Abschieben und Verkleinern der Schuld; ein Bekenntnis der e i g e n e n Sünde, sowohl der tatsächlichen Versündigungen als der ganzen unrichtigen Wesenshaltung, und gleichzeitig ein sich mit Unterstellen unter die G e s a m t schuld des ganzen Umkreises, innerhalb dessen man lebt, ja unter die Schuld des ganzen Volkes; ein sich mit Unterstellen nicht nur im Blick auf die a u g e n b l i c k l i c h e n Zeitverhältnisse, sondern mit dem Bekenntnis der gemeinsamen Verschuldung von G e n e r a t i o n e n, ja von Jahrhunderten her. Solche Buße ist das volle Jasagen zum Gericht Gottes, mit der Bereitschaft, dieses Gericht zu tragen, auch wenn es durch M e n s c h e n ausgeübt wird, selbst wenn diese ebenfalls nicht unschuldig sind. Buße ist ein Anrufen der Barmherzigkeit Gottes, nicht ein Schrei nach Recht. Buße ist eine flehentliche Bitte um eine neue Gnadenerweisung nach der Verhängung des göttlichen Gerichts, nicht nur und nicht in erster Linie im Blick auf die eigene Person und das eigene Interesse, sondern im Blick auf das Ganze. Buße ist ein sich Anklammern an das Wort Gottes, besonders an dessen Verheißung. Buße ist ein demütiges Forschen im Wort der Verheißung, nicht ein anspruchsvolles sich darauf Versteifen. Buße ist ein inwendiges und unter Umständen auch auswendiges Fasten, nicht das Verlangen nach innerer und äußerer Lebensbefriedigung. Buße ist ein Warten können auf Gottes Zeit und Stunde, nicht ein vorwurfsvolles Fragen, wann und wie Gott eingreifen werde.

Buße Deutschlands
Ob uns innerhalb der deutschen Christenheit diese Art der Buße Daniels in der Jetztzeit nicht etwas zu sagen hat? Es möge Vers für Vers nachgelesen werden, was Daniel damals in tiefer Beugung or dem Gott der Väter gebetet hat, nur dass sein Gebet in unsere deutschen Verhältnisse übersetzt werde. Es möge nachgebetet werden im Blick auf die deutsche Gegenwart, im Blick auf die zum Teil furchtbaren Vorkommnisse des letzten Jahrzehnts, im Blick auf all den schmerzlichen Gang der deutschen Geschichte seit einem Menschenalter, im Blick auf die letzten Jahrhunderte mit der zunehmenden Hintansetzung des besten christlichen Vätererbes hinter die materiellen Güter und Errungenschaften einer, auf die Technik und Weltstellung und Kultur, stolz gewordenen Zeit - dann ist es verstanden. Wer kann mit vollem gutem Gewissen sagen, dass er nicht mit beteiligt sei an der deutschen Schuld vor Gott, dass er an seinem Teil und in seinem näheren und weiteren Umkreis nichts mit beigetragen habe zum Abwärtsgleiten, und zu den Zusammenbrüchen von langer Zeit her. Wer kann sich im Reden und Schweigen, im Begehren und Wollen, im Denken und Handeln, im Tun und Lassen freisprechen von einem Anteil an der gemeinsamen Schuld? Gewiss, es sind Dinge geschehen, an denen die e i n z e l n e n nicht u n m i t t e l b a r selber beteiligt und schuldig geworden sind. Es ist eine Haltung und Willensrichtung und Art des Handelns und der Härte aufgekommen, an denen wir selber innerlich und äußerlich gelitten haben. Aber dass solche Haltung und Handlungsweise innerhalb unseres Volkes möglich war und wirklich wurde, und dass Menschen unseres Volkes sich dazu hergaben, ausführende Organe dieser Willensrichtung zu sein - d a s geht uns a l l e an. Es sei denn, dass sich eins nach Art jenes Pharisäers auf die Seite stellen wollte mit dem befriedigten Blick hinüber um Zöllner und mit dem Gedanken: da bin ich doch ein anderer wer der!
Christen können und sollen, auch wenn es ihnen nicht leicht fällt, eine b e s o n d e r e Art der Buße lernen: wir könnten sie die s t e l l v e r t r e t e n d e nennen. G a n z stimmt dieses Wort freilich nur bei dem E i n e n, der schon bei seiner Taufe sich nicht über, und neben die schuldig Gewordenen gestellt, sondern sich unter sie eingereiht, ja unter sie hinuntergestellt hat, und der dann später zum Lamm Gottes geworden ist, das nicht nur die Sünde seines eigenen Volkes, sondern der Welt Sünde getragen, gebüßt und a us dem Weg geräumt hat. Das war, weil er im vollen Sinn rein und unschuldig war, in W i r k l i c h k e i t eine stellvertretende Buße. Aber bis zu einem gewissen Grad müssen die, denen Buße geschenkt wird, auch zur Buße im Blick auf a n d e r e und f ü r sie bereit werden; nicht in dem Sinn, als ob sie deren Schuld tragen und büßen könnten, aber so, dass sie sich bußfertig mit darunter stellen, und flehentlich für die anderen, und für das Ganze vor dem heiligen Gott einstehen, seine Barmherzigkeit für alle anrufend. Am Kreuz ist der Eine für alle gestorben. Unter seinem Kreuz ist der rechte Platz für alle schuldig Gewordenen. Unter dem Kreuz vergeht aller Ruhm des eigenen Gerechtseins. Unter dem Kreuz wird das Empfinden wach für die Zusammengehörigkeit, für die Solidarität alles dessen, was Mensch heißt. E i n Stück der deutschen Schuld aus den letzten Jahren muss der Christenheit in Deutschland besonders schwer auf Herz und Gewissen fallen: dass nämlich unser deutsches Volk - es werden hier absichtlich keine einzelnen Namen genannt - am Volk Israel in solcher Weise schuldig geworden ist und in diesem Ausmaß.
Die Christenheit darf nie vergessen, dass - um mit einem Wort des Herrn zu reden - das Heil Gottes von den Juden herkommt. Der Heiland war dem Fleische nach ein Glied dieses Volkes. Die uns das Evangelium vermittelt und auf diese Weise zum eigenen Glauben geholfen haben, seine Boten: die waren alle Glieder dieses Volkes; und unter ihnen wieder in besonderem Maß der Apostel Paulus, der Bote Jesu für die Völkerwelt. Diesem Volk verdanken wir nicht nur das Alte Testament, sondern auch das Neue, und damit die ganze Bibel. Gewiss ist dieses Volk an der Kreuzigung des Heilandes schuldig geworden, und hat zu seiner Zeit in seinem Hauptteil das Evangelium abgelehnt und bekämpft. Ob unser deutsches Volk, wenn Jesus zu ihm gehört hätte, ihn ertragen hätte? Übrigens ist die Verheißung Gottes an das erstberufene Volk nicht dahin gefallen. Es ist nur im Heilsplan Gottes eine Zeitlang zurückgestellt worden, bis eine Gemeinde Christi aus der übrigen Völkerwelt gesammelt ist. Dass dieses Volk noch eine Zeit der Wiedergeburt erleben werde, wo ihm die Augen für den Gekreuzigten als s e i n e n König aufgehen werden, das ist in der Schrift des Alten und Neuen Testaments klar bezeugt. Gerade der Einblick in diese b i b l i s c h e n Verhältnisse und Bezeugungen macht es für die Christenheit Deutschlands besonders schmerzlich und demütigend, dass gerade Deutschland sich in dieser Art und in diesem Ausmaß am Volk der Wahl Gottes vergriffen hat, das vor Gott zwar auf die Seite gestellt, aber nicht verstoßen ist, und dass er am Ende des jetzigen Zeitlaufs hineinleiten wird in die große Nationalbuße, damit er es von neuem in seinen Heilsberuf an der Völkerwelt einsetzen kann. Hätte unser deutsche Volk in der Gesamtheit das ihm anvertraute Evangelium mehr geschätzt, dann wären alle diese Dinge nicht möglich gewesen

Dieser Grad und diese Art der Bußfertigkeit Daniels ist umso merkwürdiger, als ihm in Hes 14:14 ausdrücklich bezeugt wird, er gehöre zu den wenigen Männern, denen das Gerechtsein vor Gott in besonderem Maße eigen sei. Dieses Urteil über Daniel wird bestätigt durch die Geschichten des Danielbuches*.

Anmerkung 13:

Besondere Züge an Daniels Buße
*Gerade an dieser Stelle bedürfen die Ausführungen in der vorigen Anmerkung noch einiger Ergänzungen. Es taucht die Frage auf: ist eine Buße in der dort beschriebenen Art Daniels überhaupt m ö g l i c h ? Besteht nicht die Gefahr, dass sie gemacht und damit unecht wird, wenn sie von einem Menschen, oder gar von von vielen erwartet wird? Die Wichtigkeit und der Ernst des Gegenstandes legt es nahe, zu diesen Fragen gerade aus der Geschichte Daniels heraus noch einigen Aufschluss zu suchen.
Daniels Buße war eine Buße zu G o t t. Sie ist b e t e n d gesprochen. Nicht vor Nebukadnezar oder Belsazar oder dem medischen Darius, in dessen Regierungszeit Daniels Bußgebet fällt. Die Buße v o r Gott und z u Gott ist wichtiger als das Sündenbekenntnis vor M e n s c h e n. Mit dem letzteren ist die Bibel sparsamer als die Christenheit, die es zeitweise als Bedingung für die Vergebung Gottes angesehen hat. „Da bekannte ich D i r meine Sünde“ (Ps 32:5).
Daniels Bußgebet fiel in seine a l t e n Tage, als das mühevolle und kampfreiche Leben des Mannes der ewigen Heimat entgegen reifte. Sein Leben hatte er unter Gott und in seinem Dienst verbracht. So kam es nun i n seinem Alter zur Reife. Ein wesentliches Stück solcher Reife ist auch die V e r t i e f u n g der Buße. Vom jungen Daniel, etwa in der Zeit, da er mit seinen drei Freunden um das Reinbleiben ihrer Jungen rang, ist es noch nicht gesprochen, auch nicht verlangt worden.
Daniels Bußgebet fiel in eine Zeit, wo es sich darum handelte, dass und wie Gott nach der Zeit des Gerichts einen neuen Anfang mit seinem Volk mache. Für das N ä h e r kommen des Reiches Gottes und für Entscheidungsstunden bei diesem seinem Kommen ist zu allen Zeiten Buße die Voraussetzung gewesen. Darum war der Herold des Gottesreichs, Johannes der Täufer, ein Bußprediger. Seine B u ß predigt war der Anfang des Evangeliums (Mk 1:1) So war es auch, als es sich um den Übergang des Evangeliums von der Judenschaft in die Völkerwelt handelte, deren Bote in erster Linie Paulus gewesen ist. Dessen Annahme und Indienststellung erfolgte heraus aus der Buße in jenen stillen drei Tagen in Damaskus. Dass die letzteren mit Fasten verbunden waren, ist zwar kein Zeichen dafür, dass nur eine f a s t e n d e Buße echt sei; bemerkenswert ist dieses Fasten aber doch, weil es zeigt, dass diese Buße nicht oberflächlich war, sondern bis in die letzten Tiefen hinunterreichte.
Selig, wer Buße tun k a n n, namentlich auch solche stellvertretender Art. Buße kann einem anderen zwar n a h e gelegt werden; es ist auch gut, wenn ein Mensch, der merkt, dass es bei ihm ohne Umkehr nicht abgehen kann, sie eifrig s u c h t. Aber eine aufgezwungene und ebenso eine s e l b s t gemachte Buße ist eine schmerzhafte Sache und außerdem nicht ganz echt, heilige und wirksame Buße ist ein G e s c h e n k.
Es ist merkwürdig, in welchem Maß Daniel in der G e s c h i c h t e des Gottesvolkes wurzelte und lebte. Dieser Umstand trug ebenfalls dazu bei, dass er Buße tun konnte. Weder sein e i g e n e s Erleben und Handeln noch die Z e i t , in der er sein Leben zubrachte, hat ihn ausgefüllt. Er empfand sich und sein Leben als ein Glied in einer großen K e t t e, die zurück reichte bis zu den Vätern, zu den Großtaten Gottes bei der Berufung des Volks, bis zur Bundesschließung mit deren großen Verpflichtung, und mit dem an die Übertretung des Bundes geknüpften Fluchwort, und zurück zu der jahrhundertealten Zeit der Könige und Propheten. In diesem großen Zusammenhang sah er die schmerzvolle Zeit der Gefangenschaft, in die sein eigenes Leben gefallen war. Der ganze Gang seines Volkes unter dem Segen Gottes und mit dem Übermaß von Schuld stand vor ihm: „Wir“ haben gesündigt! (Dan 9:5)
O dieses „W i r!“ Wer ist zu solchem „Wir“ fähig? Wer kann sich in solcher Weise mit seinem Umkreis, mit seinem Geschlecht, mit seiner Kirche, mit seinem Volk, mit der Welt zusammenfassen? Sind wir Heutigen dazu fähig? Was ist ein Haupthindernis eine Buße nach Art Daniels? Dass wir weithin geschichtslos geworden sind! Wir sind bedrängt und beherrscht durch die a u g e n b l i c k l i c h e n Nöte und das bangen vor dem, was k o m m e n mag. Es fällt uns schwer, unser e i g e n e s Leben im Zusammenhang mit der ganzen s e i t h e r i g e n Geschichte unseres Volkes durch die Jahrhunderte zu sehen. Gedacht ist durchaus nicht in erster Linie an die politische und kulturelle Geschichte, sondern an die G o t t e s geschichte, die durch unser Volk nun seit mehr als einem Jahrtausend sich durchzieht, seit dasselbe mit dem Christentum und dem Evangelium in Berührung gekommen ist. Durch d i e s e Geschichte unseres Volkes zieht sich ein langer Faden von göttlichem Drandenken, Suchen, Geben und Helfen, von Warten, Enttäuschtsein und Unwillen auf Gottes Seite. Und in diese Geschichte sind wir dadurch hineingeflochten, dass uns Gott in unserem Volk und in der Gegenwart unseres Volkes unseren Standort gegeben hat. Wir sind es nicht selbst gewesen, die sich für ihr Leben d i e s e Stelle im Geschichtslauf ausgesucht haben.
Wie mag es sein, wenn wir einst unser Leben als ein abgeschlossenes G a n z e s im Licht Gottes sehen d ü r f e n und sehen m ü s s e n ? Und zwar im Zusammenhang mit dem ganzen U m k r e i s, mit dem er uns im Lauf unseres Lebens in leidende oder tätige Berührung gebracht hat? Was wird es da geben an Freude u n d Weh, Dank u n d Beschämung, Anbetung u n d Reue! Dass d a n n die Buße nichts Nebensächliches sein wird, das ist gewiss. Wollen wir bis dahin w a r t e n ? „In Gottes Licht zum S e l b s t gericht; durch Christi Blut zu frohem Mut!“
Von solchem Standpunkt aus gesehen ist die Buße keine Z u m u t u n g mehr, sie wacht von s e l b e r auf. Nicht nur die eigene und einsame, sondern auch die stellvertretende und gemeinsame. Denn kein einziges Menschenleben verläuft ja ohne die ununterbrochene vielseitige Berührung mit der ganzen Welt; vielmehr in fortwährender Verflechtung mit den macherlei Lebenskreisen, in die wir durch Gottes Regierung hineingestellt sind. Zu den letzteren gehört nicht n u r unsere n ä c h s t e Umgebung, sondern auch unser ganzes V o l k, ja letzten Endes das, was die Bibel „W e l t“ nennt. Dass uns Gott Raum und Befähigung zur Buße schenkt, das ist der Ruf seines E r b a r m e n s, dem wir nicht widerwillig nachkommen wollen.

Daniels Jasagen zu seiner Zeit

Als etwas Richtungsweisendes an Daniel wurde seither seine Bußfertigkeit aufgezeigt. Mit seiner Bußfertigkeit hängt zusammen, dass er zu seiner Zeit Ja gesagt hat. Schon seine Jugend war schwer. Als junger Mensch wurde er vom Elternhaus und von der Heimat verschleppt in das fremde Land und unter ein heidnisches Volk. Und wenn er es auch am königlichen Hofe gut hatte, so war dies doch ein glänzendes E l e n d. Sein ganzes Leben stand unter dem Druck. Es war ein fortwährendes Ringen um das Treubleiben und Reinbleiben innerhalb einer heidnischen oder wenigstens gottfernen Umgebung. Gerade wenn er Gott die Treue halten wollte, musste er Not und Leben riskieren. Er hat seine Heimat nie mehr wiedergesehen und hat sich im fremden Land zum Sterben gerüstet. Allerdings hat er auch Durchhilfen von oben in wunderbarer Weise erlebt und wurde gewürdigt, ein Zeuge des lebendigen Gottes zu sein an einem stolzen, vom Machtrausch besessenen Hofe. Trotz alledem ist kein einziges Wort darüber zu lesen, dass er sich b e d a u e r t hätte. Das war ein J a sagen im Glauben zu dem ihm verordneten Lebensgang in drangvoller Umgebung und schwieriger Zeit.*

Anmerkung 14:

Vom Ja zur Gegenwart
*Es liegt auf der Hand, in welchem Maß gerade diese Seite an Daniels Lebenslauf Winke gibt für die Gegenwart und hier wieder besonders für die deutsche. Dass die letztere drangvoll geworden ist und dunkel aussieht, empfindet jeder Deutsche. Aber nicht nur Deutschland, sondern die ganze W e l t ist an einem Wendepunkt seiner Geschichte angelangt. Auch wer noch nicht imstande ist, die deutsche Gegenwart und die Gegenwart der Welt unter dem Zeichen des Gerichtes Gottes zu sehen, kann wahrnehmen, dass der ganze Weltlauf seit einigen Jahrzehnten ein anderes Gepräge angenommen hat.
Im folgenden sei versucht, an einigen Punkten diese Veränderung des Weltlaufs aufzuzeigen. Es werden dabei absichtlich nur solche Merkmale genannt, die j e d e r m a n n wahrnehmen kann, ob er nun im Glauben steht oder ihn ablehnt, ob er besorgt oder erwartungsvoll in die Zukunft schaut, ob er bußfertig ist oder von der Buße nichts wissen will.
Trotz aller W e l t reichsversuche, von denen früher schon die Rede war, lief in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden die Geschichte der einzelnen Länder n e b e n e i n a n d e r her. Noch vor etwa einem halben Jahrhundert konnte man bei allem Mitgefühl einem Krieg ohne besondere Erregung zusehen, wenn er nur in einiger Entfernung stattfand. Das ist anders geworden. Das Geschehen ist zum W e l t geschehen geworden. Es gibt nirgends in der Welt Ereignisse, die für andere Länder und Völker belanglos oder gleichgültig wären. Vielmehr greift das Geschehen in den verschiedenen Ländern und Völkern ineinander ein wie die Zähne eines Zahnradgetriebes. Man kann sogar einen Zeitpunkt angeben, an dem der Übergang des Einzelgeschehens zum Weltgeschehen in Erscheinung getreten ist. Das war am 2. August 1914, als jener Krieg ausbrach, den man nicht ohne Grund den ersten W e l t krieg nennt. Jeder W e l t krieg bedeutet zugleich eine Welt k r i s e, und zwar nicht nur in seinem Verlauf, sondern auch mit all seinen Folgeerscheinungen. Und jedes einzelne Menschenleben ist in dieses Weltgeschehen hineingeflochten, oft in so schmerzhafter Weise, dass es fast nicht mehr erträglich ist.
Es sei ausführlich gesagt, dass es sich in d i e s e m Zusammenhang nur um die T a t s a c h e n dieser Änderung handelt, nicht um die Frage, wer daran s c h u l d sei. Besonders schmerzhaft ist unser deutsches Volk in die neue Geschichtslage hineingestellt. Aber es ist nicht das einzige Volk, das in und unter ihr leidet. Welchem Ergebnis, welchem Ziel steuert das Geschehen zu?
Ein zweites Merkmal, woran erkannt werden kann, dass das ganze Geschehen eine andere art angenommen hat, ist die B e w e g u n g, in die alle Länder ohne Ausnahme, alle Lebenskreise und alle Lebensgebiete versetzt worden sind. In r u h e n d e m Zustand befindet sich auf der Welt nichts mehr. Auch Institutionen, die seit Jahrtausenden unangefochten waren, sind von dieser Bewegung ergriffen worden. So ist beispielsweise die religiöse Stellung des japanischen Kaisertums bis in die Tiefe erschüttert worden.
Als Drittes kommt hinzu die Beschleunigung des T e m p o s, die über alles Geschehen hereingebrochen ist. Wenn die modernen Verkehrsmittel auch einen gewissen Anteil an dieser Beschleunigung haben, so ist die letztere selber doch von denselben unabhängig.
Nimmt man nun die drei genannten Merkmale zusammen, so kann man das heutige Weltgeschehen einem reißenden Strome vergleichen. Es wäre kein Wunder, wenn die Frage auftauchen würde, ob nicht der große Niagarafall zum Vergleich herbeigezogen werden könne und müsse, in dessen Nahe der Lorenzstrom einen immer rascheren Lauf annimmt, bis er schließlich in den Abgrund hinunterstürzt.
Bei der seitherigen Beschreibung des neuen Weltgeschehens war von G o t t, auch von seinem Gericht, absichtlich nicht die Rede; auch nicht von dem Wirken der Finternismächte, von deren Bann die Menschheit ohne Gott nicht loskommt. Wird aber die Veränderung im Weltgeschehen unter dem Zeichen des Gerichtes Gottes gesehen und wird gar erkannt, dass das Schwere und Schreckliche der heutigen Zeit einen unheimlichen Hintergrund hat, dann erscheint die Zeit noch viel ernster.
Aber eben in diese Zeit sind wir nun durch Gottes Regierung hineingestellt worden. Im besonderen Maß gilt das von unserem deutschen Volk und innerhalb desselben wieder von denen, die mit Ernst Christen sein wollen. Drei Generationen sind davon betroffen, die Jungen, die im Mannes- und Frauenalter stehendenden und die Alten. Könne wir j a dazu sagen, dass unsere Lebenszeit in die Gegenwart hinein verordnet worden ist? Schon diese Frage enthält einen Antrieb zum Glauben, und damit auch einen großen Trost. Denn wer in der Jetztzeit lebt, der hat sich ja diese Zeit nicht selbst heraus g e s u c h t; er ist in sie hinein g e s t e l l t worden. Denn niemand hat sein Leben durch sich selbst erhalten. - Nicht einmal unsere Eltern sind die Schöpfer unseres Lebens. - Der uns unseren Geist gegeben und uns unsere Stelle in unser Volk und in unserer Zeit, in unserem Umkreis und unseren Lebensverhältnissen angewiesen hat, das ist G o t t. Der ist’s „der jedermann Leben und Odem gibt allenthalben“ (Apg 17:25). Wenn nun vollends in Gott der Vater unseres Herrn Jesu C h r i s t i erkannt wird, welcher der ganzen Welt zum Helfer gegeben ist für a l l e Not, auch für selbstverschuldete, wenn er nur bußfertig und glaubend bei seinem Namen angerufen wird, dann ist auch eine Zeitenwende von ungeheuerlichen Ausmaß der Gegenwart nicht mehr hoffnungslos. Denn größer als der Helfer ist die Not ja nicht. Und der Sohn Gottes hat den großen Auftrag, dass er die Welt durch den gerichtlichen Abschluss hindurch hinüberleite in die völlig neue Zeit des Reiches Gottes. „Du wirst dein herrlich Werk vollenden, der du der Welten Heil und Richter bist. Du wirst der Menschheit Jammer wenden, so dunkel jetzt dein Weg, o Heil’ger, ist“ Ihn hat Daniel zwar noch nicht g e k a n n t, aber der B l i c k auf ihn wurde ihm wie den anderen Propheten geschenkt. Sie konnten g l a u b e n, und im Glauben auch J a sagen zu ihrer drangvollen Zeit. Daniels Beispiel ist eine Hilfe auch für u n s.
Ein glaubendes Jasagen in schwerer Zeit, und zwar gerade mit dem Unterton der Hoffnung, nicht des Verzagens, wird e r l e i c h t e r t durch bußfertige Unterstellung unter das in solcher Zeit sich offenbarende Gericht Gottes. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Jasagen Daniels zu seiner Zeit unter dem Zeichen der B u ß e stand. Zum Verzagen führen Gerichtszeiten nur dann, wenn nur das Elend wahrgenommen wird, und wenn zwar eine Schuld erkannt wird, aber nicht Buße zu Gott zustande kommt. Wo sich aber Menschen unter den Gerichten Gottes zur Buße führen lassen, da werden sie befähigt, mitten in den Gerichten Gottes Erbarmen wahrzunehmen, und auf seine Güte zu hoffen, und zwar sowohl für sich s e l b e r als auch für die a n d e r e n.
Um diesen Gesichtspunkt auf die G e g e n w a r t anzuwenden: es wurde weiter oben versucht, an mancherlei Werkzeichen zu zeigen, dass der seitherige Geschichtslauf seinem Ausgang entgegeneile. Ein Christ weiß oder sollte es wenigstens wissen, dass ein solcher Ausgang nicht nur n a t ü r l i c h e Ursachen hat, wie das Spengler in seinem Buch vom „Untergang des Abendlandes“ aufzuzeigen versucht hat, sondern dass er durch G o t t e s G e r i c h t über die Welt herbeigeführt wird. Gerade solches Wissen gibt dem Leben in derartigen Zeiten einen großen Ernst. Auch Christen sind mit hineingestellt in das bange Warten der Dinge, die da kommen sollen (Lk 21:26). Aber auf der anderen Seite dürfen und sollen Christenmenschen, die sich in solchen Gerichtszeiten unter die gewaltige Hand Gottes beugen können und mögen, gerade in solchen Zeiten die „Häupter erheben“ (Lk 21:28), weil sie um Gottes großen Heilsplan wissen und um die Erlösung, die durch Gerichte hindurch, und hinter den Gerichten näherrückt. Sie dürfen hoffen für sich und für das Ganze.

„Untertan der Obrigkeit“

Daniel hat Ja gesagt zum Gericht Gottes über Israel in der Zeit der babylonischen Gefangenschaft, obwohl sein eigenes Leben in diese Gerichtszeit verflochten war, und er damit von seiner Jugend an bis zu seinem Alter unter Druck stand von unten und von Menschen her. Eine Folge und ein Gewinn dieses seines Jasagens war es, dass er nicht nur ein Glied seines Volkes, sondern auch für seine eigene Person sich unter die Obhut Babels und Medo-Persiens fügen konnte. So kam es, dass er deren Herrscher mit innerer und äußerer Ehrerbietung begegnete, und samt seinen Freunden ihnen in untergeordneten, und in wichtigen Ämtern selbstlos, gewissenhaft und treu diente. Er hat das nicht widerwillig und zähneknirschend getan. Der Versuch, sich selbst zu helfen, und Druck von außen durch Gegendruck zu erwidern, kann sich nicht auf Daniel berufen.*

Anmerkung 15:

Ist Selbsthilfe berechtigt?
*Auch in diesem Stück wird Daniels Haltung richtungsweisend sein und bleiben, bis der jetzige Zeitlauf mit dem neuen Offenbarwerden Christi zu Ende gehen wird. Richtungsweisend nicht für diejenigen, welche die Bibel mit dem Sammelnamen „Welt“ benennt, wohl aber für die, welche auf Gottes Bahn gehen und bleiben wollen. Im folgenden wird der Versucht gemacht, einige geschichtliche Tatsagen im Lauf der letzten zweieinhalb Jahrtausende unter diesem Gesichtspunkt zu sehen und zu verstehen, und zwar zunächst aus der Geschichte des erstberufenen Gottesvolks, nämlich Israels, und dann aus der Geschichte der christlichen Kirchen aus der Völkerwelt.
Bis zu Daniels Zeit hat Gottes Regierung dem Volk Israel inmitten der Völkerwelt freie Bahn gegeben und erhalten. Gewiss wurde es durch seine Feinde ringsum oft gedrängt und bedrückt. Aber das war eine Züchtigung, wenn es nicht auf Gottes Bahn blieb. Doch hat ihm Gott, sowie es Buße tat, immer wieder durch Richter und Könige zur Freiheit geholfen! Die von den letzteren geführten Kriege tragen nach dem Urteil der Bibel eine andere Art als die innerhalb der Völkerwelt und von Weltmächten geführten Kriege. In diesem Sinn heißt es einmal (1Sam 17:47): der Streit ist des H e r r n. Das wurde anders, als das Maß der Sünde voll geworden war und nach Gottes heiligen Recht die Weltmächte auf den Plan gerufen hatte. Seitdem steht Israel auch als Gottes Volk unter den D r u c k der Weltmächte, und zwar nach Gottes Willen. Und es soll auch unter diesem Druck den W e g Gottes gehen, ohne ihm nach Art der Welt mit äußeren Kampfmitteln zu begegnen.

Die Kämpfe der Makkabäer
Von diesen grundsätzlichen Erwägungen aus sei nun hinübergeblickt auf die makkabäische Notzeit, auf die Daniels Weissagung zweimal hinweist, zuerst in Dan 8 und dann ganz ausführlich in Dan 11. Das war eine Not, die nicht nur an die Wurzeln der ä u ß e r e n Existenz Israels reichte, sondern die seine ganze göttliche B e r u f u n g in Frage stellte. Wie sind die Frommen jener Zeit dieser Not begegnet? Im ersten Makkabäerbuch ist dies eingehend und sachkundig dargestellt. 1Makk. Die Not wurde beendigt durch einen jahrelangen tapferen Freiheitskampf, dem man mit innerer Anteilnahme und Sympathie folgen muss. Aber nicht alles was m e n s c h l i c h wohlverständlich ist, ist darum auch von G o t t her gesehen richtig und gottgewollt.
So war es seinerzeit, als der Herr zum ersten mal ohne jede Hülle die Jünger mit dem Kreuzesweg bekannt machte, wohlverständlich, dass sich die letzteren in diesen Gang nicht hineinfinden konnten. Petrus hat als Sprechführer seiner Mitjünger den Meister in gutmeinender Absicht vom Kreuzesweg zurückzuhalten versucht. Aber Jesus hat darin eine teuflische Versuchung des Jüngers und seiner selbst gesehen, die er mit großem Ernst zurückgewiesen hat. Nun ist es zweifellos, dass Gott seinem Volk in der makkabäischen Notzeit Hilfe zugedacht hat. Aber ob die Art, wie die damaligen Frommen sich s e l b e r geholfen haben, im Sinn Gottes war, das ist eine andere Frage. Gewiss: sie traten in den Kampf ein im G l a u b e n, und darum hat Gott ihnen den Kampf auch gelingen lassen. In gewissem Sinn gehören die Makkabäer zu den Glaubenshelden der alten Zeit, von denen in Hebr 11 die Rede ist. Es ist wohl wahrscheinlich, dass dort auch auf jene Zeit Bezug genommen wird, nämlich in Hebr 11:34, wo davon die Rede ist, dass der Fremden Heere im Glauben niedergelegt wurden. Damit ist aber noch nicht ausgesprochen, dass die Glaubenshaltung, aus der heraus die Makkabäer in den Kampf eintraten, in a l l e n Stücken Gott wohlgefällig war. Denn im Verzeichnis der alttestamentlichen Glaubenshelden findet sich auch Abrahams Gattin, obwohl die letztere zuerst der Verheißung Gottes kein Vertrauen schenkte, sondern das Glauben erst lernen musste. Das ist dieselbe barmherzige Art der Schrift, infolge deren Lot (2Petr 2:7) „gerecht“ genannt wird, obwohl sein Charakter in der Schrift ernste Flecken aufweist. Dass der alte Mattathias, der Vater der heldenhaften Brüder, das von ihm verlangte Opfer mit Ernst verweigerte, das blieb vollständig auf der rechten Linie. Ob es aber richtig war, dass er den Juden, der gleich darauf zum heidnischen Opferaltar schritt, durchbohrte und mit ihm den Beamten des heidnischen Königs, das ist eine andere Frage. H e i l i g e r Unwille war dabei, aber eine Tat des Z o r n s war es doch. Und das Jakobuswort gilt: „des Menschen Z o r n ist nicht imstande, die Gerechtigkeit Gottes zu wirken“ (Jak 1:20). Es ist eine weitere Tatsache, dass das Königtum der Makkabäer, das sich an die siegreiche Beendigung des Freiheitskampfes anschloss, nicht auf der Linie der V e r h e i ß u n g lag. Denn das Königtum war dem Hause D a v i d s zugesagt; und die Makkabäer gehörten dem Stamm L e w i an. Ebenso ist es eine Tatsache, dass dieses neue Königtum bald entartete und im Zusammenhang damit, ohne es zu wissen und zu wollen, die Veranlassung wurde, dass das römische Weltreich nach dem heiligen Volk und Land griff, und dass die gleichen Römer das Königtum der Herodeer in den Sattel setzten, unter dem Juden und Christen viel zu leiden hatten.
Vielleicht sind solche Erwägungen auch ein Beitrag zu der Frage in Anmerkung 1, ob es möglich sei, das Danielbuch und die darin enthaltenen Gesichte einem Frommen der Makkabäerzeit zuzuschreiben. Die Haltung Daniels, wie sie im Danielbuch ersichtlich ist, ist eine andere als die Haltung der Makkabäer.

Die Zeloten
Nach der Zeit des makkabäischen Königtums, ja geradezu durch das letztere kam Israel unter die Herrschaft Roms. Das gilt auch für die Zeit von Herodes dem Großen, der bekannt ist durch den Kindermord von Bethlehem; ferner für dessen Sohn, der Johannes den Täufer hinrichten ließ; weiter für d e n Herodes, der Petrus enthaupten lassen wollte, wie für d e n Herodes, dem Paulus bei dessen Antrittsbesuch beim römischen Statthalter Festus das Evangelium brachte. Alle vier Herodes standen unter der Oberherrschaft Roms. Äußerlich trat die Herrschaft Roms in Erscheinung durch den Steuerzwang. Es gab eine Bewegung im Lande, namentlich unter den Galiläern, welche die Entrichtung der Steuer an das heidnische Rom als Verleugnung der alleinigen Herrschaft Gottes über Israel ansah und die deshalb die Steuerzahlung als S ü n d e brandmarkte. Die Anhänger dieser Bewegung hießen „Zeloten“ oder „Eiferer“, aus deren Mitte Jesus einen seiner Jünger berief, nämlich den Simon Zelotes. Die Zeloten haben einzeln und in Verbänden den blutigen Kampf gegen Rom gewagt; aber ihre Aufstände wurden zerschlagen. Der Schriftgelehrte Gamaliel hat diese Tatsache bei der Gerichtsverhandlung gegen die Apostel (Apg 5) so erklärt: ihr Werk war nicht aus Gott. Dieses Urteil war richtig. Hier gilt das Wort, das Jesus im Garten Gethsemane aussprach, als Petrus nach dem Schwert griff: wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen. Tatsächlich haben manche Zeloten, wenn sie auch keine Verbrecher im gewöhnlichen Sinn de Wortes waren, am Kreuz geendet. In ihre Reihe gehören wahrscheinlich die beiden rechts und links von Jesus Gekreuzigten. Es ist nicht auffällig, dass Pilatus die Hinrichtung Jesu benutzte, um auch die beiden mit hinrichten zu lassen, und dass er Jesus gerade in ihrer Mitte kreuzigen ließ. Er war zwar überzeugt, dass Jesus unschuldig war, und hat sich mit der Überschrift am Kreuz, die Jesus als Empörer gegen Rom brandmarkte, an den Führern des Volks gerächt, die ihn gegen sein Gewissen zum Justizmord zwangen. Aber auf der anderen Seite hat er damit die Hoffnung Israels auf den verheißenen König verhöhnt, und hat die ganze zelotische Bewegung an den Pranger gestellt. Eine gewisse m e n s c h l i c h e Sympathie wird man den Zeloten nicht versagen können. Und dass edle Charaktere unter ihnen waren, das zeigt gerade das Beispiel des Schächers. Der erkannte in dem Gekreuzigten, an dem ganz Israel einschließlich der Jünger sich stießen ob seiner Kreuzesgestalt, d e n n o c h den König Israels, und war zugleich der erste Evangelist, der Jesus als den wiederkommenden König des Gottesreiches verkündigte. Aber gerade er hat, als er am Kreuz gerichtet wurde, das römische Gericht als G o t t e s Gericht erkannt, und hat seine zelotische Einstellung als Versündigung bereut, während der andere zu dieser Einstellung und Selbstverurteilung nicht fähig war.

Der jüdische Krieg
Später ließ sich das ganze jüdische Volk auf diese Bahn treiben und wagte den Kampf mit Rom, als die Bedrückung aufs höchste gestiegen war. Es war trotzdem nicht im Sinn Gottes und endigte nach jahrelanger Dauer in unvorstellbarem Jammer mit der Eroberung und Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahr 70 nach Christi Geburt. Was der Herr ein Menschenalter vorher bei seinem königlichen Einzug in Jerusalem weinend als Folge seiner Verwerfung ausgesprochen hat, das ging wortwörtlich in Erfüllung. Trotzdem ist jene Katastrophe nicht nur als die Folge der Kreuzigung Jesu, und der Ablehnung des Evangeliums durch den Hauptteil seines Volkes zu verstehen. Vielmehr lag diese Selbsthilfe nicht auf der Linie, die dem Volke Israels seit der Zeit der babylonischen Gefangenschaft gewiesen war.

Die deutschen Glaubenskriege
Darf in diesem Zusammenhang auch ein Wort gesagt werden über die Glaubenskämpfe innerhalb der evangelischen Christenheit? Gedacht ist zunächst an den Kampf der deutschen evangelischen Fürsten gegen Karl V. bald nach Luthers Tod. Sieht man jene Kämpfe nur vom i n n e r m e n s c h l i c h e n Standort aus, so ist das Urteil verständlich, ein anderer Weg als das Schwert sei angesichts der Bedrohung des evangelischen Volksteils durch den Kaiser nicht mehr gangbar gewesen. Aber ob es G o t t e s Weg war? Jene Kämpfe waren ein Vorspiel des Dreißigjährigen Krieges, bei dem es sich freilich letzten Endes um das Evangelium und um Glaubensfragen handelte, der aber in solchen Formen geführt wurde, dass man ihn kaum noch den Namen Glaubenskrieg geben kann. Es war der Weg in ein namenloses Elend Deutschlands. Ein endgültiges Urteil zu fällen ist sehr schwer. Ob nicht die letzte Ursache solcher Verwicklungen auf dem Boden der Christenheit damit zusammenhängt, dass letztere nicht auf der Bahn der ältesten Christenheit und Jesu geblieben ist? Die Gemeinde Jesu ist wohl i n der Welt, aber nicht v o n der Welt. Sie musste bestimmungsgemäß nach des Herrn eigenem Willen und Wort den Weg in die Völkerwelt antreten, um Licht und Salz derselben zu sein, und aus ihr heraus eine Schar für ihren König zu sammeln, noch vor seinem Wiederkommen, zur eigentlichen Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden. Aber die Christenheit ist bei diesem Gang hinaus in die Weiten der Völkerwelt, und durch die Jahrhunderte hindurch, viel zu sehr in die Art der W e l t eingegangen und ihr weithin gleichförmig geworden. Der Herr selber hat diesen Gang vorausgesehen und hat unter anderem im zweiten Ackergleichnis vom Unkraut unter dem Weizen davon gesprochen. Aber der richtige Gang war es nicht, wenn er auch wohlverständlich ist, weil die widergöttliche Welt mit Locken und mit Zwang nach der Gemeinde Jesu gegriffen hat. Tatsache ist es ja, dass die Kirchen auch in ihrer unvollkommenen, und zum Teil verderbten Art den Völkern Segensströme vermittelt haben. Die Geschichte zumal des Abendlandes wäre ohne diesen, durch die Kirchen vermittelten Segen gar nicht denkbar. Aber der Gedanke, beziehungsweise das Urteil, dass die Kirchen, und zwar alle miteinander, auch die evangelischen, ebenso die einzelnen Abzweigungen und Splitter mindesten nicht g a n z auf der Linie Jesu und des Evangeliums geblieben sind, besteht trotzdem zurecht. Deshalb ist in der Offenbarung des Johannes bei deren Beschreibung der Endzeit keine Kirche sichtbar, die der antichristlichen Zeit und dem Antichristen selber wirksame Kräfte entgegensetzen könnte. Eine Gemeinde Jesu mit vielen Gliedern, ja mit einer unzählbaren Schar aus allen Völkern, und damit auch aus allen Kirchen, wird nach dem Zeugnis der Offenbarung beim Abschluss des jetzigen Zeitlaufs zwar vorhanden sein, aber geschlossene Kirchen k ö r p e r , die imstande wären, dem letzten Angriff der Finsternismächte von innen heraus auf dem Weg des Glaubens Widerstand zu leisten, werden dort nicht sichtbar. Zwar hat es innerhalb der Christenheit immer wieder, zumal in der Reformationszeit, kräftige Neuansätze aus Gottes Geist heraus gegeben, die zu großen Hoffnungen zu berechtigen schienen. Aber immer wieder gab es Verflachungen, Verkümmerungen, Rückgänge, Verweltlichungen in verschiedenen Arten und Formen. Das gilt im großen und kleinen. Darum gibt es auch innerhalb der Geschichte der Kirchen so viel Schmerzliches, ohne dass dadurch auf das Evangelium selber ein Schatten fiele. Ob nicht e i n e r dieser Mängel und Schatten darin sichtbar wird, dass auch innerhalb der Kirchen zum S c h w e r t gegriffen wurde, sei es, um sich durchzusetzen oder zu sichern? Wie hat Jesus gesagt?: „Ihr aber n i c h t also!“ (Lk 22:26). Die Gemeinde Jesu siegt und wird siegen, aber auf dem K r e u z e s w e g.

Die französischen Glaubenskriege
Was von den Kämpfen des evangelischen Volksteils in D e u t s c h l a n d von der Reformationszeit bis zum 30-jährigen Krieg gesagt wurde, das gilt auch für die Kämpfe in der „Kirche in der Wüste“ in F r a n k r e i c h. Das ist eine lange Geschichte von Glaubensmut und Leiden, von Leiden bis in die letzten Tiefen. Es ist menschlich so verständlich, dass die Leidenden auch zum S c h w e r t gegriffen haben. Aber ob das der Weg G o t t e s war? Ein Darsteller jener Zeit aus den Reihen der französischen evangelischen Kirche in der neueren Zeit hat es bezweifelt. Dass mit dem ausgesprochenen Gedankenganzen kein einziges ungutes Wort über die oft bis zum Tod getreuen Glaubenshelden der „Hugenotten“ gesagt werden soll, das wird nicht erst ausgesprochen werden müssen. Zwar kann aus dem Gelingen oder Misslingen einer Sache noch nicht der Schluss gezogen werden, ob eine Sache aus Gott ist oder nicht. Insofern hat jener, von Gamaliel im Blick auf das Ergehen der zelotischen Partei ausgesprochene, Grundsatz nicht recht. Aber zum Nachdenken darf es doch veranlassen, dass die Kämpfe der französischen evangelischen Kirche früherer Jahrhunderte nicht gelungen sind.

Die Fehlentwicklung Deutschlands und ihre Ursachen
Darf, um den vorliegenden Gedankengang abzuschließen, noch ein Wort gesagt werden über die neuere Geschichte Deutschlands? Gemeint sind damit nicht nur die letzten Jahre und Jahrzehnte, sondern ein viel größerer Zeitraum, ja im Grunde der ganze Verlauf des deutschen Geschehens, seitdem das Christentum die deutsche Geschichte mitbestimmt hat. Darüber zu sprechen ist ein Wagnis. Denn die Geschichte in G o t t e s Licht zu sehen, das ist zwar von einschneidender Wichtigkeit, aber sehr schwer. Es erscheint als eine nahezu unmögliche Aufgabe, zu einer einigermaßen einheitlichen Auffassung der deutschen Geschichte zu gelangen. Es hat schon eine Auffassung gegeben, die im Bekanntwerden des deutschen Volkes mit dem Christentum ein Unglück gesehen hat und meinte, über die lange christliche Geschichte unseres Volkes zurückgreifen zu müssen in seine v o r geschichtliche Vergangenheit, um deren Gedanken und Ideale in neuerer Form wieder aufzufrischen. Es wäre gut, wenn solche Gedanken keinen Einfluss mehr hätten, namentlich nicht auf die deutsche Jugend. Aber selbst da, wo die Christianisierung Deutschlands etwas Wertvolles für unser deutsches Volk, und für die deutsche Art gesehen wird, das man unter keinen Umständen mehr missen oder gar beseitigen möchte, geht das Urteil, namentlich über die letzten 400 Jahre Deutschlands, weit auseinander. Der evangelische Volksteil kann nicht anders, als dass er in der Reformation ein Gottesgeschenk an Deutschland erblickt. Mit diesem Urteil braucht in keiner Weise eine Geringschätzung oder gar Bekämpfung der katholischen Christenheit verbunden zu sein. Das Nebeneinander der beiden großen christlichen Kirchen hat freilich auf der einen Seite die deutsche Geschichte der letzten Jahrhunderte erschwert, aber gleichzeitig hat es das deutsche Leben auch vertieft. Der katholische Volksteil wird ja in der Reformation ein Unglück sehen, das irgendwie ausgeglichen oder überwunden werden müsse. Aber ob es nicht e i n e n Punkt gibt, in welchem b e i d e Kirchen zu einem gemeinsamen Verständnis der deutschen Geschichte und Aufgabe zu, und zur gleichen Haltung gelangen könnten? Gott hat jedes Volk in seiner besonderen Art begabt, geführt und beauftragt. Aber nicht jedem Volk hat er die gleiche Aufgabe zugewiesen. Ob unser deutsches Volk nicht eine besondere Aufgabe auf dem i n n e r s t e n Lebensgebiet erhalten hat? Ob es ihm nicht nach G o t t e s Willen versagt ist, eine nach a u ß e n glänzende und machtvolle Stellung einzunehmen? Ob nicht gerade dieser i n n e r s t e n Aufgabe das Bekanntwerden mit dem Evangelium vor mehr als 1000 Jahren, und die neue Einführung in die befreienden Tiefen des Evangeliums zur Zeit der Reformation hat dienen sollen? Ob es nicht dazu ausersehen war, der Völkerwelt, und besonders den von der Botschaft des Evangeliums noch nicht erfassten Völkern, das Heil G o t t e s nahezubringen? Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass Gott unserem Volk, abgesehen von früheren Partien seiner Geschichte, innerhalb der Welt wenig Ehre und Einfluss ä u ß e r e r Art eingeräumt hat. Es wird gesagt werden können, dass es wenige europäische Völker gibt, die im Laufe einer langen Geschichte durch so viele Tiefen, auch des Leidens, geführt worden sind wie unser deutsches Volk. Wie weit wurde es beispielsweise durch den 30-jährigen Krieg zurückgeworfen! Hat nun unser Volk - wir denken an b e i d e Kirchen - seine i n n e r s t e Berufung wirklich erfasst, gewürdigt, ausgenutzt, vertieft und weitergegeben? Hat es nicht, zumal seit etwa 200 Jahren, ä u ß e r e Gaben und ä u ß e r e Herrlichkeit höher geachtet und begehrt als G o t t e s Berufung? Neben der letzteren sind ja die anderen Dinge nur Scheinworte.
Wie hat nun Gottes Regierung auf diese zunehmende verkehrte Einstellung unseres deutschen Volkes geantwortet, die zumal seit den Schlägen der napoleonischen Zeit aufs neue aufkam und sich stetig steigerte, bis die Diesseitigkeit schließlich alles zu überwuchern drohte, von den einfachsten Volkskreisen an bis hinauf zu Wissenschaft und Kultur? Tatsache ist es ja auch, dass aus Deutschland das Gift der Gottlosigkeit in die Welt hinaus drang mehr als von den anderen europäischen Völkern. Gottes Antwort bestand darin, dass er es unserem Volk nicht mehr gelingen ließ. Zwar gewährte er ihm in den vier Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg noch eine letzte Blütezeit ä u ß e r e r Art, wie seinerzeit dem israelitischen Nordreich unter Jerobeam II. kurz vor der Wegführung in die assyrische Gefangenschaft. Ob das nicht die l e t z t e Frist war, die Gott unserem Volk schenkte, um auf die von ihm gewiesene Bahn wieder zurückzukehren? Diese Frist ist verstrichen. In den „guten“ Jahren zwischen dem Krieg des Jahres 1870 und dem ersten Weltkrieg h at sich die Diesseitigkeit Deutschlands noch verstärkt. Wir Älteren, die wir jene Zeit noch mit Bewusstsein selber durchlebt haben, wollen und dürfen uns von der dadurch vor G o t t entstandenen Schuld nicht ausschließen und reinwaschen. Unser Volk hat sich in seinem äußeren Aufstieg gesonnt und seinen Gott und den Herrn Christus darüber mehr oder minder vergessen. Da kam die Wende. Der zum Weltkrieg ausgewachsene Krieg von 1914 - 1918 ging verloren. Dann kamen die Jahre nach dem ersten Weltkrieg mit wachsender Schwere. Weithin erfolgte zwar in jenen Jahren eine Rückkehr zum guten Vätererbe der alten Zeit. Aber eine wirkliche innere Umkehr ist auch in der Zeit der Erniedrigung Deutschlands in den anderthalb Jahrzehnten nach dem ersten Weltkrieg nicht zustande gekommen. Da ist Deutschland noch tiefer gestürzt. Der zweite Sturz vollzog sich in zwei Absätzen. Zuerst untergab sich das deutsche Volk, zum Teil willig, zum Teil gezwungen, einer Führung, die es vom Vätererbe und von Gottes Bahn loslöste und dafür das Ideal einer stolzen weltlichen Größe aufrichtete. Was unter der Herrschaft dieses Geistes im Geheimen Furchtbares geschehen ist, das ahnten und wussten die wenigsten. Und dann kam der fürchterliche zweite Teil des Sturzes im zweiten Weltkrieg. Von dem braucht hier nicht weiter gesprochen zu werden. A n f a n g e n muss das Gericht am Haus Gottes (1Petr 4:17); aber umfassen wird es zu seiner Zeit die ganze W e l t. A l l e Welt fürchte den Herrn!
Könnten die beiden großen Kirchen nicht in einer solchen Auffassung der deutschen Geschichte einig gehen? Diese Auffassung wird nicht ausgesprochen, um sich und andere über das Elend der Gegenwart hinwegzutrösten, sondern um der Frage Gottes auf den Grund zu gehen, die er im Wetter des Krieges und Kriegsausgangs an uns gestellt hat. Wenn wir diese Frage überhören, und darauf nicht mit der Rückkehr zur schlichten alten christlichen Art, zu ihm selber und zum Herrn Christus antworten in Buße und Glauben und neuem Gehorsam, dann ist - menschlich geredet - unsere deutsche Geschichte zu Ende. Diese Rückkehr ist um so nötiger, weil Deutschland in diesem Krieg nicht nur namenlos gelitten hat, sondern weil es auch an einer Unmenge von Weltelend schuldig geworden ist. Und ob nicht die größte Schuld, die es sich im letzten Jahrzehnt aufgeladen hat, die ist, dass durch Deutsche ein großer Teil des erstberufenen Gottesvolks unter namenlosen Qualen ausgerottet wurde?
Es ist wohl verständlich, dass gerade an dieser Stelle die Frage nach der Schuld in besonderer Schwere aufwacht. Es ist auch verständlich, wenn die g e m e i n s a m e Schuld an den genannten besonderen Versündigungen bestritten und auf die verantwortlichen Führer des Volks abgewälzt wird. Weil die Sache so wichtig ist, möge in diesem Zusammenhang noch auf eine alttestamentliche Geschichte hingewiesen werden, die geeignete ist, die deutsche Geschichte der letzten Zeit zu beleuchten, und die Frage der Schuldzumessung richtig und Gewissen schärfend zu beantworten. Gedacht ist an die in 2Sam 24 erzählt Geschichte von Davids Volkszählung. Davids Zeit war in gewissem Sinne der Höhepunkt der alttestamentlichen Gottesgeschichte. Vorbereitet war dieser Höhepunkt durch die Väterzeit und durch die Unterstellung Israels unter das heilige Gesetz Gottes. Aber erst unter David kam das Werk Gottes mit Israel zu seiner einstweiligen Reife. Da wurde Jerusalem zur Hauptstadt und zur Stätte der Gegenwart Gottes im Tempel. Da wurde auch der Wurzelboden zubereitet, aus dem nach Gottes gnädiger Verheißung an David der eigentliche König Israels, nämlich Jesus, hat hervorgehen sollen. Von da aus wird verständlich, warum in 2Sam 24 die Volkszählung so ernst beurteilt wird, die David in seinen alten Tagen, trotz des ernsten Einspruchs seines Genralfeldmarschalls Joab, vornehmen ließ. Denn in dieser Volkszählung kam bei David ein ganz anderer Sinn an den Tag, als es sich für einen Gottesmann ziemte. Er war geblendet vom Machtrausch. Deswegen kam die ganze schwere Strafe auf dem Fuße nach. David hat, als ihm die Wahl zwischen drei Strafen gelassen wurde, die Pestilenz gewählt. Und nun raste die Seuche durch das ganze Volk. So wurde also Davids V o l k wegen der Sünde seines K ö n i g s betraft? Der erste Vers jenes Kapitels zeigt es a n d e r s . Dort wird die Versündigung des V o l k e s als der Grund genannt, weswegen D a v i d sich zu jener verfehlten Volkszählung verleiten ließ. Weil das Volk als Ganzes von der Höhe seiner göttlichen Berufung abgeglitten war, bekam der Versucher Macht über seinen K ö n i g. Und die Sünde des K ö n i g s führte nun die Strafe herbei, die das ganze V o l k zu tragen hatte.
Um diese Geschichte auf die letzten anderthalb Jahrzehnte Deutschlands anzuwenden: dass in Deutschland e i n Mann, und die von ihm eingesetzten Beauftragten, sich schwer versündigt haben, das wird jetzt kaum mehr jemand bestreiten. Wenn nun aber wir Deutsche hergehen wollten, und wollten alle Schuld, die von deutschen Männern begangen worden ist, von uns weg auf diese Männer wälzen, dann könnte uns die Schrift mit Recht sagen: warum habt ihr einen solchen „König“ und eine solche Regierung bekommen? Ist’s nicht deshalb, weil zuerst ihr selber von Gottes Bahn abgewichen seid? D a r u m hat euch Gott mit einem solchen R e g e n t e n heimgesucht! Und weil ihr die Treue gegen Gott und den Herrn Christus schon lang nicht mehr festgehalten habt, hat dieser Regent mit lockender Gewalt den erfolgreichen Versuch machen können, euch vom alten guten Vätererbe zu lösen, und an sich und seine Gedanken und Begehrungen zu ketten. Mit was der Mensch sündigt, damit wird er wieder gestraft. Der Betrug, den seinerzeit Jakob sich seinem Vater gegenüber zuschulden kommen ließ, wurde ihm von seinem Schwiegervater und seinen Söhnen mit Zinseszins heimgezahlt. Gewiss: das war eine S ü n d e Labans und der Söhne Jakobs. Aber hinter deren Versündigung an J a k o b stand Jakobs Schuld gegenüber G o t t. So kommt auch von dieser Seite her an den Tag, wie wichtig die b u ß f e r t i g e Haltung ist, die uns durch Daniels Beispiel nahegelegt wird, der auch für die jahrhundertelange Versündigung seines V o l k e s , und für die Versündigung seiner F ü h r e r mit e i g e n e r Bußfertigkeit vor Gottes Angesicht in den Riss trat.

Ein Weg unter Spannungen

Im seitherigen war von Daniels Haltung aus hinübergeblickt auf die Geschichte unseres V o l k e s bis zur Gegenwart. Was nun noch übrig ist, ist die Aufgabe, für das p e r s ö n l i c h e Leben aus Daniels Beispiel Richtlinien zu erhalten. Daniel hat nicht ersucht, die drückenden, aber von Gott verhängten Nöte abzustreifen, sondern hat im Gehorsam gegen Gottes Gebot, auch unter dem Druck sein Leben geführt und innerhalb der drangvollen Verhältnisse seinem Gott gedient, indem er betend Gottes Durchhilfe herabzog, auf das spätere Walten Gottes und bis zum Kommen seines Reiches hinausblickte. In diesem Sinne hat er sich auch der Obmacht der Weltmächte unterstellt und ihnen gedient und die später von Paulus ausgesprochene Regel beachtet: „Ich übe mich zu haben ein unverletztes Gewissen allenthalben gegen Gott und die Menschen.

Wie a n d e r e ihr Leben gestalten, das können wir nicht bestimmen. Mehr als raten, aufmuntern, bitten, mahnen, warnen können wir nicht. Und doch: noch eins können wir: nämlich als glaubende Christen unser Leben nach Daniels Beispiel führen, auch unter drückenden und schwierigen Verhältnissen, ob wir jung oder alt sind, ob ledigen Standes oder als Ehemänner und Hausväter, als Frauen und Mütter, ob in mehr selbstständiger oder abhängiger Stellung, ob als Bauer oder als Arbeiter, ob als Geschäftsmann oder als Angestellter, ob als Beamter oder als Staatsmann. Ist es uns ein Anliegen, in der Weise Daniels unser Leben zu gestalten, dann wird es auch nach der Gottesregel gehen: „Den Aufrichtigen lässt es der Herr gelingen, und er beschirmt die Frommen“ (Spr 2:7).

Aber das andere göttliche Grundgestz bleibt ebenfalls in Kraft: „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer es aber verliert um meinetwillen, gerade der wird’s finden“ (Mt 16:25).

Es liegt auf der Hand, dass der Weg Daniels ein s c h m a l e r war: er stellte sich nicht nur leidend, sondern auch tätig und mithelfend unter die W e l t macht und ihre Herrscher, und g l e i c h z e i t i g führte er sein Leben in bewusster, gehorsamer Unterstellung unter G o t t. Waren es nicht z w e i Herren, denen er diente? Wurde er nicht durch den Dienst unter Nebukadnezar seinem Gott untreu? Und war er im Dienst Gottes noch fähig, Menschen aufrichtig zu dienen? Daniel hat b e i d e s fertiggebracht, ohne - um mit einem volkstümlichen Ausdruck zu reden - auf beiden Achseln Wasser zu tragen. Das G r u n d legende an seiner Lebenshaltung war sein Gehorsam gegen Gott. Dabei ist er geblieben, auch wenn er dadurch in Schwierigkeiten geriet, ja sogar, wenn er dadurch das Leben aufs Spiel setzte. Im Rahmen des Gehorsams gegen Gott und sein Gebot war er bereit, mit seinem ganzen Wissen und Können den Weltherrschern zur Verfügung zu stehen. So hat er es schon gehalten als junger Mensch, zusammen mit seinen Freunden. Er und sie fügten sich willig in die Ausbildung als Pagen im königlichen Dienst. Aber sie wollten dabei dem Gesetz Gottes treu bleiben, auch beim Essen.*

Anmerkung 16:

Daniels Jugendweg
*Das erste Kapitel des Danielbuches ist etwas ungemein Wertvolles für junge Leute. Unsere heutige deutsche Jugend stand und steht unter dem Druck. Was hat sie mitgemacht, als sie zwischendrin stand zwischen der „weltanschaulichen“ Schulung und dem Elternhaus, und als sie jahrelang von der Heimat getrennt, unter schwersten Strapazen, dem Tod ins Auge sah! Was macht sie mit in der Gefangenschaft! Wie lastet auf ihr die Ungewissheit um ihre Zukunft! Die ältere Generation, die ja auch ihren Teil zu tragen hat, und die den Wechsel der Zeiten eindringlich und schmerzhaft durchlebt hat, weiß, dass der irdische Teil ihres Lebens dem A u s g a n g entgegengeht. Die jüngere Generation hat das Leben erst v o r sich und muss sich innerlich und äußerlich in der neuen Zeit erst zurechtfinden, jetzt schon bedrängt von Existenzsorgen. Wie war’s bei Daniel? Der verlebte seine Jugend ebenfalls unter dem Druck, fern von der Heimat, als Glied eines von den Weltmächten verachteten und von Gott gerichteten Volkes. Und doch ist es ein Lichtblick, was in den Klageliedern Kla 3:27 steht: „Es ist ein köstlich Ding, dass ein Mann das Joch trage in seiner Jugend.“ Das gleiche gilt übrigens auch von der weiblichen Jugend unseres Volkes in der heutigen Zeit.
Um was hat Daniel gerungen? Um eine r e i n e Jugend. Es ist zwar kein Wunder, wenn übergroße Nöte zur Verwilderung führen. Aber eintreten muss die letztere nicht. Gerade Notzeiten bieten im besonderen Maß das Übungsfeld für die Reinheit. Es war keine Enge und nichts Kleinliches, wenn bei jenen vier jungen Leuten der Kampf um das Reinbleiben sich an das Essen anschloss. - Wohl der Jugend, die Freunde findet, und zwar die rechten! Sagen wir’s kurz: wohl einer christlichen Jungmannschaft, die sich des Herrn nicht schämt!

Sie erhoben keine Einwände dagegen, als sie in den Orden der Magier eingegliedert wurden. Aber sie vertragen innerhalb dieses Ordens nicht die heidnischen Gedanken und Anschauungen, sondern waren mutige Zeugen der alleinigen Königsherrschaft Gottes. Sie übernahmen hohe Regierungsämter in der Verwaltung des babylonischen Reiches; aber bei einem Regierungsakt, der den König nahezu als Gott ehrte, blieben sie aufrecht. Sie wichen zwar jenem Akt nicht aus, aber die Anbetung des Bildes machten sie nicht mit und blieben dabei, auch als der König sie mit harten Worten anfuhr, und ihnen mit einem schmerzhaften Tode drohte. Unerschrocken hat Daniel dem König seinen Traum gedeutet, der ihm, falls er bei seinem Hochmut beharre, den Wahnsinn androhte. Er hat sich nicht gescheut, dem König zu raten, sich vor Gott zu demütigen und seine Lebenshaltung zu ändern, um der Verwirklichung des Traumes zu entgehen. Als er auf die Veranlassung der Königinmutter dem Sohn Nebukadnezars die Schrift an der Wand deuten sollte, hat er ohne jede Schmeichelei dem König seine Versündigung an Gott vorgehalten, und das Gericht angekündigt. Eine Ehrung hat er abgelehnt. Er hat sein hohes Amt so gewissenhaft verwaltet, dass ihn der erste Nachfolger des babylonischen Reiches zum Reichsverwalter ernennen wollte. Aber als der König unter dem Einfluss schlimmer Ratgeber ein Reichsgesetz ergehen ließ, das praktisch jeden Gottesdienst und jedes Gebet als Verbrechen an der Majestät des Königs mit der Todesstrafe bedrohte, hat er trotzdem an seiner seitherigen Gebetssitte festgehalten, und sich nicht als Beter in ein Kämmerlein zurückgezogen, wo man ihn nicht hätte beobachten können. Er tat es mit dem völlig guten Gewissen, dass er trotz der scheinbaren Übertretung des königlichen Gebotes sich am König nicht versündige. Er hat sich nicht dagegen gewehrt, dass man ihn in den Löwenzwinger warf; und als er heil aus dem Zwinger herauskam, hat er es dem König bezeugt, dass seine Rettung durch ein Wunder G o t t e s herbeigeführt worden sei. Das war Dienstbereitschaft und Unabhängigkeit zugleich; Dienst am Menschen und gleichzeitig Dienst Gottes; ehrerbietige und freimütige, ja königliche Haltung in einem. Besonders hervorstechend ist an dieser Haltung der Mut, der zum Opfer des Lebens bereit war. Sein Leben hat er zwar als etwas Kostbares geschätzt. Deshalb hat er auch, als es zum erstenmal durch den König bedroht war, von Gott die Errettung erbeten, und in glaubender Erwartung dieser Errettung um Aufschub der Hinrichtung nachgesucht. Aber durch Kompromisse oder Ungehorsam gegen Gott hat er weder seine Stellung zu retten noch sein Leben zu erhalten gesucht.*

Anmerkung 17:

Wo die Grenzen des Gehorsams liegen
* Es liegt auf der Hand, wie gegenwartsnah diese Geschichten aus Daniels Zeit sind im Rückblick auf die jüngste Vergangenheit, für die Gegenwart und im Ausblick auf den näherrückenden Abschluss des jetzigen Zeitlaufs. Es empfiehlt sich deshalb, auf diese Geschichten nochmals einzugehen, und zwar von g r u n d s ä t z l i c h e n Erwägungen aus. Dass Daniel und seine Freunde bereit waren, der „Obrigkeit“, die Gewalt über sie hatte, untertan zu sein, ja, sich ihr dienend zur Verfügung zu stellen, das ist gewiss. Sie nahmen diese Haltung ein, nicht o b w o h l sie im Glauben standen, sondern w e i l sie glaubende Menschen waren, deren Gewissen an Gottes Wort und Gottes Gebot gebunden war. Aber die Obrigkeit, die Gewalt über sie hatte, und der sie dienten, war die der h e i d n i s c h e n Weltherrscher, die wohl durch Gottes Regierung berufen und eingesetzt waren, die aber ihrerseits sich nicht an den wahren Gott gebunden wussten! Darum ist es nicht verwunderlich, dass die Bereitschaft Daniels und seiner Freunde zum Untertansein und zum Dienst auf G r e n z e n stieß, wo sie nicht mehr untertan sein k o n n t e n, und zwar wieder aus Gewissengründen. Es ist von grundlegender Wichtigkeit, darüber ins Klare zu kommen, w o diese Grenzen lagen, und wo sie n i c h t lagen.
Die Grenze lag n i c h t in einem nationalen oder religiösem Stolz, der die Ehrerbietung gegen den heidnischen Weltherrscher erschwert oder unmöglich gemacht hätte, auch nicht bei den Ansprüchen, die der Dienst an die Besiegten stellte, auch nicht bei dem Steuerdruck und bei dem Leiden, das sie zufügten. Zu dem allem waren sie b e r e i t . Das entspricht ganz der Anweisung Jesu an seine Gemeinde in der Bergpredigt (Mt 5:38-42), seinem eigenen Verhalten in der Passion, der Haltung des Paulus bei seinen Berührungen mit den heidnischen Behörden auf seinen Missionsreisen, und nach seiner Verhaftung in Jerusalem, und seiner Anweisung an die Christen in Rom für ihr Verhältnis zum Staat, in denen er der Gemeinde den staatlichen Gewalten gegenüber Ehrerbietung, Furcht, willige Steuerzahlung und Bereitschaft zu jedem löblichen Tun zur Pflicht machte. Die Lage wurde schon ernster angesichts der Verflechtung der vier jungen Leute in die L e b e n s o r d n u n g des heidnischen Hofes (Dan 1. Wenn sie bei ihrer Ausbildung darum baten, bei den Mahlzeiten auf Wein- und Fleischgenuss verzichten zu dürfen, so geschah das nicht aus Gründen der Enthaltsamkeit und Abstinenz - wiewohl zur Bewahrung einer reinen Jugend. Es geschah auch schwerlich nur, um den Speisegeboten nachzukommen, die Israel gegeben waren, und die beispielsweise es den Frommen der makkabäischen Zeit unmöglich machte, sich Schweinefleisch aufzwingen zu lassen. Der Grund für ihre Bitte lag wahrscheinlich an einer anderen Stelle: auf heidnischem Boden wurden Fleisch und Wein, selbst wenn sie zum menschlichen Genuss verwendet wurden, vorher mit dem heidnischen Altar in Verbindung gebracht (das ist der Grund, weshalb Paulus im ersten Korintherbrief auf die Frage des Fleischessens mehrere Kapitel verwendet hat (vgl. dazu auch Röm 14). Die vier Freunde brachten die Bitte um Streichung von Wein und Fleisch aus ihrem Speisezettel aus dem Grund vor, weil sie nicht gegen das Grundgebot verstoßen wollten, das G o t t e s dienst und G ö t z e n dienst grundsätzlich voneinander trennt. Jene Bitte um eine andere Verköstigung wurde mit aller Ehrerbietung vorgebracht, und fand Erhörung durch den Hausmeister am königlichen Hof, weil Gott sich zu dem sehnsüchtigen Begehren der jungen Männer, rein zu bleiben, bekannte.
Viel ernster dagegen war die Not, die für Daniels Freunde entstand, als sie als Inhaber hoher Staatsämter genötigt waren, an einem Staatsakt teilzunehmen, mit welchem der babylonische Herrscher eine neue S t a a t s r e l i g i o n proklamierte. Das war damals, als er die Klossalstatue errichten ließ, vor der alle großen und kleinen Beamten des Reichs sich auf ein gegebenes Zeichen hin zu Boden werfen sollten. Nebukadnezar hat, als Daniels Freunde sich nicht niederwarfen, sie mit rauhen Worten angefahren, und mit einer schmerzhaften Hinrichtung bedroht, wenn sie „s e i n e n Gott“ nicht ehren wollten. S e i n Gott - das war nichts anderes als die Verkörperung der alles überragenden Hohen seines Herrschertums. A u c h eine Religion, aber der Verehrung dessen, der a l l e i n wahrer Gott ist, entgegengesetzt. Dem Buchstaben nach lag tatsächlich offener Widerstand vor, als Daniels Freunde dem König offen erklärten, dass sie sich in d i e s e m Stück seinem Willen nicht fügen könnten. Als sie auch bei der Wiederholung des Staatsaktes aufrecht stehenblieben, war das Eigensinn? Wären sie noch des Namens „Israeliten“ würdig gewesen, wenn sie dem königlichen Gebot Folge geleistet hätten?
Noch ernster wurde die Lage für Daniel nach dem Sturz der babylonischen Herrschaft unter dem ersten medo-persischen Regenten. Der war zwar dem Daniel sehr freundlich gesinnt, und schätzte seinen selbstlosen Dienst so hoch, dass er beschloss, ihn zum Reichsverwalter zu erheben. Gerade dieser Umstand war die Veranlassung, dass die anderen hohen Beamten des Königs Daniel zu Fall bringen wollten. Es war ihnen klar, dass sie gegen ihn keine dienstliche Beschuldigung erheben konnten. Darum wollten sie ihn bei seinem Gottesdienst treffen, und erwirkten deshalb bei dem schwachen, nichtsahnenden König ein Gebot, mit dem sie seinem Hochgefühl schmeicheln wollten: einen Monat lang solle niemand gegenüber eine Bitte vorgebracht werden als nur gegenüber dem König, und zwar bei Todesstrafe. Daniel war gewohnt, jeden Tag dreimal am offenen Fenster seiner Wohnung in die Richtung nach Jerusalem sein Gebet zu verrichten, und konnte dabei beobachtet werden. Er w u s s t e vom Verbot des Königs, wusste auch, dass eine Übertretung dieses Gebots für ihn nach dem strengen medischen Recht den Tod bedeutete. Aber von seiner bisherigen Gebetssitte k o n n t e er nicht lassen, ohne seinem Gott untreu zu werden. Er hat deswegen nicht einmal zu dem Ausweg gegriffen, sich zum Gebet in einen Raum zurückzuziehen, wo man ihn nicht hätte beobachten können. Das hätte er als Verleugnung Gottes empfunden. So fuhr er mit seiner seitherigen Übung des Gebets an der gleichen Stelle fort. Seine Widersacher hatten darauf gewartet und setzten es bei dem König durch, dass Daniel entsprechend dem königlichen Erlass in den Löwenzwinger geworfen wurde. Der König tat das äußerst ungern, und ließ sich nur im Blick auf die Erhaltung der Staatsautorität zur Vollstreckung des Dekretes bewegen. Dass Daniel gerettet wurde, machte ihn überglücklich. Daniel hat dem König nachher bezeugt, dass er sich ihm gegenüber vollständig unschuldig fühle, obwohl er dem Buchstaben nach das königliche Gebot übertreten hatte.
Im vorstehenden wurden drei Punkte aufgezeigt, wo es für Daniel und seine Freunde in Zusammenstöße mit der Staatsautorität kam, denen sie sich gewissenshalber nicht entziehen konnten. Es handelt sich um eine aufsteigende Linie: von der Verletzung eines einzelnen Gebotes zu der Frage, ob sie sich zur Anerkennung und Ausübung einer Staatsreligion entschließen könnten. Die letztgenannte Gewissensfrage zerlegte sich wieder in zwei Gewissensnöte: ob ein Gottesmensch Staatsreligion und Gottesdienst n e b e n einander üben könne, und ob er den Dienst Gottes um eines menschlichen Gebotes willen a u f g e b e n könne.

Wie weit die Zeit vorgeschritten ist
Wie nah diese Fragen in der jüngsten Vergangenheit lagen, liegt auf der Hand. Letzten Endes hat es sich auch um eine neue R e l i g i o n gehandelt, nicht nur um eine besondere „Weltanschauung“; ja sogar um die Frage, wer den l e t z t e n Anspruch auf den Menschen habe, und vollends auf einen Gottesmenschen, ob Christus oder das Staatsoberhaupt.
Ein wenig hat schon die Grußfrage an diese Dinge gerührt. Sie hat in den Geschichten Daniels ebenfalls eine Parallele. Der damals übliche Gruß lautete: „Der König lebe ewiglich!“ Daniel hat diese Anrede, die aber nur dem König selber gegenüber verlangt wurde, v e r w e n d e t (Dan 6:22). Der Sinn dieses Grußes ist nicht ganz so, wie es nach der deutschen Wiedergabe erscheint. Das Wort „ewiglich“ hat in diesem Satz nicht die Bedeutung von unendlicher Dauer. Der Gruß besagte lediglich, der mit dem König Sprechende wünsche dem König ein recht langes Leben. Diesen Segenswunsch konnte sich Daniel ohne Verletzung seines Gewissens zu eigen machen. Der in den letzten Jahren verlangte sog. deutsche Gruß k o n n t e in ähnlichem Sinn ausgesprochen werden, dass man nämlich dem Staatsoberhaupt das Heil Gottes wünsche. Allerdings ist der e i g e n t l i c h e Sinn jenes Grußes ein anderer gewesen.
Was Daniel und seine Freunde zu ihrer Zeit erlebt haben, einschließlich der Gewissensnot, in die sie gerieten, das hat sich bei den späteren Weltreichen in verschiedenen Formen und Graden wiederholt. Ernst wurde es am Ende der apostolischen Zeit im römischen Reich, als dem Kaiser göttliche Verwehrung erwiesen werden sollte. Darüber haben in den ersten Jahrhunderten der Christenheit viele ihr Leben gelassen. Bis vor nicht langer Zeit waren die japanischen Christen vor ähnliche Fragen gestellt. Was über die Christenheit Deutschlands im letzten Jahrzehnt gekommen ist, war einesteils eine Wiederholung früherer Nöte aus längst v e r g a n g e n e n Zeiten, die unversehens hereinbrachen bald nach dem Sturz einer ausgesprochen christlichen Regierung. Aber ob sie nicht gleichzeitig eine ernste V o r a u s d a r s t e l l u n g der kommenden antichristlichen Zeit sind, wo nach der Weissagung des letzten Buches der Bibel die Nöte an der gleichen Stelle entstehen sollen, nur in ungleich verstärktem Maß? Sind wir d i e s e r Zeit vielleicht schon näher gerückt, als wir ahnen? Ist unsere Zeit vielleicht schon der Übergang zu der „großen Versuchung, die da kommen soll über den ganzen Weltkreis, zu versuche, die da wohnen auf Erden“ (Offb 3:10). Ist dem so, dann müssen wir zwar vom christlichen Standort aus dankbar sein, dass noch eine Atempause vor der eigentlichen Endzeit durch Gottes Regierung eingelegt worden ist. Aber auf der anderen Seite sind in solchem Fall die Erlebnisse der deutschen Christenheit in den letzten anderthalb Jahrzehnten ein unüberhörbares Warnzeichen; und dies nicht nur für die Christen Deutschlands, sondern auch für die der ganze Welt.
In Anmerkung 14 wurde von einigen Merkmalen gesprochen, die für jedermann den Eindruck nahelegen, dass das ganze Zeitgeschehen im Vergleich zu früher eine andere Art angenommen habe und dem Ausgang entgegenreife, vielleicht schneller, als man ahne. Auf inhaltliche Bestimmung war dort absichtlich verzichtet worden, worin nämlich die e i g e n t l i c h e Schwere einer solchen Abschlusszeit für C h r i s t e n m e n s c h e n bestehe. Hier ist eine Antwort gegeben: das ist die Zeit der großen Probe für alles, was Christ heißt. Nicht nur für die e i n z e l n e n Christen, sondern auch für die kleinen und großen Kirchen k ö r p e r . Wo haben sie alle ihren Schwerpunkt? Für wen werden sie sich unter dem Druck der antichristlichen Zeit entscheiden? Können sie standhalten?

Richtiges Verständnis von Röm 13:1-7
Es sei noch auf einen Punkt hingewiesen, der das Standhalten der Christenheit Deutschland in den letzten anderthalb Jahrzehnten erschwert hat. Es war nicht nur mangelnde Einsicht und noch weniger Eigennutz, was bei vielen Christen Deutschlands damals die Haltung bestimmt hat. Ob nicht auch eine nicht ganz richtige Auslegung von Röm 13:1-7 dabei mitgespielt hat? Jene Stelle wurde weiter oben schon erwähnt. Sie enthält die Anweisung des Paulus an die römische Christengemeinde, wie sie ihr Verhalten gegenüber dem römischen Staat und überhaupt gegenüber allen staatlichen Gewalten regeln solle. „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“: Darin wurde nicht nur die Verpflichtung erblickt, von der Paulus in jenem Zusammenhang a u c h spricht, nämlich zur Ehrerbietung gegenüber allen staatlichen Gewalten einschließlich der Scheu vor ihrer richterlichen Macht, zur Willigkeit zur Steuerzahlung und zur Bereitwilligkeit zu jedem löblichen Handeln innerhalb des bestehenden Staatsganzen, sondern noch m e h r : nämlich die Pflicht zu einer i n w e n d i g e n Unterstellung. Die letzter wurde abgeleitet aus der Bemerkung des Paulus, dass jede t a t s ä c h l i c h bestehende Staatshoheit von G o t t sei, und dass jeder Widerstand gegen dieselbe Gottes Gericht nach sich ziehe. D i e s e Auffassung hat den Weg der Christenheit Deutschlands nicht leicht gemacht. Ob damit der Gedankengang des Paulus vollständig richtig aufgefasst ist, das ist sehr die Frage. Eine Lesart des griechischen Urtextes lässt es möglich erscheinen, dass Paulus gesagt hat, jede staatliche Herrschaft stehe "u n t e r“ Gott. Und das sich daran anschließt, kann umschreibend so übersetzt werden: “...und die Reihenfolge, in der die Staatsordnungen aufkommen, wird von Gott festgesetzt“. Es wird weiter gesagt werden dürfen, dass Paulus in Röm 13 keine Aussagen über den Staat als s o l c h e n gemacht hat, vollends nicht über einen „christlichen“, wie er zu Luthers Zeit vorhanden war. Röm 13 hat z u n ä c h s t das Verhalten der d a m a l i g e n römischen Christengemeinde geregelt. Der römische Staat war bis zu des Paulus Zeit, trotz manche Übergriffe mancher Beamter ein ausgesprochener R e c h t s staat, unter dem gutgesinnte Bürger in der Regel ohne Gewissensbeschwernis leben konnten. Paulus selber hat in seiner Eigenschaft als römischer Bürger manchen Schutz zu verdanken, und neben mancher Misshandlung durch römische Behörden auch deren Hilfe erfahren. Dass er bei dem Tumult in Jerusalem am Schluss seiner dritten Missionsreise sein Leben unter den Fäusten der Juden nicht einbüßte, das hat er dem Eingreifen des römischen Militärs zu verdanken. Aber d a s hat Paulus ebenfalls gewusst, dass andere Zeiten bevorstanden, wo das „Geheimnis der Bosheit“ sich nicht nur „regen“, sondern sich durchsetzen werde (2Thes 2:7). Darum wird es gut sein, die Anweisung des Paulus in Röm 13 stillschweigend zu ergänzen. Neben dem, was P a u l u s in Röm 13 schreibt, steht die tiefernste Weissagung des J o h a n n e s vom „Tier“ in Offb 13 und Offb 17. „Wiederum steht a u c h geschrieben.
Es wird nicht ausdrücklich gesagt werden müssen, dass damit nichts abgebrochen werden soll von der Verpflichtung, die einstens Daniel den Weltherrschern seiner Zeit gegenüber gewissenhaft eingehalten hat, denen er sich nur dann nicht gebeugt hat, wenn er sonst das erste Gebot gebrochen hätte. Aber darauf muss mit dem Fortschreiten der Zeit ausdrücklich hingewiesen werden, dass die Staaatsführung in der e i g e n t l i c h antichristlichen Zeit eine andere sein wird als in den früheren Zeiträumen. Und darauf wurde ebenfalls schon mehrmals hingewiesen, dass die gesamte Entwicklung der Völkerwelt, und namentlich der Gang der eigentlichen W e l t mächte letzten Endes trotz der Oberleitung Gottes von u n h e i m l i c h e n Mächten bestimmt und geleitet wird. Sogar innerhalb der christlichen Kirchen und ihrer ganzen Geschichte im kleinen und großen sind diese Mächte am Werk. Sie haben in der Passionsnacht sogar nach dem Herrn selber gegriffen, und die Jünger kamen deshalb damals in das Sieb Satans. Der Verlauf der Kirchengeschichte gibt im kleinen und großen Beispiele genug, dass nicht nur der H e r r der Gemeinde in der Christenheit und in ihrer Geschichte wirksam ist, sondern dass die Christenheit allen Grund hat, die 7. Bitte des Vaterunsers in ihrem eigentlichen Sinn zu beten: erlöse uns von dem, d e r böse ist!
Bereits weiter oben tauchte die tiefernste Frage auf nach dem eigentlichen Charakter der Gegenwart. Dieser Frage möge, im Anschluss an einige Heilandsworte, noch weiter nachgegangen, und damit zugleich der vorliegende Gedankengang abgeschlossen werden. Als Jesus in Gottes Macht inmitten seines Volkes wirkte, und sogar den Dämonen als der Sieger über jede satanische Gewalt entgegentrat, blieben den Führern des Gottesvolkes die Augen trotzdem gehalten, ja sie verdächtigten Jesus sogar als einen in teuflichem Dienst Stehenden und Wirkenden. Da hat er ihnen den gefährlichen Ernst solcher Verdächtigungen bezeugt und gleichzeitig nochmals versucht, ihnen den Blick dafür zu öffnen, dass mit diesem seinem Wirken das Reich G o t t e s bereits a n g e b r o c h e n sei, obwohl sie das letztere erste in weiter Ferne vermuteten und fragten: Wann wird das Reich Gottes kommen? Die Antwort Jesu lautete: Wenn ich durch Gottes Finger die Dämonen austreibe, dann hat euch ja das Reich Gottes ü b e r r a s c h t“ (Lk 11:20). Der Sinn dieser Worte ist der: ihr meint das Reich Gottes noch in weiter Ferne und nehmt gar nicht wahr, dass Gottes Herrschaft bereits angebrochen ist. Die übliche Übersetzung von Lk 17:21: „Das eich Gottes ist inwendig i n euch“ ist wahrscheinlich nicht richtig. Die richtige Wiedergabe wird die sein: es ist mitten u n t e r euch, nämlich in m i r , der ich dessen König bin, und in Gottes königlicher Vollmacht unter euch wirke.
Wie, wenn es s o ginge auch mit dem letzten s a t a n i s c h e n Ansturm auf die Völkerwelt? Dass dieser Ansturm das Hauptkennzeichen der letzten Zeit sein wird, das ist nach dem Zeugnis der Schrift gewiss. Liegt dieser Ansturm noch in der Ferne, vielleicht in w e i t e r Ferne? Oder kommt vielleicht eine andere Frage oder Vermutung der Wirklichkeit viel näher: hat die Mobilisierung der satanischen Geisterwelt zum Endkampf bereits b e g o n n e n ? Wenn hier von einem Endkampf die Rede ist, so ist in diesem Zusammenhang nicht in erster Linie an ein Ringen zwischen den V ö l k e r n s e l b e r gedacht - auch ein solches ist wohl möglich. Aber noch viel ernster am genannten Endkampf ist das Ringen zwischen der s a t a n i s c h e n Macht, welche die Herrschaft über die Menschen nicht aufgeben will, und zwischen dem Sohn G o t t e s, der sich ebenfalls aufmacht zu seinem Wiederkommen, um s e i n Reich auf dieser Welt aufzurichten. Dass E r zu diesem Zweck kommen wird, das ist in der Schrift mit völliger Deutlichkeit bezeugt. Aber der seitherige Fürst dieser Welt setzt ebenfalls alle seine Kräfte ein, um die Menschheit in seinen Bann zu ziehen oder zu dämonisieren. Wenn die Vermutung recht hätte, dass dieser Endkampf schon begonnen hat, dann hätte uns ja der große s a t a n i s c h e Aufbruch überrascht! Im Licht eines solchen Gedankens tritt das furchtbare Geschehen der letzten Jahrzehnte in ein neues Licht. Wem gilt der Angriff der satanischen Macht? Der V ö l k e r w e l t ! Aber auch der C h r i s t e n h e i t in ihrer Mitte und dem erstberufenen Gottesvolk, nämlich den J u d e n ! Ob das Geschehen überhaupt noch richtig verstanden werden kann, wenn man meint, vom dämonischen Hintergrund der derzeitigen Geschichte absehen zu können? Dass innerhalb des deutschen Volkes und der deutschen Geschichte s o l c h e Tiefen aufbrechen konnten, muss der Christenheit Deutschlands ein ernster Anlass zum Aufmerken und zur Beugung sein. Aber Jesu Ausspruch Mk 13:37 gilt nicht nur einem T e i l der Welt, sondern allen miteinander: „Was ich aber e u c h sage, das sage ich a l l e n : Wachet!"

Der Glaubensweg

Dass Daniels Leben S p a n n u n g e n umschloss, wurde schon seither aufgezeigt. Zwei dieser Spannungen waren: gerecht und doch b u ß f e r t i g , - zu treuem Dienst am Hof der Weltmächte bereit, und d o c h bei bestimmten Anlässen den Gehorsam v e r w e i g e r n d. Auf eine weitere Spannung sei im folgenden hingewiesen: Gott im Glauben und Gebet alles zuzutrauen und d o c h kein Wunder zu beanspruchen, sondern bereit sein zum Leiden und zum letzten Opfer, ohne Gott einen Vorwurf zu machen, wenn sein Wille beides verlangen würde.*

Anmerkung 18:

Von den Führungen Gottes
* Eine Aufzählung von überbrückten Spannungen im Christenleben siehe 2Kor 4:7-11; 2Kor 6:9.10; Phil 4:12.13. Die Fähigkeit, solche Spannungen zu tragen, auszugleichen und zu überwinden, wird im Glauben nicht von A n f a n g an erwartet. In der Regel werden sie auch in der Anfangszeit des Glaubens durch Gottes Regierung e r s p a r t. Aber unser Glaube soll nicht auf der Anfangsstufe stehenbleiben, sondern w a c h s e n, damit das Auftreten solcher Spannungen ihn nicht bedroht oder gar umwirft. Das beste Hilfsmittel hierzu ist Wachen und Beten.

Zwischen Glauben und Mut besteht ebenfalls eine Spannung und zugleich eine höhere Einheit. Als Nebukadnezar jenen inhaltsreichen Traum hatte (Dan 2), sich aber am anderen Morgen des Inhalts nicht mehr entsinnen konnte, verlangte er vom Orden der Magier (Mt 2 die „Weisen“ genannt) die Mitteilung und Deutung des Traumes. Die Magier sagten dem König, dass er von ihnen etwas Unmögliches verlange. Der König beharrte aber bei seinem Begehren, und ordnete die Hinrichtung der Magier und die Ausrottung ihrer Familien an, wenn sie sein Verlangen nicht erfüllen würden. Auch Daniel und seine Freunde waren - wohl gegen ihren Wunsch - in diesen Orden eingereiht, und deshalb von der Hinrichtung ebenfalls bedroht. Nach menschlichem Ermessen waren sie rettungslos dem Tod verfallen. Aber sie kannten den lebendigen Gott, und legten ihm in gemeinsamem Gebet die ganze scheinbar hoffnungslose Sache vor. Da empfing Daniel die Kenntnis und die Deutung des Traums, Dass er beides nicht seiner eigenen Weisheit verdanke, sondern dem Eingreifen Gottes, das hat er dem König ausdrücklich bezeugt. -

Die Anbetung des goldenen Bildes (Dan 3) stand von Anfang an unter Zwang. Es ist bezeichnend, dass Nebukadnezar z w e i Mittel anwandte, um die gemeinsame Anerkennung seiner neuen Staatsreligion durchzusetzen: den Terror auf die kommandierte Beamtenschaft mit der dadurch erweckten Furcht, u n d die Lockerung durch die suggestive (einflüsternde und einschläfernde) Macht der Musik. Daniels Freunde riskierten schon beim ersten Staatsakt ihr Leben. Als sie dem Verlangen des Königs nicht nachkamen, setzte sie der König noch einmal unter Druck, indem er sie durch seinen Zorn einschüchtern wollte. Die Freunde gaben ihm darauf die würdige Antwort: „Wir führen deinen Befehl trotzdem n i c h t aus. Gott kann uns aus Feuersglut und überhaupt aus deiner Hand erretten. Aber wir schreiben ihm eine solche Errettung nicht vor. Wir halten ihm die Treue, auch wenn er uns n i c h t erretten wollte.“ Das war Glaube, der Gott a l l e s zutraute, und trotzdem keinen A n s p r u c h an ihn stellte. Dieser Glaube rechnete mit dem W u n d e r , und war trotzdem nicht wunder s ü c h t i g. Das gleiche Zutrauen zu Gottes Helfermacht bewies Daniel in seinen alten Tagen, als er sich in die Löwengrube werfen ließ, um Gott selber, und die Bindung an ihn nicht zu verleugnen.*

Anmerkung 19:

Wunder
*J e d e r Gott dargebrachte Glauben rechnet mit dem Eingreifen Gottes, also mit dem Wunder. Nur dass der Glaube Gott die Wahl lässt, ob er durch n a t ü r l i c h e Mittel helfen oder u n m i t t e l b a r eingreifen will. Bei Daniel und seinen Freunden hat er Engel zu diesem Eingreifen verwendet. Die letzteren nehmen wir nicht mit den Augen wahr. Aber in außerordentlichen Fällen werden sie sichtbar, hörbar und spürbar. Vgl. dazu das Eingreifen der guten Geisterwelt an den Höhepunkten der neutestamentlichen Geschichte, auch den vielsagenden Satz Hebr 1:14: „Die Engel sind dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst derer, die das Heil ererben sollen.

Die mechanistische Weltauffassung
Die mechanistische Weltauffassung, wie sie in den letzten zwei Jahrhunderten bis tief in die christlichen Kirchen hinein wirksam wurde, hat das Wort der Bibel von den Engeln gemeint auf der Seite lassen zu können, oder gar verächtlich machen zu dürfen. Was sie damit erreicht hat, das war eine unheimliche Entleerung des Geschehens. Und wo diese Auffassung innerhalb der Christenheit wirksam wurde, da hatte sie eine große Verarmung des Glaubenslebens zur Folge. Die genannte Entleerung und Verarmung hat dann hinwiederum die Folge gehabt, dass die Loslösung der ganzen Kultur von Gott sich steigerte. „Kultur“ ist an sich nichts U n göttliches oder W i d e r göttliches. Die Menschheit bekam vielmehr von Gott schon bei ihrem Beginn geradezu den A u f t r a g zur Kultur: „Macht euch die Erde untertan!“ Kultur, die im Sinne Gottes bestätigt und geschaffen wird, ist G o t t e s dienst, und gleichzeitig Dienst am M e n s c h e n. Wie ist’s aber geworden, seitdem die Welt samt ihrer Wissenschaft und ihrer Technik sich mehr oder minder von Gott gelöst hat? Da hat sich die von Menschen geschaffene Kultur g e g e n den Menschen gewandt! Vorher ein D i e n e r der Menschheit, wurde sie nun zu ihrem H e r r n und zu ihrem V e r d e r b e r. Die Loslösung der Kultur von G o t t und ihre v e r d e r b l i c h e Wirkung auf den Menschen stehen in innerem Zusammenhang miteinander. Die Menschheit hat etwas Fürchterliches gelernt, nämlich die größten Entdeckungen und Erfindungen daraufhin anzusehen, ob und wie sie am besten zum Kampf gegen andere. und als Mittel der Vernichtung verwendet werden könnten. In diesen Jahren ist es so weit gekommen, dass die Menschheit vor der von ihr geschaffenen „Kultur“ zittern muss. Es sei nur ein einziges Wort genannt; „Atombombe“. D i e s e r Gang der Kultur ist a u c h ein Zeichen, wie weit der Geschichtslauf vorgeschritten ist auf dem Weg seinem Abschluss entgegen.

Mit der Hilfe Gottes r e c h n e n und trotzdem zu L e i d e n bereit sein bis zum Opfer des Lebens! Das ist D e m u t G o t t gegenüber, und s o l c h e Demut erzeugt den M u t gegenüber M e n s c h e n. Wieder eine wunderbare Überbrückung von Gegensätzen: Demut u n d Mut!*

Anmerkung 20:

Mut und Mangel an Mut
* Wieviel M u t ist bewiesen worden in den Schrecken des letztvergangenen Krieges? Nicht nur im Kriegsgeschehen selber, sondern auch in der Heimat und hinter der Front, als unter dem inneren und äußeren Terror Unzählige litten, ja starben“ Aber M a n g e l an Mut hat es auch gegeben, und es ist gut, wenn wir innerhalb der Christenheit Deutschlands uns darunter beugen. Mangel an Mut, wo ein Zeugnis und aufrechte Haltung am Platz gewesen wäre; wo es galt, Verdacht, Verkennung, Verleumdung, Nachteile, Verlust an Ehre, Stellung, Gut und Freiheit auf sich zu nehmen; wo man hätte müssen bereit sein, auch den Kreuzesweg zu gehen und selbst das Leben einzusetzen. Mangel an Mut ist letzten Endes Schwäche des G l a u b e n s oder gar Verleumdung desselben.

Beter und Zeuge Gottes

Was für Menschen braucht jede Zeitwende, und so auch die heutige Beter und Zeugen Gottes!

Dass Daniel ein Beter war, davon war seither schon mehrmals die Rede. Er hat gebetet, wenn er a l l e i n war, so auch in der Löwengrube. Aber das g e m e i n s a m e Gebet mit seinen Freunden hat er ebenfalls geübt.*

Anmerkung 21:

Vom „Kämmerlein"
Das Beten darf sich nicht selber ausstellen. Sonst fällt es unter das Herrnwort der Bergpredigt (Mt 6:5), wo vor einer solchen Ausstellung gewarnt wird, weil es sonst zur Schauspielerei wird, und von Gott keine Erhörung erwarten darf. Unter diese Warnung Jesu fällt Daniels Gebet am offenen Fenster nicht, als er nach jenem Erlass des Königs, der das Gebet einen Monat lang verbot, mit dem Beten an der bisherigen sichtbaren Stelle fortfuhr. In der Bergpredigt findet sich weiter der Rat, zum Zweck des Gebets das „Kämmerlein“ aufzusuchen - Jesus hat damit den einzigen in den damaligen Verhältnissen verschließbaren Raum des Hauses gemeint. Auch diese Regel hat Daniel nicht verletzt. Denn Jesus hat jenen Rat nur deshalb gegeben, damit der Beter lerne, beim Gebet von Menschen ganz abzusehen. Daniel hingegen hätte Gott verleugnet, wenn er angesichts des königlichen Gebots sich mit seinem Beten in die Verborgenheit zurückgezogen hätte. In Deutschland ist lange nach der Regel verfahren worden: aus der Ö f f e n t l i c h k e i t muss Frömmigkeit und Gottesdienst verschwinden; nur in der Kirche und im Winkel darf sie noch weiter existieren. Scheinbar lag diese Regel auf der Linie des genannten Herrnworts. Aber sie hat die Verinnerlichung der Frömmigkeit weder bezweckt noch bewirkt. In Wirklichkeit hat diese mit Druck unter dem Namen „Entkonfessionalisierung“ durchgeführte Regel für die Christenheit Deutschlands eine große Versuchung bedeutet, der sie sich nicht in allen Stücken gewachsen gezeigt hat.

Er war e i n Zeuge Gottes am Hof gegenüber den Regenten, denen die Selbstvergötterung ihrer Macht und Herrlichkeit nahe lag oder selbstverständlich war. Zeuge war er in dreifacher Gestalt: mit dem, was er sagte*; mit seiner ganzen Haltung, aber ebenso, wenn er l i t t.*

Anmerkung 22:

R i c h t i g e s Zeugnis
* Aufgedrungen hat Daniel sein Zeugnis dem König n i c h t , aber wenn Anlass dazu war, haben Daniel und seine Freunde gesprochen, auch in heiklen und gefährlichen Situationen.

Anmerkung 23:

Das Zeugniswort des L e i d e n s
* Die Haltung eines Menschen wird nicht nur durch sein Handeln bestimmt, sondern ebenso durch das L e i d e n, genauer gesagt: dadurch, dass ein Mensch zu leiden i m s t a n d e ist, und w i e er das Leiden auf sich nimmt und sich im Leiden benimmt. Ob nicht leidende schon in nachhaltiger Weise zu Gottes Zeugen geworden sind als Tätige und Betriebsame? Leiden in der rechten Art wirkt mehr als viele Worte. Das größte Beispiel dafür ist der gekreuzigte Herr. Indem er das Kreuz auf sich nahm und trug, und am Kreuz litt und starb, hat er den Vater geoffenbart und verklärt, und ein W e r k vollbracht, hinter dem alle Großtaten der Weltgeschichte zurückbleiben. Richtig ist, dass für den menschlichen Verstand das Leiden von G o t t e s menschen ein Rätsel ist. Auch dem Leidenden selber könnte es als ein Zeichen erscheinen, dass er von Gott verlassen sei. Von G o t t her gesehen sieht solches Leiden anders aus: da dient es der Verherrlichung Gottes.’'

Darf in diesem Zusammenhang eine Frage wenigstens gestreift werden, die seit Jahren unter dem wachsenden Druck der Weltverhältnisse viel erörtert worden ist: ob nämlich der Gemeinde Jesu die Leiden der e i g e n t l i c h e n antichristlichen Notzeit erspart werden durch die Wegnahme von der Erde („Entrückung“) v o r der großen Trübsal? Für diese weit verbreiteite Hoffnung wird eine ganze Reihe von Schriftstellen ins Feld geführt. Die letzteren bedürfen einer sorgfältigen Prüfung im Rahmen ihres Zusammenhangs und des Schriftganzen, ob sie wirklich im oben genannten Sinn verstanden werden müssen und dürfen. Durch diesen Hinweis wird in keiner Weise bestritten, dass eine solche Hoffnung einen heiligenden Einfluss auf die tägliche Lebensführung ausüben kann. Wo das der Fall ist, wird auch die Bereitschaft vorhanden sein, eine liebgewordene Hoffnung zu korrigieren, wenn sich das an Hand des Schriftganzen und durch dem Fortgang des Geschehens als notwendig erweisen sollte. Ob der Kreuzesweg des Herrn nicht auch den Kreuzesweg seiner G e m e i n d e bedingt (Mt 16:24; Joh 15:20), und zwar auch durch die schmerzhafte Abschlusszeit am Ausgang des jetzigen Zeitlaufs hindurch? Ob die Gemeinde Jesu nicht, wie seinerzeit ihr Meister und Herr, in ihrer Art ebenfalls ein Gethsemane und Golgatha erleben soll und wird, dass sie also wohl durch V e r k l ä r u n g, aber durch Verklärung aus N o t u n d T o d heraus zur Teilnahme an Christi Regiment auf Erden gelangen wird? Die Durchrettung durch die große Trübsal am Schluss der Endzeit scheint der zum Glauben kommenden Auswahl aus dem e r s t berufenen Gottesvolk vorbehalten zu sein.

Lies weiter:
III. Die Prophetie Daniels