Daniels Wort zur christlichen Zeitwende

Aus Bibelwissen
Wechseln zu: Navigation, Suche

Abschrift des Buches: Zeitenwende
Eine Bibelhilfe aus dem Danielbuch

Verfasser: Georg Thaidigsmann (Pfarrer in Waldbach)
Verlag: Wilhelm Fehrholz Baden-Baden (1947)

Siehe weitere interessante Bücher unter: Abschriften

Inhaltsverzeichnis
Einführung
I. Die Wende zur Zeit Daniels
II. Das Vorbildliche an der Haltung Daniels
III. Die Prophetie Daniels

III. Die Prophetie Daniels Fortsetzung

3. Daniels Wort zur christlichen Zeitwende

Die Veranlassung dazu

Seither war die Rede, in welchem Maß die dem Daniel in seinen Gesichten gewährte Weissagung die späteren Zeitwend e n, und namentlich d i e große Zeit e n wende vor dem Kommen des Gottesreichs beleuchtet. E i n e s seiner Gesichte war noch nicht berührt, nämlich das im 9. Kapitel. Ob das nicht in besonderem Maß wichtig ist, weil es nämlich die Zeit des Neuen Testaments, und weiter den letzten Abschnitt der Endzeit beleuchtet? Es war schon früher davon die Rede, dass sich dieses Kapitel an das große Bußgebet Daniels anschließt, das ihn bewegte, als gerade die Zeit des babylonischen Reiches zu Ende gegangen, und das medo-persische Reich an seine Stelle getreten war. Da legte sich ihm die Frage nahe, ob mit dem Ende Babels für sein Volk auch das Ende des Gerichts Gottes gekommen sei, durch welches die babylonische Gefangenschaft über sein Volk verhängt worden war. War nun Israels Schuld getilgt? Fing nun Gott mit seinem Volk neu an ? War nun für sein Volk die Zeit der v o l l e n Erlösung angebrochen? Daniel hat die Schriften der früheren Propheten gekannt. Es ist wohl möglich, dass ihm auch das 40. Kapitel des Jesajabuches (Jes 40) bekannt war, das im Blick auf das Ende der Gefangenschaft das schwer gezüchtigte Gottesvolk tröstete, und ihm sagte, seine Missetat sei ihm nun vergeben und die Zeit der Herrlichkeit Gottes sei im Begriff anzubrechen. Gerade an diesem Wendepunkt der Geschichte Israels kam dem Daniel noch einmal die ganze lange Kette der Versündigungen seines Volkes zum Bewusstsein, und er flehte um deren endgültige Vergebung.*

Anmerkung 34:

Die Frage der Jünger Apostelgeschichte 1
* Apg 1 enthält eine ganz merkwürdige Parallele zu der Frage, die Daniel damals bewegte, da berichtet Lukas eine Frage der Jünger an den auferstandenen Herrn, als derselbe sie kurz vor seiner Himmelfahrt zum letzten mal zusammengerufen hatte. Wenige Wochen vorher war die bis dahin schwerste Versündigung Israels geschehen, nämlich die Ausstoßung seines Königs und dessen Überantwortung an die Völkerwelt, zum Zweck der schmählichen und qualvollen Kreuzigung. Aber Gott hatte zur Kreuzigung Jesu die Auferweckung gefügt, und die Jünger wussten schon aus früheren Worten des Auferstandenen, dass das die Nichtanrechnung der schweren Versündigung bedeutete. Was hatte Gott nun mit Israel vor? Bedeutete dies die Erlösung des Volkes Gottes auch von der Unterstellung unter die Weltmacht, der es seit Daniels Zeit unterworfen war mit Ausnahme der Zeit des makkabäischen Königtums? Bedeutete dies die Wiedereinsetzung Israels in seine bevorzugte Sonderstellung innerhalb der Menschheit? Aus diesen Erwägungen heraus muss die Frage der Jünger an den auferstandenen und zur Himmelfahrt sich anschickenden Herrn verstanden werden: „Herr, wirst du in der jetzt anhebenden Zeit dem Israel seine Vormachtstellung wieder zurückgeben?“ Das war keine Frage der N e u g i e r , wie es oft aufgefasst wird, die dann durch die Antwort Jesu eine Z u r e c h t w e i s u n g erfahren hätte, wie man es aus der üblichen Übersetzung der Antwort des Herrn glaubt entnehmen zu können und zu müssen: „es g e b ü h r t euch nicht, zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat.“ Der griechische Urtext lässt eine andere Übersetzung geradeso zu, die mit Umschreibung folgendermaßen geformt werden kann: „Ihr lieben Jünger, mit solchen Fragen müsst ihr euch jetzt in diesem Augenblick nicht beschäftigen.“ S o verstanden enthält die Antwort des Herrn geradezu eine B e s t ä t i g u n g des Gedankens, welche der Frage der Jünger zugrunde lag.
„Die Zeit e i n schnitte und Zeit a b schnitte (für die Wiedereinsetzung Israels in seine Sonderstellung und für seinen Sonderberuf) stehen bereits vor Gottes Auge. Nur hat er sie sich vorbehalten und wird sie zu s e i n e r Zeit verwirklichen. Was i h r zu tun habt, das ist nur das eine, dass ihr nach dem Empfang des Heiligen Geistes meinen Königsnamen bezeugt, zuerst in Jerusalem und im ganzen Heiligen Lande, dann aber bis ans Ende der Erde. Das ist e u r e Aufgabe. Und meines V a t e r s Aufgabe ist es, Israel zur gegebenen Zeit in seine ihm zugedachte bevorrechtete Dienststellung wieder einzusetzen.“ - In diesem Sinne verstanden, liegt die Antwort des scheidenden Herrn auf der gleichen Linie wie das Wort des Apostels Paulus (Röm 11) über die Wiederannahme und neue Indienststellung des alten Gottesvolkes im Reich Gottes auf Erden. Nur dass, als Paulus den Römerbrief schieb, die Geschichte Israels seit der Himmelfahrt seines Königs ein wichtiges und ernstes Stück weitergeschritten war. Inzwischen hatte der erhöhte Herr durch seine Apostel dem Volk Israel im Angebot des Evangeliums die Friedenshand gereicht. Aber der Hauptteil Israels hatte die Hand zurückgewiesen, ja war in den Kampf gegen das Evangelium und damit auch gegen die Boten Jesu und den Herrn selber eingetreten. Das h a t der Herr bei der weiter oben besprochenen Frage der Jünger vor seiner Himmelfahrt schon g e w u s s t . Aber diese schmerzhafte und betrübliche Wirklichkeit hat der damals seinen Jüngern noch nicht kundtun wollen, um ihnen ihre nächste Arbeit nicht im voraus zu erschweren. Andeutungen in dieser Richtung hatte er ihnen früher schon öfter gemacht, besonders deutlich bei der großen Abrechnung mit den Führern des Volkes am Dienstag vor seiner Kreuzigung (Mt 23:34). Aber solche Andeutungen waren den Jüngern in den frohen Tagen, da sich ihnen der Herr nach seiner Auferstehung lebendig zeigte, nicht mehr gegenwärtig. Sie hofften nun für ihr Volk das Beste. Warum hätte der Herr damals ihre Freude und Zuversicht dämpfen sollen? Darum hat er sie nur schrittweise in die schmerzhafte Erkenntnis vom z w e i t e n Fall ihres Volkes hineingeleitet. Das Wunderbare ist nun, dass auch die n e u e Versündigung Israels zur Zeit der A p o s t e l den Heilsplan Gottes mit seinem Volk nicht aufgehoben hat. Und d a s war es, was der Apostel Paulus, früher selber ein erbitterter Gegener des Herrn und seiner Gemeinde, in Röm 11 aus der Schrift heraus durch den Geist Gottes bezeugt hat: „Gottes Gaben und Berufung mögen ihn nicht gereuen“ (Röm 11:29). Gerade solche Einblicke in die Pläne und Wege Gottes durch alle menschliche Schuld h i n d u r c h können Mut machen, wenn das Wissen um p e r s ö n l i c h e Schuld das Gewissen beschwert, den glaubenden Aufblick hemmt, und die Hoffnung zu schmälern droht.

Bei jenen Fragen war Daniel eine Weissagung Jeremias von großem Wert, nämlich die Weissagung der 70 Jahre (Jer 25:11 und Jer 29:10). Es ist wohl möglich, dass der genannte Zeitraum eine dreifache Beziehung hat: zur Dauer der Herrschaft Babels, der Gefangenschaft Israels und des Wüstliegens des Tempels. Die Herrschaft Babels, vom Anfang der Regierungszeit Nebukadnezars an gerechnet, hat einen Zeitraum von dieser Länge ausgefüllt. Die Dauer der Gefangenschaft scheint auf den ersten Anblick kürzer zu sein, weil die Wegführung des Volkes erst etwa 20 Jahre später erfolgt ist. Aber ein T e i l des Volkes wurde ja schon geraume Zeit vor dem Fall Jerusalems weggeführt, so Daniel selber und n ach ihm diejenigen, an welche Jeremia jenen Brief nach Babel geschickt hat, von dem in Jer 29 die Rede ist. Damals war der Hauptteil Israels noch nicht weggeführt, und trotzdem ist von den genannten 70 Jahren schon in diesem Brief die Rede. Merkwürdig ist weiter, dass die Dauer der Verödung des Tempels ebenfalls etwa 70 Jahre lag gewährt hat. Zwar begann der Bau des neuen Tempels bald nach der Heimkehr aus der Gefangenschaft. Aber der Weiterführung und Vollendung des Tempels stellten sich solche Hindernisse in den Weg, dass er erst annähernd 20 Jahre später fertig wurde.

Um nun noch einmal auf die dem Bußgebet Daniels zugrunde liegenden Fragen zu kommen: die 70 Jahre der Herrschaft Babels waren zu Ende gegangen. Babels Herrschaft bestand tatsächlich nicht mehr. Durfte nun auch das Volk wieder heim? Und wollte Gott wieder auf dem heiligen Berge inmitten seines Volkes wohnen? Die Antwort, die Daniel zuteil wurde, hat die Weissagung Jeremias nicht umgestoßen, aber erweitert. Gleichzeitig hat sie die Hoffnung Daniels auf ein r a s c h e s Eintreten der e i g e n t l i c h e n Erlösung Israels korrigiert.*

Anmerkung 35:

Tipps zum Forschen im prophetischen Wort
* Was Daniel damals getan und erlebt hat, ist ein feiner Wink auch für uns, zumal im Drang der Zeiten. Von e i g e n e n Gedanken und Vermutungen, wie man die Zeit verstehen müsse, und was man der Zukunft an Erwartungen und Befürchtungen entgegenzubringen habe, ist die Zeit übervoll. Und wie rasch wechseln die Gedanken und Meinungen! Wie jäh geht Hoffnung über in Angst und wird die Angst dann wieder abgelöst von neuen Hoffnungen! Im Unterschied davon sei auf e i n Wort aus dem zweiten Petrusbrief hingewiesen (2Petr 1:19): „Wir haben desto fester das prophetische Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint in einem dunklen Ort.“ Dementsprechend täte heutzutage mehr denn je ernsthafte Beschäftigung mit dem prophetischen Wort des Alten und Neuen Testaments not. Das wäre ein heilsames Gegengewicht gegenüber den e i g e n e n Gedanken, Vermutungen, Hoffnungen und Befürchtungen, und gegenüber dem, was die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g und die jeweils herrschenden Z e i t s t r ö m u n g e n dem Einzelnen zutragen. Es darf vielleicht gesagt werden, dass unserem Volke in den letzten schmerzvollen 1 1/2 Jahrzehnten seiner Geschichte, viele irrige Gedanken und Hoffungen erspart geblieben wären, wenn es im prophetischen Wort mehr zu Haus gewesen wäre. -
Das war ja an dem Beispiel Daniels ebenfalls ersichtlich, dass das prophetische Wort das ernste Fragen und Forschen n i c h t erspart. Es muss v e r s t a n d e n werden, und bedarf zu diesem Zwecke des anhaltenden und sorgsamen Lesens und Überdenkens, und der Aneignung unter der Leitung des Geistes Gottes. Den meisten, die sich mit dem prophetischen Wort zu beschäftigen beginnen, erscheint es zuerst als seltsam und vielfach unglaubwürdig. Aber auch in diesem Stück, was nämlich das Verständnis und die Aneignung dieses Wortes betrifft, wird der Satz gelten (Spr 2:7): „Den Aufrichtigen lässt es der Herr gelingen.“ Auf e i n e n Punkt sei noch besonders hingewiesen, und zwar gerade im Blick auf das, was Daniel am Wort Jeremias erlebt hat: es ist gut, aufgeschlossen zu sein für die K o r r e k t u r der eigenen Gedanken, selbst wenn diese sich mit dem prophetischen Wort beschäftigen. Nicht nur dieses Wort s e l b e r kam durch den Heiligen Geist zustande, sondern auch das V e r s t ä n d n i s und die A u s l e g u n g des prophetischen Wortes bedarf der Leitung durch den Heiligen Geist. Das steht ebenfalls in der genannten Stelle des 2. Petrusbriefs (2Petr 1:20). Der Heilige Geist ist es, der in alle Wahrheit leitet (Joh 16:13)., nicht nur in e i n z e l n e Wahrheiten, sondern auch in die Wahrheit als G a n z e s. Nur dass die Einführung in die Wahrheit nicht zur Befriedigung der Wissbegier begehrt werden soll, sondern um das Leben dieser Wahrheit entsprechend zu gestalten.
Was bei der a n f ä n g l i c h e n Beschäftigung mit dem prophetischen Wort noch unverstanden blieb, das möge getrost zunächst auf der Seite gelassen werden. Zu seiner Zeit wird schon der Augenblick kommen, wo ein zunächst unverstandenes Wort plötzlich zu leuchten beginnt. Eine nicht unwichtige Regel ist die, dass man an die einzelnen Stücke des prophetischen Wortes im G e s a m t rahmen desselben verstehen lerne und auch dieses wieder als einen Teil des Schrift g a n z e n erkenne. Gerade der Blick auf das Schrift g a n z e kann vor Verzerrungen und Einseitigkeiten und vor Ü b e r betonung einzelner Schriftwahrheiten bewahren.

Korrektur der Erwartung Daniels

Es sei zuerst von der Korrektur der Gedanken die Rede, die Daniel wohl bewegten im Gedanken an die weitere Zukunft Israels nach dem Zuendegehen der babylonischen Oberherrschaft. Er hat wohl gehofft, dass nach Vergebung der großen Schuld nicht nur das G e r i c h t über Israel zu Ende sei, sondern dass nun auch Gottes Gedanken mit seinem Volk zur V o l l e n d u n g kämen. Da wurde ihm nun gezeigt, dass die Zeit hierfür noch nicht gekommen sei. Zwar durfte er noch erleben, dass das Volk die Heimkehrerlaubnis erhielt. Vielleicht hat er auch vor seinem Lebensende noch Kunde bekommen vom Beginn des neuen Tempelbaus. Aber Jerusalem selber war damit noch nicht zu seiner früheren Höhe zurückgekehrt, und eine neue Blütezeit des Gottesvolkes war noch nicht zustande gekommen. Es wurde ihm nun gesagt, dass einmal der Befehl zum Neuaufbau der Stadt unter gesicherten Verhältnissen werde gegeben werden. Damit sei dann der Anfang gemacht für Gottes weiteres Werk an seinem Volk. Wieviel Zeit bis zum Erlass dieses Befehles verstreichen werde, das erfuhr er noch nicht.*

Anmerkung 36:

Geschichtliche Leerläufe
* Das ist überhaupt ein Kennzeichen des prophetischen Wortes, dass es zwar die G r u n d l a g e des göttlichen Plans mit der Welt und dessen E n d z i e l bezeugt, aber über viele E i n z e l h e i t e n , und über die Zeiträume b i s zur Vollendung des Plans Gottes nur w e n i g Auskunft gibt. Dass es von dieser Regel auch A u s n a h m e n gibt, wird aus Dan 9 und Dan 11 ersichtlich. Namentlich Zeiten, die für das Reich Gottes mehr oder minder belanglos sind, werden sowohl in der biblischen Geschichtsdarstellung, wie auch im prophetischen Wort übergangen oder nur kurz berührt. Das können sogar solche Zeiten sein, die der weltlichen (profanen) Geschichtsdarstellung als sehr wichtig erscheinen. Aber was vor Menschen glänzt, das kann vor Gottes Augen ganze geringwertig sein. Dagegen Dinge und Ereignisse, über welche der menschliche Blick rasch weggeht, können in Gottes Plan bestimmende Bedeutung haben auf Jahrhunderte hinaus. Ein Beispiel dieser Art: was das Kommen Christi in die Welt und sein Sterben am Kreuz für Zeit und Ewigkeit bedeutet, das ist in der Schift in aller A u s f ü h r l i c h k e i t dargestellt. Dagegen im Geschichtswerk eines hervorragenden römischen Geschichtsschreiber (Tacitus) ist es nur ganz n e b e n b e i bei einem bestimmten Anlass erwähnt, nämlich an der Stelle, wo er von der Christenverfolgung in Rom unter Kaiser Nero berichtet. Und auch diese kurze Erwähnung geschieht anscheinend mit wegwerfender Geringschätzung. Wie würde wohl das Urteil Gottes über die glänzende neuzeitliche Kulturentwicklung mit den raffinierten Mitteln der Technik lauten? Eine kurze Antwort darauf git Jes 2:11ff. Umgekehrt: was war die Keimzelle für einen wesentlichen Teil der europäischen Geschichte der letzten Jahrhunderte? Eine Klosterzelle der Augustiner in Erfurt!

Die Jahrwochen

Im Anschluss an diesen neuen, ihm selbst noch unbekannten, Ausgangspunkt des weiteren Werkes Gottes an seinem Volk wurde ihm nun gezeigt, dass das weissagende Wort Jeremias von den 70 Jahren sich in neuer Form wiederholen werde, und zwar nicht wieder in Gestalt eines Zeitraums von 70 E i n z e l jahren, sondern von 70 „S i e b e n heiten“, die man „J a h r w o c h e n“ zu nennen pflegt, also in einem Zeitraum von 70 x 7= 490 Jahren. dieser ganze Zeit r a u m wurde ihm in drei ungleiche Zeit a b s c h n i t t e von 7 + 62 + 1 Jahrwochen zerlegt, deren Höhepunkt das letzte Wochenjahr darstellt. Die ersten beiden Zeitabschnitte würden noch von kümmerlichen und gedrückten Verhältnissen ausgefüllt sein; doch werde innerhalb derselben die Wiederherstellung der äußeren Verhältnisse des Gottesvolks zustande kommen, In die letzte Jahrwoche werde die Erlösung Israels fallen, denn n a c h den 69 Wochen werde der Messiaskönig erscheinen. Da werde das Maß der Sünde vollwerden; aber gleichzeitig werde die Sünde versöhnt und ein „Heiligtum der Heiligtümer“ gestiftet werden. In dieser Zeit komme die Weissagung in Erfüllung.

Trotzdem bringe auch diese Jahrwoche die volle Erlösung noch nicht zustande, denn der Messias werde ausgerottet werden, und danach Stadt und Land durch das Heer eines fremden Fürsten wie mit einer großen Flut verwüstet werden, und diese Verwüstung werde bestehen bleiben bis zur Endzeit.*

Anmerkung 37:

Die Textschwierigkeit Dan 9 und ihre Lösung
* Der T e x t der Weissagung, die oben wiederzugeben versucht wurde bis auf das Schlussstück, das oben noch nicht näher beschrieben wurde, ist sehr schwer festzustellen. Ob eine Verstümmelung des ursprünglichen Wortlauts vorliegt, wie nicht wenige meinen, lässt sich freilich nicht mit Bestimmtheit sagen. Es ist wohl möglich, dass die Schwierigkeiten der Übersetzung nicht nur durch den Text bedingt sind, sondern mit unserem mangelnden Verständnis der Weissagung zusammenhängen. Dass es eine griechische Übersetzung des alten Testamens noch aus der vorchristlichen Zeit gibt, wurde bereits an anderer Stelle erwähnt. Man nennt sie die Septuaginta. Es gibt auch Übersetzungen der hebräischen Bibel in das Griechische aus späterer Zeit; so liegt eine griechische Übersetzung des Danielbuchs durch einen Mann namens Theodotion vor, dem an einer möglichst genauen Übersetzung des hebräischen Urtextes gelegen war. Die genannten Übersetzungen sind eine wesentliche Hilfe zum Verständnis des schwierigen hebräischen Urtextes.
Aber ganz wird ein volles Verständnis jener Weissagung in Dan 9 mit rein s p r a c h l i c h e n Mitteln schwer erreicht werden können. Vielleicht bietet der G e s c h i c h t s verlauf ein Hilfsmittel zur Aufhellung und Überbrückung der genannten sprachlichen Schwierigkeiten jener wichtigen Schriftstelle. In dem Teil der Schriftstelle, der weiter oben im Text noch nicht wiedergegeben war, ist die Rede von der Mitte der letzten Woche. In Bezug auf die letztere ist vom Aufhören des Opfers die Rede und vom „Gräuel der Verwüstung“, ebenso von einer Stärkung des Bundes für viele in der letzten Jahrwoche. Im folgenden wird nun der Versuch gemacht, diese wenigen und schwierigen prophetischen Andeutungen im Licht des Geschichtsverlaufs und umgekehrt, von der so verstandenen Weissagung aus die Bedeutung des Geschichtsverlaufs neu zu erfassen. Sehr wichtig ist es, dass auch der Herr Jesus in seiner Ölbergrede am letzten Dienstag vor seiner Kreuzigung, die von den letzten Dingen handelt, auf diese Weissagung Daniels Bezug genommen hat und dass sie ebenso in der Offb 11 und Offb 12 wieder aufgenommen worden ist. Beide Bezeugungen geben ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Danielschen Weissagung. Es sei noch darauf hingewiesen, dass die im folgenden versuchte Auslegung nicht neu ist. Sie ist in ihren Hauptzügen bereits im alten Calwer, und im großen Dächselschen Bibelwerk enthalten.’'
Beide Bibelwerke stammen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, bzw. aus der Zeit kurz danach. Aus jener Zeit sind treffliche biblische Arbeiten entstanden, die leider in der folgenden Zeit mehr oder minder in Vergessenheit geraten sind, und an die die Bibelforschung erst wieder neu anknüpfen muss. In Bezug auf Danniel sei aus jener Zeit ein treffliches Buch des Basler Theologen Auberlen genannt, der die Geschichten und Weissagungen Daniels ganz aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft heraus erklärt, und außerdem die Beziehungen zwischen dem Danielbuch und der Offenbarung des Johannes eingehend bespricht. Es hat den Titel: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis
Wenn man nach der Verwirklichung der genannten Danielischen Weissagung ausschaut, dann entsteht die Frage: ist der in der Weissagung genannte Befehl zur Wiedererbauung und Festigung der Stadt Jerusalem und zur Neugründung der dortigen Gemeinde e r g a n g e n, und w a n n war das der Fall? Darüber geben die beiden Bücher Esra und Nehemia Auskunft. Das Buch Esra berichtet zuerst von den ungemein schwierigen, fast verzweifelten Zeiten des neuen Anfangs Israels nach der babylonischen Gefangenschaft. Zwar wurde der Tempel schließlich fertiggestellt. Aber das Volk litt unter der fortwährenden Bedrohung durch die heidnische und halbheidnische Umgebung. Unter diesen Umständen griff eine gewisse Gleichgültigkeit ein, die auf die Reinerhaltung des israelitischen Volkstums wenig Wert mehr legte. Ob Israel unter diesen Umständen auf die Dauer als Gottesvolk und als Wurzelboden des kommenden Gottesreichs hätte weiter existieren können, ist fraglich. Und trotzdem kam ein Neuanfang zustande unter Esra, einem Schriftgelehrten aus der in Babylonien zurückgebliebenen Judenschaft, den der persische Großkönig Artaxerxes im siebten Jahr seiner Regierung mit ausgedehnten königlichen Vollmachten auf seine Bitte hin nach Jerusalem entsandte. Sein Werk wurde durch Nehemia vollendet, den jüdischen Mundschenken des gleichen Königs, den der letztere ebenfalls auf seine Bitte hin, im 20. Jahr seiner Regierung als Statthalter nach Jerusalem entsandte. Beide Männer führten das Geneigtwerden des Königs für Jerusalem auf die „gute Hand“ Gottes zurück. Sie haben das Werk tatkräftig angefasst, und das Volk mit großem Ernst auf die Bahn des Gesetzes Gottes zurückgebracht. Nehemia ist es gelungen, die Mauern um Jerusalem auszubauen. Das letztere geschah zum Teil mit dem Schwert in der Hand. So wurde Stadt und Volk auf eine neue Grundlage gestellt. Die Bahn war eröffnet, die, allerdings unter kümmerlichen Verhältnissen, hinüberführte zu der Zeit, da der Sohn Gottes gliedmäßig in sein Volk einging, als dessen von Gott bestimmter König.’'
Der Beginn der Regierung des genannten Perserkönigs Artaxerxes wird von der Geschichtsschreibung auf das Jahr 465 vor unserer Zeitrechnung festgesetzt. Sein siebtes Regierungsjahr, in welchem er Esra mit königlichen Vollmachten nach Jerusalem entsandte, fällt dementsprechend etwa auf das Jahr 458 vor unserer Zeitrechnung. Rechnet man von diesem Jahr 69 Jahrwochen, d. h. 483 Jahre weiter, dann kommt am auf das Jahr 25 nach unserer Zeitrechnung. Eine eingehende Überlegung macht es wahrscheinlich, dass das ungefähr das Jahr gewesen ist, wo mit dem Auftreten Johannes des Täufers die Jahrwoche der Erlösung für Israel und für die Welt angebrochen ist.
Inwiefern man zu dieser Berechnung berechtigt ist, das mögen einige Tatsachen aufzeigen. Nach Lk 3:23 begann Jesus sein Heilandswirken unter seinem Volk im Alter von etwa 30 Jahren. Wenn man nun unsere heutige Zeitrechnung für richtig hält, dann müsste man annehmen, dass seine Tätigkeit unter seinem Volk erst etwa mit dem Jahr 30 nach Beginn derselben anfange. Unsere Zeitrechnung ist erst mehrere Jahrhunderte nach Christi Geburt von einem geschichtskundigen Mönch durch Rückwärtsrechnung aufgestellt worden. Das war eine große Leistung. Aber genaue Nachprüfungen haben ergeben, dass Christi Geburt etwa fünf Jahre früher war. Herodes der Große ist beispielsweise im Jahr 4 v o r unserer Zeitrechnung gestorben. Der Tag von Bethlehem ist dementsprechend etwa auf das Jahr 5 vor unserer Zeitrechnung anzusetzen. Rechnet man von dort 30 Jahre weiter, dann kommt man ungefähr auf das Jahr 25 nach Christi Geburt.
Ungefähr auf diese Zeit kommt man noch von einer anderen Erwägung aus. An seinem ersten Berufsostern hat Jesus den Tempel in Jerusalem gereinigt (Joh 2). Im Zusammenhang damit ist von den Führern des Volkes ausgesprochen worden: An diesem Tempel ist schon 46 Jahre gebaut worden; und der will ihn in drei Tagen wieder aufbauen! Nun lässt sich zeigen, dass Herodes der Große den Bau des dritten Tempels, der zur Zeit Jesu stand, obwohl an ihm in einzelnen Teilen immer noch weitergebaut wurde, etwa im Jahr 20 vor unserer Zeitrechnung begonnen hat 46 Jahre danach führt annähernd auf die gleiche Zeit.
Diese Berechnung der Zeit des öffentlichen Auftretens Jesu wird durch zwei andere Zahlenangaben wenigstens nicht als unrichtig erwiesen. Lukas hat im dritten Kapitel seines Evangeliums als Jahr des Auftretens des T ä u f e r s J o h a n n e s das 15. Jahr des Kaisers Tiberius genannt. Der letztere war der Nachfolger des Augustus, dessen Todesjahr in das Jahr 14 nach Christi Geburt fällt. Aber Tiberius war in den letzten Lebensjahren des Kaisers Augustus bereits dessen Mitregent, wie schon in Anmerkung 25 erwähnt wurde. Es ist wahrscheinlich, dass in der Zählung der Regierungsjahre die Zeit der M i t regentschaft eingerechnet ist. Ist es so, dann wäre die Angabe des Lukas kein Widerspruch gegen die Annahme, dass der Herr um das Jahr 25 öffentlich aufgetreten sei. Lukas sagt weiter an der vorhin genannten Stelle, dass damals Pontius Pilatus das Amt des Statthalters innehatte. Dieser hat sein Amt von 26 - 36 geführt.
Wenn man diese Zeitangaben überdenkt, dann ist es eigenartig, dass tatsächlich Israels Heilswoche ziemlich genau 69 Jahrwochen nach Beginn des Neuaufbaus von Stadt und Land unter Esra und Nehemia angefangen hat. Es sei übrigens ausdrücklich bemerkt, dass es nicht ratsam ist, auf die kleinsten Kleinigkeiten in der Zeitrechnung und beim Vergleich zwischen Erfüllung und Weissagung z u großen Wert zu legen. Selbst wenn eine Verschiebung um ein oder zwei Jahre nötig wäre, ist die Zusammenstimmung zwischen der Weissagung und ihrer Erfüllung noch groß genug. Völlig ausgeschlossen ist es auch nicht, dass kleine Unterschiede in den Jahreszahlen von der Zeitberechnung der Geschehnisse der Weltgeschichte herrühren, die nicht selten auf komplizierten Schlüssen beruhen.

Die e r s t e Heilswoche Israels zur Zeit Jesu

Im Vorstehenden war öfters von Israels Heilswoche die Rede. Die begann nicht erst mit dem Auftreten J e s u, sondern bereits mit der Bußpredigt des J o h a n n e s. Die letztere wird in Mk 1:1 ausdrücklich der A n f a n g des Evangeliums genannt. Johannes und Jesus gehören unauflöslich zusammen. Wie lange hat wohl die Wirksamkeit der beiden Männer gewährt? Verschiedene Auslegungen, die hier im einzelnen nicht dargelegt werden können, machen es wahrscheinlich, dass zwischen dem vorhin genannten e r s t e n Berufsostern Jesu in Jerusalem und seinem T o d e s ostern nicht nur zwei, sondern drei Jahre liegen. Zwischen Jesu Taufe durch Johannes und dem in Joh 2 genannten Ostern mag annähernd ein Vierteljahr vergangen sein. Aber der Taufe Jesu ging eine Wirksamkeit des Täufers schon v o r a u s ; wohl keine z u lange, weil Jesus durch das Auftreten des Täufers veranlasst worden ist, die Taufe zu begehren. Damit sind einige Anhaltspunkte dafür gegeben, die Zeit zwischen dem Auftreten des Täufers und Jesu erstem Berufsostern in Jerusalem auf etwa ein halben Jahr anzusetzen. Betehen diese Zeitsetzungen zurecht, dann fällt die Kreuzigung des Herrn gerade in die Mitte von Israels Heilswoche. Da wurde, um mit Worten Daniels zu reden, der Messiaskönig ausgerottet. Da wurde Israels Versündigung in gleicher Weise voll u n d versöhnt. Da kamen die Weissagungen zur Erfüllung, da kam das „Heiligtum der Heiligtümer“ zustande, während gleichzeitig der Vorhang im Tempel zerriss als Zeichen, dass die Zeit des a l t e n Heiligtums zu Ende ging. Jenes Zerreißen war übrigens nicht nur ein Gerichtszeichen, sondern - wie die ganze Passion Jesu - zugleich ein Zeichen der Gnade, dass nun das Allerheiligste in der oberen Welt nicht mehr verschlossen, sondern für den Blick und Zugang offen sei. Gerade aus diesem Grunde ging mit der Kreuzigung des Königs die Heilswoche Israels noch nicht zu Ende, sondern fand eine gnädige Weiterführung und Ausfüllung durch das n e u e Angebot des Evangeliums an das erstberufene Volk in Jerusalem statt und eine nicht kleine Gemeinde Jesu ist entstanden. Und auf diese Weise ist Jerusalem zur Wiege der ganzen Christenheit geworden.
Zu ihrem Ziel und damit zu ihrem richtigen Abschluss wäre die Israel gewährte Heilswoche in d e m Fall gekommen, wenn Israel in diesem zweiten Teil seiner Heilswoche als G a n z e s , oder wenigstens in seinem H a u p t t e i l sich seinem König unterstellt, und damit unter dessen Leitung in seinen eigentlichen Beruf eingetreten wäre, der Segensvermittler an die Völkerwelt zu werden, entsprechend der Stiftungsurkunde in 1Mo 12:3. Dazu ist es aber leider n i c h t gekommen.
Bis zu einem gewissen Grad mag es als müßig erscheinen, sich darüber Gedanken zu machen, wie einem bewussten Eintritt Israels in seinen göttlichen Beruf das Heilswerk Gottes in der Zeit weitergegangen wäre. Aber g a n z abwegig ist es nicht, darüber nachzudenken. So ist es beispielsweise auch nicht unnütz, wenn ein zum Glauben Gekommener sich darüber klar wird, in welchen Bahnen sein früheres Leben verlaufen wäre, wenn er b e i z e i t e n zugegriffen hätte. Zwar kann ein solches Nachdenken die verlorene Zeit nicht wiederbringen; aber noch hinterher kann es die Buße vertiefen, wenn erkannt wird, zu welcher Mühe und zu welchen Umwegen der Herr gezwungen worden ist, durch ein längeres oder gar langes Abweichen von seiner Bahn. Nun ist es zwar richtig, dass Gott auch das W i d e r s t r e b e n Israels zur Zeit der A p o s t e l von vornherein in seinen Heilsplan mit eingerechnet hat. Aber ein gewisser Einblick, wie Gottes Werk hätte verlaufen können, w e n n Israel zugegriffen hätte, ist doch möglich und heilsam. Der Satz wird nicht zu gewagt sein, dass die ganze Völkergeschichte der letzten zwei Jahrtausende in a n d e r e n Bahnen verlaufen wäre. V i e l l e i c h t wäre dann schon damals die Wiederkunft Jesu erfolgt, so dass ein bekehrtes Israel als G a n z e s die Gegenwart seines Königs hätte erleben dürfen, wie vorher nur der kleine J ü n g e r k r e i s in den 40 Tagen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt. In ähnlicher Weise hätte der Erhöhte auch s e i n e m Volk nahetreten und ihm unmittelbare Weisungen für die Missionsarbeit geben, und es auf allerlei Weise befähigen und ausrüsten können. Es wäre aber ebenso denkbar, dass die Wiederkunft des Herrn zwar damals noch nicht erfolgt wäre, dass aber ein G a n z israel unter Christi Führung und in seiner Kraft, die Evangelisation der Welt hätte übernehmen und hinausführen dürfen, bis die Zeit gekommen wäre zur Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden durch den wiederkommenden Herrn.
Tatsächlich ist ja es a n d e r s gegangen. Aber auch so ist die Evangelisation der Welt wenigstens durch e i n e n Vertreter des a l t e n Gottesvolkes eingeleitet worden, nämlich durch Saulus-Paulus, dem vom erhöhten Herrn ein Riesenmaß von Arbeit und Leiden auf die Schultern gelegt worden ist. Durch ihn ist die junge v ö l k e r christliche Gemeinde Jesu entstanden. Nach dem Tode ihres Begründers hat sie leider ihren Gang durch die Welt mehr oder minder a l l e i n gehen müssen. Mitberaten ist sie ja noch worden durch mindestens zwei Männer aus dem alten Apostelkreis, nämlich durch Petrus und Johannes. Aber der w e i t e r e Gang der heidenchristlichen Gemeinde inmitten der Völker war schwer. Denn sie war noch nicht genügend gewappnet gegen die Einflüsse aus der heidnischen Umwelt. Deshalb war es auch gar nicht verwunderlich, dass in den Jahrhunderten seither allerlei Einflüsse und Strömungen in den v ö l k e r christlichen Kirchen um sich gegriffen, und zu Verunreinigungen und Verkrümmungen geführt haben, die ihnen vielleicht erspart geblieben wären, wenn sie die Leitung durch eine erfahrene große Gemeinde aus Israel nicht hätten entbehren müssen.

Die Geburt Israels
Aber es ist nötig, wieder zum Gedankengang zurückzukehren. Die Heilswoche Israels (die letzte der 70 Jahrwochen) kam leider nicht zu ihrem Ziel, und erfuhr deshalb auch nicht den richtigen Abschluss. Wie ging das zu? Die Führer des Volkes stießen die dargestreckte Friedenshand des Königs zurück, ja sie gingen sogar zum Angriff über auf das Evangelium, auf die Boten Jesu, auf die christliche Gemeinde in ihrer Mitte, und mit dem allem auch auf den Herrn selber. D a ran ist Israel gefallen. Es fiel noch nicht an der Ausstoßung und Kreuzigung seines Königs, sondern e r s t an der nachfolgenden, bewussten und willentlichen Ablehnung des Evangeliums. Diese Ablehnung vollzog sich schrittweise. Sichtbar in Erscheinung getreten ist sie bei der Hinrichtung des Stephanus. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn Gott damals schon die Tür für Israel geschlossen hätte. Aber er hat noch einmal eine Zeitlang gewartet, so dass die Hinrichtung des Stephanus noch nicht den Abschluss der Heilswoche herbeigeführt hat. Denn an diese schlimme Tat Israels schloss sich noch die Evangelisation Samariens und des übrigen Heiligen Landes an, weil die Apostel und die Glieder der Gemeinde durch die Verfolgung gezwungen wurden, die Beschränkung ihrer Arbeit auf J e r u s a l e m aufzugeben. An ihrem Schluss hatte die Heilswoche Israels noch zwei wichtige Ereignisse. Das eine war die Berufung und Indienststellung des Saulus. Der war ein Hauptbeteiligter gewesen bei der Hinrichtung des Stephanus und bei der anschließenden Verfolgung der Gemeinde. Aber gerade i h n hat der erhöhte Herr aus der Reihe der Verfolger herausgeholt und mit besonderer Berufung und für die V ö l k e r welt in seinen Dienst gestellt. Der Herr hat damit einen Tatbeweis dafür gegeben, dass er bereit war und ist, seinem Volk auch den z w e i t e n Fall zu vergeben und es doch noch trotz allen Widerstrebens zum Dienst an der Völkerwelt zu verwenden. Vielleicht ist das der Sinn einer merkwürigen Selbstbeugung des Paulus in 1Kor 15:8, wo er sich selber beim Rückblick auf seine Bekehrung durch die Erscheinung des Herrn, ein F r ü h geburt genannt hat. Es ist wohl möglich, dass hinter diesem merkwürdigen Ausdruck folgender Gedankengang steht: bei Christi Wiederkunft und schon, wenn es darauf zugeht, kommt die G e b u r t Israels zu seinem Beruf in der Welt zustande. Erst dann ist es g e b o r e n. Aber was dem Paulus, einem G l i e d dieses Volkes, bei seiner Bekehrung widerfuhr, das ist ein V o r s p i e l des k o m m e n d e n großen Geschehens am G a n z e n Israels. In diesem Sinne war Paulus eine F r ü h geburt, welcher zu seiner Zeit die n o r m a l e Geburt eines G a n z israel nachfolgen wird.
Und ein z w e i t e s Ergebnis musste auch noch zustande kommen, nämlich die Bereitschaft der Urgemeindne, die Gleichberechtigung einer Gemeinde Jesu aus der V ö l k e r welt anzuerkennen und daran mitzuarbeiten. Es war für den Geist Gottes keine kleine Mühe, den Führer des Jüngerkreises (Petrus) und die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem dazu zu bringen, dass sie diesen Weg Gottes erkannten, und mit gutem Gewissen und frohem Herzen begingen. Diese entscheidende Erkenntnis wurde gewonnen nicht bei der Bekehrung, des bereits halb und halb zur Judenschaft gehörenden Kämmerers aus dem Mohrenland, sondern erst als Petrus sich entschloss, unter Überwindung seiner ernsten Bedenken das Haus des römischen Offiziers in Cäsarea zu betreten. Die Ängstlichkeit seines, noch an das Gesetz gebundenen, Gewissens musste erst durch das unmittelbare Eingreifen des Geistes Gottes überwunden werden. Als Kornelius unter dem Hören des Evangeliums zum Glauben kam, hat Gott die unmittelbare Zugehörigkeit des heidnischen Mannes zur Gemeinde, ohne vorherigen Zutritt zum Judentum, durch die Mitteilung des Heiligen Geistes bestätigt. Unter dem Eindruck dieses unmittelbaren Eingreifens hätte es Petrus für ein Unrecht gehalten, dem Gläubiggewordenen die Taufe zu versagen. Aber die g r u n d s ä t z l i c h e Anerkennung dieser ersten H e i d e n taufe durch die Gemeinde Jerusalems, ohne vorherige Eingliederung in die Judenschaft, musste erst noch errungen werden. Die letztere hat unter dem Eindruck des Berichts, den Petrus ihr erstattet, ihre Bedenken zurückgestellt und im Glauben an ihren Herrn die Gleichberechtigung der getauften Heiden anerkannt, ohne den Übertritt zum Judentum zu verlangen. Es hat seinen tiefen Grund, dass diese Geschichte in Apg 10 und Apg 11 so ausführlich, und mit mehrmaliger Wiederholung mancher Einzelheiten erzählt ist. Nun war die Bahn frei, auf der Paulus weiter arbeiten konnte, wenngleich auch nachher noch die Freiheit der heidenchristlichen Gemeinde aus manchen Kreisen der judenchristlichen Urgemeinde von neuem bestritten worden ist.
Damit war Israels Heilswoche abgeschlossen. Zwar im Zeichen des Gerichts: denn Gott hat die Ablehnung des Evangeliums durch das Judentum bestätigt; aber gleichzeitig im Zeichen der Gnade und mit dem Ausblick über die lange Zeit des Unglaubens h i n ü b e r in die n e u e Heilszeit Israels am Schluss des jetzigen Zeitlaufs.
So zerfällt die dem Volke Israel schon einmal gewährte Heilswoche in zwei Abschnitte: in die Heilsanbietung durch den Täufer und durch den Herrn selber u n d in die Heilsanbietung durch den Dienst der Apostel, in welcher der Herr die Sünde Israels vergeben hat, nachdem sie durch die Kreuzigung auf den Höhepunkt gekommen war. Für den ersten Teil kann man eine Zeitdauer von annähernd 3 1/2 Jahre nennen. Gibt es auch für den zweiten Teil Anhaltspunkte zu einer Berechnung seiner Dauer?'
E i n e n Anhaltspunkt bietet die Bekehrung des Paulus. Die letztere kann durch die Zeitangaben in der Apostelgeschichte und in den Paulusbriefen wenigstens in den zeitlichen Verlauf des Lebens des P a u l u s eingeordnet werden. Schwieriger dagegen ist ihre Einordnung in die Z e i t r e c h n u n g. Früher hat man sie erst verhältnismäßig spät angesetzt, etwa auf das Jahr 34 n.Chr. Schlatter u. a. glauben das aus einer entdeckten alten Inschrift des Statthalters Gallion von Achaja - so nannte man Griechenland im Gefüge des römischen Reiches - feststellen zu können. Gallion hatte die Verwaltung Achajas inne, als Paulus in Korinth wirkte. Er hatte dort seinen Sitz, und er war es, der Paulus gegen die jüdischen Umtriebe schützte. Unter sorgsamer Beachtung aller genannten Gesichtspunkte kommt Schlatter auf das Jahr 32 als das Jahr der Bekehrung des Paulus. Diese ist in Apg 9 erzählt. An sie schlossen sich aber noch die im zweiten Teil jenes Kapitels genannten Besuche des Petrus bei den Gemeinden Judäas an, in deren Folge er in das Haus des römischen Offiziers geführt wurde. Dann folgte noch die Verantwortung des Petrus vor der Urgemeinde in Jerusalem. So wird die Vermutung wohl nicht daneben greifen, dass der weiter oben beschriebene Einschnitt in der Geschichte der Urgemeinde, der durch den Übergang des Evangeliums zur Völkerwelt zustande kam, etwa ein Jahr später anzusetzen sei, also u n g e f ä h r in das Jahr 33 n.Chr. fällt. Unter der Voraussetzung, dass das Gefüge dieser Zeitberechnungen sich als richtig erweist, ergibt sich für jene Heilswoche Israels die Zeit von etwa 26 - 33 nach Christi Geburt, also ein Zeitraum von 7 Jahren oder einer Jahrwoche, die ihrerseits wieder in zwei gleichlange Teile zerfällt, nämlich in zweimal 3 1/2 Jahre. Das würde der 70. Jahrwoche in Dan 9 entsprechen.
Dies wäre eine merkwürdige Zusammenstimmung von Weissagung und Erfüllung! Es sei aber ausdrücklich bemerkt, dass der persönliche Glauben auf solchen Wahrnehmungen n i c h t beruht und dass die letzteren, für sich allein genommen, keinen tragbaren Untergrund für den Glauben abgeben. Das Glauben darf nicht vom S e h e n abhängig sein und muss sich dem U n sichtbaren zuwenden. Aber eine M i t h i l f e zum Glauben k ö n n e n , und zum F e s t halten desselben auch in Zeiten der Anfechtung mag es doch sein, wenn Gott hier und da den Schleier ein wenig lüftet und uns in sein Walten Blicke vergönnt, an denen wahrnehmbar wird, w i e pünktlich er über seinen Verheißungen wacht.
Ein Überblick über die Apostelgeschichte zeigt, dass Lukas den Einschnitt in der Geschichte Israels und in der alten Christenheit gerade an der Stelle sieht, wo das Evangelium von den Juden zu den Völker („Heiden“) überging. Denn in der zweiten Hälfte des schon genannten Kapitels Apg 11 erzählt er bereits von der ersten heidenchristlichen Gemeinde in der Großstadt Antiochien, die an der Stelle lag, wo Syrien nach Kleinasien abzweigt. Daran schließt er die Erzählung von der Missionsarbeit des Paulus deren Ausgangs- und Stützpunkt nicht Jerusalem gewesen ist, sondern eben dieses Antiochien. Was dazwischen steht, nämlich Apg 12 zeigt nicht nur, wie ernst damals die Lage für die jüdische Christenheit geworden war, sondern ebenso, wie weit das erstberufene Volk in seiner Verhärtung gegen das Evangelium bereits vorgeschritten war. Jakobus, einer der drei Hauptapostel, wurde durch Herodes hingerichtet. Mit der geplanten Hinrichtung des Petrus glaubte der letztere, den ganzen Apostelkreis und die Gemeinde selber zu treffen. Aber nicht nur die Haltung des damaligen F ü r s t e n zeigt, wie weit es damals gekommen war, sondern ebenso eine kurze Bemerkung des Petrus (Apg 12:11), aus der hervorgeht, dass die Bevölkerung Jerusalems mit seiner Hinrichtung nicht nur einverstanden war, sondern derselben mit Freuden zugeschaut hätte. Der Hauptteil des Volkes hatte nun das Herz zugeschlossen. Zwar haben die Apostel, und neben ihnen in besonderem Maße Jakobus, der Halbbruder des Herrn, dem Volke weiter mit dem Evangelium gedient, v i e l l e i c h t mit zu großer Anpassung an sein Empfinden. Auch Paulus wurde noch ein Zeuge seines erhöhten Herrn an sein Volk, als ihm der römische Hauptmann eine Ansprache an das Volk gestattete; er wurde aber am Schluss derselben niedergeschrien und wie schon vorher mit dem Tode bedroht. Und der zuletzt genannte Jakobus starb später in Jerusalem als Märtyrer. Israels Heilszeit war auf lange Zeit hinaus abgeschlossen. Die Missionsarbeit in Jerusalem und an der Judenschaft n a c h der Bekehrung des Paulus war nur noch ein Nachklang. Nun wurde das Volk dahingegeben in die Schrecken der von ihm eingegangenen Kriege gegen Rom. Damals kam, um mit den Worten Daniels zu reden, das Volk eines „Fürsten“, nämlich des Kaisers Vespasian unter der Führung seines Sohnes Titus und zerstörte die Stadt und das Heiligtum. Zum wirklichen „ G r ä u e l" wurde die Verwüstung, als nach dem zweiten jüdischen Krieg auf dem Tempelplatz ein heidnischer römischer Tempel errichtet wurde. Von dem durch die Araber im 7. Jahrhundert an der Stelle des Tempels errichteten Felsendom, der heute noch steht, war schon früher die Rede.

4. Daniels Wort zur l e t z t e n Stunde

(innerhalb Anm. 37)

Wiederholung der Heilswoche Israels bei Abschluss

“Solches tut Gott zwei- oder dreimal,“ so heißt es in Hi 33:29. Er macht es gern s o : die Zeiten des Widerstrebens gegen sein Wirken sucht er zwar heim mit Strafen und Gerichten, und indem er Menschen und Völker dahingibt in ihres eigenen Herzens Gedanken und Begehren. Aber in seinem Erbarmen greift er über solche Zeiten des Elends - Elend gibt es auch in glänzender Gestalt! - zurück zu früheren Zeiten und knüpft an sein früheres Wirken wieder an, indem er die damals abgerissenen Fäden wieder aufnimmt. Diesem Gang Gottes innerhalb des Einzellebens wie des Volks- und Völkerlebens entspricht auch die Geschichtsdarstellung der Heiligen Schrift. Die übergeht oft lange Zeiträume vollständig mit Stillschweigen, wenn sie im Rahmen seines Reiches keine Bedeutung haben, oder beschreibt sie nur mit einigen wenigen Worten. Andere Zeiten dagegen, die wichtig sind für sein Reich, und in denen das Kommen seines Reiches Fortschritte macht, werden mit großer Ausführlichkeit beschrieben. Im Neuen Testament sei beispielsweise auf jene Frühlingstage hingewiesen, in denen das Reich Gottes seinen stillen Anfang nahm, nachdem der Herr die Versuchung in der Wüste siegreich beendet hatte. Da hat Johannes im ersten Kapitel seines Evangeliums sieben Tage besonders beschrieben vom Zeugnis des Täufers an bis zur Offenbarung der Herrlichkeit Jesu auf der Hochzeit zu Kana. Tagebuchähnlich hat er das Geschehen aus der Zeit seines aufkeimenden Glaubens aufgezeichnet bis auf scheinbar nebensächliche Einzelheiten hinaus. Denn das waren die Tage, wo dem Täufer das Verständnis Jesu sich vertieft und erschlossen hat, und wo der junge und noch jugendfrische Glauben keimte in den Herzen der ersten Jünger, welche die Keimzelle des großen Gottesreiches bildeten. Ein noch deutlicheres Beispiel bietet die Passionsgeschichte, in der ebenfalls Tag für Tag die letzte Erdenwoche des Heilands eingehend beschrieben wird, am eingehendsten begreiflicherweise die letzten 24 Stunden. Auch aus dieser Art der Schrift können wir viel lernen. Die einzelnen Begebenheiten und Zeiten unseres Lebenslaufs stehen nicht gleichwertig nebeneinander. Über wie manches Jahr, vielleicht über wie manches Jahrzehnt, könnte von Gottes Griffel geschrieben werden: ohne Bedeutung, leer, verlorene Zeit! Im Unterschied davon können manche scheinbar nebensächliche Partien oder Ereignisse unseres Lebens in Gottes Augen ausschlaggebende Bedeutung haben für Zeit und Ewigkeit.
Wenden wir diese Gedanken an auf die lange Geschichte Israels seit dem Abschluss seiner Heilswoche zur Zeit seines Königs und seiner ersten Boten! Ob diese Jahrhunderte in Gottes Augen nicht mehr oder minder einen L e e r l a u f bedeuten, so dass sie auch in der Weissagung der Schrift übergangen oder nur kurz berührt sind? Aber es ist ein Wunder der göttlichen Gnade und Treue, dass er an frühere Gotteszeiten wieder a n k n ü p f t . So war es ein Wiederanknüpfen Gottes an sein früheres Wirken in seinem Volk, als er nach der babylonischen Gefangenschaft mit ihm wieder einen neuen Anfang machte. So war es ein noch größeres Zeichen der wieder anknüpfenden Gnade, als er seinem Volk über die Kreuzigung hinweg die Hand reichte. Wird er das noch ein drittes Mal tun? Im Anschluss an Daniels Weissagung von Israels Heilswoche könnte die Frage s o gefasst werden, wird sich diese Heilswoche noch einmal w i e d e r h o l e n , damit das Ergebnis doch nicht zustande kommt, das vor bald 2000 Jahren hätte erreicht werden s o l l e n und k ö n n e n , aber durch menschliche Schuld n i c h t erreicht wurde? D a s s Gott mit Israel wieder anknüpfen wird, das hat der Herr selber bezeugt, wenn er am Ende seiner großen Abrechnung mit der verkehrten Frömmigkeit seines Volkes (Mt 23) am Schluss jenes Kapitels gesagt hat, der Tag werde noch einmal kommen, wo sein Volk ihn von neuem, ihn als den im Namen Gottes wiederkommenden König begrüßen werde. Das gewichtige Zeugnis des Paulus in der gleichen Richtung in Röm 11 wurde schon mehrmals erwähnt. Die Offenbarung des Johannes geht in diesem Stück noch weiter. Gedacht ist an Offb 7:1-8, wo davon die Rede ist, dass am Schluss der Endzeit ein heiliger Rest aus allen Stämmen Israels vorhanden sein werde. Noch eingehender ist das in Offb 11 und Offb 12 über eine neue Heilszeit Israels Gesagte.
Zwar ist die Auslegung der zuletzt genannten Kapitel schwierig, und bis jetzt ist eine Zusammenstimmung der Auslegung nicht erreicht. Aber es scheint in zunehmendem Maß verstanden und anerkannt zu werden, dass dort nicht von der Zerstörung des a l t e n Tempels im Jahre 70 die Rede ist, auch nicht von der Geschichte der h e i d e n christlichen Gemeinde am Ausgang des jetzigen Zeitlaufs, sondern von der weiter oben erwähnten Geburtsstunde des n e u e n I s r a e l s , der gegenüber Paulus sich nur als eine F r ü h g e b u r t bezeichnet hat. Ein eingehender Vergleich Offb 12 mit Offb 11 macht es wahrscheinlich, dass dort von zwei gleichen Zeiträumen von je 3 1/2 jähriger Dauer gesprochen wird, innerhalb dieses Neuwerden Israels durch Gottes Gnade, und seine Bereitstellung zum Dienst im Reich Gottes auf Erden im Blick das Wiederkommen seines Königs zustande kommen wird. Die 3 1/2 Jahre werden als ein genau bestimmter Zeitraum dadurch gekennzeichnet, dass sie auf dreifache Weise benannt sind: mit 42 Monaten, 1260 Tagen (der Monat zu 30 Tagen gerechnet) und mit dem Ausdruck: „eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ („Zeiten“ = Jahre). Die ersten 3 1/2 Jahre sind ausgefüllt von der Wirksamkeit zweier geistgesalbter Persönlichkeiten in Jerusalem, zu einer Zeit, da dort bereits wieder ein neuer Tempel Gottes stehen wird. Deren Wirksamkeit dient zunächst ihrem eigenen Volk, das dadurch, mindestens in einem heiligen Rest, der glaubenden Entscheidung für seinen König entgegenreift. Aber gleichzeitig wirken sie in gewaltigen, durch Gottes Geist bewirkten Machttaten auf die ganze Welt. Diese beiden Männer sollen dem Ansturm des Antichristen erliegen, aber trotz ihrer Tötung eine herrliche Verklärung erfahren. Der von ihnen für seinen König gewonnene Volksteil soll den Nachstellungen der Schlange (= Satan) entzogen, und in das Reich Gottes auf Erden hinübergerettet werden in leiblicher Gestalt, dem kommenden König entgegen. Wenn diese Auslegung in den Hauptzügen richtig ist, dann ist Offb 11 und Offb 12 eine Wiederaufnahme der Danielischen Weissagung von der letzten Jahrwoche. In auffallender Weise würden manche Aussagen Daniels auf die beschriebene Neuwerdung Israels passen: „Er wird vielen den Bund stärken eine Woche lang; und in der Mitte wird das Opfer aufhören“ (Dan 9:27).’'
Zwar können diese weissagenden Worte Daniels wenigstens teilweise auch auf Israels Heilswoche zur Zeit J e s u und der A p o s t e l angewandt werden. Denn auch damals ging Gott den Bund ein mit vielen aus Israel. Es war der alte und doch der neue Bund. Das Opfer im Tempel hat zwar in der Mitte jener ersten Heilswoche, nämlich am Tag von Golgatha, nicht buchstäblich aufgehört. Aber das Zerreißen des Vorhangs im Tempel hat doch in diese Richtung gedeutet, sofern das große Opfer von Golgatha, auf das l e t z t e Ziel der Wege Gottes angewendet, alle weiteren Opfer entwertet und unnötig macht. Aber b u c h s t ä b l i c h passen diese Worte, wenn sie im Licht von Offb 11 und Offb 12 verstanden werden.
Von hier aus sei noch kurz hinübergeblickt nach Mt 24:15-28, wo vom „Gräuel derVerwüstung an heiliger Stätte“ die Rede ist. Obwohl die vorhergehenden Verse (Mt 24:1-14) einen Überblick geben über die ganze Zeit bis zum Ende des Zeitlaufs, nimmt doch die Mehrzahl der Ausleger an, der Herr habe von Mt 24:15 an noch einmal z u r ü c k gegriffen auf die furchtbare innere und äußere Notzeit des Jahre 70 n.Chr., wo der Tempel in Flammen aufging. Dass jene Verse a u c h die Zeit des jüdischen Krieges im Auge haben und bereits damals bis zu einem gewissen Grad in Erfüllung gegangen sind, das soll nicht bestritten werden. Aber von einer E n t w e i h u n g des Heiligtum damals kann nicht gesprochen werden, nur von seiner V e r w ü s t u n g ; und so unsagbar groß auch die Not jener Tage war, so ist doch fraglich, ob gesagt werden könne, mit der Not des Jahres 70 nach Christi Geburt könne keine frühere und spätere Not verglichen werden. Alles das legt die Frage n ahe, ob nicht der Blick des Herrn in Mt 24:15-28 über das Jahr 70 hin ü b e r - und h i n a u s geht auf die Notzeit des Heiligen Landes am Ausgang des j e t z i g e n Zeitalters. Auch das wird erwogen werden müssen, dass in Mt 24:29ff. Die a l l e r l e t z t e n Ereignisse, die der Wiederkunft Jesu vorausgehen und diese selber, fast unmittelbar an die vorhergehenden Verse angeschlossen sind, mit anderen Worten: es entsteht die Frage, ob nicht Offb 11 und Offb 12 eine Parallele zu Mt 24:15-28 ist.
Auf die k o m m e n d e Endgeschichte Israels und des neu zu erwartenden Tempels würde das Wort vom „Gräuel“ der Verwüstung Mt 14:15 passen. Denn in 2Thes 2:4 wird davon gesprochen, dass der „Mensch der Sünde“ sich in den Tempel Gottes setzen werde, und sich als Gott werde anbeten lassen. Das ist in ungleich höherem Maß ein „Gräuel“ als die Verwüstung selber. Das war auch der Gräuel in der makkabäischen Notzeit, als der alttestamentliche Antichrist Antiochus den Tempel durch Götzenopfer entweihen ließ (1Makk 1:62).
Es sei noch kurz auf einige Zahlenangaben hingewiesen, mit denen bei Daniel die D a u e r solcher Entweihung angegeben ist. In Dan 8:14 wird sie auf 2300 Abend-Morgen beziffert, was vielleicht auf das tägliche Morgen- und Abendopfer hinweist, und was dementsprechend wohl als 1150 Tage zu verstehen isst. In Dan 12:11 ist dagegen von 1290 bzw. 1335 Tagen die Rede. Beide Zeitangaben umfassen einen Zeitraum von der ungefähren Dauer von 3 1/2 Jahren; die erste eine etwas kürzere, die zweite eine etwas längere Zeit. Vielleicht ist der Unterschied dieser Zahlenangaben in ihrer Art auch ein Zeichen dafür, dass Daniel zwei v e r s c h i e d e n e Entweihungen des Tempels vor Augen hatte; mit anderen Worten: dass das letzte Kapitel des Danielbuches, in dem von der l ä n g e r e n Dauer dieser Zeit die Rede ist, nicht von der m a k k a b ä i s c h e n Notzeit aus zu verstehen ist, sondern von der noch ausstehenden E n d z e i t Israels. Merkwürdig ist übrigens, dass die im ersten Makkabäerbuch berichtete Tempelreinigung eine etwa dreijährige Entweihung des Tempels abgeschlossen hat.

Die große Trübsal

Noch auf zwei Besonderheiten im Ausblick Daniels sei hingewiesen. Einmal darauf, dass er nicht nur von Trübsal e n Israels gesprochen hat, sondern von einer b e s o n d e r s großen Trübsal, die Dan 12:1 genannt ist.*

Anmerkung 38:

Unterschied zwischen Trübsalen und der g r o ß e n Trübsal
* Ps 129:1: „Sie haben mich o f t bedrängt von meiner Jugend auf, so sage Israel. Die Pflüger haben auf meinem Rücken geackert und ihre Furchen langgezogen.“ Ja: Gott hat sein Volk mehr gezüchtigt als irgendein anderes Volk. Und die Völker, die früher durch Gott den Auftrag bekamen, solche Züchtigungen vorzunehmen, haben ihren Auftrag nicht selten überschritten und sind daher selber unter Gottes Strafe gefallen. Was in der genannten Schriftstelle von f r ü h e r e n Zeiten gesagt ist, das hat sich seither w i e d e r h o l t und in den letzten Jahren in einer, unser deutsches Volk tief demütigenden Art, die Gottes Gericht herausgefordert hat. Ob am Schluss des jetzigen Zeitlaufs eine n o c h schwerere Trübsal Israels kommen wird, oder ob die Trübsal der vergangenen Jahre bereits in d i e große Trübsal Israels hineingehört?’'
Durch die Geschichte der Völkerwelt gingen und gehen ebenfalls Trübsale in steigendem Maß, und in der Schrift ist davon die Rede, dass auch die C h r i s t e n h e i t aus der Völkerwelt in eine besonders große Trübsal hinein muss. In dieser Hinsicht wird verwiesen auf Offb 7:14, wo Johannes als das Ergebnis der Endzeit eine unzählbare Schar aus allen Völkern am Throne Gottes wahrnahm. Es wurde ihm gesagt, dass diese Menge aus „d e r“ großen T r ü b s a l herkomme. In unserer deutschen Bibel heißt es nur: aus g r o ß e r Trübsal. Die vorhin genannte richtige Wiedergabe des griechischen Urtextes besagt m e h r , nämlich das, dass auch die Christenheit der Völkerwelt am Schluss dieses Zeitlaufs durch ein Trübsalszeit von b e s o n d e r e m Ausmaß werde hindurchgehen müssen, dass aber auch aus s o l c h e r Zeit - oder sollen wir sagen: gerade d u r c h solche Zeit - eine reiche Ernte aus den Völkern für Gottes Reich zustande kommen werde.

Die Auswahl

Noch ein Hinweis der Weissagung Daniels sei genannt. Schon ihm wurde klar, dass nicht das G a n z e seines Volkes sich bewähren werde, sondern nur ein T e i l. Das hat er schon für die m a k k a b ä i s c h e Notzeit vorausgesagt (Dan 11:32-36). Für die Notzeit am E n d e ist das gleiche Dan 12:1.2.10 ausgesprochen.*

Anmerkung 39:

Geschichtliches dazu
* Eine schmerzliche Erkenntnis, sowohl im Blick auf Israel als auch auf die Christenheit! Sie liegt auf der gleichen Linie wie die Weissagung Jesajas, die nur von einem heiligen Rest spricht (Jes 6:13). Daher die vielen Klagen in den prophetischen Büchern und in den Psalmen über die große innere Verderbnis des erstberufenen Volkes. Dem entspricht die n e u e Verderbnis durch Frömmigkeit Israels bei den Schriftgelehrten, Pharisäern und Sadduzäern zur Zeit Jesu, deren Wurzeln Jahrhunderte zurückreichen. Israels verkehrte F r ö m m i g k e i t war es, die Jesus an das Kreuz gebracht hat und später auch in der Urgemeinde Jerusalems ernste Fehlentwicklungen zeigte, die unheilvoll bis in die paulinischen Gemeinden hineingewirkt haben. Vgl. dazu den Kampf den Paulus im Galaterbrief gegen diese aus Jerusalem stammenden Kreise hat führen müssen. Die s p ä t e r e Christenheit hat wohl auf die Völker, in denen sie leben musste, einen tiefen Einfluss ausgeübt. Aber die Zahl derer, die in Wahrheit zu ihr gehören, deckt sich nicht mit ihrer Mitgliederzahl. Die Gemeinde Jesu ist und bleibt bis zum Ausgang des jetzigen Zeitlaufs nur eine A u s w a h l aus der Völkerwelt. Das gilt sogar für „christliche“ Völker. Ob die übrigen, die im Verlauf ihres Lebens, und während des ganzen derzeitigen Zeitlaufs, des Heils nicht teilhaftig werden und es nicht begehren, nach dem Abschluss ihres Lebens, und und nach dem Abschluss des jetzigen Zeitlaufs noch einmal eine n e u e Berufung zum Heil erfahren werden, das ist eine der bewegendsten Fragen, die sich nicht nur dem Menschengeist, sondern gerade der Gemeinde Jesu und ihren Gliedern aufdrängt.

5. Ausblicke Daniels auf das Reich Gottes auf E r d e n

Die Ausblicke Daniels umfassen nicht nur die Reiche dieser W e l t und das Ergehen des Gottesvolkes in ihrer Mitte und unter ihrer Oberherrschaft, sondern gehen auch auf das Reich G o t t e s hinaus. Das letztere sah Nebukadnezar in Gestalt des von oben herabrollenden Steins, der zuerst klein war, aber trotzdem das gewalitge Bild zum Umsturz brachte, der aber dann wuchs, bis er schließlich die ganze Welt ausfüllte.*

Anmerkung 40:

Was heißt „H i m m e l“ reich?
*Weil das Reich Gottes von o b e n kommt, entsprechend dem vom Berg herabrollenden Stein, deswegen wurde es sowohl vom Täufer als auch vom Herrn das H i m m e l reich genannt. Der Sinn dieses Wortes ist entsprechend der Danielschen Weissagung nicht der, dass damit ein im Himmel b e f i n d l i c h e s Reich gemeint ist, sondern ein vom Himmel k o m m e n d e s. Die Christenheit ist hinter dieser Erwartung zurückgeblieben, wenn sie sich das Reich Gottes fast nur als ein Reich i m Himmel vorstellen kann oder als den Inbegriff der n e u e n Schöpfung. Daher ist es gekommen, dass der Christenheit die Vorstellung eines Reiches Gottes auf d i e s e r Erde nach den Gerichten der Endzeit fast als unglaublich erschienen ist, während es nicht nur in der kurzen Stelle der Offenbarung Offb 20:1-6 genannt ist, sondern im g a n z e n prophetischen Wort erwartet wird. Dass Johannes es in der genannten Stelle nur mit wenigen Versen beschrieben hat, das rührt nicht davon her, dass ihm die Erwartung des Reiches Gottes in dieser Form etwas Neues gewesen wäre. Vielmehr konnte es deshalb so kurz sein, weil es sich für ihn vom Standort der ganzen Schrift aus um etwas längst Erwartetes handelt. Die Verlegung des Reiches Gottes n u r in den Himmel und n u r in die neue Welt hat auch zur Folge gehabt, dass die Christenheit mit der Verheißung von der Wiederkunft Christi nicht viel anzufangen wusste. Sie hat zwar diese Verheißung beibehalten, hat sie aber nicht mehr verstanden.

In dem Gesicht das ihm selber in Dan 7 über den Gang des Weltreichs zuteil wurde, sah er das Reich Gottes im Unterschied von den Tiergestalten der Weltreiche in Gestalt eines Menschensohnes.*

Anmerkung 41:

Der „Menschensohn
* Das Wort „Menschensohn“ muss aus der hebräischen Sprache heraus verstanden werden. Innerhalb derselben bedeutet es soviel wie „Mensch“. Denn das ist das Kennzeichen eines Menschen, von dem nur der erste Mensch Adam, eine Ausnahme gemacht hat, dass er vom M e n s c h e n stammt, obwohl ihm G o t t das Leben und den Geist gegeben hat. Deshalb ist mit dem Satz, dass Daniel das Reich Gottes in der Gestalt des Menschensohnes kommen sah, darauf hingewiesen, dass zwar die Weltreiche t i e r i s c h e Art haben, dass aber im Reich Gottes erst des M e n s c h e n Würde und Adel zum Ausdruck komme, wie er v o r dem Fall nach Gottes Bild und zu Gottes Bild geschaffen wurde.
Gleichzeitig aber ist dem Daniel durch dieses Wort in seiner Beziehung zum Himmelreich ein Wink gegeben worden über den kommenden K ö n i g des Reichs, dass derselbe nämlich zwar von o b e n stamme, aber gleichzeitig gliedmäßig in das m e n s c h l i c h e Geschlecht hineingestellt sei. In diesem Sinn hat auch der Herr Jesus dieses Wort in vielen Fällen auf sich angewendet. Er gehört freilich gliedmäßig in das erstberufene G o t t e s v o l k hinein als Nachkomme Davids und Abrahams. Aber er gehört nicht nur dem auserwählten Volke an, sondern der G e s a m t menschheit, dementsprechend, dass auch das Volk Israel aus der Menschheit herausgewachsen ist.
Eine besondere Beziehung zu Dan 7:13 hat die Selbstbezeugung des Herrn vor dem Hohen Rat und dem Hohenpriester in der Nacht des Verrats. Da hat er, obwohl gefangen und in Banden, mit dem Wort, er werde mit den Wolken des Himmels wiederkommen als der Menschensohn, die Weissagung Daniels auf sich selber angewandt. Seine Gegner haben diese Stelle gekannt, denn das Danielbuch war zur Zeit Jesu eines der beliebtesten Bücher der Schrift. Mit diesem Satz hat er die Frage des Hohenpriesters, ob er wirklich das Christusamt in Anspruch nehme, bejaht, und hat sich nicht nur auf dem Kreuzesweg als den König des Gotteswegs bezeichnet, sondern auch sein Wiederkommen bezeugt zur Aufrichtung des Reichs. Das war es, was die Wut des Hohenpriesters bis zum höchsten Grad gesteigert hat.

Weil Daniel das Himmelreich erst am Ende hat kommen sehen, so ist damit ausgesprochen, dass er dasselbe mit dem Volk Israel nicht gleichsetzt, sondern von ihm unterschieden hat. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis.*

Anmerkung 42:

Gemeinde Jesu, Kirchen und Reich Gottes
*Auch die G e m e i n d e J e s u ist das Reich Gottes s e l b e r noch n i c h t. Zwar geht das Reich Gottes in der jetzt noch währenden Weltzeit innerhalb der Gemeinde Christi bereits seinen stillen Gang durch die Welt. Aber es ist vorerst noch ein s t i l l e r Gang, der im Wirken des Heiligen Geistes innerhalb der Gemeinde und an der Welt vor sich geht; der aber die bis jetzt noch bestehenden Weltverhältnisse, und auch die satanische Herrschaft noch n i c h t beseitigt, obwohl sie bereits gerichtet und zum Vergehen bestimmt sind. Deshalb kann das Reich Gottes ebenso wie sein noch verborgener König von der Weltöffentlichkeit bis jetzt noch ignoriert und totgeschwiegen werden. Und die Gemeinde Christi wird in dieser Zeit der Anfechtung dem Druck, dem Leiden, der Bekämpfung und dem scheinbaren Unterligen noch nicht entkommen.
Noch weniger als die Gemeinde Jesu decken sich die K i r c h e n mit dem Reich Gottes. Die letzteren stehen zwischen der Gemeinde Jesu und dem, was die Schrift „Welt“ nennt. Das letztgesagte gilt nicht nur für die g r o ß e n Kirchenkörper, sondern auch für alle G r u p p e n und S p l i t t e r, die in irgendeiner Weise meinen, das Reich Gottes mit ihrer Organisation umspannen zu können. Die Kirchen sind A n w ä r t e r des Reichs, sofern sie auf die Linie der Gemeinde Jesu eingehen und auf ihr bleiben. Sie können aber auch,wenn sie nicht auf dem Kreuzesweg gehen wollen und bleiben, und wenn sie nicht den Geist der Buße pflegen, sogar zu Keimzellen des A n t i c h r i s t e n t u m s werden. Der Weg der Kirchen und der verschiedenen christlichen Gruppen ist ein schmaler. Sie dürfen nie vergessen, wer ihr H e r r ist, und dass nicht die Zugehörigkeit zu i h n e n das Heil vermittelt und bedingt, sondern die Einreihung ihrer Glieder in die Gemeinde Jesu, die nicht nur durch sie selber verfügt werden kann, sondern die durch den Herrn der Gemeinde kraft des Heiligen Geistes vollzogen wird. Freuen wir uns darüber, dass das Reich Gottes etwas Größeres ist als alle Kirchen und Gruppen auch in den liebenswertesten Formen, ja dass es auch größer und umfangreicher ist als die Gemeinde Jesu, deren tägliche Bitte es sein darf und soll: „Dein Reich komme!"

Israels Herrscherstellung im Zeichen des D i e n s t e s

Israel ist zwar im Blick auf das Reich Gottes geschaffen, und soll in demselben als das heilige Volk des Höchsten Herrscherstellung einnehmen. Aber es bekommt die letztere nicht zu seiner S e l b s t erhöhung, sondern im Zeichen des D i e n s t e s. Der Herr des Reichs ist vielmehr der ewige Gott, den Daniel Dan 7 in Gestalt des „A l t e n“ gesehen hat, und der von ihm bestimmte K ö n i g des Reichs. Das Gottesvolk ist nur der Anwärter des Reichs und dessen bevorzugter Diener.

Etwas weiteres, sehr Wichtiges, was Daniel beim Übergang von der Zeit der Weltreiche zum Gottesreich wahrnahm, das ist das G e r i c h t Gottes. Dem letzteren steuert das gesamte Weltgeschehen zu.*

Anmerkung 43:

Das Gericht und der Richter
* Der K ö n i g des Reichs ist zugleich der R i c h t e r der Welt. „Von dannen er wiederkommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Zwar ist das Gericht über den Fürsten dieser Welt am Kreuz bereits vollzogen worden, und keine Einfügung in die Gemeinde Jesu kommt zustande, ohne dass das G e r i c h t über einen Menschen ergeht und anerkannt wird. Begnadigt werden wir nur als Verurteilte. B e i d e s geschieht unter dem Kreuz: Gericht und Gnade. Auch das ganze Weltgeschehen wie jedes einzelne Menschenleben s t e h t schon unter dem Gericht Gottes. Aber über der G e g e n w a r t des Gerichtes darf nicht vergessen werden, dass das e i g e n t l i c h e Gericht noch z u k ü n f t i g ist. Dieses z u k ü n f t i g e Gericht wird gegen den Ausgang des jetzigen Zeitlaufs eingeleitet durch v o r l a u f e n d e Gerichte, über die unbußfertige Welt, durch Gerichte von zunehmender Schwere, wie sie in der Offenbarung des Johannes gleichnisweise und buchstäblich beschrieben sind.

6. Blicke Daniels in die n e u e Zeit

Hat Daniel auch in die n e u e Welt einen Blick tun dürfen, wie er später dem Johannes in den beiden letzten Kapiteln der Offenbarung zuteil geworden ist? E i n Stück der neuen Welt hat er sehen dürfen: dass es nämlich eine A u f e r s t e h u n g gegeben wird (Dan 12:2). Es scheint sogar, dass er etwas gewusst hat von einer d o p p e l t e n Auferstehung, zur Herrlichkeit und zur Schande. Aber die näheren Blicke in die neue Welt Gottes waren ihm auf der alttestamentlichen Stufe der Offenbarung v e r s a g t.*

Anmerkung 44:

Der letzte Ausblick des P a u l u s
* Auch in der Offenbarung des Johannes sind die Ausblicke auf das E n d ziel aller Wege Gottes noch bis zu einem gewissen Grad v e r h ü l l t , indem sie zum Teil in B i l d e r n dargestellt sind. Einen Ausblick o h n e Bild gibt Paulus in 1Kor 15:20-28. Dort ist davon die Rede, dass das Christus a m t des Herrn so lange weiterwähren werde, bis das Christus w e r k restlos durchgeführt sein wird. Zu dieser Durchführung gehört die Beseitigung und Überwindung a l l e r gottfeindlichen Mächte. Als solche sind im kleinen Katechismus Luthers mit Recht drei aufgeführt: Sünde, Tod und teuflische Gewalt. Als das l e t z t e Christuswerk wird die völlige Aufhebung des Todes genannt. Dann ist der Augenblick gekommen, wo der Herr sein Amt in des Vaters Hände zurücklegen kann, weil alles vollbracht ist. Am Kreuz wurde es schon g r u n d s ä t z l i c h vollbracht. Die t a t s ä c h l i c h e Durchführung wird bis in das Gebiet und die Zeit der neuen Schöpfung Gottes hineinreichen. Erst wenn das Christuswerk g a n z hinausgeführt ist, ist das Reich Gottes v o l l e n d e t. Das Reich Gottes a u f E r d e n ist nach dem stillen Gang des Reiches in den letzten 20 Jahren erst die A n f a n g s gestalt der Herrschaft Gottes, in der dann aber die Weltöffentlichkeit dem König des Reichs willig oder widerwillig untertan sein wird. Des Reiches z w e i t e Gestalt wird die n e u e S c h ö p f u n g sein, nach dem Vergehen der alten Welt im Feuer des jüngsten Gerichts. Die V o l l e n d u n g des Reiches Gottes wird in 1Kor 15:28 mit dem Satz beschrieben: dann wird Gott sein a l l e s i n a l l e m. Der griechische Urtext lässt eine doppelte Übersetzung zu, ja macht sie wahrscheinlich: alles in allem und alles in allen.'

Ein letzter köstlicher Ausblick, der dem Daniel zuteil geworden ist war der, dass ihm nach seinem seligen Scheiden von dieser Welt die Ruhe in Aussicht gestellt wurde (Dan 12:13). Das war ein Blick i n den Himmel. Aber das wurde ihm auch gesagt, dass diese Ruhe noch nicht seinen e n d g ü l t i g e n Stand darstelle, sondern seiner Auferstehung und der Einsetzung in sein Erbteil vorausgehe. Im Blick auf beides wurde er zu einem sich bescheidenden Warten aufgemuntert (Dan 12:9).*

Anmerkung 45:

Der Blick a u f wärts und v o r wärts
* Der Glaubende darf und soll täglich z w e i Blicke üben: den nach o b e n , wo das Reich Gottes jetzt schon ist, wo auch der König des Reiches ist, wo er Heimatrecht hat, wo er normalerweise zu Hause ist, jetzt schon und wenn sein irdischer Lauf zu Ende geht. Aber auch den Blick nach v o r w ä r t s dem kommenden Reich und dem kommenden König entgegen, in welchem und durch welchen erst die Auferstehung und Vollendung zustande kommen wird. Denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!

Vorläufiges Schlusswort
An dieser Stelle könnte geschlossen werden mit der Besprechung der Prophetie Daniels und deren Bedeutung auch für uns. Doch drängt die Gegenwart und die Beziehung Daniels zum letzten Buch der Bibel noch zu einer weiteren Ausführung im vierten Abschnitt. Hier nur einige v o r l ä u f i g e Schlussfolgerungen:

Der Dienst der Prophetie

Die Prophetie der Bibel erweist uns einen doppelten Dienst: sie beleuchtet die Vergangenheit und die Zukunft. Zwischen beiden liegt die Gegenwart, die nicht nur durchlebt werden muss, sondern innerhalb derer wir auch unseren Dienst auszurichten haben. Um richtig wandeln und handeln zu können, bedürfen wir des Lichtes auf unserem Weg. Sonst stoßen wir uns oder gehen i r r e.
Nun wird dem Aufrichtigen immer wieder s e i n Weglein gezeigt. Aber im Blick auf das G a n z e bedürfen wir des Lichtes ebenfalls. Zwar wird uns die Anspannung unseres eigenen Auges durch das Licht von oben nicht erspart. Der Weg durch die jeweilige Gegenwart wird d u n k e l bleiben s o l a n g e die jetzige Weltzeit währt. Aber das Wunderbare ist, dass das Licht Gottes gerade im d u n k l e n Ort aufstrahlt (2Petr 1:19), und dass wir in diesem Licht Gottes auch im Dunklen das S e h e n lernen dürfen.
V o l l e s Licht für die jeweilige Gegenwart gibt es freilich nicht. Erst wenn die Gegenwart zur Vergangenheit geworden ist, wird sie stärker beleuchtet. Aber von zwei Seiten her fällt in die Dunkelheit der Gegenwart doch Licht herein, nämlich von Gottes f r ü h e r e n Wegen und von seinem k o m m e n d e n Werk.

Die Gegenwart als Zeitenwende

In diesem Licht wenigstens fällt einiges in das Dunkel der Gegenwart! Es ist Übergangszeit! Zeitenwende großen Ausmaßes! Schon das zu erkennen ist wichtig. Das wehrt den großen Plänen und Erwartungen, aber gleichzeitig auch dem Verzagen. Das ermuntert zu täglichen Ausharren, Forschen, Fragen, Bitten und Danken.
Inwiefern ist es eine Zeitenwende? Um an frühere Ausführungen anzuknüpfen: in der Gegenwart entwickelt sich das Geschehen vollends zum W e l t geschehen und die Erde mit den Völkern darauf zu einem G a n z e n. Das vierte Reich Daniels war schon im Altertum gewaltig und hat sich im Lauf der letzten zwei Jahrtausende zu „Europa“ entwickelt, und von dort aus hat es die Hände nach allen Erdteilen ausgestreckt. Nun geht es vollends aufs G a n z e ! Ob das nicht der Inhalt des 7. Tierkopfes in der Offenbarung des Johannes ausmacht? Welcher A r t ist dieses Ganze? Liegt es auf der Linie des Reiches Gottes? Gewiss: Auch die Gemeinde Christi wird weltweit (Konferenz von Tambaran 1938) und reift heran. Mt 24:14 geht in Erfüllung, dass das Evangelium vom Reich überall hineindringt. Aber die Macht der Finsternis ist noch nicht ausgeschaltet. Sie verfolgt i h r Weltziel weiter, und hofft es doch noch zu erreichen, obwohl sie seit Golgatha unter dem Gericht Gottes steht. Das hat zur Folge, dass neben den l i c h t e n Zügen auch die U n h e i m l i c h k e i t e n zunehmen werden. Unter welchen Begleiterscheinungen diese Übergangszeit vor sich gehen wird, das ist unseren Blicken entzogen. Werden die vielen weltweiten Spannungen sich lösen oder entladen?
Das letzte Stück der Weltgeschichte rückt näher; nämlich die Dämonisierung der Welt, die den Boden bereitet und abgibt für das Aufkommen und die Wirksamkeit des Antichristen. Vorbereitend wird vielleicht eine Welteinheitsreligion sein. Der Weg der Gemeinde Jesu wird zunehmend schwerer werden. Die Kirchen werden durch Entscheidungen hindurch müssen, ob sie sich auf die Richtung dieser G e m e i n d e zubewegen oder sich an der Z e i t strömung orientieren wollen.
Es sei der V e r s u c h gemacht, der Offenbarung des Johannes einiges zu entnehmen. Es sei ausdrücklich betont, dass es ein Versuch ist. Der geht aus von der besprochenen letzten Jahrwoche Offb 11 und Offb 12. In diesen Kapiteln wird ausgesprochen, dass in diese letzte Jahrwoche die Posaunengerichte hinein verflochten sind. Besonders ansprechend ist das in der Stuttgarter Jubiläumsbibel ausgeführt. Was sind die „Posaunen“? Sie läuten den Abschluss des jetzigen Zeitlaufs sein unter dem Zeichen des Gerichts Gottes über die Welt, ihrem Fürsten und dessen Diener, dem Antichristen. Was ist mit den sieben Siegeln gemeint? V i e l l e i c h t entspricht ihr Inhalt dem vom Herrn selber in Mt 24:1-14 Gesagten, nur mit der Maßgabe, dass das dort Ausgesprochene im Verlauf der Zeit sich steigert. Das sechste Siegel wird w o h l noch die Erschütterungen am Ende des tausendjährigen Reiches umfassen. Es ist mir wahrscheinlich, dass der Inhalt des siebten Siegels nicht die Posaunen- und Zornschalengesichte in sich fasst, sondern hinaussieht in die Zeit der neuen Schöpfung. Offb 10 wird wohl mit Offb 11 und Offb 12 zusammengehören. Johannes durfte dort nicht aussprechen, was er damals sah. V i e l l e i c h t bezog sich der Inhalt seines damaligen Gesichtes auf die noch ausstehenden Ereignisse im H e i l i g e n L a n d, die zur Wiedereinrichtung des Tempels in Jerusalem und zur Sammlung eines heiligen Restes dort führen werden.
Vom Orient ist die Weltgeschichte ausgegangen: dorthin wird sie zurückkehren. Bis jetzt strebt sie noch in die Weite, aber zu ihrer Zeit wird die r ü c k l ä u f i g e Bewegung eintreten. Was ist mit B a b e l gemeint? Ist es wohl nur sinnbildlich zu verstehen oder bedeutet es - kurz gesagt - den Mittelpunkt des antichristlichen Weltreichs? Wäre es so, dann hat das Babel der Bibel eine dreifache Gestalt: vom ä l t e s t e n ginge dann eine Linie über das m i t t l e r e Babel zur Zeit Nebukadnezars hinüber zum Babel der E n d z e i t. Dann wären die beiden Weltmittelpunkte Jerusalem und Babel nicht weit auseinander: das eine der Brennpunkt des Gottesreiches und das andere der Brennpunkt des antichristlichen Reiches.
Und der Ausgang? Was siegen wird, das ist Jerusalem; was fallen wird, das ist Babel. Es siegt der Herr und durch ihn das Reich Gottes. Ausgeschaltet wird der Fürst dieser Welt, und die Reiche dieser Welt werden unseres Gottes und seines Christus werden.
Und die Zeit? Die steht in Gottes Hand, so gut wie meine und deine kurze Lebenszeit So wie ich und du in kurzem vor dem Richterthron stehen werden, so wird auch über den ganzen Weltkreis die große Versuchung kommen und dann das große Gericht.
Gericht ist schon jetzt. Aber gleichzeitig ist über die, dem Ausgang des Zeitlaufs entgegengehende, Welt noch eine Fülle von Erbarmen ausgeschüttet worden; Gericht und Gnade in einem!

Lies weiter:
IV. Zur biblischen Beurteilung von Gegenwart und Zukunft